Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - 2 K 1409/12

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme ihrer Anerkennung als ehemaliger politischer Häftling.
Die im November 1949 in .../Kreis ... geborene Klägerin lebte bis zu ihrer Ausreise im Juli 1989 in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dort war sie mit Urteil des Kreisgerichts Neustrelitz vom 16.12.1985 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt sowie wegen Verstoßes gegen das Zoll- und Kulturgüterschutzgesetz der DDR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Nach einer Zeit der Untersuchungshaft vom 30.06.1985 bis zum 08.01.1986 befand sie sich bis zum 16.06.1986 in der Strafvollzugsanstalt in Prenzlau und anschließend bis zu ihrer durch einen Freikauf ermöglichten Übersiedlung in die Bundesrepublik am 09.07.1986 in der Abschiebehaftanstalt im damaligen Karl-Marx-Stadt.
Am 05.08.1986 stellte die Klägerin bei der Stadt ... einen Antrag auf Anerkennung als ehemaliger politischer Häftling. Der Antrag enthielt unter Ziffer II. 2. die Frage: „Können Sie Personen namhaft machen, die bezeugen können, dass Sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch dass Sie durch Ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben?“. Zudem war dem Antrag ein Vordruck zu einer Erklärung beigefügt, in welchem unter Bezeichnung der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 des Häftlingshilfegesetzes u.a. darauf hingewiesen wird, dass „von dem Anspruch auf Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz ausgeschlossen ist, wer in den Gewahrsamsgebieten dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet hat (oder) in den Gewahrsamsgebieten durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen hat.“ Die erstgenannte Frage blieb - unter Versicherung der Vollständigkeit der gemachten Angaben - unbeantwortet. Die Erklärung wurde unter Versicherung, dass die Klägerin „von den Ausschließungsgründen des § 2 HHG nicht betroffen“ werde, von dieser unterzeichnet.
Mit Bescheid der Stadt ... vom 01.11.1986 wurde der Klägerin für ihre Haftzeit nach § 10 Abs. 4 HHG bescheinigt, dass die Voraussetzungen einer aus politischen Gründen erfolgten Gewahrsamnahme vorliegen und Ausschließungsgründe nach § 2 HHG nicht gegeben sind. Auf der Grundlage dieser Bescheinigung wurde der Klägerin unter dem 25.11.1986 eine Eingliederungshilfe in Höhe von 420,00 DM gewährt, die durch das Landratsamt ... unter dem 12.03.1987 um 700,- DM erhöht wurde. Eine weitere Erhöhung der Eingliederungshilfe auf der Grundlage des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften unterblieb, nachdem der Aufenthalt der Klägerin nicht mehr ermittelt werden konnte.
Mit Schreiben vom 29.09.2010 regte das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales bei der Beklagten die Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG an. Zur Begründung verwies es auf vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) übersandte Unterlagen, aus denen sich Hinweise auf mögliche Ausschließungsgründe nach § 2 HHG ergäben. Diese Unterlagen umfassten 5 Berichte über Treffen der im Rahmen des Operativen Vorgangs „Atelier“ als IMV (inoffizieller Mitarbeiter mit vertraulichen Beziehungen zur bearbeiteten Person) unter dem Decknamen „...“ eingesetzten Klägerin mit Offizieren des Staatssicherheitsdienstes in der Zeit von Oktober 1974 bis Januar 1976, zwei auf diesen Zeitraum bezogene Informationen der Klägerin und verschiedene Karteieinträge zur Zusammenarbeit der Klägerin mit dem MfS. Hinzu kamen verschiedene Berichte und Verfügungen, die im Zusammenhang mit dem Operativen Vorgang „Atelier“ durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit angefertigt worden waren.
Mit Bescheid vom 18.10.2010 erklärte die Beklagte die der Klägerin nach § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung vom 07.11.1986 für ungültig und nahm diese rückwirkend zum Zeitpunkt der Erteilung zurück. Zudem wurde der Klägerin eine Frist von zwei Wochen gesetzt, innerhalb derer sie die Bescheinigung an das Sozial- und Jugendamt der Stadt ... zurückzugeben habe. Zur Begründung wurde ausgeführt: Aus den vorliegenden Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergebe sich, dass die Klägerin ab 1974 über mehrere Jahre hinweg als inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen sei und als solche über ihre Spitzeltätigkeit dem politischen System der DDR erheblichen Vorschub geleistet habe. Sie habe sich als freischaffende Künstlerin den großen Bekanntenkreis auf dolose Weise zunutze gemacht, um oppositionelle Personen und Gruppen zu bespitzeln und den Organen der Staatssicherheit vertrauliche Informationen über deren Identität und ideologische Anschauungen sowie ihre vermeintlich staatsfeindlichen Aktivitäten zu liefern. So habe sie beispielsweise ihr Atelier in Berlin, in welchem eine Abhörtechnik installiert gewesen sei, in böswilliger Absicht einem oppositionellen Personenkreis für gemeinsame Treffen zur Verfügung gestellt. Dabei sei dem Schlussbericht der ehemaligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin vom November 1977 zu entnehmen, dass der Einsatz der Klägerin als inoffizielle Mitarbeiterin des MfS wesentlich dazu beigetragen habe, dass bei mehreren Mitgliedern der oppositionellen Personengruppe „Atelier“ Wohnungsdurchsuchungen vorgenommen und strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden seien. Letztlich sei die als staatsfeindlich eingestufte Gruppe aufgelöst worden. Insgesamt habe die Klägerin über viele Jahre hinweg Informationen über eine Vielzahl von Personen geliefert, die u.a. als Künstler für besonders überwachungsbedürftig gehalten worden seien. Sie habe bewusst und mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen, die in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der früheren SED und das von ihr getragene System gefestigt und ausgedehnt oder den Widerstand gegen dieses unterdrückt hätten. Damit sei der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens gegenüber dem im Gewahrsamsgebiet herrschenden politischen System erfüllt. Ein Vertrauensschutz sei der Klägerin nicht einzuräumen, da sie bei der Beantragung der Bescheinigung ihrer Eigenschaft als ehemaliger politischer Häftling wissentlich falsche Angaben gemacht habe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.11.2010 Widerspruch ein, den sie über ihren Bevollmächtigten dahin begründen ließ, dass man zwar nicht die Informantentätigkeit zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit als solche in Abrede stelle, dass diese Tätigkeit jedoch keinen Umfang gehabt habe, der die Annahme rechtfertige, die Klägerin habe dem politischen System der DDR erheblich Vorschub geleistet. Auch der weitere Ausschlussgrund eines Verstoßes gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit, zu dem sich der Bescheid nicht verhalte, sei nicht erfüllt. Aufgrund des lange zurückliegenden Zeitraums könne sich die Klägerin nicht mehr an alle in den Stasi-Unterlagen aufgeführten Einzelheiten erinnern und müsse diese deshalb in ihrer inhaltlichen Richtigkeit bestreiten. Soweit die Behörde in der Rücknahmeentscheidung einzelne Umstände der Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst konkret benenne, sei es falsch, wenn ihr dort unterstellt werde, sie habe ihr Atelier in böswilliger Absicht in dem Wissen zur Verfügung gestellt, dass dort eine Abhöranlage installiert gewesen sei. Vielmehr habe die Klägerin erst durch ihre Einsicht in die Unterlagen im Rahmen dieses Verfahrens von der Abhörtechnik in ihren Räumen erfahren. Etwas anderes sei weder den Akten zu entnehmen noch aus der allgemeinen Praxis des Staatssicherheitsdienstes abzuleiten. Weiter habe die Beklagte nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich eine Vielzahl der in den MfS-Unterlagen dokumentierten Maßnahmen auf Planungen des Ministeriums für Staatssicherheit bezögen, die der Klägerin deshalb nicht als feststehende Taten vorgeworfen werden könnten. Auch seien die Berichte der Klägerin häufig auf öffentliche Veranstaltungen bezogen gewesen, sodass der Weitergabe der dort geäußerten Meinungen und Beiträge kein hinreichendes Gewicht beigemessen werden könne. Es sei zwar richtig, dass sie ihr Atelier einer Gruppe von Personen zur Verfügung gestellt habe und dass sie dem Ministerium für Staatssicherheit habe Informationen zukommen lassen. Sie selbst habe jedoch nicht zum Kern der Gruppe gehört und auch von den Aktivitäten, die die Staatssicherheit bei dieser Gruppe vermutet habe, nichts gewusst. Es sei unzulässig, aus den Einschätzungen der Staatssicherheit zu der Gruppe, wie sie sich etwa in dem Schlussbericht zu dem Operativen Vorgang „Atelier“ fänden, zu schließen, dass diese alle auf der Informationstätigkeit der Klägerin beruht hätten. Der pauschale Hinweis in dem Schlussbericht, die Klägerin habe „wesentlich dazu beigetragen,“ dass bei Mitgliedern der Gruppe Wohnungsdurchsuchungen vorgenommen und gegen diese strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden seien, reiche für die Prüfung des Verantwortungsteils der Klägerin nicht aus. Jedenfalls sei keine einzige konkrete Aktivität vermerkt, die die Weitergabe von nachhaltigen Informationen durch die Klägerin betreffe. Letztlich habe die Klägerin - wie auch andere Informanten - an die Staatssicherheitsdienste nur übermittelt, dass sich die Gruppe im Atelier treffe; dass diese Gruppe eine „politisch-negative Einstellung“ gehabt habe und sich „konspirativer Organisationsformen“ bedient habe, sei der Klägerin unbekannt gewesen, so dass sie insoweit auch nichts habe berichten können. Tatsächlich belastendes Material habe die Klägerin nicht übermittelt. Auch wenn die Tätigkeit der Klägerin für das Ministerium für Staatssicherheit nicht kleingeredet werden solle, so sei es insgesamt unverhältnismäßig, wenn ihr diese nun als Ausschlussgrund für die Anerkennung ihrer später tatsächlich erlittenen politischen Verfolgung entgegen gehalten werde. Insofern sei auch im Häftlingshilferecht der Grundsatz zu den Ausschlussgründen des § 16 Abs. 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes anzuerkennen, dass die Intensität der Zusammenarbeit des Antragstellers mit den Verfolgern im Hinblick auf die Gefahrenlage des Bespitzelten in einem solchen Maße verwerflich gewesen sein müsse, dass sie die durch die rechtsstaatswidrige Haft erlittenen eigenen Schäden des Antragstellers eindeutig überwiege. Da eine solche Abwägung unterblieben sei, sei der Rücknahmebescheid ermessensfehlerhaft. Gleiches gelte, weil unberücksichtigt geblieben sei, dass die Tätigkeiten bereits über 35 Jahre und damit für einen Zeitraum zurücklägen, nach dessen Ablauf selbst Verurteilungen wegen schwerster Straftaten im Bundeszentralregister zu tilgen seien. Schließlich habe die Klägerin die Bescheinigung zur Anerkennung ihrer Zeiten als politischer Häftling nicht durch falsche Angaben erwirkt. Vielmehr sei sie aufgrund der abstrakten Formulierung der Erklärung bei ihrer Bestätigung, dass bei ihr Ausschlussgründe nicht gegeben seien, davon ausgegangen, dass ihre in der Vergangenheit liegende Tätigkeit für das Ministeriums für Staatssicherheit diesen Tatbestand nicht erfülle. Diese Einschätzung werde auch heute noch von ihr so geteilt. Zu einer - wie auch immer ausgestalteten - Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst sei sie nicht befragt worden.
Im Widerspruchsverfahren legte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik die dort archivierten Unterlagen mit Bezug zur Klägerin vollständig vor. Zudem nahm er mit Schreiben vom 15.12.2011 zu verschiedenen Fragen der Widerspruchsbehörde Stellung, indem er im Wesentlichen ausführte: Archiviert seien Berichte über 28 Treffen der Klägerin mit Mitarbeitern der MfS-Hauptabteilung ... in der Zeit von 1974 bis November 1976. Der Personalteil der IM-Akte der Klägerin sei mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Auflösung des MfS vernichtet worden. Aus diesem Grund seien keine näheren Angaben dazu möglich, welche Motivation der Verpflichtung der Klägerin zugrunde gelegen habe und ob hierbei Druck ausgeübt worden sei. Erkennbar sei allein, dass die Klägerin von ihrem damaligen Lebensgefährten und späteren Ehemann an das MfS herangeführt worden sei. Auch habe das MfS die Klägerin in ihrem Wunsch unterstützt, freischaffende Künstlerin zu werden. Man habe keine Hinweise darauf gefunden, dass die Klägerin von dem Anbringen der Abhörtechnik in ihrem Atelier gewusst habe. Allerdings habe sie beim Treff am 22.3.1976 den Schlüsselbund zum Atelier zurückerhalten, sodass sie dem MfS zuvor bewusst Zugang zum Atelier verschafft haben müsse. Zeitnah hierzu, am 23. und 28.4.1976, sei die bereits im März 1975 begonnene und im März 1976 stillgelegte Abhörmaßnahme mittels Mikrofon wieder aufgenommen worden. Insgesamt habe der Operative Vorgang „Atelier“ ebenso wie ein weiterer Vorgang „Monolith“, in dessen Rahmen die Klägerin tätig gewesen sei, dazu gedient, eine Reihe von teilweise prominenten Oppositionellen und Künstlern, die im „politischen Untergrund“ tätig gewesen seien, zu „bearbeiten“. Entsprechend dem Abschlussbericht seien gegen drei dieser Personen Ermittlungs- und Strafverfahren eingeleitet worden. Es könne nicht gesagt werden, in welchem Maße die von der Klägerin übermittelten Informationen hierbei relevant geworden seien. Klar sei aber, dass der Klägerin eine gute Einsatzbereitschaft attestiert worden und der Führungsoffizier mit ihrer Arbeit zufrieden gewesen sei. So habe die Klägerin etwa eine Abschrift eines Notizbuches eines guten Bekannten für das MfS gefertigt. Auch sei sie - nach der Bezeichnung in den Vorgängen - „halbhauptamtlich“, d.h. ohne Vollarbeitsverhältnis, aber gegen regelmäßige Geldleistungen eingesetzt gewesen. Insgesamt habe sie 2.860 M erhalten. Auch sei sie in den Plan einer konspirativen Wohnungsdurchsuchung einbezogen gewesen, indem sie eine der dort wohnenden Personen habe zeitlich binden sollen.
Die zu diesen weiteren Unterlagen angehörte Klägerin ließ durch ihren Bevollmächtigten ergänzend vortragen, es seien nach wie vor nur wenige konkrete Vorgänge bezeichnet, die den ihr gemachten Vorwurf des erheblichen Vorschubleistens oder des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit tatsächlich belegten. Der Hinweis auf eine zeitweise Beteiligung der Klägerin an einem operativen Vorgang reiche insoweit für sich allein nicht aus. Jedenfalls könne man der Klägerin nicht einfach alle Folgen des gesamten Vorgangs zurechnen. Es werde ausdrücklich bestritten, dass alle in der Akte ersichtlichen Informationen des Staatssicherheitsdienstes zu dem betroffenen Personenkreis auf die Klägerin zurückgehen würden. Zugestanden würden allein die Informationen, die auf den eigenhändigen Schriftstücken der Klägerin beruhten. Auch sofern der Klägerin konkret vorgeworfen werde, die Abschrift eines Notizbuches angefertigt zu haben, reiche dies nicht aus, um einen Verstoß nach § 2 HHG zu begründen. Tatsächlich spreche der Treffbericht von einem „Kalender“, ohne jedoch den Umfang desselben zu bezeichnen. Vor allem aber sei der Inhalt des Übermittelten unbekannt, sodass nicht gesagt werden könne, ob hier persönliche, intime oder gar „staatsgefährdende“ Gedanken des Verfassers weitergetragen worden seien. An den Vorgang insgesamt habe die Klägerin keine Erinnerung, weshalb sie ihn vorsorglich bestreite. Den Vorwurf der Einbindung der Klägerin in eine konspirative Wohnungsdurchsuchung müsse die Klägerin ebenfalls bestreiten. Sie habe an einen derartigen Auftrag zur zeitlichen Bindung einer Bewohnerin keine Erinnerung. Da in der Akte auch nur ein Plan einer solchen Aktion enthalten sei, sei offen, ob dieser überhaupt realisiert worden sei. Der weiter angeführte Umstand, dass die Klägerin der bearbeiteten Personengruppe ihr Atelier als Räumlichkeit für Treffen zur Verfügung gestellt habe, könne ebenfalls nicht als Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit oder gar als erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 2 HHG angesehen werden. Maßgeblich sei nicht, in welchen Räumlichkeiten Gespräche stattgefunden hätten, sondern welche Informationen an die Staatssicherheit übermittelt worden seien. Die Zusammenkunft in dem Atelier sei als solche nicht illegal gewesen; den Besuchern sei auch erkennbar gewesen, dass das Atelier aufgrund der Offenheit für eine größere Personengruppe weniger geschützt und intim sei, als etwa eine Privatwohnung. Von dem Einsatz der Abhörtechnik habe die Klägerin nichts gewusst; der Umstand einer Schlüsselrückgabe sei ihr nicht erinnerlich; insoweit werde die Richtigkeit der Unterlagen des MfS bestritten. Es sei richtig, dass die Klägerin gelegentlich Geldzahlungen des MfS erhalten habe, zu ihrer Gesamthöhe könne sie jedoch nichts mehr sagen. Insgesamt seien diese Zahlungen jedoch kein Verdienst im Sinne eines regelmäßig gezahlten „Agentenlohns“ gewesen, sondern überwiegend ein Aufwendungsersatz.
10 
Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 26.06.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die der Klägerin ausgestellte Bescheinigung zum Nachweis ihrer Eigenschaft als ehemaliger politischer Häftling sei objektiv rechtswidrig. Die Klägerin habe sowohl dem in der DDR herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet als auch während dieser Herrschaft durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen. Dabei sei hinsichtlich des Ausschlussgrundes des erheblichen Vorschubleistens auf die Feststellungen im Ausgangsbescheid der Beklagten sowie ergänzend auf das Schreiben des BStU vom 15.11.2011 zu verweisen, aus dem hervorgehe, dass die Klägerin ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit der Aufnahme einer freischaffenden Tätigkeit begonnen habe, bei der sie von dem Ministerium für Staatssicherheit unterstützt worden sei. Die Klägerin bestätige selbst, dass sie einer Gruppe von Personen, die im Rahmen eines Operativen Vorgangs durch die Staatssicherheit umfassend überwacht, kontrolliert und beeinflusst worden war, ihr Atelier zur Verfügung gestellt und dass sie Informationen über diese Gruppe gesammelt und übermittelt habe. Auch bestätige sie, in diesem Zusammenhang Geldzahlungen erhalten zu haben. Neben dem erheblichen Vorschubleisten sei in ihrem Verhalten auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit zu sehen. Denn sie sei freiwillig und gezielt in die Privatsphäre anderer eingedrungen und habe über diese Personen unter Missbrauch des persönlichen Vertrauens Informationen gesammelt und unter Inkaufnahme einer Drittschädigung an die Staatssicherheit weitergegeben. Unerheblich sei insoweit, ob eine Drittschädigung tatsächlich konkret dargelegt werden könne oder nicht. Denn ein Informant des Staatssicherheitsdienstes habe immer damit rechnen müssen, dass auch für sich belanglose oder unverfängliche Informationen in Verknüpfung mit anderen Erkenntnissen und Informationen des Staatssicherheitsdienstes dazu beitragen, dass beachtliche Gefahrenlagen für die bespitzelten Personen geschaffen werden. Sei die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG aufgrund der vorliegenden Ausschlussgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG rechtswidrig, sei nach Ermessen über die Rücknahme zu entscheiden. Im Rahmen dieser Entscheidung sei ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in den Bestand der Bescheinigung nicht gegeben, da sie die Ausstellung derselben durch falsche oder unvollständige Angaben erwirkt habe. Denn selbst wenn sie für sich davon ausgegangen sein sollte, dass ihre Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR nicht den Tatbestand der Ausschließungsgründe des § 2 Abs. 1 HHG erfülle, so habe sie jedoch erkennen müssen, dass diese Tatsache für die Behörde in diesem Zusammenhang jedenfalls relevant sei. Eine Abwägung zwischen dem eigenen Schicksal der Klägerin als politischer Häftling und der Schwere ihrer Verfehlungen im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der DDR sei im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht zu treffen. Vielmehr sei allein das Interesse der Klägerin an dem Fortbestand der über die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG gewährten Leistungen des Staates an sie gegen das öffentliche Interesse abzuwägen, solche Leistungen nur denjenigen zukommen zu lassen, die nicht auch selbst zumindest indirekt durch ihr Verhalten dazu beigetragen hätten, dass andere zu Opfern politischer Verfolgung geworden seien oder hätten werden können.
11 
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 28.06.2012 zugestellt.
12 
Am 26.07.2012 hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Sie verweist erneut darauf, dass man ihr unreflektiert den gesamten Inhalt der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit vorhalte, ohne konkrete Verhaltensweisen darzulegen, aus denen der Vorwurf des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des Herrschaftssystems der DDR oder des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit abzuleiten wäre. Insofern sei es ihr - über die im bisherigen Verfahren vorgetragenen Einwendungen zu einzelnen Vorwürfen wie dem Bereitstellen des Ateliers unter Kenntnis der dort installierten Abhörtechnik, der Weitergabe einer Abschrift eines Notizbuches, der zeitlichen Bindung einer Person zur Ermöglichung einer konspirativen Wohnungsdurchsuchung oder der Entgegennahme regelmäßiger Zahlungen für ihre Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit hinaus - nicht möglich, sich inhaltlich gegen die Vorwürfe zu wehren. Nach wie vor sei sie der Auffassung, dass die Annahme eines Ausschlussgrundes voraussetze, dass die ihr konkret vorgeworfenen Handlungen ihr eigenes später erlittenes Unrecht als politischer Häftling in ihrer Verwerflichkeit überwiegen müssten. Insofern bedürfe es einer Ermessensentscheidung der Behörde, die hier bereits deshalb rechtswidrig sei, weil die Beklagte - etwa bei der Annahme, sie habe von dem Einbau der Abhörtechnik gewusst - von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Neben dem langen Zeitraum, der seit ihrer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit vergangen sei, müsse auch berücksichtigt werden, dass sie sich selbst dekonspiriert und damit die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit eingestellt habe. Hinsichtlich der fehlenden Offenbarung der Tätigkeit für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei darauf hinzuweisen, dass sie zu einer solchen umso weniger Veranlassung gehabt habe, als der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens zugunsten der Herrschaft in der ehemaligen DDR mit dem Merkmal der „Erheblichkeit“ auf außergewöhnliche Unterstützungstätigkeiten ziele, während sie letztlich eine von geschätzt zuletzt rund 174.000 Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS gewesen sei.
13 
Die Klägerin beantragt,
14 
den Rücknahmebescheid der Stadt ... vom 18.10.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 26.06.2012 aufzuheben.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Klage abzuweisen.
17 
Zur Begründung verweist sie auf die Gründe der angefochtenen Verfügung sowie des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg. Ergänzend führt sie aus, die Behauptung der Klägerin, sie habe den Sinn und die Reichweite ihrer mit der Beantragung der Häftlingshilfebescheinigung abgegebenen Erklärung zum fehlenden Betroffensein von Ausschlussgründen nach § 2 HHG nicht überschaut, sei angesichts des Umfangs ihrer Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiterin des MfS wenig glaubhaft.
18 
Mit Beschluss vom 20.05.2014 hat die Kammer der Klägerin für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr ihren Bevollmächtigten beigeordnet.
19 
Der Kammer liegen die Verwaltungsakten der Beklagten über die Häftlingshilfe der Klägerin sowie über ihre Anerkennung als Vertriebene (je ein Heft) sowie die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Freiburg mit einem zusätzlichen Anlagenheft mit Kopien der Unterlagen des BStU zur Klägerin vor. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend ebenso verwiesen wie auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze in der Klageakte.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Rücknahmebescheid der Stadt ... vom 18.10.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 26.06.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
1. Die mit Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 erklärte Rücknahme der der Klägerin nach § 10 Abs. 4 HHG erteilten Bescheinigung vom 07.11.1986 rückwirkend zum Zeitpunkt der Erteilung findet ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg - LVwVfG - (i.d.F. v. 12.04.2005, GBl. S. 350; zul. geänd. d. G. v. 17.12.2009, GBl. S. 809). Hiernach kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, ein begünstigender Verwaltungsakt aber nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich nach Satz 3 jedoch nicht berufen, wer den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2) oder wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Unter dieser Voraussetzung wird ein Verwaltungsakt, der eine Geldleistung betrifft oder hierfür Voraussetzung ist, in der Regel für die Vergangenheit zurückgenommen, § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG.
22 
a. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die der Klägerin nach § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung vom 07.11.1986 rechtswidrig ausgestellt worden war. Denn die Klägerin hat die zwingenden Ausschlussgründe für die Gewährung von Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 HHG verwirklicht. Durch ihre Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit hat sie in der ehemaligen DDR als einem in § 1 Abs. 1 Nr. 1 genannten Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischem System erheblich Vorschub geleistet (Nr. 1) und zudem dort durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen (Nr. 2).
23 
aa. Den Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens erfüllt derjenige, der freiwillig ein Amt oder einen sonstigen Tätigkeitsbereich übernommen hat, deren wahrzunehmende Funktionen dazu bestimmt und geeignet waren, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der früheren SED und das von ihr getragene System zu festigen, auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, sofern er die ihm übertragenen Aufgaben wahrgenommen, ihm gegebene Weisungen befolgt und damit dem System und seinen Zielen in der Tat nachhaltig gedient hat (BVerwG, Beschl. v. 12.02.1991 - 9 B 244/90 -, DÖV 1991, 508 m.w.N.). Dabei darf der Nutzen, den das Regime aus dem Verhalten gezogen hat, nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein (BVerwG, Urt. v. 22.10.1987 - 3 C 12.87 - Buchholz 427.6 § 3 BFG Nr. 25). In dieser Vorschrift kommt eine Begrenzung der Hilfsbereitschaft zum Ausdruck, die zum Erlass des Häftlingshilfegesetzes und den dort vorgesehenen Hilfen geführt hat. In deren Genuss sollen diejenigen nicht kommen, die zwar Opfer des im Gewahrsamsstaat herrschenden politischen Systems geworden sind, aber zuvor durch nachhaltige Unterstützung eben dieses Systems dazu beigetragen haben, dass andere aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen werden konnten (BVerwG, Urt. v. 09.09.1959 - 8 C 281.59 - BVerwGE 9, 132, 141).
24 
Hieran gemessen hat die Klägerin den Ausschlussgrund des „erheblichen Vorschubleistens“ erfüllt. Zwar war die Klägerin - unstreitig - nicht in tragender Funktion in den Staatsapparat der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik eingebunden. Sie war jedoch freiwillig in einer Weise als Inoffizielle Mitarbeiterin für das Ministerium für Staatssicherheit tätig, die dazu bestimmt und auch geeignet war, den Widerstand gegen das System der SED in der Deutschen Demokratischen Republik in einer nicht unerheblichen Weise zu unterdrücken und die diesem deshalb gerade in seiner erkennbaren Unrechtsprägung von hinreichendem Nutzen war (allg. zur Spitzeltätigkeit für das MfS als Ausschlussgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 05.11.2013 - OVG 3 B 9.12 -, juris Rn. 26; OVG Berlin, Urt. v. 15.01.1992 - 7 B 10.90 -, juris Rn. 18; VG Neustadt, Urt. v. 10.09.2010 - 2 K 156/10.NW. -, juris Rn. 31 ff).
25 
Aus den der Kammer vorliegenden Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergibt sich, dass die Klägerin durch ihren damaligen Lebensgefährten und späteren Ehemann ... B. (IMV ...) im August 1974 als sog. Inoffizielle Mitarbeiterin geworben worden war. Ziel der Anwerbung war zunächst - wie sich aus dem Treffbericht des Führungsoffiziers des Staatssicherheitsdienstes, Verwaltung Groß Berlin, Abt. .../2, vom 21.08.1974 (BStU AS. 4 ff.) ergibt - den als „operativ interessant“ eingeschätzten Bekanntenkreis der Klägerin näher überwachen zu können. Dieser Bekanntenkreis ergab sich aus der Nähe der Klägerin zu der freischaffenden Künstlerin ... und deren Verbindungen zu einer Vielzahl von auch damals schon prominenten Intellektuellen, Künstlern und jungen Erwachsenen, die - wie sich unter anderem aus der Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - BStU - vom 15.12.2011, dem Vorschlag der Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes vom 11.03.1975 zum Anlegen einer Operativ-Vorlaufakte (VAO) „Atelier“ (BStU AS. 65ff.; AS. 354) und dem Schlussbericht dieser Abteilung zum Operativen Vorgang „Atelier“ vom September 1977 (BStU AS 347 ff.) ergibt - insbesondere in der Folge des Machtwechsels an der Spitze des Zentralkomitees der SED von Walter Ulbricht auf Erich Honecker damit begonnen hatten, alternative Lebensformen wie Wohngemeinschaften zu bilden, künstlerische und intellektuelle Freiheiten in Anspruch zu nehmen und vor allem das bestehende Herrschaftssystem der DDR als einen durch die Bürokratie erstarrten und verratenen Sozialismus zu kritisieren, welcher über die Wiederbelebung der wahren Ideale dieser Gesellschaftsform reformiert werden müsse. Dieser Bekanntenkreis hatte im Zeitpunkt der Anwerbung der Klägerin als Inoffizieller Mitarbeiterin unter der Mitwirkung der Brigitte G. begonnen, sich wieder neu zu formieren, nachdem der Staatssicherheitsdienst zuvor in einem anderen Operativen Vorgang für eine Zerschlagung seiner Strukturen gesorgt hatte (vgl. BStU AS. 65). Insgesamt hatte die Verbreitung seiner, in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes als „linksrevisionistisch-trotzkistisch“ bezeichneten Anschauungen unter dem Gesichtspunkt der Straftatbestände der „Staatsfeindlichen Hetze“ nach § 106 und der „Staatsfeindlichen Gruppenbildung“ nach § 107 des damaligen Strafgesetzbuches der DDR potentiell strafrechtliche Relevanz. In jedem Fall aber sollten die Aktivitäten dieser „jungen Erwachsenen mit politisch negativen Merkmalen“, die zudem teilweise noch im Verdacht standen, einen nach § 213 des StGB der DDR strafbaren „Ungesetzlichen Grenzübertritt“ zu planen oder anderen hierbei in einer als „Staatsfeindlichem Menschenhandel“ nach § 105 des StGB der DDR strafbaren Weise Hilfe leisten zu wollen, durch geeignete Maßnahmen unter Kontrolle gehalten und gegebenenfalls unterbunden werden (vgl. BStU AS. 70 f.).
26 
Auch wenn sich - wie sich aus dem Schlussbericht der Abteilung ... der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin zum Operativen Vorgang „Atelier“ vom September 1977 (BStU AS. 347 ff) ergibt - die Tätigkeiten der überwachten Gruppe auch für diese letztlich als insgesamt nicht strafrechtlich relevant erwiesen und nur gegen zwei der zu Beginn der Überwachungsaktion fünf Hauptverdächtigen „vorbeugende, erzieherische u.a. operative Maßnahmen“ eingeleitet wurden (vgl. den Einstellungsbeschluss der Abteilung ... zum Operativen Vorgang vom 26.11.1977), so zeigt der zum Teil sehr hohe Aufwand der Überwachung mit dem Einsatz einer Vielzahl von Inoffiziellen Mitarbeitern, Abhörmaßnahmen und mindestens einer Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke einer möglichst lückenlosen Erfassung und frühzeitigen Unterbindung der Aktivitäten des überwachten Personenkreises und seiner Verbindungen zu anderen Gruppierungen innerhalb der DDR, dass der Staatssicherheitsdienst den Aktivitäten der konkreten Gruppe eine sehr hohe Bedeutung für das Entstehen einer - zu bekämpfenden - Opposition gegen das damalige Herrschaftssystem der SED beigemessen hatte. Entsprechend wurden im Rahmen des Operativen Vorgangs „Atelier“ eine Vielzahl von Querverbindungen zu Personen und Aktionen gezogen, die im Focus anderer Operativer Vorgänge wie dem Vorgang „Monolith“ standen oder gegen die andere Abteilungen des Staatssicherheitsdienstes vorgingen, wie etwa zu der Veranstalterin der damals populären Veranstaltungsreihen „Eintopp“ im Haus der Jungen Talente und „Kramladen“ im Jugendclub Berlin-Weißensee, ... (Schlussbericht der Abteilung ... der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin, BStU AS. 350f. sowie - in Bezug auf den Operativen Vorgang „Monolith“ - der Operativplan der Hauptabteilung .../2 vom 22.3.1976, BStU 221ff). Hinzu kommt, dass einzelne Mitglieder der über die Klägerin ausgespähten Gruppe durch anlassbezogene gezielte Befragungen durch den Staatssicherheitsdienst und strafrechtliche Maßnahmen gegen Einzelpersonen aus dem Umfeld der Gruppe systematisch und frühzeitig mit dem Ziel verunsichert wurden, eine weitere Festigung ihrer oppositionellen Einstellung zu vermeiden und dass die unter dem Operativen Vorgang „Atelier“ beobachteten Personen auch nach der Beendigung dieses Überwachungsvorgangs durch weitere Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes unter Kontrolle gehalten wurden (hierzu Schlussbericht, BStU AS. 353).
27 
Der Klägerin kam bei der Überwachung des Personenkreises um ... eine zentrale Bedeutung zu, wenn sie auch nicht die einzige Person war, die über diesen Kreis berichtete. Dies ergibt sich nicht nur aus dem retrospekiv im Februar 1977 verfassten „Auskunftsbericht“ des ehemaligen Führungsoffiziers der Klägerin „zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem IMV ...“, dem damaligen Ehemann der Klägerin (BStU AS. 234ff), nach dem dieser IMV Walter den Kontakt zu seiner geschiedenen Ehefrau „...“ und deren „politisch negativem Umgangskreis“ auf Weisung des Staatssicherheitsdienstes nach Jahren der Unterbrechung Mitte der 1970er Jahre wieder aufnahm und hier die Klägerin der Staatssicherheit als geeignete IMV zuführte, nachdem klar war, dass seine „operativen Einsatzmöglichkeiten“ aufgrund des ihm seitens der ... und ihrer Bekannten entgegengebrachten Misstrauens „periphär“ bleiben mussten. Vielmehr war die Klägerin spätestens seit Mitte des Jahres 1975 in einer Weise in die Überwachung des Personenkreises um ... eingebunden, nach der ihr die Eignung und Bestimmung ihrer Informationen zur Verhinderung und Unterdrückung einer als ernsthaft eingeschätzten Oppositionsbewegung nicht verborgen geblieben sein kann.
28 
Bei der Beurteilung der Art und des Maßes der Einbindung der Klägerin in die Überwachung des oppositionellen Personenkreises um ... durch die Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes im Bezirk Groß-Berlin geht die Kammer - entgegen der pauschalen Einwendung des Bevollmächtigten der Klägerin - davon aus, dass die relativ umfangreichen, letztlich aber auch erkennbar lückenhaft vorliegenden Berichte des Führungsoffiziers zu Treffen mit der Klägerin ebenso wie die maschinengeschriebenen Abschriften von Aussagen und Berichten der Klägerin und deren eigene handschriftliche Berichte auch inhaltlich der Wirklichkeit entsprechen. Hierfür spricht der erkennbare Zweck dieser Dokumente, verlässliche und umfassende Informationen über den jeweils ausgeforschten Sachverhalt und Personenkreis zu erlangen, die dann - vor allem im Verbund mit Informationen aus anderen Quellen - eine Entscheidungsgrundlage für ein weiteres möglichst effektives Vorgehen des Staatssicherheitsdienstes gegen eine als potentiell bedrohliche Bewegung aus dem Kreise der Jugend, der Künstler und der Intellektuellen zu haben. Auch ergeben sich aus den einzelnen Schriftstücken keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die dokumentierten Informationen der Klägerin mit dem Ziel dramatisiert worden wären, den gesamten Operativen Vorgang oder auch einzelne Maßnahmen innerhalb der Überwachung des hiermit erfassten Personenkreises besser rechtfertigen zu können. Vielmehr sind die der Klägerin über Treffberichte und eigene Aussagen zugeschriebenen Informationen für sich genommen vorwiegend auf objektive Umstände bezogen und lassen weder von Seiten der Klägerin noch von Seiten des dokumentierenden Führungsoffiziers einen besonderen wertenden Belastungseifer erkennen. Die auf der Grundlage der Informationen der Klägerin gewonnenen Erkenntnisse wurden im Gegenteil - wie etwa der Schlussbericht vom September 1977 (BStU AS. 347 ff.), aber auch die Unterbrechung und Ausdifferenzierung der Abhörmaßnahme im Atelier der Klägerin (vgl. insb. den Aktenvermerk vom 25.3.1976, BStU AS. 318 f) zeigen - von den Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes während des Operativen Vorgangs in ihrer Bedeutung durchaus auch wieder relativiert. Schließlich lag es nach der damaligen Sachlage auch fern, dass derartige Berichte und Informationen mit dem Ziel einer späteren Diskreditierung und übermäßigen Belastung der Klägerin angefertigt wurden.
29 
Im Einzelnen berichtete die Klägerin, die ihre Tätigkeit als Informantin des Staatssicherheitsdienstes unstreitig ohne besonderen Druck seitens der Sicherheitsdienste auf sie aufgenommen hatte, anlässlich ihrer Werbung als Inoffizieller Mitarbeiterin zunächst sehr allgemein über einzelne Personen aus dem Bekanntenkreis der ... und deren Beziehung untereinander (Treffbericht vom 21.8.1974, BStU AS. 4ff.). Die für die Folgezeit - ersichtlich unvollständig - dokumentierten Treffberichte etwa vom 9.9.1974 (BStU AS. 8 f), vom 21.10.1974 (BStU AS. 10 f.) und vom 3.12.1974 (BStU AS. 12 f) beinhalten dann spezifischere Informationen vor allem zu einzelnen Personen aus der Gruppe und deren Umfeld, zu Kontakten und Zusammenkünften mit anderen Personenkreisen etwa aus Potsdam und Weimar sowie aus dem Kreis der Veranstaltungsreihe „Eintopp“ im Haus der Jugend und zu dem Jugendclub „Baumschulenweg“. Seitens des Führungsoffiziers ist das Bestreben der Klägerin dokumentiert, über die Organisation eigener Bilderausstellungen „schneller Kontakte zu dem operativ interessanten Personenkreis zu finden“. Einzelinformationen der Klägerin, wie etwa zu dem Plan mehrerer Personen, den Dachboden eines spezifischen Hauses zu einer Kommune auszubauen, fanden unmittelbar Niederschlag in internen Operativen Informationen, die ihrerseits offensichtlich die Grundlage für eine weitere Überwachungsarbeit bilden sollten (BStU AS. 21).
30 
Erste Aussagen der Klägerin auch zum inhaltlichen Denken der Gruppe um ... sind dann in einer Abschrift von einer Tonbandaussage vom 3.2.1975 dokumentiert, in welcher die Klägerin über ein Treffen einiger Personen berichtet, welches im Anschluss an eine Kulturveranstaltung im „Eintopp“ in einer Privatwohnung und damit mit vertraulich-privatem Charakter stattgefunden hatte. Neben dem Plan, die Veranstaltungen im „Eintopp“ über einen Hörerbeirat zu steuern, in dem man selbst Einfluss haben soll, und der Idee, über ein Atelier einen eigenen Veranstaltungs- und Diskussionsraum zu installieren, berichtet die Klägerin vor allem über die politische Einstellung namentlich genannter Personen, die das damalige sozialistische System der DDR als „quasi kapitalistisch“ anprangern (BStU AS. 17 f.). Gerade diese Hinweise auf Treffen des Personenkreises in der Privatwohnung eines Gruppenmitglieds, die - wie sich aus dem Schlussbericht der Abteilung .../2 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin der Staatssicherheit vom November 1977 (BStU 347ff) ergibt - noch in weiteren, nicht dokumentierten Berichten der Klägerin enthalten sein müssen, waren der Auslöser für die Anlegung eines offiziellen Operativen Vorgangs zur Überwachung dieses Personenkreises (vgl. den „Vorschlag“ dieser Abteilung vom 11.03.1975 zum Anlegen eines Operativ-Vorgangs „Atelier“; BStU 65 ff). Dabei fand der Hinweis auf die Planung der Gruppe, sich über eine Atelierwohnung eines Gruppenmitglieds eine festen und geschützten Ort für eine Zusammenkunft zu schaffen, insoweit seinen Niederschlag in der Planung dieses Operativ-Vorgangs, als die Aufmerksamkeit der Gruppe bewusst und gezielt auf das Atelier der Klägerin gelenkt wurde, die sich zu diesem Zeitpunkt als freischaffende Künstlerin niedergelassen hatte. Entsprechend ist in der Operativen Planung des Vorgangs ausdrücklich festgehalten, dass die „halbhauptamtlich“ eingesetzte Klägerin auf die Auswahl des Ortes für die Zusammenkünfte der Gruppe Einfluss ausüben soll und dass ihre Einsatzmöglichkeiten dadurch verbessert werden, dass sie in ihrem Bestreben, eine freischaffende Tätigkeit im Verband bildender Künstler zu übernehmen unterstützt wird (Vorschlag, BStU AS 71; zum „halbhauptamtlichen Einsatz der Klägerin vgl. auch den Zwischenbericht der Abteilung ... zur VOA „Atelier“ vom 18.6.1975, BStU AS. 101 f).
31 
Nachdem die Klägerin in ihrer Information über eine Hörerbeiratssitzung in einer Privatwohnung am 17.6.1975 (BStU AS. 37 f) berichtet hatte, dass man einen geschützten Diskussionsraum suche und hierbei die Idee konkret auf ihr Atelier gelenkt worden war, wurde der bereits in der Operativen Planung des Operativ-Vorgangs „Atelier“ gefasste Beschluss des Staatssicherheitsdienstes umgesetzt, das Atelier der Klägerin und den darüber liegenden Dachboden über „operative Technik“ langfristig unter Kontrolle zu halten (Vorschlag, BStU AS. 72) . Diese Umsetzung erfolgte - entsprechend einem Aktenvermerk der Abteilung .../2 vom 2.7.1975 (BStU AS. 255) - am 3.7.1975, wobei die Abteilung ... es übernommen hatte, die Voraussetzungen für das Betreten der Räume zu schaffen und für ungestörte Arbeitsmöglichkeiten zu sorgen. Im Einklang mit diesem Termin ist in dem Treffbericht der Abteilung .../2 zu dem Treffen mit der Klägerin am 3.7.1975 (BStU AS. 40 f) ausdrücklich festgehalten, dass die Klägerin davon Kenntnis hat, „dass im Objekt „Atelier“ Technik installiert wurde“. Einzelheiten dazu und Ortskenntnisse fehlten dem IM jedoch. Da sich die Klägerin bis zum 28.7.1975 im Urlaub befand, sollte sie dafür sorgen, dass das Atelier während ihrer Abwesenheit nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt genutzt wird. Die Aufnahme der als „Maßnahme nach 26-B“ bezeichneten Abhöraktion der Räumlichkeiten mittels Mikrophon erfolgte dann schließlich mit der Eröffnung des Ateliers am 6.9.1975 (vgl. Treffbericht vom 4.9.1975, BStU 42 f).
32 
Unabhängig von der - der Klägerin entgegen ihrer Darstellung bekannten - Installation der Abhörtechnik und der damit ersichtlich intensivierten Ausforschung des Personenkreises um die oppositionelle Künstlerin ... durch die Staatssicherheit lieferte die Klägerin mindestens seit April vermehrt auch Informationen über die Gruppe oder deren Mitglieder, die nicht nur eine sachlich operative, sondern auch eine diskreditierende oder gar strafrechtliche Relevanz haben konnten:
33 
So ist in einer Operativen Information der Abteilung .../2 vom 28.4.1975 (BStU AS. 85f) festgehalten, dass die Klägerin „entsprechend der gegebenen Aufgabenstellung“ das Bild eines sich in Untersuchungshaft befindlichen Künstlers „Mensch in der Kiste“ in einer Wohnung eines Dritten ausfindig gemacht werden konnte, wo es versteckt worden war. Auch wurde die Klägerin damit beauftragt, die „eventuell provokatorischen oder staatsfeindlichen“ Fotoarbeiten zu überwachen, die ein Mitglied der Gruppe mit der in ihrem Atelier befindlichen Ausrüstung Ende April 1975 durchführen wollte.
34 
Bei einem - mit Treffbericht vom 19.6.1975 dokumentierten - Treffen der Klägerin mit dem Führungsoffizier der Staatssicherheit berichtete diese dann unter anderem über eine Aktion einzelner Gruppenmitglieder, bei der ein lebendiges und besonders geschmücktes Schwein mit dem Namen „Erich“ unter Anfertigung von einigen Fotos an Bewohner einer Wohnung am Leninplatz verschenkt worden war, die als mutmaßliche „Bonzen“ eingeschätzt worden waren (BStU AS. 28 sowie die Abschrift einer mit „...“ unterzeichneten Information vom 20.6.1975, BStU AS. 30). Diese Aktion, die nochmals zum Gegenstand einer offiziellen Vernehmung der Klägerin und weiterer Ermittlungen durch die Volkspolizei gemacht worden war (BStU AS. 130 ff.), wurden nach entsprechender Bewertung durch die zuständige Abteilung IX der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes - entgegen erster Wertungen - letztlich nicht als nach den §§ 106 und 220 StGB der DDR strafbare „Staatsfeindliche Hetze“ oder „Staatsverleumdung“ bewertet, da ein gewollter Zusammenhang zwischen dem Namen des Schweins und dem des Ersten Sekretärs des ZK der SED nicht zu beweisen sei, wenn man die Klägerin nicht dekonspirieren wolle. Im Ergebnis wurde angeregt, auf der Grundlage der Zeugenaussage nur der Bewohnerin der Wohnung, der das Schwein übergeben worden war, den Vorfall allein als Ordnungswidrigkeit der „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“ zu ahnden (BStU AS. 148).
35 
Über diesen Vorfall mit dem Schwein hinaus berichtet die Klägerin bei dem Treffen am 18.6.1975 sowohl über ein internes Treffen des Hörerbeirats zu der Veranstaltungsreihe „Eintopp“ am 17.6.1975 als auch über ein Treffen der Gruppe am 13. bis 15.6.1975 in Hohenneuendorf, wobei beide Berichte ebenso wie die Information zu der Aktion mit dem Schwein seitens des Führungsoffiziers und seines Vorgesetzten als „wertvolle Information“ eingeschätzt wurde, die zum Teil auch Ausgangspunkt für strafrechtliche Maßnahmen sein könnten (BStU AS. 28 f). Tatsächlich enthält dann etwa die im Einzelnen wiedergegebene Information der Klägerin zu dem Wochenende in Hohenneudorf neben der Schilderung einer Diskussion zu dem Auftrittsverbot einer anwesenden Künstlerin vor allem den Inhalt verschiedener Lieder, die ein anderer namentlich benannter Künstler vorgestellt hatte und in denen er die kapitalistischen Strukturen in den Betrieben kritisierte. Dabei stellte die Klägerin unter ausdrücklichem Hinweis auf konkrete Textzeilen („Verjagt die rote Nazibrut“) die „Abneigung des Sängers gegen den Sozialismus“ heraus, der demnächst öffentlich im „Kramladen“ auftreten wolle. Die Information der Klägerin über das Treffen des Hörerbeirats des „Eintopp“ (BStU AS. 97 ff) betraf die Konflikte mit der Leitung des Hauses der Jungen Talente um die Mitbestimmung zum Veranstaltungsprofil der Vortragsreihe und vor allem die Urheberschaft und den Inhalt einer - kritisch-ironisch verfassten - Grußadresse des Publikums des „Eintopp“ an die Kulturkonferenz der FDJ.
36 
Weitere Berichte der Klägerin, die von ihrem Führungsoffizier als „zuverlässig und ehrlich“ bewertet wurde und bei der die Kammer aufgrund der für die Monate Juni, Juli, September, November und Januar 1975 dokumentierten Zuwendungen davon ausgeht, dass sie jedenfalls seit Juni 1975 ungeachtet anderweitig erstatteter Spesen und Sonderzuwendungen für ihre Tätigkeit als IMV bis mindestens zum Januar 1976 monatlich 300 Mark erhalten hatte, betrafen dann im September und Oktober 1975 vor allem einzelne Personen und generelle Planungen der Gruppe etwa zur Herstellung von „interessanten Plakaten“ für Kundgebungen und Demonstrationen oder zu einer Protestaktion vor der Spanischen Botschaft am 29.9.1975 (Treffberichte vom 10.9.1975 BStU AS. 44 f; vom 17.9.1975, BStU AS. 46 f; vom 1.10.1975, BStU AS. 48 f und vom 22.10.1975, BStU AS. 54). Hierbei ist in einer persönlichen Information der Klägerin über die - anlässlich der Eröffnungsfeier ihres Ateliers - am 6.9.1975 sowie an weiteren Tagen geführten Gespräche (BStU AS. 19 ff) ebenso wie in einer Operativen Information der Abteilung .../2 vom 10.9.1975 über die „Party im Atelier“ der Klägerin am 6.9.1975 festgehalten, wie ein Mitglied der überwachten Gruppe ein Gespräch mit der Klägerin geführt hatte, in dem es um ihre Einstellung zum Sozialismus und zur bestehenden Bürokratie gegangen sei. Hierbei schilderte die Klägerin ausdrücklich die Auffassungen dieser Person, dass man die „Bürokratie“ an deren Spitze Honecker und Breschnew stünden, als Konterrevolutionär mit eigenen Mitteln schlagen müsse. In der Parteiversammlung seien alle Gauner und Verräter. Auch Erich und Beschnew seien Verräter. Zu einem späteren Treffen am 14.9.1975 berichtete die Klägerin über den Besitz dieser Person einer KPdSU-Ausgabe von 1945 und des 1936 von Trotzki verfassten Werkes „Die verratene Revolution“, welches er mit dem Umschlage eines Buches zur „Wanderfahrt nach alter Handwerkskunst“ getarnt in seinem Bücherregal versteckt habe. Ähnlich betraf eine weitere am 9.12.1975 angefertigte „Information“ der Klägerin die politische Einstellung verschiedener namentlich benannter Personen, die zum Teil an bestimmender Stelle der überwachten Gruppe aktiv waren und zwischen denen ein persönlicher Streit eskaliert sei. Hierbei werden Äußerungen der Personen wiedergegeben wie: “Hier ist alles Mist. Am besten man haut hier ab. Ist sowieso nichts zu erreichen“ oder, „Ich bin stolz als „Staatsfeind“ bezeichnet zu werden. … ist ein revolutionärer Spinner. Will Geschichte machen“.
37 
Ebenfalls auf eine Einzelperson und deren politische Ansichten und Verbindungen bezogen ist die detaillierte Information der Klägerin über den ihr - unter der Bitte um Geheimhaltung auch gegenüber anderen Mitgliedern der Gruppe „Atelier“ - anvertrauten Plan eines Gruppenmitglieds, mit einer ab Februar 1976 an der Humboldt-Universität tätigen französischen Gastwissenschaftlerin (Frau ...) zusammenarbeiten zu können, deren Aufenthalt bei Bekanntwerden ihrer Verbindung zu der Gruppe jedoch gefährdet sei (Treffbericht vom 11.11.1975, BStU AS. 58). Auf entsprechende Aufträge hin (vgl. etwa den Treffbericht vom 17.02.1976, BStU 66), übermittelte die Klägerin ihrem Führungsoffizier auch Fotographien von Bildern, die andere Künstler angefertigt und etwa im „Atelier“ ausgestellt hatten (vgl. etwa Treffbericht vom 10.2.1976, BStU AS. 70), Kopien von Schriftstücken einzelner Personen (Treffbericht vom 10.2.1976, BStU AS. 70) oder auch Telefonnummern und andere Details zu einzelnen Personen (vgl. etwa Treffbericht vom 23.02.1976, BStU AS. 64: Telefonnummer der Reinigungskraft und die Information der Klägerin vom 9.12.1975 BStU. AS. 72: Telefonnummern und verschiedene Namen). Sehr genaue Angaben der Klägerin sind auch in dem Treffbericht vom 15.4.1976 (BStU 88) dokumentiert, etwa zu dem Besitz einer konkret benannten Person zu Ausschnitten aus Westzeitungen inkl. Interview mit Biermann, welche in seiner Wohnung in die Bücher „Spur der Steine“ und „Clara Zetkin“ eingelegt seien. Nachdem die Klägerin bei einem Treffen mit dem Vorgesetzten Führungsoffizier am 24.11.1976 von einer Auseinandersetzung mit einem bei ihnen wohnenden Mitglied des Personenkreises „Atelier“ und über dessen „innerste Empörung“ über die Ausbürgerung eines Dritten sowie dessen „seit Jahren verfestigte negative politische Einstellung“ und der „mitunter gegebenen Neigung zu entschlossenem Handeln“ berichtet hatte (hierzu Treffbericht vom 24.11.1976 BStU AS. 114 f und „Information der Quelle „...“ vom 25.11.1976, BStU AS. 116), wurde der Klägerin nicht nur eine sehr gute Einsatzbereitschaft attestiert, sondern es wurde ihr auch - und dies zeigt die Brisanz dieser Informationen - der Auftrag erteilt, ein „Wäschestück zu beschaffen“ und „als Geruchskonserve zu sichern“. Zudem sagte die Klägerin offensichtlich zu, aus den in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen eine „Vergleichsschrift“ dieser Person zu besorgen. Schließlich befinden sich in den vorliegenden Unterlagen auch Angaben der Klägerin zu persönlichen Umständen einzelner Personen, die vor allen Dingen deren intimes Privatleben betrafen und die ausweislich der Randnotizen zu diesen Angaben als Grundlage für „Differenzierungen“ genutzt werden sollten. So enthält etwa die Abschrift einer Aussage der Klägerin vom 19.6.1975 zu einem Treffen mit einer weiteren Person die hierbei erhaltenen Informationen, dass eine namentlich genannte dritte Frau froh sei, dass ihr sie schlagender und betrügender Partner im Gefängnis sei, dass die Informantin deren Verhalten jedoch „garstig“ finde. Zu einer weiteren Person berichtet sie, dass sich die namentlich bezeichnete Frau eines ebenfalls genannten Mannes, der zum Militärdienst eingezogen sei, von diesem getrennt habe, worunter der Mann sehr leide. Schließlich wird noch die Ehe zweier „sehr kirchlich gebundener“ Personen als „Scheinehe“ bezeichnet, die nur wegen der Kinder aufrecht erhalten werde, wobei die Ehefrau „unnahbar, kalt“ und unehrlich beschrieben wurde (BStU AS. 88 f).
38 
Weitere Berichte der Klägerin betrafen verschiedene Treffen verschiedener Personen in Prag (Treffberichte vom 5.11.1975 BStU 56 f und vom 11.11.1975, BStU AS. 58 f sowie die „Information“ der Klägerin „über das Wochenende 14. - 16.11.1975 in Prag“, BStU AS. 59 und „über die 2. Pragreise“, BStU AS. 69 ff). Dabei wurde über den Führungsoffizier der Klägerin eine Dokumentation der erste Reise durch die entsprechenden Abteilungen des Staatssicherheitsdienstes veranlasst, nachdem die Klägerin auf deren Planung hingewiesen hatte (Treffbericht vom 5.11.1975, BStU AS 56 f). Zudem übergab die Klägerin, die mit Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes an der Reise teilnahm - ausweislich des Treffberichts vom 11.11.1975 (BStU AS. 58) - die „Abschrift eines Notizbuches (Kalender von 1975), welches sie von einem Reisebegleiter während des Prag-Aufenthalts zeitweilig zur Aufbewahrung erhalten“ habe. Zu einer unmittelbar folgenden zweiten Reise nach Prag berichtete die Klägerin über einen Kontakt zu einem in Prag wohnenden Juden, der wegen Arbeitsbummelei und Beamtenbeleidigung für mehrere Jahre inhaftiert war, sich politisch verfolgt fühlte und über die Pläne eines Gruppenmitglieds, gegebenenfalls über eine Ausreise in den Westen oppositionell zu arbeiten. Zu einer weiteren Pragreise im Dezember berichtete die Klägerin dann - vom Hörensagen - von Plänen eines Gruppenmitglieds, zwischen Weihnachten und Neujahr illegal über die CSSR mit den Kindern in den Westen zu fliehen. In einem weiteren Bericht vom 16.1.1976 ging es dann um eine Pragfahrt, bei der sich einige Personen mit einer Verbindungsperson aus Westberlin getroffen haben sollen (BStU AS. 83).
39 
Welche Bedeutung die Abteilung ... der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes den Informationen und der Stellung der Klägerin im Zusammenhang mit dem Operativen Vorgang „Atelier“ beigemessen hat, wird daran deutlich, dass der Staatssicherheitsdienst den Wunsch einer engen Freundin der im Zentrum des überwachten Personenkreises stehenden ... zu einer Übersiedlung in den Westen gemeinsam mit ihren Kindern und die hierbei bestehende Schwierigkeit des fehlenden Einverständnisses des Kindesvaters aufwändig dazu nutzte, die Stellung der Klägerin innerhalb des überwachten Personenkreises zu stärken. Im Einzelnen war hier zunächst die Information der Klägerin zu einer Pragreise verschiedener Personen aufgenommen worden, nach der diese Freundin mit ihren Kindern entweder in den Westen fliehen oder aber wenigstens einen Antrag auf legale Übersiedlung stellen wolle. Dabei hatte die Klägerin darüber berichtet, dass ein Teil der über den Operativen Vorgang „Atelier“ erfassten Gruppe dieses Ausreisebegehren nicht nur aus persönlichen Gründen unterstütze, sondern auch auf eine Stärkung der Westkontakte hoffe (Information der Klägerin über die Pragreise vom 14. bis 16.11.1975, BStU AS. 59 f, sowie über die 2. Pragreise vom 10.12.1975; BStU AS. 69). Nachdem die für die Überwachung der Gruppe zuständige Abteilung .../2 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes die Klägerin dazu angehalten hatte, „die legale Übersiedlung nach Westberlin zu beantragen“ (vgl. hierzu den Treffbericht vom 26.01.1976, BStU AS. 62 f sowie den Treffbericht vom 2.2.1976, BStU AS. 74 f), wurde die weitere Information der Klägerin, dass der Kindesvater, der gleichzeitig der Lebensgefährte der Klägerin war, einer Übersiedlung auch der Kinder nicht zustimmen wolle, ebenso wie die Kenntnis von der kontroversen Diskussion der Gruppe zu dieser Übersiedlung (vgl. hierzu den Situationsbericht der Abteilung .../2 zum Personenkreis „Atelier“ vom 18.5.1976 (BStU AS. 92) zum Anlass genommen, die Übersiedlung der Freundin der ... mit ihren Kindern in einer Weise zu stützen, die „besonders die Position“ der Klägerin „im Personenkreis „Atelier“ festige“ (hierzu insbes. der Vermerk der Abteilung .../2 vom 7.5.1976, BStU AS 135 sowie der Auskunftsbericht dieser Abteilung vom 20.5.1976 zu dem - befürworteten - Ausreisegesuch, BStU AS 5 ff). Jedenfalls wurde in einer detaillierten Regieanweisung“ für den 5.5.1976 festgelegt, dass der ebenfalls als IMV instruierte Lebensgefährte der Klägerin gegenüber seiner ehemaligen Frau seinen Widerstand gegen die Übersiedlung auch der Kinder bekräftigen solle, da er anderenfalls Schwierigkeiten an seiner Arbeitsstelle befürchte. Die Klägerin solle dann bei einem späteren Besuch die Kindesmutter in der Frage der Übersiedlung mit den Kindern bestärken und hierbei versprechen, ihren Lebensgefährten entsprechend zu beeinflussen. In diesem Konflikt solle dann - die von den Gruppenmitgliedern als konsequent geforderte - Trennung der Beziehung der Klägerin zu ihrem Lebensgefährten vorgetäuscht werden, die dann nach mehreren Nächten des Aufenthalts der Klägerin außerhalb ihrer Wohnung bei der Kindesmutter dazu führen solle, dass der instruierte Kindesvater letztlich doch der Ausreise der Kinder zustimme. Zu diesem Vorgang geht die Kammer davon aus, dass er entsprechend der Anweisung der Abteilung .../2 auch tatsächlich durchgeführt worden ist. Zwar finden sich in den vorliegenden Unterlagen keine „Vollzugsberichte“, doch enthält der Auskunftsbericht der Abteilung .../2 vom 20.5.1976 zum Übersiedlungsantrag der Kindesmutter den Hinweis, dass die Klägerin - unterstützt durch ihren Lebensgefährten - fester in den Personenkreis „Atelier“ integriert wird, alle Handlungen der Kindesmutter kontrolliert und gegenwärtig die Voraussetzungen schafft, dass das Vertrauensverhältnis zu ihr auch nach der Übersiedlung fortbestehe. Die diesen gewichtigen Indizien für einen Erfolg der Inszenierung von der Klägerin entgegengestellte Behauptung, sie könne sich an eine derartige Aktion im Zusammenhang mit der Ausreise der damaligen Freundin nicht erinnern, sodass von deren Nichtumsetzung auszugehen sei, können die Überzeugungsbildung der Kammer bereits aufgrund des auch sonst pauschalen Bestreitens von Vorwürfen mit der fehlenden Erinnerung nicht erschüttern.
40 
Auch wenn die Kammer - mit der Klägerin und der Einschätzung etwa der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in deren Stellungnahme vom 15.12.2011 - nicht sicher bestimmen kann, ob und inwieweit die im Einzelnen von der Klägerin gelieferten Informationen tatsächlich als Grundlage für konkrete strafrechtliche Sanktionen oder gezielte Diskreditierungen gegenüber einzelnen Personen gedient haben, so lässt sich doch an einzelnen Beiträgen der Klägerin exemplarisch ablesen, dass diese in Bezug auf konkrete Maßnahmen jedenfalls im Verein mit anderen Informationen wirksam geworden sind. So wurde etwa über die Klägerin bekannt, dass einige der zentralen Personen des überwachten Personenkreises in die Wohnung der Eltern eines Mitglieds dieses Kreises ziehen, die sich für drei Jahre als Auslandskorrespondenten in Schweden befänden (Treffbericht vom 4.9.1975). Die in dieser Wohnung in der Alexanderstraße gebildete Wohngemeinschaft stand in der Folgezeit in besonderem Interesse der Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes Groß-Berlin, da man hier davon ausging, dass sich „dieses Objekt zum Hauptsitz der Gruppe herausbilden“ werde, die über ihren jeweils „recht großen Bekanntenkreis“ mit in der Regel ähnlichen politischen Anschauungen bemüht sei, „potentielle Gegner der politischen Verhältnisse in der DDR zu vereinen“ (3. Sachstandsbericht der Abt. .../2 vom 3.9.1975 zum Operativen Vorgang „Atelier“, BStU AS. 1 und 8). Dementsprechend oblag es der Klägerin, neben Details wie etwa der Telefonnummer der dort wöchentlich tätigen Putzfrau (vgl. Treffbericht vom 23.02.1976, BStU AS. 64), vor allem zu den dort wohnhaften Personen, von denen eine jedenfalls vorübergehend auch in intimer Beziehung zu ihr stand, und deren Denken und Handeln zu berichten. So stammte die Erkenntnis des Staatssicherheitsdienstes, dass „der Stützpunkt der Gruppe, die Wohnung in der Alexanderstraße … durch die Personen aus dem Kreis „Atelier“ ständig besetzt gehalten (wird) und dass man dann, wenn alle Bewohner der Wohnung an Veranstaltungen teilnähmen, dafür Sorge trage, dass die Kinder einer namentlich genannten Person oder andere vertrauenswürdige Personen die Räume besetzten, „um belastendes Material zu sichern“, von der Klägerin (vgl. den Bericht der Abt. .../2 BStU AS. 243: dort Berufung auf Treffbericht vom 3.3.1976 sowie die Operative Information dieser Abteilung vom 3.3.1976 zur „gegenwärtigen Situation in der Wohngemeinschaft Berlin, Alexanderstraße“, BStU AS. 134). Diese Informationen erlangten dann für den Plan des Staatssicherheitsdienstes, die Wohnung in der Alexanderstraße konspirativ zu durchsuchen, unmittelbare strategische Relevanz (Auftrag der Abteilung ... für eine konspirative Wohnungsdurchsuchung vom 30.3.1976, BStU AS. 136 ff).
41 
Ergibt sich aus dem Maß der hier dargelegten Einbindung der Klägerin in die - aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Staatssicherheitsdienstes der DDR - wichtige Überwachung und Beeinflussung einer damals als ernsthafte Bedrohung eingeschätzten Gruppe von Oppositionellen ein hinreichend „erhebliches Vorschubleisten“ der Klägerin zugunsten des Unrechtsgehalts des Systems der DDR, so kann dahin gestellt bleiben, ob und inwieweit die Klägerin sich - wie sie ausführt - nach der Auflösung der Gruppe unverzüglich und offen selbst gegenüber den ehemaligen Gruppenmitgliedern als Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit und gegebenenfalls über die ihr bekannten Ausspähmaßnahmen offenbart hat. Denn diese Maßnahme dürfte - hier zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt -, den Wert der von der Klägerin erbrachten Unterstützungs- und Informationsleistungen für den Staatssicherheitsdienst der DDR nicht mehr in Frage gestellt haben, nachdem die Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen hinsichtlich des überwachten Personenkreises zuvor und - aus der Sicht des Staatssicherheitsdienstes - erfolgreich abgeschlossen worden waren. Unabhängig davon hegt die Kammer aber auch Zweifel daran, dass sich die Klägerin in den Jahren nach der Beendigung des Operativen Vorgangs „Atelier“ gegenüber den ehemaligen Umgangskreisen in vollem Umfang freiwillig selbst offenbart hat. Diese Zweifel rühren aus dem Vermerk in einem Bericht der Kreisdirektion des Staatssicherheitsdienstes Wittstock vom 23.9.1977, nach dem der damalige Ehemann der Klägerin, der weiterhin als IMV geführt wurde, darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin auf ihre Tätigkeit für das MfS angesprochen worden sei und die „Dekonspiration ...“ in den ehemaligen Umgangskreisen bekannt sei, was den „Berliner Genossen“ mitgeteilt werden solle. Hinzu kommt, dass die Klägerin beim Ministerium für Staatssicherheit noch mindestens bis Mitte 1978 als Inoffizielle Mitarbeiterin zur Sicherung der Konspiration ihres damaligen Ehemanns eingesetzt war, was jedenfalls nahelegt, dass die Klägerin bei der Offenbarung ihrer Tätigkeit als IMV nicht gegen Geheimhaltungsregelungen des Staatssicherheitsdienstes verstoßen hat.
42 
bb. Unabhängig von dem Ausschlussgrund des „erheblichen Vorschubleistens“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG hat die Klägerin durch das hier dargelegte Verhalten als Inoffizielle Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes auch gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen und damit den Ausschlussgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG erfüllt.
43 
Der Ausschlussgrund des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit wird über die Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit begründet, wenn der Betreffende hierbei in erheblicher Weise gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßen hat. Dies ist etwa dann der Fall, wenn er freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt und unter Inkaufnahme einer Drittschädigung an den auch in der DDR für seine repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat. Notwendig sind erhebliche, gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Es genügt, dass sich der Einzelne als Denunziant oder Spitzel freiwillig betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. Eine Spitzeltätigkeit für die Stasi unter Inkaufnahme einer Drittschädigung begründet im Regelfall einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Insoweit reicht es aus, dass die gelieferten Informationen geeignet waren, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. Ein weitergehender Nachweis, dass es zu einer Schädigung tatsächlich gekommen ist, ist nicht erforderlich, da das MfS durch Berichte eines Inoffiziellen Mitarbeiters in die Lage versetzt wird, sogar belanglose und unverfängliche Informationen zu nutzen, diese mit anderen Erkenntnissen zu verknüpfen und mit anderen ihm bekannten Sachverhalten zu bewerten und ein IM keinen Einfluss darauf hatte, ob und in welcher Weise die dem Ministerium zugetragenen Informationen verwertet wurden (BVerwG, Urt. v. 19.01.2006 - 3 C 11/05 –, Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2 unter Berufung auf Urt. v. 08.03.2002 - 3 C 23.01 -, BVerwGE 116, 100; dagegen für die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, weil hiergegen nur ein Staat verstoßen kann: VG Würzburg, U. v. 15.07.2002 - W 8 K 02.122 - juris -).
44 
Nach der vorstehend wiedergegebenen Tätigkeit der Klägerin für den Staatssicherheitsdienst der DDR im Rahmen des Operativen Vorgangs „Atelier“ ist die Kammer der Überzeugung, dass sie gezielt in die Privatsphäre anderer Mitglieder der überwachten Personengruppe eingedrungen ist und unter Missbrauch eines ihr entgegengebrachten persönlichen Vertrauens Informationen gesammelt und an den Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat, die geeignet gewesen waren, für die Bespitzelten eine beachtliche Gefahrenlage zu schaffen.
45 
Dabei lässt die Kammer dahinstehen, inwieweit etwa die Informationen der Klägerin zu den Planungen einzelner Mitglieder der überwachten Gruppe zur politisch-inhaltlichen Einflussnahme auf Veranstaltungsreihen wie den „Eintopp“ oder den „Kramladen“ oder über im Rahmen einzelner Gespräche und Diskussionen geäußerte politische Ansichten zur bürokratischen Erstarrung und quasikapitalistischen Überformung des Sozialismus in der DDR für sich geeignet waren, die betreffenden Personen einer beachtlichen Gefahrenlage auszusetzen und damit den Tatbestand des Ausschlussgrundes nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG zu erfüllen. Mangels näherer Kenntnis über den konkreten Inhalt der erlangten Informationen lässt die Kammer zugunsten der Klägerin auch den Umstand außer Acht, dass die Klägerin anlässlich einer Pragreise das in Kalenderform vorliegende Notizbuch eines Reisepartners, welches ihr dieser vorübergehend anvertraut hatte, kopiert und als Abschrift an den Staatssicherheitsdienst übergeben hatte. Denn jedenfalls muss sich die Klägerin vorwerfen lassen, dass sie ein verstecktes Bild eines in Untersuchungshaft einsitzenden Künstlers ausfindig gemacht, Fotos von Bildern eines in ihrem Atelier ausstellenden Künstlers angefertigt und an den Staatssicherheitsdienst übergeben, den Besitz und Aufbewahrungsort eines verbotenen Werkes von Trotzki und von Ausschnitten aus ebenfalls verbotenen Westzeitungen mit Interviews von Wolf Biermann sowie sehr konkrete Mitteilungen über staatsfeindliche Liedtexte oder Einstellungen einzelner Personen gemacht hat, wovon etwa die im Treffbericht vom 24.11.1976 (BStU AS. 114 f) festgehaltene Information über die „innerste Empörung“ und die „verfestigte negative politische Einstellung“ einer konkret bezeichneten Person den Auftrag seitens des Führungsoffiziers des Staatssicherheitsdienstes nach sich zog, eine Vergleichsschrift und eine „Geruchsprobe“ von dieser Person zu sichern. Von potentiell erheblicher strafrechtlicher Relevanz für die betroffenen Personen waren auch die ausführlichen Angaben der Klägerin zu dem Vorfall mit dem Schwein „Erich“ in der Wohnung eines mutmaßlichen „Bonzen“ am Leninplatz sowie die wiederholten Hinweise der Pläne einer dritten, namentlich benannten Person zu einer entweder legalen oder auch illegalen Ausreise und die hierbei von den Gruppenmitgliedern gewährte Unterstützung.
46 
Zumindest mittelbar hat die Klägerin erhebliche Gefahrenlagen für die Mitglieder der überwachten Gruppe auch dadurch geschaffen, dass sie Treffen und Ausstellungen in ihrem Atelier veranlasst oder geduldet hat, obwohl sie - entgegen der anderweitigen Einlassung ihres Bevollmächtigten - wusste, dass diese Räume akustisch überwacht werden. Insofern muss sich die Klägerin die eindeutige Notiz in dem Treffbericht vom 3.7.1975 (BStU AS. 40f) zu ihrer Kenntnis von der „installierten Technik“ entgegen halten lassen. Dem von ihr in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwand, dass die Klägerin bei Kenntnis von der Installation der Abhörtechnik nicht über die Treffen im Atelier hätte berichten müssen und dem Staatssicherheitsdienst die Möglichkeit genommen worden wäre, die Wahrheit ihrer Berichte und damit ihre Ehrlichkeit zu kontrollieren, steht entgegen, dass die Klägerin tatsächlich nicht über den Inhalt der Treffen im Atelier berichtet hat, sondern - auftragsgemäß - nur über die Termine geplanter Veranstaltungen in den Atelierräumen.
47 
b. War die der Klägerin von der Beklagten am 07.11.1986 erteilte Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG von Anfang an rechtswidrig, weil - nach dem Vorstehenden - die Ausschlussgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 HHG vorlagen, hat die Beklagte zu Recht angenommen, dass die der Klägerin erteilte Bescheinigung als unmittelbare Voraussetzung für die tatsächlich erfolgte Gewährung einzelner Geldleistungen an die Klägerin in Form der Eingliederungshilfe nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 LVwVfG zurückgenommen werden kann (vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. v. 24.05.2012 - 5 C 18.11 -, BayVBl. 2013, 442, 444), dass das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Bescheinigung nicht schutzwürdig ist und damit auch einer Rücknahme nicht entgegensteht, weil die Klägerin den rechtswidrigen Bescheid durch Angaben erwirkt hatte, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG).
48 
Die Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG an die Klägerin beruhte ohne weiteres darauf, dass die Klägerin bei ihrer Antragstellung - unstreitig - keine Angaben zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in den Jahren seit 1974 gemacht hatte. Hierzu wäre sie jedoch unter Berücksichtigung der ihr erkennbaren allgemeinen Mitwirkungspflicht nach § 26 Abs. 2 LVwVfG verpflichtet gewesen, zumal ihr die Bedeutung der entsprechenden Angaben nach den Gesamtumständen der Antragstellung auch bewusst war oder hätte sein müssen (zur Erwirkung eines Verwaltungsakts durch Verschweigen erheblicher Umstände vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. .v. 10.10.2007 – 13 S 2215/07 –, NVwZ-RR 2008, 139; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 48, Rn. 116 f).
49 
Zwar wurde die Klägerin bei ihrer Antragstellung am 5.8.1986 weder mündlich noch schriftlich nach einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR befragt, doch liegt hierin kein so wesentlicher Mangel im Antragsformular, dass die Klägerin deshalb von der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dieser Umstände für ihren Antrag auf Bewilligung einer Entschädigung für die vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik in der DDR erlittene Haft ausgehen konnte (zur Folge fehlerhafter oder unklarer Antragsformulare vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 118 ). Denn die Klägerin war in einem Vordruck zu einer Erklärung zu ihrem Entschädigungsantrag ausdrücklich und unter Wiedergabe des Wortlauts auf die gesetzlichen Ausschlussgründe des § 2 Abs. 1 Nr 1 und 2 HHG hingewiesen worden, so dass sie unmittelbar Veranlassung gehabt hätte, ihre Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst zu offenbaren und sich dessen zu versichern, dass ihre (auf eigener fehlerhafter Subsumtion beruhende) Versicherung dazu, dass sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen habe, auch tatsächlich zutrifft. Denn auch wenn die Klägerin für sich in Anspruch nimmt, unmittelbar nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland mit den Erwartungen der Verwaltung noch nicht hinreichend vertraut gewesen zu sein, so hatte sie zumindest in ihrer allgemeinen persönlichen Wertung das Bewusstsein davon, dass ein intensives Ausforschen von Personen aus ihrem persönlichen Umkreis durch den Staatssicherheitsdienst der DDR, wie sie es in den Jahren zwischen 1974 und 1976 aktiv ermöglicht und unterstützt hatte, mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit unvereinbar war. Denn immerhin hatte die Klägerin bei der - im Vertriebenenausweisverfahren abgegebenen - Begründung ihrer Aussiedlung aus der DDR vom 3.8.1986 ausführlich dargelegt, dass sie begriffen habe, dass „die SED das gesamte politische Leben in der DDR beherrscht, … dass es keine Anerkennung der Würde und politische Freiheit der Menschen gibt“ und dass sie „die DDR als totalitären Staat (sieht), in dem der Staatssicherheitsdienst pol. Gegner bespitzelt und verfolgt - Berufsverbote erteilt“ Es gebe keine wirkliche Toleranz und Freiheit. Ihr sei der Preis für das bequeme Mitmachen in dem Regime zu hoch gewesen; mit „dieser Schuld habe (sie) nicht leben wollen.“ Hinzukommt, dass es einem unbefangenen Antragsteller bewusst sein muss, dass die Entscheidungserheblichkeit ihrer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit im Zusammenhang mit der Frage nach dem Nichtbestehen der bezeichneten Ausschlussgründe nicht einfach der eigenen inneren Subsumtion ihres Verhaltens unter einen - wie sie selbst vorbringt - ihr unklaren Rechtsbegriff überlassen sein kann. Dies gilt umso mehr, als sie mit ihrer Unterschriftsleistung auch versichert hat, dass alle ihre Angaben richtig und vollständig seien und ihr bekannt sei, dass bewusst unrichtige Angaben zur Rückerstattung erhaltener finanzieller Leistungen führen (a.A. VG Berlin, Urt. v. 03.09.2008 - 9 A 2.08 -, juris; VG Würzburg, Urt. v. 15.07.2002 - W 8 K 02.122 - juris, Nr. 33).
50 
Schließlich ist auch die Frist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zur Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG eingehalten. Denn die hier maßgebliche Kenntnis der Behörde von den Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 154 m. w. N.), war mit der Übersendung der die Klägerin betreffenden vollständigen Unterlagen des BStU im Widerspruchsverfahren Mitte Dezember 2011 und der hierzu erfolgten Anhörung des Kläger-Bevollmächtigten Ende April 2012 gegeben, während die mit Bescheid vom 18.10.2010 erfolgte Rücknahmeentscheidung der Beklagten mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 26.06.2012 erfolgt war.
51 
2. Lagen damit die Tatbestandvoraussetzungen für eine Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ohne die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines Vertrauensschutzes des Inhabers vor, so ist die Rücknahme dieser Bescheinigung auch unter Ermessensgesichtspunkten nach § 114 Satz 1 VwGO nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und dieses ohne Rechtsverstoß ausgeübt. Aufgrund des Erwirkens der Bescheinigung durch falsche Angaben der Klägerin war die Rücknahme der Bescheinigung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG intendiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.05.1996 - 3C 13/94 - Buchholz 451.513 -; sowie BVerwG, Beschl. v. 20.03.1990 - 9 C 12/89 - NVwZ 1990, 1066-1069).
52 
Außergewöhnliche Umstände, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen ließen, sind nicht gegeben. Sie liegen insbesondere nicht in dem Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin, dass die ihr selbst während der Haft zugefügten Leiden unvergleichlich schwerer wögen, als die möglichen Folgen ihres eigenen Tuns. Denn eine derartige Abwägung sieht zumindest der über § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG verwirklichte Ausschlussgrund der Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit grundsätzlich nicht vor. Eine Aufrechnung der schwerwiegenden Verfehlungen der Klägerin mit dem später selbst erlittenen Unrecht findet nicht statt (BVerwG, Urt. v. 19.01.2006, a.a.O.; OVG Berlin, Urt. v. 01.12.2004 - 6 B 1.04 -, juris Rn. 49).
53 
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin begründet es auch keine atypischen Umstände im Sinne des § 48 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, dass sowohl die Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung als auch die vorherige Verwirklichung der Ausschlussgründe weit in der Vergangenheit liegen. Denn dies ist für den Regelungsbereich des Häftlingshilfegesetzes geradezu typisch. Der Hinweis auf die Verjährung strafrechtlicher Vorwürfe verfängt nicht, da es im Fall der Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung nicht um den Vorwurf eines schuldhaft strafbaren Verhaltens geht, sondern darum ob eine Person, die die Ausschlussgründe verwirklich hat, eine unter falschen Voraussetzungen gewährte staatliche Leistung behalten können soll oder nicht.
54 
3. Die Rückforderung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 LVwVfG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar setzt § 52 Satz 1 LVwVfG die Unanfechtbarkeit der Rücknahme oder des Widerrufs des zugrunde liegenden Verwaltungsakts voraus. Jedoch ist eine Rückforderung zugleich mit dem die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes aufhebenden Verwaltungsakt möglich, wenn sie unter die aufschiebende Bedingung des Eintritts der Unanfechtbarkeit gestellt wird. Dies ist hier anzunehmen (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 52 Rn. 6).
55 
Zudem wurde der Klägerin eine Frist von zwei Wochen gesetzt, innerhalb derer sie die Bescheinigung an das Sozial- und Jugendamt der Stadt ... zurückzugeben habe.
56 
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO. Die Kammer sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
57 
Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.

Gründe

 
20 
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Rücknahmebescheid der Stadt ... vom 18.10.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 26.06.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21 
1. Die mit Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 erklärte Rücknahme der der Klägerin nach § 10 Abs. 4 HHG erteilten Bescheinigung vom 07.11.1986 rückwirkend zum Zeitpunkt der Erteilung findet ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg - LVwVfG - (i.d.F. v. 12.04.2005, GBl. S. 350; zul. geänd. d. G. v. 17.12.2009, GBl. S. 809). Hiernach kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, ein begünstigender Verwaltungsakt aber nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich nach Satz 3 jedoch nicht berufen, wer den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2) oder wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Unter dieser Voraussetzung wird ein Verwaltungsakt, der eine Geldleistung betrifft oder hierfür Voraussetzung ist, in der Regel für die Vergangenheit zurückgenommen, § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG.
22 
a. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die der Klägerin nach § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung vom 07.11.1986 rechtswidrig ausgestellt worden war. Denn die Klägerin hat die zwingenden Ausschlussgründe für die Gewährung von Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 HHG verwirklicht. Durch ihre Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit hat sie in der ehemaligen DDR als einem in § 1 Abs. 1 Nr. 1 genannten Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischem System erheblich Vorschub geleistet (Nr. 1) und zudem dort durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen (Nr. 2).
23 
aa. Den Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens erfüllt derjenige, der freiwillig ein Amt oder einen sonstigen Tätigkeitsbereich übernommen hat, deren wahrzunehmende Funktionen dazu bestimmt und geeignet waren, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der früheren SED und das von ihr getragene System zu festigen, auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, sofern er die ihm übertragenen Aufgaben wahrgenommen, ihm gegebene Weisungen befolgt und damit dem System und seinen Zielen in der Tat nachhaltig gedient hat (BVerwG, Beschl. v. 12.02.1991 - 9 B 244/90 -, DÖV 1991, 508 m.w.N.). Dabei darf der Nutzen, den das Regime aus dem Verhalten gezogen hat, nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein (BVerwG, Urt. v. 22.10.1987 - 3 C 12.87 - Buchholz 427.6 § 3 BFG Nr. 25). In dieser Vorschrift kommt eine Begrenzung der Hilfsbereitschaft zum Ausdruck, die zum Erlass des Häftlingshilfegesetzes und den dort vorgesehenen Hilfen geführt hat. In deren Genuss sollen diejenigen nicht kommen, die zwar Opfer des im Gewahrsamsstaat herrschenden politischen Systems geworden sind, aber zuvor durch nachhaltige Unterstützung eben dieses Systems dazu beigetragen haben, dass andere aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen werden konnten (BVerwG, Urt. v. 09.09.1959 - 8 C 281.59 - BVerwGE 9, 132, 141).
24 
Hieran gemessen hat die Klägerin den Ausschlussgrund des „erheblichen Vorschubleistens“ erfüllt. Zwar war die Klägerin - unstreitig - nicht in tragender Funktion in den Staatsapparat der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik eingebunden. Sie war jedoch freiwillig in einer Weise als Inoffizielle Mitarbeiterin für das Ministerium für Staatssicherheit tätig, die dazu bestimmt und auch geeignet war, den Widerstand gegen das System der SED in der Deutschen Demokratischen Republik in einer nicht unerheblichen Weise zu unterdrücken und die diesem deshalb gerade in seiner erkennbaren Unrechtsprägung von hinreichendem Nutzen war (allg. zur Spitzeltätigkeit für das MfS als Ausschlussgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 05.11.2013 - OVG 3 B 9.12 -, juris Rn. 26; OVG Berlin, Urt. v. 15.01.1992 - 7 B 10.90 -, juris Rn. 18; VG Neustadt, Urt. v. 10.09.2010 - 2 K 156/10.NW. -, juris Rn. 31 ff).
25 
Aus den der Kammer vorliegenden Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergibt sich, dass die Klägerin durch ihren damaligen Lebensgefährten und späteren Ehemann ... B. (IMV ...) im August 1974 als sog. Inoffizielle Mitarbeiterin geworben worden war. Ziel der Anwerbung war zunächst - wie sich aus dem Treffbericht des Führungsoffiziers des Staatssicherheitsdienstes, Verwaltung Groß Berlin, Abt. .../2, vom 21.08.1974 (BStU AS. 4 ff.) ergibt - den als „operativ interessant“ eingeschätzten Bekanntenkreis der Klägerin näher überwachen zu können. Dieser Bekanntenkreis ergab sich aus der Nähe der Klägerin zu der freischaffenden Künstlerin ... und deren Verbindungen zu einer Vielzahl von auch damals schon prominenten Intellektuellen, Künstlern und jungen Erwachsenen, die - wie sich unter anderem aus der Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - BStU - vom 15.12.2011, dem Vorschlag der Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes vom 11.03.1975 zum Anlegen einer Operativ-Vorlaufakte (VAO) „Atelier“ (BStU AS. 65ff.; AS. 354) und dem Schlussbericht dieser Abteilung zum Operativen Vorgang „Atelier“ vom September 1977 (BStU AS 347 ff.) ergibt - insbesondere in der Folge des Machtwechsels an der Spitze des Zentralkomitees der SED von Walter Ulbricht auf Erich Honecker damit begonnen hatten, alternative Lebensformen wie Wohngemeinschaften zu bilden, künstlerische und intellektuelle Freiheiten in Anspruch zu nehmen und vor allem das bestehende Herrschaftssystem der DDR als einen durch die Bürokratie erstarrten und verratenen Sozialismus zu kritisieren, welcher über die Wiederbelebung der wahren Ideale dieser Gesellschaftsform reformiert werden müsse. Dieser Bekanntenkreis hatte im Zeitpunkt der Anwerbung der Klägerin als Inoffizieller Mitarbeiterin unter der Mitwirkung der Brigitte G. begonnen, sich wieder neu zu formieren, nachdem der Staatssicherheitsdienst zuvor in einem anderen Operativen Vorgang für eine Zerschlagung seiner Strukturen gesorgt hatte (vgl. BStU AS. 65). Insgesamt hatte die Verbreitung seiner, in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes als „linksrevisionistisch-trotzkistisch“ bezeichneten Anschauungen unter dem Gesichtspunkt der Straftatbestände der „Staatsfeindlichen Hetze“ nach § 106 und der „Staatsfeindlichen Gruppenbildung“ nach § 107 des damaligen Strafgesetzbuches der DDR potentiell strafrechtliche Relevanz. In jedem Fall aber sollten die Aktivitäten dieser „jungen Erwachsenen mit politisch negativen Merkmalen“, die zudem teilweise noch im Verdacht standen, einen nach § 213 des StGB der DDR strafbaren „Ungesetzlichen Grenzübertritt“ zu planen oder anderen hierbei in einer als „Staatsfeindlichem Menschenhandel“ nach § 105 des StGB der DDR strafbaren Weise Hilfe leisten zu wollen, durch geeignete Maßnahmen unter Kontrolle gehalten und gegebenenfalls unterbunden werden (vgl. BStU AS. 70 f.).
26 
Auch wenn sich - wie sich aus dem Schlussbericht der Abteilung ... der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin zum Operativen Vorgang „Atelier“ vom September 1977 (BStU AS. 347 ff) ergibt - die Tätigkeiten der überwachten Gruppe auch für diese letztlich als insgesamt nicht strafrechtlich relevant erwiesen und nur gegen zwei der zu Beginn der Überwachungsaktion fünf Hauptverdächtigen „vorbeugende, erzieherische u.a. operative Maßnahmen“ eingeleitet wurden (vgl. den Einstellungsbeschluss der Abteilung ... zum Operativen Vorgang vom 26.11.1977), so zeigt der zum Teil sehr hohe Aufwand der Überwachung mit dem Einsatz einer Vielzahl von Inoffiziellen Mitarbeitern, Abhörmaßnahmen und mindestens einer Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke einer möglichst lückenlosen Erfassung und frühzeitigen Unterbindung der Aktivitäten des überwachten Personenkreises und seiner Verbindungen zu anderen Gruppierungen innerhalb der DDR, dass der Staatssicherheitsdienst den Aktivitäten der konkreten Gruppe eine sehr hohe Bedeutung für das Entstehen einer - zu bekämpfenden - Opposition gegen das damalige Herrschaftssystem der SED beigemessen hatte. Entsprechend wurden im Rahmen des Operativen Vorgangs „Atelier“ eine Vielzahl von Querverbindungen zu Personen und Aktionen gezogen, die im Focus anderer Operativer Vorgänge wie dem Vorgang „Monolith“ standen oder gegen die andere Abteilungen des Staatssicherheitsdienstes vorgingen, wie etwa zu der Veranstalterin der damals populären Veranstaltungsreihen „Eintopp“ im Haus der Jungen Talente und „Kramladen“ im Jugendclub Berlin-Weißensee, ... (Schlussbericht der Abteilung ... der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin, BStU AS. 350f. sowie - in Bezug auf den Operativen Vorgang „Monolith“ - der Operativplan der Hauptabteilung .../2 vom 22.3.1976, BStU 221ff). Hinzu kommt, dass einzelne Mitglieder der über die Klägerin ausgespähten Gruppe durch anlassbezogene gezielte Befragungen durch den Staatssicherheitsdienst und strafrechtliche Maßnahmen gegen Einzelpersonen aus dem Umfeld der Gruppe systematisch und frühzeitig mit dem Ziel verunsichert wurden, eine weitere Festigung ihrer oppositionellen Einstellung zu vermeiden und dass die unter dem Operativen Vorgang „Atelier“ beobachteten Personen auch nach der Beendigung dieses Überwachungsvorgangs durch weitere Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes unter Kontrolle gehalten wurden (hierzu Schlussbericht, BStU AS. 353).
27 
Der Klägerin kam bei der Überwachung des Personenkreises um ... eine zentrale Bedeutung zu, wenn sie auch nicht die einzige Person war, die über diesen Kreis berichtete. Dies ergibt sich nicht nur aus dem retrospekiv im Februar 1977 verfassten „Auskunftsbericht“ des ehemaligen Führungsoffiziers der Klägerin „zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem IMV ...“, dem damaligen Ehemann der Klägerin (BStU AS. 234ff), nach dem dieser IMV Walter den Kontakt zu seiner geschiedenen Ehefrau „...“ und deren „politisch negativem Umgangskreis“ auf Weisung des Staatssicherheitsdienstes nach Jahren der Unterbrechung Mitte der 1970er Jahre wieder aufnahm und hier die Klägerin der Staatssicherheit als geeignete IMV zuführte, nachdem klar war, dass seine „operativen Einsatzmöglichkeiten“ aufgrund des ihm seitens der ... und ihrer Bekannten entgegengebrachten Misstrauens „periphär“ bleiben mussten. Vielmehr war die Klägerin spätestens seit Mitte des Jahres 1975 in einer Weise in die Überwachung des Personenkreises um ... eingebunden, nach der ihr die Eignung und Bestimmung ihrer Informationen zur Verhinderung und Unterdrückung einer als ernsthaft eingeschätzten Oppositionsbewegung nicht verborgen geblieben sein kann.
28 
Bei der Beurteilung der Art und des Maßes der Einbindung der Klägerin in die Überwachung des oppositionellen Personenkreises um ... durch die Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes im Bezirk Groß-Berlin geht die Kammer - entgegen der pauschalen Einwendung des Bevollmächtigten der Klägerin - davon aus, dass die relativ umfangreichen, letztlich aber auch erkennbar lückenhaft vorliegenden Berichte des Führungsoffiziers zu Treffen mit der Klägerin ebenso wie die maschinengeschriebenen Abschriften von Aussagen und Berichten der Klägerin und deren eigene handschriftliche Berichte auch inhaltlich der Wirklichkeit entsprechen. Hierfür spricht der erkennbare Zweck dieser Dokumente, verlässliche und umfassende Informationen über den jeweils ausgeforschten Sachverhalt und Personenkreis zu erlangen, die dann - vor allem im Verbund mit Informationen aus anderen Quellen - eine Entscheidungsgrundlage für ein weiteres möglichst effektives Vorgehen des Staatssicherheitsdienstes gegen eine als potentiell bedrohliche Bewegung aus dem Kreise der Jugend, der Künstler und der Intellektuellen zu haben. Auch ergeben sich aus den einzelnen Schriftstücken keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die dokumentierten Informationen der Klägerin mit dem Ziel dramatisiert worden wären, den gesamten Operativen Vorgang oder auch einzelne Maßnahmen innerhalb der Überwachung des hiermit erfassten Personenkreises besser rechtfertigen zu können. Vielmehr sind die der Klägerin über Treffberichte und eigene Aussagen zugeschriebenen Informationen für sich genommen vorwiegend auf objektive Umstände bezogen und lassen weder von Seiten der Klägerin noch von Seiten des dokumentierenden Führungsoffiziers einen besonderen wertenden Belastungseifer erkennen. Die auf der Grundlage der Informationen der Klägerin gewonnenen Erkenntnisse wurden im Gegenteil - wie etwa der Schlussbericht vom September 1977 (BStU AS. 347 ff.), aber auch die Unterbrechung und Ausdifferenzierung der Abhörmaßnahme im Atelier der Klägerin (vgl. insb. den Aktenvermerk vom 25.3.1976, BStU AS. 318 f) zeigen - von den Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes während des Operativen Vorgangs in ihrer Bedeutung durchaus auch wieder relativiert. Schließlich lag es nach der damaligen Sachlage auch fern, dass derartige Berichte und Informationen mit dem Ziel einer späteren Diskreditierung und übermäßigen Belastung der Klägerin angefertigt wurden.
29 
Im Einzelnen berichtete die Klägerin, die ihre Tätigkeit als Informantin des Staatssicherheitsdienstes unstreitig ohne besonderen Druck seitens der Sicherheitsdienste auf sie aufgenommen hatte, anlässlich ihrer Werbung als Inoffizieller Mitarbeiterin zunächst sehr allgemein über einzelne Personen aus dem Bekanntenkreis der ... und deren Beziehung untereinander (Treffbericht vom 21.8.1974, BStU AS. 4ff.). Die für die Folgezeit - ersichtlich unvollständig - dokumentierten Treffberichte etwa vom 9.9.1974 (BStU AS. 8 f), vom 21.10.1974 (BStU AS. 10 f.) und vom 3.12.1974 (BStU AS. 12 f) beinhalten dann spezifischere Informationen vor allem zu einzelnen Personen aus der Gruppe und deren Umfeld, zu Kontakten und Zusammenkünften mit anderen Personenkreisen etwa aus Potsdam und Weimar sowie aus dem Kreis der Veranstaltungsreihe „Eintopp“ im Haus der Jugend und zu dem Jugendclub „Baumschulenweg“. Seitens des Führungsoffiziers ist das Bestreben der Klägerin dokumentiert, über die Organisation eigener Bilderausstellungen „schneller Kontakte zu dem operativ interessanten Personenkreis zu finden“. Einzelinformationen der Klägerin, wie etwa zu dem Plan mehrerer Personen, den Dachboden eines spezifischen Hauses zu einer Kommune auszubauen, fanden unmittelbar Niederschlag in internen Operativen Informationen, die ihrerseits offensichtlich die Grundlage für eine weitere Überwachungsarbeit bilden sollten (BStU AS. 21).
30 
Erste Aussagen der Klägerin auch zum inhaltlichen Denken der Gruppe um ... sind dann in einer Abschrift von einer Tonbandaussage vom 3.2.1975 dokumentiert, in welcher die Klägerin über ein Treffen einiger Personen berichtet, welches im Anschluss an eine Kulturveranstaltung im „Eintopp“ in einer Privatwohnung und damit mit vertraulich-privatem Charakter stattgefunden hatte. Neben dem Plan, die Veranstaltungen im „Eintopp“ über einen Hörerbeirat zu steuern, in dem man selbst Einfluss haben soll, und der Idee, über ein Atelier einen eigenen Veranstaltungs- und Diskussionsraum zu installieren, berichtet die Klägerin vor allem über die politische Einstellung namentlich genannter Personen, die das damalige sozialistische System der DDR als „quasi kapitalistisch“ anprangern (BStU AS. 17 f.). Gerade diese Hinweise auf Treffen des Personenkreises in der Privatwohnung eines Gruppenmitglieds, die - wie sich aus dem Schlussbericht der Abteilung .../2 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin der Staatssicherheit vom November 1977 (BStU 347ff) ergibt - noch in weiteren, nicht dokumentierten Berichten der Klägerin enthalten sein müssen, waren der Auslöser für die Anlegung eines offiziellen Operativen Vorgangs zur Überwachung dieses Personenkreises (vgl. den „Vorschlag“ dieser Abteilung vom 11.03.1975 zum Anlegen eines Operativ-Vorgangs „Atelier“; BStU 65 ff). Dabei fand der Hinweis auf die Planung der Gruppe, sich über eine Atelierwohnung eines Gruppenmitglieds eine festen und geschützten Ort für eine Zusammenkunft zu schaffen, insoweit seinen Niederschlag in der Planung dieses Operativ-Vorgangs, als die Aufmerksamkeit der Gruppe bewusst und gezielt auf das Atelier der Klägerin gelenkt wurde, die sich zu diesem Zeitpunkt als freischaffende Künstlerin niedergelassen hatte. Entsprechend ist in der Operativen Planung des Vorgangs ausdrücklich festgehalten, dass die „halbhauptamtlich“ eingesetzte Klägerin auf die Auswahl des Ortes für die Zusammenkünfte der Gruppe Einfluss ausüben soll und dass ihre Einsatzmöglichkeiten dadurch verbessert werden, dass sie in ihrem Bestreben, eine freischaffende Tätigkeit im Verband bildender Künstler zu übernehmen unterstützt wird (Vorschlag, BStU AS 71; zum „halbhauptamtlichen Einsatz der Klägerin vgl. auch den Zwischenbericht der Abteilung ... zur VOA „Atelier“ vom 18.6.1975, BStU AS. 101 f).
31 
Nachdem die Klägerin in ihrer Information über eine Hörerbeiratssitzung in einer Privatwohnung am 17.6.1975 (BStU AS. 37 f) berichtet hatte, dass man einen geschützten Diskussionsraum suche und hierbei die Idee konkret auf ihr Atelier gelenkt worden war, wurde der bereits in der Operativen Planung des Operativ-Vorgangs „Atelier“ gefasste Beschluss des Staatssicherheitsdienstes umgesetzt, das Atelier der Klägerin und den darüber liegenden Dachboden über „operative Technik“ langfristig unter Kontrolle zu halten (Vorschlag, BStU AS. 72) . Diese Umsetzung erfolgte - entsprechend einem Aktenvermerk der Abteilung .../2 vom 2.7.1975 (BStU AS. 255) - am 3.7.1975, wobei die Abteilung ... es übernommen hatte, die Voraussetzungen für das Betreten der Räume zu schaffen und für ungestörte Arbeitsmöglichkeiten zu sorgen. Im Einklang mit diesem Termin ist in dem Treffbericht der Abteilung .../2 zu dem Treffen mit der Klägerin am 3.7.1975 (BStU AS. 40 f) ausdrücklich festgehalten, dass die Klägerin davon Kenntnis hat, „dass im Objekt „Atelier“ Technik installiert wurde“. Einzelheiten dazu und Ortskenntnisse fehlten dem IM jedoch. Da sich die Klägerin bis zum 28.7.1975 im Urlaub befand, sollte sie dafür sorgen, dass das Atelier während ihrer Abwesenheit nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt genutzt wird. Die Aufnahme der als „Maßnahme nach 26-B“ bezeichneten Abhöraktion der Räumlichkeiten mittels Mikrophon erfolgte dann schließlich mit der Eröffnung des Ateliers am 6.9.1975 (vgl. Treffbericht vom 4.9.1975, BStU 42 f).
32 
Unabhängig von der - der Klägerin entgegen ihrer Darstellung bekannten - Installation der Abhörtechnik und der damit ersichtlich intensivierten Ausforschung des Personenkreises um die oppositionelle Künstlerin ... durch die Staatssicherheit lieferte die Klägerin mindestens seit April vermehrt auch Informationen über die Gruppe oder deren Mitglieder, die nicht nur eine sachlich operative, sondern auch eine diskreditierende oder gar strafrechtliche Relevanz haben konnten:
33 
So ist in einer Operativen Information der Abteilung .../2 vom 28.4.1975 (BStU AS. 85f) festgehalten, dass die Klägerin „entsprechend der gegebenen Aufgabenstellung“ das Bild eines sich in Untersuchungshaft befindlichen Künstlers „Mensch in der Kiste“ in einer Wohnung eines Dritten ausfindig gemacht werden konnte, wo es versteckt worden war. Auch wurde die Klägerin damit beauftragt, die „eventuell provokatorischen oder staatsfeindlichen“ Fotoarbeiten zu überwachen, die ein Mitglied der Gruppe mit der in ihrem Atelier befindlichen Ausrüstung Ende April 1975 durchführen wollte.
34 
Bei einem - mit Treffbericht vom 19.6.1975 dokumentierten - Treffen der Klägerin mit dem Führungsoffizier der Staatssicherheit berichtete diese dann unter anderem über eine Aktion einzelner Gruppenmitglieder, bei der ein lebendiges und besonders geschmücktes Schwein mit dem Namen „Erich“ unter Anfertigung von einigen Fotos an Bewohner einer Wohnung am Leninplatz verschenkt worden war, die als mutmaßliche „Bonzen“ eingeschätzt worden waren (BStU AS. 28 sowie die Abschrift einer mit „...“ unterzeichneten Information vom 20.6.1975, BStU AS. 30). Diese Aktion, die nochmals zum Gegenstand einer offiziellen Vernehmung der Klägerin und weiterer Ermittlungen durch die Volkspolizei gemacht worden war (BStU AS. 130 ff.), wurden nach entsprechender Bewertung durch die zuständige Abteilung IX der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes - entgegen erster Wertungen - letztlich nicht als nach den §§ 106 und 220 StGB der DDR strafbare „Staatsfeindliche Hetze“ oder „Staatsverleumdung“ bewertet, da ein gewollter Zusammenhang zwischen dem Namen des Schweins und dem des Ersten Sekretärs des ZK der SED nicht zu beweisen sei, wenn man die Klägerin nicht dekonspirieren wolle. Im Ergebnis wurde angeregt, auf der Grundlage der Zeugenaussage nur der Bewohnerin der Wohnung, der das Schwein übergeben worden war, den Vorfall allein als Ordnungswidrigkeit der „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“ zu ahnden (BStU AS. 148).
35 
Über diesen Vorfall mit dem Schwein hinaus berichtet die Klägerin bei dem Treffen am 18.6.1975 sowohl über ein internes Treffen des Hörerbeirats zu der Veranstaltungsreihe „Eintopp“ am 17.6.1975 als auch über ein Treffen der Gruppe am 13. bis 15.6.1975 in Hohenneuendorf, wobei beide Berichte ebenso wie die Information zu der Aktion mit dem Schwein seitens des Führungsoffiziers und seines Vorgesetzten als „wertvolle Information“ eingeschätzt wurde, die zum Teil auch Ausgangspunkt für strafrechtliche Maßnahmen sein könnten (BStU AS. 28 f). Tatsächlich enthält dann etwa die im Einzelnen wiedergegebene Information der Klägerin zu dem Wochenende in Hohenneudorf neben der Schilderung einer Diskussion zu dem Auftrittsverbot einer anwesenden Künstlerin vor allem den Inhalt verschiedener Lieder, die ein anderer namentlich benannter Künstler vorgestellt hatte und in denen er die kapitalistischen Strukturen in den Betrieben kritisierte. Dabei stellte die Klägerin unter ausdrücklichem Hinweis auf konkrete Textzeilen („Verjagt die rote Nazibrut“) die „Abneigung des Sängers gegen den Sozialismus“ heraus, der demnächst öffentlich im „Kramladen“ auftreten wolle. Die Information der Klägerin über das Treffen des Hörerbeirats des „Eintopp“ (BStU AS. 97 ff) betraf die Konflikte mit der Leitung des Hauses der Jungen Talente um die Mitbestimmung zum Veranstaltungsprofil der Vortragsreihe und vor allem die Urheberschaft und den Inhalt einer - kritisch-ironisch verfassten - Grußadresse des Publikums des „Eintopp“ an die Kulturkonferenz der FDJ.
36 
Weitere Berichte der Klägerin, die von ihrem Führungsoffizier als „zuverlässig und ehrlich“ bewertet wurde und bei der die Kammer aufgrund der für die Monate Juni, Juli, September, November und Januar 1975 dokumentierten Zuwendungen davon ausgeht, dass sie jedenfalls seit Juni 1975 ungeachtet anderweitig erstatteter Spesen und Sonderzuwendungen für ihre Tätigkeit als IMV bis mindestens zum Januar 1976 monatlich 300 Mark erhalten hatte, betrafen dann im September und Oktober 1975 vor allem einzelne Personen und generelle Planungen der Gruppe etwa zur Herstellung von „interessanten Plakaten“ für Kundgebungen und Demonstrationen oder zu einer Protestaktion vor der Spanischen Botschaft am 29.9.1975 (Treffberichte vom 10.9.1975 BStU AS. 44 f; vom 17.9.1975, BStU AS. 46 f; vom 1.10.1975, BStU AS. 48 f und vom 22.10.1975, BStU AS. 54). Hierbei ist in einer persönlichen Information der Klägerin über die - anlässlich der Eröffnungsfeier ihres Ateliers - am 6.9.1975 sowie an weiteren Tagen geführten Gespräche (BStU AS. 19 ff) ebenso wie in einer Operativen Information der Abteilung .../2 vom 10.9.1975 über die „Party im Atelier“ der Klägerin am 6.9.1975 festgehalten, wie ein Mitglied der überwachten Gruppe ein Gespräch mit der Klägerin geführt hatte, in dem es um ihre Einstellung zum Sozialismus und zur bestehenden Bürokratie gegangen sei. Hierbei schilderte die Klägerin ausdrücklich die Auffassungen dieser Person, dass man die „Bürokratie“ an deren Spitze Honecker und Breschnew stünden, als Konterrevolutionär mit eigenen Mitteln schlagen müsse. In der Parteiversammlung seien alle Gauner und Verräter. Auch Erich und Beschnew seien Verräter. Zu einem späteren Treffen am 14.9.1975 berichtete die Klägerin über den Besitz dieser Person einer KPdSU-Ausgabe von 1945 und des 1936 von Trotzki verfassten Werkes „Die verratene Revolution“, welches er mit dem Umschlage eines Buches zur „Wanderfahrt nach alter Handwerkskunst“ getarnt in seinem Bücherregal versteckt habe. Ähnlich betraf eine weitere am 9.12.1975 angefertigte „Information“ der Klägerin die politische Einstellung verschiedener namentlich benannter Personen, die zum Teil an bestimmender Stelle der überwachten Gruppe aktiv waren und zwischen denen ein persönlicher Streit eskaliert sei. Hierbei werden Äußerungen der Personen wiedergegeben wie: “Hier ist alles Mist. Am besten man haut hier ab. Ist sowieso nichts zu erreichen“ oder, „Ich bin stolz als „Staatsfeind“ bezeichnet zu werden. … ist ein revolutionärer Spinner. Will Geschichte machen“.
37 
Ebenfalls auf eine Einzelperson und deren politische Ansichten und Verbindungen bezogen ist die detaillierte Information der Klägerin über den ihr - unter der Bitte um Geheimhaltung auch gegenüber anderen Mitgliedern der Gruppe „Atelier“ - anvertrauten Plan eines Gruppenmitglieds, mit einer ab Februar 1976 an der Humboldt-Universität tätigen französischen Gastwissenschaftlerin (Frau ...) zusammenarbeiten zu können, deren Aufenthalt bei Bekanntwerden ihrer Verbindung zu der Gruppe jedoch gefährdet sei (Treffbericht vom 11.11.1975, BStU AS. 58). Auf entsprechende Aufträge hin (vgl. etwa den Treffbericht vom 17.02.1976, BStU 66), übermittelte die Klägerin ihrem Führungsoffizier auch Fotographien von Bildern, die andere Künstler angefertigt und etwa im „Atelier“ ausgestellt hatten (vgl. etwa Treffbericht vom 10.2.1976, BStU AS. 70), Kopien von Schriftstücken einzelner Personen (Treffbericht vom 10.2.1976, BStU AS. 70) oder auch Telefonnummern und andere Details zu einzelnen Personen (vgl. etwa Treffbericht vom 23.02.1976, BStU AS. 64: Telefonnummer der Reinigungskraft und die Information der Klägerin vom 9.12.1975 BStU. AS. 72: Telefonnummern und verschiedene Namen). Sehr genaue Angaben der Klägerin sind auch in dem Treffbericht vom 15.4.1976 (BStU 88) dokumentiert, etwa zu dem Besitz einer konkret benannten Person zu Ausschnitten aus Westzeitungen inkl. Interview mit Biermann, welche in seiner Wohnung in die Bücher „Spur der Steine“ und „Clara Zetkin“ eingelegt seien. Nachdem die Klägerin bei einem Treffen mit dem Vorgesetzten Führungsoffizier am 24.11.1976 von einer Auseinandersetzung mit einem bei ihnen wohnenden Mitglied des Personenkreises „Atelier“ und über dessen „innerste Empörung“ über die Ausbürgerung eines Dritten sowie dessen „seit Jahren verfestigte negative politische Einstellung“ und der „mitunter gegebenen Neigung zu entschlossenem Handeln“ berichtet hatte (hierzu Treffbericht vom 24.11.1976 BStU AS. 114 f und „Information der Quelle „...“ vom 25.11.1976, BStU AS. 116), wurde der Klägerin nicht nur eine sehr gute Einsatzbereitschaft attestiert, sondern es wurde ihr auch - und dies zeigt die Brisanz dieser Informationen - der Auftrag erteilt, ein „Wäschestück zu beschaffen“ und „als Geruchskonserve zu sichern“. Zudem sagte die Klägerin offensichtlich zu, aus den in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen eine „Vergleichsschrift“ dieser Person zu besorgen. Schließlich befinden sich in den vorliegenden Unterlagen auch Angaben der Klägerin zu persönlichen Umständen einzelner Personen, die vor allen Dingen deren intimes Privatleben betrafen und die ausweislich der Randnotizen zu diesen Angaben als Grundlage für „Differenzierungen“ genutzt werden sollten. So enthält etwa die Abschrift einer Aussage der Klägerin vom 19.6.1975 zu einem Treffen mit einer weiteren Person die hierbei erhaltenen Informationen, dass eine namentlich genannte dritte Frau froh sei, dass ihr sie schlagender und betrügender Partner im Gefängnis sei, dass die Informantin deren Verhalten jedoch „garstig“ finde. Zu einer weiteren Person berichtet sie, dass sich die namentlich bezeichnete Frau eines ebenfalls genannten Mannes, der zum Militärdienst eingezogen sei, von diesem getrennt habe, worunter der Mann sehr leide. Schließlich wird noch die Ehe zweier „sehr kirchlich gebundener“ Personen als „Scheinehe“ bezeichnet, die nur wegen der Kinder aufrecht erhalten werde, wobei die Ehefrau „unnahbar, kalt“ und unehrlich beschrieben wurde (BStU AS. 88 f).
38 
Weitere Berichte der Klägerin betrafen verschiedene Treffen verschiedener Personen in Prag (Treffberichte vom 5.11.1975 BStU 56 f und vom 11.11.1975, BStU AS. 58 f sowie die „Information“ der Klägerin „über das Wochenende 14. - 16.11.1975 in Prag“, BStU AS. 59 und „über die 2. Pragreise“, BStU AS. 69 ff). Dabei wurde über den Führungsoffizier der Klägerin eine Dokumentation der erste Reise durch die entsprechenden Abteilungen des Staatssicherheitsdienstes veranlasst, nachdem die Klägerin auf deren Planung hingewiesen hatte (Treffbericht vom 5.11.1975, BStU AS 56 f). Zudem übergab die Klägerin, die mit Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes an der Reise teilnahm - ausweislich des Treffberichts vom 11.11.1975 (BStU AS. 58) - die „Abschrift eines Notizbuches (Kalender von 1975), welches sie von einem Reisebegleiter während des Prag-Aufenthalts zeitweilig zur Aufbewahrung erhalten“ habe. Zu einer unmittelbar folgenden zweiten Reise nach Prag berichtete die Klägerin über einen Kontakt zu einem in Prag wohnenden Juden, der wegen Arbeitsbummelei und Beamtenbeleidigung für mehrere Jahre inhaftiert war, sich politisch verfolgt fühlte und über die Pläne eines Gruppenmitglieds, gegebenenfalls über eine Ausreise in den Westen oppositionell zu arbeiten. Zu einer weiteren Pragreise im Dezember berichtete die Klägerin dann - vom Hörensagen - von Plänen eines Gruppenmitglieds, zwischen Weihnachten und Neujahr illegal über die CSSR mit den Kindern in den Westen zu fliehen. In einem weiteren Bericht vom 16.1.1976 ging es dann um eine Pragfahrt, bei der sich einige Personen mit einer Verbindungsperson aus Westberlin getroffen haben sollen (BStU AS. 83).
39 
Welche Bedeutung die Abteilung ... der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes den Informationen und der Stellung der Klägerin im Zusammenhang mit dem Operativen Vorgang „Atelier“ beigemessen hat, wird daran deutlich, dass der Staatssicherheitsdienst den Wunsch einer engen Freundin der im Zentrum des überwachten Personenkreises stehenden ... zu einer Übersiedlung in den Westen gemeinsam mit ihren Kindern und die hierbei bestehende Schwierigkeit des fehlenden Einverständnisses des Kindesvaters aufwändig dazu nutzte, die Stellung der Klägerin innerhalb des überwachten Personenkreises zu stärken. Im Einzelnen war hier zunächst die Information der Klägerin zu einer Pragreise verschiedener Personen aufgenommen worden, nach der diese Freundin mit ihren Kindern entweder in den Westen fliehen oder aber wenigstens einen Antrag auf legale Übersiedlung stellen wolle. Dabei hatte die Klägerin darüber berichtet, dass ein Teil der über den Operativen Vorgang „Atelier“ erfassten Gruppe dieses Ausreisebegehren nicht nur aus persönlichen Gründen unterstütze, sondern auch auf eine Stärkung der Westkontakte hoffe (Information der Klägerin über die Pragreise vom 14. bis 16.11.1975, BStU AS. 59 f, sowie über die 2. Pragreise vom 10.12.1975; BStU AS. 69). Nachdem die für die Überwachung der Gruppe zuständige Abteilung .../2 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin des Staatssicherheitsdienstes die Klägerin dazu angehalten hatte, „die legale Übersiedlung nach Westberlin zu beantragen“ (vgl. hierzu den Treffbericht vom 26.01.1976, BStU AS. 62 f sowie den Treffbericht vom 2.2.1976, BStU AS. 74 f), wurde die weitere Information der Klägerin, dass der Kindesvater, der gleichzeitig der Lebensgefährte der Klägerin war, einer Übersiedlung auch der Kinder nicht zustimmen wolle, ebenso wie die Kenntnis von der kontroversen Diskussion der Gruppe zu dieser Übersiedlung (vgl. hierzu den Situationsbericht der Abteilung .../2 zum Personenkreis „Atelier“ vom 18.5.1976 (BStU AS. 92) zum Anlass genommen, die Übersiedlung der Freundin der ... mit ihren Kindern in einer Weise zu stützen, die „besonders die Position“ der Klägerin „im Personenkreis „Atelier“ festige“ (hierzu insbes. der Vermerk der Abteilung .../2 vom 7.5.1976, BStU AS 135 sowie der Auskunftsbericht dieser Abteilung vom 20.5.1976 zu dem - befürworteten - Ausreisegesuch, BStU AS 5 ff). Jedenfalls wurde in einer detaillierten Regieanweisung“ für den 5.5.1976 festgelegt, dass der ebenfalls als IMV instruierte Lebensgefährte der Klägerin gegenüber seiner ehemaligen Frau seinen Widerstand gegen die Übersiedlung auch der Kinder bekräftigen solle, da er anderenfalls Schwierigkeiten an seiner Arbeitsstelle befürchte. Die Klägerin solle dann bei einem späteren Besuch die Kindesmutter in der Frage der Übersiedlung mit den Kindern bestärken und hierbei versprechen, ihren Lebensgefährten entsprechend zu beeinflussen. In diesem Konflikt solle dann - die von den Gruppenmitgliedern als konsequent geforderte - Trennung der Beziehung der Klägerin zu ihrem Lebensgefährten vorgetäuscht werden, die dann nach mehreren Nächten des Aufenthalts der Klägerin außerhalb ihrer Wohnung bei der Kindesmutter dazu führen solle, dass der instruierte Kindesvater letztlich doch der Ausreise der Kinder zustimme. Zu diesem Vorgang geht die Kammer davon aus, dass er entsprechend der Anweisung der Abteilung .../2 auch tatsächlich durchgeführt worden ist. Zwar finden sich in den vorliegenden Unterlagen keine „Vollzugsberichte“, doch enthält der Auskunftsbericht der Abteilung .../2 vom 20.5.1976 zum Übersiedlungsantrag der Kindesmutter den Hinweis, dass die Klägerin - unterstützt durch ihren Lebensgefährten - fester in den Personenkreis „Atelier“ integriert wird, alle Handlungen der Kindesmutter kontrolliert und gegenwärtig die Voraussetzungen schafft, dass das Vertrauensverhältnis zu ihr auch nach der Übersiedlung fortbestehe. Die diesen gewichtigen Indizien für einen Erfolg der Inszenierung von der Klägerin entgegengestellte Behauptung, sie könne sich an eine derartige Aktion im Zusammenhang mit der Ausreise der damaligen Freundin nicht erinnern, sodass von deren Nichtumsetzung auszugehen sei, können die Überzeugungsbildung der Kammer bereits aufgrund des auch sonst pauschalen Bestreitens von Vorwürfen mit der fehlenden Erinnerung nicht erschüttern.
40 
Auch wenn die Kammer - mit der Klägerin und der Einschätzung etwa der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in deren Stellungnahme vom 15.12.2011 - nicht sicher bestimmen kann, ob und inwieweit die im Einzelnen von der Klägerin gelieferten Informationen tatsächlich als Grundlage für konkrete strafrechtliche Sanktionen oder gezielte Diskreditierungen gegenüber einzelnen Personen gedient haben, so lässt sich doch an einzelnen Beiträgen der Klägerin exemplarisch ablesen, dass diese in Bezug auf konkrete Maßnahmen jedenfalls im Verein mit anderen Informationen wirksam geworden sind. So wurde etwa über die Klägerin bekannt, dass einige der zentralen Personen des überwachten Personenkreises in die Wohnung der Eltern eines Mitglieds dieses Kreises ziehen, die sich für drei Jahre als Auslandskorrespondenten in Schweden befänden (Treffbericht vom 4.9.1975). Die in dieser Wohnung in der Alexanderstraße gebildete Wohngemeinschaft stand in der Folgezeit in besonderem Interesse der Abteilung .../2 des Staatssicherheitsdienstes Groß-Berlin, da man hier davon ausging, dass sich „dieses Objekt zum Hauptsitz der Gruppe herausbilden“ werde, die über ihren jeweils „recht großen Bekanntenkreis“ mit in der Regel ähnlichen politischen Anschauungen bemüht sei, „potentielle Gegner der politischen Verhältnisse in der DDR zu vereinen“ (3. Sachstandsbericht der Abt. .../2 vom 3.9.1975 zum Operativen Vorgang „Atelier“, BStU AS. 1 und 8). Dementsprechend oblag es der Klägerin, neben Details wie etwa der Telefonnummer der dort wöchentlich tätigen Putzfrau (vgl. Treffbericht vom 23.02.1976, BStU AS. 64), vor allem zu den dort wohnhaften Personen, von denen eine jedenfalls vorübergehend auch in intimer Beziehung zu ihr stand, und deren Denken und Handeln zu berichten. So stammte die Erkenntnis des Staatssicherheitsdienstes, dass „der Stützpunkt der Gruppe, die Wohnung in der Alexanderstraße … durch die Personen aus dem Kreis „Atelier“ ständig besetzt gehalten (wird) und dass man dann, wenn alle Bewohner der Wohnung an Veranstaltungen teilnähmen, dafür Sorge trage, dass die Kinder einer namentlich genannten Person oder andere vertrauenswürdige Personen die Räume besetzten, „um belastendes Material zu sichern“, von der Klägerin (vgl. den Bericht der Abt. .../2 BStU AS. 243: dort Berufung auf Treffbericht vom 3.3.1976 sowie die Operative Information dieser Abteilung vom 3.3.1976 zur „gegenwärtigen Situation in der Wohngemeinschaft Berlin, Alexanderstraße“, BStU AS. 134). Diese Informationen erlangten dann für den Plan des Staatssicherheitsdienstes, die Wohnung in der Alexanderstraße konspirativ zu durchsuchen, unmittelbare strategische Relevanz (Auftrag der Abteilung ... für eine konspirative Wohnungsdurchsuchung vom 30.3.1976, BStU AS. 136 ff).
41 
Ergibt sich aus dem Maß der hier dargelegten Einbindung der Klägerin in die - aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Staatssicherheitsdienstes der DDR - wichtige Überwachung und Beeinflussung einer damals als ernsthafte Bedrohung eingeschätzten Gruppe von Oppositionellen ein hinreichend „erhebliches Vorschubleisten“ der Klägerin zugunsten des Unrechtsgehalts des Systems der DDR, so kann dahin gestellt bleiben, ob und inwieweit die Klägerin sich - wie sie ausführt - nach der Auflösung der Gruppe unverzüglich und offen selbst gegenüber den ehemaligen Gruppenmitgliedern als Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit und gegebenenfalls über die ihr bekannten Ausspähmaßnahmen offenbart hat. Denn diese Maßnahme dürfte - hier zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt -, den Wert der von der Klägerin erbrachten Unterstützungs- und Informationsleistungen für den Staatssicherheitsdienst der DDR nicht mehr in Frage gestellt haben, nachdem die Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen hinsichtlich des überwachten Personenkreises zuvor und - aus der Sicht des Staatssicherheitsdienstes - erfolgreich abgeschlossen worden waren. Unabhängig davon hegt die Kammer aber auch Zweifel daran, dass sich die Klägerin in den Jahren nach der Beendigung des Operativen Vorgangs „Atelier“ gegenüber den ehemaligen Umgangskreisen in vollem Umfang freiwillig selbst offenbart hat. Diese Zweifel rühren aus dem Vermerk in einem Bericht der Kreisdirektion des Staatssicherheitsdienstes Wittstock vom 23.9.1977, nach dem der damalige Ehemann der Klägerin, der weiterhin als IMV geführt wurde, darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin auf ihre Tätigkeit für das MfS angesprochen worden sei und die „Dekonspiration ...“ in den ehemaligen Umgangskreisen bekannt sei, was den „Berliner Genossen“ mitgeteilt werden solle. Hinzu kommt, dass die Klägerin beim Ministerium für Staatssicherheit noch mindestens bis Mitte 1978 als Inoffizielle Mitarbeiterin zur Sicherung der Konspiration ihres damaligen Ehemanns eingesetzt war, was jedenfalls nahelegt, dass die Klägerin bei der Offenbarung ihrer Tätigkeit als IMV nicht gegen Geheimhaltungsregelungen des Staatssicherheitsdienstes verstoßen hat.
42 
bb. Unabhängig von dem Ausschlussgrund des „erheblichen Vorschubleistens“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG hat die Klägerin durch das hier dargelegte Verhalten als Inoffizielle Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes auch gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen und damit den Ausschlussgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG erfüllt.
43 
Der Ausschlussgrund des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit wird über die Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit begründet, wenn der Betreffende hierbei in erheblicher Weise gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßen hat. Dies ist etwa dann der Fall, wenn er freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt und unter Inkaufnahme einer Drittschädigung an den auch in der DDR für seine repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat. Notwendig sind erhebliche, gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Es genügt, dass sich der Einzelne als Denunziant oder Spitzel freiwillig betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. Eine Spitzeltätigkeit für die Stasi unter Inkaufnahme einer Drittschädigung begründet im Regelfall einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Insoweit reicht es aus, dass die gelieferten Informationen geeignet waren, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. Ein weitergehender Nachweis, dass es zu einer Schädigung tatsächlich gekommen ist, ist nicht erforderlich, da das MfS durch Berichte eines Inoffiziellen Mitarbeiters in die Lage versetzt wird, sogar belanglose und unverfängliche Informationen zu nutzen, diese mit anderen Erkenntnissen zu verknüpfen und mit anderen ihm bekannten Sachverhalten zu bewerten und ein IM keinen Einfluss darauf hatte, ob und in welcher Weise die dem Ministerium zugetragenen Informationen verwertet wurden (BVerwG, Urt. v. 19.01.2006 - 3 C 11/05 –, Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2 unter Berufung auf Urt. v. 08.03.2002 - 3 C 23.01 -, BVerwGE 116, 100; dagegen für die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, weil hiergegen nur ein Staat verstoßen kann: VG Würzburg, U. v. 15.07.2002 - W 8 K 02.122 - juris -).
44 
Nach der vorstehend wiedergegebenen Tätigkeit der Klägerin für den Staatssicherheitsdienst der DDR im Rahmen des Operativen Vorgangs „Atelier“ ist die Kammer der Überzeugung, dass sie gezielt in die Privatsphäre anderer Mitglieder der überwachten Personengruppe eingedrungen ist und unter Missbrauch eines ihr entgegengebrachten persönlichen Vertrauens Informationen gesammelt und an den Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat, die geeignet gewesen waren, für die Bespitzelten eine beachtliche Gefahrenlage zu schaffen.
45 
Dabei lässt die Kammer dahinstehen, inwieweit etwa die Informationen der Klägerin zu den Planungen einzelner Mitglieder der überwachten Gruppe zur politisch-inhaltlichen Einflussnahme auf Veranstaltungsreihen wie den „Eintopp“ oder den „Kramladen“ oder über im Rahmen einzelner Gespräche und Diskussionen geäußerte politische Ansichten zur bürokratischen Erstarrung und quasikapitalistischen Überformung des Sozialismus in der DDR für sich geeignet waren, die betreffenden Personen einer beachtlichen Gefahrenlage auszusetzen und damit den Tatbestand des Ausschlussgrundes nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG zu erfüllen. Mangels näherer Kenntnis über den konkreten Inhalt der erlangten Informationen lässt die Kammer zugunsten der Klägerin auch den Umstand außer Acht, dass die Klägerin anlässlich einer Pragreise das in Kalenderform vorliegende Notizbuch eines Reisepartners, welches ihr dieser vorübergehend anvertraut hatte, kopiert und als Abschrift an den Staatssicherheitsdienst übergeben hatte. Denn jedenfalls muss sich die Klägerin vorwerfen lassen, dass sie ein verstecktes Bild eines in Untersuchungshaft einsitzenden Künstlers ausfindig gemacht, Fotos von Bildern eines in ihrem Atelier ausstellenden Künstlers angefertigt und an den Staatssicherheitsdienst übergeben, den Besitz und Aufbewahrungsort eines verbotenen Werkes von Trotzki und von Ausschnitten aus ebenfalls verbotenen Westzeitungen mit Interviews von Wolf Biermann sowie sehr konkrete Mitteilungen über staatsfeindliche Liedtexte oder Einstellungen einzelner Personen gemacht hat, wovon etwa die im Treffbericht vom 24.11.1976 (BStU AS. 114 f) festgehaltene Information über die „innerste Empörung“ und die „verfestigte negative politische Einstellung“ einer konkret bezeichneten Person den Auftrag seitens des Führungsoffiziers des Staatssicherheitsdienstes nach sich zog, eine Vergleichsschrift und eine „Geruchsprobe“ von dieser Person zu sichern. Von potentiell erheblicher strafrechtlicher Relevanz für die betroffenen Personen waren auch die ausführlichen Angaben der Klägerin zu dem Vorfall mit dem Schwein „Erich“ in der Wohnung eines mutmaßlichen „Bonzen“ am Leninplatz sowie die wiederholten Hinweise der Pläne einer dritten, namentlich benannten Person zu einer entweder legalen oder auch illegalen Ausreise und die hierbei von den Gruppenmitgliedern gewährte Unterstützung.
46 
Zumindest mittelbar hat die Klägerin erhebliche Gefahrenlagen für die Mitglieder der überwachten Gruppe auch dadurch geschaffen, dass sie Treffen und Ausstellungen in ihrem Atelier veranlasst oder geduldet hat, obwohl sie - entgegen der anderweitigen Einlassung ihres Bevollmächtigten - wusste, dass diese Räume akustisch überwacht werden. Insofern muss sich die Klägerin die eindeutige Notiz in dem Treffbericht vom 3.7.1975 (BStU AS. 40f) zu ihrer Kenntnis von der „installierten Technik“ entgegen halten lassen. Dem von ihr in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwand, dass die Klägerin bei Kenntnis von der Installation der Abhörtechnik nicht über die Treffen im Atelier hätte berichten müssen und dem Staatssicherheitsdienst die Möglichkeit genommen worden wäre, die Wahrheit ihrer Berichte und damit ihre Ehrlichkeit zu kontrollieren, steht entgegen, dass die Klägerin tatsächlich nicht über den Inhalt der Treffen im Atelier berichtet hat, sondern - auftragsgemäß - nur über die Termine geplanter Veranstaltungen in den Atelierräumen.
47 
b. War die der Klägerin von der Beklagten am 07.11.1986 erteilte Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG von Anfang an rechtswidrig, weil - nach dem Vorstehenden - die Ausschlussgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 HHG vorlagen, hat die Beklagte zu Recht angenommen, dass die der Klägerin erteilte Bescheinigung als unmittelbare Voraussetzung für die tatsächlich erfolgte Gewährung einzelner Geldleistungen an die Klägerin in Form der Eingliederungshilfe nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 LVwVfG zurückgenommen werden kann (vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. v. 24.05.2012 - 5 C 18.11 -, BayVBl. 2013, 442, 444), dass das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Bescheinigung nicht schutzwürdig ist und damit auch einer Rücknahme nicht entgegensteht, weil die Klägerin den rechtswidrigen Bescheid durch Angaben erwirkt hatte, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG).
48 
Die Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG an die Klägerin beruhte ohne weiteres darauf, dass die Klägerin bei ihrer Antragstellung - unstreitig - keine Angaben zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in den Jahren seit 1974 gemacht hatte. Hierzu wäre sie jedoch unter Berücksichtigung der ihr erkennbaren allgemeinen Mitwirkungspflicht nach § 26 Abs. 2 LVwVfG verpflichtet gewesen, zumal ihr die Bedeutung der entsprechenden Angaben nach den Gesamtumständen der Antragstellung auch bewusst war oder hätte sein müssen (zur Erwirkung eines Verwaltungsakts durch Verschweigen erheblicher Umstände vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. .v. 10.10.2007 – 13 S 2215/07 –, NVwZ-RR 2008, 139; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 48, Rn. 116 f).
49 
Zwar wurde die Klägerin bei ihrer Antragstellung am 5.8.1986 weder mündlich noch schriftlich nach einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR befragt, doch liegt hierin kein so wesentlicher Mangel im Antragsformular, dass die Klägerin deshalb von der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dieser Umstände für ihren Antrag auf Bewilligung einer Entschädigung für die vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik in der DDR erlittene Haft ausgehen konnte (zur Folge fehlerhafter oder unklarer Antragsformulare vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 118 ). Denn die Klägerin war in einem Vordruck zu einer Erklärung zu ihrem Entschädigungsantrag ausdrücklich und unter Wiedergabe des Wortlauts auf die gesetzlichen Ausschlussgründe des § 2 Abs. 1 Nr 1 und 2 HHG hingewiesen worden, so dass sie unmittelbar Veranlassung gehabt hätte, ihre Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst zu offenbaren und sich dessen zu versichern, dass ihre (auf eigener fehlerhafter Subsumtion beruhende) Versicherung dazu, dass sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen habe, auch tatsächlich zutrifft. Denn auch wenn die Klägerin für sich in Anspruch nimmt, unmittelbar nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland mit den Erwartungen der Verwaltung noch nicht hinreichend vertraut gewesen zu sein, so hatte sie zumindest in ihrer allgemeinen persönlichen Wertung das Bewusstsein davon, dass ein intensives Ausforschen von Personen aus ihrem persönlichen Umkreis durch den Staatssicherheitsdienst der DDR, wie sie es in den Jahren zwischen 1974 und 1976 aktiv ermöglicht und unterstützt hatte, mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit unvereinbar war. Denn immerhin hatte die Klägerin bei der - im Vertriebenenausweisverfahren abgegebenen - Begründung ihrer Aussiedlung aus der DDR vom 3.8.1986 ausführlich dargelegt, dass sie begriffen habe, dass „die SED das gesamte politische Leben in der DDR beherrscht, … dass es keine Anerkennung der Würde und politische Freiheit der Menschen gibt“ und dass sie „die DDR als totalitären Staat (sieht), in dem der Staatssicherheitsdienst pol. Gegner bespitzelt und verfolgt - Berufsverbote erteilt“ Es gebe keine wirkliche Toleranz und Freiheit. Ihr sei der Preis für das bequeme Mitmachen in dem Regime zu hoch gewesen; mit „dieser Schuld habe (sie) nicht leben wollen.“ Hinzukommt, dass es einem unbefangenen Antragsteller bewusst sein muss, dass die Entscheidungserheblichkeit ihrer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit im Zusammenhang mit der Frage nach dem Nichtbestehen der bezeichneten Ausschlussgründe nicht einfach der eigenen inneren Subsumtion ihres Verhaltens unter einen - wie sie selbst vorbringt - ihr unklaren Rechtsbegriff überlassen sein kann. Dies gilt umso mehr, als sie mit ihrer Unterschriftsleistung auch versichert hat, dass alle ihre Angaben richtig und vollständig seien und ihr bekannt sei, dass bewusst unrichtige Angaben zur Rückerstattung erhaltener finanzieller Leistungen führen (a.A. VG Berlin, Urt. v. 03.09.2008 - 9 A 2.08 -, juris; VG Würzburg, Urt. v. 15.07.2002 - W 8 K 02.122 - juris, Nr. 33).
50 
Schließlich ist auch die Frist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zur Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG eingehalten. Denn die hier maßgebliche Kenntnis der Behörde von den Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 154 m. w. N.), war mit der Übersendung der die Klägerin betreffenden vollständigen Unterlagen des BStU im Widerspruchsverfahren Mitte Dezember 2011 und der hierzu erfolgten Anhörung des Kläger-Bevollmächtigten Ende April 2012 gegeben, während die mit Bescheid vom 18.10.2010 erfolgte Rücknahmeentscheidung der Beklagten mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 26.06.2012 erfolgt war.
51 
2. Lagen damit die Tatbestandvoraussetzungen für eine Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ohne die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines Vertrauensschutzes des Inhabers vor, so ist die Rücknahme dieser Bescheinigung auch unter Ermessensgesichtspunkten nach § 114 Satz 1 VwGO nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und dieses ohne Rechtsverstoß ausgeübt. Aufgrund des Erwirkens der Bescheinigung durch falsche Angaben der Klägerin war die Rücknahme der Bescheinigung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG intendiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.05.1996 - 3C 13/94 - Buchholz 451.513 -; sowie BVerwG, Beschl. v. 20.03.1990 - 9 C 12/89 - NVwZ 1990, 1066-1069).
52 
Außergewöhnliche Umstände, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen ließen, sind nicht gegeben. Sie liegen insbesondere nicht in dem Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin, dass die ihr selbst während der Haft zugefügten Leiden unvergleichlich schwerer wögen, als die möglichen Folgen ihres eigenen Tuns. Denn eine derartige Abwägung sieht zumindest der über § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG verwirklichte Ausschlussgrund der Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit grundsätzlich nicht vor. Eine Aufrechnung der schwerwiegenden Verfehlungen der Klägerin mit dem später selbst erlittenen Unrecht findet nicht statt (BVerwG, Urt. v. 19.01.2006, a.a.O.; OVG Berlin, Urt. v. 01.12.2004 - 6 B 1.04 -, juris Rn. 49).
53 
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin begründet es auch keine atypischen Umstände im Sinne des § 48 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, dass sowohl die Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung als auch die vorherige Verwirklichung der Ausschlussgründe weit in der Vergangenheit liegen. Denn dies ist für den Regelungsbereich des Häftlingshilfegesetzes geradezu typisch. Der Hinweis auf die Verjährung strafrechtlicher Vorwürfe verfängt nicht, da es im Fall der Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung nicht um den Vorwurf eines schuldhaft strafbaren Verhaltens geht, sondern darum ob eine Person, die die Ausschlussgründe verwirklich hat, eine unter falschen Voraussetzungen gewährte staatliche Leistung behalten können soll oder nicht.
54 
3. Die Rückforderung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 LVwVfG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar setzt § 52 Satz 1 LVwVfG die Unanfechtbarkeit der Rücknahme oder des Widerrufs des zugrunde liegenden Verwaltungsakts voraus. Jedoch ist eine Rückforderung zugleich mit dem die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes aufhebenden Verwaltungsakt möglich, wenn sie unter die aufschiebende Bedingung des Eintritts der Unanfechtbarkeit gestellt wird. Dies ist hier anzunehmen (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 52 Rn. 6).
55 
Zudem wurde der Klägerin eine Frist von zwei Wochen gesetzt, innerhalb derer sie die Bescheinigung an das Sozial- und Jugendamt der Stadt ... zurückzugeben habe.
56 
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO. Die Kammer sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
57 
Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen