Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 6 M 164/21
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Vollstreckungsgläubigerin abgelehnt.
1
Gründe
2I.
3Die Vollstreckungsgläubigerin, ein stahlverarbeitendes Unternehmen, wendet sich gegen einen beiderseitigen Fahrradstreifen auf der Straße, die an ihrem Werksgelände vorbeiführt, den die Vollstreckungsschuldnerin als Straßenverkehrsbehörde durch zwei doppelte durchgehende weiße Linien neu eingerichtet hat. Die Vollstreckungsgläubigerin will einerseits erreichen, dass die sie anfahrenden LKW bzw. LKW-Gespanne wie bisher am Straßenrand parken können, bis sie ins Werk gerufen und abgefertigt werden. Andererseits befürchtet sie, dass ihr als Störfallbetrieb im Sinne des Immissionsschutzrechts kostspielige Auflagen auferlegt werden, wenn ein Fahrradweg nahe an ihrem Werksgelände vorbei führt.
4Die Entscheidungsformel des Beschlusses des OVG NRW im vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 29. September 2021 – 8 B 188/21 − lautet auszugsweise:
5"Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Vollziehung der in der Hauptsache angefochtenen Allgemeinverfügung aufzuheben und hierzu die bereits angebrachten Markierungen zu entfernen bzw. unwirksam zu machen."
6Die Vollstreckungsschuldnerin hat infolgedessen über die doppelten durchgehenden weißen Linien auf der Straße Kreuze mit einer Kantenlänge von 1 m in gelber Farbe angebracht. Die Vollstreckungsgläubigerin hat das vorgerichtlich bei der Vollstreckungsschuldnerin moniert. Die Vollstreckungsschuldnerin hat daraufhin weitere gelbe Kreuze aufgebracht und so die Abstände zwischen den Kreuzen verkleinert. Aus Sicht der Vollstreckungsgläubigerin genügt das nicht, um dem OVG-Beschluss nachzukommen. Zwischen den derzeit existierenden Kreuzen liegen, je nach straßenbaulicher Situation, zwischen 6 m und 24 m Abstand. Überwiegend betragen die Abstände zwischen 8 m und 12 m. Die genauen Abstände lassen sich der folgenden Tabelle entnehmen:
7Abstand |
6 m |
7 m |
8 m |
9 m |
10 m |
11 m |
12 m |
13 m |
14 m |
15 m |
Anzahl |
1 |
1 |
4 |
11 |
6 |
4 |
7 |
5 |
8 |
5 |
Abstand |
16 m |
17 m |
18 m |
19 m |
20 m |
21 m |
22 m |
23 m |
24 m |
|
Anzahl |
6 |
5 |
3 |
1 |
1 |
3 |
1 |
1 |
1 |
Die genaue Lage der Kreuze ergibt sich aus den Planzeichnungen, auf die als Teil der Vollstreckungsakte verwiesen wird.
9Die Vollstreckungsgläubigerin ist der Ansicht, die Vollstreckungsschuldnerin sei damit dem Beschluss des OVG NRW nicht ausreichend nachgekommen. Die gelben Auskreuzungen seien keine Verkehrszeichen, die die StVO vorsehe. Aber auch Markierungen seien Verkehrszeichen und müssten sich an den numerus clausus der zugelassenen Verkehrszeichen halten. Die Kreuze lägen überdies zu weit auseinander und seien bei Dunkelheit und Regen nicht oder schlecht erkennbar. Deswegen hielten sich die meisten Verkehrsteilnehmer weiterhin an die doppelten durchgehenden Linien.
10Den Lichtbildern, die beide Seiten zur Akte gereicht haben, lässt sich entnehmen, dass sich die überwiegende Zahl der Verkehrsteilnehmer an den ausgekreuzten weißen Linien orientiert, eine ganze Reihe aber auch die Straße in voller Breite ausnutzt, die ausgekreuzten Linien also überfährt. Zu Einzelheiten wird auf die Lichtbilder in der Vollstreckungsakte verwiesen.
11Die Vollstreckungsgläubigerin beantragt,
12der Vollstreckungsschuldnerin unter Setzung einer Frist von max. zehn Werktagen ein Zwangsgeld in Höhe von zehntausend Euro anzudrohen, sofern sie nicht der ihr auferlegten Verpflichtung aus dem Beschluss des OVG Münster vom 29.09.2021 – Az. 8 B 188/21 – nachkommt, die Markierungen zur Ausweisung eines Radwegs auf der Straße „Am U. “ in E. zu beseitigen oder in sonstiger Weise unwirksam zu machen.
13Die Vollstreckungsschuldnerin beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15II.
16Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
17Zuständig ist gemäß §§ 167 Abs. 1, 172 Satz 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszugs, welches gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 VwGO als Vollstreckungsgericht handelt, hier also das angerufene Verwaltungsgericht Düsseldorf. Das Gericht entscheidet in der Besetzung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
18Die Kammer lässt offen, ob der Vollstreckungsantrag bereits unzulässig ist. Am Rechtsschutzbedürfnis bestehen Zweifel, weil die Vollstreckungsgläubigerin sowohl im Ausgangsverfahren vor der beschließenden Kammer (6 L 2634/20) als auch mit ihrer Beschwerde im Erkenntnisverfahren ausdrücklich beantragt hat, "die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen, dies insbesondere durch die Entfernung der hierzu aufgebrachten Markierungen … hilfsweise durch Unwirksammachung dieser Verkehrszeichen durch Auskreuzen mit gelben Markierungen" (Hervorhebung durch das Gericht). Diesem Antrag hat die Vollstreckungsgläubigerin entsprochen.
19Unterstellt man die Zulässigkeit des Vollstreckungsantrags, ist dieser unbegründet.
20Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen allerdings vor (§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 795, 750 Abs. 1 ZPO). Der Beschluss des OVG NRW vom 29. September 2021 hat Rechtskraft erlangt, so dass ein Vollstreckungstitel gem. § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegeben ist, der den Beteiligten im Amtsbetrieb zugestellt worden ist. Dass die Vollstreckungsgläubigerin keine mit einer Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Beschlusses vorgelegt hat, steht der Vollstreckung nicht entgegen, da sie in erweiternder Auslegung des § 171 VwGO keiner Vollstreckungsklausel bedarf. Seinem Wortlaut nach erfasst § 171 VwGO zwar lediglich die Fälle der §§ 169, 170 Abs. 1 bis 3 VwGO. Diese Fallgestaltungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht des ersten Rechtszuges oder dessen Vorsitzender Vollstreckungsbehörde sind. Da es nicht sinnvoll wäre, dem Gericht eine vollstreckbare Ausfertigung vorzulegen, die von ihm zuvor selbst erteilt worden ist, hat die Verwaltungsgerichtsordnung für die Fallgestaltungen auf das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel verzichtet. Auch die Bestimmung des § 172 VwGO sieht das Gericht des ersten Rechtszuges als Vollstreckungsbehörde vor, so dass eine entsprechende Anwendung des § 171 VwGO geboten ist.
21Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juni 2010 – 8 E 555/10, NWVBl 2011, 191, und vom 10. Juli 2006 – 8 E 91/06 −, NWVBl 2006, 467; HmbOVG, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 1 So 63/16, juris Rn. 38 m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur.
22Da die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, hat die Kammer den Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung als innerprozessual bedingt angesehen und nicht mehr gesondert beschieden.
23Der nach § 172 Satz 1 VwGO erforderliche Antrag der Vollstreckungsgläubigerin auf Androhung eines Zwangsgeldes liegt vor.
24§ 172 Satz 1 VwGO bezieht sich unmittelbar nur auf die Fälle des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO (Folgenbeseitigungsausspruch bei bereits vollzogenem Verwaltungsakt im Falle einer stattgebenden Anfechtungsklage), des § 113 Abs. 5 VwGO (stattgebendes Urteil auf eine Verpflichtungsklage) sowie des § 123 VwGO (einstweilige Anordnung). Trotz dieser (scheinbaren) Beschränkung richtet sich nach weit überwiegender Auffassung auch die Vollstreckung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO nach dem entsprechend anzuwendenden § 172 VwGO. Diese Bestimmung enthält neben § 170 VwGO (Vollstreckung wegen Geldforderungen) Sonderregelungen für die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand, die – etwa mit Blick auf die Höhe des maximal möglichen Zwangsgeldes bzw. des Ausschlusses der Zwangshaft – den Besonderheiten der Durchsetzung von Pflichten gegen Behörden und andere öffentliche Stellen Rechnung tragen und daher hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs weit auszulegen sind. Auch kommt es nach Zweck und systematischer Stellung der Vorschrift weniger auf die Art des Vollstreckungstitels als vielmehr auf das Vollstreckungsziel an. Die Aufzählung bestimmter Titel in § 172 Satz 1 VwGO hat mithin lediglich beispielhaften Charakter und bedeutet nicht, dass gegen eine Behörde aus anderen Titeln nicht vollstreckt werden darf.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2013 – 16 E 100/13, juris Rn. 7 f. m.w.N.
26Nach dem auf Anordnungen nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechend anwendbaren § 172 Satz 1 VwGO kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken, wenn die Behörde der ihr im Erkenntnisverfahren auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. Sie kommt der Verpflichtung auch dann – nämlich teilweise – nicht nach, wenn sie diese schlecht oder unvollständig erfüllt. Ob der Vollstreckungsschuldner die titulierte Pflicht nicht oder nur unzureichend erfüllt hat, bestimmt sich nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels und der Reichweite seiner Rechtskraftwirkung.
27Die Vollstreckungsschuldnerin hat ihre aus dem Beschluss des OVG NRW folgende Verpflichtung erfüllt, die Vollziehung der Allgemeinverfügung in Gestalt der bereits aufgebrachten doppelten durchgehenden weißen Linien auf der Straße "Am U. " aufzuheben und hierzu die bereits angebrachten Markierungen unwirksam zu machen. Die Vollstreckungsschuldnerin hat sogar die Aufhebung der "Protected Bike Lanes" durch ihren Verkehrsdezernenten angeordnet (Beiakte Heft 1 Bl. 3) und ist damit sogar über ihre Verpflichtung hinausgegangen, lediglich die Vollziehung auszusetzen. Diese Anordnung hat sie durch gelbe Markierungen öffentlich bekanntgegeben, indem sie die weißen Linien – wie von der Vollstreckungsgläubigerin zweifach beantragt – mit gelben Kreuzen in kurzen Abständen "ausgekreuzt", also durchgestrichen, hat.
28Die beiderseitigen doppelten durchgehenden weißen Linien sind als Markierungen Verkehrszeichen, § 39 Abs. 5 Satz 1 und 2 StVO, und damit sachbezogene Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 Satz 2 VwVfG NRW mit Dauerwirkung.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 46.78, BVerwGE 59, 221, 225 f.; BT-Drs. 7/910 S. 57.
30Unwirksam werden Verkehrszeichen wie andere Verwaltungsakte auch, indem die Straßenverkehrsbehörde sie aufhebt (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW) und die Aufhebung öffentlich bekannt macht. Grundsätzlich erfolgt die Aufhebung eines Verkehrszeichens nach den Vorschriften der StVO, nicht nach §§ 48 ff. VwVfG NRW. Die vorübergehende Aufhebung von weißen Markierungen erfolgt durch vorübergehend gültige gelbe Markierungen, § 39 Abs. 5 Satz 3 StVO.
31Eine Verkehrsregelung durch ein Verkehrszeichen ist nur solange wirksam, wie es bekanntgegeben ist. Die Bekanntgabe eines Verkehrszeichens erfolgt durch die Aufstellung oder Anbringung als besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe der Allgemeinverfügung, vgl. §§ 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO. Dabei gilt der sogenannte "Sichtbarkeitsgrundsatz". Verkehrszeichen sind nach dem Sichtbarkeitsgrundsatz so aufzustellen oder anzubringen, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon "mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann. Unter dieser Voraussetzung äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht.
32StRspr. vgl. BVerwG, Urteile vom 6. April 2016 – 3 C 10.15, BVerwGE 154, 366, vom 13. März 2008 – 3 C 18.07, BVerwGE 130, 383, und vom 11. Dezember 1996 – 11 C 15.95, BVerwGE 102, 316, 318; BGH, Urteil vom 8. April 1970 - III ZR 167/68, NJW 1970, 1126 f., jeweils m.w.N.
33Solange ein Verkehrszeichen nicht mehr sichtbar oder unkenntlich ist, fehlt ihm die Wirksamkeit.
34Vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, StrVerkR, 46. Aufl. (2021), § 39 Rn. 32 m. zahlreichen Nachweisen aus der Rspr. der Verwaltungsgerichte und der ordentlichen Gerichte.
35Denn sein Geltungsanspruch steht unter der auflösenden Bedingung, dass das Verkehrszeichen seine Sichtbarkeit verliert.
36Vgl. Stelkens, NJW 2010, 1184, 1186; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage (2018), § 35 Rn. 335 f.; Ehlers, JZ 2011, 155, 156; Milker, Jura 2017, 271, 276; Kümper, JuS 2017, 731, 736; Erichsen/Hörster Jura 1997, 659, 666.
37Das bestätigt auch Nr. 14 Satz 1 der VwV zu §§ 39 bis 43 StVO: "Sollen Verkehrszeichen nur zu gewissen Zeiten gelten, dürfen sie sonst nicht sichtbar sein."
38Überträgt man diese Grundsätze auf Verkehrsregelungen in Form von (Straßen-)Markierungen, dann wird eine Markierung als sachbezogene Allgemeinverfügung bekannt gegeben, indem sie so auf der Straßenoberfläche aufgebracht wird, dass sie von einem durchschnittlichen Kraftfahrer "mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfasst werden kann. Eine Straßenmarkierung verliert ihre Sichtbarkeit vollständig und dauerhaft, wenn sie von der Straßenoberfläche entfernt wird oder wenn sie durch eine darüberliegende undurchsichtige Schicht, etwa Asphalt, endgültig verdeckt wird. Dann ist der Markierung endgültig die Sichtbarkeit genommen und die Verkehrsregelung ist dauerhaft unwirksam.
39Verkehrszeichen in Form von Verkehrsschildern kann die Sichtbarkeit durch Verhängen/Abdecken mit einer Hülle, durch Wegdrehen oder durch eine zeitweise Demontage auch vorläufig genommen werden. Hat die Straßenverkehrsbehörde das Verkehrszeichen zuvor aufgehoben, verliert das Verkehrszeichen seine Wirksamkeit vollständig und endgültig. Sieht die Straßenverkehrsbehörde davon ab, das Verkehrszeichen vorher aufzuheben, verdeckt es aber, ist ihm lediglich vorübergehend die sofortige Vollziehbarkeit genommen,
40vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 – 11 C 35.92, BVerwGE 92, 32, 34,
41wie es etwa nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO im Eilrechtsschutz angeordnet werden kann.
42Einer weißen Markierung auf der Straßenoberfläche kann die Sichtbarkeit dagegen nicht temporär vollständig genommen werden, etwa durch Abdecken mit einer Folie. Technische Gründe und Gründe der Verkehrssicherheit stehen dem entgegen.
43Einer Markierung kann die Sichtbarkeit jedoch auch anders genommen werden. Der Sichtbarkeitsgrundsatz verlangt nämlich lediglich, dass die örtlich gültige Verkehrsregelung für den durchschnittlichen Kraftfahrer "mit einem raschen und beiläufigen Blick" zu erfassen ist. Wird die (vorübergehende) Ungültigkeit einer Markierung, rechtlich also deren zeitweilige Außervollzugsetzung oder Aufhebung, auf einem anderem Weg erreicht als durch den vollständigen (physischen) Ausschluss der Sichtbarkeit der Markierung, genügt das den straßenverkehrsrechtlichen Erfordernissen.
44Die inhaltliche, d.h. regelnde Bedeutung des Durchkreuzens bzw. Auskreuzens eines Verkehrszeichens im Sinne von § 39 Abs. 2 Satz 2 StVO versteht ein durchschnittlicher Kraftfahrer mit einem raschen und beiläufigen Blick. Denn das Auskreuzen ist in der Realität des Straßenverkehrs – die Vollstreckungsgläubigerin gesteht das zutreffend zu – ein allgemein bekanntes und gebräuchliches Mittel, um die vorübergehende Nichtgeltung des Ausgekreuzten anzuordnen. Das ergibt sich für Markierungen einerseits aus den Richtlinien für die Markierung von Straßen des Bundesverkehrsministeriums (RMS), die in der VwV zu §§ 39 bis 43 StVO unter "IV. 1." angeführt werden. Das ergibt sich weiterhin aus den Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen – RSA Ausgabe 1995, eingeführt durch Erlass vom 30. Januar 1995 – VkBl. 1995, 21 (die Ausgabe 2021 erscheint am 15. Februar 2022 im Verkehrsblatt-Verlag). Dort heißt es unter 2 Verkehrszeichen, 2.6 Vorübergehende Markierungen:
45"(2) Falls ständige Markierungen bei Verkehrsführungen in Arbeitsstellen, insbesondere in Verschwenkungs-, Kreuzungs- und Einmündungsbereichen, Anlass zu Missverständnissen bei den Verkehrsteilnehmern geben, sind diese Markierungen je nach Markierungsbild
461. zu entfernen,
472. abzudecken,
483. in Gelb auszukreuzen oder
494. in Gelb zu ergänzen."
50Aber auch nach alltäglicher Verkehrserfahrung sind einem durchschnittlichen Kraftfahrer das Auskreuzen und seine Bedeutung sowohl von Markierungen als auch von Gebots-, Verbots- und Hinweisschildern bekannt, etwa aufgeschraubte gekreuzte rote Stäbe/Leisten auf Autobahnbeschilderungen oder Ge- und Verbotsschilder mit einfach diagonal oder gekreuzt angebrachtem Abdeckband in den Farben Schwarz-Orange-Schwarz.
51Das Auskreuzen der weißen Linien mit darüber liegenden gelben Kreuzen genügt der Anforderung, mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassbar zu sein, wenn die Kreuze in so kurzen Abständen aufgebracht sind, dass für den durchschnittlichen Kraftfahrer sofort erkennbar ist, dass die darunter liegenden weißen Markierungen nicht mehr gelten sollen. Die Sichtbarkeit der weißen Linien ist zwar nur insoweit aufgehoben, als die gelben Kreuze sie physisch verdecken. Der – allein maßgebliche – Sinn der gelben Kreuze geht aber über die physische Verdeckung hinaus. Das Auskreuzen signalisiert dem Verkehrsteilnehmer unmissverständlich, dass die ausgekreuzte Markierung derzeit/vorübergehend nicht gilt. Rechtlich folgt das auch aus der gelben Farbe der Kreuze. Denn gelbe Markierungen heben die weißen Markierungen nach § 39 Abs. 5 Satz 3 StVO auf. Das gelbe obenliegende Kreuz hebt also im Rechtssinne die Sichtbarkeit der unter ihm liegenden weißen Markierung auf.
52An der hinreichenden Erkennbarkeit kann es beim Auskreuzen fehlen, wenn die Kreuze bei einer räumlich ausgedehnten Markierung, etwa in Gestalt einer durchgehenden Linie, in zu weiten Abständen aufgebracht sind. Bei allen Verkehrsregelungen, die den fließenden und nicht den ruhenden Verkehr betreffen, gelten erhöhte Erkennbarkeitsanforderungen.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 – 3 C 10.15, BVerwGE 154, 366.
54Welche Abstände mindestens einzuhalten sind, entzieht sich wegen der Vielgestaltigkeit der Straßensituationen einer allgemeinen Bewertung. Vorliegend lassen die bei der Vollstreckungsakte befindlichen Lichtbilder sowie die unter I. wiedergegebenen Abstände der gelben Auskreuzungen zueinander jedoch keinen vernünftigen Zweifel daran, dass für einen durchschnittlichen Autofahrer zweifelsfrei und über die gesamte Strecke erkennbar ist, dass die weißen Linien derzeit nicht gelten.
55Dies wird nicht dadurch widerlegt, dass sich zahlreichen Verkehrsteilnehmer gleichwohl an den weißen Linien orientieren. Es liegt nahe, dass dieses Fehlverständnis auf der mangelnden rechtlichen Kenntnis über das Hierarchieverhältnis von gelben zu weißen Markierungen beruht und nicht – wie die Vollstreckungsgläubigerin vorträgt – auf technisch mangelhaften (zu wenig sichtbaren) gelben Kreuzen. Das ändert aber nichts daran, dass die Vollstreckungsschuldnerin ihrer Pflicht, die weiße Markierung unwirksam zu machen, nachgekommen ist.
56Weiße Längsmarkierungen werden üblicherweise durch abweichend verlaufende gelbe Längsmarkierungen aufgehoben, z.B. bei Baustellen auf Autobahnen. Eine solche Verfahrensweise stand der Vollstreckungsschuldnerin nicht zur Verfügung, weil allenfalls eine Fahrbahnbegrenzung i.S.d. Zeichen 295 in Betracht gekommen wäre. Bei einer solchen Längsmarkierung an den Fahrbahnrändern wäre aber erst recht unklar geblieben, ob die die weiße Doppellinie fortgilt oder aufgehoben ist. Zudem hätte sie dem zu vollstreckenden Beschluss nicht entsprochen, weil sie zugleich ein (zumindest) partielles Halteverbot auf der Fahrbahn begründet hätte (Zeichen 295 Erläuterung Nr. 2a). Gegen ein solches hatte sich die im Eilrechtsschutz obsiegende Vollstreckungsgläubigerin jedoch gerade gewandt.
57Die Vollstreckungsschuldnerin musste die weißen Linien auch nicht durch Entfernen (z.B. Abfräsen) endgültig unwirksam machen, weil § 39 Abs. 5 StVO mit der vorübergehend gültigen gelben Markierung eine Spezialregelung bereit hält, die der Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin entspricht, lediglich die Vollziehung der Markierung aufzuheben.
58Das gelbe Auskreuzen beseitigt funktional die Sichtbarkeit der weißen Linien und hebt die Verkehrsregelung durch die weißen Markierungen auf. Das Auskreuzen regelt aber nicht selbst den Verkehr als Verkehrszeichen. Damit kommt es nicht darauf an, ob – wie die Vollstreckungsgläubigerin hauptsächlich argumentiert – das Auskreuzen kein amtlich zugelassenes Verkehrszeichen darstellt (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 StVO).
59Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
60Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der in Nr. 5301 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG festgelegten gesetzlichen Festgebühr nicht. Mangels entsprechenden Antrags war kein Gegenstandswert nach § 33 RVG festzusetzen.
61Rechtsmittelbelehrung:
62Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
63Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
64Die Beschwerde ist durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
65Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,‑‑ Euro nicht übersteigt.
66Die Beschwerdeschrift soll möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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