Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 1478/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Absetzung eines Verhandlungsgegenstands von der Tagesordnung der für den 18.05.2021 anberaumten Sitzung des Gemeinderats der Stadt X durch den Antragsgegner.
Der seit Freitagmittag entscheidungsreife Antrag bleibt ohne Erfolg. Er ist teilweise bereits unzulässig (I.) und im Übrigen unbegründet (II.).
I.
Soweit der Antragsteller die begehrte Absetzung des beanstandete Tagesordnungspunkts 1 „Beitritt der Stadt X zur Resolution Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland“ bzw. der darunter angedachten Beratung der Beschlussvorlage vom 30.04.2021 (Dr. G-21/113) darauf stützt, dem Gemeinderat der Stadt X fehle es im Hinblick auf diesen Verhandlungsgegenstand an der Befassungskompetenz, da es sich nicht um eine „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG handele, ist der Antrag bereits unzulässig, da er insoweit einen objektiv-rechtlichen Kompetenzverstoß, nicht aber eine Verletzung in einer eigenen wehrfähigen Innenrechtsposition rügt.
Der kommunalverfassungsrechtliche Organstreit ist dadurch gekennzeichnet, dass Gemeindeorgane oder Organteile über Bestand und Reichweite zwischen- oder innerorganschaftlicher Rechte streiten. Nach dem die Verwaltungsgerichtsordnung beherrschenden Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes ist auch in einem Kommunalverfassungsstreit verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nur zulässig, wenn und soweit der Rechtsschutzsuchende sich auf eine Rechtsposition berufen kann, die ihm durch das Gesetz eingeräumt ist (§ 42 Abs. 2 VwGO entspr.). Ein Rechtsschutzbegehren, das auf die Feststellung einer allein objektiv-rechtlichen Überschreitung oder Unterschreitung von Kompetenzen eines Organs gerichtet ist und nicht dem weiteren Erfordernis genügt, dass der Kläger durch rechtswidriges Organhandeln in einer ihm gesetzlich eingeräumten Rechtsposition verletzt sein kann, bleibt auch im Gewand des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits eine unzulässige Popularklage. Dies gilt auch für eine Leistungsklage, bei der – wie im vorliegenden Rechtsstreit – ein Organ die Verurteilung eines anderen Organs erreichen will, seine Kompetenzen in einem bestimmten Sinn auszuüben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.02.1992 - 1 S 2242/91 -, juris Rn. 13, sowie Beschl. v. 18.10.2010 - 1 S 2029/10 -, juris Rn. 5).
An der hiernach erforderlichen Antragsbefugnis fehlt es im vorliegenden Rechtsstreit, denn die Gemeindeordnung räumt dem einzelnen Gemeinderat keinen Anspruch gegen den (Ober-)Bürgermeister auf ermessenfehlerfreie Entscheidung über die auf die Tagesordnung aufzunehmenden Verhandlungsgegenstände ein.
Wie sich aus § 34 Abs. 1 i.V.m § 43 Abs. 1 GemO ergibt, gestaltet allein der Bürgermeister die Tagesordnung für die Sitzungen des Gemeinderats (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 252/84 - BeckRS 9998, 45133, beck-online). Die zu behandelnden Verhandlungsgegenstände müssen dabei zu den Aufgaben des Gemeinderats (Organzuständigkeit) gehören (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 5 GemO), was voraussetzt, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die überhaupt in das Aufgabengebiet der Gemeinde (Verbandskompetenz) fällt, denn die sachliche Zuständigkeit des Organs wird durch diejenige der Körperschaft begrenzt (vgl. zum Ganzen Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, 4. Aufl., 25. Lfg., Dezember 2018, § 34 Rn. 5, 7 und 15 f.; Aker, in: ders./Hafner/Notheis, Gemeindeordnung BW, 2. Aufl., § 34 Rn. 18 f.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 474/84 -, juris Ls. 2; Sächs. OVG, Beschl. v. 27.04.2021 - 4 B 193/21 -, juris Rn. 5 und 7). Der Bürgermeister hat diese Zuständigkeit zu prüfen und kann, wenn sie nicht vorliegt, den Antrag des Gemeinderats bzw. eines bestimmten Quorums seiner Mitglieder (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 4 GemO) auf Aufnahme eines Verhandlungsgegenstands auf die Tagesordnung ablehnen (vgl. Kunze/Bronner/Katz, a.a.O., § 34 Rn. 20 m.w.N. und Sächs. OVG, Beschl. v. 27.04.2021, a.a.O.: sog. materielles Vorprüfungsrecht des Bürgermeisters bezüglich der Befassungskompetenz des Gemeinderats). Über den Antrag auf Aufnahme eines Tagesordnungspunktes entscheidet der Bürgermeister nach Ermessen, von dem er sachgerecht Gebrauch zu machen hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 252/84 - BeckRS 9998, 45133, beck-online). In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ist anerkannt, dass die dem Gemeinderat in § 34 Abs. 1 Satz 3 und 4 GemO eingeräumten Antragsbefugnisse als „wehrfähige“ organschaftliche Rechte ausgestaltet sind und gewährleisten sollen, dass das Gemeindeorgan – wenn ein gewisses Quorum seiner Mitglieder dies verlangt – in seinem Zuständigkeitsbereich die ihm zukommende Tätigkeit auch dann entfalten kann, wenn der Bürgermeister, der nach § 34 Abs. 1 Satz 1 GemO die Verhandlungsgegenstände bestimmt, welche auf die Tagesordnung zu setzen sind, aus welchen Gründen auch immer keine entsprechende Initiative ergreift (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.10.1979 - I 1798/78 -, juris Rn. 18). Das hiernach einklagbare Organrecht, die Aufnahme eines Gegenstands auf die Tagesordnung durchzusetzen, ist allerdings ein sog. Minderheitenrecht, das von der Erreichung des gesetzlichen Quorums abhängt. Der einzelne Gemeinderat hat dementsprechend auch keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Bürgermeisters über die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes, wenn er für seinen Antrag das nötige Quorum nicht erreicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 252/84 - BeckRS 9998, 45133, beck-online und hierzu Aker, a.a.O., § 34 Rn. 20).
Dies zugrunde gelegt, hält die Kammer dafür, dass im vorliegenden – gleichsam umgekehrten – Fall, in dem ein einzelnes Gemeinderatsmitglied im Vorfeld einer Gemeinderatssitzung die Absetzung eines Tagesordnungspunktes vom (Ober-)Bürgermeister mit der Begründung verlangt, dass der betroffene Verhandlungsgegenstand nicht von der Befassungskompetenz des Gemeinderats gedeckt sei, kein entsprechendes subjektives organschaftliches Recht besteht. Ein solches Organrecht auf Absetzung eines Tagesordnungspunktes wegen einer (womöglich) fehlenden Verbandskompetenz der Gemeinde sieht die Gemeindeordnung – im Gegensatz zu den in § 34 Abs. 1 Sätze 3 und 4 GemO ausdrücklich normierten Minderheitenrechten – nicht vor. Auch wird hier das Recht und die Pflicht des Antragstellers, in seiner Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied an der organschaftlichen Willensbildung im Gemeinderat teilzunehmen (vgl. etwa § 32 Abs. 1 und 3, § 34 Abs. 3 GemO) und hierzu im Vorfeld einer Sitzung auch an Entscheidungen darüber mitzuwirken, mit welchen Gegenständen der Gemeinderat sich sachlich befassen soll, nicht infrage gestellt. Darüberhinausgehende Mitwirkungsrechte der Gemeinderäte bei der dem Bürgermeister obliegenden Gestaltung der Tagesordnung – insbesondere ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung des Bürgermeisters bei dieser Aufgabe – bestehen hingegen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 252/84 - BeckRS 9998, 45133, beck-online). Durch die hier vom Oberbürgermeister – nach Ansicht des Antragstellers fehlerhaft – getroffene Entscheidung, dass der streitgegenständliche Verhandlungsgegenstand von der Befassungskompetenz des Gemeinderats gedeckt ist, weil ein hinreichend spezifischer Ortsbezug bestehe und es sich somit um eine „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG handele, kann der Antragsteller folglich nicht in eigenen organschaftlichen Rechten betroffen sein. Die mitgliedschaftliche Rechtsposition der Gemeinderäte ist in einem solchen Fall vielmehr darauf beschränkt, sich in der Gemeinderatssitzung gegen den – bereits auf die Tagesordnung gesetzten und damit der Befassung des Gemeinderats unterbreiteten – Beschlussvorschlag auszusprechen und ggf. dagegen zu stimmen (vgl. VG Saarland, Beschl. v. 07.11.2019 - 3 L 1786/19 -, juris Rn. 19). Ein Missbrauch der Möglichkeiten der Gestaltung der Tagesordnung durch den Bürgermeister, die in sein Ermessen gestellt ist, ist bei diesem Verständnis des kommunalen Kompetenzgefüges nicht zu befürchten. Denn das einzelne Mitglied des Gemeinderats kann – unabhängig von der zuvor angesprochenen Möglichkeit der Einflussnahme im Gemeinderat – sich auch an die Rechtsaufsichtsbehörde wenden, wenn es meint, der Bürgermeister habe von seinem Ermessen bei der Gestaltung der Tagesordnung willkürlich oder sonst fehlerhaft Gebrauch gemacht (vgl. §§ 118 ff. GemO und zu dieser Möglichkeit VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.05.1984 - 1 S 252/84 -, a.a.O.). Hingegen kann ein Gemeinderatsmitglied nicht bereits im Vorfeld einer Gemeinderatssitzung eine gerichtliche Überprüfung der Verbandskompetenz der Gemeinde im Rahmen eines Organstreitverfahrens erreichen, um einer (etwaigen) rechtswidrigen Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen. Denn die organschaftlichen Mitwirkungsrechte der Gemeinderäte umfassen nicht auch einen Anspruch auf eine in jeder Hinsicht rechtmäßige Sachentscheidung des Gemeinderats; ein solches „objektives Beanstandungsrecht“ steht dem einzelnen Gemeinderatsmitglied im Rahmen eines Organstreitverfahrens gerade nicht zu (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. 12.02.1990 - 1 S 588/89 -, juris Rn. 17 a.E.; OVG Saarl. Beschl. v. 07.03.2007 - 3 Q 146/06 -, juris Rn. 25 f; VG Stuttgart, Urt. v. 19.6.2020 - 7 K 5890/18 -, juris Ls. 3 und Rn. 108; Engel/Heilshorn, Kommunalrecht BW, 11. Aufl., § 17 Rn. 23; Gern/Brüning, Kommunalrecht BW, 4. Aufl., Rn. 712, jeweils m.w.N.).
II.
Soweit der Antragsteller rügt, er sei über den streitgegenständlichen Verhandlungsgegenstand nur unzureichend informiert worden, da ihm im Vorfeld nicht sämtliche zur Vorbereitung der Sitzung erforderlichen Unterlagen übersandt worden seien, ist der Antrag zwar zulässig (hierzu 1.), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg (hierzu 2.)
1. Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
10 
Die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz richtet sich im Rahmen von kommunalrechtlichen Organstreitverfahren wie dem vorliegenden nach § 123 VwGO, da Maßnahmen, die die Rechtsstellung von Organen oder Organteilen einer Gemeinde betreffen, mangels Außenwirkung keine Verwaltungsaktsqualität besitzen, so dass die Vorrangregelung des § 123 Abs. 5 VwGO nicht zur Anwendung gelangt (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 14.12.2007 - 1 B 1839/07 -, juris Rn. 45 f., m.w.N.; Engel/Heilshorn, Kommunalrecht BW, 11. Aufl. § 17 Rn. 38).
11 
Der Antragsteller ist insoweit auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Denn seine Stellung als Gemeinderat umfass das einklagbare Recht auf ordnungsgemäße Einberufung der Gemeinderatssitzung, wozu auch die rechtzeitige und hinreichende Unterrichtung über den Verhandlungsgegenstand durch Bereitstellung der für die Sitzung erforderlichen Beratungsunterlagen gehört (vgl. statt vieler VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.12.1987 - 1 S 2832/86, juris Ls. 2; Urt. v. 12.02.1990 - 1 S 588/89 -, juris Rn. 16 und 18 m.w.N.; Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, 4. Aufl., 25. Lfg., Dezember 2018, § 34 Rn. 1, 5 und 8). Der Antragsteller behauptet substantiiert eine Verletzung dieser wehrfähigen subjektiven Innenrechtsposition aus § 34 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GemO.
12 
Richtiger Antragsgegner ist hier auch der Oberbürgermeister selbst und nicht etwa die Stadt X als Rechtsträgerin, da diesem nach der Kompetenzverteilung der Gemeindeordnung die behauptete Rechtsverletzung des Antragstellers anzulasten wäre (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.02.1990 - 1 S 588/89 -, juris Ls. 2 und Rn. 22; VG Stuttgart, Urt. v. 19.06.2020 - 7 K 5890/18 -, juris Rn. 89).
13 
2. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist jedoch unbegründet.
14 
Ist der Antrag – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. statt vieler Sächs. OVG, Beschl. v. 28.04.2014 - 4 B 72/14 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nach Auffassung der Kammer nicht erfüllt.
15 
a) Zwar liegt ein Anordnungsgrund vor. Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass die Gemeinderatsitzung bereits morgen stattfinden soll und eine Entscheidung des Gerichts in einem Klageverfahren somit in jedem Fall zu spät käme, um das geltend gemachte Organrecht auf ordnungsgemäße Sitzungseinberufung zu wahren.
16 
b) Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Denn es ist – entsprechend dem zuvor dargelegten Maßstab im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er wegen einer unzureichenden Unterrichtung über den Verhandlungsgegenstand einen Anspruch auf Absetzung des beanstandeten Tagesordnungspunktes 1 „Beitritt der Stadt X zur Resolution Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland“ von der Tagesordnung hat.
17 
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 GemO hat der Bürgermeister den Gemeinderäten zusammen mit der Mitteilung der Verhandlungsgegenstände (durch Übersendung der Tagesordnung für die Gemeinderatssitzung) auch die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, soweit nicht das öffentliche Wohl oder das Interesse Einzelner entgegenstehen. Erforderlich in diesem Sinne sind (nur) solche Unterlagen, die zur Vorbereitung der Gemeinderäte auf die Sitzung, die Bildung einer – vorläufigen – Meinung und ggf. zur Vorbesprechung in den Fraktionen benötigt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.12.1990 - 1 S 588/89 -, juris Rn. 24). Zu berücksichtigten sind dabei insbesondere die Schwierigkeit und die Bedeutung des jeweiligen Verhandlungsgegenstands sowie der anstehenden Entscheidung. Maßstab ist das für die Vorbereitung des konkreten Verhandlungsgegenstands notwendige Informationsniveau eines verständigen, verantwortungsbewussten Ratsmitglieds. Die Unterlagen, die der einzelne Gemeinderat vor der Sitzung erhält, sollen der vorläufigen, nicht aber der endgültigen Meinungsbildung dienen. Folglich hat der einzelne Gemeinderat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm mit der Ladung sämtliche Bestandteile eines unter Umständen komplexen Verhandlungs- bzw. Beschlussgegenstands übermittelt werden. Sollten nach pflichtgemäßer Vorbereitung der Sitzung durch das Gemeinderatsmitglied über Einzelheiten dennoch Unklarheiten oder Ungewissheiten bestehen, kann er diese vielmehr zum Anlass nehmen, in der Gemeinderatssitzung an die Verwaltung entsprechende Fragen zu richten und die Angelegenheit mit den anderen Gemeinderäten umfassend zu erörtern (vgl. zum Ganzen eingehend VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.11.2005 - 5 S 2662/04 -, juris Rn. 32 m.w.N; Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, 4. Aufl., 25. Lfg., Dezember 2018, § 34 Rn. 8; Engel/Heilshorn, Kommunalrecht BW, 11. Aufl., § 14 Rn. 134; vgl. beispielhaft auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 02.12.1990 - 1 S 588/89 -, juris Rn. 26 ff. in Bezug auf eine im Einzelfall nicht für erforderlich gehaltene Beifügung eines Vertragstextes). Hinsichtlich der Beurteilung der Frage der Erforderlichkeit ist weiter zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Zumutbaren auch eine Eigenpflicht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds besteht, sich selbst allgemein, d.h. in der Regel über Fraktionen und Kollegen, Presse und Öffentlichkeit, angemessen zu informieren. Eine Behandlung der in Rede stehenden Thematik in den Gremien, den Fraktionen und Parteien sowie eine breitere öffentliche und mediale Diskussion sind im Einzelfall bei der Bewertung des Informationsumfangs mit in den Blick zu nehmen. Andererseits ist bei der erforderlichen Einzelfallbetrachtung auch darauf zu achten, dass der Bürgermeister nicht zulasten der Gemeinderatsmitglieder durch übersteigerte Anforderungen an deren Eigenpflicht von der an sich ihm obliegenden Pflicht zur Information und Informationsbeschaffung entbunden bzw. unverhältnismäßig stark entlastet wird. Ein Anspruch einzelner Gemeinderatsmitglieder auf ganz konkrete Sitzungsunterlagen besteht grundsätzlich aber nicht. Insgesamt hat der Bürgermeister hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts der für die Sitzung „erforderlichen“ Beratungsunterlagen eine Einschätzungsprärogative (siehe zum Ganzen Kunze/Bronner/Katz und Engel/Heilshorn, jeweils a.a.O. und m.w.N.).
18 
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, lässt sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Verstoß des Antragsgegners gegen seine Unterrichtungspflicht aus § 34 Abs. 1 Satz 1 GemO nicht feststellen.
19 
Ein solcher Verstoß folgt nach dem zuvor Gesagten aller Voraussicht nach insbesondere nicht allein daraus, dass dem Antragsteller von Seiten der Gemeindeverwaltung – unstreitig – nicht sämtliche Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden, die mit dem Verhandlungsgegenstand (Beitritt zur Resolution „Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland“) in Zusammenhang stehen und die in der Beschlussvorlage genannt werden. Soweit der Antragsteller die fehlende Übersendung von Unterlagen aus dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Erlass eines Lieferkettengesetzes rügt (er nennt insoweit den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Änderungsanträge zum Gesetz, Beratungen der Fachausschüsse und ein Rechtsgutachten zum Gesetzesentwurf), kann dies einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 GemO schon deshalb nicht begründen, weil die entsprechenden Unterlagen öffentlich verfügbar und im Internet abrufbar sind. Gleiches gilt im Ergebnis für eine in der Beschlussvorlage in Bezug genommene Studie der EU-Kommission und ein Rechtsgutachten der Initiative „Lieferkettengesetz“ der Germanwatch e.V., deren Nicht-Übersendung der Antragsteller ebenfalls ausdrücklich bemängelt. Die Kammer konnte diese Dokumente ohne Mühe und binnen kürzester Zeit durch eine einfache Internetrecherche über die üblichen Suchmaschinen finden. Folglich kann der Antragsteller insoweit zunächst auf seine Pflicht zur Eigeninformation verwiesen werden und im Weiteren auf die Möglichkeit, im Rahmen der morgigen Gemeinderatssitzung entsprechende Nachfragen an die Gemeindeverwaltung zu richten, um etwaige Unklarheiten zu klären. Dort besteht auch Gelegenheit, die vom Antragsteller in seiner Anfrage vom 04.05.2021 formulierten Bedenken und Fragen im Hinblick auf den beabsichtigten Resolutionsbeitritt zu erörtern.
20 
Der Antragsgegner war des Weiteren voraussichtlich auch nicht gehalten, die (recht umfangreiche) Anfrage des Antragstellers nach § 24 Abs. 4 GemO – wie von diesem gefordert – bis zum 11.05.2021 oder jedenfalls noch vor der morgigen Gemeinderatssitzung schriftlich zu beantworten. Denn zum einen legen weder die Gemeindeordnung (vgl. § 24 Abs. 4 Satz 1 GemO; dazu Aker, in: ders./Hafner/Notheis, Gemeindeordnung BW, 2. Aufl., § 24 Rn. 14) noch die Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt X (vgl. § 24 Abs. 4 Satz 2 GemO i.V.m. § 13 Abs. 8 GO) fest, in welcher Form die Beantwortung einer solchen Anfrage zu erfolgen hat, so dass dem Informationsanspruch des Antragstellers auch durch eine mündliche Auskunft in der morgigen Sitzung Genüge getan werden kann. Zum anderen sieht die Geschäftsordnung des Gemeinderats im Hinblick auf die einzuhaltenden Fristen vor, dass Anfragen gemäß § 24 GemO grundsätzlich innerhalb von vier Wochen und bei komplexeren bzw. dezernatsübergreifenden Anfragen grundsätzlich innerhalb von sechs Wochen beantwortet werden (vgl. § 13 Abs. 8 GO), so dass der Antragsteller nicht mit einer Beantwortung innerhalb von nur einer oder zwei Wochen rechnen konnte.
III.
21 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG (sog. Auffangwert); denn es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für die Bedeutung der Sache für den Antragsteller im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer sieht deshalb keinen Grund, der Empfehlung von Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu folgen und den Streitwert bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten nach § 52 Abs. 1 GKG allgemein und ausnahmslos auf 10.000,- EUR festzusetzen (so bereits VG Freiburg, Beschl. v. 28.09.2020 - 4 K 3113/20 -, juris Rn. 14 m.w.N. zur Rspr. des VGH Bad.-Württ; dem implizit folgend: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.09.2020 - 1 S 2990/20 -, juris Rn. 13). Von einer Reduzierung des Streitwerts sieht die Kammer ab, da die Entscheidung die Hauptsache vorwegnimmt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs).

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