Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - 1 K 3649/20

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 14.08.2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin - eine sog. Internationale Studierende - wendet sich gegen Gebühren für ein Studium.
Die am 1990 in der Ukraine geborene Klägerin ist wie auch ihre Mutter ukrainische Staatsangehörige. Die Mutter der Klägerin heiratete am 14.08.2014 in der Ukraine einen deutschen Staatsangehörigen. Dieser ist seit mehr als 25 Jahren durchgängig in Deutschland erwerbstätig gewesen. Seit Oktober 2014 lebt sie mit diesem zusammen in Deutschland; sie besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG. Mit Zulassungsbescheid vom 24.05.2017 wurde die Klägerin von der Beklagten zum Studium zugelassen. Im Wintersemester 2017/18 begann sie dort den Studiengang „International Business Management (IBM) - BA“. Seit August 2017 lebt sie in Deutschland im Haushalt ihrer Mutter und ihres Stiefvaters. Sie ist derzeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Abs. 1 AufenthG. Sie erhält - nach ihren Angaben - „permanente unterhaltstechnische Unterstützung“ seitens ihrer Mutter und ihrem Stiefvater.
Mit Bescheid vom 14.08.2017 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, für die Dauer der Immatrikulation - erstmals fällig für das Wintersemester 2017/18 - bei der Beklagten eine Gebühr für ein Studium in Höhe von 1.500,00 EUR je Semester zu zahlen. Nach § 3 Abs. 1 LHG erhebe die Hochschule von sog. Internationalen Studierenden eine Studiengebühr, deren Höhe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 LHG pro Semester 1.500 EUR betrage.
Am 28.08.2017 hat die Klägerin Klage erhoben (ursprüngliches Aktenzeichen 1 K 7372/17). Auf Antrag der Beteiligten ordnete das Gericht am 15.01.2018 das Ruhen des Verfahrens an. Mit Schriftsatz vom 10.11.2020 hat die Klägerin das Verfahren wieder angerufen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass in Ihrem Fall eine Ausnahme nach § 5 LHGebG vorliege. Die Vorgaben des § 3 FreizügG-EU seien nicht zutreffend gewürdigt worden. Im Rahmen dieser Vorschrift seien auch Stiefkinder zu berücksichtigen. Ihr Stiefvater sei deutscher Staatsangehöriger und EU-Bürger. Ein Anspruch auf eine Ausnahme von der Gebührenpflicht ergebe sich auch aus den von dem zuständigen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg erlassenen Richtlinien. Danach sei auf einen gefestigten Inlandsbezug abzustellen. Zwar fielen die meisten Studierende mit einem Aufenthaltstitel nach § 16 AufenthG nicht unter die Ausnahme des § 5 LHGebG. Hiervon könne es jedoch Ausnahmen bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von unionsrechtlich Freizügigkeitsberechtigten und Kindern von in Deutschland erwerbstätigen Eltern geben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.08.2017 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie ist der Ansicht, die Klägerin erfülle keinen Ausnahmetatbestand nach § 5 LHGebG. Sie falle zunächst nicht unter § 5 Abs. 1 Nr. 1 LHGebG. Sie sei nicht als Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des EWR unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt. Ihre Mutter sei Ukrainerin und damit nicht EU-Ausländerin oder Staatsangehörige eines Vertragsstaats des EWR. Zwar sei sie wohl als Kind ihres Stiefvaters anzusehen. Dieser mache aber nicht von seinem unionsrechtlich gewährleisteten Freizügigkeitsrecht Gebrauch. Er sei Deutscher, der in Deutschland lebe und arbeite. Eine etwaige Inländerdiskriminierung, die sich daraus ergebe, dass der Familiennachzug von volljährigen Stiefkindern für EU-Ausländer in Deutschland einfacher sei als der entsprechende Familiennachzug für deutsche Staatsbürger, sei hinzunehmen und führe zu keiner Ungleichbehandlung im Rahmen des Art. 3 GG. Der Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 5 LHGebG liege nicht vor, weil die Klägerin keine darin genannte Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug besitze. Auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 8 LHGebG seien nicht gegeben, da sich die Klägerin nicht insgesamt fünf Jahre im Inland aufgehalten habe und dort rechtmäßig erwerbstätig gewesen sei. Der Ausnahmetatbestand nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG setze schließlich voraus, dass sich zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des Studiums insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten habe und rechtmäßig erwerbstätig gewesen sein. Dies treffe auf die Mutter der Klägerin nicht zu. Auf den Stiefvater könne nicht abgestellt werden. Eltern im Sinne des Gesetzes sein nur die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern. Die gesetzlich geregelten Ausnahmen von der Gebührenpflicht seien abschließend. Die Beklagte habe ferner keine Satzung nach § 6 Abs. 4 LHGebG über die Befreiung besonders begabter International Studierender erlassen. Schließlich folge auch aus dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine nichts Anderes. Soweit danach die Erhöhung der Mobilität von Lernenden gefördert werden solle, sei dies eine programmatische Zielbestimmung, die keinen Anspruch auf Gebührenfreiheit vermittle. Damit seien sie mit den Regelungen in dem Abkommen über die Freizügigkeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits nicht vergleichbar.
11 
Dem Gericht liegt ein Ordner Verwaltungsakten der Beklagten vor. Der Inhalt dieser Akten und der Inhalt der Gerichtsakte sind Gegenstand der Entscheidung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12 
I. Die Klage ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist insbesondere in zulässiger Weise durch den von der Klägerin bevollmächtigten Stiefvater erhoben worden. Da dieser als Ehemann ihrer Mutter mit der Klägerin in gerader Linie verschwägert ist, gehört er zu dem nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO, § 15 Abs. 1 Nr. 3 AO zur Vertretung berechtigten Personenkreis (vgl. Gersch in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 15 Rn. 4).
13 
II. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Studiengebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei kann die Kammer dahinstehen lassen, ob die Erhebung von Studiengebühren für Studierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit generell mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Denn die Klägerin kann sich jedenfalls auf den Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG berufen. Im Einzelnen:
14 
1. Nach § 3 Abs. 1 LHGebG erheben die Hochschulen ab dem Wintersemester 2017/2018 für das Land von den Studierenden, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen (Internationale Studierende), für ihr Lehrangebot einschließlich der damit verbundenen spezifischen Betreuung der Internationalen Studierenden in Bachelorstudiengängen, konsekutiven Masterstudiengängen sowie in grundständigen Studiengängen nach § 34 Absatz 1 LHG Studiengebühren. Von dieser Gebührenpflicht sind allerdings verschiedene Personengruppen ausgenommen, die im Einzelnen in § 5 LHGebG genannt werden. Dazu gehören nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG auch Ausländerinnen und Ausländer, von denen sich zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des Studiums insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten hat und rechtmäßig erwerbstätig gewesen ist.
15 
2. Die Klägerin ist Stieftochter bzw. Stiefkind eines deutschen Staatsangehörigen. Ihre Mutter, die wie die Klägerin die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt, hat am 14.08.2014 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet und lebt seit Oktober 2014 mit diesem in Deutschland zusammen. Seit August 2017 wohnt auch die Klägerin in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Ihr Stiefvater hat unbestritten in den letzten 25 Jahren in Deutschland gelebt und ist dort erwerbstätig gewesen. Ersichtlich erfüllt er damit die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG genannten Voraussetzungen an das Elternteil der dem Grunde nach gebührenpflichtigen Studierenden, denn er hat sich innerhalb der letzten sechs Jahre vor Aufnahme des Studiums mehr als drei Jahre im Inland aufgehalten und ist dort rechtmäßig erwerbstätig gewesen.
16 
3. Die Klägerin als Stiefkind kann sich auf die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG berufen. Die darin geregelte Ausnahme von der Gebührenpflicht ist nicht auf leibliche und adoptierte Kinder beschränkt.
17 
a) Es ist allgemein anerkannt, dass adoptierte Stiefkinder den leiblichen Kindern in rechtlicher Hinsicht gleichzustellen sind, denn durch die Annahme an Kindes statt erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (§ 1754 BGB). Diese generelle Gleichstellung adoptierter mit leiblichen Kindern kommt der Klägerin allerdings nicht zugute, denn eine Adoption durch den Stiefvater ist in ihrem Fall nicht erfolgt.
18 
b) In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist die familiäre Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater zwar nicht von dem Schutzbereich des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst; sie unterfällt aber dem Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG.
19 
Stief- oder Pflegeeltern können sich auf der einen Seite grundsätzlich nicht auf das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG berufen, falls ihr Stief- oder Pflegekind nicht adoptiert ist. Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch gesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen. Ein sozial-familiäres Elternverhältnis oder das Bestehen einer sozial-familiären Gemeinschaft begründen für sich allein genommen keine Elternschaft im verfassungsrechtlichen Sinne. Pflegeeltern steht das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG demzufolge nicht zu (Badura in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 94. EL Januar 2021, Art. 6 Rn. 99). Allein die soziale Elternschaft begründet erst recht grundsätzlich keine Elternposition i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2019 - 1 BvR 673.17 - NJW 2019, 1793).
20 
Auf der anderen Seite wird dem verfassungsrechtlichen Schutzbedarf der familiären Bindungen zwischen einem Kind und der Person, die ihm gegenüber eine soziale Elternrolle einnimmt, ohne rechtlich Elternteil zu sein, durch den Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen, der vom formalen Elternstatus unabhängig ist (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2019 - 1 BvR 673.17 - NJW 2019, 1793). Daher unterfällt auch die Beziehung zwischen den Stiefeltern und ihrem Stiefkind dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Der Begriff der Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern einschließlich der Stief- und Pflegekinder, unabhängig davon, ob diese minderjährig oder volljährig sind, sowie jede andere von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern. In diesen Fällen darf das Bestehen einer Beistands- oder Betreuungsgemeinschaft vermutet werden. Vor diesem Hintergrund kann eine soziale Familie den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG für sich in Anspruch nehmen, wenn die familiäre Beziehung eine gewisse Zeit andauert und familiäre Bindungen entstanden sind (vgl. zu Pflegeeltern: Eichenhofer in Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 701).
21 
c) Auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts wird die Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkind differenziert behandelt. Aufenthaltsrechtlich ist ein mit seiner deutschen Pflegemutter in häuslicher Gemeinschaft lebendes ausländisches minderjähriges Pflegekind zwar kein „Kind“, aber immerhin ein sonstiger Familienangehöriger (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.09.1993 - 11 S 73/93 - juris). Auch europarechtlich können jedenfalls Pflegekinder als sonstige Familienangehörige anzusehen sein (zur damaligen Rechtslage: SG Berlin, Beschluss vom 07.12.2018 - S 150 AS 9734/18 ER - juris). Einkommensteuerrechtlich werden vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt, selbst wenn der Berechtigte nicht zum Unterhalt des Kindes beiträgt (Selder in Blümich, EStG, Stand 157. EL 2021, § 63 Rn. 10 und 13). Der Stiefelternteil darf den Kinderfreibetrag geltend machen und auch im Erbschafts- und Schenkungsteuerrecht stehen Stiefkinder den leiblichen Kindern gleich (Selg, Beck-online Großkommentar, BGB, § 1601 Rn. 105). Auch sonst stellt das Öffentliche Recht, insbesondere das Sozialrecht, die Stiefkinder in vielen Fällen den leiblichen Kindern gleich. Nach § 9 Abs. 5 SGB II wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die mit einem Verschwägerten in einer Haushaltsgemeinschaft leben, von diesem unterstützt werden. Bei der Feststellung des Hilfebedarfs des Kindes, das mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 3 SGB II). Falls der Stiefelternteil das Kind unterhält, ist es nach § 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB V familienversichert. Unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI kann das Stiefkind eine Waisenrente beanspruchen. Wenn der betreuende Elternteil eine (neue) Ehe eingeht, verliert das Kind den Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Bei der Unterhaltsgewährung nach § 100 InsO fallen auch Stiefkinder unter den Begriff der Familie (vergleiche die Übersicht bei Selg, Beck-online Großkommentar, BGB, § 1601 Rn. 105).
22 
Teilweise werden leibliche und adoptierte Kinder auf der einen und Stiefkinder auf der anderen Seite sogar innerhalb desselben Gesetzeswerkes unterschiedlich behandelt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 7 BAföG erhalten nicht adoptierte Stiefkinder jedenfalls nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Oldenburg keine Ausbildungsförderung, selbst wenn ein Stiefelternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (VG Oldenburg, Beschluss vom 14.07.2003 - 5 B 2303/03 - juris); ferner ist im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht auf das Einkommen des Stiefvaters, sondern allein auf das der leiblichen Eltern oder Adoptiveltern abzustellen (VG Würzburg, Urteil vom 07.10.2014 - W 1 K 13.192 - juris). Demgegenüber wird auch für ein Stiefkind ein Freibetrag nach § 25 Abs. 5 Nr. 2 BAFöG gewährt, wenn es in den Haushalt aufgenommen worden ist (VG Magdeburg, Urteil vom 22.02.2012 - 4 A 125/11 - juris).
23 
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Frage, ob nicht adoptierte Stiefkinder im Rahmen des einfachen Gesetzesrechts den leiblichen oder den adoptierten Kindern gleichzustellen sind, nicht pauschal beantworten lässt. Vielmehr ist je nach dem Regelungsgehalt der gesetzlichen Regelung und deren Sinn und Zweck zu differenzieren, ob ein berücksichtigungsfähiges Eltern-Kind-Verhältnis vorliegt.
24 
d) Aus dem Regelungsgehalt der hier einschlägigen Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG ergibt sich, dass auch ein Stiefelternteil eines nicht adoptierten Stiefkindes als Elternteil anzusehen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Stiefkind - wie hier die Klägerin - in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen worden ist und ihm Unterhalt gewährt wird.
25 
aa) Die Einführung der Studiengebühren für Internationale Studierende war in Baden-Württemberg politisch und rechtlich umstritten. Dies hat das baden-württembergische Wissenschaftsministerium dazu veranlasst, im Vorfeld ein Gutachten einzuholen, das im Internet nach wie vor auf der Homepage des Ministeriums abgerufen werden kann (Riedel, Zur rechtlichen Zulässigkeit der gesetzlichen Einführung selektiver Studiengebühren in Baden-Württemberg, 2013; vgl. Braun in BeckOK, Hochschulrecht BW, Stand 01.06.2021, § 3 Rn. 1.1). Darin wird zusammenfassend das Ergebnis vertreten, dass die selektive Erhebung von Studiengebühren bei Bewerbern aus dem Nicht-EU - und dem Nicht-EWR-Ausland ohne gefestigten Inlandsbezug völkerrechtlich, europarechtlich, grundrechtlich wie auch nach der baden-württembergischen Landesverfassung und dem einfachen Landesrecht grundsätzlich zulässig sei (ebd., S. 56 unter 19.). Demgegenüber sollten rechtmäßig im Inland lebende Ausländer vollen Diskriminierungsschutz wie Inländer erfahren (ebd., S. 54 unter 9.). Auch sonst wird in dem Gutachten betont, dass der konkrete Inlandsbezug das entscheidende Abgrenzungskriterium bei der Erhebung von Studiengebühren bei Bewerbern aus dem Nicht-EU - und Nicht-EWR-Ausland sei (ebd., S. 55 unter 15.).
26 
An dem Ergebnis des Gutachtens hat sich der Landesgesetzgeber bei der Einführung der Studiengebührenpflicht für Internationale Studierende orientiert und in § 5 LHGebG Ausnahmen von der Gebührenpflicht geregelt, mit denen er die Fälle mit legalem gefestigten Inlandsbezug erfassen wollte (vgl. Braun in BeckOK, Hochschulrecht BW, Stand 01.06.2021, § 3 Rn. 1). Nach der Gesetzesbegründung sollen insbesondere die Internationalen Studierenden in Anspruch genommen werden, die speziell zum Studium nach Deutschland gekommen sind, und (noch) keinen gefestigten Inlandsbezug bzw. keine gewachsene engere Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis haben (LT-Drucks. 16/1617, S. 15). Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass dieser Personenkreis als solcher (noch) nicht in gleicher Weise in der Verantwortung der Solidargemeinschaft der im Lande lebenden und arbeitenden Bürgerinnen und Bürger steht, auch wenn diese unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus definiert wird. Aus dem Gedanken der Solidargemeinschaft heraus seien demgegenüber alle Ausländerinnen und Ausländer von der Gebührenpflicht ausgenommen, die einen „gefestigten Inlandsbezug“ hätten (hierzu und zum Folgenden: ebd., S. 16). Dieser manifestiere sich unter anderem in der Aufenthaltsdauer und einer typischerweise damit verbundenen Integration sowie in aller Regel auch in Beiträgen zur Infrastruktur und zum Sozialsystem, die von den Studierenden selbst oder von Familienangehörigen erbracht worden seien. Im Hinblick auf Art. 6 GG seien Familienangehörige von Ausländerinnen und Ausländern mit „gefestigtem Inlandsbezug“ gleichgestellt, die im Wege des Familiennachzugs einreisen dürften. Dazu komme eine kulturelle Komponente im Sinne einer gewachsenen engen Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis.
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In der Begründung des § 5 LHGebG wird ausgeführt, von der Gebührenpflicht seien diejenigen Internationalen Studierenden auszunehmen, die bereits einen gefestigten Inlandsbezug hätten; diese Leitlinie ergebe sich aus dem Völkerrecht, dem europäischen Recht sowie Bundes- und Landesverfassungsrecht. Auch familiäre Verbundenheit und bereits über Steuern und Abgaben geleistete Beiträge zur staatlichen Infrastruktur könnten Grundlage eines Ausnahmetatbestands sein. Nach der Nummer 9 der Vorschrift seien auch Ausländerinnen und Ausländer, von denen sich zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des Studiums insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten habe und rechtmäßig erwerbstätig gewesen sei, von der Studiengebühr auszunehmen. Der Grund der Befreiung liege hier in dem Umstand, dass ein Elternteil eine bestimmte Zeit im Bundesgebiet gearbeitet habe (LT-Drucks. 16/1617, S. 15 f.).
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bb) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Landesgesetzgeber versucht hat, mit den in § 5 LHGebG geregelten Ausnahmen von der Studiengebühr die Fälle mit gefestigtem Inlandsbezug zu erfassen, um rechtlichen und politischen Bedenken gegen die Einführung selektiver Studiengebühren zu begegnen. Dieser Zweck ist daher auch bei der Auslegung des Ausnahmetatbestands des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG zu berücksichtigen. Er rechtfertigt es, die Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkind unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls als begünstigt anzusehen. Ein gefestigter Inlandsbezug liegt danach auch dann vor, wenn eine unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fallende familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem deutschen Stiefelternteil und dem ausländischen Stiefkind vorliegt. Dies ist - wie oben dargelegt - dann der Fall, wenn eine familiäre Haushaltsgemeinschaft besteht und das Stiefkind Unterhalt von dem Stiefelternteil erhält.
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Nach dem erkennbaren Sinn und Zweck des Gesetzes muss es in diesen Fällen daher im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG genügen, wenn ein Stiefelternteil eine bestimmte Zeit im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet hat. Die Annahme eines gefestigten Inlandsbezugs ist ferner dann in besonderem Maße geboten, wenn der Stiefelternteil wie hier jahrzehntelang in Deutschland erwerbstätig gewesen ist und damit Beiträge zur Infrastruktur und zum Sozialsystem in Deutschland geleistet hat. Auch eine engere Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis liegt vor, wenn das Stiefkind in den Haushalt des deutschen Steifelternteils aufgenommen worden ist und mit diesem eine Haushaltsgemeinschaft führt.
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cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beziehung der Klägerin zu ihrem Stiefvater von der in § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG geregelten Ausnahme von der Studiengebührenpflicht umfasst. Zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater bestehen - wie bereits ausgeführt - schützenswerte familiäre Bindungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Die Klägerin lebt mit ihrer leiblichen Mutter und dem Stiefvater zusammen in einem Haushalt und wird von ihrem Stiefvater unterhalten. Sie ist ersichtlich nicht nur ausschließlich wegen des Studiums nach Deutschland gekommen, sondern gerade auch wegen ihrer familiären Beziehungen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass ihr Stiefvater nach seinen unbestrittenen Angaben seit mehr als 25 Jahren durchgängig in Deutschland erwerbstätig gewesen ist und damit als Familienangehöriger der Klägerin im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG erhebliche Beiträge zur inländischen Infrastruktur und zum Sozialsystem geleistet hat.
31 
4. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob sich die Klägerin zudem auf eine Vereinbarung auf internationaler Ebene im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 LHGebG berufen kann (vgl. BeckOK HochschulR BW, LHGebG § 3 Rn. 5.1 und 5.2). Zu denken ist hier an das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine (ABl. EU L 161, 3 ff.). Dieses gewährleistet zwar einerseits keine Gleichstellung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen, enthält aber andererseits eine Vorschrift, wonach die Mobilität von Lernenden erhöht werden soll (Art. 431 lit. f), und eine Bestimmung, die möglicherweise als allgemeines Diskriminierungsverbot zu verstehen sein könnte (Art. 473).
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist nicht zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO, § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kammer hat die möglicherweise als grundsätzlich anzusehende Frage offengelassen, ob selektive Studiengebühren für Internationale Studierende in Einklang mit höherrangigem Rechts stehen.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf
36 
4.500,00 EUR
37 
festgesetzt. Nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist hier zu berücksichtigen, dass die Studiengebühr nicht nur für ein Semester erhoben worden ist. Damit hat der Antrag der Klägerin offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen. Die Höhe des Streitwerts ist aber in der Summe auf das Dreifache des für ein Semester festgesetzten Betrags begrenzt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.03.2020 - 2 S 1170/19 - juris).

Gründe

12 
I. Die Klage ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist insbesondere in zulässiger Weise durch den von der Klägerin bevollmächtigten Stiefvater erhoben worden. Da dieser als Ehemann ihrer Mutter mit der Klägerin in gerader Linie verschwägert ist, gehört er zu dem nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO, § 15 Abs. 1 Nr. 3 AO zur Vertretung berechtigten Personenkreis (vgl. Gersch in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 15 Rn. 4).
13 
II. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Studiengebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei kann die Kammer dahinstehen lassen, ob die Erhebung von Studiengebühren für Studierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit generell mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Denn die Klägerin kann sich jedenfalls auf den Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG berufen. Im Einzelnen:
14 
1. Nach § 3 Abs. 1 LHGebG erheben die Hochschulen ab dem Wintersemester 2017/2018 für das Land von den Studierenden, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen (Internationale Studierende), für ihr Lehrangebot einschließlich der damit verbundenen spezifischen Betreuung der Internationalen Studierenden in Bachelorstudiengängen, konsekutiven Masterstudiengängen sowie in grundständigen Studiengängen nach § 34 Absatz 1 LHG Studiengebühren. Von dieser Gebührenpflicht sind allerdings verschiedene Personengruppen ausgenommen, die im Einzelnen in § 5 LHGebG genannt werden. Dazu gehören nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG auch Ausländerinnen und Ausländer, von denen sich zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des Studiums insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten hat und rechtmäßig erwerbstätig gewesen ist.
15 
2. Die Klägerin ist Stieftochter bzw. Stiefkind eines deutschen Staatsangehörigen. Ihre Mutter, die wie die Klägerin die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt, hat am 14.08.2014 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet und lebt seit Oktober 2014 mit diesem in Deutschland zusammen. Seit August 2017 wohnt auch die Klägerin in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Ihr Stiefvater hat unbestritten in den letzten 25 Jahren in Deutschland gelebt und ist dort erwerbstätig gewesen. Ersichtlich erfüllt er damit die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG genannten Voraussetzungen an das Elternteil der dem Grunde nach gebührenpflichtigen Studierenden, denn er hat sich innerhalb der letzten sechs Jahre vor Aufnahme des Studiums mehr als drei Jahre im Inland aufgehalten und ist dort rechtmäßig erwerbstätig gewesen.
16 
3. Die Klägerin als Stiefkind kann sich auf die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG berufen. Die darin geregelte Ausnahme von der Gebührenpflicht ist nicht auf leibliche und adoptierte Kinder beschränkt.
17 
a) Es ist allgemein anerkannt, dass adoptierte Stiefkinder den leiblichen Kindern in rechtlicher Hinsicht gleichzustellen sind, denn durch die Annahme an Kindes statt erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (§ 1754 BGB). Diese generelle Gleichstellung adoptierter mit leiblichen Kindern kommt der Klägerin allerdings nicht zugute, denn eine Adoption durch den Stiefvater ist in ihrem Fall nicht erfolgt.
18 
b) In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist die familiäre Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater zwar nicht von dem Schutzbereich des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst; sie unterfällt aber dem Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG.
19 
Stief- oder Pflegeeltern können sich auf der einen Seite grundsätzlich nicht auf das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG berufen, falls ihr Stief- oder Pflegekind nicht adoptiert ist. Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch gesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen. Ein sozial-familiäres Elternverhältnis oder das Bestehen einer sozial-familiären Gemeinschaft begründen für sich allein genommen keine Elternschaft im verfassungsrechtlichen Sinne. Pflegeeltern steht das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG demzufolge nicht zu (Badura in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 94. EL Januar 2021, Art. 6 Rn. 99). Allein die soziale Elternschaft begründet erst recht grundsätzlich keine Elternposition i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2019 - 1 BvR 673.17 - NJW 2019, 1793).
20 
Auf der anderen Seite wird dem verfassungsrechtlichen Schutzbedarf der familiären Bindungen zwischen einem Kind und der Person, die ihm gegenüber eine soziale Elternrolle einnimmt, ohne rechtlich Elternteil zu sein, durch den Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen, der vom formalen Elternstatus unabhängig ist (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2019 - 1 BvR 673.17 - NJW 2019, 1793). Daher unterfällt auch die Beziehung zwischen den Stiefeltern und ihrem Stiefkind dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Der Begriff der Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern einschließlich der Stief- und Pflegekinder, unabhängig davon, ob diese minderjährig oder volljährig sind, sowie jede andere von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern. In diesen Fällen darf das Bestehen einer Beistands- oder Betreuungsgemeinschaft vermutet werden. Vor diesem Hintergrund kann eine soziale Familie den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG für sich in Anspruch nehmen, wenn die familiäre Beziehung eine gewisse Zeit andauert und familiäre Bindungen entstanden sind (vgl. zu Pflegeeltern: Eichenhofer in Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 701).
21 
c) Auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts wird die Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkind differenziert behandelt. Aufenthaltsrechtlich ist ein mit seiner deutschen Pflegemutter in häuslicher Gemeinschaft lebendes ausländisches minderjähriges Pflegekind zwar kein „Kind“, aber immerhin ein sonstiger Familienangehöriger (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.09.1993 - 11 S 73/93 - juris). Auch europarechtlich können jedenfalls Pflegekinder als sonstige Familienangehörige anzusehen sein (zur damaligen Rechtslage: SG Berlin, Beschluss vom 07.12.2018 - S 150 AS 9734/18 ER - juris). Einkommensteuerrechtlich werden vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt, selbst wenn der Berechtigte nicht zum Unterhalt des Kindes beiträgt (Selder in Blümich, EStG, Stand 157. EL 2021, § 63 Rn. 10 und 13). Der Stiefelternteil darf den Kinderfreibetrag geltend machen und auch im Erbschafts- und Schenkungsteuerrecht stehen Stiefkinder den leiblichen Kindern gleich (Selg, Beck-online Großkommentar, BGB, § 1601 Rn. 105). Auch sonst stellt das Öffentliche Recht, insbesondere das Sozialrecht, die Stiefkinder in vielen Fällen den leiblichen Kindern gleich. Nach § 9 Abs. 5 SGB II wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die mit einem Verschwägerten in einer Haushaltsgemeinschaft leben, von diesem unterstützt werden. Bei der Feststellung des Hilfebedarfs des Kindes, das mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 3 SGB II). Falls der Stiefelternteil das Kind unterhält, ist es nach § 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB V familienversichert. Unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI kann das Stiefkind eine Waisenrente beanspruchen. Wenn der betreuende Elternteil eine (neue) Ehe eingeht, verliert das Kind den Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Bei der Unterhaltsgewährung nach § 100 InsO fallen auch Stiefkinder unter den Begriff der Familie (vergleiche die Übersicht bei Selg, Beck-online Großkommentar, BGB, § 1601 Rn. 105).
22 
Teilweise werden leibliche und adoptierte Kinder auf der einen und Stiefkinder auf der anderen Seite sogar innerhalb desselben Gesetzeswerkes unterschiedlich behandelt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 7 BAföG erhalten nicht adoptierte Stiefkinder jedenfalls nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Oldenburg keine Ausbildungsförderung, selbst wenn ein Stiefelternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (VG Oldenburg, Beschluss vom 14.07.2003 - 5 B 2303/03 - juris); ferner ist im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht auf das Einkommen des Stiefvaters, sondern allein auf das der leiblichen Eltern oder Adoptiveltern abzustellen (VG Würzburg, Urteil vom 07.10.2014 - W 1 K 13.192 - juris). Demgegenüber wird auch für ein Stiefkind ein Freibetrag nach § 25 Abs. 5 Nr. 2 BAFöG gewährt, wenn es in den Haushalt aufgenommen worden ist (VG Magdeburg, Urteil vom 22.02.2012 - 4 A 125/11 - juris).
23 
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Frage, ob nicht adoptierte Stiefkinder im Rahmen des einfachen Gesetzesrechts den leiblichen oder den adoptierten Kindern gleichzustellen sind, nicht pauschal beantworten lässt. Vielmehr ist je nach dem Regelungsgehalt der gesetzlichen Regelung und deren Sinn und Zweck zu differenzieren, ob ein berücksichtigungsfähiges Eltern-Kind-Verhältnis vorliegt.
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d) Aus dem Regelungsgehalt der hier einschlägigen Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG ergibt sich, dass auch ein Stiefelternteil eines nicht adoptierten Stiefkindes als Elternteil anzusehen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Stiefkind - wie hier die Klägerin - in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen worden ist und ihm Unterhalt gewährt wird.
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aa) Die Einführung der Studiengebühren für Internationale Studierende war in Baden-Württemberg politisch und rechtlich umstritten. Dies hat das baden-württembergische Wissenschaftsministerium dazu veranlasst, im Vorfeld ein Gutachten einzuholen, das im Internet nach wie vor auf der Homepage des Ministeriums abgerufen werden kann (Riedel, Zur rechtlichen Zulässigkeit der gesetzlichen Einführung selektiver Studiengebühren in Baden-Württemberg, 2013; vgl. Braun in BeckOK, Hochschulrecht BW, Stand 01.06.2021, § 3 Rn. 1.1). Darin wird zusammenfassend das Ergebnis vertreten, dass die selektive Erhebung von Studiengebühren bei Bewerbern aus dem Nicht-EU - und dem Nicht-EWR-Ausland ohne gefestigten Inlandsbezug völkerrechtlich, europarechtlich, grundrechtlich wie auch nach der baden-württembergischen Landesverfassung und dem einfachen Landesrecht grundsätzlich zulässig sei (ebd., S. 56 unter 19.). Demgegenüber sollten rechtmäßig im Inland lebende Ausländer vollen Diskriminierungsschutz wie Inländer erfahren (ebd., S. 54 unter 9.). Auch sonst wird in dem Gutachten betont, dass der konkrete Inlandsbezug das entscheidende Abgrenzungskriterium bei der Erhebung von Studiengebühren bei Bewerbern aus dem Nicht-EU - und Nicht-EWR-Ausland sei (ebd., S. 55 unter 15.).
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An dem Ergebnis des Gutachtens hat sich der Landesgesetzgeber bei der Einführung der Studiengebührenpflicht für Internationale Studierende orientiert und in § 5 LHGebG Ausnahmen von der Gebührenpflicht geregelt, mit denen er die Fälle mit legalem gefestigten Inlandsbezug erfassen wollte (vgl. Braun in BeckOK, Hochschulrecht BW, Stand 01.06.2021, § 3 Rn. 1). Nach der Gesetzesbegründung sollen insbesondere die Internationalen Studierenden in Anspruch genommen werden, die speziell zum Studium nach Deutschland gekommen sind, und (noch) keinen gefestigten Inlandsbezug bzw. keine gewachsene engere Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis haben (LT-Drucks. 16/1617, S. 15). Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass dieser Personenkreis als solcher (noch) nicht in gleicher Weise in der Verantwortung der Solidargemeinschaft der im Lande lebenden und arbeitenden Bürgerinnen und Bürger steht, auch wenn diese unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus definiert wird. Aus dem Gedanken der Solidargemeinschaft heraus seien demgegenüber alle Ausländerinnen und Ausländer von der Gebührenpflicht ausgenommen, die einen „gefestigten Inlandsbezug“ hätten (hierzu und zum Folgenden: ebd., S. 16). Dieser manifestiere sich unter anderem in der Aufenthaltsdauer und einer typischerweise damit verbundenen Integration sowie in aller Regel auch in Beiträgen zur Infrastruktur und zum Sozialsystem, die von den Studierenden selbst oder von Familienangehörigen erbracht worden seien. Im Hinblick auf Art. 6 GG seien Familienangehörige von Ausländerinnen und Ausländern mit „gefestigtem Inlandsbezug“ gleichgestellt, die im Wege des Familiennachzugs einreisen dürften. Dazu komme eine kulturelle Komponente im Sinne einer gewachsenen engen Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis.
27 
In der Begründung des § 5 LHGebG wird ausgeführt, von der Gebührenpflicht seien diejenigen Internationalen Studierenden auszunehmen, die bereits einen gefestigten Inlandsbezug hätten; diese Leitlinie ergebe sich aus dem Völkerrecht, dem europäischen Recht sowie Bundes- und Landesverfassungsrecht. Auch familiäre Verbundenheit und bereits über Steuern und Abgaben geleistete Beiträge zur staatlichen Infrastruktur könnten Grundlage eines Ausnahmetatbestands sein. Nach der Nummer 9 der Vorschrift seien auch Ausländerinnen und Ausländer, von denen sich zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des Studiums insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten habe und rechtmäßig erwerbstätig gewesen sei, von der Studiengebühr auszunehmen. Der Grund der Befreiung liege hier in dem Umstand, dass ein Elternteil eine bestimmte Zeit im Bundesgebiet gearbeitet habe (LT-Drucks. 16/1617, S. 15 f.).
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bb) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Landesgesetzgeber versucht hat, mit den in § 5 LHGebG geregelten Ausnahmen von der Studiengebühr die Fälle mit gefestigtem Inlandsbezug zu erfassen, um rechtlichen und politischen Bedenken gegen die Einführung selektiver Studiengebühren zu begegnen. Dieser Zweck ist daher auch bei der Auslegung des Ausnahmetatbestands des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG zu berücksichtigen. Er rechtfertigt es, die Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkind unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls als begünstigt anzusehen. Ein gefestigter Inlandsbezug liegt danach auch dann vor, wenn eine unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fallende familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem deutschen Stiefelternteil und dem ausländischen Stiefkind vorliegt. Dies ist - wie oben dargelegt - dann der Fall, wenn eine familiäre Haushaltsgemeinschaft besteht und das Stiefkind Unterhalt von dem Stiefelternteil erhält.
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Nach dem erkennbaren Sinn und Zweck des Gesetzes muss es in diesen Fällen daher im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG genügen, wenn ein Stiefelternteil eine bestimmte Zeit im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet hat. Die Annahme eines gefestigten Inlandsbezugs ist ferner dann in besonderem Maße geboten, wenn der Stiefelternteil wie hier jahrzehntelang in Deutschland erwerbstätig gewesen ist und damit Beiträge zur Infrastruktur und zum Sozialsystem in Deutschland geleistet hat. Auch eine engere Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis liegt vor, wenn das Stiefkind in den Haushalt des deutschen Steifelternteils aufgenommen worden ist und mit diesem eine Haushaltsgemeinschaft führt.
30 
cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beziehung der Klägerin zu ihrem Stiefvater von der in § 5 Abs. 1 Nr. 9 LHGebG geregelten Ausnahme von der Studiengebührenpflicht umfasst. Zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater bestehen - wie bereits ausgeführt - schützenswerte familiäre Bindungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Die Klägerin lebt mit ihrer leiblichen Mutter und dem Stiefvater zusammen in einem Haushalt und wird von ihrem Stiefvater unterhalten. Sie ist ersichtlich nicht nur ausschließlich wegen des Studiums nach Deutschland gekommen, sondern gerade auch wegen ihrer familiären Beziehungen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass ihr Stiefvater nach seinen unbestrittenen Angaben seit mehr als 25 Jahren durchgängig in Deutschland erwerbstätig gewesen ist und damit als Familienangehöriger der Klägerin im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG erhebliche Beiträge zur inländischen Infrastruktur und zum Sozialsystem geleistet hat.
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4. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob sich die Klägerin zudem auf eine Vereinbarung auf internationaler Ebene im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 LHGebG berufen kann (vgl. BeckOK HochschulR BW, LHGebG § 3 Rn. 5.1 und 5.2). Zu denken ist hier an das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine (ABl. EU L 161, 3 ff.). Dieses gewährleistet zwar einerseits keine Gleichstellung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen, enthält aber andererseits eine Vorschrift, wonach die Mobilität von Lernenden erhöht werden soll (Art. 431 lit. f), und eine Bestimmung, die möglicherweise als allgemeines Diskriminierungsverbot zu verstehen sein könnte (Art. 473).
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist nicht zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO, § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kammer hat die möglicherweise als grundsätzlich anzusehende Frage offengelassen, ob selektive Studiengebühren für Internationale Studierende in Einklang mit höherrangigem Rechts stehen.
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Beschluss
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Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf
36 
4.500,00 EUR
37 
festgesetzt. Nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist hier zu berücksichtigen, dass die Studiengebühr nicht nur für ein Semester erhoben worden ist. Damit hat der Antrag der Klägerin offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen. Die Höhe des Streitwerts ist aber in der Summe auf das Dreifache des für ein Semester festgesetzten Betrags begrenzt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.03.2020 - 2 S 1170/19 - juris).

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