Urteil vom Verwaltungsgericht Augsburg - Au 3 K 15.1892

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Hilfen zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege bzw. die Übernahme von Aufwendungen für selbstbeschaffte Hilfen.

1. Der Kläger ist Vater der Kinder ... und .... Er übt die elterliche Sorge gemeinsam mit der Kindsmutter, seiner geschiedenen Ehefrau, aus. ... und ... waren im Rahmen der Gewährung von Hilfen zur Erziehung seitens des beklagten Landkreises ... bis Herbst 2014 in einer Pflegefamilie untergebracht. Diese Hilfe wurde mit Bescheid vom 16. November 2014 eingestellt. Von einer zunächst angedachten, daran anschließenden Heimunterbringung (vgl. hierzu den Antrag auf Jugendhilfeleistungen der Kindsmutter – Bl. 209 der Verwaltungsakten) nahmen der Kläger und seine geschiedene Ehefrau als die gemeinsam Sorgeberechtigten wieder Abstand. Vielmehr wurden ... und ... ab 9. November 2014 bei den Großeltern väterlicherseits in ... im Bundesland Sachsen untergebracht. In einer psychologischen Stellungnahme vom 28. November 2014 (Bl. 182 der Verwaltungsakten) wurden diesbezüglich aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen der Großeltern Bedenken geltend gemacht.

Am 27. Januar 2015 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Leistungen der Jugendhilfe (Bl. 173 der Verwaltungsakten). Dieser Antrag trägt allein die Unterschrift des Vaters. Seitens der Kindsmutter ist er nicht unterschrieben. Eine Konkretisierung der beantragten Hilfeart enthält der Antrag nicht.

2. Mit Bescheid vom 16. Februar 2015 wurde der Antrag auf Hilfe zur Erziehung vom 27. Januar 2015 abgelehnt. Es fehle an einer Willenserklärung der Mutter, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen. Aufgrund des gemeinsamen Sorgerechts sei dies erforderlich. Zwar seien Hilfen für die Kinder ... und ... notwendig. Die Unterbringung bei den Großeltern in Vollzeitpflege sei jedoch keine geeignete Hilfe. Die persönliche Eignung der Großeltern könne zum Zeitpunkt des Ablehnungsbescheids nicht beurteilt werden. Jedoch widerspreche die räumliche Trennung, die sich daraus ergebe, dass die Großeltern in Sachsen lebten, dem Kindeswohl.

3. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von ... mit Bescheid vom 24. November 2015 zurück. Aus dem von der Kindsmutter unterschriebenen Antrag vom 30. Oktober 2014 gehe nicht hervor, ob Einverständnis mit der erst später beantragten Großelternpflege bestehe. Inzwischen habe die Kindsmutter erklärt, dass sie mit einem fortgesetzten Verbleib der Kinder bei den Großeltern väterlicherseits nicht einverstanden sei. Das Kreisjugendamt ... habe vertretbar und nachvollziehbar dargelegt, dass eine andere Hilfemaßnahme als die Vollzeitpflege zur Bewältigung der erzieherischen Defizite der Kinder ... und ... geeignet und notwendig sei. Die mit dem Umzug zu den Großeltern verbundene räumliche Trennung sei für die weitere persönliche und emotionale Entwicklung von ... und ... nicht förderlich.

4. Hiergegen ließ der Kläger am 28. Dezember 2015 Klage erheben. Er beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Februar 2015 in Form des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2015 Hilfe zur Erziehung für die Söhne ... sowie ... zu zahlen.

Die Personensorgeberechtigten hätten Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn diese geeignet und notwendig sei. Von beiden Elternteilen sei schriftlich Einverständnis erteilt worden, dass die Kinder ... und ... bei den Eltern des Klägers wohnen sollten. Es gehe im Verfahren um den Zeitraum von Antragstellung bis Sommer 2016, da die Kinder ab Sommer 2016 wieder von Sachsen nach ... zurückkehren sollten.

5. Für den Beklagten ist beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die von der Kindsmutter unterschriebenen Anträge auf Jugendhilfe vom 30. Oktober 2014 und vom 7. Dezember 2015 hätten sich jeweils auf die Hilfeart Heimerziehung bezogen. Der Antrag des Klägers habe sich hingegen auf Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege bei den Großeltern väterlicherseits bezogen. Die Voraussetzungen für selbstbeschaffte Jugendhilfe würden nicht vorliegen, da es an der Geeignetheit der selbstgewählten Hilfe von Anfang an gefehlt habe. Die Notwendigkeit von Jugendhilfemaßnahmen sei beklagtenseits nie verneint worden. Aufgrund der Erfahrungen in den Pflegefamilien sowie der Auffälligkeiten und Hilfebedarfe der Kinder sei nach pädagogischer Einschätzung nur eine Heimunterbringung als geeignete Hilfeform in Frage gekommen.

6. Die für das Klageverfahren beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Klägerbevollmächtigten wurde mit Beschluss vom 17. Mai 2018 abgelehnt, weil eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger allein angesichts des gemeinsamen Sorgerechts nicht möglich sei und die Kindsmutter sich der Klage nicht angeschlossen habe.

7. Am 12. Juni 2018 ging eine vom Kläger übermittelte Erklärung der Kindsmutter ein, sie wolle „dem Verfahren auf klägerischer Seite beitreten“. Das Schreiben enthielt weder eine ladungsfähige Anschrift der Kindsmutter noch eine Bezeichnung des Verfahrens durch Angabe des Aktenzeichens oder der Prozessparteien des Verfahrens.

Auf telefonische Nachfrage des Gerichts bei der Kindsmutter zur Ermittlung der Anschrift erklärte diese, der Kläger habe ihr erklärt, der Beitritt zum Verfahren sei eine bloße Förmlichkeit, sie wolle jedoch gerichtlich nicht in Erscheinung treten und nicht zur Verhandlung geladen werden.

Am 18. Juni 2018 ging bei Gericht auf dem Postwege ein mit „Widerrufserklärung“ überschriebenes Schreiben der Kindsmutter unter Angabe von Adresse und Aktenzeichen des Verfahrens ein, wonach Sie die Beitrittserklärung für die klägerische Seite zugunsten des Klägers widerrufe. Sie sei nicht bereit als Zeugin vor Gericht Stellung zu nehmen bzw. auszusagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2018.

Gründe

Das Gericht konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist mangels Klagebefugnis unzulässig, da sie lediglich durch den Kläger, der allein nicht klagebefugt ist, erhoben wurde.

1. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII steht der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung den Personensorgeberechtigten zu. Bei gemeinsamem Sorgerecht kann deshalb der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung - jedenfalls wenn es wie vorliegend um Hilfen außerhalb der elterlichen Familie geht - nur von beiden Sorgeberechtigten gemeinsam geltend gemacht werden, weil es sich für das Kind um eine Regelung von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die nur beiden Eltern gemeinsam zusteht (Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 27 Rn. 11).

Dies gilt auch für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Wenn Eltern im eigenen Namen in einer Angelegenheit ihres Kindes aus dem Erziehungsrecht Klage führen, wie dies bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung der Fall ist, liegt ein Fall der echten, materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft i. S. d. § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO vor (Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 17). Dies führt dazu, dass die Klage von allen notwendigen Streitgenossen – vorliegend beiden Inhabern der elterlichen Sorge – erhoben werden muss. Gerichtliches Vorgehen nur eines Elternteils ist bei gemeinsamem Sorgerecht mangels Klagebefugnis unzulässig. Denn das Elternrecht aus Art. 6 GG steht ungeachtet seines individualrechtlichen Charakters beiden Elternteilen in unteilbarer Verantwortung zur gemeinsamen Ausübung zu (vgl. auch §§ 1626 I, 1627 BGB). Dies erfordert eine einvernehmliche Ausübung der elterlichen Befugnisse gerade auch im Hinblick auf die Führung des Rechtsschutzverfahrens zur Durchsetzung des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs (OVG Berlin-Brandenburg B.v. 30.8.2011 − 3 S 93/11 – NVwZ-RR 2011, 983 m.w.N.). Sind nicht alle notwendigen Streitgenossen am Verfahren beteiligt, ist die Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abzuweisen (BVerwG U.v. 29.11.1982 – 7 C 34/80 – NJW 1983, 1133; OVG Berlin-Brandenburg B.v. 30.8.2011 − 3 S 93/11 – NVwZ-RR 2011, 983; Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 20; m.w.N.).

Vorliegend üben der Kläger und die Kindsmutter die elterliche Sorge für die Kinder ... und ... gemeinsam aus, so dass eine gerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs durch den Kläger, der die streitgegenständliche Klage ohne Beteiligung der Kindsmutter erhoben hat, allein nicht möglich ist und die dennoch erhobene Klage unzulässig ist.

2. Nichts anderes ergibt sich auch aus der vom Kläger am 12. Juni 2018 übermittelten Erklärung der Kindsmutter.

a) Abgesehen davon, dass schon fraglich ist, ob dieses Schreiben den für eine Klageerhebung notwendigen Mindestinhalt im Sinne des § 82 Abs. 1 VwGO aufweist, weil es weder eine ladungsfähige Anschrift der Kindsmutter enthält, noch hinreichend zweifelsfrei zu entnehmen ist, um welches „Verfahren“ es ihr überhaupt geht, ergibt sich bei verständiger Auslegung, dass es der nicht anwaltlich vertretenen Kindsmutter vorliegend schon am Handlungswillen im Hinblick auf die Erhebung einer Klage und der damit verbundenen Konsequenzen fehlte. Zur Auslegung des Schreibens vom 12. Juni 2018 können auch die telefonisch abgegebene Äußerung der Kindsmutter und ihr Schreiben vom 18. Juni 2018 herangezogen werden. Daraus ergibt sich, dass die Kindsmutter davon ausging, durch eine pure Formalität lediglich ihrem früheren Ehemann einen Gefallen zu tun, dass sie aber in keinerlei Weise die Stellung einer Prozesspartei anstrebte.

b) Selbst wenn man dies anders sehen wollte und die Erklärung der Kindsmutter vom 12. Juni 2018 als Erklärung des Beitritts zum Verfahren auf klägerischer Seite wertete, wäre dieser jedoch verspätet, weil die für die Versagungsgegenklage geltende Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO durch die nach fast 3 Jahren abgegebene Erklärung nicht gewahrt wäre.

Die Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO ist von jedem notwendigen Streitgenossen zu wahren. Nichts anderes ergibt sich aus dem nach § 64 VwGO entsprechend anzuwendenden § 62 Abs. 2 Hs. 2 ZPO, wonach einzelne Streitgenossen, die einen Termin oder eine Frist versäumt haben, als durch die nicht säumigen vertreten angesehen werden (so Kopp/Schenke VwGO, 16. Aufl. 2009, § 64 Rn. 11). Diese Ansicht verkennt aber, dass die Vertretungsfiktion nur greifen kann, wenn der Handelnde und die Säumigen bereits Streitgenossen sind, ein Prozessrechtsverhältnis zueinander und zum Gericht also schon besteht. Sie kann daher noch nicht für die Klageerhebung gelten, durch die das Prozessrechtsverhältnis erst begründet werden soll. Deshalb kann die Klagefrist des § 74 VwGO nicht als Frist in diesem Sinn angesehen werden (Kintz in BeckOK VwGO, Stand: 01.04.2018, § 64 Rn. 14; Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 23 jeweils m.w.N.).

Damit bleibt es dabei, dass die lediglich vom Kläger wirksam und fristwahrend erhobene Klage mangels Klagebefugnis unzulässig ist.

c) An der Unzulässigkeit der Klage würde sich im Übrigen selbst dann nichts ändern, wenn man davon ausginge, dass durch das Schreiben vom 12. Juni ein wirksamer Beitritt erfolgt wäre und die rechtzeitige Klageerhebung auch zugunsten der säumigen Kindsmutter wirkte. In diesem Fall wäre jedenfalls ihr Schreiben vom 18. Juni, mit dem sie klar zum Ausdruck bringt, nicht Klägerin sein zu wollen, als Klagerücknahme zu werten, was dazu führte, dass die dann lediglich noch anhängige Klage des Klägers unzulässig würde (Clausing in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 92 Rn. 16).

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO. Das Verfahren ist nach § 188 Abs. 2 VwGO gerichtskostenfrei.

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