Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 5a K 2064/15.A
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens mit Ausnahme der aufgrund der Verweisung des Rechtsstreites angefallenen Kosten, die die Beklagte trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am °°°°° geborene Kläger ist albanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 20. Januar 2014 über Italien mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein.
3Es stellte durch seinen Vormund am 16. Mai 2014 einen Asylantrag, den er bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Mai 2014 wie folgt begründete: Sein Vater sei im Jahr 2001 mit einer Feuerwaffe getötet worden, als er mit seinem Vetter auf dem Nachhauseweg gewesen sei. Der Täter – W. E. – sei zu einer Strafe von 25 Jahren verurteilt worden, habe davon jedoch nur sechs Monate abgesessen. Im Jahre 2003 oder 2004 habe sich seine Tante gerächt. Sie habe ein Kind aus der gegnerischen Familie dadurch umgebracht, dass es ihm die Kehle durchgeschnitten habe. Hierdurch seien sie in einen Blutrachekonflikt mit der Familie U. geraten. Nun habe er Angst. Ihm persönlich sei nichts passiert, allerdings werde die verfeindete Familie versuchen, das Leben zu rächen. Daher sei er auch von C. nach U1. umgezogen. Sein Bruder sei dort öfter von einem Auto verfolgt worden. Im Jahre 2012 habe man sich um die Schlichtung des Blutrachekonfliktes bemüht. Vom Kanun verstehe er nicht viel, er wisse nur, dass die Familie sich an der eigenen Familie rächen könne.
4Mit Bescheid vom 14. März 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorlägen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichtbeachtung der Ausreisefrist drohte ihm das Bundesamt die Abschiebung nach Albanien oder einen anderen zur Einreise bereiten Staat an.
5Der Kläger hat am 4. Mai 2015 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Er könne alle Dokumente vorlegen, die bewiesen, dass seine Familie in den Ehrenmord verstrickt und er damit auch persönlich gefährdet sei. Die Glaubhaftigkeit seiner Angaben als wahr unterstellt, sei Asylrelevanz gegeben. Nach einem Gutachten des Bundesamts existiere jedenfalls keine Schutzfähigkeit des albanischen Staates vor Blutrachekonflikten, da in bestimmten Regionen Albaniens dem staatlichen Recht die Akzeptanz in der traditionellen, vorkonstitutionellen Regeln verhafteten Bevölkerung fehle. Er sei psychisch sehr angespannt, nervös, unruhig, ängstlich, gedrückt, schlafe schlecht, sei unsicher, unkonzentriert, antriebslos und immer misstrauisch anderen Personen gegenüber. All das seien Zeichen einer Traumatisierung in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ausweislich des Befundberichts der psychotherapeutischen Praxis für Kinder, Jugendliche und Eltern der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin T. -Q. befinde er sich deswegen seit dem 19. Oktober 2015 in Behandlung.
6In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage, soweit sie auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG gerichtet war, zurückgenommen.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24. März 2015 zu verpflichten, in der Person des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Sie beruft sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
12Wegen der weiteren an seine Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe
14Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 10. August 2015 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen wurde. Dieser konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, nachdem diese bei der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
15Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Satz 2 VwGO einzustellen.
16Im Übrigen ist die zulässige – der Kläger war im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung volljährig und damit gemäß § 12 Abs. 1 AsylG handlungsfähig – Verpflichtungsklage unbegründet.
17Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Insoweit muss es sich um Gefahren handeln, die den einzelnen Ausländer in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen. Erfasst werden auch dabei nur zielstaatsbezogene Gefahren. Auf der Grundlage der Erkenntnisquellen, die zur Verfügung stehen, und vor dem Hintergrund seiner Schilderungen ist davon auszugehen, dass dem Kläger in Albanien weder unter dem Gesichtspunkt eines Blutrachekonfliktes (I.) noch seines Gesundheitszustandes (II.) eine derartige Gefahr droht.
18I.
19Aufgrund der beigebrachten gerichtlichen Entscheidungen und der Zeitungsauszüge aus Albanien ist nachvollziehbar dargelegt, dass der Vater des Klägers im Jahre 2001 mit einer Schusswaffe getötet wurde und die Tante des Klägers im Jahre 2004 ein Kind umgebracht hat.
20Jedoch konnte die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche Überzeugung davon, dass der Kläger infolge der Tat der Tante von Blutrache durch verfeindete Familien bedroht war und ist, nicht gewonnen werden. Diese – fehlende – Überzeugung beruht auf folgenden Umständen: Zunächst hat der Kläger keinen Umstand benannt, der die behauptete Gefahr für sein Leben in irgendeiner Weise konkretisiert. Er verneinte die Frage, ob ihm nach dem behaupteten Beginn der Blutrachefehde im Jahr 2004 irgendetwas zugestoßen war. Den Vortrag gegenüber dem Bundesamt, er sei als 17-jähriger auf der Straße angesprochen worden, vertiefte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht. Dass der Kläger im Zeitraum zwischen dem Jahr 2004 und seiner Ausreise im Jahr 2014 in Bezug den Blutrachekonflikt keine Ereignisse – sei es, dass Drohungen ausgesprochen werden, sei es, dass andere Familienmitglieder durch die verfeindete Familie in den Blick genommen wurden – schildern kann, machte die behauptete Blutrachefehde unglaubhaft.
21Überdies hat der Kläger nicht glaubhaft vorgetragen, sich während der gesamten Zeit – für Blutrache typisch – fortwährend in der eigenen Wohnung aufgehalten zu haben. Insoweit fehlt es schon an einem hinreichend konkreten Vortrag des Klägers. Gegen diese Annahme spricht weiter, dass sein Bruder F. mehrfach von unbekannten Personen in einem dunklen PKW verfolgt worden sein soll. Die Richtigkeit dieser Angabe unterstellt, befand sich jedenfalls sein Bruder demnach jedenfalls ab und zu außerhalb der Wohnung. Dies widerspricht aber den Erkenntnissen zu Blutrachekonflikten, die sich auf alle männlichen Familienmitglieder erstrecken.
22Insgesamt betrachtet bleibt auch dass das Vorbringen des Klägers zum Entstehen der behaupteten Blutrachefehde nach dem Totschlag der Tante – auch auf mehrfache Nachfragen – äußerst dürftig. Dabei wird in Rechnung gestellt, dass der Kläger weder bei der Tötung des Vaters – im Jahre 2001 war der Kläger erst drei Jahre alt – noch der Tötung des Kindes durch die Tante anwesend war. Der Kläger konnte jedoch nicht ansatzweise beschreiben, wie die Blutrachefehde durch die verfeindete Familie begann, und hat die Frage, worin sich der Beginn der Fehde manifestiert habe, nicht beantwortet. Das vorgelegte Schlichtungsformular fügt sich nicht schlüssig in den Blutrachekonflikt ein. Der Antrag der Mutter auf Schlichtung der Blutrachefehde beim Institut „Haus der Gerechtigkeit und Volksschlichtung“ datiert auf den 18. April 2012 (Blatt ° Beiakte Heft °). Es ist unverständlich, dass ein Blutrachekonflikt zwischen 2004 und 2012 schwelen soll, sich jedoch nicht einmal durch Bedrohungssituationen äußert und dann im Jahre 2012 seitens der Familie des Klägers entschieden wird, den Konflikt formal zu schlichten. Das Gericht geht daher von einer Gefälligkeitsbescheinigung aus.
23Vgl. zu Gefälligkeitsbescheinigungen über Blutrachekonflikte: Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 10. Juni 2015 (Stand: Mai 2015), Seite 14.
24Schließlich sprechen die Umstände im Zusammenhang mit der Straftat der Tante gegen einen klassischen Blutrachekonflikt. Zunächst darf die Tante des Klägers als Frau eine klassische Blutrache nicht ausüben. Diese obliegt nur männlichen Mitgliedern der Hausgemeinschaft,
25Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Albanien – Blutrache, April 2014, Seite 11.
26Außerdem wird in der vorgelegten Übersetzung des Artikels „Schwester tötet, um ihren Bruder zu rächen“ aus der Zeitung „L. K. “ vom 25. Mai 2014 dargelegt, dass die Tat der Tante keine Blutrache, sondern eine krankheitsbedingte Ausfallerscheinung gewesen ist. Die Zeitung führt „die Ermordung des Zehnjährigen als Ergebnis der psychischen Belastung der Täterin, die sie seit der Ermordung ihres Bruders und der damit zusammenhängenden Probleme in ihrem Dorf erlebte“ (Blatt ° Beiakte Heft °), auf eine Erkrankung der Tante zurück. Hierfür spricht auch, dass die Tante sich bei der Wahl des Opfers im Irrtum befand, indem sie kein Kind aus der Familie des Mörders ihres Bruders, sondern ein fremdes Kind tötete.
27II.
28Die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt auch unter dem Gesichtspunkt einer Erkrankung des Klägers nicht in Betracht. Erhebliche konkrete Gefahren für Leib oder Leben im Sinne dieser Vorschrift drohen mit Blick auf Erkrankungen, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers in seinem Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, etwa weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Erforderlich ist, dass die drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität ist und die zu erwartende Gesundheitsverschlechterung alsbald nach Rückkehr in die Zielstaat einzutreten.
29Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, und vom 29. Oktober 2002 – 1 C 1.02 –, jeweils juris.
30Dementsprechend kann von einer abschiebungsschutzrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann gesprochen werden, wenn "lediglich" eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist. Eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise des Betroffenen in den Zielstaat drohen.
31Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 30. Oktober 2006 – 13 A 2820/04.A – und vom 30. Dezember 2004 – 13 A 1250/04.A –, jeweils juris.
32Diese Befürchtung kann auch dann begründet sein, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Herkunftsland des Ausländers zwar allgemein zur Verfügung steht, sie dem betroffenen Ausländer im Einzelfall jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Die mögliche Unterstützung durch Angehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, einzubeziehen.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – 1 C 1.02 –, a. a. O.
34Nach diesen Maßgaben besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Albanien eine wesentliche Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands droht.
35Eine psychische Erkrankung des Klägers ist bereits nicht dargelegt. Der Einzelrichter folgt dem Befundbericht der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin T. -Q. der psychotherapeutischen Praxis für Kinder, Jugendliche und Eltern vom 18. Januar 2016, wonach der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach kumulativen Traumata in der Kinder- und Jugendzeit (Typ II Trauma) und einer mittelgradigen depressiven Episode ohne somatisches Syndrom leidet, nicht. Nach den höchstgerichtlichen Anforderungen,
36vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07 –, juris Rn. 15,
37gehört zur Darlegung einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer auf posttraumatischen Belastungsstörung traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.
38Diesen Anforderungen genügt der Befundbericht vom 18. Januar 2016 nicht, weil es an letzterem fehlt. Eine Begründung dafür, dass einerseits „mehrere Traumatisierungen in der Kindheit“ als Auslöser der Erkrankung verantwortlich gemacht werden, sich jedoch diese Symptome der Erkrankung andererseits erst viele Jahre später manifestiert haben, bleibt die Gutachterin schuldig. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Frage seines Prozessbevollmächtigten zu Protokoll gab, im Kinderheim in M. an Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Ängsten gelitten zu haben, vermag das Gericht dies keiner ernsthaften psychischen Erkrankung zuzuordnen. Eine ärztliche Behandlung jedenfalls hat er in Albanien nicht vorgetragen.
39Hinzu kommt, dass ein der diagnostizierten Erkrankung zugrunde liegendes Trauma des Klägers weder aus seinem Vorbringen im Asylverfahren noch aus dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ersichtlich ist. Die Frage eines traumatischen Erlebnisses ist eine der medizinischen Beurteilung vorgelagerte Aufgabe richterlicher Tatsachenermittlung. Ohne Nachweis eines stattgefundenen dramatischen Ereignisses ist die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht möglich. Allein aufgrund von Symptomen kann nicht auf ein Trauma geschlossen werden. Nach F 43.1 der anerkannten Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) wird die posttraumatische Belastungsstörung beschrieben als verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
40In dem Befundbericht vom 18. Januar 2016 werden als Auslöser der Erkrankung nur verdachtsweise „Traumatisierungen in der Kindheit“ benannt. Der Kläger war jedoch bei der Tötung seines Vaters und des zehnjährigen Kindes durch die Hand seiner Tante nicht zugegen, und er schildert auch im Übrigen keine Erlebnisse katastrophalen Ausmaßes – weder gegenüber dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung. Aus dem Befundbericht vom 18. Januar 2016 geht schließlich auch nicht hervor, dass der Kläger gerade aufgrund einer Traumatisierung nicht in der Lage wäre, über eine Traumatisierung zu sprechen, so dass besondere Vorsicht bei der Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Traumas zu obwalten hätte.
41Auch auf die nachträglich beigebrachte ärztliche Bescheinigung des Assistenzarztes F1. von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Gemeinschaftskrankenhauses in I. vom 5. Februar 2016 kann sich der Kläger demnach mangels Traumas nicht berufen. Überdies genügt auch diese Bescheinigung nicht den höchstgerichtlichen Darlegungsanforderungen. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung wurde auf der Grundlage eines einzigen ambulanten Termins am 3. Februar 2016 gestellt, was angesichts der Komplexität des Erkrankungsbildes grundsätzlich nicht möglich ist.
42Da ein eine posttraumatische Belastungsstörung begründendes Trauma des Klägers nach alledem weder vorgetragen noch ersichtlich ist, ist der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung – zu Ziffer 1. und Ziffer 2. – als unsubstantiiert abzulehnen. Außerdem gehört zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrag nach der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines den zitierten Anforderungen genügenden Gutachtens.
43Vgl. BVerwG, a. a. O., juris Rn. 15.
44Diesen Anforderungen entsprechen wie erörtert weder der Befundbericht vom 18. Januar 2016 noch die ärztliche Bescheinigung vom 5. Februar 2016.
45Außerdem ist der Hilfsbeweisantrag mangels Erheblichkeit (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO analog) abzulehnen. Die Erkrankung des Klägers an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer depressiven Episode und ihre Behandlungsbedürftigkeit nach Maßgabe des Befundberichts vom 18. Januar 2016 können als wahr unterstellt werden kann, ohne dass dies zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.
46Denn dass dem Kläger alsbald nach der Rückreise nach Albanien außergewöhnlich schwere psychische Schäden drohen, geht aus dem Befundbericht vom 18. Januar 2016 nicht hervor. Ausgeführt wird darin, dass im Falle der Rückkehr des Klägers eine Chronifizierung der Erkrankung sowie das Entstehen weiterer Komorbitäten drohen. Wie genau sich eine Chronifizierung der Erkrankung äußert und welche Komorbitäten zu erwarten stehen, wird nicht weiter ausgeführt. Dass eine drohende Chronifizierung der Erkrankung des Klägers einen außergewöhnlich schweren psychischen Schaden begründet, ist demnach nicht dargetan. Sie ist auch nicht ersichtlich, wenn in Rechnung gestellt wird, dass die – unterstellte – Erkrankung nach dem Befundbericht vom 18. Januar 2016 u. a. durch den Tod des Vaters im Jahre 2001 ausgelöst worden sein soll, jedoch seitdem offensichtlich trotz fehlender Behandlung über mehrere Jahre keine solche Chronifizierung eingetreten ist. Dass diese nun nach einer Rückkehr nach Albanien in einem Schweregrad einträte, dass ein außergewöhnlich schwerer psychischer Schaden drohte, ist daher fernliegend.
47Denn die Erkrankungen des Klägers in Albanien wären nach der Erkenntnislage behandelbar. Danach,
48vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2015 über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien (Stand: Mai 2015), Seite 13,
49ist die medizinische Versorgung in Albanien für jedermann verfügbar. Die medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos, auch wenn erhebliche private Zuzahlungen zu leisten sind. Dass der Kläger auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen ist, geht aus den ärztlichen Bescheinigungen nicht hervor. Dass das albanische Gesundheitssystem im Gegensatz zum hiesigen mit deutlichen Einschränkungen behaftet ist,
50insbesondere ist die Psychotherapie eine noch junge Disziplin in Albanien; die ersten klinischen Psychologen wurden erst im Jahr 2000 zugelassen. Psychotherapeutische Behandlungen sind heute nur für einen Bruchteil der Bevölkerung zugänglich, vgl. Deutsches Ärzteblatt: Albanien: Böse Blicke, Ausgabe aus September 2014, Seite 406,
51hat der Kläger hinzunehmen. Er muss sich grundsätzlich auf den Behandlungs-, Therapie- und Medikationsstandart im Herkunftsstaat verweisen lassen,
52vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. August 2004 – 13 A 2160/04.A –, juris.
53Von der ambulanten Behandelbarkeit der posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers und der Erreichbarkeit der Behandlung durch den Kläger ist im Einzelfall auszugehen. In U1. gibt es neben der staatlichen Gesundheitsversorgung eine beschränkte Anzahl von Nichtregierungsorganisationen, die Dienstleistungen für psychisch kranke Personen anbieten. Die „Albanian Association for Psychotherapy“ etwa bietet in U1. Psychotherapie an und bemüht sich darum, die Ausbildung von therapeutischen Fachpersonen voran zu treiben. Die von ihnen angebotene Psychotherapie kostet für den Patienten 3000 LEK pro Stunde, rund 25 €. Nebst Selbsthilfegruppen führt die lokale Nichtregierungsorganisation „Alternativa Association“ Aktivitäten im Bereich der Arbeitsrehabilitation und Interessenvertretung von psychisch kranken Albanern durch. Das „Albanian Rehabilitation Centre for Torture and Trauma Victims“ offeriert in U1. Opfern von Folter, Menschenhandel und anderen traumatsichen Gewalterlebnissen Psychotherapie, psychosoziale und Rechtsberatung,
54vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache – Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 13. Februar 2013, Seite 7.
55Für den Behandlungserfolg spricht weiter, dass der Kläger in Albanien über familiäre Unterstützung insbesondere durch seine Mutter verfügt.
56Auf die als „erschreckend“ bezeichnete Situation in den psychiatrischen Kliniken kommt es, da nach dem ärztlichen Befundbericht vom 18. Januar 2016 keine stationäre Therapie erforderlich ist, nicht an. Der nachträglich eingereichten ärztlichen Bescheinigung vom 5. Februar 2016, die sich für eine stationäre Therapie des Klägers ausspricht, ist – wie dargelegt – aufgrund fehlender Substantiiertheit und mangels dargelegten Traumas nicht zu folgen.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 155 Abs. 4 VwGO, Wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Klageerhebung bei einem örtlich unzuständigen Gericht verschuldet und trägt insoweit die Kosten. Im Umfang der Klagerücknahme trägt der Kläger die Verfahrenskosten gemäß § 155 Abs. 2 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Referenzen
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- VwGO § 6 1x
- VwGO § 92 1x
- § 77 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 108 1x
- § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- StPO § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 155 2x
- VwGO § 167 1x
- 13 A 2820/04 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 1250/04 1x (nicht zugeordnet)
- 10 C 8/07 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 2160/04 1x (nicht zugeordnet)