Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 1056/17 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Sanierungsausgleichsbeträgen.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes G1 (D.-Straße in A.) mit einer Größe von 1.813,00 m². Die Klägerin ist Erbin ihres zuvor verstorbenen Ehegatten. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich der Satzung der Gemeinde Seebad Ahlbeck über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes „Ortskern“ vom 1. Februar 1993. Die Gemeinde Ostseebad Heringsdorf, Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Seebad Ahlbeck, beschloss am 30. April 2015 zum 30. Juni 2015 die Satzung über die Teilaufhebung der Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes „Ortskern“ Ahlbeck (Aufhebungssatzung) unter Einbeziehung des klägerischen Grundstücks.

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Mit Bescheid vom 7. Oktober 2016 setzt der Beklagte gegen den Ehegatten der Klägerin einen Ausgleichsbetrag für das oben genannte Grundstück in Höhe von 83.579,00 Euro fest. Der Festsetzung liegt ein aktualisiertes Wertgutachten des Dipl.-Ing. L. vom 30. September 2015 zum Wertermittlungsstichtag 30. Juni 2015 zugrunde. Nach diesen wird der sanierungsunbeeinflusste Anfangswert dem Bodenwert lt. Bodenrichtwertkarte gleichgesetzt. Den maßgeblichen Bodenrichtwert entnahm der Gutachter der Bodenrichtwertkarte des Landkreises Vorpommern-A-Stadt mit Stichtag 31. Dezember 2014. Anhand des Niedersachsen-Verfahrens stellte er dann eine sanierungsbedingte Bodenwerterhöhung von 6 % fest. Ausgehend von einem Anfangswert von 1.393.653,00 Euro und einem daraus errechneten Endwert von 1.477.232,00 Euro ergebe sich ein Ausgleichsbetrag von 83.579,00 Euro.

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Gegen diesen Bescheid legte der Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 Widerspruch ein und bat um weitere Informationen. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016 wurde daran erinnert. Eine Reaktion seitens des Beklagten erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 7. März 2017 bat der Ehemann der Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung um Stellungnahme. Auch darauf erfolgte keine Reaktion des Beklagten.

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Die Klägerin hat am 18. Mai 2017 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass die Klage zulässig sei, da der Beklagte auf ihren Widerspruch und den nachfolgenden Schreiben nicht geantwortet habe. Die Klage sei auch begründet. Es sei unklar, wie die nicht sanierungsbedingte Entwicklung der Bodenwerte gemessen worden sei. Es handele sich hier um Spezialflächen in einem eng begrenzten Markt an der Ostseeküste in einem äußerst bekannten Badeort. Die zentralen Bereiche dieses Badeortes hätten der Sanierungssatzung unterlegen. Üblicherweise würden Richtwerte aus vergleichbaren Gebieten herangezogen. Diese seien aber nicht näher spezifiziert wurden. Unklar sei, welche Indexreihen verwendet worden seien. Bei Immobilienwerten sei in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine sehr lokale bezogene Entwicklung festzustellen, die es verbiete, generelle Indexe zu verwenden. Vergleichbare Grundstücke mit vergleichbaren Wertentwicklungen gebe es nicht in großem Umfang. Daher könne auch nicht festgestellt werden, ob insoweit der sanierungsunbeeinflusste Anfangswert richtig festgesetzt wurden sei. Unklar sei auch, aus welchem Tabellenwerk die jetzt verwendete Tabelle zur Bewertung der sanierungsbedingten Bodenwertsteigerung herkomme. Die Stadt Braunschweig habe im Jahr 2012 offenbar eine ganz andere Tabelle verwendet.

6

Aus den Unterlagen ergebe sich, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der berechneten Wertsteigerung darauf beruhe, dass bauliche Maßnahmen an den Gebäuden erbracht worden seien. Dies könne als Maßstab nicht herangezogen werden. Hier werde eine Werterhöhung einer sanierungsbedingten Wertsteigerung zugerechnet, die ausschließlich durch die jeweiligen Eigentümer der Häuser erfolgt sei. Der Beklagte habe damit nichts zu tun und auch keine Mittel aufgewandt. Dies gelte auch dafür, dass die Klägerin Renovierungsmaßnahmen an der hier streitigen Immobilie auf eigene Kosten und nicht auf Kosten des Beklagten vorgenommen habe.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er an, dass das Wertgutachten für das gegenständliche Grundstück durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. L. erstellt wurde, der das Niedersachsen-Verfahren angewandt habe. Die angewandte Methode sei sachlich zutreffend und richtig umgesetzt. Weitere Anhaltspunkte, nach denen von der Festsetzung des Ausgleichsbetrages – teilweise – abzusehen sei, würden nicht vorliegen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2016 über die Festsetzung der Erhebung des Ausgleichsbetrages nach Abschluss der Sanierung gemäß §§ 154, 155 und 162 BauGB für das Grundstück G1, D.-Straße, sowie den Widerspruchsbescheid vom 28. November 2017 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug.

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Das Gericht hat mit Beschluss vom 26. Juni 2019 den Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

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1. Die Klage ist zulässig. Dass die Klägerin die Klage vor erfolgslosem Abschluss des Vorverfahrens, § 68 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), erhoben hat, ist unschädlich. Denn die Prozessvoraussetzung des erfolglos durchgeführten Vorverfahrens kann bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Klage nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.09.1983 - 7 C 97/81 -, juris Rn. 10). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat nach Erhebung der Klage am 18. Mai 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2017, den die Klägerin mit Schreiben vom 1. Dezember 2017 zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat, den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 7. Oktober 2016 zurückgewiesen. Sofern nicht bereits eine gesetzliche Einbeziehung des nach Klageerhebung erlassenen Widerspruchsbescheides in das laufende Verfahren eintritt (so wohl Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 75 Rn. 26 und 21), stellt die Einbeziehung des Widerspruchsbescheides jedenfalls eine nach § 91 Abs. 1 VwGO zulässige Klageänderung dar. Die Einbeziehung des Widerspruchsbescheides in das laufende Klageverfahren ist sachdienlich. Der Beklagte hat sich zudem nach erfolgter Einbeziehung widerspruchlos auf die geänderte Klage eingelassen.

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2. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Bescheides ist § 154 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB). Danach hat der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebietes gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwertes seines Grundstücks entspricht. Der Ausgleich ist gemäß § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB nach Abschluss der Sanierung (§§ 162 und 163 BauGB) zu entrichten.

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a. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Das klägerische Grundstück liegt im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet „Ortskern“ der (ehemaligen) Gemeinde Seebad Ahlbeck. Dies ergibt sich aus der im Verwaltungsvorgang befindlichen Sanierungssatzung vom 1. Februar 1993 und deren Anlagen, an deren Wirksamkeit nach derzeitiger Kenntnis des Gerichts keine Zweifel bestehen. Der ursprüngliche Ausfertigungsmangel (die erste Ausfertigung erfolgte vor der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde) wurde durch die erneute Ausfertigung durch den Bürgermeister am 18. Dezember 1998 und der Bekanntmachung der neu ausgefertigten Satzung im Amtsblatt „Ahlbecker Anzeiger“ Nr. 1 des Beklagten vom 20. Januar 1999 geheilt. Gegen die rückwirkende Fehlerbehebung im ergänzenden Verfahren (§ 214 Abs. 4 BauGB) bestehen keine Bedenken, Ein ergänzendes Verfahren ist unter anderem zur Heilung von Ausfertigungsmängel, d.h. Verstöße gegen Landesverfahrensrecht, möglich. Dem steht weder das Verstreichen eines erheblichen Zeitraums seit der ursprünglichen Beschlussfassung noch eine etwaige eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage entgegen; vielmehr bedarf es grundsätzlich nur der Wiederholung des Verfahrensschrittes, dessen Fehler die Rechtswidrigkeit der Satzung begründet hatte. Von einem ergänzenden Verfahren sind nur solche – hier nicht vorliegenden Nachbesserungen ausgenommen, die geeignet sind, das planerische Gesamtkonzept in Frage zu stellen (vgl. Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl., § 214 Rn. 23ff.; OVG Koblenz, Urt.v. 16.02.2017 – 6 A 10137/14 –, juris Rn. 35; BVerwG, Beschl. v. 24.05.1989 – 4 NB 10/89 –, juris) .

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b. Der Beklagte hat mit der Satzung über die Teilaufhebung der Satzung zur förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes „Ortskern“ (Aufhebungssatzung) die Sanierung für das klägerische Grundstück als abgeschlossen erklärt, § 162 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 BauGB. Damit ist der Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu erheben. An der Wirksamkeit der Satzung bestehen derzeit keine Bedenken und wurden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht.

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c. Die Heranziehung der Klägerin als Eigentümerin des o.g. Grundstücks ist gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist Erbin und damit Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes, Herrn Klaus C..

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d. Gegen die Ermittlung des Ausgleichsbetrages bestehen nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung keine Bedenken. Gemäß § 154 Abs. 2 BauGB besteht die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwertes eines Grundstücks aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert) und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebietes ergibt (Endwert). Diese Werte sind unter Beachtung der Wertermittlungsverordnung vom 6. Dezember 1988 (WertV) bzw. nunmehr der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom 19. Mai 2010 (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV) nach bestimmten Wertermittlungsverfahren zu ermitteln. Dabei schreibt die Immobilienwertermittlungsverordnung zur Ermittlung des Anfangswertes (und des Endwertes) keine bestimmte Methode vor. Sie ist hinsichtlich ihrer Methode nicht abschließend, wenn eine in ihr vorgesehene Methode nicht angewandt werden kann, so darf nach einer anderen geeigneten Methode gesucht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 C 6/01 –, juris Rn. 21). Insoweit besteht ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Wertermittlungsspielraum der Gemeinde. Dies beruht darauf, dass die Bewertung immer nur eine Schätzung darstellen kann, die Erfahrung und Sachkunde voraussetzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2014 – 4 C 31/13 –, juris Rn. 7ff.; Urt. v. 17.05.2002 – 4 C 6/01, NVwZ 2003 S. 211; OVG Greifswald, Beschl. v. 27.06.2018 – 1 L 105/15 –, juris Rn. 10; OVG Koblenz, Urt. v. 16.02.2017, a.a.O., Rn. 63). Dieser Spielraum erstreckt sich indes nicht auf die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen der Bewertung; ob eine Bewertung auf zutreffenden Voraussetzungen beruht, dürfen und müssen die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang prüfen. So müssen die allgemein anerkannten Grundsätze der Wertermittlung ebenso beachtet werden, wie der der Bewertung zugrundeliegende Sachverhalt vollständig zu ermitteln ist; geschätzte Wertsteigerungen sind zu plausibilisieren.

23

Die konkrete Wertermittlung für das klägerische Grundstück entspricht diesen Vorgaben. Der Beklagte hat zur Ermittlung des Sanierungsausgleichsbetrages ein Gutachten eingeholt und sich den vom Gutachter Dipl.- Ing. L. ermittelten Anfangs- und Endwert angeschlossen. Das ist nicht zu beanstanden. An der Verwertbarkeit des Gutachtens vom 30. September 2015 bestehen nach den Erläuterungen des Leiters der Geschäftsstelle Dipl.-Ing. R. zur Ermittlung des sanierungsunbeeinflussten Bodenwertes, der dem vom Dipl.- Ing. L. ermittelten Anfangswert zu Grunde liegt, keine Bedenken. Das Gutachten ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und frei von erkennbaren Mängeln. Die Bewertung erfolgt nach dem Modell Niedersachsen. Dies ist nicht zu beanstanden, denn die Wahl des Verfahrens steht im Ermessen der Gemeinde (Kleiber/Fieseler in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, BauGB Kommentar, Stand Oktober 2016, § 154, Rn. 116ff.), wobei als Verfahren zur Ermittlung des Ausgleichsbetrages verschiedene Verfahren, wie etwa das Modell Niedersachsen, anerkannt sind (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 21.05.2014, a.a.O., Rn. 59; Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 153 Rn. 7 m.w.N.; Kleiber/Fieseler in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, a.a.O., Rn. 126).

24

Das Modell Niedersachsen beruht auf dem Verhältnis von Missständen und Maßnahmen. Die durch den Gutachter ermittelten städtebaulichen Missstände werden qualifiziert, in einem „Missständerahmen“ (vier Komplexe: Bebauung, Struktur, Nutzung und Umfeld) eingepasst und diesem eine entsprechende Punktzahl (insgesamt 10 Klassen) entnommen. Als Ergebnis erhält man für jeden Komplex je eine Punktzahl. Die gleiche Vorgehensweise wird für die sanierungsbedingten Maßnahmen mittels eines sog. „Maßnahmerahmens“ (ebenfalls vier Komplexe und 10 Klassen) durchgeführt, wobei man als Ergebnis wiederum für alle Komplexe je eine Punktzahl erhält. Getrennt für die Missstände und Maßnahmen werden die Klassenmittelwerte gebildet. Mittels des so gebildeten Punktepaares wird aus der jeweiligen aus dem Markt abgeleiteten Modell-Matrix die prozentuale Wertsteigerung in Abhängigkeit vom Anfangswertniveau entnommen. Hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise wird auf das Gutachten Bezug genommen.

25

Soweit die Klägerin einwendet, es sei nicht dargetan, aus welchem Tabellenwerk der Gutachter die vorliegende Modell-Matrix entnommen habe, hat der Sachverständige Dipl.-Ing. R. mitgeteilt, dass diese Matrizen aus der Fachzeitschrift „GuG“ (Zeitschrift Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement, Ausgabe 5/2005, S. 284) stammten. Mit diesen Matrizen sei im bis Ende 2015 gearbeitet worden. Dagegen gibt es grundsätzlich nichts zu erinnern. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass zwischenzeitlich mit Matrizen gearbeitet wird, die im Nachrichtenblatt der Niedersächsischen Vermessung- und Katasterverwaltung (NaVKV) 1/2009 und 2/2009 veröffentlicht wurden. Denn dies lässt die vormals verwendeten Matrizen nicht unzulässig werden. Zumal der Sachverständige Dipl.-Ing. R. darauf hingewiesen hat, dass die in der Zeitschrift Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement (Ausgabe 6/2015) veröffentlichte weitere Aktualisierung des Modells Niedersachsen, die demnach zum Zeitpunkt des Entstehens des Sanierungsbetrages – hier 30. Juni 2015 – galt, den ermittelten Wert der Bodenwerterhöhung von ca. 6% bestätigen würde.

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Der so ermittelte Sanierungsausgleichsbetrag ist nicht zu beanstanden.

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aa. Gegen die Ermittlung des Anfangswertes von 768,70 Euro/m² für das klägerische Grundstück gibt es nichts zu erinnern.

28

Grundlage für die Ermittlung des grundstücksspezifischen Anfangswertes ist der in der Bodenrichtwertkarte des Landkreises Vorpommern-A-Stadt mit Stichtag 31. Dezember 2014 festgelegte sanierungsunbeeinflusste Bodenwert für diese Zone in Höhe von 657,00 Euro/m². Die Heranziehung des sanierungsunbeeinflussten Bodenrichtwertes mit Stichtag 31. Dezember 2014 für den Wertermittlungsstichtag 30. Juni 2015 ist nicht zu beanstanden, da die Bodenrichtwerte lediglich jedes zweite Kalenderjahr ermittelt werden (vgl. Bodenrichtwertlinie – BRW-RL – vom 11. 01.2011, Bundesanzeiger v.11.02.2011, S. 597). Aus dem Bodenwert von 657,00 Euro/m² hat der Gutachter Dipl.-Ing. L. durch Würdigung der abweichenden Grundstücksmerkmale (hier Abweichung der Geschossflächenzahl und der Grundstücksgröße vom Richtwertgrundstück) des klägerischen Grundstücks den grundstücksspezifischen Anfangswert von 768,70 Euro/m² abgeleitet (vgl. § 12 ImmoWertV). Soweit der Gutachter Dipl.-Ing. L. anführt, der Bodenrichtwert sei dem Anfangswert „gleichzusetzen“ ist dies ungenau und unzutreffend formuliert und entspricht auch nicht seiner Vorgehensweise. Er hat durch Würdigung der abweichenden Grundstücksmerkmale des streitigen Grundstücks den Anfangswert ermittelt.

29

Unter Beachtung des dem Beklagten zustehenden Wertermittlungsspielraumes ist der so ermittelte Anfangswert – also der Bodenwertes, der sich für das Grundstück ergäbe, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (vgl. § 154 Abs. 2 BauGB) – nicht zu beanstanden. Die maßgeblichen Wertermittlungsgrundsätze wurden gewahrt. Insbesondere konnte der Gutachter Dipl.-Ing. L. der Ermittlung des Anfangswertes den vom Gutachterausschuss des Landkreises Vorpommern-A-Stadt festgesetzten sanierungsunbeeinflussten Bodenrichtwert zugrunde legen. Denn die Gemeinde kann sich sowohl zur Feststellung des Sachverhalts als auch zur Ermittlung der maßgeblichen Werte nach den §§ 192ff. BauGB bedienen. Mit dem Gutachterausschuss steht der Gemeinde eine hoheitlich tätige Behörde zur Verfügung, deren Rang und Autorität weitgehend anerkannt ist und die auf Grund ihrer Besetzung über besondere Sachkunde verfügt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 21.05.2014 – 1 L 7/14 –, juris Rn. 47 m.w.N.).

30

Nach den Erläuterungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. R. in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht fest, dass es sich bei dem festgesetzten Bodenrichtwert zum Stichtag 31. Dezember 2014, um einen sanierungsunbeeinflussten Bodenrichtwert handelt, der u.a. in den letzten Jahren mit Hilfe von Bodenwertindexreihen auf die Wertverhältnisse am Wertermittlungsstichtag (also dem Inkrafttreten der Aufhebungssatzung am 30. Juni 2015) fortgeschrieben wurde. Denn grundsätzlich sind auch die Bodenrichtwerte in Sanierungsgebieten fortzuschreiben, d.h. an die allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt anzupassen (vgl. §§ 2 und 3 ImmoWertV). Auf dieser Basis ist dann der einmal ermittelte Anfangswert „anzupassen“ bzw. „fortzuschreiben“. Denn nur dann ist der Betrag aus dem Jahr 1993 mit dem Betrag des Anfangswertes im Jahr 2015 vergleichbar (vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 16.02.2017, a.a.O., Rn. 69f.). Insoweit handelt es sich bei dem Anfangswert um einen fiktiven Wert

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Vorliegend hat der Sachverständige Dipl.-Ing. R. nachvollziehbar dargelegt, wie die Bodenrichtwerte in dem Sanierungsgebiet zum hier maßgeblichen Wertermittlungsstichtag ermittelt wurden, um sicherzustellen, dass es sich um sanierungsunbeeinflusste Werte handelt. Er hat ausgeführt, dass die Bodenrichtwerte für eine Zone zwar grundsätzlich im Vergleichswertverfahren zu ermitteln seien. Dies gelte jedoch nur dann, wenn genügend Kaufpreisfälle aus dieser Zone zur Verfügung stehen würden. Sei dies nicht der Fall, dann könne – unter Beachtung von § 10 Abs. 1 ImmoWertV und Nummer 4 (1) und 7 (2) BRW-RL – der Bodenrichtwert auch mit Hilfe deduktiver Verfahren oder in anderer geeigneter und nachvollziehbarer Weise ermittelt werden. Im maßgeblichen Sanierungsgebiet und der maßgeblichen Bodenrichtwertzone hätten über einen längeren Zeitraum keine ausreichenden Verkaufsfälle vorgelegen, so dass sich der Gutachterausschuss in Anlehnung an § 11 ImmoWertV entschieden hätte, die Änderungen der allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt anhand von Bodenpreisindexreihen festzustellen und anhand dieser dann den Bodenrichtwert fortzuschreiben. Der Ermittlung der Bodenpreisindexreihe lägen auch Kaufpreisfälle zugrunde, allerdings in einem regionalen bzw. territorialen größeren Rahmen, wobei auf vergleichbare Lagen und Grundstücke zurückgegriffen worden sei, die regelmäßig nicht in einem Sanierungsgebiet liegen bzw. lagen. Vorliegend seien dafür die Seebäder und Erholungsorte der Insel Usedom, wie aus der Anlage 1 „Bodenpreisindexgebiete im “ ersichtlich (vgl. Stellungnahme des Gutachterausschusses vom 23.08.2019, Bl 70GA), zusammengefasst worden. Es sei auch nicht bekannt, dass in anderen Gebieten der Insel Usedom bis zum 31. Dezember 2014 (hier der maßgebliche Zeitpunkt) Sanierungen bereits abgeschlossen und die entsprechenden Satzung aufgehoben worden seien. Soweit Verkaufsfälle in dem Sanierungsgebiete vorgelegen hätten und diese mit einbezogen worden, sei darauf geachtet worden, dass der Verkauf zum Anfangswert erfolgt sei. Dies werde durch die notwendige Genehmigung der Gemeinde zum Verkauf im Sanierungsgebiet gemäß §§ 144 Abs. 2 Nr. 1, 145 Abs. 2, § 153 Abs. 2 BauGB suchergestellt. Eine solche sei nur zu erteilen, wenn zum Anfangswert verkauft werden würde. Im Übrigen seien diese Kaufpreise, um auszuschließen, dass es sich um „Ausreißer“ handele, besonderes gewichtet worden. Dieses Verfahren werde in der schriftlichen Stellungnahme näher dargestellt. Damit sei sichergestellt, dass nur sanierungsunbeeinflusste Werte in die Berechnung eingeflossen seien.

32

Die dargestellte Vorgehensweise steht nach Ansicht des Gerichtes mit dem geltenden Recht in Einklang und ist von dem den Gutachterausschuss aufgrund seines besonderen Sachverstandes zustehenden, weiten Ermessenspielraum gedeckt. Die Ermittlung des Anfangswertes ist daher nicht zu beanstanden. Sie ist plausibel und nachvollziehbar und spiegelt lediglich die allgemeine Preissteigerung auf dem Grundstücksmarkt wieder.

33

Mit der dargestellten Vorgehensweise wird auch nicht die konjunkturelle Wertsteigerung abgeschöpft. Denn der an die allgemeinen Wertverhältnisse angepasste Anfangswert ist nur der Ausgangspunkt für die dann durch die Sanierung eingetretene und zu ermittelnde Bodenwerterhöhung ist. Die über die Jahre aufgrund der konjunkturellen Entwicklung eingetretene Bodenwerterhöhung - etwa wie hier von 225 Euro/m² auf 657 Euro/m² - verbleibt bei dem Grundstückseigentümer. Nur die darüber hinausgehende, auf der Sanierung beruhende Bodenwerterhöhung und mit Hilfe des Niedersachsenverfahrens ermittelte Wertsteigerung wird von der Gemeinde abgeschöpft.

34

bb. Die mit Hilfe des Modells Niedersachsen ermittelte sanierungsbedingte Bodenwerterhöhung von 6 % - und damit einem Endwert von 814,80 Euro/m² - ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Bestimmung der Bodenwerterhöhung wurden die sanierungsbedingten Veränderungen im Umfeld des Grundstücks berücksichtigt, die Einfluss auf den Bodenwert nach Abschluss der Sanierung haben. Dabei wurden, wie aus dem Gutachten des Dipl.-Ing. L. hervorgeht, die maßgeblichen Missstände und sanierungsbedingten Maßnahmen berücksichtigt. Diese wurden anhand der von dem Beklagten eingereichten Unterlagen, wie etwa die umfangreichen Aufzeichnungen über die Ergebnisse der vorbereitenden Untersuchungen vom November 1991, den städtebaulichen Rahmenplan aus dem Jahr 1993, den Abschlussbericht zur städtebaulichen Sanierung nach dem Baugesetzbuch in dem Teilaufhebungsgebiet des Sanierungsgebietes „Ortskern“ vom März 2015 und einer Besichtigung vor Ort durch den Gutachter ermittelt. An der Qualifizierung der Missstände und Maßnahmen in den Klassifikationsrahmen und den so ermittelten Kenngrößen bestehen derzeit nach Ansicht des Gerichtes keine Zweifel. Solche wurden auch von der Klägerin nicht vorgetragen, so dass von weiteren Darlegungen abgesehen wird.

35

cc. Aufgrund der o.g. Ausführungen unterliegt der durch den Gutachter Dipl.-Ing. L. ermittelte konkrete Anfangs- und Endwert für das klägerische Grundstück keinen Bedenken. Der ermittelte Anfangswert beträgt 768,70 Euro/m² und der sich daraus ergebende Endwert 814,80 Euro/m². Bei einer Grundstücksgröße von 1.813 m² ergibt sich so ein Ausgleichsbetrag für das Grundstück von insgesamt 83.579,00 Euro, der von dem Beklagten festgesetzt wurde.

36

e. Der Einwand der Klägerin, ein großer Anteil der Sanierungsmaßnahme am Grundstück der Klägerin sei von ihr bzw. ihrem Ehemann selbst finanziert worden und dies sei zu berücksichtigen, hat keinen Erfolg. Zum einen hat die Klägerin diese „Maßnahmen“ nicht weiter substantiiert. Zum anderen verkennt sie, dass eine Anrechnung auf den Ausgleichsbetrag nur unter den Voraussetzungen des § 155 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erfolgen kann. Nach § 155 Abs. 1 Nr. 2 1. HS BauGB sind auf den Ausgleichsbetrag die Bodenwerterhöhungen des Grundstücks anzurechnen, die der Eigentümer zulässigerweise durch eigene Aufwendungen bewirkt hat. Nach der Norm kommt es auf die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts des Grundstücks an, wobei diese nicht mit den Aufwendungen des Eigentümers an Gebäuden gleichzusetzen ist, weshalb es auf die Kosten der Maßnahme selbst nicht ankommt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.03.2016 – OVG 10 S 9.16 –, juris Rn. 10 m.w.N.). Nach den nicht weiter spezifizierten Angaben der Klägerin wurden wohl die Fassade und auch das Dach erneuert. Dass diese Investitionen bzw. weitere von ihr getätigte Investitionen auf das Grundstück selbst oder derart auf das Gebäude verwendet worden seien, dass sie zu einer Lageverbesserung beigetragen hätten, die sich mittelbar über das allgemeine Bodenwertgefüge erhöhend auf den Bodenwert des Grundstückes selbst ausgewirkt habe, hat die Klägerin weder konkret vorgetragen noch ist dies für das erkennende Gericht ersichtlich. Eine Anrechnung hatte daher nicht zu erfolgen.

II.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

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