Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 2981/20

Tenor

Der Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid der Beklagten vom 04.09.2018 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 sowie ihres Schriftsatzes vom 16.12.2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich als Vormund eines Kindes dagegen, dass die Beklagte einen Bescheid über die Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in Form der Verwandten-Vollzeitpflege aufgehoben und die Leistung eingestellt hat.
Das Kind X (künftig: X) ist am X.2010 geboren. Seine Mutter war bei der Geburt 16 ½ Jahre alt. Sein Vater gehört zur ethnischen Minderheit der X und lebte im Haushalt seiner Mutter. Dorthin zog zunächst auch die Mutter. Im Frühjahr 2012 trennten sie sich. Der Vater von X wurde in der Folge mit strafprozessualem Haftbefehl gesucht. Später befand er sich im Maßregelvollzug, danach - bis heute - im Strafvollzug; er hielt jedoch mit X stets regelmäßigen Kontakt und nahm auch sein Sorgerecht wahr.
Nach der Trennung der Eltern von X. kam es immer wieder zu Sorgerechtsverfahren, bei denen die Mutter von X mehr und weniger kontrollierten Umgang mit X erstrebte. Ab März 2015 beschränkte das Familiengericht das Umgangsrecht der Mutter von X stark. Diese lebte damals und lebt auch heute in einer Unterkunft für Obdachlose. Sie hat zwei weitere Kinder aus einer Beziehung mit einem X Staatsangehörigen bekommen, der keinen gefestigten Aufenthaltsstatus hat.
Spätestens seit der Trennung der Eltern von X wird diese im Wesentlichen von ihrer Großmutter erzogen.
Die Eltern von X beantragten erstmals am 14.09.2015 und erneut am 04.03.2016, dieses Mal auf einem Formblatt, Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege bei der Großmutter.
Die Beklagte erstellte am 21.04.2016 einen Hilfeplan, den sie u.a. den Eltern von X übersandte. Er enthielt als Ziele, dass die Großmutter an einem Pflegeeltern-Kurs teilnehme, die Umgangskontakte mit den Eltern aktiv und neutral fördere und dass die Mutter von X die Umgangstermine zuverlässig umsetze und die Großmutter dabei rechtzeitig über Änderungen informiere. Unter „III. Leistungen und Kosten“ ist vermerkt, dass die Hilfe „ab 08.03.2016 für zunächst ein Jahr“ erfolge.
Mit Bescheid vom 27.04.2016 bewilligte die Beklagte den Eltern auf den Antrag vom 04.03.2016 rückwirkend ab dem 08.03.2016 Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei der Großmutter bei einem monatlichen Pflegegeld von 724,53 EUR mit der Bemerkung, dass der Hilfeplan in seiner jeweils gültigen Fassung die Grundlage für die Dauer und die Ausgestaltung der Hilfe bilde.
Mit Bescheiden vom 23.05.2016 und vom 22.12.2016 an den Vater bzw. an die Eltern von X passte die Beklagte das Pflegegeld den jeweils geänderten Umständen an (bei der Altersstufe bzw. beim Kindergeld).
Ab dem Schuljahr 2016/2017 besuchte X die X-Schule in X.
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Bei einem weiteren Hilfeplangespräch am 15.02.2017 äußerte die Mutter von X u.a., dass ihre Umgangskontakte zwar im Allgemeinen funktionierten, X aber immer noch nicht bei ihr habe übernachten können. In der Schule habe es Anfangsschwierigkeiten gegeben. Diese seien durch die motorische Unruhe von X verstärkt worden. X sei sehr temperamentvoll und ungeduldig, weswegen es häufig zu Streit mit Mitschülern komme.
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Auf dieser Grundlage schrieb die Beklagte den Hilfeplan am 05.04.2017 fort und führte dabei aus: Die Entwicklung von X bei der Großmutter verlaufe positiv. Die Umgangskontakte mit der Mutter würden ermöglicht und fänden regelmäßig statt. Die Situation der sorgeberechtigten Eltern sei weiterhin nicht ausreichend stabil, obwohl es der Mutter gelungen sei, ihre allgemeine Lebenssituation deutlich zu verbessern. Zu den Zielen der Hilfeplanung gehöre u.a. eine Anbindung von X an einen heilpädagogischen Hort. Ein nächstes Hilfeplangespräch solle in sechs Monaten stattfinden. Unter „II. Leistungen und Kosten“ ist vermerkt, dass die Hilfe ab dem 01.04.2017 bis zum 31.03.2018 erfolge. Abschließend enthält der Hilfeplan - wie schon der vom 21.04.2016 - den Hinweis, dass er die verbindliche Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe bis zur nächsten Fortschreibung sei.
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Bei einem Gespräch bei der Beklagten im August 2017 wandte sich die Großmutter gegen den Inhalt eines von ihr vorgelegten Schulberichts und äußerte, dass die genannten Auffälligkeiten darauf beruhten, dass X noch viele Regeln anwende, die sie vom offenen Konzept des zuvor besuchten Kinderhauses kenne; auch seien auch andere Kinder in dieser Weise auffällig. Bei einem Gespräch mit dem Rektor und der Lehrerin habe sie sich dagegen gewandt, den Stundenanteil einer sonderpädagogischen Zweitkraft zu erhöhen, weil sie befürchte, dass X so stigmatisiert werde. Die Mutter von X befürwortete eine Hilfe zur Erziehung durch Besuch eines heilpädagogischen Horts. Die Großmutter lehnte dies ab und erklärte, dass sie es nicht weiter akzeptiere, dass die Eltern von X an Entscheidungen über Hilfe zur Erziehung beteiligt seien. Eher werde sie X an einer Schule mit Nachmittagsbetreuung anmelden. Die Sachbearbeiterin der Beklagten hielt danach eine Beratung der Großmutter für nicht möglich.
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Im Oktober 2017 wandte sich die Mutter von X an die Beklagte und äußerte: Eine offene Aussprache mit der Großmutter sei nicht möglich. X leide unter der derzeitigen Situation. Sie werde zu Hause zu Unrecht bestraft, wenn sie Kraftausdrücke verwende. Sie werde drangsaliert und herumgestoßen. Ab und zu bekomme sie eine Kopfnuss von Erwachsenen oder anderen Kindern innerhalb der Verwandtschaft. Die Großmutter setze X unter Druck. Sie solle beim Jugendamt sagen, dass sie bei der „Oma“ leben wolle. Ihre Lehrer hätten berichtet, dass sie sich häufig auf dem Boden wälze und nach ihrer Mutter schreie. Die Großmutter habe sich beim Schulgespräch völlig unangemessen verhalten. Sie, die Mutter, wolle, dass X ihren Lebensmittelpunkt bei ihr habe.
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Mit getrennten Bescheiden vom 21.12.2017 an die Eltern von X passte die Beklagte das Pflegegeld entsprechend den gemeinsamen Empfehlungen des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg sowie des Städte- und Landkreistages Baden-Württemberg an und setzte es auf 809,53 EUR fest. Davon unterrichtete sie die Großmutter.
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Zu einer weiteren Hilfeplanung kam es in der Folge nicht.
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Bei einem Hausbesuch der Beklagten am 28.02.2018 anlässlich eines in der Zwischenzeit anhängigen Sorgerechtsverfahrens äußerte die Großmutter: Sie habe ein offenes Haus. Es wohnten bei ihr aber nur M. und ihre jüngste Tochter mit deren Kind. X habe in der Schule Schwierigkeiten. Sie zöge andere Schüler immer wieder an den Haaren. X äußerte im Einzelgespräch, dass sie in der Familie von allen geschlagen werde. Die Großmutter verneinte das, bestätigte aber ein Schütteln, ruppiges Halten am Arm und auch Kneifen in den Arm. Die Fachkräfte der Beklagten erwogen eine Inobhutnahme, sahen davon aber aus verschiedenen Gründen ab.
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Mit Beschluss vom 29.03.2018 (X) entzog das Amtsgericht X - Familiengericht - den Eltern von X das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Recht zur Antragstellung nach dem Sozialgesetzbuch VIII und ordnete insoweit eine Pflegschaft durch den Kläger an; den Antrag der Mutter von X, ihr die elterliche Sorge zu übertragen, lehnte es ab. In dem Beschluss wird u.a. ausgeführt: Die Mutter stelle erneut in Frage, dass der Lebensmittelpunkt von X in der Familie des Vaters von X liege. Die Großmutter und ihr Sohn sowie die Mutter nähmen mit unterschiedlicher Zielsetzung Einfluss auf X Diese befinde sich in einem für sich unlösbaren Loyalitätskonflikt, der sich zu einer erheblichen Belastung entwickelt habe. Anhaltspunkte dafür sei das aggressive und oppositionelle Verhalten von X gegenüber Mitschülern und Lehrern sowie der Umstand, dass sich X weder für einen Aufenthalt bei der Mutter noch bei der Großmutter ausspreche. Das Gericht teile die Auffassung u.a. des Jugendamts, dass die Schilderungen von X dazu, dass sie geschlagen werde, auch dahin verstanden werden könnten, dass ihm dies von der Mutter so vermittelt werde.
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Im April 2018 schloss die X-Schule X wegen der Beleidigung einer Lehrerin für einen Tag vom Unterricht aus. Bereits im März war X wegen der Beleidigung einer Lehrerin von einzelnen Unterrichtsstunden ausgeschlossen worden. Am 03.05.2018 teilte eine Vertreterin des Schulamts der Beklagten mit, dass X kurz vor einem Schulausschluss stehe. Da die Großmutter keine Angaben mache, könne der Sachverhalt vom sozialpädagogischen Dienst nicht überprüft werden. Die Großmutter habe erwähnt, dass X auf ADHS untersucht werden sollte. In einem undatierten pädagogischen Bericht des Schulamts heißt es u.a., die Vertrauensverhältnisse seien vollkommen zerrüttet.
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Bei einem weiteren Gespräch bei der Beklagten am 17.05.2018 mit dem Kläger, der Großmutter und der Rechtsanwältin des Vaters von X äußerte die Großmutter, dass aus ihrer Sicht das einzige Problem im Leben von X deren Mutter sei. Den Sorgerechtspfleger halte sie nicht für notwendig. Das Angebot einer sozialpädagogischen Familienhilfe lehnte die Großmutter ab.
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In einem Fachteamprotokoll der Beklagten vom 27.06.2018 wird ausgeführt: Die Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe sei notwendig und geeignet. Die Großmutter habe daran mitzuwirken, um eine dem Wohl von X entsprechende Erziehung zu gewährleisten. Ihr scheine es hinsichtlich ihrer Rolle in dem gegebenen Loyalitätskonflikt an Reflexionsfähigkeit und Einfühlungsvermögen insofern zu fehlen, als dass sie nicht in der Lage sei, „die Bedürfnisse von X angemessen über die der eigenen Kritikfähigkeit zu stellen“. Wenn sie der Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe nicht zustimme, werde das Pflegeverhältnis beendet.
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Nach Vermerken der Sachbearbeiterin unterschrieb die Großmutter am 25.06.2018 und nochmals am 05.07.2018 einen Antrag für eine solche Hilfe, erklärte dabei aber, sich unter Druck gesetzt zu fühlen.
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Im Juli 2018 drohte die X-Schule dem Kläger den Schulausschluss von X an, weil sie den Schulfrieden massiv störe.
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Ein Gutachten ergab im Juli 2018, dass ein sonderpädagogischer Bedarf bestehe und X deshalb die Schule wechseln und künftig die X Schule in X, eine Schule für Erziehungshilfe, besuchen solle.
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Mit E-Mail vom 23.07.2018 teilte eine Mitarbeiterin der Wirtschaftlichen Erziehungshilfe II der Beklagten der fallführenden Fachkraft mit, dass die „interne Befristung“ der Vollzeitpflege bis zum 03/18 gelaufen sei; sie benötige dringend die Verlängerung.
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Am 26.07.2018 sagte die Großmutter das für den Vormittag vereinbarte Erstgespräch mit der sozialpädagogischen Familienkraft wegen einer Erkrankung ab und gab kund, dass sie die Maßnahme weiter ablehne. Die Beklagte lud sie zu einem neuen Termin am 01.08.2017. Die Großmutter sagte auch diesen Termin ab.
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Daraufhin entschloss sich die Beklagte, die Hilfe zur Erziehung zu beenden und teilte dies dem Kläger und der Großmutter von X jeweils mit Schreiben vom 02.08.2018 mit (Abgangsvermerke fehlen). Ferner leitete sie beim Familiengericht ein Verfahren wegen drohender Kindeswohlgefährdung ein.
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Mit „Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid“ vom 04.09.2018 an den Kläger hob die Beklagte ihren „Bescheid vom 22.12.2017“ (gemeint war wohl der Bescheid vom 21.12.2017) auf und stellte die Leistungen für X zum 31.07.2018 ein mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Gewährung der Vollzeitpflege lägen nicht mehr vor. Es gebe massive Auffälligkeiten im Schulalltag von X Zudem habe diese Loyalitätskonflikte in der Beziehung zu Mutter und Vater sowie zur Großmutter. Diese Belastungen könnten zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung und seelischen Verwahrlosung von X führen. Die angebotene und auch beantragte sozialpädagogische Hilfe hätte am 01.08.2018 beginnen sollen; das sei wegen des Beginns der Schulferien notwendig gewesen. Daran habe die Großmutter aber nicht mitgewirkt, obwohl sie als Leistungserbringerin mitzuwirken habe.
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Gleichlautende Bescheide richtete die Beklagte unter dem 05.09.2018 an die Mutter und an den Vater von X Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete die Beklagte hiervon die Großmutter und bat um Erstattung des bereits überwiesenen Pflegegelds für August 2018 in Höhe von 809,53 EUR abzgl. bewilligter Ferienbeihilfe in Höhe von 210 EUR.
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Seit dem Schuljahr 2018/2019 besucht X die X Schule.
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Der Kläger erhob am 05.10.2018 Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.09.2018 und beantragte beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz.
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Am 19.11.2018 beantragte der Kläger eine Hilfe zur Erziehung in Form einer Erziehungsbeistandschaft durch eine sozialpädagogische Fachkraft, die ab dem 15.11.2018 bis zum 31.01.2019 im Umfang von drei Betreuungsstunden je Woche bewilligt wurde. Die Maßnahme erfolgte, wurde aber nicht fortgesetzt, weil die Fachkraft wegen eines Polizeieinsatzes im Hause der Großmutter, der nichts mit dem Kind zu tun hatte, ihre zukünftige Sicherheit nicht gewährleistet gesehen habe.
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Auf den Antrag des Klägers stellte die Kammer mit Beschluss vom 19.02.2019 (4 K 5705/18 -, juris) fest, dass der Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid vom 04.09.2018 aufschiebende Wirkung habe. Hiergegen legte die Beklagte Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein.
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Am 11.06.2019 bestellte das Familiengericht den Kläger zum Vormund für X.
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Am 25.09.2019 beantragte die Beklagte beim Familiengericht, eine Gefährdung des Wohls von X gemäß § 157 FamG zu erörtern. Dazu führte sie aus: An der X Schule habe sich M. zunächst gut einfinden können. Seit Frühjahr 2018 habe sich ihre schulische Situation jedoch erneut verschlechtert. Sie habe immer häufiger regelwidriges, teilweise sehr aggressives Verhalten gezeigt. Die Situation sei eskaliert bis hin zu einem mehrtägigen Schulausschluss vor den Pfingstferien. Aktuell erhalte sie an vier Tagen pro Woche jeweils nur für zwei Stunden Unterricht. Die seit Monaten laufende fachärztliche Diagnostik an der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums X sei noch nicht abgeschlossen. Aus der Sicht des Klägers als Vormund sei die Gesamtsituation festgefahren. X sei im Grunde für niemanden mehr erreichbar. Die Großmutter wolle nicht erkennen, dass sie mit ihm immer mehr an ihre Grenzen gerate. Ansatzweise sei das Thema einer außerfamiliären Hilfe besprochen worden. An der Umgangssituation von X mit der ihrer Mutter scheine sich nichts Wesentliches geändert zu haben. Offenbar bestünden weiterhin unbegleitete und nicht näher geregelte Umgänge zwischen den beiden. Die Mutter und die Großmutter würden entsprechende Vereinbarungen am Kläger vorbeitreffen. Der Kläger sehe jedoch eine Herausnahme von X aus der Familie mit großer Skepsis. Sie, die Beklagte, ziehe im Hinblick auf den gravierenden erzieherischen Bedarf von X die ausreichende Erziehungseignung der Großmutter in Zweifel. Es solle deshalb geprüft werden, ob eine geschlossene Unterbringung von X genehmigt werde.
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Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der Kammer vom 19.02.2019 wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 14.04.2020 (12 S 714/19) zurück.
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Mit Schriftsatz vom 14.01.2020 hatte der Kläger auf Drängen der Beklagten beim Amtsgericht X - Familiengericht - gemäß § 1632 Abs. 1 BGB die Herausgabe von X von der Großmutter an sich beantragt, um für dessen stationäre Unterbringung im X sorgen zu können. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte halte dies aus pädagogischen Gründen für notwendig, weshalb er eine entsprechende Jugendhilfeleistung am 22.10.2019 beantragt habe.
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Im familienrechtlichen Verfahren äußerte die Verfahrensbevollmächtigte der Großmutter, dass jene sich in konstruktiver und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Vormund um alle nötigen Untersuchungen und Unterstützungsangebote kümmere, um den Verhaltensauffälligkeiten von X entgegenzuwirken. Problematisch werde es immer dann, wenn die Beklagte Maßnahmen durchsetzen wolle, die sehr deutlich ein mangelndes Verständnis von der Kultur der betroffenen Familie und auch mangelnden Respekt vor dieser offenbare sowie einen Zwang zur Assimilierung ausübe. Das habe beiderseits zu verhärteten Fronten geführt.
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Die Beklagte äußerte, dass sie es für geboten halte, X unverzüglich aus der Familie zu nehmen und eine stationäre Hilfe einzuleiten. Das Department für psychische Erkrankungen - Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter der Universitätsklinik X berichtete unter dem 27.01.2020: Bei dem acht Jahre alten Kind sei eine Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten gegeben (ICD-10: F91.3). Empfohlen werde eine erneute Helferrunde, um eine weitere Unterstützung für X und ihre Familie zu beraten. Die Ressourcen von X würden insbesondere in ihrem engen familiären Umfeld gesehen. Es sollte deshalb nochmals versucht werden, alle Hilfen auszuschöpfen, um sie in diesem familiären Umfeld belassen zu können. Die Streitbeziehung zwischen Erwachsenen scheine für sie ein deutlicher Belastungsfaktor zu sein. Eine Unterstützung für X könnte eine zusätzliche erwachsene Person an ihrer Seite sein, z.B. in Form eines Erziehungsbeistands. Außerdem würde eine regelmäßige ambulante Verhaltenstherapie mit den Schwerpunkten auf dem Erlernen von Strategien zur Impulskontrolle und sozialer Kompetenzen empfohlen. Ein medikamentöser Heilversuch mit einem Neuroleptika könne unterstützend erwogen werden. In der Folge drang die Beklagte darauf, die Einholung eines Gutachtens zurückzustellen, und X schnell aus der Familie herauszunehmen. Zugleich zeigte sie sich gegenüber dem Kläger verwundert, dass er im gerichtlichen Verfahren ein Gutachten angeregt habe, was die angestrebte stationäre Hilfe für X verzögere, und teilte ihm mit, sie behalte sich vor, beim Familiengericht einen Antrag auf seine Ablösung als Vormund zu stellen.
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Mit Beschluss vom 16.03.2020 verpflichtete das Familiengericht die Großmutter, X an den Kläger herauszugeben. In der Begründung führte es aus, dass geeignete ambulante Maßnahmen zur Entlastung von X nicht zur Verfügung stünden, weil ihre Familie diese nicht zuließen und nicht nutzten. Die Situation von X sei seit nunmehr über zwei Jahren im Wesentlichen unverändert. Deutlich werde eine umfassende Überforderung von X mit der bestehenden Situation. Die Annahme, dass ohne eine Trennung von X von der Familie auch künftig eine Besserung nicht zu erzielen sein werde, habe sich zur Gewissheit verfestigt. Auch eine Verhaltenstherapie mit einer begleitenden medikamentösen Therapie bei Beibehaltung der häuslichen Situation werde keinen Erfolg haben.
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Mit Schriftsatz vom 24.03.2020 regte die Beklagte beim Familiengericht an, den Kläger aus seinem Amt als Vormund zu entlassen und das X als Vereinsvormund zu bestellen.
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Gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 16.03.2020 legte die Verfahrensbevollmächtigte der Großmutter von X Beschwerde ein und beantragte, die Anträge des Klägers abzuweisen sowie gemäß § 1632 Abs. 4 BGB anzuordnen, dass X bei der Pflegeperson in Familienpflege verbleibe.
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Mit Beschluss vom 03.06.2020 ordnete das Oberlandesgericht X die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens zu der Frage an, ob das Wohl von X durch einen Verbleib in seiner jetzigen Pflegefamilie gefährdet sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2020 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den „Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid“ vom 04.09.2018 zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus: Die Großmutter sei als Pflegemutter für ihre Enkelin „nicht im Ansatz“ geeignet. Zur Eignung gehöre, dass die Pflegeperson eine dem Wohl von X entsprechende Erziehung gewährleisten könne und sich auf die Kooperation mit dem Jugendamt einlasse und ggf. bereit sei, unterstützende Maßnahmen anzunehmen. Aufgrund eines nicht klärbaren Loyalitätskonflikts von X in Bezug auf die Großmutter und den Vater von X einerseits sowie der Mutter von X andererseits sei sie wiederholt gegen Mitschüler und Lehrer aggressiv geworden. Dem Familiengericht gegenüber habe sie geäußert, Vater und Großmutter schlügen sie regelmäßig. Mit der geplanten Familienhilfe habe das Spannungsfeld, dem sie ausgesetzt sei, aufgelöst werden sollen. Die Großmutter habe dies nicht eingesehen, obwohl sie angegeben habe, mit der Erziehung überfordert zu sein. Dass X geschlagen worden sei, sei nicht nachzuweisen. Deshalb sei es auch nicht zu einer Inobhutnahme gekommen. Dennoch sei offensichtlich, dass sich X in der Pflegesituation in der väterlichen Familie unwohl fühle und daraus Verhaltensauffälligkeiten entstünden. Ihre Großmutter habe nie eine Bereitschaft gezeigt, unterstützende Leistungen anzunehmen. Einer Aufhebung des ursprünglichen Bescheides (vom 27.04.2016) habe es nicht bedurft, da dieser keine Dauerwirkung entfalte. Die Leistungen seien deshalb (nur) ab dem 01.08.2018 abzulehnen gewesen. Hilfsweise werde - wenn der von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vertretenen Auffassung zu folgen sei - der Bescheid vom 27.04.2016 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X „zurückgenommen“, da eine Änderung der Verhältnisse vorgelegen habe; dass der Ausgangsbescheid diese Norm nicht nenne, sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unschädlich. Den Widerspruchsbescheid gab die Beklagte als Einschreiben am 11.08.2020 zur Post.
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Aufgrund einer Anzeige erhielt die Beklagte Kenntnis davon, dass X am 02.09.2020 von einer zunächst unbekannten Person zunächst auf der Straße und dann in einem Bus psychisch misshandelt und am Boden gewaltsam hinter ihr her geschleift worden sei. Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass es sich bei der Täterin um die Mutter von X gehandelt hatte. Nach Auffassung der Beklagten hatte die Großmutter die Aufklärung des Sachverhalts behindert. Im Beschwerdeverfahren trug die Beklagte insoweit vor: Ein gemeinsames Gespräch mit der Großmutter und dem Kläger zur Gestaltung des Umgangsrechts der Mutter sei nicht zustande gekommen. Der Kläger habe sich zwar gegen unbegleitete Umgänge ausgesprochen, diese fänden aber statt. Es bestünden weiter Zweifel daran, dass der Kläger den Schutz von X ausreichend sicherstelle. Auf Absichtserklärungen des Klägers und Absprachen mit ihm könne man sich nicht verlassen. Die Vorgehensweisen des Klägers seien in die Gesamtbeurteilung der Gefährdungslage von X einzubeziehen.
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Unter dem 08.12.2020 erstattete der Sachverständige im Beschwerdeverfahren sei familienpsychologisches Gutachten. Er kam zum Ergebnis, dass der weitere Verbleib von X in der jetzigen Pflegefamilie keine in einem solchen Ausmaß vorhandene Gefährdung bedinge, in deren Folge mit ziemlicher Sicherheit eine Schädigung des Kindeswohles von X eintreten würde. Zu empfehlen sei, dass X ihren Lebensmittelpunkt auch weiterhin bei ihrer Großmutter habe.
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Dem Gutachter hatte die Klassenlehrerin von X an der X Schule berichtet: Zu Beginn habe X Lernfortschritte gemacht und sei stabil gewesen. Das habe sich nach einem halben Jahr geändert, als sie den Wunsch gehabt habe, zu ihrer Mutter zurückzugehen. Die Großmutter habe sich in der Zusammenarbeit mit der Schule sehr zuverlässig gezeigt. Auch während des pandemiebedingten Lockdowns habe X sehr regelmäßig gearbeitet. Seit X ein Medikament erhalte, könne sie täglich vier Stunden und damit fast die volle Unterrichtszeit in die Schule kommen; nach den Herbstferien sei geplant, dass sie mittwochs noch zwei Stunden länger in der Schule bleibe. Das Medikament nehme sie zuverlässig ein. Sie, die Lehrerin, sei sich sicher, dass X in der Familie nicht geschlagen werde. Aus ihrer Sicht hätten X und die Großmutter eine sehr liebe Beziehung. Es müsse sichergestellt sein, dass X das Medikament weiter nehme. Dann steigere sie sich nicht so sehr in Emotionen und komme so nicht so sehr in Konfliktsituationen. Gegebenenfalls benötige sie auch eine heilpädagogische Unterstützung, wobei fraglich sei, ob sie diese akzeptieren würde. Eventuell könne eine sich regelmäßig treffende und fachlich angeleitete Mädchengruppe sinnvoll sein.
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Dem Gutachter hatte das Universitätsklinikum X berichtet: Die Zusammenarbeit mit der Großmutter sei sehr gut gelaufen, obwohl der Einstieg sehr schwierig gewesen sei. X sei dann auf ein Medikament eingestellt worden, was sich sehr schnell als sehr positiv erwiesen habe. Insgesamt sei X weniger impulsiv gewesen. Das Medikament könne bei entsprechendem Bedarf durchaus auch langfristig gegeben werden. Bei anhaltend guten Nachrichten aus der Schule hinsichtlich des Verhaltens und der Konzentration könne über die Dosierung des Medikaments nachgedacht werden. X sei von ihrer Art her sehr temperamentvoll, was als persönliche Eigenart angesehen werden müsse, ohne dies bereits grundsätzlich als Belastung anzusehen. Die Großmutter könne damit gut umgehen. Die Familie sei für X sehr wichtig. Die Großmutter gehe mit dem Kind sehr gewissenhaft um und beide seien emotional sehr verbunden. Es gebe viele Familien, in denen die Kinder nicht so gut geschützt seien wie in der Familie der Großmutter. X benötige unbedingt den regelmäßigen Schulbesuch. Das sehe auch die Großmutter so. Es werde kein Erziehungsangebot geben, das besser sei, als das, was die Großmutter im Alltag tun könne. Würde X aus ihrer Familie genommen, wäre sie in ihrer Entwicklung eher gefährdet. Ein Termin für ein Gespräch am runden Tisch sei kürzlich abgesagt worden. Die Großmutter sei bei Gesprächen unter Beteiligung des Jugendamtes kritisch, andererseits sei aber auch das Jugendamt gegenüber der Großmutter sehr misstrauisch.
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Der Kläger teilte am 14.12.2020 mit, dass er Strafantrag gegen die Mutter von X wegen des Vorfalls am 02.09.2020 gestellt und dafür gesorgt habe, dass Umgänge der Mutter von X, wenn sie überhaupt stattfinden, nur in der Gegenwart der Großmutter und nur bei ihr erfolgten. Derzeit frage X Umgänge mit der Mutter auch nicht nach.
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Die Verfahrensbeiständin von X äußerte zu dem Gutachten: Die Begutachtung sei in den Zeitraum gefallen, in dem X die empfohlene Medikation erhalten habe, so dass sich wohl schlagartig die Beschulung stabilisiert habe. Hinsichtlich des weiteren Ansatzes einer potentiellen Kindeswohlgefährdung, nämlich der Mutter-Tochter-Beziehung, sei die Situation jedoch fragil. X habe über fast zwei Jahre hinweg wiederholt von körperlicher Gewalt gegen sich berichtet. Dies habe der Sachverständige wohl nicht in die Begutachtung einbezogen. Aktuell scheine Ruhe in das Familiensystem gekommen zu sein, jedoch bestünden Zweifel, wie belastbar dies sei, insbesondere wenn die Mutter, wie von ihr angestrebt, eine eigene Wohnung beziehe. Aus ihrer Sicht sei daher nach wie vor eine ambulante Unterstützung von X erforderlich. Vor dem Hintergrund des zerrütteten Verhältnisses zwischen der Großmutter und dem Jugendamt stelle sich allerdings die Frage, wie eine solche Maßnahme als Hilfe zur Erziehung installiert werden könne.
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Die Beklagte wies darauf hin, dass in das Gutachten nicht das gesamte von ihr dokumentierte Geschehen und die gesamten Inhalte aus den vorangegangenen familiengerichtlichen Verfahren eingeflossen seien. Ein differenziertes Fallverstehen sei ohne Berücksichtigung der langjährigen Vorgeschichte nicht möglich. Die besorgniserregenden Vorkommnisse vom September 2020 spreche der Gutachter zwar an, berücksichtige sie aber nicht bei der Bewertung der Gefährdungslage von X Dadurch entstehe ein unvollständiges und einseitiges Bild der bisherigen Entwicklung und der familiären Gesamtsituation. Sie, die Beklagte, sehe, dass sich die schulische Situation von X seit Beginn des laufenden Schuljahres, vermutlich bedingt durch die regelmäßige Medikation, erfreulicherweise stabilisiert habe. In schulischer Hinsicht bestünden deshalb aktuell keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung von X Im Hinblick auf die familiäre Situation sehe sie weiter deutliche Hinweise für eine sehr hohe emotionale Belastung von X im Sinne eines Autonomiekonflikts. Der Vorfall vom 02.09.2020 sei dafür beispielhaft. Der Gutachter gehe nicht in angemessener Weise auf die Konflikte und die schädigenden Einflüsse innerhalb der Familie ein. Das Familiengericht sowie das Oberlandesgericht hätten in dieser Hinsicht ihre Einschätzung, die der Beklagten, bisher stets geteilt. Dass entsprechende Hilfen nicht zustande gekommen seien, liege nicht nur am Unwillen der Großmutter, sondern auch an der mangelnden Mitwirkung des Klägers als Vormund. Sie teile die Auffassung, dass aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung mit Blick auf die aktuelle Situation eine Herausnahme von X aus der Familie nicht geboten sei. Die Ansicht, dass bei einem Verbleib von X in der Familie derzeit kein Bedarf an jugendhilferechtlichen Leistungen bestehe, teile sie aber nicht.
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Aufgrund des Gutachtens nahm der Kläger seinen Antrag auf Herausgabe von X zurück.
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Daraufhin regte das Oberlandesgericht an, dass die anderen Beteiligten der Rücknahme zustimmten, und äußerte dabei, dass es auf der Grundlage des ausführlichen, differenzierten und insgesamt überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen die in den Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter zum Ausdruck gebrachte Auffassung teile, dass mit einem Verbleib von X im Haushalt der Großmutter eine Kindeswohlgefährdung nicht verbunden sei und X dort weiterhin seinen Lebensmittelpunkt haben sollte sowie eine Herausnahme von X zur Wahrung des Kindeswohls weder geeignet noch erforderlich sei.
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Mit (Kosten-)Beschluss vom 22.03.2021 schloss das Oberlandesgericht X das Verfahren ab.
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Mit Schreiben vom 08.06.2021 nahm das Jugendamt der Beklagten die Anregung an das Familiengericht, den Vormund abzulösen, zurück. Im Einstellungsbeschluss vom 23.07.2021 (701 F 1352/19) stellte die Rechtspflegerin fest, ein von Amts wegen durchzuführender Vormundwechsel sei im Übrigen nicht veranlasst. Ein pflichtwidriges Verhalten des Vormunds, welches seine Abberufung rechtfertigen könne, sei in keiner Hinsicht zu erkennen.
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Bereits am 11.09.2020 hatte der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor: Die Bescheide seien schon formell rechtswidrig. In dem Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid werde keine Rechtsgrundlage genannt. Für eine Rücknahme von Jugendhilfebescheiden sei überdies nicht das Amt für Soziales und Senioren, sondern das Amt für Kinder, Jugend und Familie zuständig. Die Beklagte habe ihn vor Erlass der (hilfsweisen) Rücknahmeentscheidung nicht angehört. Auch vor Erlass des Widerspruchsbescheids habe ihn die Beklagte nicht angehört; das sei aber geboten gewesen, da die Beklagte, nachdem sie das Widerspruchsverfahren zum Ruhen gebracht habe, ihm mit Schreiben vom 15.04.2019 mitgeteilt habe, dass sie ihn vor der anstehenden Entscheidung im Widerspruchsverfahren rechtzeitig informieren werde. Der angefochtene Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Die Vollzeitpflege von X durch ihre Großmutter sei geeignet und notwendig. Aus dem ärztlichen Zeugnis der Universitätsklinik X, Department für Psychische Erkrankungen, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter vom 27.01.2020 ergebe sich, dass X an einer Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (ICD-10, F 91.3) leide, dabei aber besondere Ressourcen in ihrem familiären Umfeld habe. Eine mangelnde Mitwirkung bei einer Jugendhilfeleistung gemäß § 37 Abs. 2 SGB VIII (Anspruch auf Beratung und Unterstützung) berechtige grundsätzlich nicht dazu, eine andere Hilfe, hier eine Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege, bei der die Großmutter stets mitgewirkt habe, einzustellen. Die Mitwirkungsbereitschaft sei keine Voraussetzung für die Bewilligung der Vollzeitpflege. Eine Hilfe im Sinn von § 37 Abs. 2 SGB VIII sei hier nicht geeignet gewesen, deshalb habe es der Großmutter auch nicht oblegen, daran mitzuwirken. Seit dem 10.09.2018 besuche X im Einverständnis mit dem Staatlichen Schulamt X ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (X Schule). Was die schulischen Auffälligkeiten angehe, sei eine Jugendhilfemaßnahme somit nicht mehr notwendig. Ohnehin habe die Großmutter die von der Beklagten gewünschte zusätzliche Hilfe einer Erziehungsbeiständin/Betreuungshelferin (gemäß § 30 SGB VIII) nach den Sommerferien 2018 (ab dem 15.11.2018) in Anspruch genommen und damit so, wie von der Beklagten gewünscht, mitgewirkt. Soweit die Beklagte den Bescheid vom 27.04.2016 hilfsweise zurückgenommen habe, lägen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung und auch für eine Aufhebung in der Zukunft nicht vor. Auch habe die Beklagte bei der Rücknahme kein Ermessen ausgeübt. In der Zwischenzeit habe sich im familiengerichtlichen Verfahren ergeben, dass es dem Kindeswohl von X diene, wenn sie im Haushalt der Großmutter lebe. Nach dem Sachverständigengutachten vom 08.12.2020 sei ein Verbleib von X im Haushalt der Großmutter erforderlich; diese sei als Pflegemutter geeignet sowie eine unterstützenswerte Ressource für X; eine stationäre Unterbringung von X sei nicht geboten. Seit X auf Rat der Universitätsklinik Medikamente einnehme, komme es nicht mehr zu schulischen Auffälligkeiten. Dass die Vollzeitpflege durch die Großmutter die richtige Hilfeleistung sei, zeige sich auch daran, dass die Beklagte bis heute keinen neuen Hilfeplan erstellt habe. Hinsichtlich der Geeignetheit der Pflegeperson stehe der Beklagten zwar ein Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei. Für die Feststellung, dass das Wohl des Kindes in der Pflegestelle nicht gewährleistet sei, treffe die Beklagte aber eine Darlegungs- und Beweislast, der sie hier nicht entsprechen könne. Vielmehr habe die Beklagte die Lage von X von Anfang an falsch eingeschätzt.
56 
Der Kläger beantragt,
57 
den Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid der Beklagten vom 04.09.2018 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 sowie des Schriftsatzes vom 16.12.2020 aufzuheben,
58 
hilfsweise,
59 
die genannten Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ab dem 01.08.2018 Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege durch Frau X zu bewilligen.
60 
Die Beklagte beantragt,
61 
die Klage abzuweisen.
62 
Sie trägt ergänzend vor: Spätestens zum 01.08.2018 sei die Großmutter von X als Pflegemutter für eine Vollzeitpflege ungeeignet. Die Situation von X in der Familie bewege sich regelmäßig am Rande einer Kindeswohlgefährdung, ohne dass festgestellt werden könne, dass sie überschritten sei. Das habe ihr Jugendamt zuletzt am 29.09.2020 nach dem Vorfall am 02.09.2020 festgestellt. Abschließend könne dies nicht geklärt werden, weil die Großmutter sich massiv gegen eine „Einmischung von außen“ wehre. Der Kläger selbst sehe die Herausnahme von X aus der Familie zwischenzeitlich als geeignet und notwendig an. Die Großmutter sei nie bereit gewesen, unterstützende Leistungen anzunehmen. Aus den Akten werde die latente Gewaltneigung der Familie deutlich. Es gehöre im Übrigen zum Auftrag des Klägers (früher als Ergänzungspfleger und jetzt als Vormund), das kulturelle Selbstverständnis der väterlichen Familie zu durchbrechen. Es sei nicht erforderlich gewesen, den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 aufzuheben. Bei diesem handele es sich nicht um einen Dauerverwaltungsakt. Deshalb sei nicht zu beanstanden, dass im angefochtenen Bescheid (nur) Leistungen ab dem 01.08.2018 abgelehnt würden. Falls es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 04.09.2018 doch um einen Dauerverwaltungsakt handele, sei dieser durch die im Widerspruchsbescheid erfolgte hilfsweise Rücknahme bzw. Aufhebung beseitigt worden. Hilfsweise - so im Schriftsatz vom 16.12.2020 - werde der Bescheid vom 27.04.2016 zum 01.10.2020 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X aufgehoben (in der Überschrift heißt es noch: „Rücknahme ... zum 01.10.2018“). Dabei handele es sich um eine gebundene Entscheidung. Ermessen sei ihr insoweit nicht eröffnet. Die fehlende Anhörung dürfte durch das bisherige Verfahren geheilt worden sein; dies sei bis zur letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz möglich. Das im Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht eingeholte Gutachten beleuchte nur einen kurzen Zeitraum und lasse die Konflikte und schädigenden Einflüsse, denen X innerhalb der Familie ausgesetzt sei, außer Acht, so dass ein unvollständiges und einseitiges Bild der bisherigen Entwicklung und der familiären Gesamtsituation von X entstehe. Sie teile nicht die Sicht, dass kein Bedarf an zusätzlichen jugendhilferechtlichen Leistungen bestehe. Aus dem familiengerichtlichen Verfahren ergebe sich allein, dass X nicht aus dem Haushalt der Großmutter herausgenommen werden könne und deshalb dort verbleibe. Zur Eignung der Großmutter als Pflegeperson äußere sich das dort eingeholte Gutachten nicht. Im Gegenteil lasse es eine Reihe von Problemen erkennen, die deutlich machten, dass die Großmutter nicht geeignet sei. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Situation im häuslichen Umfeld wesentlich geändert habe.
63 
Mit Schreiben vom 03.12.2020 hat der Kläger die Beklagte darauf hingewiesen, dass diese aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Pflegegeld weiter auszuzahlen habe. Mit Bescheid vom 18.12.2020 an den Kläger hat die Beklagte insoweit unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom 01.09.2018 bis zum 31.12.2020 insgesamt 22.928,- EUR (abzüglich einer nicht näher bezeichneten Kostenanforderung für die Zeit vom 29.09.2018 bis zum 31.12.2020 in Höhe von 9.025,16 EUR) und ab Januar 2021 monatlich 829,50 EUR Pflegegeld bewilligt. Das Geld hat sie auf ein Anderkonto des Klägers überwiesen, der es aus Sorge vor einer Rückforderung bislang nicht an die Großmutter weitergeleitet hat.
64 
In der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2021 hat der Kläger angegeben: X habe die vierte Klasse soeben abgeschlossen und werde weiter die X Schule besuchen. Sie nehme das verschriebene Medikament (Wirkstoff: X) regelmäßig ein. Vergesse sie dies einmal, mache sich das im Unterricht stark bemerkbar. Umgang mit der Mutter habe sie nur, wenn ihre Großmutter dabei sei; X falle es schwer, das zu akzeptieren. Ein professionell begleiteter Umgang sei bislang auch daran gescheitert, dass - auch pandemiebedingt - entsprechende Fachkräfte nur schwer zu bekommen seien. Aus dem gleichen Grund sei eine von ihm angestrebte Verhaltenstherapie noch nicht eingeleitet. Die Strafhaft des Vaters von X dauere an. Die Großmutter sei vom Landratsamt X als Pflegeperson für ein anderes Kind ausgewählt worden; die Einrichtung dieser Pflege sei daran gescheitert, dass die Beklagte als zuständige Behörde Bedenken gegen die Eignung der Großmutter geäußert habe. Die Beklagte hat bestätigt, dass bis heute keine Hilfeplanung für X erfolge.
65 
Der Kammer liegen vier Hefte Akten der Beklagten sowie fünf Hefte Akten des Amtsgerichts X und des Oberlandesgerichts X - Außenstelle X - einschließlich des familienpsychologischen Gutachtens vom 08.12.2020 vor.

Entscheidungsgründe

 
66 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig (I.) und begründet (II).
I.
67 
1. Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft; denn bei dem angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 und des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.12.2020 handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, mit welcher die Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in der Form einer Vollzeitpflege in der Familie der Großmutter von X und damit auch die Bewilligung der Annexleistung eines Pflegegelds an den Kläger aufgehoben und nicht etwa (nur) eine weitere Hilfegewährung abgelehnt wird (was zur Folge hätte, dass nur eine Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft wäre). Eine von einer solchen Aufhebungsentscheidung unabhängige „Einstellung einer Leistung“ gibt es im Recht der Hilfe zur Erziehung nicht (so auch VG Karlsruhe, Urt. v. 09.12.2002 - 8 K 2358/00 -, juris, Rn. 15).
68 
Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Bewilligung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe die (frühere) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe anzuwenden sei, wonach die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe wegen ihres Gegenwartscharakters keine Dauerleistung sei (mit der Folge, dass über sie bei einer Änderung der Verhältnisse stets neu und ohne Aufhebung eines vorausgegangenen Bewilligungsbescheids zu entscheiden sei), folgt dem die Kammer nicht; denn diese für die Gewährung von Sozialhilfe entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt jedenfalls nicht bei der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in der Form der Verwandten-Vollzeitpflege „bis auf Weiteres“. Das ergibt sich aus Folgendem:
69 
Selbst im Recht der Sozialhilfe unter Geltung des Sozialgesetzbuchs XII wird die angeführte frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Grundsatz als überholt angesehen. Dies gilt jedenfalls und insbesondere für Fälle, in denen die Bewilligung der Leistung „bis auf Weiteres“, also ohne hinreichend klare zeitliche Befristung erfolgt (vgl. Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 48 Rn. 15 m.w.N.; LSG Bad-Württ., Beschl. v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05, juris, Rn. 12, 13 m.w.N.).
70 
Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht schon früher im Kinder- und Jugendhilferecht bei einer Änderung der Verhältnisse eine Aufhebung eines Bewilligungsbescheids gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für erforderlich gehalten, wenn diese Hilfe nicht zeitabschnittsweise, sondern für eine gewisse Zeit in die Zukunft und damit auf eine gewisse Dauer gewährt war (vgl., für eine Maßnahme der Eingliederungshilfe, BVerwG, Urt. v. 28.09.1995 - 5 C 21.93 - NVwZ-RR 1996, 446 = juris, Rn. 8; DIJuF-Rechtsgutachten vom 26.03.2018; JAmt 2018, 143; a.A., für eine Maßnahme der Hilfe zur Erziehung, OVG NRW, Beschl. v. 27.02.2007 - 12 B 72/07 -, juris, Rn. 19 ff.).
71 
Eine zeitabschnittsweise Gewährung der Vollzeitpflege von X bei der Großmutter lässt sich dem Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 jedoch nicht entnehmen.
72 
Sie ergibt sich insbesondere nicht aus der Formulierung, dass sich Umfang und Dauer der Hilfeleistung nach dem jeweiligen (den Eltern bzw. dem Kläger bekannten) Hilfeplan richte. Die Beklagte weist insoweit zwar darauf hin, dass im Hilfeplan vom 21.04.2016 wie auch in seiner ersten und zugleich letzten Fortschreibung vom 05.04.2017 jeweils eine Laufzeit der Hilfe genannt wird („ab 08.03.2016 für zunächst ein Jahr“ bzw. „ab dem 01.04.2017 bis zum 31.03.2018“).
73 
Dass sich daraus aber keine zeitabschnittsweise Bewilligung (mit der Folge einer Beendigung der Hilfe) ergibt, ist bereits in den Gründen der Beschlüsse der Kammer (v. 19.02.2019 - 4 K 5705/19 -, juris, Rn. 12 ff.) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (v. 14.04.2020 - 12 S 714/19 -, nicht veröff., UA. S. 5 ff.) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dargelegt. Im Einzelnen:
74 
Aus dem Bewilligungsbescheid selbst ergibt sich nicht, für welchen Zeitraum die Hilfe zur Erziehung erfolgt. Der Bescheid enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung. Er ist deshalb auszulegen. Maßgebend dabei ist nicht der innere Wille der Behörde, sondern der Wortlaut des Verwaltungsakts und dessen objektiver Sinngehalt. Unklarheiten bei der Auslegung gehen zulasten der Behörde.
75 
Nach diesen Maßstäben durften die damals sorgeberechtigten Eltern von X davon ausgehen, dass mit der Bewilligung ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis begründet worden war. Aus dem Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 in Verbindung mit dem Verweis auf den Hilfeplan in seiner jeweils gültigen Fassung und dem dortigen Hinweis auf dessen weitere Fortgeltung bis zur nächsten Fortschreibung war für einen verständigen Empfänger zu schließen, dass die Hilfeleistung zunächst unbefristet bis zu einer Änderung des Hilfeplans erfolgen und nicht durch Ablauf eines Datums (hier zuletzt der 31.03.2018) ihre Erledigung finden sollte. Den Eltern hat sich vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Bewilligungsbescheid und Hilfeplan, aber auch der weiteren, bei Erlass des Bewilligungsbescheides bekannten Umstände, das Verständnis aufgedrängt, dass die Einrichtung der Vollzeitpflege für ihr Kind bei der Großmutter auch unter Einstellung der jeweils in der Hilfeplanung genannten Daten einen zunächst nicht befristeten Zeitraum umfasst.
76 
In diesem Verständnis haben sie sich etwa auch durch den Umstand bestätigt sehen können, dass tatsächlich die Hilfe einschließlich der Annex-Leistung Pflegegeld auch im März 2017 erbracht worden war und damit in einem Monat, der nach Ende des im Hilfeplan vom 21.04.2016 genannten Jahreszeitraums (07.03.2016) lag.
77 
Die Auslegung des Bescheids vom 27.04.2016 als eines Bescheids, mit dem ein auf längere Zeit angelegtes, in die Zukunft gerichtetes Rechtsverhältnis begründet worden war, liegt zudem auch deshalb nahe, weil sowohl die Personensorgeberechtigten als auch das Jugendamt der Beklagten aufgrund der umfänglich dokumentierten Ausgangssituation der Eltern und von X von einem langfristigen, individuellen erzieherischen Bedarf in Form der Vollzeitpflege ausgegangen waren.
78 
Dass im Übrigen auch im Verwaltungsablauf der Beklagten davon ausgegangen worden war, dass der Unterbringung von X im Wege der Vollzeitpflege ein längerfristiger Bedarf zugrunde gelegen hatte, verdeutlicht die interne E-Mail der Wirtschaftlichen Jugendhilfe der Beklagten vom 23.07.2018; wäre nach Auffassung der Beklagten die Gewährung der Hilfe zur Erziehung befristet gewesen, hätte diese schon zum 31.03.2018 die Hilfe einstellen müssen; tatsächlich hat sie die Hilfe aber über dieses Datum fast ein halbes Jahr lang weitergeführt und erst mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 beendet.
79 
Die Annahme, dass eine Hilfe zur Erziehung, jedenfalls in Gestalt der Vollzeitpflege, täglich neu geprüft und bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen täglich neu bewilligt werde, stimmt im Übrigen mit der eigenen Verwaltungspraxis der Beklagten offensichtlich nicht überein. Soweit diese dennoch der Auffassung ist, durch das Rechtsinstitut eines Dauerverwaltungsaktes werde die - gerade für den Bereich der Hilfe zur Erziehung notwendige - Flexibilität unmöglich gemacht, um Fort- oder Rückschritten im Hilfeprozess Rechnung tragen zu können, ist nicht ersichtlich, weshalb sie gehindert gewesen wäre, durch entsprechende Regelungen im Bewilligungsbescheid oder durch weitere Bescheide einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken.
80 
Sofern die Beklagte die Auffassung vertreten möchte, dass - wenn nicht schon für die Bewilligung der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege selbst, dann doch - jedenfalls für die Bewilligung des Pflegegeldes die von ihr angeführten Grundsätze gälten, vermag die Kammer dem jedenfalls für Fälle wie dem vorliegenden nicht zu folgen. Denn die Verneinung der Eignung als Pflegeperson betrifft nur mittelbar die Bewilligung der Annexleistung Pflegegeld. Unmittelbar betrifft sie allein die Bewilligung der von den Personensorgeberechtigten beantragten Grundleistung „Vollzeitpflege“ in Form der Verwandtenpflege bei einer bestimmten Pflegeperson, hier der Großmutter von X (a.A. wohl VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.07.2003 - 9 S 1070/03 -, JAmt, 2003, 598 = juris, Rn. 4, dabei aber dennoch fordernd, vgl. dort Rn. 9, dass bei fehlender Eignung der Pflegeperson Pflegegeld nur eingestellt werden könne, wenn zugleich das Pflegeverhältnis beendet werde). Unabhängig hiervon deutet außer der Bezeichnung des aufzuhebenden Änderungsbescheids vom 22.(richtig: 21.)12.2017 nichts darauf hin, dass die Beklagte nur die Pflegegeldbewilligung hätte aufheben wollen. Dementsprechend hat sie im Widerspruchsbescheid und im weiteren Verfahren wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 insgesamt aufheben wolle.
81 
2. Die Klage ist auch sonst zulässig. Insbesondere ist der Kläger als Vormund des Kindes im Sinn von § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt; denn als Adressat des Verwaltungsakts, mit dem die ihm als Personensorgeberechtigtem (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII) bewilligte Hilfeleistung aufgehoben worden ist, ist er möglicherweise in seinem vormundschaftlichen Erziehungsrecht (§ 1793 Abs. 1 Satz 1, §§ 1800, 1631 und 1632 BGB) verletzt (dazu, dass einem Vormund eines Kindes nicht das Grundrecht auf Pflege und Erziehung eines Kindes zusteht, vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.02.1960 - 1 BvR 526/53 u.a. -, BVerfGE 10, 302 = juris, Rn. 77; anders, bei Großeltern als Vormund, BVerfG, Urt. v. 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. -, BVerfGE 34, 165 = juris, Rn. 128; vgl. auch Lafontaine, in: Herberger u.a., jurisPK-BGB, Stand 15.10.2019, § 1793, Rn. 21 ff.).
II.
82 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag auch begründet; denn der angefochtene Bescheid ist (auch) in der Fassung, die ihm die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid und dem Schriftsatz vom 16.12.2020 gegeben hat, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
83 
1. Die Beklagte versteht den angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 - trotz seiner Bezeichnung als „Aufhebungsbescheid“ - und trotz der Verwendung des Wortes „aufheben“ im Entscheidungssatz nach wie vor in erster Linie als einen Bescheid, mit dem der (ursprüngliche Antrag auf Hilfe zur Erziehung) rückwirkend ab dem 01.08.2018 abgelehnt wird. Deutlich wird dies an der auch verwendeten Bezeichnung „Einstellungsbescheid“ als auch daran, dass in der Begründung des Bescheids darauf abgehoben wird, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nicht mehr vorliegen. Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte diese Auffassung nochmals vertreten. Diese Auffassung trifft aber, wie bereits ausgeführt, nicht zu, hindert jedoch nicht eine Auslegung, wonach der Bescheid vom 04.09.2018 (auch) eine Aufhebung im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X enthält.
84 
2. Unklar ist allerdings, ob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid in seiner Ursprungsfassung den Grundbescheid über die Gewährung der Hilfe zur Pflege vom 27.04.2016 aufgehoben hat. Denn im angefochtenen Bescheid nennt sie als Aufhebungsgegenstand allein den Bescheid vom 22.12.2017. Gemeint war damit der Bescheid vom 21.12.2017, mit dem die Beklagte zuletzt die Höhe des zum Hilfebescheid akzessorischen Pflegegelds gemäß § 39 SGB VIII an die Erhöhung der Sätze nach den gemeinsamen Empfehlungen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales sowie des Städte- und Landkreistages Baden-Württemberg zur Gewährung von Leistungen zum Unterhalt (Pflegegeld) angepasst hatte.
85 
a) Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt seien, sei damit gegenüber den Pflegeeltern hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem Änderungsbescheid vom 21.12.2017 nicht nur die dort bezeichnete Änderung (Anpassung) des Pflegegeldes ausgesprochen, sondern zugleich das Hilfeverhältnis neu geregelt, also den Grundbewilligungsbescheid über Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege in der Familie der Großmutter, neu erlassen habe.
86 
Für eine solche Auslegung des Anpassungsbescheids vom 21.12.2017 gibt sein Wortlaut jedoch nichts her. Hierfür gibt es auch keine Notwendigkeit; denn es ist der Beklagten grundsätzlich unbenommen, die Höhe der Annexleistung Pflegegeld unter Aufrechterhaltung der Grundbewilligung der Hilfe zur Erziehung anzupassen. Für eine gleichzeitige, unausgesprochene Neuregelung der Bewilligung der dem Pflegegeld zu Grunde liegenden Hilfegewährung gab es im Dezember 2017 weder einen Bedarf noch hatte die Beklagte insoweit etwa eine Prüfung der Voraussetzungen vorgenommen.
87 
b) Mithin käme eine Auslegung, wonach die Beklagte mit dem Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid vom 04.09.2018 den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 aufgehoben hätte, nur in Betracht, wenn insoweit der auch im öffentlichen Recht anwendbare Auslegungsgrundsatz der „falsa demonstratio non nocet“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2013 - 7 C 22.11 -, NVwZ-RR 2013, 593 = juris, Rn. 18) eingriffe; dies ist aber nicht der Fall. Denn die Beklagte wollte damals allein den Anpassungsbescheid vom 21.12.2017 aufheben, weil sie damals offensichtlich der - unrichtigen (vgl. schon VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.07.2003 - 9 S 1070/03 - a.a.O.) – Auffassung war, es genüge, den letzten zur Höhe des Pflegegelds ergangenen Bescheid aufzuheben.
88 
c) Sollte danach der angefochtene Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid vom 04.09.2018 nicht dahin ausgelegt werden können, dass die Beklagte mit ihm den Grundbewilligungsbescheid vom 27.04.2016 aufgehoben hätte, käme eine Aufhebung jenes Bescheids frühestens mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 in Betracht, in dem die Beklagte erstmals ausgeführt hat, dass sie den Bescheid vom 27.04.2016 (im Anschluss an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) hilfsweise aufhebe. In diesem Falle müsste sich die Aufhebung, soweit sie für die Vergangenheit (ab dem 01.08.2018) gelten sollte, aber nicht an § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, sondern an § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X messen lassen, dessen strenge Voraussetzungen (vgl. Merten a.a.O., Rn. 61, 62 m.w.N.) hier, was der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum Erlass des Aufhebungsbescheids/Einstellungsbescheids vom 04.09.2018 eingeräumt hat, kaum vorliegen dürften.
89 
3. Sollte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid am 04.09.2018 den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 doch aufgehoben haben, wäre die Aufhebung jedenfalls rechtswidrig.
90 
a) Dies folgt allerdings noch nicht aus den vom Kläger vorgetragenen Zweifeln hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens. Denn die Beklagte war hierfür zuständig, auf deren interne Zuständigkeitsverteilung insoweit kommt es dabei nicht an, ein etwaiger Anhörungsmangel (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X) wurde im Widerspruchsverfahren geheilt (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und § 24 Abs. 1 SGB X) und es stellt auch keinen Begründungsmangel (vgl. § 35 Abs. 1, § 24 Abs. 1 SGB X) dar, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid die maßgebliche Rechtsgrundlage für eine Aufhebung (hier § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht angeführt hat; im Übrigen hat sie diese im Widerspruchsbescheid zulässigerweise (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und § 24 Abs. 1 SGB X) nachgeholt.
91 
b) Rechtswidrig wäre der angefochtene Bescheid aber deshalb, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 nicht vorlagen.
92 
Nach dieser Vorschrift sind Dauerverwaltungsakte (nur) für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Dauerverwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche Änderung der Verhältnisse trifft die Beklagte.
93 
aa) Der Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 ist - wie oben bereits dargelegt - ein Dauerverwaltungsakt in diesem Sinn.
94 
bb) Dass die Verhältnisse sich ab August 2018 und bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids gegenüber der Bewilligung ab März 2016 wesentlich geändert hätten, lässt sich nicht feststellen.
95 
Insoweit steht allein im Streit, ob die Großmutter von X als Pflegeperson geeignet ist. Außer Streit steht, dass auch nach dem 01.08.2018 ein Bedarf an einer Vollzeitpflege für X bestand, weil die Eltern von X bzw. der Kläger als Pfleger und zuletzt Vormund zur Erziehung von X nicht in der Lage bzw. bereit waren und sind.
96 
Dabei stellt die Beklagte, wie ihre Vertreter in der mündlichen Verhandlung nochmals geäußert haben, die (individuelle) Eignung der Großmutter als Pflegeperson für X ab dem 01.08.2018 in Frage, weil diese ihre Hilfeangebote nicht zum Wohl von X prüfe, annehme und positiv begleite, sie ihre Stellung in dem Loyalitätskonflikt von X hinsichtlich der Mutter einerseits und der väterlichen Herkunftsfamilie andererseits nicht reflektiere, die vom Familiengericht angeordneten Einschränkungen des Umgangsrechts der Mutter mit dem Kind nicht beachte und bei der Aufklärung von Übergriffen der Mutter auf X wie bei dem Vorfall im September 2020 nicht zum Wohl von X umfassend mitwirke.
97 
Einwände solcher Art können grundsätzlich die Eignung einer Pflegeperson, auch wenn es sich dabei um Verwandte des Pflegekindes handelt, in Frage stellen. Insoweit ist von Folgendem auszugehen:
98 
Die Geeignetheit der Pflegeperson ist nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier zur Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII durch die Großmutter von X - bei Bewilligung der Leistung und auch während ihrer Gewährung (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) zu überprüfen. Dabei kann die Vollzeitpflege durch Großeltern nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet sind. Zur Geeignetheit in diesem Sinn gehört also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten können und sich zum anderen auf eine Kooperation mit dem Jugendamt einlassen und ggf. zur Annahme unterstützender Leistungen bereit sind (DIJuF-Rechtsgutachten vom 01.03.2006, JAmt 2006, 129). Dies folgt ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a SGB VIII, wonach die zur Übernahme der Pflege bereite unterhaltspflichtige Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu decken. Großeltern bedürfen zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), ihre persönliche Eignung ist jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet ist (vgl., zum Ganzen, BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 -, juris, Rn. 19).
99 
Dies zugrunde legend hat das Bundesverwaltungsgericht die Eignung von Großeltern als Pflegeperson in einem Fall für gegeben erachtet, in dem die Kinder bei den Großeltern gut untergebracht und betreut und ihrer Erziehung sichergestellt waren und in dem die Bereitschaft der Großeltern, die Vollzeitpflege ihrer Enkelkinder gemäß § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entsprechend einem Hilfeplan zu leisten, nicht ernsthaft in Frage gestellt worden war (BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 - a.a.O., Rn. 20; vgl. auch, eine Eignung von Großeltern als Pflegepersonen verneinend, allerdings nur knapp, zu einem Loyalitätskonflikt eines Kindes zwischen Mutter und Großmutter, OVG NRW, Beschl. v. 25.02.2013 - 12 E 875/12 -, juris, Rn. 5, sowie, zur fehlenden Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt, VG Regensburg, Urt. v. 10.11.2015 - RO 4 K 15.287 -, juris, Rn. 22 ff.).
100 
Hinzu kommt, dass nach der in diesem Zusammenhang auch in den Blick zu nehmenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bestellung von Großeltern als Vormund diesen und sonstigen nahen Verwandten bei der Auswahl des Vormunds grundsätzlich der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zukommt, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist. Weil Großeltern gerade wegen der besonderen familiären Verbundenheit grundsätzlich bevorzugt als Vormund zu bestellen sind, kann diese Nähe für sich genommen nicht gegen ihre Eignung angeführt werden. Für die hierbei zu beantwortende Frage, ob im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl durch die Bestellung eines außenstehenden Vormunds besser gedient ist als durch die Auswahl der Großeltern, kommt es auch darauf an, ob das Kind bereits bei den Großeltern lebt oder zeitnah zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gelebt hat, weil die Herausnahme des Kindes aus seiner gewohnten Umgebung regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet. Die fehlende Distanz zu den Kindeseltern spricht nur dann gegen eine Bestellung naher Verwandter zum Vormund, wenn es konkrete Hinweise dafür gibt, dass die emotionale Einbindung der Verwandten in die Familie des Kindes sich - etwa wegen einer außergewöhnlichen Intensität oder eines besonderen Charakters - im Einzelfall abträglich auf das Kindeswohl auswirken könnte (BVerfG, Beschl. v. 27.08.2014 - 1 BvR 1467/14 -, FamRZ 2014, 1841 = juris, Rn. 16, 22) sowie Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 2926/13 -, BVerfGE 136, 382 = juris, Rn. 24).
101 
Bei der Entscheidung des Jugendamts über die Geeignetheit der Hilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des betroffenen Kindes, des Inhabers der elterlichen Sorge bzw. hier des Vormunds und mehrerer Fachkräfte, das nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern „lediglich“ eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich daher regelmäßig darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden; dabei müssen behördliche Bedenken hinsichtlich der Eignung substantiiert und mit konkreten Ereignissen belegt werden (st. Rspr., vgl. zuletzt Bayer. VGH, Beschl. v. 18.11.2020 - 12 ZB 20,152 ´- juris, Rn. 5, 8).
102 
Dabei ist aber auch anerkannt, dass generell und gerade in der Verwandtenpflege keine zu hohen, gewissermaßen idealen Anforderungen an die erzieherischen Kompetenzen der Pflegeperson gestellt werden dürfen (Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand 11.03.202, § 33 Rn. 60 ff. m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 10.04.2002 - 4 LB 53/02 -, juris, Rn. 32; VG München, Urt. v. 11.12.2013 - M 18 K 12.5685 -, juris, Rn. 23 ff.).
103 
Nach diesen Grundsätzen reichen die von der Beklagten angeführten Mängel nach der Überzeugung der Kammer nicht aus, im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 eine fehlende Eignung der Großmutter als Pflegeperson von X festzustellen.
104 
Dass die Großmutter das Kind gut versorge, mit dem Kläger als Vormund zusammenarbeite, die Termine für X bei Ärzten, Schule usw. wahrnehme und insgesamt grundsätzlich ein gutes Verhältnis zu X habe, wie auch umgekehrt, erkennt auch die Beklagte an bzw. stellt dies nicht substantiiert in Frage. Genanntes wird im Übrigen in dem im familiengerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten umfassend und eindrucksvoll von der Klassenlehrerin von X an der X Schule und den mit X befassten Ärztinnen bzw. Ärzten bestätigt. Dass X im Haushalt der Großmutter - auch von anderen Verwandten väterlicherseits - geschlagen werde, hat sich nicht erwiesen. Der zuständige Familienrichter hat es in den familiengerichtlichen Verfahren für möglich gehalten, dass entsprechende Äußerungen von X dem Drängen der Mutter zugeschrieben sein könnten, solche Vorfälle zu behaupten, um einen weitergehenden Umgang für die Mutter herbeizuführen. Die Befragung der mit X befassten Ärzte und seiner Klassenlehrerin hat insoweit keine Anhaltspunkte ergeben; vielmehr äußerten diese Personen, dass die Großmutter mit X liebevoll umgehe.
105 
Soweit die Beklagte eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Großmutter von X beklagt, mag dies zwar hinsichtlich des im Juli 2018 beantragten und bewilligten Einsatzes einer sozialpädagogischen Fachkraft zutreffen. In der Folge hatte die Großmutter aber, wohl auch durch die Vermittlung des Klägers, eine vorübergehende Erziehungshilfe akzeptiert und, wenn auch mit erkennbarem Widerwillen, stattfinden lassen, ohne dass ersichtlich würde, dass sie diese nachhaltig behindert hätte. Eine Verlängerung dieser Maßnahme ist nach Lage der Akten aus Gründen gescheitert, welche der Großmutter nicht anzulasten sind.
106 
Soweit der Kläger als Vormund im Rahmen seiner Erziehungsbefugnis, dabei mit Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse in der väterlichen Familie des Kindes, keine ergänzenden erzieherischen Hilfeleistungen beantragt hat, mag dies zwar mit Rücksicht auf die insoweit ablehnende Haltung der Großmutter geschehen sein, kann dies den Vorwurf einer fehlenden Mitwirkung der Großmutter aber nicht begründen.
107 
Dass die Großmutter solche ergänzenden Maßnahmen der Hilfe und Erziehung wohl vor allem als staatliche Einmischung in ihre Erziehung des Kindes ansieht, dürfte im Übrigen eine Haltung sein, wie sie bei der - im Grundsatz vorrangig einzurichtenden - Verwandtenpflege weit verbreitet sein dürfte. Falls diese Haltung kulturell noch verstärkt ist, wovon wohl die Beklagte ausgeht, hätte diese darauf wohl in noch stärkerem Umfang Rücksicht nehmen müssen.
108 
Soweit die Großmutter in der Vergangenheit den Loyalitätskonflikt des Kindes, welches von seiner Mutter bedrängt wird, möglicherweise verstärkt hat, weil sie die Beschränkungen des Umgangsrechts der Mutter nicht strikt beachtet hat, andererseits aber auch die Mutter für ihr Verhalten gegenüber dem Kind kritisiert, mag es ihr zwar an Einsichtsbereitschaft und –vermögen oder auch der Fähigkeit zur Abgrenzung fehlen. Hieraus allein einen entscheidenden, wesentlichen Eignungsmangel abzuleiten, erscheint der Kammer aber als nicht geboten, weil Loyalitätskonflikte in der Verwandtenpflege typischerweise auftreten und zumal der Mutter ohnehin andere Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Kind, etwa per Handy, wohl ohnehin offenstehen dürften.
109 
Indem die Beklagte das Verhalten der Großmutter anlässlich der verabredeten familienpädagogischen Hilfe in den Sommerferien 2018 zum Anlass genommen hat, die Vollzeitpflege sofort „einzustellen“, hat die Kammer den Eindruck, dass dies maßgeblich auf eine Verhärtung der Positionen zurückzuführen war, weil die Beklagte die ständige Gegenwehr der Großmutter insoweit leid war und den Pfleger von X, der mehr auf geduldige Überzeugung setzte, gleichsam in deren Lager vermutete.
110 
Im Übrigen erscheint es angesichts der weiteren Entwicklung auch fraglich, ob die von der Beklagten für vordringlich gehaltenen ergänzenden Hilfen zur Erziehung geeignet waren, der im Schulalltag von X zu Tage getretenen Aufsässigkeit und Aggressivität von X zu begegnen; denn letztlich hat sich gezeigt, dass die von der Beklagten anfangs zu Recht zum Anlass genommenen Verhaltensauffälligkeiten des Kindes jedenfalls kurz- und wohl auch mittelfristig nur mit dem regelmäßigen Einsatz eines Medikaments begegnet werden konnte und kann.
111 
Letztlich kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Bedenken der Beklagten gegen eine Eignung der Großmutter als Pflegeperson im hier maßgeblichen Zeitraum durchgreifen; denn eine andere geeignete Maßnahme zur unstreitig gebotenen Hilfe zur Erziehung stand der Beklagten nicht zur Verfügung.
112 
Die Beklagte hatte zwar insoweit - allerdings, soweit nach Lage der vorgelegten Akten ersichtlich, ohne förmliche Hilfeplanung gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII - als alternative Lösung die Absicht verfolgt, dem Kind eine stationäre Vollzeitpflege zu gewähren; eine Unterbringung von X in einer anderen, mit dem gegebenen Loyalitätskonflikt nicht belasteten, für die Aufnahme von X geeigneten Pflegefamilie hat sie dagegen - wohl zu Recht - offenkundig für nicht geeignet gehalten.
113 
Das Ziel, X in einer Jugendhilfeeinrichtung stationär unterzubringen, war aber im hier maßgeblichen Zeitraum nicht erreichbar und damit offensichtlich ungeeignet. Denn eine stationäre Unterbringung des Kindes in Vollzeitpflege hätte erfordert, dass die Herausgabeklage des Klägers gegen die Großmutter im familiengerichtlichen Verfahren Erfolg gehabt hätte. Dies war aber im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids noch nicht der Fall (und im Übrigen auch nicht als sicher absehbar).
114 
Selbst wenn es dazu im hier maßgeblichen Zeitraum gekommen wäre, hätte es überdies jedenfalls für den Zeitraum bis dahin einer vorübergehenden Regelung des erzieherischen Hilfebedarfs bedurft. Nach Lage der Dinge konnte dieser aber nur im Haushalt der Großmutter gewährt werden.
115 
Dass der Kläger als Erziehungsberechtigter das Kind in diesem Zeitraum im Haushalt der Großmutter belassen hat, stellt sich überdies der Sache nach als eine - von der Beklagten im Übrigen geduldete – berechtigte Selbstbeschaffung im Sinn von § 36a Abs. 3 SGB VIII dar; denn das Jugendamt hat den unzweifelhaft gegebenen Bedarf an Hilfe zur Erziehung ab dem Zeitpunkt der Aufhebung des Bewilligungsbescheids nicht mit alternativen geeigneten Maßnahmen befriedigt bzw. solche auch nur aufgezeigt. Erstellt aber das Jugendamt aber keine geeignete Hilfeplanung, welche dem Erziehungsbedarf des Kindes nach seiner Beurteilung besser entspricht als das Leben im Haushalt der Pflegeperson, geht sein Beurteilungsspielraum für die Geeignetheit der Pflegeperson auf die zur Erziehung des Kindes berechtigte Person über mit der Folge, dass diese den nur begrenzt richterlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 - a.a.O., Rn. 33). Dass der Kläger das Kind bis zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts im Haushalt der Großmutter belassen wollte, weil er nur dies als geeignete Maßnahme ansah, lag - nach dem oben Ausgeführten - zweifellos in seinem Beurteilungsspielraum.
116 
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass ein Jugendamt in Fällen wie dem vorliegenden eine unbefristet bewilligte Verwandten-Vollzeitpflege - anders als bei der Vollzeitpflege bei anderen Pflegepersonen - bei aus seiner Sicht fehlender Eignung der Pflegeperson nicht beenden könne, solange die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme des Kindes nicht vorlägen bzw. die das Erziehungsrecht wahrnehmende Person den Verbleib des Kindes bei der Pflegeperson und ggf. auch das zuständige Familiengericht eine Kindeswohlgefährdung verneine bzw. den Verbleib des Kindes im Haushalt der verwandten Person befürworte, mag dies zutreffen. Dies ist aber letztlich die Folge davon, dass dem individuellen Wohl des Kindes mit dem Verbleib bei einer - mit gewissen, aber nicht absoluten Eignungszweifeln behafteten - Pflegeperson immer noch am besten gedient ist. Ohnehin kann einer Pflegeperson, welche nicht in jeder Hinsicht den allgemeinen Anforderungen an ihre (absolute, ideale) Eignung entspricht, nach Überzeugung der Kammer dennoch im Einzelfall, mangels besserer Alternativen, eine hinreichende (relative) Eignung zugesprochen werden (vgl. auch, zur erforderlichen Würdigung des Einzelfalls bei Eignungsbedenken, Bayer. VGH, Beschl. v. 18.11.2020 - 12 ZB 20.152 -, juris, Rn. 7 ff.). Falls die Beklagte es demgegenüber für zulässig halten sollte, bei Eignungsmängeln, die das Kindeswohl noch nicht gefährden, das Pflegeverhältnis zu beenden, aber gleichwohl das Kind bei der Pflegeperson zu belassen, um über eine Versagung des Pflegegelds Einfluss auf die Pflegeperson zu nehmen, sieht die Kammer dafür keine gesetzliche Grundlage.
117 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 2 VwGO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.

Gründe

 
66 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig (I.) und begründet (II).
I.
67 
1. Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft; denn bei dem angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 und des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.12.2020 handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, mit welcher die Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in der Form einer Vollzeitpflege in der Familie der Großmutter von X und damit auch die Bewilligung der Annexleistung eines Pflegegelds an den Kläger aufgehoben und nicht etwa (nur) eine weitere Hilfegewährung abgelehnt wird (was zur Folge hätte, dass nur eine Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft wäre). Eine von einer solchen Aufhebungsentscheidung unabhängige „Einstellung einer Leistung“ gibt es im Recht der Hilfe zur Erziehung nicht (so auch VG Karlsruhe, Urt. v. 09.12.2002 - 8 K 2358/00 -, juris, Rn. 15).
68 
Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Bewilligung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe die (frühere) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe anzuwenden sei, wonach die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe wegen ihres Gegenwartscharakters keine Dauerleistung sei (mit der Folge, dass über sie bei einer Änderung der Verhältnisse stets neu und ohne Aufhebung eines vorausgegangenen Bewilligungsbescheids zu entscheiden sei), folgt dem die Kammer nicht; denn diese für die Gewährung von Sozialhilfe entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt jedenfalls nicht bei der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in der Form der Verwandten-Vollzeitpflege „bis auf Weiteres“. Das ergibt sich aus Folgendem:
69 
Selbst im Recht der Sozialhilfe unter Geltung des Sozialgesetzbuchs XII wird die angeführte frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Grundsatz als überholt angesehen. Dies gilt jedenfalls und insbesondere für Fälle, in denen die Bewilligung der Leistung „bis auf Weiteres“, also ohne hinreichend klare zeitliche Befristung erfolgt (vgl. Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 48 Rn. 15 m.w.N.; LSG Bad-Württ., Beschl. v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05, juris, Rn. 12, 13 m.w.N.).
70 
Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht schon früher im Kinder- und Jugendhilferecht bei einer Änderung der Verhältnisse eine Aufhebung eines Bewilligungsbescheids gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für erforderlich gehalten, wenn diese Hilfe nicht zeitabschnittsweise, sondern für eine gewisse Zeit in die Zukunft und damit auf eine gewisse Dauer gewährt war (vgl., für eine Maßnahme der Eingliederungshilfe, BVerwG, Urt. v. 28.09.1995 - 5 C 21.93 - NVwZ-RR 1996, 446 = juris, Rn. 8; DIJuF-Rechtsgutachten vom 26.03.2018; JAmt 2018, 143; a.A., für eine Maßnahme der Hilfe zur Erziehung, OVG NRW, Beschl. v. 27.02.2007 - 12 B 72/07 -, juris, Rn. 19 ff.).
71 
Eine zeitabschnittsweise Gewährung der Vollzeitpflege von X bei der Großmutter lässt sich dem Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 jedoch nicht entnehmen.
72 
Sie ergibt sich insbesondere nicht aus der Formulierung, dass sich Umfang und Dauer der Hilfeleistung nach dem jeweiligen (den Eltern bzw. dem Kläger bekannten) Hilfeplan richte. Die Beklagte weist insoweit zwar darauf hin, dass im Hilfeplan vom 21.04.2016 wie auch in seiner ersten und zugleich letzten Fortschreibung vom 05.04.2017 jeweils eine Laufzeit der Hilfe genannt wird („ab 08.03.2016 für zunächst ein Jahr“ bzw. „ab dem 01.04.2017 bis zum 31.03.2018“).
73 
Dass sich daraus aber keine zeitabschnittsweise Bewilligung (mit der Folge einer Beendigung der Hilfe) ergibt, ist bereits in den Gründen der Beschlüsse der Kammer (v. 19.02.2019 - 4 K 5705/19 -, juris, Rn. 12 ff.) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (v. 14.04.2020 - 12 S 714/19 -, nicht veröff., UA. S. 5 ff.) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dargelegt. Im Einzelnen:
74 
Aus dem Bewilligungsbescheid selbst ergibt sich nicht, für welchen Zeitraum die Hilfe zur Erziehung erfolgt. Der Bescheid enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung. Er ist deshalb auszulegen. Maßgebend dabei ist nicht der innere Wille der Behörde, sondern der Wortlaut des Verwaltungsakts und dessen objektiver Sinngehalt. Unklarheiten bei der Auslegung gehen zulasten der Behörde.
75 
Nach diesen Maßstäben durften die damals sorgeberechtigten Eltern von X davon ausgehen, dass mit der Bewilligung ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis begründet worden war. Aus dem Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 in Verbindung mit dem Verweis auf den Hilfeplan in seiner jeweils gültigen Fassung und dem dortigen Hinweis auf dessen weitere Fortgeltung bis zur nächsten Fortschreibung war für einen verständigen Empfänger zu schließen, dass die Hilfeleistung zunächst unbefristet bis zu einer Änderung des Hilfeplans erfolgen und nicht durch Ablauf eines Datums (hier zuletzt der 31.03.2018) ihre Erledigung finden sollte. Den Eltern hat sich vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Bewilligungsbescheid und Hilfeplan, aber auch der weiteren, bei Erlass des Bewilligungsbescheides bekannten Umstände, das Verständnis aufgedrängt, dass die Einrichtung der Vollzeitpflege für ihr Kind bei der Großmutter auch unter Einstellung der jeweils in der Hilfeplanung genannten Daten einen zunächst nicht befristeten Zeitraum umfasst.
76 
In diesem Verständnis haben sie sich etwa auch durch den Umstand bestätigt sehen können, dass tatsächlich die Hilfe einschließlich der Annex-Leistung Pflegegeld auch im März 2017 erbracht worden war und damit in einem Monat, der nach Ende des im Hilfeplan vom 21.04.2016 genannten Jahreszeitraums (07.03.2016) lag.
77 
Die Auslegung des Bescheids vom 27.04.2016 als eines Bescheids, mit dem ein auf längere Zeit angelegtes, in die Zukunft gerichtetes Rechtsverhältnis begründet worden war, liegt zudem auch deshalb nahe, weil sowohl die Personensorgeberechtigten als auch das Jugendamt der Beklagten aufgrund der umfänglich dokumentierten Ausgangssituation der Eltern und von X von einem langfristigen, individuellen erzieherischen Bedarf in Form der Vollzeitpflege ausgegangen waren.
78 
Dass im Übrigen auch im Verwaltungsablauf der Beklagten davon ausgegangen worden war, dass der Unterbringung von X im Wege der Vollzeitpflege ein längerfristiger Bedarf zugrunde gelegen hatte, verdeutlicht die interne E-Mail der Wirtschaftlichen Jugendhilfe der Beklagten vom 23.07.2018; wäre nach Auffassung der Beklagten die Gewährung der Hilfe zur Erziehung befristet gewesen, hätte diese schon zum 31.03.2018 die Hilfe einstellen müssen; tatsächlich hat sie die Hilfe aber über dieses Datum fast ein halbes Jahr lang weitergeführt und erst mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 beendet.
79 
Die Annahme, dass eine Hilfe zur Erziehung, jedenfalls in Gestalt der Vollzeitpflege, täglich neu geprüft und bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen täglich neu bewilligt werde, stimmt im Übrigen mit der eigenen Verwaltungspraxis der Beklagten offensichtlich nicht überein. Soweit diese dennoch der Auffassung ist, durch das Rechtsinstitut eines Dauerverwaltungsaktes werde die - gerade für den Bereich der Hilfe zur Erziehung notwendige - Flexibilität unmöglich gemacht, um Fort- oder Rückschritten im Hilfeprozess Rechnung tragen zu können, ist nicht ersichtlich, weshalb sie gehindert gewesen wäre, durch entsprechende Regelungen im Bewilligungsbescheid oder durch weitere Bescheide einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken.
80 
Sofern die Beklagte die Auffassung vertreten möchte, dass - wenn nicht schon für die Bewilligung der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege selbst, dann doch - jedenfalls für die Bewilligung des Pflegegeldes die von ihr angeführten Grundsätze gälten, vermag die Kammer dem jedenfalls für Fälle wie dem vorliegenden nicht zu folgen. Denn die Verneinung der Eignung als Pflegeperson betrifft nur mittelbar die Bewilligung der Annexleistung Pflegegeld. Unmittelbar betrifft sie allein die Bewilligung der von den Personensorgeberechtigten beantragten Grundleistung „Vollzeitpflege“ in Form der Verwandtenpflege bei einer bestimmten Pflegeperson, hier der Großmutter von X (a.A. wohl VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.07.2003 - 9 S 1070/03 -, JAmt, 2003, 598 = juris, Rn. 4, dabei aber dennoch fordernd, vgl. dort Rn. 9, dass bei fehlender Eignung der Pflegeperson Pflegegeld nur eingestellt werden könne, wenn zugleich das Pflegeverhältnis beendet werde). Unabhängig hiervon deutet außer der Bezeichnung des aufzuhebenden Änderungsbescheids vom 22.(richtig: 21.)12.2017 nichts darauf hin, dass die Beklagte nur die Pflegegeldbewilligung hätte aufheben wollen. Dementsprechend hat sie im Widerspruchsbescheid und im weiteren Verfahren wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 insgesamt aufheben wolle.
81 
2. Die Klage ist auch sonst zulässig. Insbesondere ist der Kläger als Vormund des Kindes im Sinn von § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt; denn als Adressat des Verwaltungsakts, mit dem die ihm als Personensorgeberechtigtem (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII) bewilligte Hilfeleistung aufgehoben worden ist, ist er möglicherweise in seinem vormundschaftlichen Erziehungsrecht (§ 1793 Abs. 1 Satz 1, §§ 1800, 1631 und 1632 BGB) verletzt (dazu, dass einem Vormund eines Kindes nicht das Grundrecht auf Pflege und Erziehung eines Kindes zusteht, vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.02.1960 - 1 BvR 526/53 u.a. -, BVerfGE 10, 302 = juris, Rn. 77; anders, bei Großeltern als Vormund, BVerfG, Urt. v. 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. -, BVerfGE 34, 165 = juris, Rn. 128; vgl. auch Lafontaine, in: Herberger u.a., jurisPK-BGB, Stand 15.10.2019, § 1793, Rn. 21 ff.).
II.
82 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag auch begründet; denn der angefochtene Bescheid ist (auch) in der Fassung, die ihm die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid und dem Schriftsatz vom 16.12.2020 gegeben hat, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
83 
1. Die Beklagte versteht den angefochtenen Bescheid vom 04.09.2018 - trotz seiner Bezeichnung als „Aufhebungsbescheid“ - und trotz der Verwendung des Wortes „aufheben“ im Entscheidungssatz nach wie vor in erster Linie als einen Bescheid, mit dem der (ursprüngliche Antrag auf Hilfe zur Erziehung) rückwirkend ab dem 01.08.2018 abgelehnt wird. Deutlich wird dies an der auch verwendeten Bezeichnung „Einstellungsbescheid“ als auch daran, dass in der Begründung des Bescheids darauf abgehoben wird, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nicht mehr vorliegen. Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte diese Auffassung nochmals vertreten. Diese Auffassung trifft aber, wie bereits ausgeführt, nicht zu, hindert jedoch nicht eine Auslegung, wonach der Bescheid vom 04.09.2018 (auch) eine Aufhebung im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X enthält.
84 
2. Unklar ist allerdings, ob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid in seiner Ursprungsfassung den Grundbescheid über die Gewährung der Hilfe zur Pflege vom 27.04.2016 aufgehoben hat. Denn im angefochtenen Bescheid nennt sie als Aufhebungsgegenstand allein den Bescheid vom 22.12.2017. Gemeint war damit der Bescheid vom 21.12.2017, mit dem die Beklagte zuletzt die Höhe des zum Hilfebescheid akzessorischen Pflegegelds gemäß § 39 SGB VIII an die Erhöhung der Sätze nach den gemeinsamen Empfehlungen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales sowie des Städte- und Landkreistages Baden-Württemberg zur Gewährung von Leistungen zum Unterhalt (Pflegegeld) angepasst hatte.
85 
a) Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt seien, sei damit gegenüber den Pflegeeltern hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem Änderungsbescheid vom 21.12.2017 nicht nur die dort bezeichnete Änderung (Anpassung) des Pflegegeldes ausgesprochen, sondern zugleich das Hilfeverhältnis neu geregelt, also den Grundbewilligungsbescheid über Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege in der Familie der Großmutter, neu erlassen habe.
86 
Für eine solche Auslegung des Anpassungsbescheids vom 21.12.2017 gibt sein Wortlaut jedoch nichts her. Hierfür gibt es auch keine Notwendigkeit; denn es ist der Beklagten grundsätzlich unbenommen, die Höhe der Annexleistung Pflegegeld unter Aufrechterhaltung der Grundbewilligung der Hilfe zur Erziehung anzupassen. Für eine gleichzeitige, unausgesprochene Neuregelung der Bewilligung der dem Pflegegeld zu Grunde liegenden Hilfegewährung gab es im Dezember 2017 weder einen Bedarf noch hatte die Beklagte insoweit etwa eine Prüfung der Voraussetzungen vorgenommen.
87 
b) Mithin käme eine Auslegung, wonach die Beklagte mit dem Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid vom 04.09.2018 den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 aufgehoben hätte, nur in Betracht, wenn insoweit der auch im öffentlichen Recht anwendbare Auslegungsgrundsatz der „falsa demonstratio non nocet“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2013 - 7 C 22.11 -, NVwZ-RR 2013, 593 = juris, Rn. 18) eingriffe; dies ist aber nicht der Fall. Denn die Beklagte wollte damals allein den Anpassungsbescheid vom 21.12.2017 aufheben, weil sie damals offensichtlich der - unrichtigen (vgl. schon VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.07.2003 - 9 S 1070/03 - a.a.O.) – Auffassung war, es genüge, den letzten zur Höhe des Pflegegelds ergangenen Bescheid aufzuheben.
88 
c) Sollte danach der angefochtene Aufhebungsbescheid/Einstellungsbescheid vom 04.09.2018 nicht dahin ausgelegt werden können, dass die Beklagte mit ihm den Grundbewilligungsbescheid vom 27.04.2016 aufgehoben hätte, käme eine Aufhebung jenes Bescheids frühestens mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 in Betracht, in dem die Beklagte erstmals ausgeführt hat, dass sie den Bescheid vom 27.04.2016 (im Anschluss an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) hilfsweise aufhebe. In diesem Falle müsste sich die Aufhebung, soweit sie für die Vergangenheit (ab dem 01.08.2018) gelten sollte, aber nicht an § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, sondern an § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X messen lassen, dessen strenge Voraussetzungen (vgl. Merten a.a.O., Rn. 61, 62 m.w.N.) hier, was der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum Erlass des Aufhebungsbescheids/Einstellungsbescheids vom 04.09.2018 eingeräumt hat, kaum vorliegen dürften.
89 
3. Sollte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid am 04.09.2018 den Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 doch aufgehoben haben, wäre die Aufhebung jedenfalls rechtswidrig.
90 
a) Dies folgt allerdings noch nicht aus den vom Kläger vorgetragenen Zweifeln hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens. Denn die Beklagte war hierfür zuständig, auf deren interne Zuständigkeitsverteilung insoweit kommt es dabei nicht an, ein etwaiger Anhörungsmangel (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X) wurde im Widerspruchsverfahren geheilt (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und § 24 Abs. 1 SGB X) und es stellt auch keinen Begründungsmangel (vgl. § 35 Abs. 1, § 24 Abs. 1 SGB X) dar, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid die maßgebliche Rechtsgrundlage für eine Aufhebung (hier § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht angeführt hat; im Übrigen hat sie diese im Widerspruchsbescheid zulässigerweise (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und § 24 Abs. 1 SGB X) nachgeholt.
91 
b) Rechtswidrig wäre der angefochtene Bescheid aber deshalb, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 nicht vorlagen.
92 
Nach dieser Vorschrift sind Dauerverwaltungsakte (nur) für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Dauerverwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche Änderung der Verhältnisse trifft die Beklagte.
93 
aa) Der Bewilligungsbescheid vom 27.04.2016 ist - wie oben bereits dargelegt - ein Dauerverwaltungsakt in diesem Sinn.
94 
bb) Dass die Verhältnisse sich ab August 2018 und bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids gegenüber der Bewilligung ab März 2016 wesentlich geändert hätten, lässt sich nicht feststellen.
95 
Insoweit steht allein im Streit, ob die Großmutter von X als Pflegeperson geeignet ist. Außer Streit steht, dass auch nach dem 01.08.2018 ein Bedarf an einer Vollzeitpflege für X bestand, weil die Eltern von X bzw. der Kläger als Pfleger und zuletzt Vormund zur Erziehung von X nicht in der Lage bzw. bereit waren und sind.
96 
Dabei stellt die Beklagte, wie ihre Vertreter in der mündlichen Verhandlung nochmals geäußert haben, die (individuelle) Eignung der Großmutter als Pflegeperson für X ab dem 01.08.2018 in Frage, weil diese ihre Hilfeangebote nicht zum Wohl von X prüfe, annehme und positiv begleite, sie ihre Stellung in dem Loyalitätskonflikt von X hinsichtlich der Mutter einerseits und der väterlichen Herkunftsfamilie andererseits nicht reflektiere, die vom Familiengericht angeordneten Einschränkungen des Umgangsrechts der Mutter mit dem Kind nicht beachte und bei der Aufklärung von Übergriffen der Mutter auf X wie bei dem Vorfall im September 2020 nicht zum Wohl von X umfassend mitwirke.
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Einwände solcher Art können grundsätzlich die Eignung einer Pflegeperson, auch wenn es sich dabei um Verwandte des Pflegekindes handelt, in Frage stellen. Insoweit ist von Folgendem auszugehen:
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Die Geeignetheit der Pflegeperson ist nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier zur Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII durch die Großmutter von X - bei Bewilligung der Leistung und auch während ihrer Gewährung (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) zu überprüfen. Dabei kann die Vollzeitpflege durch Großeltern nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet sind. Zur Geeignetheit in diesem Sinn gehört also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten können und sich zum anderen auf eine Kooperation mit dem Jugendamt einlassen und ggf. zur Annahme unterstützender Leistungen bereit sind (DIJuF-Rechtsgutachten vom 01.03.2006, JAmt 2006, 129). Dies folgt ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a SGB VIII, wonach die zur Übernahme der Pflege bereite unterhaltspflichtige Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu decken. Großeltern bedürfen zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), ihre persönliche Eignung ist jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet ist (vgl., zum Ganzen, BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 -, juris, Rn. 19).
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Dies zugrunde legend hat das Bundesverwaltungsgericht die Eignung von Großeltern als Pflegeperson in einem Fall für gegeben erachtet, in dem die Kinder bei den Großeltern gut untergebracht und betreut und ihrer Erziehung sichergestellt waren und in dem die Bereitschaft der Großeltern, die Vollzeitpflege ihrer Enkelkinder gemäß § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entsprechend einem Hilfeplan zu leisten, nicht ernsthaft in Frage gestellt worden war (BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 - a.a.O., Rn. 20; vgl. auch, eine Eignung von Großeltern als Pflegepersonen verneinend, allerdings nur knapp, zu einem Loyalitätskonflikt eines Kindes zwischen Mutter und Großmutter, OVG NRW, Beschl. v. 25.02.2013 - 12 E 875/12 -, juris, Rn. 5, sowie, zur fehlenden Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt, VG Regensburg, Urt. v. 10.11.2015 - RO 4 K 15.287 -, juris, Rn. 22 ff.).
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Hinzu kommt, dass nach der in diesem Zusammenhang auch in den Blick zu nehmenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bestellung von Großeltern als Vormund diesen und sonstigen nahen Verwandten bei der Auswahl des Vormunds grundsätzlich der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zukommt, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist. Weil Großeltern gerade wegen der besonderen familiären Verbundenheit grundsätzlich bevorzugt als Vormund zu bestellen sind, kann diese Nähe für sich genommen nicht gegen ihre Eignung angeführt werden. Für die hierbei zu beantwortende Frage, ob im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl durch die Bestellung eines außenstehenden Vormunds besser gedient ist als durch die Auswahl der Großeltern, kommt es auch darauf an, ob das Kind bereits bei den Großeltern lebt oder zeitnah zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gelebt hat, weil die Herausnahme des Kindes aus seiner gewohnten Umgebung regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet. Die fehlende Distanz zu den Kindeseltern spricht nur dann gegen eine Bestellung naher Verwandter zum Vormund, wenn es konkrete Hinweise dafür gibt, dass die emotionale Einbindung der Verwandten in die Familie des Kindes sich - etwa wegen einer außergewöhnlichen Intensität oder eines besonderen Charakters - im Einzelfall abträglich auf das Kindeswohl auswirken könnte (BVerfG, Beschl. v. 27.08.2014 - 1 BvR 1467/14 -, FamRZ 2014, 1841 = juris, Rn. 16, 22) sowie Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 2926/13 -, BVerfGE 136, 382 = juris, Rn. 24).
101 
Bei der Entscheidung des Jugendamts über die Geeignetheit der Hilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des betroffenen Kindes, des Inhabers der elterlichen Sorge bzw. hier des Vormunds und mehrerer Fachkräfte, das nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern „lediglich“ eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich daher regelmäßig darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden; dabei müssen behördliche Bedenken hinsichtlich der Eignung substantiiert und mit konkreten Ereignissen belegt werden (st. Rspr., vgl. zuletzt Bayer. VGH, Beschl. v. 18.11.2020 - 12 ZB 20,152 ´- juris, Rn. 5, 8).
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Dabei ist aber auch anerkannt, dass generell und gerade in der Verwandtenpflege keine zu hohen, gewissermaßen idealen Anforderungen an die erzieherischen Kompetenzen der Pflegeperson gestellt werden dürfen (Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand 11.03.202, § 33 Rn. 60 ff. m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 10.04.2002 - 4 LB 53/02 -, juris, Rn. 32; VG München, Urt. v. 11.12.2013 - M 18 K 12.5685 -, juris, Rn. 23 ff.).
103 
Nach diesen Grundsätzen reichen die von der Beklagten angeführten Mängel nach der Überzeugung der Kammer nicht aus, im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2020 eine fehlende Eignung der Großmutter als Pflegeperson von X festzustellen.
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Dass die Großmutter das Kind gut versorge, mit dem Kläger als Vormund zusammenarbeite, die Termine für X bei Ärzten, Schule usw. wahrnehme und insgesamt grundsätzlich ein gutes Verhältnis zu X habe, wie auch umgekehrt, erkennt auch die Beklagte an bzw. stellt dies nicht substantiiert in Frage. Genanntes wird im Übrigen in dem im familiengerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten umfassend und eindrucksvoll von der Klassenlehrerin von X an der X Schule und den mit X befassten Ärztinnen bzw. Ärzten bestätigt. Dass X im Haushalt der Großmutter - auch von anderen Verwandten väterlicherseits - geschlagen werde, hat sich nicht erwiesen. Der zuständige Familienrichter hat es in den familiengerichtlichen Verfahren für möglich gehalten, dass entsprechende Äußerungen von X dem Drängen der Mutter zugeschrieben sein könnten, solche Vorfälle zu behaupten, um einen weitergehenden Umgang für die Mutter herbeizuführen. Die Befragung der mit X befassten Ärzte und seiner Klassenlehrerin hat insoweit keine Anhaltspunkte ergeben; vielmehr äußerten diese Personen, dass die Großmutter mit X liebevoll umgehe.
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Soweit die Beklagte eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Großmutter von X beklagt, mag dies zwar hinsichtlich des im Juli 2018 beantragten und bewilligten Einsatzes einer sozialpädagogischen Fachkraft zutreffen. In der Folge hatte die Großmutter aber, wohl auch durch die Vermittlung des Klägers, eine vorübergehende Erziehungshilfe akzeptiert und, wenn auch mit erkennbarem Widerwillen, stattfinden lassen, ohne dass ersichtlich würde, dass sie diese nachhaltig behindert hätte. Eine Verlängerung dieser Maßnahme ist nach Lage der Akten aus Gründen gescheitert, welche der Großmutter nicht anzulasten sind.
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Soweit der Kläger als Vormund im Rahmen seiner Erziehungsbefugnis, dabei mit Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse in der väterlichen Familie des Kindes, keine ergänzenden erzieherischen Hilfeleistungen beantragt hat, mag dies zwar mit Rücksicht auf die insoweit ablehnende Haltung der Großmutter geschehen sein, kann dies den Vorwurf einer fehlenden Mitwirkung der Großmutter aber nicht begründen.
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Dass die Großmutter solche ergänzenden Maßnahmen der Hilfe und Erziehung wohl vor allem als staatliche Einmischung in ihre Erziehung des Kindes ansieht, dürfte im Übrigen eine Haltung sein, wie sie bei der - im Grundsatz vorrangig einzurichtenden - Verwandtenpflege weit verbreitet sein dürfte. Falls diese Haltung kulturell noch verstärkt ist, wovon wohl die Beklagte ausgeht, hätte diese darauf wohl in noch stärkerem Umfang Rücksicht nehmen müssen.
108 
Soweit die Großmutter in der Vergangenheit den Loyalitätskonflikt des Kindes, welches von seiner Mutter bedrängt wird, möglicherweise verstärkt hat, weil sie die Beschränkungen des Umgangsrechts der Mutter nicht strikt beachtet hat, andererseits aber auch die Mutter für ihr Verhalten gegenüber dem Kind kritisiert, mag es ihr zwar an Einsichtsbereitschaft und –vermögen oder auch der Fähigkeit zur Abgrenzung fehlen. Hieraus allein einen entscheidenden, wesentlichen Eignungsmangel abzuleiten, erscheint der Kammer aber als nicht geboten, weil Loyalitätskonflikte in der Verwandtenpflege typischerweise auftreten und zumal der Mutter ohnehin andere Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Kind, etwa per Handy, wohl ohnehin offenstehen dürften.
109 
Indem die Beklagte das Verhalten der Großmutter anlässlich der verabredeten familienpädagogischen Hilfe in den Sommerferien 2018 zum Anlass genommen hat, die Vollzeitpflege sofort „einzustellen“, hat die Kammer den Eindruck, dass dies maßgeblich auf eine Verhärtung der Positionen zurückzuführen war, weil die Beklagte die ständige Gegenwehr der Großmutter insoweit leid war und den Pfleger von X, der mehr auf geduldige Überzeugung setzte, gleichsam in deren Lager vermutete.
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Im Übrigen erscheint es angesichts der weiteren Entwicklung auch fraglich, ob die von der Beklagten für vordringlich gehaltenen ergänzenden Hilfen zur Erziehung geeignet waren, der im Schulalltag von X zu Tage getretenen Aufsässigkeit und Aggressivität von X zu begegnen; denn letztlich hat sich gezeigt, dass die von der Beklagten anfangs zu Recht zum Anlass genommenen Verhaltensauffälligkeiten des Kindes jedenfalls kurz- und wohl auch mittelfristig nur mit dem regelmäßigen Einsatz eines Medikaments begegnet werden konnte und kann.
111 
Letztlich kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Bedenken der Beklagten gegen eine Eignung der Großmutter als Pflegeperson im hier maßgeblichen Zeitraum durchgreifen; denn eine andere geeignete Maßnahme zur unstreitig gebotenen Hilfe zur Erziehung stand der Beklagten nicht zur Verfügung.
112 
Die Beklagte hatte zwar insoweit - allerdings, soweit nach Lage der vorgelegten Akten ersichtlich, ohne förmliche Hilfeplanung gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII - als alternative Lösung die Absicht verfolgt, dem Kind eine stationäre Vollzeitpflege zu gewähren; eine Unterbringung von X in einer anderen, mit dem gegebenen Loyalitätskonflikt nicht belasteten, für die Aufnahme von X geeigneten Pflegefamilie hat sie dagegen - wohl zu Recht - offenkundig für nicht geeignet gehalten.
113 
Das Ziel, X in einer Jugendhilfeeinrichtung stationär unterzubringen, war aber im hier maßgeblichen Zeitraum nicht erreichbar und damit offensichtlich ungeeignet. Denn eine stationäre Unterbringung des Kindes in Vollzeitpflege hätte erfordert, dass die Herausgabeklage des Klägers gegen die Großmutter im familiengerichtlichen Verfahren Erfolg gehabt hätte. Dies war aber im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids noch nicht der Fall (und im Übrigen auch nicht als sicher absehbar).
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Selbst wenn es dazu im hier maßgeblichen Zeitraum gekommen wäre, hätte es überdies jedenfalls für den Zeitraum bis dahin einer vorübergehenden Regelung des erzieherischen Hilfebedarfs bedurft. Nach Lage der Dinge konnte dieser aber nur im Haushalt der Großmutter gewährt werden.
115 
Dass der Kläger als Erziehungsberechtigter das Kind in diesem Zeitraum im Haushalt der Großmutter belassen hat, stellt sich überdies der Sache nach als eine - von der Beklagten im Übrigen geduldete – berechtigte Selbstbeschaffung im Sinn von § 36a Abs. 3 SGB VIII dar; denn das Jugendamt hat den unzweifelhaft gegebenen Bedarf an Hilfe zur Erziehung ab dem Zeitpunkt der Aufhebung des Bewilligungsbescheids nicht mit alternativen geeigneten Maßnahmen befriedigt bzw. solche auch nur aufgezeigt. Erstellt aber das Jugendamt aber keine geeignete Hilfeplanung, welche dem Erziehungsbedarf des Kindes nach seiner Beurteilung besser entspricht als das Leben im Haushalt der Pflegeperson, geht sein Beurteilungsspielraum für die Geeignetheit der Pflegeperson auf die zur Erziehung des Kindes berechtigte Person über mit der Folge, dass diese den nur begrenzt richterlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.12.2014 - 5 C 32.13 - a.a.O., Rn. 33). Dass der Kläger das Kind bis zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts im Haushalt der Großmutter belassen wollte, weil er nur dies als geeignete Maßnahme ansah, lag - nach dem oben Ausgeführten - zweifellos in seinem Beurteilungsspielraum.
116 
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass ein Jugendamt in Fällen wie dem vorliegenden eine unbefristet bewilligte Verwandten-Vollzeitpflege - anders als bei der Vollzeitpflege bei anderen Pflegepersonen - bei aus seiner Sicht fehlender Eignung der Pflegeperson nicht beenden könne, solange die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme des Kindes nicht vorlägen bzw. die das Erziehungsrecht wahrnehmende Person den Verbleib des Kindes bei der Pflegeperson und ggf. auch das zuständige Familiengericht eine Kindeswohlgefährdung verneine bzw. den Verbleib des Kindes im Haushalt der verwandten Person befürworte, mag dies zutreffen. Dies ist aber letztlich die Folge davon, dass dem individuellen Wohl des Kindes mit dem Verbleib bei einer - mit gewissen, aber nicht absoluten Eignungszweifeln behafteten - Pflegeperson immer noch am besten gedient ist. Ohnehin kann einer Pflegeperson, welche nicht in jeder Hinsicht den allgemeinen Anforderungen an ihre (absolute, ideale) Eignung entspricht, nach Überzeugung der Kammer dennoch im Einzelfall, mangels besserer Alternativen, eine hinreichende (relative) Eignung zugesprochen werden (vgl. auch, zur erforderlichen Würdigung des Einzelfalls bei Eignungsbedenken, Bayer. VGH, Beschl. v. 18.11.2020 - 12 ZB 20.152 -, juris, Rn. 7 ff.). Falls die Beklagte es demgegenüber für zulässig halten sollte, bei Eignungsmängeln, die das Kindeswohl noch nicht gefährden, das Pflegeverhältnis zu beenden, aber gleichwohl das Kind bei der Pflegeperson zu belassen, um über eine Versagung des Pflegegelds Einfluss auf die Pflegeperson zu nehmen, sieht die Kammer dafür keine gesetzliche Grundlage.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 2 VwGO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.

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