Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 22 K 5865/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Frage der Rechtmäßigkeit einer ausländerrechtlichen Ausreiseverbotsverfügung sowie der mit ihr verbundenen Anordnung zur Aushändigung des Passes.
3Der am 00. Mai 1970 in Osmanli in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat Kinder.
4Der Kläger reiste am 31. Mai 1981 zusammen mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 3. Juli 1987 wurde ihm erstmalig eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Diese wurde in der Folge verlängert. Derzeit ist der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
5Unter dem 10. März 1994 teilte die Kreispolizeibehörde O. der Beklagten mit, dass der Kläger Kassierer des Ausländervereins „I. D. O. “ mit Sitz in O. sei. Im Zeitraum Dezember 2001 bis Ende 2003 bezog der Kläger die Verbandszeitschrift „Beklenen Asr-I Saadat“ des verbotenen Metin-Kaplan-Verbands. Aus diesem Grund war in den Jahren 2003 und 2004 bei der Staatsanwaltschaft Köln ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz durch Unterstützung des genannten verbotenen Vereins anhängig (120 Js 1007 50 / 03).
6Der Kläger ist alleiniger Vorstand des Vereins „I e.V. “. Dieser Verein wird auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 unter der Überschrift „Salafistische Netzwerke in Nordrhein-Westfalen“ genannt. Es heißt dort über den Verein:
7„Der 2013 gegründete Verein 'I' (I) mit Sitz in O. bezeichnet sich als Hilfsverein zur Unterstützung notleidender Muslime. Im Vordergrund seiner Aktivitäten steht die Hilfe für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen in Syrien. Im Berichtsjahr machte I durch zahlreiche Benefizveranstaltungen auf sich aufmerksam, bei denen für notleidende Muslime in Syrien, aber auch in anderen Gebieten gesammelt wurde. Bei Benefizveranstaltungen des Vereins traten regelmäßig Prediger auf, die fest in der salafistischen Szene verwurzelt sind. Dazu gehörten auch Prediger, die dem gewaltaffinen Spektrum des Salafismus zuzuordnen sind. I führte mehrere Hilfskonvois mit medizinischen Gütern und Kleidung nach Syrien durch. In diesem Zusammenhang traten ebenfalls Personen des salafistischen Spektrums in Erscheinung, die die Konvois begleiteten oder organisatorisch in die Abwicklung der Transporte eingebunden waren. Der Vorsitzende und der Vorstand des Vereins 'I' sind dem Verfassungsschutz seit geraumer Zeit als Anhänger einer extremistischen, islamistischen Ideologie bekannt.“
8An anderer Stelle heißt es in dem Bericht:
9„Aktivitäten des politisch-salafistischen Spektrums
10Im Bereich des politischen Salafismus wurde der syrische Bürgerkrieg im Berichtsjahr, wie bereits dargestellt, zum Anlass genommen, Gelder und Sachspenden für die notleidende Bevölkerung zu sammeln. Es gründeten sich zahlreiche, teils miteinander kooperierende Vereine und Initiativen, in denen Einzelpersonen und Personennetzwerke der salafistischen Szene Hilfsprojekte für Syrien ins Leben riefen. Vereine wie 'I' oder 'Ansaar Düsseldorf' organisierten neben umfangreichen Spendensammlungen Hilfstransporte und begleiteten entsprechende Konvois in das syrische Kriegsgebiet.“
11Mit Datum vom 9. Juli 2013 übersandte das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ein Behördenzeugnis mit dem Betreff
12„Bevorstehende Ausreise von C. B. und Hinweis auf mutmaßliche Übergabe von Sprengstoff“.
13Es hat folgenden Wortlaut:
14„Der türkische Staatsangehörige C. B., geb. 00.Mai 1970 in Osmanli/TR, whft. I1. Straße 96,00000 O. , plant im Rahmen eines Syrien-Konvois des Vereins „I e.V.“ am 14. Juli 2013 aus Deutschland auszureisen.
15Am 8. Juli 2013 konnte die Information erlangt werden, dass der Nutzer der Rufnummer 00490000000000 B. über den Aufenthalt einer hier unbekannten Person namens „Z. aus Bingöl“ in der Türkei informierte. „Z. “ wolle nach Hatay und „dann rein“. B. weist seinen Gesprächspartner an, dass „Z. “ im IHH-Büro in Reyhanli/Zentrum auf ihn (B.) warten solle. Auf die Frage „Und was ist, wenn der sagt: Ich will aber nicht warten auf Stoff! Ich bin sofort bereit!“, reagiert B. aufgrund der Unbekümmertheit und mangelnden Konspirativität seines Gesprächspartners ungehalten.
16Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass B. den am 14. Juli 2013 in Deutschland aufbrechenden Syrien – Konvois nutzen wird, um „Z. “ in der Türkei zu treffen, um möglicherweise Sprengstoff zu übergeben. Über die mögliche Herkunft des Sprengstoffs liegen hier keine Erkenntnisse vor.“
17Aufgrund dieses Behördenzeugnisses erließ die Beklagte unter dem 11. Juli 2013 die hier streitgegenständliche Verbotsverfügung. In ihr untersagte sie dem Kläger die Ausreise aus dem Bundesgebiet bis zum 31. Oktober 2013, forderte ihn auf, ihr alle in seinem Besitz befindlichen Pässe und Passersätze sowie seinen türkischen Reisepass mit der Nummer 00000000 unmittelbar nach Bekanntgabe dieser Ordnungsverfügung auszuhändigen sowie sämtliche Pässe und Passersätze, die ihm zukünftig, jedenfalls bis zum 31. August 2013 ausgestellt werden, unmittelbar nach deren Erhalt unaufgefordert auszuhändigen, gleiches mit Pässen oder Passersätzen zu tun, die bis zum 31. Oktober 2013 in seinen Besitz gelangten und von ihm zum Zweck der Ausreise aus dem Bundesgebiet genutzt werden könnten, und ordnete die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VwGO an.
18Zur Begründung führte die Beklagte aus, ihr liege ein Behördenzeugnis vor, nach der der Kläger beabsichtige, in naher Zukunft auszureisen, um einer Kontaktperson im Ausland Sprengstoff zu übergeben. Diese Information werde vom Bundesamt für Verfassungsschutz als glaubhaft bewertet. Gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 AufenthG könne einem Ausländer die Ausreise in entsprechender Anwendung des §§ 10 Abs. 1 und 2 des Passgesetzes untersagt werden. Damit könne die Ausreise in das Ausland unter anderem dann untersagt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 PassG vorlägen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG sei der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründeten, dass der Passbewerber die innere und äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Dies sei vorliegend der Fall.
19Diese Entscheidung habe der Beklagte nach dem ihm eingeräumten Ermessen getroffen und alle wesentlichen Umstände seines Falles und für und gegen die Maßnahme sprechenden Gründe berücksichtigt. Die Befristung der Ausreisesperre bis zum 31. Oktober 2013 sei geeignet und angemessen, um das verfolgte Ziel zu erreichen und den Kläger von weiteren mutmaßlichen Aktivitäten abzuhalten. Die Verpflichtung zur Herausgabe der türkischen Reisepässe und Passersätze ergebe sich aus § 48 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Maßnahme sei auch zwingend erforderlich.
20Der Kläger hat am 15. Juli 2013 Klage erhoben.
21Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (22 L 1283/13), den die Kammer mit Beschluss vom 26. Juli 2013 ablehnte. Die hiergegen erhobene Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (18 B 866/13) wurde mit Beschluss vom 11. September 2013 zurückgewiesen.
22Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständliche Verfügung sei rechtswidrig. Mit dem geplanten Hilfstransport sollten lediglich Rettungs- und Nutzfahrzeuge, Medikamente und medizinische Geräte sowie Kleidung und Lebensmittel in die Krisenregionen transportiert werden. Diese Lebensmittel würden in der Türkei gekauft. Die Fahrzeuge würden an die türkische Hilfsorganisation I übergeben, die ihrerseits ihren syrischen Partnern auf türkischem und syrischem Gebiet damit weiterhelfen würden. Von einer geplanten Übergabe von Sprengstoff könne nicht die Rede sein. Insoweit sei das Behördenzeugnis falsch.
23Soweit sich der Bescheid erledigt habe, habe der Kläger auch weiterhin ein berechtigtes Interesse daran, festzustellen, dass der Bescheid rechtswidrig war. Dieses Interesse liege darin, dass der Beklagte jede Gelegenheit nutzen werde, um dem Kläger erneut mit falschen Behauptungen Schwierigkeiten zu bereiten. Dies zeige die Art der Prozessführung, die nur mit Unterstellungen arbeite und ergebe sich andererseits daraus, dass die Beklagte es bis heute nicht für nötig gehalten habe, den Text des Telefongesprächs in Original und Übersetzung vorzulegen. Der Ablauf des Eilverfahrens habe die Beklagte ermutigt, weiter so vorzugehen. Konkret ergebe sich das Feststellungsinteresse daraus, dass der Kläger sich auch weiter an Hilfslieferungen beteiligen und zu diesem Zweck telefonieren werde und dass er und die Gesprächspartner dabei die zu transportierenden Gegenstände mit allgemeinen Begriffen bezeichnen würden wie beispielsweise „Sachen“, „Stoff“, „Dinger“ oder „Zeug“, und dass der Kläger dabei auch weiter - je nach Gesprächssituation - Irritation oder Verärgerung äußern werde. Ferner habe die Beklagte bislang nicht zugesichert, zukünftig falsche Behauptungen zu unterlassen. Ferner werde das Sammeln von Spenden beeinträchtigt. Schließlich dürfe ein Grundrechtseingriff nicht nur wegen einer Vermutung des Verfassungsschutzes erfolgen.
24Der Kläger hat ursprünglich beantragt,
25den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2013 aufzuheben.
26Er beantragt nunmehr,
27festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2013 rechtswidrig war.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Die Beklagte wiederholt und vertieft die Begründung der streitgegenständlichen Verbotsverfügung. Sie ist ferner der Auffassung, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse für den Kläger nicht gegeben sei.
31Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
32Entscheidungsgründe:
33Die Klage ist unzulässig.
34Für die Klage gegen die Verfügung der Beklagten vom 11. Juli 2013 ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den es für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen ankommt, nicht mehr die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, sondern allein die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil der Kläger kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend machen kann.
35I.
36Das durch die Beklagte ausgesprochene Verbot der Ausreise bis zum 31. Oktober 2013 hat sich nach Erhebung der Klage erledigt. Ein Verbot wird durch Zeitablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder durchgesetzt werden kann. Die Untersagung für den abgelaufenen Zeitraum entfaltet hier gegenwärtig auch keine sonstigen nachteiligen Rechtswirkungen mehr, die eine Erledigung ausschließen könnten,
37vgl. zu diesem Kriterium die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2011 - BVerwG 8 C 11.10 - juris Rn. 15 und vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 14.12 - Rn. 18; Beschluss vom 5. Januar 2012 - BVerwG 8 B 62.11 - NVwZ 2012, 510
Damit konnte der Kläger sein Klagebegehren gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umstellen.
39II.
40Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist unzulässig, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage. Das Gesetz trägt damit dem Umstand Rechnung, dass der Kläger mit Erledigung des angegriffenen Verwaltungsaktes der Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für eine ursprünglich verfolgte Anfechtungsklage verliert. Aufgrund der in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Effektivität des Rechtsschutzes aber bei besonders belastenden Eingriffen oder aus prozessökonomischen Gründen Rechtsschutz trotz der Erledigung zu gewähren ist.
41Dieses Rechtsschutzinteresse kann dabei grundsätzlich rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. In der Rechtsprechung haben sich vier Fallgruppen herausgebildet, die die regelmäßigen Fälle des Fortsetzungsfeststellungsinteresses erfassen. Dies sind namentlich die konkrete Wiederholungsgefahr (1.), die Beseitigung einer fortbestehenden Diskriminierung (sog. Rehabilitationsinteresse) (2.), die Beeinträchtigung einer wesentlichen Grundrechtsposition (3.) sowie die Klärung der Rechtswidrigkeit bei einem beabsichtigten Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess (4.) Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern,
42stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3.
43Das ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht der Fall.
441.
45Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse lässt sich zunächst nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu müssten die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die für die Beurteilung einer vergleichbaren Untersagungsverfügung maßgeblich wären, im Wesentlichen unverändert geblieben sein,
46Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N..
47Daran fehlt es hier. Die in Rede stehenden maßgeblichen Umstände haben sich geändert. Weder wurde die streitbefangene Verbotsverfügung über den ursprünglichen Befristungszeitpunkt hinaus verlängert, noch wurde eine neue Verbotsverfügung gegen den Kläger erlassen. Der Kläger durfte nach eigenen Angaben vielmehr seit dem Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung der streitgegenständlichen Verbotsverfügung bereits mehrfach ins Ausland reisen. Mindestens zwei seiner Reisen haben ihn auch in die Türkei und nach Syrien geführt; er durfte bei diesen Reisen auch Hilfstransporte des Vereins „I e.V.“ begleiten. Hieraus folgt, dass sich gegenüber dem Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verbotsverfügung die maßgeblichen Umstände nach Auffassung der Beklagten derart geändert haben, dass ein Grund für ein Ausreiseverbot derzeit nicht besteht. Sollte zukünftig auf Grundlage eines neuen Behördenzeugnisses der Verfassungsschutzbehörden eine gleich lautende Ordnungsverfügung erneut erlassen werden, so läge auch hierin eine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Vergleich zu der hier streitgegenständlichen Verbotsverfügung. Denn die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Gefahreneinschätzung setzt eine Gesamtbetrachtung und –würdigung aller für und gegen eine Gefahr sprechenden Umstände voraus, die gerade im Hinblick auf die politische Lage in Syrien sowie die Aktivitäten des vom Kläger geführten Vereins „I e.V.“ einem ständigen Wandel unterliegen.
48Soweit der Kläger vorträgt, es sei zu befürchten, dass er auch in Zukunft erneut mit einem Ausreiseverbot belegt würde, behandelt sein Vortrag eine nicht völlig auszuschließende abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung einzelner Umstände, begründet jedoch keine. konkret bestehende Wiederholungsgefahr im oben dargestellten Sinn.
492.
50Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitationsinteresses des Klägers zu bejahen. Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern,
51Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f..
52Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zunächst hat der Kläger schon nicht vorgetragen, er selbst fühle sich durch die hier streitgegenständliche Maßnahme überhaupt in irgendeiner Form stigmatisiert oder in der öffentlichen Wahrnehmung herabgesetzt.
53Ferner ist ersichtlich, dass allein durch die Verbotsverfügung und die hieraus folgende Unmöglichkeit einer Ausreise für einen begrenzten Zeitraum von etwa 3 ½ Monaten keine Gefahr einer Herabsetzung des Klägers in der Öffentlichkeit besteht. Denn Adressat der Verbotsverfügung war allein der Kläger. Es fehlt an einer auf die Ausländerbehörde der Beklagten zurückgehenden Bekanntgabe oder Verbreitung des in diesem Bescheid enthaltenen Verdachts, die zu einer Ausgrenzung des Klägers in der Öffentlichkeit führen könnte. Selbst wenn im näheren Umfeld des Klägers aufgefallen sein sollte, dass er in dieser Zeit die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen hat, so dürfte es fernliegend sein, dass allein diese Tatsache dazu geführt haben könnte, dass ein Rückschluss auf den streitgegenständlichen Bescheid oder gar seine Begründung gezogen wurde oder auch nur werden konnte. Darüber hinaus ist für die Öffentlichkeit durch die seit Ende des Ausreiseverbots bereits mehrfach erfolgten Reisen des Klägers - auch in die Türkei und nach Syrien und auch in Begleitung von Hilfstransporten – erkennbar, dass derzeit an der damaligen Maßnahme durch die Behörden nicht festgehalten und ein Grund für ein Ausreiseverbot derzeit nicht gesehen wird.
54Soweit der Kläger eine Behinderung der Tätigkeit des Vereins „I e.V.“ beklagt, ist schon fraglich, ob er sich überhaupt auf eine solche Beeinträchtigung stützen könnte. Jedenfalls aber ist für eine tatsächliche Beeinträchtigung außer der erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Behauptung des Klägers nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Dass der Kläger bzw. der Verein in der Öffentlichkeit ggf. mit dem Verdacht des religiös motivierten Extremismus konfrontiert sein mag, ist bei einer lebensnahen Betrachtung vielmehr der Erwähnung des Vereins, dessen alleiniger Vorstand er ist, im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW geschuldet.
55Nachteilige Auswirkungen der konkreten Verbotsverfügung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa bei einer erneut beabsichtigten Ausreise -, die ebenfalls ein Rehabilitierungsinteresse begründen könnten, sind ebenfalls nicht zu besorgen, nachdem der Kläger trotz der streitgegenständlichen Verbotsverfügung nach deren Erledigung bereits mehrfach ausreisen und auch Hilfstransporte begleiten durfte.
563.
57Ein berechtigtes Feststellungsinteresse liegt auch nicht wegen eines Eingriffs in die - hier allein als betroffenes Grundrecht infrage kommende - allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers nach Art. 2 Abs. 1 GG vor.
58Grundsätzlich verlangt Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die Fallgruppen des rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses hinaus bei solchen Eingriffsakten, bei denen effektiver Rechtsschutz ansonsten in unerträglicher Weise nicht zu erlangen wäre. Effektiver Rechtsschutz verlangt grundsätzlich, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen regelmäßig in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Erledigt sich der Verwaltungsakt vor einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung, wird Rechtsschutz aber regelmäßig nur dann gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG also nur zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre.
59Die Garantie effektiven Rechtsschutzes gilt dabei auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Sie gebietet aber andererseits selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, um die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
60Von einem solchen Erfordernis ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich zum einen typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten und hierdurch eine maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücke entsteht. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt,
61BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N.
62Zum anderen ist eine spezifische Grundrechtsverletzung durch die Maßnahme erforderlich. Zwar dürfen die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs nicht überspannt werden mit der Folge, dass Rechte - und insbesondere Grundrechte - in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben. Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne können daher neben Grundrechtseingriffen, die das Grundgesetz ihres besonders hohen Gewichts wegen unter Richtervorbehalt gestellt hat, auch Eingriffe in andere Grundrechte sein. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG allein ist allerdings nicht gewichtig genug, um ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen. Denn wegen der durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre des Bürgers bliebe anderenfalls bei erledigtem Verwaltungshandeln für die besonderen Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis letztlich kein Raum mehr,
63vgl. Schmidt-Aßmann in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rd.Nr. 245.
64Die Annahme eines besonderen Feststellungsinteresses bei Klagen gegen erledigte Verwaltungsakte auch bei einem Grundrechtseingriff allein in Art. 2 Abs. 1 GG würde den Anwendungsbereich der Fortsetzungsfeststellungsklage ins Uferlose erweitern, da in nahezu jedem staatlichen Handeln eine grundrechtlich relevante Maßnahme gesehen werden kann,
65VG München, Beschluss vom 05.12.2003 - M 7 K 02.6104 -
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger hier kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes. Denn es handelt sich bei den streitgefangenen Maßnahmen der Beklagten um einen Grundrechtseingriff, der über einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht hinausgeht. Auch ist die Intensität des Eingriffs selbst in Anbetracht der Befristung der Maßnahmen als eher gering einzustufen.
67Dass sich die Maßnahmen durch die von der Beklagten ausgesprochene Befristung noch vor einer Entscheidung im Klageverfahren erledigt haben und dem Kläger hier nur die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes blieb, führt – auch in Anbetracht der geringen Intensität des Eingriffs in das ohnehin nicht besonders gewichtige Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG – nicht dazu, dass eine Rechtsschutzlücke entstehen würde, die die Klärung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausnahmsweise trotz der Erledigung und im Übrigen fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses erfordern würde.
68Auch der bisherige prozessuale Aufwand, den der Kläger betrieben hat, würde mit der endgültigen Erledigung des Verfahrens, wenn kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, nicht entwertet. Das ursprüngliche Klageziel, die Beseitigung der Verbotsverfügung, wird infolge der zur Erledigung führenden Befristung durch das Unwirksamwerden der Verbotsverfügung mit Fristablauf erreicht. Das prozessuale Vorbringen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt der Erledigung hätte sich bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zugunsten des Klägers auswirken können. Eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall oder gar ein vollständiger Instanzenzug wird durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet.
694.
70Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für einen etwaigen Staatshaftungsprozess. Dass der Kläger einen solchen Prozess überhaupt anstrebt, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
71Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
72Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
73Beschluss:
74Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
75Gründe:
76Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1, 2 GKG und unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013) erfolgt.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG 1x (nicht zugeordnet)
- § 7 Abs. 1 PassG 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 22 L 1283/13 1x
- § 46 Abs. 2 S. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 42 1x
- VwGO § 80 1x
- 2 BvR 527/99 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 18 B 866/13 1x
- 1 BvR 461/03 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 113 6x
- § 48 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 161 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x