Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.
Die Verfügung unter Ziffer III des Bescheids des Regierungspräsidiums X vom 16.01.2020 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt drei Viertel, der Beklagte ein Viertel der Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen, soweit der Klage stattgegeben wird.
| |
| A) Die teilweise Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis folgt nach Rücknahme der entsprechenden Klage aus § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. |
|
| B) Soweit sich die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer I des Bescheids des Regierungspräsidiums X vom 16.01.2020 richtet, ist sie zulässig, aber unbegründet. Die Ausweisung ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (siehe dazu etwa BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
|
| Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Insofern wird nicht auf das persönliche Verhalten des Ausländers, sondern allein auf dessen Aufenthalt abgestellt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, juris Rn. 16, m.w.N, und v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 17; auch BT-Drs. 18/4097, 25.02.2015, S. 49). Auf die in dieser Hinsicht strengeren Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG, der für die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings eine von ihm ausgehende Gefährdung verlangt, kommt es hier nicht an, da die dem Kläger zuerkannte Flüchtlingseigenschaft bestandskräftig widerrufen wurde. |
|
| I. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. |
|
| Für die Beurteilung, ob eine entsprechende Gefahr vorliegt, sind die Art und das Ausmaß möglicher Schäden und der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen zueinander in Bezug zu setzen. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Prognose, dass er sich tatsächlich verwirklicht und umgekehrt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris, Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris, Rn. 42, m.w.N., und v. 15.11.2017 - 11 S 1555/16 -, juris Rn. 48). |
|
| Demnach sind hier angesichts der drohenden Schäden für die öffentliche Sicherheit keine hohen Anforderungen an die Wiederholungswahrscheinlichkeit zu stellen. |
|
| 1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist nach der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/4097, 25.02.2015, S. 49) im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23). Er wird durch die in § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG enumerativ aufgeführten Tatbestände konkretisiert. Danach muss der Ausländer zumindest einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen haben (siehe § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 17). |
|
| Hier hat die seit dem 14.05.2019 rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das Landgericht X am 14.02.2019 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten zur Verwirklichung des Tatbestands eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, das eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten von mindestens zwei Jahren voraussetzt, geführt. Außerdem ist damit der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b und d AufenthG verwirklicht, weil der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit und gegen das Eigentum, wobei der Tatbestand des hier begangenen besonders schweren Raubes nach § 251 Abs. 2 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. |
|
| Neben der Höhe der verhängten Strafe kommen die Umstände und die Folgen der Tat erschwerend hinzu. Zwar hatte das Landgericht strafmildernd berücksichtigt, dass der Kläger die Tat wegen der Begleichung der Schlepperkosten begangen und sich deswegen in einer Drucksituation befunden habe. Hiervon hat sich die Kammer in der durchgeführten mündlichen Verhandlung jedoch nicht überzeugen können. Dort hat der Kläger nicht nachvollziehbar erklären können, aus welchem Grund er sich zum fraglichen Raubüberfall entschlossen hatte. Er hat ausführlich, aber unkonkret über seine Drogenprobleme sowie den Tod seines Vaters berichtet und - im Widerspruch zu den Feststellungen des Landgerichts - angegeben, dass weder er noch seine Familie das Geld gebraucht habe. Bemerkenswert fällt auch die niedrige Hemmschwelle des Klägers auf, wegen eines relativ geringen Geldbetrags (wohl um die 1.000 EUR) eine derart gravierende Tat zu verüben, zumal er weder alkoholisiert war noch unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. In dieser Hinsicht fallen auch die Folgen für den vom Kläger mit einem Messer bedrohten Kassierer ins Gewicht, der vor allem psychische Schäden davongetragen hat. |
|
| 2. Es besteht zur Überzeugung der Kammer eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass durch den Aufenthalt des Klägers in Deutschland die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums von anderen hier lebenden Personen beeinträchtigt werden. |
|
| a) Zum einen spricht derzeit überwiegendes dafür, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung rückfällig wird. Dafür reicht es, wenn neue Verfehlungen bei Anwendung praktischer Vernunft immer noch zu befürchten sind und das von ihm ausgehende Risiko im Wesentlichen ein größeres ist als das, was bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. Dies ist anhand der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, bloße Vermutungen genügen nicht. Zu den Umständen, die bei der Prognose zu berücksichtigen sind, gehören - abgesehen von der strafrechtlichen Verurteilung und der ihr zugrundeliegenden Straftat - auch die Persönlichkeit und das Verhalten des Ausländers sowie seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, Urt. v. 17.10.1984 - 1 B 61.84 -, juris Rn. 7, v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, juris Rn. 23, v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris Rn. 17 und 37, und v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 40, und v. 12.04.2018 - 11 S 428/18 -, juris Rn. 18). |
|
| Vorliegend sind keine „stabilisierenden Faktoren“ oder eine positive Entwicklung beim Kläger ersichtlich. Dieser ist weder auf dem Arbeitsmarkt integriert noch hat er irgendwelche persönlichen Bindungen, die ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würden. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte er (lediglich) als Reinigungskraft für etwa ein Jahr in einer McDonald’s Filiale gearbeitet und danach von staatlicher Unterstützung gelebt. Er spricht wenig deutsch und hat offenbar keine besondere Qualifikation erworben, obwohl er dazu angesichts seiner Einreise im Sommer 2015 die Möglichkeit gehabt hätte. Abgesehen von seinem in München lebenden Bruder und seinem Cousin in Berlin hat er in Deutschland erkennbar keine festen Beziehungen. Die Abhängigkeitsproblematik, die bislang nicht in irgendeiner Art therapiert worden ist, dürfte auch Anlass für weitere Straftaten bieten. In der Haft ist er zudem negativ durch Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen, schlechte Arbeitsleistungen und fehlende Tataufarbeitung (etwa durch die Absolvierung eines Antigewalttrainings) aufgefallen. |
|
| b) Zum anderen wirkt sich der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet unabhängig von seinem persönlichen Verhalten insofern gefahrerhöhend aus, als durch seine Straffälligkeit andere Ausländer (theoretisch) motiviert werden können, vergleichbare Straftaten zu begehen (in diesem Sinne BVerwG, Urt. v. 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, v. 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, und v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, alle juris). |
|
| Aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit ist eine solche generalisierende Betrachtungsweise zwar nur dann zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dies ist in Fällen von besonders schwerwiegenden Straftaten anzunehmen, von denen eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht (BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris). Außerdem ist erforderlich, dass das Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an ein strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist eine Orientierung an den Fristen der Strafverfolgungsverjährung nach §§ 78 ff. StGB angezeigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, und v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, beide juris). |
|
| Diese Voraussetzungen sind hier aber erfüllt. Von der zuletzt beim Kläger abgeurteilten Tat - besonders schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - geht eine hohe Gefahr für den Staat und die Gesellschaft aus. Dieser Bewertung liegen die oben festgestellten und individuell gewürdigten Umstände zugrunde. Im Übrigen wäre es insbesondere im Hinblick auf die rechtlich zulässige Möglichkeit der Ausweisung anderer Ausländer aufgrund weniger gewichtiger Straftaten nicht gerechtfertigt, die vom Kläger begangene Gewalttat ohne die ausländerrechtliche Konsequenz einer Ausweisung hinzunehmen (vgl. zu dieser Überlegung VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.1994 - 11 S 1884/94 -, juris Rn. 17). Zudem ist das an die letzte Straftat des Klägers anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch aktuell. Der hier verwirklichte Straftatbestand des Raubes unterliegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB einer Verjährungsfrist von zwanzig Jahren (siehe auch § 38 Abs. 2 StGB). Dieser Zeitraum ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen. |
|
| II. Die Ausweisung des Klägers ist auch noch als geeignet anzusehen, um die eben festgestellte Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland zumindest zu verringern. |
|
| Zwar ändert die hier verfügte Ausweisung nichts an dem Umstand, dass der Kläger vorerst im Bundesgebiet bleibt, da er derzeit wegen des im Bescheid des Bundesamts vom 25.03.2020 aufgrund der Wertungen des Art. 3 EMRK festgestellten Abschiebungsverbots weder in sein Herkunftsland Syrien noch in ein anderes Land abgeschoben werden darf. Dies hatte bereits das Bundesamt gleichzeitig mit dem Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 25.03.2020 festgestellt. Damit könnte er - jedenfalls nach seiner Haftentlassung bis zu dem Zeitpunkt, in dem seine Abschiebung wieder möglich sein wird - weiterhin Straftaten begehen. Dennoch geht von der Ausweisung eine - gefahrenabwehrrechtlich grundsätzlich gebotene - verhaltenssteuernde Wirkung aus. |
|
| Eine Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung - die sogenannte inlandsbezogene Ausweisung - hat den Zweck, eine Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.07.2017 - 1 C 12.16 -, juris Rn. 23, und v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, juris Rn. 60; Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41). Zwar führt sie unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) nicht unbedingt zu einer sog. „Titelerteilungssperre“ nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (siehe dazu unten C), sie bewirkt aber, dass ein bestehender Aufenthaltstitel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erlischt. Dies schränkt nach Maßgabe des § 61 AufenthG wiederum die Reise- und Bewegungsfreiheit sowie die Erwerbstätigkeit erheblich ein. Der Betroffene muss sich zudem bemühen, kein neues Ausweisungsinteresse zu begründen (also keine neuen Straftaten zu begehen), wenn er in der Zukunft einen Aufenthaltstitel und damit einen gesicherten Aufenthalt erhalten will (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41; auch Fleuß, in: BeckOK AuslR, Stand: 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6). Auch andere spezialpräventive Maßnahmen wie etwa das Eingreifen von Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG können an die Ausweisung geknüpft sein. |
|
| Hier ist zwar das auf spezialpräventiven Gesichtspunkten beruhende öffentliche Ausweisungsinteresse im Hinblick darauf, dass der Kläger derzeit auch ohne die Ausweisung im Bundesgebiet nur geduldet wird (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), weil er nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist, als nicht so gewichtig einzustufen. Außerdem erscheint die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Hinblick auf die hier drohenden Straftaten gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit ohnehin nicht dafür geeignet zu sein, die Wahrscheinlichkeit für deren Wiederholung zu reduzieren. Anders könnte es etwa bei Gefahren des Terrorismus zu bewerten sein, für die hier aber keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Gegen den Kläger können auf Grund der Ausweisung auch keine Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (z.B. Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk) angeordnet werden, weil kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG gegeben ist. |
|
| Allerdings führt die zusätzliche Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen dazu, dass die Ausweisung im Ergebnis als geeignet anzusehen ist, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen. Denn diese kann auch bei Vorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen insofern eine selbständige Bedeutung haben, als dass sie andere Ausländer im Sinne generalpräventiver Erwägungen von weiterer Straftatenbegehung abschrecken kann (BVerwG, Beschl. v. 18.08.1995 - 1 B 55/95 -, juris Rn. 9, auch Urt. v. 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 15; vgl. auch Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 42). |
|
| III. Auch nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers seine gegenläufigen Interessen, die sich hier (nur) auf einen weiteren legalen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränken (zur Interessenabwägung bei inlandsbezogener Ausweisung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 144, und v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 130). |
|
| Im Rahmen der Abwägung ist neben der abstrakten Einstufung des Ausweisungsinteresses durch den Gesetzgeber vor allem das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten (BVerwG, Urt. v. 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 39; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 50 f.). Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Zudem sind die Gefahrenprognose sowie die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familienangehörigen in den Blick zu nehmen (BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 18 f.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 51). |
|
| Vorliegend stehen den gesetzlich vertypten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen aus § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a lit. b und d AufenthG keine vertypten Bleibeinteressen des Klägers gegenüber. Dieser hält sich erst seit 2015 in Deutschland auf und hat hier keine festen Bindungen, die durch die Ausweisung betroffen würden. Seine in Berlin und München lebenden Verwandten können ihn in Baden-Württemberg besuchen. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen sowie auf den angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 AufenthG). |
|
| C) Die zulässige Klage ist aber begründet, soweit sie das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Ziffer III des Bescheids des Regierungspräsidiums X vom 16.01.2020 betrifft. Diese Verfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
|
| Zwar ist hier der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt, wonach gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen ist. Allerdings ist diese Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts insoweit unanwendbar. |
|
| Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (EuGH, Urt. v. 07.02.1991 - C-184/89 -, Rn. 19, und v. 09.03.1978 - C-106/77 -, Rn. 17/18, beide juris). |
|
|
|
| Gemäß Art. 11 Abs. 1 und Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie, RFRL) geht ein Einreiseverbot „mit einer Rückkehrentscheidung einher“. Es stellt damit eine Ergänzung der Rückkehrentscheidung dar (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 52) und kann ohne eine solche nicht aufrechterhalten werden (EuGH a.a.O., Rn. 54 und 61; vgl. diesbezüglich auch OVG Bremen, Beschl. v. 28.09.2021 - 2 LA 206/21 -, juris Rn. 12, sowie etwa VG Karlsruhe, Urt. v. 01.10.2021 - A 19 K 2563/21 -, juris Rn. 70). In der (deutschen) Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Abschiebungsandrohung - und nicht etwa die Ausweisung - als eine Rückkehrentscheidung zu verstehen ist (dazu etwa BVerwG, EuGH-Vorlage v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urt. v. 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschl. v. 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.; a.A. etwa Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 AufenthG Rn. 9). |
|
| Für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG reicht es dagegen aus, wenn der Ausländer - wie hier - ausgewiesen wurde. Eine Abschiebungsandrohung muss danach nicht erlassen werden. |
|
| II. Auch ein solches Einreise- und Aufenthaltsverbot, das (nur) mit einer Ausweisung aus Gründen der Gefahrenabwehr verfügt wurde, ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -) am Maßstab der Rückführungsrichtlinie zu messen (a.A. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris). |
|
| 1. Die Rückführungsrichtlinie ist danach generell auf Personen anwendbar, die über keinen Aufenthaltstitel oder keine sonstige Aufenthaltsberechtigung im Aufnahmestaat verfügen (siehe Art. 6 Abs. 4 RFRL, zur Anwendbarkeit der RFRL bei subsidiär Schutzberechtigten vgl. VG Freiburg, Urt. v. 21.12.2021 - 8 K 1235/20 -, juris Rn. 59). |
|
| Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet die Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Illegaler Aufenthalt wird gemäß Art. 3 Nr. 2 RFRL als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat bezeichnet, wenn die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in diesen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt werden. Damit reicht es aus, wenn der Betreffende (aktuell) die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder für den dortigen Aufenthalt nicht erfüllt und „schon allein deswegen“ dort illegal aufhältig ist (vgl. EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 43 f.). Von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b RFRL vorgesehenen Möglichkeit, die Richtlinie auf Drittstaatsangehörige, die aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, nicht anzuwenden, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht (BVerwG, Beschl. v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 37, und v. 06.05.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 2; bereits zuvor VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und v. 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87). |
|
| Im Falle des Klägers ist schon deshalb von einem „illegalen Aufenthalt“ in diesem Sinne auszugehen, weil er keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Im Übrigen hat die Ausweisung zur Folge, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG der für den Aufenthalt in Deutschland erforderliche Aufenthaltstitel erlischt und der Ausländer kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet wird (§ 50 AufenthG). Damit wird die Legalität des Aufenthalts beendet und die Voraussetzungen für eine Wiedereinreise entfallen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 146). Es kann hier offenbleiben, ob in diesen Fällen eine Rückkehrentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 RFRL ergehen muss, da nach dem Europäischen Gerichtshof die Existenz eines illegalen Aufenthalts ohne eine Rückkehrentscheidung unzulässig ist (EuGH, 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 55 ff.; vgl. aber auch EuGH, Urt. v. 24.06.2015 - C-373/13 -, juris Rn. 52). Dem dürfte indes der Grundsatz der Nichtzurückweisung entgegenstehen (vgl. Art. 5 RFRL; EuGH, Urt. v. 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 40 und 42; zum Vorschlag des EuGH, die Abschiebung nach Art. 9 Abs. 1 lit. a RFRL aufzuschieben vgl. EuGH, 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 58 f.). |
|
| 2. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann, wenn der Ausländer - wie hier - tatsächlich nicht abgeschoben werden darf (siehe § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). |
|
| Zwar führt diese Rechtsauffassung dazu, dass ein an die Ausweisung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot wegen des Widerspruchs zu Art. 11 Abs. 1 RFRL nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dies hat etwa zur Folge, dass die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht mehr greift, sowie dass der betroffene Ausländer nach einer freiwilligen Ausreise aus dem Bundesgebiet grundsätzlich wieder ohne eine Wiedereinreisesperre einreisen dürfte. Die Kammer teilt auch die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (im Folgenden: Verwaltungsgerichtshof) in seiner Entscheidung vom 15.04.2021 geäußerte Kritik, dass eine inlandsbezogene Ausweisung entgegen dem vorrangigen Ziel der Rückführungsrichtlinie nicht der Aufenthaltsbeendigung, sondern vor allem der Gefahrenabwehr dient (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 139 ff.; vgl. auch Urt. v. 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und v. 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87). |
|
| Die Kammer sieht sich jedoch daran gehindert, angesichts der klaren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 (Urt. - C-546/19 -) hier die Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie zu verneinen. Denn der Europäische Gerichtshof hat auf die ausdrückliche Frage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) deutlich gemacht, dass auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung zu „nichtmigrationsbedingten Zwecken“ verhängt wurde, unter den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 48). |
|
| Insoweit ist dem Europäischen Gerichtshof zuzustimmen, dass der Wortlaut des Art. 2 RFRL für eine solche Auslegung sprechen dürfte, zumal die Bundesrepublik von der Opt-out-Möglichkeit bei strafrechtlichen Sanktionen unter Art. 2 Abs. 2 lit. b RFRL keinen Gebrauch gemacht hat (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 46; allerdings ist zu beachten, dass eine Ausweisung nicht immer die Folge einer strafrechtlichen Sanktion sein muss, vgl. etwa § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Auch wenn die Rückführungsrichtlinie nicht auf der Grundlage des ehemaligen Art. 63 Nr. 3 lit. a EGV, sondern des Art. 63 Nr. 3 lit. b EGV erlassen wurde (dazu VGH Bad.-Württ., a.a.O., Rn. 141-143, m.w.N.), betrifft diese Ermächtigung allgemein den „illegalen Aufenthalt“. Wie diese Situation entstanden ist, also etwa durch unerlaubte Einreise oder durch Straftaten, ist nach dem Europäischen Gerichtshof ohne Bedeutung (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 45). In diesem Zusammenhang dürfte es zutreffen, dass auch die Feststellung von Abschiebungsverboten durch das Bundesamt (an welche die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden ist) an der Illegalität des Aufenthalts nichts ändern muss. Insbesondere kann bei Straffälligkeit des Ausländers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ausschlussgründen des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4 AufenthG oder des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG scheitern (siehe dazu Bay. VGH, Urt. v. 15.06.2011 - 19 B 10.2539 -, juris Rn. 34; auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.12.2013 - 11 S 1770/13 -, juris Rn. 82). Der Ausländer bleibt dann ausreisepflichtig, ihm ist nur eine Duldung auszustellen (vgl. § 60a Abs. 2 AufenthG). Schließlich legt auch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL nahe, dass Gefahrenabwehr nicht gänzlich vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausgeschlossen werden sollte. |
|
|
|
| E) Die Berufung war gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen, soweit das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben wurde. Denn die hier vertretene Auffassung, die im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -) das aufgrund einer Ausweisung erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG als unvereinbar mit der Rückführungsrichtlinie sieht, soweit keine Rückkehrentscheidung ergangen ist, weicht in dieser Hinsicht vom Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 - ab. |
|
|
|
| Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2, 39 GKG i.V.m. Nrn. 8.1. und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., 2021, Anh § 164 Rn. 14) auf |
|
|
|
| festgesetzt. Der Wert des Streitgegenstands einer Anfechtungsklage gegen eine Ausweisung ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG einheitlich auf 5.000 EUR festzusetzen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2019 - 11 S 45/19 -, juris, Rn. 19, m.w.N.). Das formal mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26.08.2020 - 11 S 2038/19 -, juris Rn. 45). Für die begehrte Aufenthaltserlaubnis ist ebenfalls der Auffangstreitwert von 5.000 EUR anzusetzen. |
|
| |
| A) Die teilweise Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis folgt nach Rücknahme der entsprechenden Klage aus § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. |
|
| B) Soweit sich die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer I des Bescheids des Regierungspräsidiums X vom 16.01.2020 richtet, ist sie zulässig, aber unbegründet. Die Ausweisung ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (siehe dazu etwa BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
|
| Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Insofern wird nicht auf das persönliche Verhalten des Ausländers, sondern allein auf dessen Aufenthalt abgestellt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, juris Rn. 16, m.w.N, und v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 17; auch BT-Drs. 18/4097, 25.02.2015, S. 49). Auf die in dieser Hinsicht strengeren Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG, der für die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings eine von ihm ausgehende Gefährdung verlangt, kommt es hier nicht an, da die dem Kläger zuerkannte Flüchtlingseigenschaft bestandskräftig widerrufen wurde. |
|
| I. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. |
|
| Für die Beurteilung, ob eine entsprechende Gefahr vorliegt, sind die Art und das Ausmaß möglicher Schäden und der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen zueinander in Bezug zu setzen. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Prognose, dass er sich tatsächlich verwirklicht und umgekehrt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris, Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris, Rn. 42, m.w.N., und v. 15.11.2017 - 11 S 1555/16 -, juris Rn. 48). |
|
| Demnach sind hier angesichts der drohenden Schäden für die öffentliche Sicherheit keine hohen Anforderungen an die Wiederholungswahrscheinlichkeit zu stellen. |
|
| 1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist nach der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/4097, 25.02.2015, S. 49) im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23). Er wird durch die in § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG enumerativ aufgeführten Tatbestände konkretisiert. Danach muss der Ausländer zumindest einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen haben (siehe § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 17). |
|
| Hier hat die seit dem 14.05.2019 rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das Landgericht X am 14.02.2019 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten zur Verwirklichung des Tatbestands eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, das eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten von mindestens zwei Jahren voraussetzt, geführt. Außerdem ist damit der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b und d AufenthG verwirklicht, weil der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit und gegen das Eigentum, wobei der Tatbestand des hier begangenen besonders schweren Raubes nach § 251 Abs. 2 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. |
|
| Neben der Höhe der verhängten Strafe kommen die Umstände und die Folgen der Tat erschwerend hinzu. Zwar hatte das Landgericht strafmildernd berücksichtigt, dass der Kläger die Tat wegen der Begleichung der Schlepperkosten begangen und sich deswegen in einer Drucksituation befunden habe. Hiervon hat sich die Kammer in der durchgeführten mündlichen Verhandlung jedoch nicht überzeugen können. Dort hat der Kläger nicht nachvollziehbar erklären können, aus welchem Grund er sich zum fraglichen Raubüberfall entschlossen hatte. Er hat ausführlich, aber unkonkret über seine Drogenprobleme sowie den Tod seines Vaters berichtet und - im Widerspruch zu den Feststellungen des Landgerichts - angegeben, dass weder er noch seine Familie das Geld gebraucht habe. Bemerkenswert fällt auch die niedrige Hemmschwelle des Klägers auf, wegen eines relativ geringen Geldbetrags (wohl um die 1.000 EUR) eine derart gravierende Tat zu verüben, zumal er weder alkoholisiert war noch unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. In dieser Hinsicht fallen auch die Folgen für den vom Kläger mit einem Messer bedrohten Kassierer ins Gewicht, der vor allem psychische Schäden davongetragen hat. |
|
| 2. Es besteht zur Überzeugung der Kammer eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass durch den Aufenthalt des Klägers in Deutschland die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums von anderen hier lebenden Personen beeinträchtigt werden. |
|
| a) Zum einen spricht derzeit überwiegendes dafür, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung rückfällig wird. Dafür reicht es, wenn neue Verfehlungen bei Anwendung praktischer Vernunft immer noch zu befürchten sind und das von ihm ausgehende Risiko im Wesentlichen ein größeres ist als das, was bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. Dies ist anhand der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, bloße Vermutungen genügen nicht. Zu den Umständen, die bei der Prognose zu berücksichtigen sind, gehören - abgesehen von der strafrechtlichen Verurteilung und der ihr zugrundeliegenden Straftat - auch die Persönlichkeit und das Verhalten des Ausländers sowie seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, Urt. v. 17.10.1984 - 1 B 61.84 -, juris Rn. 7, v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, juris Rn. 23, v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris Rn. 17 und 37, und v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 40, und v. 12.04.2018 - 11 S 428/18 -, juris Rn. 18). |
|
| Vorliegend sind keine „stabilisierenden Faktoren“ oder eine positive Entwicklung beim Kläger ersichtlich. Dieser ist weder auf dem Arbeitsmarkt integriert noch hat er irgendwelche persönlichen Bindungen, die ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würden. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte er (lediglich) als Reinigungskraft für etwa ein Jahr in einer McDonald’s Filiale gearbeitet und danach von staatlicher Unterstützung gelebt. Er spricht wenig deutsch und hat offenbar keine besondere Qualifikation erworben, obwohl er dazu angesichts seiner Einreise im Sommer 2015 die Möglichkeit gehabt hätte. Abgesehen von seinem in München lebenden Bruder und seinem Cousin in Berlin hat er in Deutschland erkennbar keine festen Beziehungen. Die Abhängigkeitsproblematik, die bislang nicht in irgendeiner Art therapiert worden ist, dürfte auch Anlass für weitere Straftaten bieten. In der Haft ist er zudem negativ durch Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen, schlechte Arbeitsleistungen und fehlende Tataufarbeitung (etwa durch die Absolvierung eines Antigewalttrainings) aufgefallen. |
|
| b) Zum anderen wirkt sich der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet unabhängig von seinem persönlichen Verhalten insofern gefahrerhöhend aus, als durch seine Straffälligkeit andere Ausländer (theoretisch) motiviert werden können, vergleichbare Straftaten zu begehen (in diesem Sinne BVerwG, Urt. v. 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, v. 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, und v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, alle juris). |
|
| Aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit ist eine solche generalisierende Betrachtungsweise zwar nur dann zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dies ist in Fällen von besonders schwerwiegenden Straftaten anzunehmen, von denen eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht (BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris). Außerdem ist erforderlich, dass das Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an ein strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist eine Orientierung an den Fristen der Strafverfolgungsverjährung nach §§ 78 ff. StGB angezeigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, und v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, beide juris). |
|
| Diese Voraussetzungen sind hier aber erfüllt. Von der zuletzt beim Kläger abgeurteilten Tat - besonders schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - geht eine hohe Gefahr für den Staat und die Gesellschaft aus. Dieser Bewertung liegen die oben festgestellten und individuell gewürdigten Umstände zugrunde. Im Übrigen wäre es insbesondere im Hinblick auf die rechtlich zulässige Möglichkeit der Ausweisung anderer Ausländer aufgrund weniger gewichtiger Straftaten nicht gerechtfertigt, die vom Kläger begangene Gewalttat ohne die ausländerrechtliche Konsequenz einer Ausweisung hinzunehmen (vgl. zu dieser Überlegung VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.1994 - 11 S 1884/94 -, juris Rn. 17). Zudem ist das an die letzte Straftat des Klägers anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch aktuell. Der hier verwirklichte Straftatbestand des Raubes unterliegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB einer Verjährungsfrist von zwanzig Jahren (siehe auch § 38 Abs. 2 StGB). Dieser Zeitraum ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen. |
|
| II. Die Ausweisung des Klägers ist auch noch als geeignet anzusehen, um die eben festgestellte Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland zumindest zu verringern. |
|
| Zwar ändert die hier verfügte Ausweisung nichts an dem Umstand, dass der Kläger vorerst im Bundesgebiet bleibt, da er derzeit wegen des im Bescheid des Bundesamts vom 25.03.2020 aufgrund der Wertungen des Art. 3 EMRK festgestellten Abschiebungsverbots weder in sein Herkunftsland Syrien noch in ein anderes Land abgeschoben werden darf. Dies hatte bereits das Bundesamt gleichzeitig mit dem Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 25.03.2020 festgestellt. Damit könnte er - jedenfalls nach seiner Haftentlassung bis zu dem Zeitpunkt, in dem seine Abschiebung wieder möglich sein wird - weiterhin Straftaten begehen. Dennoch geht von der Ausweisung eine - gefahrenabwehrrechtlich grundsätzlich gebotene - verhaltenssteuernde Wirkung aus. |
|
| Eine Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung - die sogenannte inlandsbezogene Ausweisung - hat den Zweck, eine Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.07.2017 - 1 C 12.16 -, juris Rn. 23, und v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, juris Rn. 60; Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41). Zwar führt sie unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) nicht unbedingt zu einer sog. „Titelerteilungssperre“ nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (siehe dazu unten C), sie bewirkt aber, dass ein bestehender Aufenthaltstitel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erlischt. Dies schränkt nach Maßgabe des § 61 AufenthG wiederum die Reise- und Bewegungsfreiheit sowie die Erwerbstätigkeit erheblich ein. Der Betroffene muss sich zudem bemühen, kein neues Ausweisungsinteresse zu begründen (also keine neuen Straftaten zu begehen), wenn er in der Zukunft einen Aufenthaltstitel und damit einen gesicherten Aufenthalt erhalten will (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41; auch Fleuß, in: BeckOK AuslR, Stand: 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6). Auch andere spezialpräventive Maßnahmen wie etwa das Eingreifen von Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG können an die Ausweisung geknüpft sein. |
|
| Hier ist zwar das auf spezialpräventiven Gesichtspunkten beruhende öffentliche Ausweisungsinteresse im Hinblick darauf, dass der Kläger derzeit auch ohne die Ausweisung im Bundesgebiet nur geduldet wird (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), weil er nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist, als nicht so gewichtig einzustufen. Außerdem erscheint die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Hinblick auf die hier drohenden Straftaten gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit ohnehin nicht dafür geeignet zu sein, die Wahrscheinlichkeit für deren Wiederholung zu reduzieren. Anders könnte es etwa bei Gefahren des Terrorismus zu bewerten sein, für die hier aber keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Gegen den Kläger können auf Grund der Ausweisung auch keine Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (z.B. Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk) angeordnet werden, weil kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG gegeben ist. |
|
| Allerdings führt die zusätzliche Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen dazu, dass die Ausweisung im Ergebnis als geeignet anzusehen ist, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen. Denn diese kann auch bei Vorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen insofern eine selbständige Bedeutung haben, als dass sie andere Ausländer im Sinne generalpräventiver Erwägungen von weiterer Straftatenbegehung abschrecken kann (BVerwG, Beschl. v. 18.08.1995 - 1 B 55/95 -, juris Rn. 9, auch Urt. v. 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 15; vgl. auch Bay. VGH, Urt. v. 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 42). |
|
| III. Auch nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers seine gegenläufigen Interessen, die sich hier (nur) auf einen weiteren legalen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränken (zur Interessenabwägung bei inlandsbezogener Ausweisung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 144, und v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 130). |
|
| Im Rahmen der Abwägung ist neben der abstrakten Einstufung des Ausweisungsinteresses durch den Gesetzgeber vor allem das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten (BVerwG, Urt. v. 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 39; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 50 f.). Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Zudem sind die Gefahrenprognose sowie die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familienangehörigen in den Blick zu nehmen (BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 18 f.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 51). |
|
| Vorliegend stehen den gesetzlich vertypten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen aus § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a lit. b und d AufenthG keine vertypten Bleibeinteressen des Klägers gegenüber. Dieser hält sich erst seit 2015 in Deutschland auf und hat hier keine festen Bindungen, die durch die Ausweisung betroffen würden. Seine in Berlin und München lebenden Verwandten können ihn in Baden-Württemberg besuchen. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen sowie auf den angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 AufenthG). |
|
| C) Die zulässige Klage ist aber begründet, soweit sie das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Ziffer III des Bescheids des Regierungspräsidiums X vom 16.01.2020 betrifft. Diese Verfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
|
| Zwar ist hier der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt, wonach gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen ist. Allerdings ist diese Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts insoweit unanwendbar. |
|
| Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (EuGH, Urt. v. 07.02.1991 - C-184/89 -, Rn. 19, und v. 09.03.1978 - C-106/77 -, Rn. 17/18, beide juris). |
|
|
|
| Gemäß Art. 11 Abs. 1 und Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie, RFRL) geht ein Einreiseverbot „mit einer Rückkehrentscheidung einher“. Es stellt damit eine Ergänzung der Rückkehrentscheidung dar (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 52) und kann ohne eine solche nicht aufrechterhalten werden (EuGH a.a.O., Rn. 54 und 61; vgl. diesbezüglich auch OVG Bremen, Beschl. v. 28.09.2021 - 2 LA 206/21 -, juris Rn. 12, sowie etwa VG Karlsruhe, Urt. v. 01.10.2021 - A 19 K 2563/21 -, juris Rn. 70). In der (deutschen) Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Abschiebungsandrohung - und nicht etwa die Ausweisung - als eine Rückkehrentscheidung zu verstehen ist (dazu etwa BVerwG, EuGH-Vorlage v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urt. v. 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschl. v. 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.; a.A. etwa Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 AufenthG Rn. 9). |
|
| Für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG reicht es dagegen aus, wenn der Ausländer - wie hier - ausgewiesen wurde. Eine Abschiebungsandrohung muss danach nicht erlassen werden. |
|
| II. Auch ein solches Einreise- und Aufenthaltsverbot, das (nur) mit einer Ausweisung aus Gründen der Gefahrenabwehr verfügt wurde, ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -) am Maßstab der Rückführungsrichtlinie zu messen (a.A. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris). |
|
| 1. Die Rückführungsrichtlinie ist danach generell auf Personen anwendbar, die über keinen Aufenthaltstitel oder keine sonstige Aufenthaltsberechtigung im Aufnahmestaat verfügen (siehe Art. 6 Abs. 4 RFRL, zur Anwendbarkeit der RFRL bei subsidiär Schutzberechtigten vgl. VG Freiburg, Urt. v. 21.12.2021 - 8 K 1235/20 -, juris Rn. 59). |
|
| Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet die Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Illegaler Aufenthalt wird gemäß Art. 3 Nr. 2 RFRL als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat bezeichnet, wenn die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in diesen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt werden. Damit reicht es aus, wenn der Betreffende (aktuell) die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder für den dortigen Aufenthalt nicht erfüllt und „schon allein deswegen“ dort illegal aufhältig ist (vgl. EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 43 f.). Von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b RFRL vorgesehenen Möglichkeit, die Richtlinie auf Drittstaatsangehörige, die aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, nicht anzuwenden, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht (BVerwG, Beschl. v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 37, und v. 06.05.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 2; bereits zuvor VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und v. 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87). |
|
| Im Falle des Klägers ist schon deshalb von einem „illegalen Aufenthalt“ in diesem Sinne auszugehen, weil er keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Im Übrigen hat die Ausweisung zur Folge, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG der für den Aufenthalt in Deutschland erforderliche Aufenthaltstitel erlischt und der Ausländer kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet wird (§ 50 AufenthG). Damit wird die Legalität des Aufenthalts beendet und die Voraussetzungen für eine Wiedereinreise entfallen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 146). Es kann hier offenbleiben, ob in diesen Fällen eine Rückkehrentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 RFRL ergehen muss, da nach dem Europäischen Gerichtshof die Existenz eines illegalen Aufenthalts ohne eine Rückkehrentscheidung unzulässig ist (EuGH, 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 55 ff.; vgl. aber auch EuGH, Urt. v. 24.06.2015 - C-373/13 -, juris Rn. 52). Dem dürfte indes der Grundsatz der Nichtzurückweisung entgegenstehen (vgl. Art. 5 RFRL; EuGH, Urt. v. 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 40 und 42; zum Vorschlag des EuGH, die Abschiebung nach Art. 9 Abs. 1 lit. a RFRL aufzuschieben vgl. EuGH, 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 58 f.). |
|
| 2. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann, wenn der Ausländer - wie hier - tatsächlich nicht abgeschoben werden darf (siehe § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). |
|
| Zwar führt diese Rechtsauffassung dazu, dass ein an die Ausweisung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot wegen des Widerspruchs zu Art. 11 Abs. 1 RFRL nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dies hat etwa zur Folge, dass die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht mehr greift, sowie dass der betroffene Ausländer nach einer freiwilligen Ausreise aus dem Bundesgebiet grundsätzlich wieder ohne eine Wiedereinreisesperre einreisen dürfte. Die Kammer teilt auch die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (im Folgenden: Verwaltungsgerichtshof) in seiner Entscheidung vom 15.04.2021 geäußerte Kritik, dass eine inlandsbezogene Ausweisung entgegen dem vorrangigen Ziel der Rückführungsrichtlinie nicht der Aufenthaltsbeendigung, sondern vor allem der Gefahrenabwehr dient (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 139 ff.; vgl. auch Urt. v. 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und v. 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87). |
|
| Die Kammer sieht sich jedoch daran gehindert, angesichts der klaren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 (Urt. - C-546/19 -) hier die Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie zu verneinen. Denn der Europäische Gerichtshof hat auf die ausdrückliche Frage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) deutlich gemacht, dass auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung zu „nichtmigrationsbedingten Zwecken“ verhängt wurde, unter den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 48). |
|
| Insoweit ist dem Europäischen Gerichtshof zuzustimmen, dass der Wortlaut des Art. 2 RFRL für eine solche Auslegung sprechen dürfte, zumal die Bundesrepublik von der Opt-out-Möglichkeit bei strafrechtlichen Sanktionen unter Art. 2 Abs. 2 lit. b RFRL keinen Gebrauch gemacht hat (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 46; allerdings ist zu beachten, dass eine Ausweisung nicht immer die Folge einer strafrechtlichen Sanktion sein muss, vgl. etwa § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Auch wenn die Rückführungsrichtlinie nicht auf der Grundlage des ehemaligen Art. 63 Nr. 3 lit. a EGV, sondern des Art. 63 Nr. 3 lit. b EGV erlassen wurde (dazu VGH Bad.-Württ., a.a.O., Rn. 141-143, m.w.N.), betrifft diese Ermächtigung allgemein den „illegalen Aufenthalt“. Wie diese Situation entstanden ist, also etwa durch unerlaubte Einreise oder durch Straftaten, ist nach dem Europäischen Gerichtshof ohne Bedeutung (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 45). In diesem Zusammenhang dürfte es zutreffen, dass auch die Feststellung von Abschiebungsverboten durch das Bundesamt (an welche die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden ist) an der Illegalität des Aufenthalts nichts ändern muss. Insbesondere kann bei Straffälligkeit des Ausländers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ausschlussgründen des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4 AufenthG oder des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG scheitern (siehe dazu Bay. VGH, Urt. v. 15.06.2011 - 19 B 10.2539 -, juris Rn. 34; auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.12.2013 - 11 S 1770/13 -, juris Rn. 82). Der Ausländer bleibt dann ausreisepflichtig, ihm ist nur eine Duldung auszustellen (vgl. § 60a Abs. 2 AufenthG). Schließlich legt auch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL nahe, dass Gefahrenabwehr nicht gänzlich vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausgeschlossen werden sollte. |
|
|
|
| E) Die Berufung war gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen, soweit das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben wurde. Denn die hier vertretene Auffassung, die im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -) das aufgrund einer Ausweisung erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG als unvereinbar mit der Rückführungsrichtlinie sieht, soweit keine Rückkehrentscheidung ergangen ist, weicht in dieser Hinsicht vom Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 - ab. |
|
|
|
| Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2, 39 GKG i.V.m. Nrn. 8.1. und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., 2021, Anh § 164 Rn. 14) auf |
|
|
|
| festgesetzt. Der Wert des Streitgegenstands einer Anfechtungsklage gegen eine Ausweisung ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG einheitlich auf 5.000 EUR festzusetzen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2019 - 11 S 45/19 -, juris, Rn. 19, m.w.N.). Das formal mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26.08.2020 - 11 S 2038/19 -, juris Rn. 45). Für die begehrte Aufenthaltserlaubnis ist ebenfalls der Auffangstreitwert von 5.000 EUR anzusetzen. |
|