Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 10 K 217/22

Tenor

Soweit die Antragstellerin Ziffer 42 ihren Antrag zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen werden die Anträge auf Bestellung eines Prozesspflegers abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/152.

Gründe

 
I. Die Antragsteller begehren mit ihrem am 26. Januar 2022 beim Gericht eingegangenen Antrag die Bestellung eines Prozesspflegers zur Vertretung in einem „angestrebten“ (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahren.
Der Antrag enthält in der Absender-Adresszeile die folgende Formulierung:
Absender:
152 Einwohner der 1974 untergegangenen Gemeinde T. und H. gem. Anlage A1
Am Ende des Antrags heißt es:
Mit freundlichen Grüßen
Die in Anlage A 1 genannten Bürgerinnen und Bürger von Ex-T. gem. Schielke (2012)
Darunter befindet sich mit blauem Filzstift „i.A.“ eine nicht lesbare Unterschrift.
Anlage A 1 enthält eine tabellarische Auflistung von 152 Bürgerinnen und Bürgern, deren Geburtsdaten, postalische Anschriften und das Datum ihrer Unterschrift. Außerdem wurde von jedem Antragsteller ein „Mandatsbogen“ in Kopie vorgelegt.
Die „Mandatsbögen“ haben den folgenden Inhalt:
In analoger Anwendung des § 21 Abs. 3 Satz 5 GemO müssen für die Bestellung eines Prozesspflegers zum Einklagen von Verpflichtungen in einem Eingemeindungsvertrag 10% der auf dem Gebiet einer eingegliederten Gemeinde lebende Bürger einen Antrag unterzeichnen. Quelle […] Auf diesem Bogen kann eine Person, die in T. oder H. () lebt, diesen Willen schriftlich an Eides statt ausdrücken.
10 
FRAGE:
Sind Sie Bürger/Einwohner/Bürgerin/Einwohnerin von T. oder H. und sprechen Sie sich dafür aus, dass Anwaltskanzlei, die Bürgerschaft T./H. (zuletzt bestehend: 1974) in der Klage gegen die Ex-Gemeinde (wie bestehend 1974) auf Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Eingemeindungsvertrag von 1974, insbesondere der Verpflichtungen zum Erhalt und Ausbau der Grundschule am Standort T., wie im § 15 des Eingemeindungsvertrages beschrieben, vertreten soll und hierfür als Prozesspfleger bestellt werden soll?
[…]
11 
Zukünftige weitere Vertretungen der Bürgerschaft in ähnlichen Fällen und ggf. durch dritte Kanzleien sind hierdurch nicht ausgeschlossen.
12 
Etwaige Kosten, die der aufgelösten Gemeinde (T.+H.) im Zuge der Rechtsverfolgung entstehen (Prozesskosten), trägt die aufnehmende Gemeinde (E.) gem. Fachbuch […].“
13 
Die Vereinbarung über die Eingliederung der Gemeinde T. mit Gemeindeteil H. in die Gemeinde E. vom 17. Mai 1974 war nicht auf den Mandatsbögen abgedruckt – auch nicht auszugsweise. In ihr ist unter anderem vereinbart worden:
14 
§ 15 – Schulwesen
15 
1) Die Grundschule in T. wird erhalten und bei Bedarf weiter ausgebaut, solange dies rechtlich und tatsächlich möglich ist und von den Erziehungsberechtigten gewünscht wird.
16 
2) Die Grundschule T. wird dem Bedarf entsprechend mit den nötigen Mitteln ausgestattet.
17 
3) Eine neue Vorschule ist möglichst in leerstehenden Schulräumen in T. bzw. H. einzurichten.
[…]
18 
§ 20 – Regelung von Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten
19 
1) Diese Vereinbarung wird im Geiste der Gleichberechtigung und der Vertragstreue getroffen. Fragen und Meinungsverschiedenheiten sind möglichst in diesem Geiste gütlich zu klären.
20 
2) Bei Meinungsverschiedenheiten über diese Vereinbarung soll der Gemeinderat einen Vermittlungsausschuß hören. Ihm gehören der Bürgermeister als Vorsitzender und je ein Mitglied aus den vier Gemeindeteilen an. Diese werden vom Gemeinderat aus seiner Mitte bestellt. Für den Vermittlungsausschuß gilt die Gemeindeordnung sinngemäß. Ist eine gütliche Einigung nicht zu erreichen, soll die Rechtsaufsichtsbehörde vermitteln.
21 
3) Bei Streitigkeiten über diese Vereinbarung wird die bisherige Gemeinde T. bis 31.12.1984 durch drei Bürger vertreten. Sie und ihre Ersatzleute werden vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung vom Gemeinderat von T. bestellt. (§ 9 Abs. 1 Satz 4 GO).
22 
Mit Wirkung zum 1. Januar 1975 trat die Vereinbarung in Kraft.
23 
Nach telefonischer Auskunft der Gemeindeverwaltung E. vom 1. Dezember 2021 an den Antragsteller Ziffer 112 verzeichnete der Ortsteil T. 893 Einwohner und der Ortsteil H. 627 Einwohner.
24 
Die gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 GemO seinerzeit befristet bis zum 31. Dezember 1984 bestellten Vertreter sowie deren Stellvertreter sind mittlerweile verstorben.
25 
Die Antragsteller führen aus, Herr Rechtsanwalt R. böte sich als Prozesspfleger an, da er den Fall mit vorbereitet habe. Sie seien sich aber bewusst, dass das Verwaltungsgericht bei der Bestellung des Prozesspflegers nach eigener Maßgabe vorgehen könne und akzeptierten jeden vom Gericht bestellten, neutralen und fachlich geeigneten Prozesspfleger zur angestrebten Durchsetzung der Rechte der untergegangenen Gemeinde. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von 1.520 Personen (893 + 627) sei das Quorum von 10% bei 152 Einwohnern erfüllt.
26 
Die Antragsteller beantragen,
27 
einen Prozesspfleger zur Vertretung in einer angestrebten Klage gegen die aufnehmende Gemeinde („Ex-E.f“) auf Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Eingemeindungsvertrag von 1974, daraus insbesondere die Verpflichtung zum Erhalt und Ausbau der Grundschule am Standort T. zu bestellen.
28 
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt. Auch eine durch Eingliederung untergegangene Gemeinde bleibe prozessual beteiligungsfähig. Unklar sei jedoch, wer in einem Prozess für die untergegangene Gemeinde Verfahrenshandlungen vornehmen dürfe, wer also die Gemeinde im Prozess vertrete. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es, dass die ehemals selbstständige Gemeinde eine Prozessvertreterin beziehungsweise einen Prozessvertreter haben können müsse. Die Klärung der Prozessvertretung obliege jetzt der Kammer. Hinsichtlich § 20 der Eingliederungsvereinbarung gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass es sich vorliegend nicht beziehungsweise jedenfalls nicht mehr um eine Meinungsverschiedenheit in dem Sinne von § 20 Abs. 2 der Eingliederungsvereinbarung handele. Vielmehr handele es sich um eine Streitigkeit über die Vereinbarung nach deren § 20 Abs. 3.
29 
II. Die Entscheidung ergeht durch die Kammer (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 13 ME 170/18 –, BeckRS 2018, 9582 Rn. 1).
30 
Der Antrag hat keinen Erfolg.
31 
1. Rechtsgrundlage für den Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers ist § 62 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit § 57 ZPO.
32 
Nach § 57 Abs. 1 ZPO hat der Vorsitzende des Prozessgerichts einer nicht prozessfähigen Partei, die ohne gesetzlichen Vertreter ist und die verklagt werden soll, auf Antrag bis zu dem Eintritt des gesetzlichen Vertreters einen besonderen Vertreter zu bestellen, falls mit dem Verzug Gefahr verbunden ist. Diese Norm ist gemäß § 62 Abs. 4 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden.
33 
a) Eine direkte Anwendung des § 57 Abs. 1 VwGO scheidet bereits aus, weil der Prozesspfleger für eine angestrebte Klage der ehemaligen Gemeinde T. bestellt werden soll, diese also nicht Beklagte, sondern Klägerin wäre.
34 
b) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist über den Wortlaut des § 57 ZPO hinaus die Bestellung eines Vertreters auch für den prozessunfähigen Kläger in engen Grenzen in bestimmten Fällen für erforderlich erklärt worden, so auf dem Gebiet der Sozialhilfe, wenn die geltend gemachte Hilfsbedürftigkeit auf demselben Mangel beruht, der auch zur Prozessunfähigkeit führt, oder auf dem Gebiet der Eingriffsverwaltung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09. Dezember 1986 – 2 B 127.86 –, juris).
35 
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Offenbleiben kann, ob für die vorliegende Konstellation, in der es um die Klage einer durch Eingliederung in eine andere Gemeinde untergegangenen Gemeinde geht, welche über keinen handlungsfähigen Vertreter (mehr) verfügt, eine neue Fallgruppe anzuerkennen und § 62 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit § 57 Abs. 1 VwGO analog anzuwenden ist (in diesem Sinne wohl Altmüller, Gebietsänderungsverträge (Verbindlichkeit von Zusagen), DÖV 1977, 34 <40>; ebenso Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform in Baden-Württemberg (2012), S. 182).
36 
Nach der von Schielke vertretenen und von den Antragstellern in Bezug genommenen Auffassung sind die auf dem Gebiet der eingegliederten Gemeinde lebenden Bürger in ihrer Gesamtheit in analoger Anwendung des § 21 Abs. 3 GemO befugt, einen Antrag an das Verwaltungsgericht auf Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 Abs. 1 ZPO analog zu stellen.
37 
Soweit die Antragsteller – ausgehend von dem Vorstehenden – hierzu auf eine analoge Anwendung allein des § 21 Abs. 3 GemO abheben, können sie damit wohl nicht durchdringen (aa)). Jedenfalls aber erfüllen die vorgelegten „Mandatsbögen“ schon nicht die Voraussetzungen an ein zulässiges Bürgerbegehren (bb)).
38 
aa) Die alleinige Anwendung des Quorums des § 21 Abs. 3 S. 6 GemO (so Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform in Baden-Württemberg (2012), S.182 ff.) ist wohl nicht mit den gemeinderechtlichen Grundsätzen vereinbar.
39 
Nach § 21 Abs. 3 S. 6 GemO muss das Bürgerbegehren von mindestens 7 vom Hundert der Bürger unterzeichnet sein, höchstens jedoch von 20.000 Bürgern. Es überzeugt aber nicht, dass lediglich 7% der Bürgerschaft die verbindliche Entscheidung über die Stellung eines Antrags auf Bestellung eines Prozesspflegers für eine angestrebte Klage treffen können sollen. Erst recht gilt dies in dem vorliegenden Fall, da ausweislich der „Mandatsbögen“ dem Prozesspfleger quasi eine „Blanko-Prozesspflegerschaft“ für eine unbestimmte Anzahl von Klageverfahren jeglichen Inhaltes erteilt werden soll.
40 
Vielmehr sollten – wenn die Regelung des § 21 GemO überhaupt für (analog) anwendbar erachtet wird – die Regelungen über das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid zur Artikulation des Willens des gesamten Bevölkerungsteils der untergegangenen Gemeinde vollständig herangezogen werden (so Altmüller, Gebietsänderungsverträge (Verbindlichkeit von Zusagen), DÖV 1977, S. 34 <40>). Unter entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen könnte die Abstimmung über die Klageerhebung auf Einhaltung sich aus der Eingliederungsvereinbarung ergebender Verpflichtungen und die Beantragung eines Prozesspflegers herbeigeführt werden (so Altmüller, Gebietsänderungsverträge (Verbindlichkeit von Zusagen), DÖV 1977, S. 34 <40>). Insoweit geht das Argument fehl, einer Anwendbarkeit der Regelungen über den Bürgerentscheid stehe entgegen, dass ein Gemeinderat – der untergegangenen Gemeinde – nicht mehr existiere (so Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform in Baden-Württemberg (2012), S.182). Es spricht aus Sicht der Kammer nichts dagegen, dass der gegenwärtige Gemeinderat der Gemeinde Epfendorf gemäß § 21 Abs. 4 GemO analog über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet, zumal auch § 20 Abs. 2 der Eingliederungsvereinbarung bei der Regelung von Meinungsverschiedenheiten dem (neuen) Gemeinderat Aufgaben zuweist.
41 
bb) Jedenfalls aber genügen die „Mandatsbögen“ den Anforderungen des § 21 Abs. 3 GemO nicht.
42 
(1) Ihnen fehlt es bereits an einer hinreichend bestimmten Fragestellung.
43 
Nach § 21 Abs. 3 S. 4 GemO muss das Bürgerbegehren unter anderem die zur Entscheidung zu bringende Frage enthalten. Aus der Zusammenschau mit § 21 Abs. 7 S. 2 GemO ergibt sich, dass sich die Frage mit „ja“ oder „nein“ beantworten lassen muss. Hieraus ergibt sich zudem, dass die Frage eindeutig formuliert, also hinreichend bestimmt sein muss. Die hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung eines Bürgerbegehrens ist von grundlegender Bedeutung. Damit ist zwar nicht verlangt, dass es zur Umsetzung eines späteren Bürgerentscheids keiner weiteren Maßnahme beziehungsweise nur noch des Vollzugs durch den Bürgermeister bedarf. Mit einem Bürgerentscheid können vielmehr auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die erst noch durch Detailregelungen des Gemeinderates ausgefüllt werden müssen (hierzu Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 CE 21.2576 –, juris Rn. 27). Die Bürger müssen aber schon aus der Fragestellung erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben und wie weit die Bindungswirkung des Bürgerentscheids nach dessen Entscheidungsinhalt reicht (Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 CE 21.2576 –, juris Rn. 27 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihre Mitwirkung sich nicht auf eine mehr oder weniger unverbindliche Meinungsäußerung oder die Kundgabe der Unterstützung bestimmter Anliegen beschränkt, sondern eine konkrete Sachentscheidung betrifft, der nach § 21 Abs. 8 S. 1 GemO die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses zukommt und die in den folgenden drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden kann (§ 21 Abs. 8 S. 2 GemO). Deshalb muss es ausgeschlossen sein, dass ein Bürgerbegehren nur wegen seiner inhaltlichen Vieldeutigkeit und nicht wegen der eigentlich verfolgten Zielsetzung die erforderliche Unterstützung gefunden hat. Die Fragestellung muss daher in sich widerspruchsfrei, in allen Teilen inhaltlich nachvollziehbar und aus sich heraus verständlich sein (vgl. zum Ganzen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Mai 2014 – 15 B 499/14 –, juris m.w.N.; VG Sigmaringen, Beschluss vom 8. Mai 2018 – 9 K 2491/18 –, juris Rn. 41; VG Sigmaringen, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 2 K 178/17 –, juris, in diesem Sinne bestätigend die nachgehende Entscheidung des VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Juni 2018 – 1 S 1132/18 –, juris Rn. 14). Für die Bestimmung des Gegenstands eines Bürgerbegehrens ist nicht der Wortlaut der Fragestellung maßgeblich. Der Gegenstand eines Bürgerbegehrens ergibt sich vielmehr aus seiner Zielrichtung. Bei der Ermittlung dieser Zielrichtung kommt es in erster Linie darauf an, wie die Unterzeichner den Text verstehen müssen, da sichergestellt sein muss, dass die Bürger bei der Leistung der Unterschrift wissen, was Gegenstand des Bürgerbegehrens ist. Daneben ist auch das Verständnis der Gemeindevertretung als Adressatin des Begehrens auf Durchführung eines Bürgerentscheids für die Auslegung relevant. Es bedarf insoweit einer Kongruenz der Auslegung aus dem Empfängerhorizont sowohl der unterzeichnenden Bürger als auch der Gemeindevertretung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Dezember 2016 – 1 S 1883/16 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. November 1983 – 1 S 1204/83 – NVwZ 1985, 288; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 20. März 2009 – 1 S 419/09 – NVwZ-RR 2009, 574).
44 
Die hier in Rede stehende Frage wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie ist aus Sicht des objektiven, mit dem Inhalt des Bürgerbegehrens nicht weiter vertrauten billig und gerecht denkenden Adressaten mehrdeutig und irreführend. Es bleibt völlig unklar, welchen Inhalt und Umfang die gestellte Frage hat und welche Rechtsfolgen daraus resultieren.
45 
Dies folgt zunächst aus der Bezeichnung als „Mandatsbogen“. Den Begriff könnte man so verstehen, dass mit dem Bogen bereits eine Person als Vertreter legitimiert werden, mithin eine Mandatierung erfolgen soll. Gleichzeitig mutet der Bogen im Übrigen eher wie ein Bürgerbegehren an, da über eine Fragestellung abgestimmt und hierzu die entsprechende Unterschrift geleistet werden soll. Mit der Bejahung der gestellten Frage spricht sich der Unterzeichner dafür aus, dass Anwaltskanzlei W. aus V., in Person Herr Rechtsanwalt R., als Prozesspfleger bestellt werden soll. Wie es aber zu dieser Bestellung kommt, insbesondere ob es hierfür noch der Entscheidung eines Gerichts bedarf, bleibt offen. Infolgedessen ist für die Unterzeichner ebenso wie für die potenziellen Adressaten des Begehrens völlig unklar, welche Rechtsfolgen an die geleistete Unterschrift geknüpft sind und wie weitreichend sich diese auswirken.
46 
Darüber hinaus ist wird in den „Mandatsbögen“ gefragt, ob sich der Unterzeichner dafür ausspricht, dass Rechtsanwalt R. die „Bürgerschaft T./H.“ (Hervorhebung durch das Gericht) in der Klage gegen die Ex-Gemeinde E. vertreten und hierfür als Prozesspfleger bestellt werden soll. Richtigerweise müsste es die untergegangene Gemeinde T./H. heißen. Hierdurch wird gänzlich in Frage gestellt, wessen Rechte (im Anschluss an ein erfolgreiches Bürgerbegehren) überhaupt geltend gemacht werden sollen. Die Bürgerschaft T./H. kann ihrerseits keine Rechte aus der Eingliederungsvereinbarung des Jahres 1974 herleiten, so dass sämtliche Stimmen ins Leere gingen. Für den juristisch unkundigen Einwohner ist aber nicht ohne weiteres klar, dass mit dieser Formulierung – eindeutig – die untergegangene Gemeinde T./H. gemeint sein sollte. Daher ist auch nicht von einer Unbeachtlichkeit in dem Sinne einer falsa demonstratio non nocet auszugehen.
47 
Auch die Formulierung „in der Klage“ ist unklar. Sie erweckt den Anschein, dass bereits eine Klage anhängig ist und hierzu lediglich noch ein Vertreter bestimmt werden soll. Damit werden die Rechtsfolgen einer Unterschrift auf dem „Mandatsbogen“ gerade nicht hinreichend deutlich.
48 
Ebenso unklar ist, gegen wen sich die – bereits erhobene oder noch zu erhebende – Klage richtet beziehungsweise richten soll. Es wird hier die „Ex-Gemeinde E. (wie bestehend 1974)“ benannt. Richtigerweise richtete sich eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhobene Klage aber nicht gegen die Gemeinde E. in der Gestalt von 1974, sondern vielmehr in ihrem derzeitigen Bestand – inklusive der eingegliederten Gemeinde T. mit Gemeindeteil H.. Denn die Gemeinde E. in ihrer damaligen Gestalt existiert schlechterdings nicht mehr. Diese Unterscheidung wirkt sich auch auf die Kostentragungslast im Rahmen eines möglichen (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahrens aus und ist daher für die Unterzeichner von nicht unerheblicher Bedeutung. Indem den Einwohnern dieser Umstand nicht zur Kenntnis gegeben wird, treffen sie ihre Entscheidung auf einer falschen Tatsachengrundlage.
49 
Ferner ist das Abstellen auf die „Einhaltung der Verpflichtungen“ zu vage und damit nicht hinreichend bestimmt. Diese weite Formulierung lässt zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten zu. Denkbar wäre, dass sämtliche seinerzeit vereinbarten Verpflichtungen zum Gegenstand eines möglichen (verwaltungs-)gerichtlichen Klageverfahrens gemacht wurden beziehungsweise werden sollen. Ebenso gut könnten lediglich selektiv einzelne Verpflichtungen von dem Vertreter bestimmt und geltend gemacht werden. Mithin ist der (potenzielle) Klagegenstand gänzlich offen und deshalb unklar.
50 
Diese Unbestimmtheit wird zudem durch die anschließende Verwendung des Wortes „insbesondere“ verstärkt. Hiermit wird explizit die Möglichkeit offengehalten, über die lediglich beispielhaft genannte Thematik des Erhaltes und Ausbaus der Grundschule am Standort T. hinaus auch auf die Einhaltung anderer Verpflichtungen aus dem Eingemeindungsvertrag zu klagen.
51 
Überdies nimmt die Frage Bezug auf „§ 15 des Eingemeindungsvertrages“, der auf dem „Mandatsbogen“ nicht einmal auszugsweise abgedruckt ist. Es bleibt damit unklar, welche Regelung darin getroffen wurde, die nunmehr (gegebenenfalls) klageweise durchgesetzt werden soll.
52 
Mögen noch einzelne der vorstehenden Unklarheiten durch Auslegung überwunden werden können, so kommt dies vorliegend aufgrund der Fülle unbestimmter Formulierungen in den jeweiligen Teilfragen nicht in Betracht. Wegen des Ineinandergreifens mehrerer unklarer Voraussetzungen fehlt es an der erforderlichen Bestimmtheit, so dass das Bürgerbegehren insgesamt unzulässig ist.
53 
(2) Darüber hinaus genügt auch die Begründung des Bürgerbegehrens nicht den an sie zu stellenden Anforderungen.
54 
Gemäß § 21 Abs. 3 S. 4 GemO zählt eine Begründung zum zwingenden Inhalt eines Bürgerbegehrens. An die Begründung sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Sie dient dazu, die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufzuklären. Der Bürger muss wissen, über was er abstimmt. Dabei lassen Raumgründe eine ausführliche Erörterung des Für und Wider regelmäßig nicht zu. Die Begründung muss nicht neutral formuliert sein, sondern darf auch für das Bürgerbegehren werben. Aus diesen Funktionen der Begründung folgt, dass diese zum einen die Tatsachen, soweit sie für die Entscheidung wesentlich sind, zutreffend darstellen muss und dass sie zum anderen Wertungen, Schlussfolgerungen und Erwartungen enthalten darf, die einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich sind. Maßgebend für eine inhaltliche Kontrolle der Begründung ist das Ziel, Verfälschungen des Bürgerwillens vorzubeugen. Ist dies gewährleistet, ist es vorrangig Sache der abstimmungsberechtigten Bürger, sich selbst ein eigenes Urteil darüber zu bilden, ob sie den mit dem vorgelegten Bürgerbegehren vorgetragenen Argumenten folgen wollen oder nicht. Gewisse Überzeichnungen und bloße Unrichtigkeiten in Details sind daher hinzunehmen. Die Grenze einer sachlich noch vertretbaren, politisch unter Umständen tendenziösen Darstellung des Anliegens des Bürgerbegehrens ist jedoch dann überschritten, wenn die Begründung in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig oder irreführend ist. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens zu Grunde liegt (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 S 1047/13 –, juris m.w.N.). Es ist mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend beziehungsweise unvollständig erläutert wird (Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 CE 21.2576 –, juris Rn. 28 m.w.N.).
55 
Die Begründung beschränkt sich auf ein Zitat eines Fachbuches zur analogen Anwendung des § 21 Abs. 3 S. 5 GemO (a.F.; richtig: § 21 Abs. 3 S. 6 GemO n.F.) und den Hinweis, dass eine Person, die in T. oder H. (Gemeinde E.) lebt, ihren Willen auf diesem Bogen schriftlich an Eides statt ausdrücken könne. Sie enthält jedoch keinerlei Angaben darüber, welcher Ausgangssachverhalt dem Bürgerbegehren zugrunde liegt, ob es bereits einen Gemeinderatsbeschluss über die Schließung der Grundschule in T. gibt (gegen den sich eine Klage richten soll) und weshalb und vor allem wie die Grundschule erhalten bleiben soll. Ebenso wenig wird das beabsichtigte prozessuale Vorgehen dargelegt oder überhaupt kommuniziert, dass – jedenfalls nach Auffassung der Initiatoren – gegen den Eingemeindungsvertrag verstoßen werde und deshalb um (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht werden soll und gegebenenfalls mit welchem Inhalt und mit welcher Zielrichtung. Aus der Begründung geht allenfalls hervor, dass das Bürgerbegehren wohl maßgeblich auf die Bestellung eines Prozesspflegers, namentlich Herrn Rechtsanwalt R., gerichtet ist.
56 
Darüber hinaus spricht viel dafür, dass transparent hätte dargelegt werden müssen, dass die analoge Anwendung des § 21 Abs. 3 S. 6 GemO keinesfalls zwingend, sondern vielmehr in Judikatur und Literatur bislang völlig ungeklärt ist. Damit wurde den Unterzeichnern ein unvollständiger Sachverhalt dargelegt. Infolgedessen wurden sie über die Bedeutung und Wirkung ihrer Unterschrift gleichermaßen im Unklaren gelassen wie über die möglichen Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens an sich.
57 
Auch hätte jedenfalls in der Begründung erläutert werden müssen, dass es für die Bestellung eines Prozesspflegers einer gerichtlichen Entscheidung und eines vorherigen hierauf gerichteten Antrages bei dem Gericht bedarf. Ein solcher Hinweis unterblieb ebenfalls.
58 
Unzutreffend ist auch die Äußerung, es müssten 10% der auf dem Gebiet einer ehemaligen Gemeinde lebenden Bürger unterzeichnen. Tatsächlich setzt § 21 Abs. 3 S. 6 GemO in seiner derzeit gültigen Fassung vom 28. Oktober 2015 lediglich ein Quorum von 7% voraus. Auch hiermit wurde bei den Unterzeichnern ein Irrtum über das Gewicht ihrer Stimme und die daraus resultierenden Rechtsfolgen hervorgerufen.
59 
Ferner spricht die Formulierung – „Zukünftige weitere Vertretungen der Bürgerschaft in ähnlichen Fällen und ggf. durch dritte Kanzleien sind hierdurch nicht ausgeschlossen“ – unterhalb des Unterschriftenfeldes dafür, dass die Unterzeichner dem Grunde nach eine „Blanko-Vertretungsmacht“ erteilen.
60 
Zum einen wird hier (erneut) fälschlicherweise auf eine Vertretung der Bürgerschaft und nicht auf die richtigerweise allein anzustrebende Vertretung der untergegangenen Gemeinde abgestellt. Zum anderen bleibt damit für die Unterzeichner völlig unklar, wie weitreichend sich die Folgen ihrer Stimme auswirken.
61 
(3) Schließlich dürfte sich die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens auch daraus ergeben, dass keine Kostenschätzung vorgenommen und in den „Mandatsbögen“ dargelegt worden ist.
62 
Nach § 21 Abs. 3 S. 4 GemO muss das Bürgerbegehren einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Der Kostendeckungsvorschlag eines Bürgerbegehrens dient dem Zweck, den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen, damit sie in ihrer Entscheidung auch die Verantwortung für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Gemeindevermögen übernehmen können. Es sind deshalb nicht nur die unmittelbaren Kosten der vorgeschlagenen Maßnahme, sondern auch zwangsläufige Folgekosten, der Verzicht auf Einnahmen und die Kosten einer erzwungenen Alternativmaßnahme zu berücksichtigen (vgl. zum insoweit mit § 21 Abs. 3 S. 4 GemO BW wortgleichen § 8b Abs. 3 S. 2 GemO HE Hessischer VGH, Beschluss vom 18. März 2009 – 8 B 528/09 –, juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen; VG Darmstadt, Urteil vom 24. Januar 2018 – 3 L 5117/17.DA –, juris). Die Anforderungen an den Kostendeckungsvorschlag dürfen nicht überspannt werden, so dass überschlägige und geschätzte, aber schlüssige Angaben genügen, weil die Initiatoren eines Bürgerbegehrens regelmäßig nicht über das Fachwissen der Behörde verfügen (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 18. März 2009 – 8 B 528/09 –, juris; VG Darmstadt, Urteil vom 24. Januar 2018 – 3 L 5117/17.DA –, juris). Ein Kostendeckungsvorschlag ist allenfalls dann entbehrlich, wenn keine Kosten anfallen, mit der Realisierung des Bürgerbegehrens sogar Einsparungen verbunden sind oder eine Kostenentwicklung nicht voraussehbar ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. April 2015 – 1 S 1949/13 –, juris).
63 
Danach dürfte für das vorliegende Bürgerbegehren die Vorlage eines Vorschlags für die Deckung der Kosten erforderlich gewesen sein.
64 
Eine ohne Weiteres mögliche Kostenschätzung mit konkret nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und dem Gerichtskostengesetz (GKG) bezifferten Kosten, die in Folge eines (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahrens – oder gar einer Vielzahl (verwaltungs-)gerichtlicher Verfahren – entstehen können, ist auf dem „Mandatsbogen“ nicht enthalten. Ferner sind keine Angaben zu den prognostizierten Kosten im Falle eines Erhaltes und Weiterbetriebes der Grundschule in T., der (in erster Linie) mit der angestrebten Klage durchgesetzt werden soll, getätigt worden.
65 
2. Darüber hinaus fehlt es an einem (konkreten) Bezug zu einem (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahren, wenn auch dies nicht zwingend bereits anhängig sein muss (vgl. zu den Voraussetzungen der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 1 ZPO Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 57 Rn. 2 ff.). Eine konkrete Fragestellung dahingehend, ob und bejahendenfalls welchen Inhalts eine Klage erhoben werden soll, war nicht Gegenstand der vorgelegten „Mandatsbögen“ (siehe hierzu bereits ausführlich oben II. 1. b) bb)).
66 
Ohne diesen konkreten Bezug fehlte es einem gleichwohl bestellten Prozesspfleger indes nicht nur an der demokratischen Legitimation (vgl. zur Problematik der demokratischen Legitimation bei der Vertretung einer untergegangenen Gemeinde bereits Seeburger, Typische Rechtsprobleme im Zusammenhang mit Eingemeindungsverträgen; insbesondere bei der Gebietsreform Baden-Württemberg (Diss.), S. 123). Er müsste zudem sowohl „nach innen“ für die untergegangene Gemeinde handeln, als auch „nach außen“ prozessual die Vertretung in dem etwaigen (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahren ausüben. Diese Doppelrolle ist mit der rechtlichen Stellung eines Prozesspflegers nicht vereinbar. Denn seine Funktion ist originär darauf zugeschnitten, eine Partei lediglich temporär und in einem vorab klar umrissenen Zuständigkeitsbereich als sogenannter „Notvertreter“ prozessual zu vertreten. Eine außergerichtliche Vertretung oder Beratung ist in diesen Fällen gerade nicht vorgesehen. In der Folge würden sich wohl auch ungeklärte haftungsrechtliche Fragen stellen.
67 
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Die Antragsteller sind im Hinblick auf ihre in Anlehnung an § 21 Abs. 9 GemO in Verbindung mit § 41 Abs. 2 S. 1 KomWG bestehende individuelle Rechtsposition nach Kopfteilen zur Tragung der Kosten verpflichtet.
68 
Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, da mangels Gebührentatbestandes in Teil 5 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz keine Gerichtsgebühren erhoben werden können.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen