Beschluss vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 B 844/14

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Antragstellern als Gesamtschuldnern auferlegt.

3. Der Streitwert beträgt 986,91 EUR.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Antragsteller sind Eigentümer des Wohngrundstücks Flurstück G1 in einer Größe von 487 m². Sie haben das Grundstück auf Grundlage eines notariellen Kaufvertrages vom 18. April 1991 von der Stadt A-Stadt erworben.

3

Nach § 1 des Kaufvertrages ist das Grundstück erschlossen zu liefern. Nach § 2 des Vertrages hat die Auszahlung des Kaufpreises von 40,00 DM/m² wie folgt zu erfolgen:

4

1. DM 3,50 pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Gemeinde A-Stadt (…).

2. DM 36,50 DM pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Firma S.-GMBH Baubetreuungsgesellschaft mbH (…)

5

In § 4 Abs. 3 des Vertrages heißt es weiter:

6

Für den vorhandenen Ausbau von Straße und Siel trägt der Erwerber unbeschadet der gesetzlichen Haftung keine Kosten. Der Veräußerer hat den Erwerber insoweit freizuhalten. Kosten für Straßen- und Sielbauarbeiten, die nach dem Übergabetag ausgeführt werden, treffen den Erwerber. Der Veräußerer versichert, dass ihm zur Zeit drohende Straßen- und Sielbaumaßnahmen nicht bekannt sind. (…).

7

In der Folgezeit entrichteten die Antragsteller den vereinbarten Kaufpreis an die Stadt A-Stadt und die Firma S.GMBH (künftig: Firma S.-GMBH). Der am 7. Juni 1991 von der Stadt A-Stadt mit der Firma S.-GMBH geschlossene Erschließungsvertrag wurde in der Folgezeit von der Stadt A-Stadt gekündigt. Die Erschließung des Baugebiets erfolgte auf Grundlage des mit der Arbeitsgemeinschaft zur Erschließung der Gewerbegebiete der Stadt A-Stadt GmbH (künftig: Arbeitsgemeinschaft) geschlossenen Erschließungsvertrages vom 3. April 1992.

8

In Ziffer 4.2 Abs. 3 dieses Erschließungsvertrages heißt es:

9

Von der Arbeitsgemeinschaft bzw. den Erwerbern der von ihr erschlossenen und bebaut oder unbebaut verkauften Bauparzellen erhebt die Stadt keine Erschließungskosten und keine Anschlussgebühren.

10

Das Grundstück ist an die zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlage angeschlossen.

11

Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 zog der Antragsgegner die Antragsteller zu einem Anschlussbeitrag für das Grundstück Flurstück 48/44 i.H.v. 3.947,62 EUR heran. Der Betrag ergibt sich aus der Summe der Teilbeiträge Schmutz- und Niederschlagswasser i.H.v. 2.605,45 EUR und 1.342,17 EUR. Unter dem 17. Juli 2014 legten die Antragsteller Widerspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Unter dem 25. Juli 2014 lehnte der Antragsteller den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2014 wies der Antragsgegner den Rechtsbehelf zurück.

12

Am 24. September 2014 haben die Antragsteller z. Az. 3 A 843/14 Anfechtungsklage erhoben und um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Zugleich haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie sind der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Freihaltevereinbarung in § 4 des Grundstückskaufvertrages stehe der Beitragserhebung entgegen.

13

Die Antragsteller beantragen,

14

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 25. Juni 2014 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 anzuordnen.

15

Der Antragsgegner verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

16

den Antrag abzulehnen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Antragsgegner entstandenen Verwaltungsvorgänge sowie die beigezogenen Akten des Verfahrens 3 A 843/14 vorgelegen.

II.

18

Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) an, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Letzteres wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht.

19

1. In der Vollziehung des Beitragsbescheides liegt trotz der nicht unerheblichen Höhe der Festsetzung keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Eine unbillige Härte i.S.d. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO liegt nur vor, wenn durch die sofortige Vollziehung oder Zahlung dem Abgabepflichtigen wirtschaftliche Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer – etwa durch eine spätere Rückzahlung – wieder gutzumachen sind, insbesondere wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet wäre (VGH München, Beschl. v. 25.01.1988 – Nr. 6 CS 97.03857 –, BayVBl. 1988, 727; OVG Bremen, Beschl. v. 12.03.1985 – 1 B 6/85 –, DVBl. 1985, 1182; OVG Münster, Beschl. v. 17.03.1994 – 15 B 3022/93 –, NVwZ-RR 1994, 617; Beschl. v. 22.02.1989 – 16 B 3000/88 –, NVwZ-RR 1989, 588). Die Vorschrift setzt mithin das Vorliegen eines persönlichen Billigkeitsgrundes in der Person des Abgabepflichtigen voraus, wobei Gegenstand der Beurteilung gerade die Vollziehung des Abgabenbescheides bzw. die sofortige Zahlung durch den Abgabepflichtigen darstellt. Die Kammer hält es für sachgerecht, zur näheren Inhaltsbestimmung des Begriffes "unbillige Härte" im Rahmen der Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO darauf abzustellen, ob die sofortige Vollziehung bzw. Zahlung der geforderten Abgabe eine wesentliche Ursache für eine Existenzgefährdung darstellen würde, d.h. die Existenzgefährdung gerade durch den Sofortvollzug des Abgabenbescheides verursacht oder entscheidend mitverursacht würde (so auch VG Gera, Beschl. v. 13.01.1999 - 5 E 530/98 GE, ThürVBl. 1999, 93 <94>).

20

Hierfür bestehen aber keine Anhaltspunkte. Zwar haben die Antragsteller um die Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht und sich dabei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird jedoch nicht damit begründet, dass die sofortige Vollziehung eine unbillige Härte darstelle. Insbesondere haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht vorgetragen, den festgesetzten Betrag nicht oder nicht vollständig zahlen zu können. Aufgrund der von den Antragstellern vorgelegten Unterlagen kann auch nicht gleichsam von Amts wegen auf eine unbillige Härte geschlossen werden. Denn es ist z.B. nicht auszuschließen, dass die benötigten Mittel durch ein Darlehen beschafft werden können.

21

2. Entgegen der Auffassung der Antragsteller bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides. Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013.

22

a. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen im Prüfungsumfang des Eilverfahrens nicht. Ausweislich der dem Satzungsbeschluss zu Grunde liegenden Beschlussvorlage (BA-Abw/B/921/2013) erfolgte der Neuerlass der Abwasserbeitragssatzung zur Beseitigung der vom Verwaltungsgericht Greifswald in dem Urteil vom 29. November 2012 – 3 A 678/11 – festgestellten Fehler. Die Regelung der (schlichten) Tiefenbegrenzung in § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS ist nicht zu beanstanden. Anders als die Festlegung der Tiefenbegrenzung in der dem Urteil vom 29. November 2012 zu Grunde liegenden Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 beruht die Festlegung der nunmehr normierten Tiefenbegrenzung auf einer Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe anhand mehrerer repräsentativer Straßen in der Ortslage (vgl. hierzu OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris). Von weiteren Darlegungen wird mit Blick auf den summarischen Charakter des Eilverfahrens abgesehen, zumal die Antragsteller diesbezügliche Einwände nicht geltend gemacht haben.

23

Auch die Maßstabsregelung für die Ermittlung des Niederschlagswasserbeitrags und dabei insbesondere die nunmehr in § 4 Abs. 6 Buchst. c Satz 2 ABS normierte Auffangregelung für Grundstücke, die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen und bei denen die Baunutzungsverordnung (BauNVO) auch nicht über § 34 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) Anwendung findet, ist unter Vorteilsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Da die Antragsteller auch insoweit keine Einwände geltend machen, kann von weiteren Darlegungen ebenfalls abgesehen werden.

24

Fehlerhaft ist allerdings die Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS, wonach Grundstücke der Beitragspflicht unterliegen, die über eine Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung, die zentrale Niederschlagswasserbeseitigung (verfügen) oder an beide genannten Einrichtungen angeschlossen werden können und wenn sie bebaut sind oder wenn sie gewerblich genutzt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift sprachlich fehlerhaft formuliert ist. Das im Klammerzusatz ergänzte Wort „verfügen“ fehlt in der Bestimmung. Es ergibt sich aber aus dem Sinn der Regelung, so dass von einem unschädlichen Redaktionsversehen auszugehen ist.

25

Ungenau ist auch die Verknüpfung der unterschiedlichen Varianten der Vorschrift. Ihre ersten beiden Varianten (vorhandene Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasser, vorhandene Anschlussleitung an die öffentliche Einrichtung der Niederschlagswasserbeseitigung) sind lediglich mit einem Komma getrennt, eine Konjunktion fehlt. Damit ist davon auszugehen, dass ein Grundstück bereits dann der Beitragspflicht unterliegt, wenn es über einen tatsächlichen Anschluss an eine der beiden genannten Einrichtung verfügt. Dies ist mit Blick auf den Umstand, dass die Stadt A-Stadt gemäß § 1 Abs. 2 der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Abwasseranlagen der Stadt A-Stadt (Abwassersatzung – AwS) vom 20. Juni 2013 i.d.F. der ersten Änderung vom 24. Oktober 2013 jeweils selbstständige öffentliche Einrichtungen zur zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung betreibt, auch nicht zu beanstanden. Die dritte Variante der Vorschrift („… oder an beide genannten Einrichtungen angeschlossen werden können …“) lässt demgegenüber den Eindruck entstehen, dass bei Grundstücken, die bereits beim Bestehen einer Anschlussmöglichkeit der Beitragspflicht unterliegen, eine Anschlussmöglichkeit an beide Einrichtungen gegeben sein muss. Dies wäre mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz – GG) nicht zu vereinbaren, denn es ist kein Grund erkennbar, der es rechtfertigt, bei tatsächlich angeschlossenen Grundstücken jeweils gesondert Anschlussbeiträge für die Einrichtungen zur Schmutz- und Niederschlagswasser zu erheben, bei Grundstücken, die bereits wegen des Bestehens einer Anschlussmöglichkeit der Beitragspflicht unterliegen, dagegen das Vorhandensein der Anschlussmöglichkeit an beide Einrichtungen zu fordern. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass es sich auch insofern um ein unschädliches Redaktionsversehen handelt. Denn der Regelung über die Entstehung der Beitragspflicht in § 3 Abs. 1 ABS kann wegen der dort normierten Konjunktion „und/oder“ mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass auch in den Fällen, in denen das bloße Bestehen einer Anschlussmöglichkeit für die Entstehung der Beitragspflicht ausreicht, das Bestehen einer Anschlussmöglichkeit an eine der Einrichtungen gemeint ist.

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Fehlerhaft und nicht durch Auslegung zu heilen ist jedoch der Umstand, dass nach § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (jeweils in der dritten Variante) auch Grundstücke der Beitragspflicht unterliegen, die an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung bzw. der Niederschlagswasserbeseitigung angeschlossen werden können und die baulich bzw. gewerblich genutzt werden. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auf Außenbereichsgrundstücke (§ 35 BauGB) beschränkt. Hierzu zwingt der Umkehrschluss aus den übrigen Bestimmungen des § 2 Abs. 1 ABS. § 2 Abs. 1 Buchst. a ABS betrifft Grundstücke im Geltungsbereich von Bebauungsplänen (vgl. § 30 BauGB), denn nur dort kann eine bauliche oder gewerbliche Nutzung „festgesetzt“ sein. § 2 Abs. 1 Buchst. b ABS bezieht sich auf Grundstück im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB), denn nur diese Grundstücke können „nach der Verkehrsauffassung Bauland“ sein; bei Außenbereichsflächen scheidet eine solche Annahme regelmäßig aus (vgl. § 35 Abs. 2 BauGB). Die Annahme einer Beitragspflicht für bebaute oder gewerblich genutzte Außenbereichsgrundstücke bereits beim Vorliegen einer Anschlussmöglichkeit ist mit dem Vorteilsprinzip nicht zu vereinbaren. Denn bei diesen Grundstücken ist die Vorteilslage – anders als bei Grundstücken im Geltungsbereich von Bebauungsplänen und im unbeplanten Innenbereich – erst gegeben, wenn das Grundstück an die zentrale Abwasseranlage tatsächlich angeschlossen ist (OVG Greifswald, Urt. v. 15.04.2009 – 1 L 205/07 –, juris Rn. 43).

27

Die Fehlerhaftigkeit der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS schlägt aber nicht auf die übrigen Bestimmungen der Vorschrift durch. Denn deren Regelungsbereiche sind logisch von dem des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS trennbar. Die verbleibenden Regelungen des § 2 Abs. 1 und 2 ABS sind auch vollständig, denn die Bestimmungen decken die drei allein in Betracht kommenden Fallgruppen (Grundstücke im Geltungsbereich von Bebauungsplänen – § 2 Abs. 1 Buchst. a ABS, Grundstücke im unbeplanten Innenbereich – § 2 Abs. 1 Buchst. b ABS und tatsächlich angeschlossene Grundstücke im Außenbereich – § 2 Abs. 2 ABS) vollständig ab. Offen bleiben kann auch, ob und in welchem Umfang auf Grundlage des § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS Beitragseinheiten auf der Flächenseite der Beitragskalkulation berücksichtigt worden sind. Deren Berücksichtigung wäre zwar unzulässig. Der – hier nur unterstellte – Fehler führt jedoch lediglich dazu, dass die Anzahl der Beitragseinheiten überhöht ist. Wegen der damit verbundenen Absenkung des (höchstzulässigen) Beitragssatzes führt dies nicht zu einer Benachteiligung der Beitragspflichtigen. Es liegt damit ein Fall der Teilnichtigkeit nach dem Rechtsgedanken aus § 139 BGB vor.

28

b. Die Rechtsanwendung durch den Antragsgegner ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

29

aa. So ist die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück der Antragsteller entstanden, obwohl es weit vor dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung an die zentralen Einrichtungen zur Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung angeschlossen wurde. Dies folgt aus § 3 Abs. 1 ABS i.V.m. § 9 Abs. 3 KAG M-V. Nach der zuletzt genannten Bestimmung, an deren Verfassungsgemäßheit auch mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (– 1 BvR 2457/08 –) keine Zweifel bestehen (eingehend: OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014 – 1 L 142/13 –, S. 22 ff. des Entscheidungsumdrucks), entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Die Vorschrift gibt damit keine bestimmte zeitliche Reihenfolge für das Vorliegen der Entstehungsvoraussetzungen der sachlichen Beitragspflicht vor. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist das Vorliegen eines Anschlusses bzw. einer Anschlussmöglichkeit des Grundstücks und die Existenz einer wirksamen Beitragssatzung. Liegen beide Voraussetzungen vor, so entsteht ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge ihres Eintritts die sachliche Beitragspflicht. Daraus folgt, dass bei Grundstücken, die – wie hier – vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung an die Anlage angeschlossen worden sind, die sachliche Betragspflicht gleichwohl erst mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entsteht.

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Die Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 ist ausweislich des bereits benannten Urteils des VG Greifswald vom 29. November 2012 unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet. Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14.12.2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an, so dass von einer Einzeldarstellung abgesehen werden kann.

31

bb. Der Umstand, dass das Grundstück der Antragsteller nicht in Eigenregie der Stadt A-Stadt, sondern auf Grundlage des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 erschlossen wurde, steht der Entstehung der Beitragspflicht nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass dem Antragsgegner in Ansehung der „inneren“ Erschließung, also der innerhalb des Erschließungsgebietes „Bockmühlenweg/Mastweg“ gelegenen leitungsgebundenen Erschließungsanlagen kein beitragsfähiger Aufwand entstanden ist, weil diese Anlagen vom Erschließungsträger auf eigene Rechnung hergestellt worden sind (vgl. Nr. 4.2 Abs. 1 Satz 3 des Erschließungsvertrages). Soweit in Nr. 4.2 Abs. 1 Satz 1 des Erschließungsvertrages bestimmt ist, dass die Stadt A-Stadt u.a. für die Erschließung des Grundstücks der Antragsteller den Betrag von 33,50 DM/m² an die Arbeitsgemeinschaft zahlt, erklärt sich dies vor dem Hintergrund, dass die Stadt A-Stadt nach § 4 Abs. 3 Satz 5 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 hinsichtlich der Firma S.-GMBH das Ausfallrisiko trägt (dazu sogleich). Ein beitragsfähiger Aufwand konnte durch diese Zahlung nicht begründet werden, denn die Kosten, die dem Erschließungsträger auf Grundlage eines Erschließungsvertrages i.S.d. § 124 a.F. BauGB (vgl. insbesondere § 124 Abs. 2 BauGB) entstehen, sind einer Beitragserhebung generell entzogen („Regimeentscheidung“, vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 6 Rn. 10 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner die Zahlungen aufgrund des Erschließungsvertrages gleichwohl aufwandserhöhend berücksichtigt hat, bestehen nicht. Die Beitragskalkulation weist für das „Gebiet am Mastweg“ lediglich Aufwand für den Zeitraum ab 2005 aus. Eine vertiefte Prüfung hat erforderlichenfalls im Hauptsacheverfahren zu erfolgen. Für das vorliegende Eilverfahren ist davon auszugehen, dass die Beitragserhebung nicht der Refinanzierung des Aufwandes für die „innere“ Erschließung, sondern des Aufwandes für die „äußere“ Erschließung, d.h. der außerhalb von Erschließungsgebieten gelegenen Bestandteile der öffentlichen Einrichtungen zur zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung dient.

32

cc. Entgegen der Auffassung der Antragsteller begründen die Vereinbarungen in § 4 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 keinen Einwand gegen die Beitragserhebung. Zwar sind sie wirksam. Die gegenteiligen Ausführungen des Antragsgegners im Widerspruchbescheid übersehen, dass kommunalabgabenrechtliche Kriterien wie das Vorteilsprinzip oder die „Vertragsfeindlichkeit“ des Abgabenrechts in Ansehung des Grundstückskaufvertrages bereits deshalb keine Anwendung finden können, weil der Kaufvertrag geschlossen wurde, bevor das (erste) Kommunalabgabengesetz vom 11. April 1991 (KAG 1991) in Kraft getreten ist. Seine Bekanntgabe erfolgte erst am 29. April 1991 (vgl. GVOBl. M-V 1991, S. 113). Die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1991 können daher nicht den Rechtmäßigkeitsmaßstab für Vereinbarungen des Kaufvertrages bilden. Dies gilt erst Recht für die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1993.

33

Dennoch steht § 4 des Grundstückskaufvertrages der Beitragserhebung nicht entgegen, denn die darin getroffene Freistellung der Antragsteller bezieht sich allein auf die Kosten der „inneren“ Erschließung. Von den Kosten der „äußeren“ Erschließung werden die Antragsteller dagegen nicht freigestellt. Diese Kosten werden von dem Vertrag überhaupt nicht erfasst. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

34

Der Kaufvertrag wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen, als der erst am 7. Juni 1991 zwischen der Stadt A-Stadt und der Firma S.-GMBH geschlossene Erschließungsvertrag noch nicht existierte. Damit fehlte es jedenfalls an der vollständigen Erschließung des Kaufgegenstandes. Gleichwohl hatten die Vertragsparteien die angestrebte Erschließung des Baugebietes durch die Firma S.-GMBH im Blick, denn das Grundstück war nach § 1 Abs. 3 des Kaufvertrages erschlossen zu liefern. Zudem hatten die Antragsteller den auf die Erschließungskosten für die Maßnahmen gemäß § 1 Satz 2 des Vertrages vom 7. Juni 1991 entfallenden Anteil des Kaufpreises nach § 2 des Kaufvertrages unmittelbar an die Firma S.-GMBH zu zahlen. Diese Zahlung diente der Vorfinanzierung der Erschließungsmaßnahmen, denn nach den Angaben in der Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 war die Zahlung durch die Antragsteller vor Durchführung, jedenfalls aber vor Abschluss der Erschließungsmaßnahme erfolgt. Damit dürfte ihnen das Grundstück auch vor Abschluss der Erschließungsarbeiten übergeben worden sein (vgl. § 3 Abs. 1 des Kaufvertrages).

35

Die Vereinbarungen in § 4 Abs. 3 erklären sich vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgefundenen Erschließungssituation. Zu diesem Zeitpunkt waren im Erschließungsgebiet bereits Erschließungsanlagen vorhanden, denn es existierten 17 Grundstücke („Parzellen“), die bereits vor dem 1. April 1991 bebaut worden waren (vgl. § 2 Satz 1 des Vertrages vom 7. Juni 1991 und die Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992). Allerdings handelte es sich bei den vorhandenen Erschließungsanlagen ausweislich der Angaben in der Präambel des bereits benannten Erschließungsvertrages offenbar um Provisorien oder jedenfalls unfertige Anlagen, denn der Erschließungsvertrag vom 3. April 1992 diente der „Fertigstellung der Erschließung im Sinne des Baugesetzbuchs sowie der Ver- und Entsorgungsanlagen“. An den bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages bereits entstandenen Kosten der vorhandenen wegemäßigen bzw. leitungsgebundenen Erschließungsanlagen sollten die Antragsteller nach § 4 Abs. 3 Satz 1 des Kaufvertrages nicht beteiligt werden. Insoweit wurde in § 4 Abs. 3 Satz 2 des Vertrages eine Freihaltevereinbarung getroffen.

36

Damit erschöpft sich der Regelungsbereich der Freihaltevereinbarung. Denn in § 4 Abs. 3 Satz 3 des Grundstückskaufvertrages ist klargestellt, dass die Stadt A-Stadt auf die Erhebung der Kosten für künftige Straßen- und Sielbauarbeiten nicht verzichten wollte, auch wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Absicht zur Durchführung solcher Arbeiten bestand (§ 4 Abs. 3 Satz 4 des Kaufvertrages). Mit Blick auf die von den Antragstellern nach § 2 des Kaufvertrages unmittelbar an die Firma S.-GMBH zu zahlenden anteiligen Kosten der Primärerschließung wurde zu ihrem Schutz allerdings vereinbart, dass sie für die Kosten der Primärerschließung nicht haften (§ 4 Abs. 3 Satz 5 des Kaufvertrages). Das Risiko eines Ausfalls des Erschließungsträgers lag damit bei der Stadt A-Stadt, was dazu führte, dass diese nach Nr. 4.2 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 die auf das Grundstück der Antragsteller entfallenden Erschließungskosten zu tragen hatte.

37

dd. Auch die Vereinbarung in Ziffer 4.2 Abs. 3 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 steht der Beitragserhebung nicht entgegen, denn die Antragsteller haben ihr Grundstück nicht von der Arbeitsgemeinschaft erworben. Daher kann dahinstehen, was mit dem Begriff „Anschlussgebühren“ gemeint ist, und ob die Vereinbarung überhaupt wirksam ist.

38

ee. Da der Beitragsanspruch des Antragsgegners erst im Jahre 2013 entstanden ist, scheidet die Annahme seines Erlöschens wegen Festsetzungsverjährung (§ 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) von vornherein aus.

39

ff. Weiter hat der Antragsgegner sein Recht, den Beitragsanspruch gegenüber den Antragstellern geltend zu machen, nicht verwirkt (vgl. § 242 BGB). Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (OVG Greifswald, Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris Rn 81).

40

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Geht man davon aus, dass nur ein bereits entstandener Beitragsanspruch der Verwirkung unterliegen kann (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 28.02.2002 – 2 S 2327/01 –, juris Rn. 39), scheidet ihre Annahme bereits deshalb aus, weil der Anspruch erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 entstanden ist (s.o. S. 8), so dass von einer verspäteten Geltendmachung keine Rede sein kann.

41

Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass mit dem Recht der Beitragserhebung nicht ein konkret bestehender Anspruch, sondern – in einem weiteren Sinne – allgemein die Befugnis zur Beitragserhebung gemeint ist, die in Mecklenburg-Vorpommern seit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes 1991 besteht. Im Falle der Antragsteller wäre die Erhebung eines Anschlussbeitrages ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage – dem Zeitpunkt der Schaffung der Anschlussmöglichkeit an die zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlagen im Jahre 1992 – möglich gewesen. Bezogen auf diesen Zeitpunkt erfolgte die Beitragserhebung im Jahre 2013 ohne Zweifel verspätet. Dennoch konnte durch den Zeitablauf keine Vertrauensgrundlage dahingehend entstehen, dass Anschlussbeiträge nicht erhoben werden, denn der Antragsgegner hatte in § 4 Abs. 3 Satz 3 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 ausdrücklich klargestellt, dass die Antragsteller die Kosten für Sielbauarbeiten tragen, die nach dem Übergabetag durchgeführt werden.

42

Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Antragsteller nicht auf eine Verwirkung des Beitragsanspruchs berufen. Daher fehlen Angaben zum Vertrauenstatbestand und zur Vertrauensbetätigung, so dass die Annahme einer Verwirkung auch aus diesem Grund ausscheidet (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.11.2006 – 3 B 1909/06 –, juris Rn. 6).

43

gg. Schließlich steht der Geltendmachung des Beitragsanspruchs auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Dies wäre dann der Fall, wenn die betroffenen Eigentümer durch die Beitragserhebung in dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verletzt würden, so etwa, wenn dem Abgabengläubiger eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt und die Ausübung des Rechts aufgrund dieser eigenen Pflichtenverletzung treuwidrig erscheint (BVerwG, Urt. v. 20.03.2014 – 4 C 11/13 –, juris Rn. 31). Die Erwägungen der zur Erhebung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags nach § 154 ff. BauGB ergangenen Entscheidung sind wegen einer vergleichbaren Risikosituation der Abgabenpflichtigen – der Ausgleichsanspruch entsteht unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage gemäß § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB erst nach Abschluss der Sanierung, auch wenn dieser von der Gemeinde verzögert wird – auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen übertragbar.

44

In der – bezogen auf den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage – verzögerten Beitragserhebung allein liegt noch keine Treuwidrigkeit. Treuwidrig ist die Abgabenerhebung erst dann, wenn es aufgrund einer Pflichtverletzung der Gemeinde unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheint, den Bürger mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren (BVerwG a.a.O. Rn. 32). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Verzögerung beruht ersichtlich auf dem gerichtsbekannten Umstand, dass die Stadt A-Stadt in der Vergangenheit erhebliche Schwierigkeiten hatte, eine wirksame Beitragssatzung als Voraussetzung für eine rechtmäßige Beitragserhebung zu erlassen. In Bezug auf die Antragsteller kommen offenbar auch Auslegungsschwierigkeiten in Bezug auf die bereits benannten Klauseln des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 hinzu.

45

Auch die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften führen vorliegend nicht zur Annahme des Treuwidrigkeitstatbestandes. Nach § 53 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) beginnt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zu laufen, wenn ein Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unanfechtbar wird. Diese Vorschrift ist zwar auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nicht unmittelbar anwendbar. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unabhängig vom Zeitpunkt seiner Entstehung (vgl. § 199 BGB) auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 BGB) zu beschränken, kann aber zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes übernommen werden (BVerwG a.a.O., Rn. 32). Die Erhebung von Anschlussbeiträgen ist damit generell ausgeschlossen, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.

46

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei der streitige Abgabenbetrag für das Eilverfahren zu vierteln war.

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