Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 29 M 88/19
Tenor
Auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers wird der Vollstreckungsschuldnerin ein Zwangsgeld i.H.v. 1000,-- Euro für den Fall angedroht, dass sie der ihr durch Beschluss des Gerichts vom 29. April 2019 (29 L 383/19. A) auferlegten Verpflichtung, dem Vollstreckungsgläubiger unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Vollstreckungsschuldnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, nicht innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung dieser Entscheidung nachkommt.
Die Vollstreckungsschuldnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Gründe:
2Der am 2. Juni 2019 gestellte Antrag,
3der Antragsgegnerin unter Setzung einer angemessenen, vom Gericht zu bestimmenden Frist aufzugeben, gemäß dem Beschluss des angerufenen Verwaltungsgerichts vom 29. April 2019 (29 L 383/19. A), dem Antragsteller unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Antragsgegnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen,
4und der Antragsgegnerin zugleich für den Fall, dass sie ihrer Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt, ein Zwangsgeld i.H.v. 1000 € anzudrohen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen für eine Vollstreckung gemäß § 172 VwGO liegen vor.
7Gemäß § 172 S. 1 VwGO kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde ein Zwangsgeld bis 10.000,-- Euro durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken, wenn die Behörde in den Fällen des §§ 113 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt.
8Die Vollstreckung gegen eine Behörde wegen einer Verpflichtung, die aus einer auf Folgenbeseitigung gerichteten einstweiligen Anordnung resultiert, richtet sich in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die einstweilige Anordnung auf Folgenbeseitigung gerichtet und damit dem explizit genannten Fall des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO vergleichbar ist, nach § 172 S. 1 VwGO.
9Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 24. Juli 2018 – 8 L 1359/18 -, Rz. 16 ff. m.w.N. zum Streitstand hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Norm; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 11. März 2019 – 3 N 301/19 -, Rz. 6, beide juris.
10Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben.
11Die einstweilige Anordnung mit Beschluss des Gerichts vom 29. April 2019 (29 L 383/19.A) ist ein Vollstreckungstitel gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, der der Antragsgegnerin als Vollstreckungsschuldnerin am 2. Mai 2019 zugestellt wurde (§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 750 Abs. 1, 795 ZPO).
12Die einmonatige Vollziehungsfrist gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO war im Zeitpunkt der Antragstellung auf Androhung eines Zwangsgeldes am 2. Juni 2019 noch nicht abgelaufen.
13Einer Vollstreckungsklausel bzw. Vollstreckbarkeitserklärung bedarf es bei einer einstweiligen Anordnung nicht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO, § 929 Abs. 1 ZPO). Diese ist kraft Gesetzes sofort vollstreckbar.
14Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 24. Juli 2018 – 8 L 1359/18 -, a.a.O., Rz. 29 m.w.N..
15Im Übrigen ist der Beschluss des Gerichts vom 29. April 2019 unanfechtbar (§ 80 AsylG).
16Ferner liegt der nach § 172 S. 1 VwGO erforderliche Antrag des Vollstreckungsgläubigers auf Androhung eines Zwangsgeldes vor.
17Die Androhung eines Zwangsgeldes ist auch geboten. Das Zwangsgeldverfahren knüpft zum einen an den Umstand an, dass die Behörde der ihr auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt (§ 172 S. 1 VwGO). Darüber hinaus setzt die Androhung eines Zwangsgeldes eine „grundlose Säumnis in der Erfüllung der vom Gericht auferlegten Pflichten“ voraus.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2010 – 13 E 201/10 -, Rz. 6 m.w.N., juris.
19So liegt es hier, weil die Vollstreckungsschuldnerin die Verpflichtung aus dem Beschluss vom 29. April 2019, dem Vollstreckungsgläubiger unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Vollstreckungsschuldnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, bislang nicht erfüllt hat. Zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt befindet sich der Vollstreckungsgläubiger immer noch in Italien.
20Für die Nichterfüllung der Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin über drei Monate nach Zustellung der einstweiligen Anordnung gibt es keine Rechtfertigung.
21Die der Vollstreckungsschuldnerin auferlegte Verpflichtung ist dahingehend auszulegen, dass sie alle in ihrer Sphäre liegenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen muss, den Vollstreckungsgläubiger zurückzuholen. Aus der Maßgabe „unverzüglich“ folgt zudem, dass ihr nur ein schuldhaftes Zögern vorgeworfen werden kann (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB).
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018 – 17 B 729/18 –, Rz.4, juris.
23Danach hat die Vollstreckungsschuldnerin nicht alles derzeit in ihrer Macht Stehende unternommen, um die Rückholung des Vollstreckungsgläubigers zu erwirken. Die Vollstreckungsschuldnerin ist überhaupt erst über drei Wochen nach Zustellung des Beschlusses tätig geworden. Die italienische Dublin-Einheit wurde am 24. Mai 2019 erstmalig per E-Mail kontaktiert, nachdem – ebenfalls unter dem 24. Mai 2019 – die interne Kostenübernahmezusage eingeholt worden war. Das war nicht unverzüglich. Selbst bei Einrechnung einer gewissen Überlegungsfrist wäre ein Tätigwerden spätestens Anfang der zweiten Maiwoche möglich und zumutbar gewesen. Es gab keinen vertretbaren Grund, die Anfrage an die italienische Dublin-Einheit bis zum 24. Mai 2019 zurückzustellen. Wie der Kammer bekannt ist, werden Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche in Dublin-Verfahren regelmäßig noch am Tag der Anhörung gestellt. Bis die italienischen Behörden an die Beantwortung der Anfrage erinnert und die Liaisonbeamtin in Italien beauftragt wurden, verstrichen sodann weitere fruchtlose dreieinhalb Wochen (E-Mails vom 17. Juni 2019). Auch diese weitere Verzögerung war nicht gerechtfertigt. Es ist im Hinblick auf die seit dem 2. Mai 2019 vollziehbare Rückholverpflichtung nicht nachzuvollziehen, warum die Erinnerungs-Mail nicht schon eine Woche später an die italienische Dublin-Einheit geschickt und auch die Liaisonbeamtin nicht früher eingeschaltet wurde.
24Die anschließenden Bemühungen der Liaisonbeamtin sind bis heute erfolglos geblieben. Soweit die Vollstreckungsschuldnerin einwendet, dies liege außerhalb ihres Verantwortungsbereichs, vermag sie damit nicht durchzudringen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie alle in ihrer Sphäre liegenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um den Vollstreckungsgläubiger aus Italien zurückzuholen. Zu der vom Vollstreckungsgläubiger angeregten Ausstellung eines Reiseausweises bzw. Notreiseausweises oder zur Möglichkeit eines „deklaratorischen Visums“, das zeitlich eng befristet und allein für die Wiedereinreise gültig ist, und durch Herantreten des Bundesamts an das Auswärtige Amt veranlasst werden könnte,
25vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juli 2010 – OVG 3 S 26.10 - Rz. 11, juris,
26hat sich die Vollstreckungsschuldnerin nicht geäußert. Den eingereichten Unterlagen ist auch nicht zu entnehmen, dass überhaupt andere Maßnahmen zur Rückholung des Vollstreckungsschuldners in Betracht gezogen wurden. Das wäre aber naheliegend gewesen, da der Vollstreckungsschuldnerin aus den Dublin-Verfahren bekannt sein muss, dass die italienische Dublin-Einheit auf Anfragen regelmäßig nicht reagiert. Jedenfalls hätte die Vollstreckungsschuldnerin spätestens dann andere Maßnahmen ergreifen müssen, als, wie sie selbst mit Schreiben vom 24. Juli 2019 mitgeteilt hat, die zuständige Questura in Varese und die zuständige Dublin-Einheit in Italien auch auf die mehrfache Kontaktaufnahme durch die Liaisonbeamtin nicht antworteten. Das gilt umso mehr, als in Italien die Sommerpause bevorstand. Die Rückholung scheitert auch nicht am Vollstreckungsschuldner. Er befindet sich nach wie vor an der aktenkundigen Adresse und wirkt an seiner Rücküberstellung aktiv mit.
27Bei der Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, orientiert sich das Gericht an dem entsprechenden Antrag des Vollstreckungsgläubigers. Für die Auswahl der Höhe kommt es allein auf die Prognose an, welcher Betrag erforderlich ist, um den Schuldner zur Rechtstreue zu bewegen. Im Hinblick darauf, dass die Vollstreckungsschuldnerin nicht gänzlich untätig geblieben ist, erscheint die Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 1000,-- Euro mehr als angemessen und zugleich geboten, um die Vollstreckungsschuldnerin zu einer unverzüglichen Erfüllung anzuhalten.
28Schließlich kann der Vollstreckungsschuldnerin in Anbetracht der bereits verstrichenen Zeit billigerweise zugemutet werden, ihrer bestehenden Verpflichtung, dem Vollstreckungsgläubiger die Wiedereinreise zu ermöglichen, nunmehr binnen sieben Tagen nach Zustellung dieser Entscheidung nachzukommen.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
30Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
31Vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 15. März 2019 – 2 E 134/19 –, Rz. 12, juris.
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Referenzen
- VwGO § 172 5x
- 8 L 1359/18 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 168 1x
- 29 L 383/19 3x (nicht zugeordnet)
- 3 N 301/19 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 121 Anfechtungsfrist 1x
- 13 E 201/10 1x (nicht zugeordnet)
- 17 B 729/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 80 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 2x
- ZPO § 795 Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf die weiteren Vollstreckungstitel 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 E 134/19 1x
- ZPO § 750 Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 1x
- ZPO § 929 Vollstreckungsklausel; Vollziehungsfrist 2x