Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 528/16

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Abwasserabgabe für das Jahr 2013.

2

Sie betreibt zur Beseitigung des im Gebiet der Stadt A-Stadt anfallenden Abwassers die Kläranlage A-Stadt-C., aus der das Abwasser in die D. geleitet wird. In der der Stadt A-Stadt für die Einleitung aus der Kläranlage erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis des Landkreises E. vom 18. Januar 2000 in der Fassung des 1. Änderungsbescheids vom 21. September 2005 sind ein Überwachungswert für den Parameter CSB von 90 mg/l und eine Jahresschmutzwassermenge von 500.000 m³ festgelegt. Mit der 2. Änderung der Genehmigung vom 03. Dezember 2013 legte der Landkreis F. die Überwachungswerte für Phosphor und Stickstoff ab dem 01. Januar 2014 auf 4 mg/l bzw.13 mg/l fest.

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Die Stadt A-Stadt, die bis zum 21. Dezember 2009 aufgrund der Regelung des § 6 Abs. 1 AG AbwAG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung für das aus der öffentlichen Kanalisation eingeleitete Abwasser, für das ihr die Abwasserbeseitigungspflicht obliegt, abgabepflichtig war, gab mit Schreiben vom 27. November 2012 für die Einleitung aus der Kläranlage eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG betreffend das Veranlagungsjahr 2013 ab und darin Überwachungswerte für CSB, Phosphor und Stickstoff von 90 mg/l, 4 mg/l und 13 mg/l an. Zudem erklärte sie die Einhaltung geringerer Werte für diese Parameter von 70 mg/l (CSB), 3 mg/l (Phosphor) bzw. 10 mg/l (Stickstoff) und beantragte zugleich jeweils die Zulassung eines Messprogramms. Darüber hinaus erklärte sie die Einhaltung einer geringeren Jahresschmutzwassermenge von 400.000 m³.

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Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 nahm die Stadt A-Stadt die Heraberklärung in Bezug auf die Überwachungswerte und den Antrag auf Zulassung eines Messprogramms zurück.

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Die behördlichen Überwachungen der Einleitung aus der Kläranlage im Jahr 2013 ergaben hinsichtlich des Parameters CSB keine Überschreitungen des festgelegten Überwachungswerts. Das im Rahmen der behördlichen Überwachung des Parameters Phosphor festgestellte höchste Messergebnis belief sich auf 3,56 mg/l; für Stickstoff liegt kein behördliches Messergebnis vor.

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Mit Schreiben vom 14. Februar 2014 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass diese aufgrund der Änderung des § 6 Abs. 1 AG AbwAG seit dem 22. Dezember 2009 abgabepflichtig sei. Zudem führte er aus, dass die Möglichkeit bestehe, sich die von der Stadt A-Stadt abgegebenen Erklärungen zu Eigen zu machen. Mit Schreiben vom 20. März 2014 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie die Erklärungen der Stadt A-Stadt anerkenne und sich zu Eigen machen werde.

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Am 27. März 2014 reichte die Klägerin Unterlagen zur tatsächlich eingeleiteten Jahresschmutzwassermenge für das Jahr 2013 ein, die darin mit 487.551 m³ angegeben war.

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Mit Bescheid vom 29. September 2016 zog der Beklagte die Klägerin für das Veranlagungsjahr 2013 zu einer Abwasserabgabe für die Einleitung aus der Kläranlage A-Stadt-C. in Höhe von 46.646,30 Euro heran. Der Abgabenberechnung legte er den in der wasserrechtlichen Erlaubnis festgelegten Überwachungswert für CSB und die darin festgelegte Jahresschmutzwassermenge sowie das höchste Messergebnis der behördlichen Überwachung des Parameters Phosphor und den auf der Grundlage der 2. Änderung der wasserrechtlichen Erlaubnis geschätzten Überwachungswert für den Parameter Stickstoff zugrunde. Zudem ermäßigte er den Abgabesatz für CSB gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG. Zur Begründung führte der Beklagte aus, Erklärungen der Stadt A-Stadt könnten der Abgabenberechnung nicht zugrunde gelegt werden. Zum einen habe diese ihre zunächst abgegebenen Erklärungen unter dem 11. Februar 2013 – mit Ausnahme der Heraberklärung der Jahresschmutzwassermenge – zurückgenommen. Zum anderen komme es auf die Erklärungen der Stadt A-Stadt nicht an, da diese nicht Einleiter sei und die Klägerin sich die Erklärungen nicht zu Eigen machen könne.

9

Die Klägerin hat am 07. November 2016 Klage erhoben. Unter dem 17. März 2017 hat sie ausgeführt, sie wende sich nicht gegen die Abgabenerhebung an sich. Aus ihrer Sicht könne aber lediglich ein Betrag von 32.688,20 Euro als berechtigt gelten.

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Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, sie habe sich auf die Verwaltungspraxis des Beklagten verlassen und die Erklärung der Stadt A-Stadt, die ohnehin vollständige Einwirkungsmöglichkeiten auf ihr Verhalten habe, für sich als wirksam erachtet und erkennbar befolgt. Ihr habe sich auch ein Erklärungsrecht nicht unmittelbar erschließen können, da das Wasserrecht für die Einleitung ursprünglich bei der abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft bestanden habe. Die festgesetzte Forderung sei zwingend zu erlassen. Der Erlass bedürfe keines eigenständigen Antrags und habe bei Erlass des Bescheids erfolgen müssen. Die Erhebung der Forderung sei unbillig, da der Beklagte unterlassen habe, sie rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass die abgabenrechtlich relevanten Erklärungen von ihr als Einleiterin und nicht von der Stadt A-Stadt abzugeben seien. Die Gesetzesänderung, die die Abgabepflicht von den Gemeinden auf die Einleiter habe übergehen lassen, sei im Dezember 2009 erfolgt, so dass ein frühzeitiger Hinweis auf die geänderte Rechtslage habe ergehen müssen, nachdem der Beklagte habe erkennen können, dass zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle in Sachsen-Anhalt aufgetreten seien. Der Beklagte habe zudem sehenden Auges die fehlerhaften Erklärungen hingenommen und schließlich seinen Entscheidungen zugrunde gelegt. Damit habe er sich selbst gebunden und müsse aus Gründen der Gleichbehandlung alle Betroffenen entsprechend bescheiden. Zudem sei die Anhörung zur Abgabenfestsetzung und diese selbst mit einer erheblichen Verzögerung erfolgt, so dass eine Verhaltensänderung nicht möglich gewesen sei. Hilfsweise werde im Hinblick auf die sich aus diesem Verhalten ergebende Amtspflichtverletzung die Aufrechnung mit dem insoweit bestehenden staatshaftungsrechtlichen Anspruch erklärt.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 29. September 2016 aufzuheben, soweit damit eine Abgabe von mehr als 32.688,20 Euro geltend gemacht wird.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er vertieft seine Ausführungen aus dem angegriffenen Bescheid und verweist auf die bereits ergangenen Entscheidungen der Kammer zu den Aktenzeichen 4 A 246/14 HAL und 4 A 271/16 HAL. Die Abwasserabgabe sei mangels Vorliegens einer Unbilligkeit auch nicht zu erlassen.

Entscheidungsgründe

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Vorab ist festzuhalten, dass in der mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 17. März 2017 erklärten Beschränkung der Anfechtung des Bescheids des Beklagten vom 29. Juni 2016 auf eine den Betrag von 32.688,20 Euro übersteigende Abwasserabgabe keine teilweise Klagerücknahme liegt, sondern eine Konkretisierung des Klagebegehrens.

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Im Hinblick auf die Bestimmung des Klagebegehrens, dessen Angabe nach § 82 Abs.1 Satz 1 VwGO zu den zwingenden Angaben der Klage gehört, kommt es darauf an, welchen Erfolg die Klägerin erkennbar anstrebt. Dabei darf eine Klageschrift nicht nur aus sich heraus ausgelegt werden, vielmehr sind die mit ihr abgegebenen Erklärungen zu den vorangegangenen Bescheiden in Beziehung zu setzen und Unterlagen, die der Klageschrift beigefügt oder in dieser genau bezeichnet sind, ebenso zu berücksichtigen wie in der Klageschrift enthaltene Bezugnahmen auf ein vorhergehendes Rechtsbehelfsverfahren (NdsOVG, Urteil vom 30. September 2009 – 12 LC 201/04 – Juris Rn. 32 m.w.N.).

18

Lässt sich der Gegenstand des Klagebegehrens der Klage entgegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht in hinreichendem Maße entnehmen, kann dessen Angabe im Laufe des Klageverfahrens – auch nach Ablauf der Klagefrist – nachgeholt werden. Denn die Vorschrift des § 82 Abs. 2 VwGO, wonach der Kläger zur Ergänzung einer den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht entsprechenden Klage aufzufordern ist, ergibt nur dann einen Sinn, wenn mit der nachträglichen Ergänzung nicht nur ein formeller Mangel der Klage beseitigt wird, sondern wenn auch die mit dem Eingang der Klageschrift eintretenden Rechtswirkungen erhalten bleiben. Für die fristwahrende Wirkung der Klage ist es deshalb ausreichend, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, wer die Klage erhebt und gegen wen sie sich richtet (BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – BVerwG 1 C 24/97 – Juris Rn. 41; NdsOVG, Urteil vom 30. September 2009 – 12 LC 201/04 – Juris Rn. 34).

19

Dies zugrunde gelegt war hier Raum für eine Konkretisierung des Klagebegehrens der Klägerin. Zwar enthielt die Klageschrift vom 07. November 2016 einen auf die vollumfängliche Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 29. September 2016 gerichteten Klageantrag und war darin zudem als vorläufiger Streitwert die vollständige Abgabenforderung angegeben. Aus den Gründen des der Klageschrift beigefügten Bescheids lässt sich jedoch ersehen, dass die Klägerin im Rahmen der Anhörung vor dessen Erlass Einwände nicht gegen die beabsichtigte Abgabenerhebung als solche, sondern lediglich in Bezug auf deren in Aussicht gestellte Höhe erhoben hatte. Vor diesem Hintergrund kann vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden, dass sie mit der Klage die uneingeschränkte Aufhebung des Abgabenbescheids erstrebte und der in der Klageschrift enthaltene Antrag das Klagebegehren korrekt abbildete. Dieses ist vielmehr erst mit der Klagebegründung vom 17. März 2017 hinreichend bezeichnet worden.

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Die Klage hat – vorbehaltlich der Entscheidung über die Aufrechnung der Klägerin (dazu II.) – keinen Erfolg.

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I. Der angefochtene Bescheid ist in dem noch zur Überprüfung gestellten Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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1. Der Beklagte hat rechtsfehlerfrei gegenüber der Klägerin für das Veranlagungsjahr 2013 eine Abwasserabgabe für die Einleitung von Schmutzwasser aus der Kläranlage A-Stadt-C. in Höhe von 46.646,30 Euro festgesetzt.

23

Rechtliche Grundlage der Abgabenerhebung für die Abwassereinleitung in die Saale sind die §§ 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 2 bis 4, 6 Abs. 1, 9 Abs. 1, 4 und 5 des Abwasserabgabengesetzes (AbwAG) i.V.m. der Anlage zu § 3 AbwAG in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2005 (BGBl. I. S. 114), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11. August 2010 (BGBl. I S. 1163). Danach ist von demjenigen, der Abwasser in ein Gewässer einleitet, eine Abgabe zu entrichten, die sich nach der Schädlichkeit des Abwassers richtet, die sich unter Zugrundelegung u.a. der oxidierbaren Stoffe (CSB), des Stickstoffs und des Phosphors nach der Anlage zum Abwasserabgabengesetz in Schadeinheiten bestimmt, für die wiederum die Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheids maßgeblich sind. Soweit die zur Ermittlung der Schadeinheiten erforderlichen Festlegungen nicht in einem Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG enthalten sind, hat der Einleiter spätestens einen Monat vor Beginn des Veranlagungszeitraums gegenüber der zuständigen Behörde zu erklären, welche für die Ermittlung der Schadeinheiten maßgebenden Überwachungswerte er im Veranlagungszeitraum einhalten wird (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Kommt der Einleiter dieser Verpflichtung nicht nach, ist der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten jeweils das höchste Messergebnis aus der behördlichen Überwachung zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG). Liegt kein Ergebnis aus der behördlichen Überwachung vor, hat die zuständige Behörde die Überwachungswerte zu schätzen (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG).

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Danach hat der Beklagte die unstreitig dem Grunde nach von der Klägerin als Abwassereinleiterin zu entrichtenden Abgabe zutreffend hinsichtlich des Parameters CSB anhand des in der wasserrechtlichen Erlaubnis des Landkreises E. vom 18. Januar 2000 in der Fassung des 1. Änderungsbescheids vom 21. September 2005 festgelegten Überwachungswerts, hinsichtlich des Parameter Phosphor auf der Grundlage des höchsten behördlichen Messergebnisses im Veranlagungsjahr 2013 und hinsichtlich des Parameters Stickstoff anhand eines geschätzten Überwachungswerts sowie der im vorgenannten Bescheid festgelegten Jahresschmutzwassermenge bemessen.

25

Ein die erforderlichen Festlegungen enthaltender Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG liegt hinsichtlich der Parameter Phosphor und Stickstoff nicht vor, da in der wasserrechtlichen Erlaubnis des Landkreises E. vom 18. Januar 2000 in der Fassung des 1. Änderungsbescheids vom 21. September 2005 weder für Phosphor noch für Stickstoff als Summe der Einzelbestimmungen aus Nitratstickstoff, Nitritstickstoff und Ammoniumstickstoff ein Überwachungswert festgelegt wurde.

26

Es fehlt zudem an einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG. Zwar hat die Stadt A-Stadt innerhalb der in dieser Norm vorgesehenen Frist von einem Monat vor Beginn des Veranlagungszeitraums (2013) eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Beklagten abgegeben. Diese Erklärung ist indes rechtlich unbeachtlich, weil sich nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG der Einleiter gegenüber der zuständigen Behörde zu erklären hat. Die Stadt A-Stadt ist aber weder Einleiterin noch – nachdem die Abgabepflicht der Gemeinden für die Einleitungen aus öffentlichen Kanalisationen durch die Änderung des § 6 Abs. 1 AG AbwAG zum 22. Dezember 2009 (GVBl. LSA 2009, S. 514) entfallen ist – abgabepflichtig. Vielmehr ist die Klägerin Einleiterin und seit dem 22. Dezember 2009 auch abgabepflichtig. Im Hinblick darauf kann dahin stehen, ob dem Einleiter die Abgabe der Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG nur dann obliegt, wenn er auch abgabepflichtig ist (so Köhler/Meyer, AbwAG, Kommentar, 2. Auflage 2006, § 6 Rn. 36).

27

Soweit die Klägerin mit Schreiben vom 20. März 2014 gegenüber dem Beklagten erklärt hat, dass sie sich die Erklärungen der Stadt A-Stadt zu Eigen mache, liegt auch darin keine den Anforderungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG genügende Erklärung, da im Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens beim Beklagten die Ausschlussfrist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 – BVerwG 9 C 4.01 – Juris Rn. 20) zur Abgabe der Erklärung bereits verstrichen war.

28

Eine rückwirkende Zurechnung der Erklärung der Stadt A-Stadt zugunsten der Klägerin scheidet aus, da die gesetzliche Regelung dem Einleiter nach Ablauf der Frist eine Entscheidungsmöglichkeit, ob er sich von Dritten innerhalb der Frist abgegebene Erklärungen rückwirkend als eigene Erklärungen zurechnen lassen will, nicht einräumt. Vielmehr stehen dem neben der das Abwasserabgabenrecht prägenden Formstrenge auch die Zielsetzung und die Systematik des Abwasserabgabengesetzes entgegen. Der Einleiter soll im Rahmen der Abgabenberechnung nach dem Erklärungssystem dazu angehalten werden, die erklärten Überwachungswerte einzuhalten oder sogar zu unterbieten. An die Unterschreitung und Überschreitung der erklärten Überwachungswerte sind deshalb positive oder negative abgabenrechtliche Folgen geknüpft (sog. „Bonus- Malus-System", vgl. etwa § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 AbwAG oder 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG oder § 9 Abs. 5 AbwAG). Die hiermit angestrebte Steuerungswirkung würde aber verfehlt, wenn der Einleiter die Überwachungswerte auch nachträglich erklären bzw. nachträglich entscheiden könnte, ob er sich die von einem Dritten erklärten Werte als eigene Erklärung zurechnen lässt oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2001 – BVerwG 11 C 3.00 – Juris Rn. 23), je nachdem, ob die Berücksichtigung des höchsten behördlichen Messergebnisses kostengünstiger ist, etwa weil es den erklärten Wert deutlich unterschreitet oder wegen eines Verrechnungsausschlusses nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG.

29

Fehlt es mithin für die Parameter Phosphor und Stickstoff sowohl an einem Überwachungswert nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG als auch an einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG, scheidet eine Bemessung der Abgabe auf der Grundlage eines heraberklärten Werts nach § 4 Abs. 5 AbwAG von vornherein aus. Denn die Anwendbarkeit der Norm ist an das Vorliegen eines – durch Bescheid festgelegten oder aber erklärten – Werts geknüpft. Mangelt es daran, kommt naturgemäß auch eine Erklärung geringerer Werte nach § 4 Abs. 5 AbwAG nicht in Betracht. Zwar wird in § 6 Abs. 2 AbwAG eine entsprechende Anwendung des § 4 Absätze 2 bis 5 AbwAG angeordnet. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die in Bezug genommenen Regelungen auf die verschiedenen Fälle des § 6 Abs. 1 AbwAG übertragen werden können. Dabei hat der Gesetzgeber in erster Linie an die Berücksichtigung bei den nach Satz 1 der Vorschrift erklärten Werten gedacht. Denn dadurch wird das Bescheidsystem simuliert. Dagegen ist im Falle des § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG mangels Anknüpfungspunkts für eine Heraberklärung eine solche nicht möglich (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 – BVerwG 9 C 4.01 – Juris Rn. 25 f.; Zöllner in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG und AbwAG, Stand: 09/2014, § 6 AbwAG Rn. 26 m.w.N.).

30

Demnach ist hinsichtlich des Parameters Phosphor auf das höchste Messergebnisses der behördlichen Überwachung im Veranlagungsjahr 2013 abzustellen, das mit 3,56 mg/l im Übrigen unter dem von der Stadt A-Stadt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Wert von 4 mg/l liegt. Für den Parameter Stickstoff war der Überwachungswert mangels eines behördlichen Messergebnisses im Veranlagungsjahr 2013 vom Beklagten zu schätzen. Der Beklagte hat insoweit den in der wasserrechtlichen Erlaubnis ab dem Jahr 2014 festgelegten Wert von 13 mg/l angenommen, der dem von der Stadt A-Stadt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Wert entspricht. Dagegen ist nichts zu erinnern.

31

Im Hinblick auf die im wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid festgelegte Jahresschmutzwassermenge von 500.000 m³ ergibt sich deshalb für die Parameter Phosphor und Stickstoff ein Abgabebetrag von 21.235,40 Euro (3,56 x 500.000 / 3.000 x 35,79 Euro) bzw. 9.305,40 Euro (13 x 500.000 / 25.000 x 35,79 Euro). Der Abgabenberechnung ist insoweit der volle Abgabesatz von 35,79 Euro/Schadeinheit (§ 9 Abs. 4 AbwAG) zugrunde zu legen, weil eine Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG an das Vorliegen eines im Bescheid festgelegten oder eines nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Überwachungswerts geknüpft ist.

32

Für den Parameter CSB – das ist zwischen den Beteiligten nunmehr unstreitig –errechnet sich unter Zugrundelegung des festgelegten Überwachungswerts von 90 mg/l und der Jahresschmutzwassermenge von 500.000 m³ sowie eines nach § 9 Abs. 5 AbwAG reduzierten Abgabesatzes ein Abgabebetrag von 16.105,50 Euro (90 x 500.000 / 50.000 x 35,79 / 2 Euro), so dass sich insgesamt der vom Beklagten zutreffend festgesetzte Betrag von 46.646,30 Euro ergibt.

33

2. Der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Abwasserabgabe kann die Klägerin Gründe der Unbilligkeit nicht entgegenhalten.

34

Ungeachtet des Umstands, dass das AG AbwAG auf die Regelung des § 163 AO nicht verweist und seit der Einführung des § 11a AG AbwAG durch das Gesetz zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften vom 21. März 2013 (GVBl. LSA S. 116) mit Wirkung vom 28. März 2013 eine ausdrückliche Regelung über Billigkeitsmaßnahmen enthält, die der analogen Anwendung der Regelungen der §§ 222, 227, 163 AO entgegensteht (Urteil der Kammer vom 25. März 2014 – 4 A 16/11 HAL – Juris Rn. 144 f.), handelt es sich bei einer Entscheidung über eine niedrigere Festsetzung der Abgabe aus Billigkeitsgründen um einen von der Festsetzung zu unterscheidenden und deren Rechtmäßigkeit unberührt lassenden Verwaltungsakt, der selbständig und mit der Verpflichtungsklage anzugreifen ist (vgl. auch BFH, Beschluss vom 23. März 1994 – I B 170/93 – Juris Rn. 3).

35

Ebenso wenig kann die Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Abgabenfestsetzungsbescheids einwenden, die Abgabe sei gemäß § 11a AG AbwAG zu erlassen. Auch der Erlass der Forderung aus Billigkeitsgründen betrifft eine von der Abgabenfestsetzung und dem damit verbundenen Zahlungsgebot zu unterscheidende selbständige und sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung und -erhebung auswirkende Entscheidung, die gegebenenfalls mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen ist.

36

Davon abgesehen hat die Klägerin keinen Anspruch auf teilweisen Erlass der Abgabe. Nach § 11a AG AbwAG kann die obere Wasserbehörde nach Maßgabe der Landeshaushaltsordnung des Landes Sachsen-Anhalt die Abgabe stunden, erlassen oder niederschlagen. Gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO dürfen Ansprüche nur erlassen werden, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falls für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

37

Eine besondere Härte in diesem Sinne setzt das Vorliegen einer sachlichen oder einer persönlichen Unbilligkeit voraus (Urteil der Kammer vom 25. März 2014 – 4 A 16/11 HAL – Juris Rn. 206). Die Erhebung Abwasserabgabe für das Jahre 2013 in dem zur Überprüfung gestellten Umfang begründet für die Klägerin jedoch weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit.

38

Persönliche Billigkeitsgründe können sich nur aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Abgabepflichtigen ergeben (BFH, Urteil vom 26. Mai 1994 – IV R 51/93 – Juris Rn. 14). Eine Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn die Erhebung der Abgabe die wirtschaftliche Existenz des Abgabepflichtigen vernichtet oder ernsthaft gefährdet würde (BFH, Urteil vom 29. April 1981 – IV R 23/78 – Juris Rn. 18). Derartiges wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Ihr Begehren ist auf Billigkeitsmaßnahmen aus sachlichen Gründen gerichtet.

39

Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Abgabe, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Abgabe als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Billigkeitsmaßnahmen sollen daher ein vom Gesetz gedecktes, aber vom Gesetzgeber nicht gewolltes Ergebnis vermeiden. Eine für den Abgabepflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH, Urteil vom 17. April 2013 – II R 13/11 – Juris Rn. 13). Sachliche Unbilligkeit verlangt demnach das Vorliegen eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestands über die mit Sinn und Zweck des Gesetzes zu vereinbarende Regelung hinaus, der deshalb auf das vom Gesetzgeber Gewollte zurückzuführen ist (VG Koblenz, Urteil vom 16. November 2009 – 3 K 1436/08.KO – Juris Rn. 28). Unter Anlegung dieses Maßstabs ist ein sachlicher Billigkeitsgrund für einen (teilweisen) Erlass der Abwasserabgabe für das Jahr 2013 nicht gegeben.

40

Dass der Beklagte die Klägerin nicht frühzeitig auf die Änderung des AG AbwAG im Dezember 2009 hingewiesen hatte, mit der die Abgabepflicht für das aus der öffentlichen Kanalisation eingeleitete Schmutzwasser von den Gemeinden auf die Einleiter übertragen wurde, lässt die Festsetzung der Abgabe für das Jahr 2013 (in Bezug auf die Parameter Phosphor und Stickstoff) gegenüber der Klägerin nach dem höchsten Messergebnis/dem geschätzten Überwachungswert bzw. dem ungekürzten Abgabesatz anstatt nach den Erklärungen der Stadt A-Stadt bzw. dem nach § 9 Abs. 5 AbwAG ermäßigten Abgabesatz, der bei Zugrundelegung der Erklärungen der Stadt A-Stadt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG einschlägig wäre, ebenso wenig als sachlich unbillig erscheinen wie die Umstände, dass der Beklagte die Erklärungen der Stadt A-Stadt über Jahre hinweg unbeanstandet hingenommen und zunächst seinen Entscheidungen zugrunde gelegt und die Abwasserabgaben nicht sogleich festgesetzt hatte.

41

Die Nichtberücksichtigung der Erklärungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG und daran anknüpfend die Nichtanwendung eines ermäßigten Abgabesatzes entspricht auch in diesem Fall dem vom Gesetzgeber Gewollten.

42

Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG eine Ausschlussfrist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 – BVerwG 9 C 4.01 – Juris Rn. 20) bestimmt, innerhalb derer eine Erklärung des Einleiters über die einzuhaltenden Werte vorliegen muss, um diese der Abgabenerhebung zugrunde legen zu können. Wie bereits ausgeführt, verfolgt er damit das Ziel, den Einleiter im Rahmen der Abgabenberechnung nach dem Erklärungssystem dazu anzuhalten, die erklärten Überwachungswerte einzuhalten oder sogar zu unterbieten. An die Unterschreitung und Überschreitung der erklärten Überwachungswerte sind deshalb positive oder negative abgabenrechtliche Folgen geknüpft (sog. „Bonus- Malus-System", vgl. etwa § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 AbwAG oder 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG oder § 9 Abs. 5 AbwAG). Die hiermit angestrebte Steuerungswirkung würde aber verfehlt, wenn der Einleiter, der – wie hier die Klägerin – eine rechtzeitige Erklärung nicht abgegeben hat und die Erklärung eines Dritten nicht gegen sich gelten lassen muss, die Überwachungswerte auch nachträglich erklären bzw. nachträglich entscheiden könnte, ob er sich die von einem Dritten erklärten Werte als eigene Erklärung zurechnen lässt oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2001 – BVerwG 11 C 3.00 – Juris Rn. 23).

43

Im Hinblick darauf entspricht es der Zielsetzung des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers, der Abgabenbemessung das höchste Messergebnis der behördlichen Überwachung bzw. eines geschätzten Überwachungswert und damit verbunden den vollen Abgabensatz auch dann zugrunde zu legen, wenn der Einleiter keine Kenntnis von seiner Erklärungspflicht hatte und ungeachtet der Verletzung behördlicher Hinweis- oder Tätigkeitspflichten.

44

II. Die von der Klägerin hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem gegen den Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) in Höhe eines Betrags von 13.958,10 Euro würde zwar wegen ihrer Wirkung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage (§ 389 BGB) im Falle ihrer Wirksamkeit zur Rechtswidrigkeit des Leistungsgebots unter Ziffer I.2. des angefochtenen Bescheids führen. Sie kann derzeit jedoch keine Berücksichtigung finden, da im Verwaltungsrechtsstreit die Aufrechnung mit einer Gegenforderung, für deren gerichtliche Geltendmachung ein anderer Rechtsweg gegeben ist, nur berücksichtigt werden kann, wenn – was hier nicht der Fall ist – die Gegenforderung rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder unbestritten ist (BVerwG, Beschluss vom 31. März 1993 – BVerwG 7 B 5.93 – Juris Rn. 3).

45

Für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Alternative 3 VwGO der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Nach dieser Gesetzesstelle ist für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg gegeben. Zwar entscheidet nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Doch bleiben nach § 17 Abs. 2 S. 2 GVG Art. 14 Abs. 3 S. 4 und Art. 34 S. 3 GG unberührt. Daraus folgt, dass die von diesen Bestimmungen erfassten Forderungen weiterhin allein vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden können (BVerwG, Beschluss vom 31. März 1993 – BVerwG 7 B 5.93 – Juris Rn. 3).

46

Demgemäß ist die Klage unter dem Vorbehalt der Entscheidung über die von der Klägerin erklärte Aufrechnung (§ 173 VwGO i.V.m. § 302 ZPO) abzuweisen.

47

Zugleich ist das Nachverfahren über die vorbehaltene Aufrechnung entsprechend den §§ 94, 173 VwGO i.V.m. den §§ 148, 151 ZPO auszusetzen und der Klägerin Gelegenheit zu geben, binnen drei Monaten nach Rechtskraft dieses Urteils vor dem zuständigen Zivilgericht Klage auf Feststellung zu erheben, dass ihr der behauptete Amtshaftungsanspruch gegen den Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnung zugestanden hat (BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1987 – BVerwG 3 C 22.86 – Juris Rn. 43). Sollte sich dabei ergeben, dass die Gegenforderung besteht, hätte im Nachverfahren die Aufhebung des Vorbehaltsurteils zu erfolgen.

48

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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