Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 843/14

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern als Gesamtschuldnern auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks Flurstück G 1, Flur 21, Gemarkung A-Stadt (A-Straße) in einer Größe von 487 m². Sie haben das Grundstück auf Grundlage eines notariellen Kaufvertrages vom 18. April 1991 von der Stadt A-Stadt erworben.

3

Nach § 1 Abs. 3 des Kaufvertrages ist das Grundstück erschlossen zu liefern. Nach § 2 des Vertrages hat die Auszahlung des Kaufpreises von 40,00 DM/m² wie folgt zu erfolgen:

4

1. DM 3,50 pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Gemeinde A-Stadt (…).

2. DM 36,50 pro Quadratmeter der verkauften Teilfläche an die Firma S.

5

In § 4 Abs. 3 des Vertrages heißt es weiter:

6

Für den vorhandenen Ausbau von Straße und Siel trägt der Erwerber unbeschadet der gesetzlichen Haftung keine Kosten. Der Veräußerer hat den Erwerber insoweit freizuhalten. Kosten für Straßen- und Sielbauarbeiten, die nach dem Übergabetag ausgeführt werden, treffen den Erwerber. Der Veräußerer versichert, dass ihm zur Zeit drohende Straßen- und Sielbaumaßnahmen nicht bekannt sind. Eine Haftung des Erwerbers für die Primärerschließung (§ 1) wird hierdurch nicht begründet.

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In der Folgezeit entrichteten die Kläger den vereinbarten Kaufpreis an die Stadt A-Stadt und die Firma S. Der am 7. Juni 1991 von der Stadt A-Stadt mit der Firma S. geschlossene Erschließungsvertrag sah in § 1 die Primärerschließung des „2. Bauabschnitts B.“ u.a. im Bereich Schmutz- und Niederschlagswasser vor. Der Vertrag wurde von der Firma S. nicht erfüllt und in der Folgezeit von der Stadt A-Stadt gekündigt. Die Erschließung des Baugebiets erfolgte dann auf Grundlage des mit der Arbeitsgemeinschaft zur Erschließung der Gewerbegebiete der Stadt A-Stadt GmbH (künftig: Arbeitsgemeinschaft) geschlossenen Erschließungsvertrages vom 3. April 1992.

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In der Präambel heißt es:

9

In diesem Gebiet hatte die Stadt schon vor der Wende 17 Bauparzellen (nachstehend Parzellen der Alterwerber genannt) an Bauwillige übertragen und nach der Wende 5 weitere Parzellen über die S. veräußert (nachstehend Parzellen der S--Kunden genannt) (…). Diese 22 Parzellen sind inzwischen bebaut.

10

Die Alterwerber sind bisher nicht zu Erschließungskosten und Anschlussgebühren herangezogen worden. Die S.-Kunden haben die Erschließungskosten mit dem Kaufpreis bezahlt; der entsprechende Anteil des Kaufpreises soll nach den Verträgen nicht der Stadt, sondern der S. zustehen. Diese ist der Verpflichtung zur Durchführung der Erschließungsmaßnahmen nicht nachgekommen. Nach Kündigung des Vertrages mit der S. hat die Arge im Auftrag der Stadt und unter Vorgriff auf den noch abzuschließenden Erschließungsvertrag die Zuwegung zu den 17 Parzellen der Alterwerber sowie die Ent- und Versorgung dieser Parzellen hergestellt. Der heute abzuschließende Vertrag gilt der Fertigstellung der Erschließung im Sinne des Baugesetzbuchs sowie der Ver- und Entsorgung der Bauparzellen unter Berücksichtigung der von der Arge bereits erbrachten Leistungen.

11

In Ziffer 4.2 Abs. 3 des Erschließungsvertrages heißt es:

12

Von der Arbeitsgemeinschaft bzw. den Erwerbern der von ihr erschlossenen und bebaut oder unbebaut verkauften Bauparzellen erhebt die Stadt keine Erschließungskosten und keine Anschlussgebühren.

13

Das Grundstück ist an die zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlage angeschlossen.

14

Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 zog der Beklagte die Kläger zu einem Anschlussbeitrag für das Grundstück G 1 i.H.v. 3.947,62 EUR heran. Der Betrag ergibt sich aus der Summe der Teilbeiträge Schmutz- und Niederschlagswasser i.H.v. 2.605,45 EUR und 1.342,17 EUR. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2014 – zugestellt am 21. August 2014 – zurück.

15

Am Montag, den 22. September 2014 haben die Kläger Anfechtungsklage erhoben. Sie sind der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Beitragskalkulation sei fehlerhaft. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Kosten der „inneren“ Erschließung beitragserhöhend berücksichtigt worden seien. Zudem sei der Beitragsanspruch infolge Festsetzungsverjährung erloschen. Die Freihaltevereinbarung in § 4 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages schließe eine Beitragserhebung aus. Sie beziehe sich nicht nur auf die Kosten der „inneren Erschließung“, also die Kosten der im Erschließungsgebiet gelegenen Anlagen bzw. Anlagenteile, sondern erfasse auch auf die Kosten der außerhalb des Erschließungsgebietes gelegenen Anlagenteile („äußere Erschließung“). Dies folge aus der Vereinbarung in § 1 Abs. 3 des Vertrages, wonach das Grundstück erschlossen zu liefern sei. Dieser Passus habe keinen Sinn, wenn damit nur die „innere Erschließung“ gemeint sei. Bestätigt werde diese Auslegung durch die Vereinbarung in § 4 Abs. 3 Satz 4 des Vertrages. Dort sei klargestellt, dass die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 für nach dem Übergabetag noch durchzuführende aber mit dem Kaufpreis bereits bezahlte Erschließungsarbeiten nicht gelte. Es sei auch zu berücksichtigen, die Stadt A-Stadt in § 4 Abs. 3 Satz 3 versichert habe, dass ihr zurzeit drohende Straßen- oder Sielbaumaßnahmen nicht bekannt seien. Dies zeige, dass mit dem Kaufpreis alle Erschließungskosten abgedeckt seien. Andernfalls liege eine arglistige Täuschung und ein strafbares Verhalten (Betrug) vor. Das Verwaltungsgericht sei zur Prüfung des vertraglichen Einwandes nicht befugt, da insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei. Jedenfalls stehe den Klägern ein Schadensersatzanspruch zu, mit dem aufgerechnet werde.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Beklagten vom vom 25. Juni 2014 – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 aufzuheben.

18

Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

20

Das Verwaltungsgericht Greifswald lehnte mit Beschluss vom 27. Januar 2015 (– 3 B 844/14 –, juris) einen Antrag der Kläger auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren ordnete der Beklagte die aufschiebende Wirkung der Klage an. Das Verfahren wurde daraufhin nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt.

21

Mit Beschluss vom 26. April 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge sowie die beigezogenen Akten des Verfahrens 3 B 844/14 vorgelegen.

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Beitragsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

24

Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015.

25

1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 844/14 –, juris). Die fehlerhafte – wenngleich unschädliche – Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (VG Greifswald, a.a.O. Rn. 26) ist von der Stadt A-Stadt in der genannten Änderungssatzung ersatzlos gestrichen worden.

26

Auch die in § 5 ABS normierten Beitragssätze begegnen keinen Bedenken. Zwar war die Kalkulation des Beitragssatzes für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Beitragssatz I) von 4,28 EUR/m² zunächst fehlerhaft, weil bei dem Ansatz der Klärwerkskosten die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt wurden. Dieser Fehler wirkt sich jedoch nicht aus, da der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz auch bei einer aufwandsmindernden Berücksichtigung dieser Auslastungsanteile über dem in der Anschlussbeitragssatzung normierten (abgesenkten) Beitragssatz liegt. Daher konnte der Fehler durch die in dem Verfahren 3 A 1031/15 (vgl. die Sitzungsniederschrift vom 27. Juli 2017 sowie VG Greifswald, Urt. v. 27.07.2017 – 3 A 1330/14 –, S. 8 ff. des Entscheidungsumdrucks) abgegebene „Heilungserklärung“ i.S.d. § 2 Abs. 3 KAG M-V beseitigt werden. Weil sich die Fehlerheilung auf die Wirksamkeit der Anschlussbeitragssatzung auswirkt, kommt ihr eine „inter-omnes-Wirkung“ zu. Sie ist daher auch in Verfahren zu beachten, in denen eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde.

27

Weitere Kalkulationsfehler sind nicht ersichtlich. Soweit die Kläger vermuten, die Kosten der „inneren Erschließung“ des M.-weges seien aufwandserhöhend berücksichtigt worden, kann dem nicht gefolgt werden. Der Beklagte ist dem ausdrücklich entgegen getreten. Auch der Beitragskalkulation kann nicht entnommen werden, dass diese Kosten berücksichtigt wurden. Gegen ihre Berücksichtigung spricht weiter, dass die Anlagen zur Erschließung des Baugebiets nach Nr. 4.2. Abs. 1 Satz 3 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 vom Erschließungsträger zu tragen waren. Damit konnte ein beitragsfähiger Aufwand insoweit nicht entstehen. Soweit hiervon abweichend in Nr. 4.2 Abs. 1 Satz 1 des Erschließungsvertrages bestimmt ist, dass die Stadt A-Stadt u.a. für die Erschließung des Grundstücks der Kläger den Betrag von 33,50 DM/m² an die Arbeitsgemeinschaft zahlt, erklärt sich dies vor dem Hintergrund, dass die Stadt A-Stadt nach § 4 Abs. 3 Satz 5 des Grundstückskaufvertrages vom 18. April 1991 hinsichtlich der an von den Klägern an die Firma S. gezahlten Beträge das Ausfallrisiko trägt (dazu sogleich). Die Zahlung erfolgte damit aufgrund einer gegenüber den Klägern bestehenden zivilrechtlichen Verpflichtung. Ein beitragsfähiger Aufwand konnte dadurch nicht begründet werden. Die Beträge, die die Stadt A-Stadt auf Grundlage der Vereinbarung in Nr. 4.1 des Erschließungsvertrages an die Arbeitsgemeinschaft gezahlt hat, waren – wie in den Verfahren 3 A 205/15, 3 A 847/14 und 3 A 850/14 gerichtsbekannt geworden ist – Gegenstand einer gegenüber diesen 17 „Alterwerbern“ im Jahre 1992 erfolgten Beitragserhebung für die Kosten der „inneren“ Erschließung. Damit bestand auch kein Bedürfnis, diese Kosten im Rahmen der Beitragskalkulation zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht nicht gehalten, weitere Ermittlungen zu dieser Behauptung anzustellen. Dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus. Der Untersuchungsgrundsatz ist keine prozessuale Hoffnung, das Gericht würde mit seiner Hilfe schon die klagebegründenden Tatsachen finden (BVerwG, Buchholz 310 § 86 Nr. 76).

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

29

a. So ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss der Grundstücke an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der am 27. Juli 2017 erfolgten Heilung der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 nach § 2 Abs. 3 KAG M-V entstanden (s.o.).

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Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 ist unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.11.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt A-Stadt (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

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b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

32

c. Der Umstand, dass das Grundstück der Kläger nicht in Eigenregie der Stadt A-Stadt, sondern auf Grundlage des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 erschlossen wurde, steht der Entstehung der Beitragspflicht nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass dem Beklagten in Ansehung der „inneren“ Erschließung, also der innerhalb des Erschließungsgebietes „B.weg/M.weg“ gelegenen leitungsgebundenen Erschließungsanlagen kein beitragsfähiger Aufwand entstanden ist, weil diese Anlagen – wie bereits dargelegt – im Wesentlichen vom Erschließungsträger auf eigene Rechnung hergestellt worden sind. Darum geht es vorliegend jedoch nicht, denn Gegenstand der Beitragserhebung sind die Kosten der sog. „äußeren“ Erschließung, d.h. Kosten die der Stadt A-Stadt außerhalb von Erschließungsgebieten entstanden sind.

33

d. Entgegen der Auffassung der Kläger begründen die Vereinbarungen in dem Grundstückskaufvertrag vom 18. April 1991 keinen Einwand gegen die Beitragserhebung; insbesondere haben die Vertragsparteien keine Freistellung von Anschlussbeiträgen vereinbart.

34

aa. Das Verwaltungsgericht ist nicht wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit an der Prüfung der Vereinbarung gehindert. Die Frage des zulässigen Rechtsweges kann nicht mit Blick auf § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, auf sich beruhen. Denn bei dem vom Kläger geltend gemachten Freistellungsanspruch handelt es sich nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“ des Rechtsstreits im Sinne dieser Regelung, sondern um ein selbstständiges Gegenrecht. Solche Gegenrechte werden von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht erfasst, denn die Vorschrift soll lediglich eine einheitliche Sachentscheidung durch das Gericht ermöglichen, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen beruht (OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.07.2015 – 12 W 1374/15 –, juris Rn. 29; VG Bremen, Urt. v. 01.10.2008 – 5 K 3144/07 –, juris Rn. 26).

35

Für die Prüfung des Einwandes ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Nach dem Vortrag der Kläger haben die Parteien in § 4 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages eine Vereinbarung getroffen, die die Erhebung von Anschlussbeiträgen für das Grundstück ausschließt. Demnach hätte der Beklagte auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen verzichtet. Dieser Vortrag ist der Rechtswegprüfung zugrunde zu legen. Ob er zutrifft, ist eine Frage der Sachprüfung. Den Vortrag der Kläger zu Grunde gelegt, handelt es sich bei der streitigen Vereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist der Streit um die Auslegung der Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO anzusehen. Der Erlass eines Vorbehaltsurteils analog § 302 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 173 VwGO scheidet mithin aus. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

36

Grundsätzlich handelt es sich bei einer Freistellungsvereinbarung um eine zivilrechtliche Vereinbarung, mit der die gesetzliche Regelung über die Tragung öffentlicher Grundstückslasten abbedungen wird. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt § 436 BGB a.F., wonach der Verkäufer eines Grundstücks nicht für die Freiheit des Grundstücks von öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten haftet, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind. Es darf bei der rechtlichen Einordnung der Vereinbarung aber nicht verkannt werden, dass bei Verträgen zur Abbedingung der gesetzlichen Kostentragungslast – sei es der nach § 436 BGB a.F., sei es der nach § 436 BGB in der aktuell gültigen Fassung – in der Regel keine der Vertragsparteien zugleich auch Gläubiger des (aktuellen oder künftigen) Abgabenanspruchs ist. Es ist vielmehr so, dass die Abbedingungsvereinbarung zwischen dem (aktuellen oder künftigen) Schuldner des Abgabenanspruchs und dem Grundstückskäufer getroffen wird. Weil das Bestehen oder Nichtbestehen öffentlicher Grundstückslasten wertbildend ist, ist es sinnvoll, durch eine Freistellungsvereinbarung festzulegen, wer diese Lasten im Innenverhältnis zu tragen hat. Der Abgabengläubiger ist von dieser Vereinbarung nicht betroffen.

37

Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Stadt A-Stadt nicht nur Partei des Grundstückskaufvertrages sondern eben auch Gläubigerin des Abgabenanspruchs ist. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war sie potentielle Gläubigerin eines Abgabenanspruchs, denn § 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) gab ihr die Befugnis zur Erhebung von Anschlussbeiträgen. Dies hat zur Folge, dass mit der Freistellungsvereinbarung nicht nur im Innenverhältnis der Vertragsparteien bestimmt wurde, wer die Kosten der von der Vereinbarung erfassten Erschließungsmaßnahmen trägt. Da der Beitragsanspruch grundstücksbezogen ist und neben dem Grundstückseigentümer bzw. Erbbauberechtigten (vgl. § 8 Abs. 2 KAG 1991) kein weiterer Abgabenschuldner existiert, umfasst der Abschluss einer Freistellungsvereinbarung notwendigerweise einen Verzicht auf die Abgabenerhebung. Da öffentliche Abgabenansprüche nur einem Hoheitsträger zustehen können, handelt es sich bei einem Verzicht bzw. – wie hier – Vorausverzicht um eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung, die der Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichts unterliegt.

38

Gegenteiliges folgt nicht aus der von den Klägern zitierten Rechtsprechung. Diese besagt, dass der zulässige Rechtsweg bei Verträgen, die sowohl dem öffentlichen Recht als auch dem Zivilrecht zuzuordnende Vertragsbestandteile aufweisen, nach dem Schwerpunkt der konkreten Streitigkeit bzw. nach der Natur des Rechtsverhältnisses bestimmt, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.12.1989 – 8 C 44.88 –, juris Rn.16; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 10.04.1986 – GmS-OGB 1/85 –, juris Rn 10 f.). Der Schwerpunkt des vorliegenden Rechtsstreites liegt in den unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten über die Frage, ob die Stadt A-Stadt in § 4 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen verzichtet hat. Sie betrifft damit eine öffentlich-rechtliche Forderung und ist folglich als öffentlich-rechtlicher Vertrag anzusehen (vgl. zu einer Ablösevereinbarung: OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.10.2015 – 14 W 5/15 –, juris Rn. 10; VGH München, Beschl. v. 05.05.2014 – 20 C 14.673 –, juris Rn. 3; VG Augsburg, Beschl. v. 07.03.2014 – Au 1 K 13.1993 –, juris Rn. 16). Auch das OVG Greifswald prüft die Wirksamkeit von Verträgen über die Ablösung von Beiträgen auch dann, wenn sie in Grundstückskaufverträgen enthalten sind (Beschl. v. 23.02.2004 – 1 M 10/04 –, juris). Nichts anderes hat für einem im Rahmen eines Kaufvertrages erklärten Beitragsverzicht zu gelten.

39

Weil der Streit eine vertragliche Vereinbarung betrifft, greift auch die abdrängende Sonderzuweisung in § 40 Abs. 2 Satz 1 zweite Var. VwGO nicht.

40

bb. Die Vereinbarung in § 1 Abs. 3 des Vertrages, wonach das Grundstück erschlossen zu liefern ist (Grundstücksgrenze), beinhaltet eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden § 459 Abs. 1 BGB a.F. Die Beschaffenheitsvereinbarung erklärt sich vor dem Hintergrund, dass das Grundstück zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht erschlossen war. Da dies zwischen den Beteiligen nicht umstritten ist, kann von weiteren Darlegungen abgesehen werden.

41

Die Vereinbarung in § 4 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages steht der Beitragserhebung ebenfalls nicht entgegen. Zwar bestehen keine Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Die gegenteiligen Ausführungen des Beklagten im Widerspruchbescheid übersehen, dass kommunalabgabenrechtliche Kriterien wie das Vorteilsprinzip oder die „Vertragsfeindlichkeit“ des Abgabenrechts in Ansehung des am 18. April 1991 geschlossenen Grundstückskaufvertrages bereits deshalb keine Anwendung finden können, weil der Kaufvertrag geschlossen wurde, bevor das (erste) Kommunalabgabengesetz vom 11. April 1991 (KAG 1991) in Kraft getreten ist. Seine Bekanntgabe erfolgte erst am 29. April 1991 (vgl. GVOBl. M-V 1991, S. 113); es trat am 13. Mai 1991 in Kraft (vgl. § 18 Abs. 1 KAG 1991). Die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1991 können daher nicht den Rechtmäßigkeitsmaßstab für Vereinbarungen des Kaufvertrages bilden. Dies gilt erst Recht für die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1993.

42

Dennoch schließt § 4 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages eine Beitragserhebung nicht aus, denn die darin getroffene Freistellung der Kläger bezieht sich allein auf die Kosten der „inneren“ Erschließung. Von den Kosten der „äußeren“ Erschließung werden die Antragsteller dagegen nicht freigestellt. Diese Kosten werden von dem Vertrag überhaupt nicht erfasst. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

43

Der Kaufvertrag wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen, als der erst am 7. Juni 1991 zwischen der Stadt A-Stadt und der Firma S. vereinbarte Erschließungsvertrag noch nicht existierte. Damit fehlte es jedenfalls an der vollständigen Erschließung des Kaufgegenstandes. Gleichwohl hatten die Vertragsparteien die angestrebte Erschließung des Baugebietes durch die Firma S. im Blick, denn das Grundstück war nach § 1 Abs. 3 des Kaufvertrages erschlossen zu liefern. Zudem hatten die Kläger den auf die Erschließungskosten für die Maßnahmen gemäß § 1 Satz 2 des Vertrages vom 7. Juni 1991 entfallenden Anteil des Kaufpreises § 2 des Kaufvertrages an die Firma S. zu zahlen. Diese Zahlung diente der Vorfinanzierung der Erschließungsmaßnahmen, denn nach den Angaben in der Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 war die Zahlung durch die Kläger vor Durchführung, jedenfalls aber vor Abschluss der Erschließungsmaßnahme erfolgt.

44

Die Vereinbarungen in § 4 Abs. 3 erklären sich vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgefundenen Erschließungssituation. Zu diesem Zeitpunkt waren im Erschließungsgebiet bereits Erschließungsanlagen vorhanden, denn es existierten 17 Grundstücke („Parzellen“), die bereits vor dem 1. April 1991 bebaut worden waren (vgl. § 2 Satz 1 des Vertrages vom 7. Juni 1991 und die Präambel des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 „Alterwerber“). Allerdings handelte es sich bei den vorhandenen Erschließungsanlagen ausweislich der Angaben in der Präambel des bereits benannten Erschließungsvertrages um Provisorien oder jedenfalls unfertige Anlagen, denn der Erschließungsvertrag vom 3. April 1992 diente der „Fertigstellung der Erschließung im Sinne des Baugesetzbuchs sowie der Ver- und Entsorgungsanlagen“. An den bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages bereits entstandenen Kosten der vorhandenen wegemäßigen bzw. leitungsgebundenen Erschließungsanlagen sollten die Kläger nach § 4 Abs. 3 Satz 1 des Kaufvertrages nicht beteiligt werden. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Eigentümer dieser Grundstücke – es handelt sich um sog. Fremdanliegergrundstücke – von der Firma S&A nicht vertraglich an den Erschließungskosten beteiligt werden konnten (vgl. § 2 Satz 2 des Vertrages vom 7. Juni 1991). Hier war ein hoheitliche Refinanzierung geplant. Insoweit erfolgte daher hinsichtlich des von der Stadt A-Stadt nach Nr. 4.1 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 zu tragenden Aufwandes im Jahre 1992 eine Beitragserhebung gegenüber den „Alterwerbern“ (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 24.08.2017 – 3 A 205/15 –). Mit Blick auf die Vereinbarung in § 4 Abs. 3 Satz 1 wurde in § 4 Abs. 3 Satz 2 des Vertrages eine Freistellungsvereinbarung getroffen.

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Die übrigen Kosten der inneren Erschließung sollten über den Anteil am Kaufpreis beglichen werden, der der Firma S. zugeflossen ist. In § 2 des Grundstückskaufvertrages wird im Zusammenhang mit der Auszahlung des Kaufpreises ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Betrag von 36,50 DM/m² der verkauften Teilfläche an die Firma S. ausgezahlt werden soll, „mit der Weisung, hieraus die Primärerschließung zu begleichen“. Mit dieser Vereinbarung wird auf den (künftigen) Erschließungsvertrag vom 7. Juni 1991 Bezug genommen, der in § 1 definiert, was unter dem Begriff „Primärerschließung“ zu verstehen ist, nämlich die im Erschließungsgebiet gelegenen Anlagen zur Schmutz- und Niederschlagswasserableitung einschließlich Tiefbau.

46

Dies zeigt, dass sich der Regelungsbereich der Freihaltevereinbarung auf die Kosten der „inneren“ Erschließung beschränkt, die von den „Alterwerbern“ getragen werden sollten (und auch getragen wurden). Denn in § 4 Abs. 3 Satz 3 des Grundstückskaufvertrages ist klargestellt, dass die Stadt A-Stadt auf die Erhebung der Kosten für künftige Straßen- und Sielbauarbeiten nicht verzichten wollte, auch wenn die Stadt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis von der Durchführung solcher Arbeiten hatte (§ 4 Abs. 3 Satz 4 des Kaufvertrages). Mit Blick auf die nach § 2 des Grundstückskaufvertrages der Firma S&A zufließenden anteiligen Kosten der Primärerschließung wurde zum Schutz der Kläger allerdings vereinbart, dass sie für diese Kosten nicht haften (§ 4 Abs. 3 Satz 5 des Kaufvertrages). Das Risiko des Ausfalls der Erschließungsträgers (Firma S.) lag damit bei der Stadt A-Stadt, was dazu führte, dass diese nach Nr. 4.2 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 die auf das Grundstück der in dem Vertrag namentlich genannten Kläger entfallenden Erschließungskosten zu tragen hatte.

47

Die gegen diese Auslegung gerichteten Einwände der Kläger verfangen nicht. Ihre Auffassung, die Freistellungsvereinbarung betreffe auch die Kosten der „äußeren Erschließung“ übersieht, dass die Vertragsparteien nur für den auf die Fremdanlieger entfallenden Teil der Kosten der in § 1 des Vertrages vom 7. Juni 1991 definierten Primärerschließung freigestellt werden sollten. Überdies begründet die klägerische Rechtsansicht einen unauflösbaren Widerspruch zwischen der in § 4 Abs. 3 Satz 2 des Grundstückskaufvertrages vereinbarten Freistellung und der in § 4 Abs. 3 Satz 3 vereinbarten Regelung, dass der Erwerber die Kosten künftiger Straßen- und Sielbauarbeiten zu tragen habe. Gegen die Annahme einer umfassenden Freistellung von Anschlussbeiträgen spricht auch, dass die Stadt A-Stadt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Abwasserbeseitigung nicht zuständig war. Die Abwasserbeseitigungspflicht ist den Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern und damit auch der Stadt A-Stadt erst mit dem Inkrafttreten des Landeswassergesetzes (LWaG) am 1. Dezember 1992 als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 LWaG) übertragen worden. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass Stadt außerhalb ihrer Zuständigkeit und ohne dass die Kosten der zentralen Schmutzwasserbehandlung auch nur annähernd abschätzbar waren eine so weitreichende Vereinbarung schließen wollte.

48

Soweit die Kläger mit Blick auf die Formulierung in § 4 Abs. 3 Satz 4 des Grundstückskaufvertrages („keine drohenden Sielbaumaßnahmen bekannt“) der Auffassung sind, entweder sie seien vollständig von den Erschließungskosten freigestellt oder es handele sich um eine arglistige Täuschung bzw. ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Stadt, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Es wurde bereits dargelegt, dass die Stadt A-Stadt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht Trägerin der Abwasserbeseitigungspflicht war. Die Aufgabe der Abwasserbeseitigung oblag zu diesem Zeitpunkt noch der Nordwasser GmbH, dem Nachfolgeunternehmen des früheren VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung (WAB). Vor diesem Hintergrund ist es nicht unplausibel, wenn die Stadt erklärt, keine Kenntnis von anstehenden Kanalbaumaßnahmen zu haben. Die eigenen Planungen der Stadt konnten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht konkret sein.

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e. Auch hat der Beklagte sein Recht zur Beitragserhebung nicht verwirkt. Es fehlt am Vertrauenstatbestand der Verwirkung (zu den Voraussetzungen der Verwirkung im Übrigen vgl. VG Greifswald, Urt. vom 24.08.2017 – 3 A 2015/15 –). Die fehlerhafte Interpretation einer Vertragsklausel kann einen solchen Vertrauenstatbestand nicht begründen. Soweit die Kläger ohne nähere Begründung vortragen, Vertreter der Stadt hätten mehrfach geäußert, dass die Freistellungsvereinbarung auch die Kosten der „äußeren“ Erschließung umfasse, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Es bleibt offen, wer welche Erklärung mit welchem Inhalt abgegeben hat. Die im Rahmen einer Bürgerversammlung im Jahre 2009 erfolgten Äußerungen des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt A-Stadt betreffen den Sonderfall der im Jahre 1992 erfolgten Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die im Erschließungsgebiet gelegenen Fremdanliegergrundstücke (D.-straße) und bestätigen lediglich das, was sich bereits aus der Begründung der damaligen Beitragsbescheide ergibt. Für das vorliegende Verfahren sind diese Äußerungen unergiebig. Zudem können die Kläger den Widerspruch nicht erklären, der sich aus den angeblichen mündlichen Äußerungen von Vertretern der Stadt A-Stadt und dem Umstand ergibt, dass sich ihre schriftlich fixierten Äußerungen (Grundstückskaufvertrag, Erschließungsverträge) ausschließlich zu den Kosten der „inneren“ Erschließung verhalten.

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f. Die Vereinbarung in Ziffer 4.2 Abs. 3 des Erschließungsvertrages vom 3. April 1992 steht der Beitragserhebung ebenfalls nicht entgegen, denn die Kläger haben ihr Grundstück nicht von der Arbeitsgemeinschaft erworben. Daher kann dahinstehen, was mit dem Begriff „Anschlussgebühren“ gemeint ist, und ob die Vereinbarung überhaupt wirksam ist.

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g. Die von den Klägern erklärte Aufrechnung führt schließlich ebenfalls nicht zu einem (teilweisen) Erfolg der Klage. Zwar kann die Aufrechnung keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Festsetzungen haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.06.1983 – 8 C 43/81 –, juris Rn. 18). Weil aber in Höhe der Aufrechnung Erfüllung eintritt und die festgesetzte Forderung erlischt, wäre bei einer wirksamen Aufrechnung das in den Vorausleistungsbescheiden enthaltene Leistungsgebot (§ 254 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung – AO) rechtwidrig (BVerwG, a.a.O. Rn. 19). Die Aufrechnung ist vorliegend jedoch unwirksam, denn sie ist nach § 226 Abs. 3 AO ausgeschlossen. Die Vorschrift ist im Anschlussbeitragsrecht aufgrund der Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V entsprechend anwendbar. Nach § 226 Abs. 3 AO können die Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen. Damit wird über die in den §§ 387, 390 ff. BGB enthaltenen allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen hinaus speziell für das Abgabenrecht eine rechtliche Beschränkung des Aufrechnungsrecht auf nachgewiesene Forderungen normiert, wodurch verhindert werden soll, dass die Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Vorschützen von ungewissen oder zweifelhaften, womöglich erst einer längeren Aufklärung und Feststellung bedürftigen Gegenforderungen aufgehalten wird (OVG Bautzen, Beschl. v. 16.07.1997 – 2 S 563/96 –, VwRR MO 1997, 50 <54>). Die Voraussetzungen des Aufrechnungsausschlusses sind vorliegend gegeben. Die von den Klägern behaupteten Gegenansprüche sind bisher weder rechtskräftig festgestellt noch unbestritten.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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