Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (2. Kammer) - 2 A 58/16

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem sanierungsrechtlichen Ablösebetrag durch die Beklagte.

2

Er ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße, Flur 12 Flurnummer 777/0000 in der Gemarkung Löbejün. Das Grundstück ist 2.291 m2 groß und mit mehreren Gebäuden bebaut. Es liegt im Geltungsbereich der mit Stadtratsbeschluss der Stadt Löbejün vom 12. Januar 1995 beschlossenen Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes Löbejün – Historischer Stadtkern in Gestalt der mit Stadtratsbeschluss vom 26. März 1998 beschlossenen und im Amtsblatt Nr. 92 vom Mai 1998 bekanntgemachten 2. Änderung, die mit Schreiben des Regierungspräsidiums Halle vom 30. März 1998 genehmigt wurde (nachfolgend: „Sanierungssatzung“).

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Danach umfasst das 17 Hektar große Sanierungsgebiet alle Grundstücke innerhalb des der Sanierungssatzung beigefügten Lageplans (vgl. Ziffer 4.1 BA-A), d.h. den historischen Stadtkern der Stadt Löbejün. In dem festgelegten Sanierungsgebiet lägen städtebauliche Missstände vor. Diese sollten durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen wesentlich verbessert und der Stadtkern umgestaltet werden. Das Sanierungsgebiet umfasst. Die Sanierung wird unter Anwendung der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 – 156 BauGB durchgeführt.

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Die Stadt Löbejün beauftragte im Hinblick auf die mit Ablauf des Jahres 2006 beabsichtigte Beendigung der Sanierung den Gutachterausschuss für Grundstückswerte für den Regionalbereich Saale-Unstrut beim Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt mit der Bestimmung der Bodenrichtwerte vor und nach der Sanierung auf den Stichtag 30. November 2005. Mit Beschluss vom 30. November 2005 legte der Gutachterausschuss unter Anwendung des so genannten Niedersächsischen Verfahrens einen Bodenrichtwert von 20,00 Euro je m2 vor und 23,50 Euro je m2 nach der Sanierung fest. Wegen der Einzelheiten der Wertermittlung wird auf die vorliegende Berechnung verwiesen (vgl. Bl. 45 – 47 d.A.).

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Im Löbejüner Amtsblatt vom 1. September 2006 (vgl. Ziffer 6.1 BA-A) kündigte die Beklagte an, weitere Sanierungsmaßnahmen in Löbejün durchführen zu wollen. Den Anwohnern des Sanierungsgebietes wurde weiterhin angekündigt, zu Sanierungsbeiträgen herangezogen zu werden, mit denen die sanierungsbedingte Werterhöhung der Grundstücke Berücksichtigung finden sollten. Wegen der weiteren Einzelheiten wurde zu einer Informationsveranstaltung am 8. September 2006 eingeladen. Bei der Informationsveranstaltung, an der auch der Vater des Klägers und damalige Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks teilnahm, wurden den Bürgern Löbejüns die ermittelten Bodenrichtwerte vorgestellt und entsprechende Fragen beantwortet. Die Beklagte eröffnete den damaligen Grundstückseigentümern die Möglichkeit, den Sanierungsbeitrag vorzeitig, im Wege des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrages und mit einem Abschlag von 10 % begleichen zu können (vgl. zu den Einzelheiten der Informationsveranstaltung Bl. 54 d.A.).

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Mit Schreiben vom 25. September 2006 bot die Verwaltungsgemeinschaft Saalkreis-Nord, die Rechtsvorgängerin der Beklagten, den Eltern des Klägers als damaligen Grundstückseigentümern den Abschluss einer Vereinbarung zur Ablösung des Sanierungsbeitrages an. Diese nahmen das Angebot nicht an.

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Mit Bescheid über die vorzeitige Ablösung des Ausgleichsbetrags vom 18. Mai 2015 setzte die Beklagte für das Grundstück des Klägers einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 1.820,00 Euro fest. Zur Begründung führte sie aus, dass mit Beschluss des Stadtrates vom 28. September 2011 der Sanierungszeitraum mit Ablauf des 31. Dezember 2016 ende, eine vorzeitige Ablösung mithin statthaft sei. Im Falle des Klägers komme bei der Beitragserhebung eine Kappungsgrenze von 520 m2 zur Anwendung. Die Kappungsgrenze ergebe sich aus der analogen Anwendung der Regelungen zum Straßenausbaubeitragsrecht für übergroße Grundstücke.

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Mit Schreiben vom 18. Juli 2015 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass es kein Gutachten zur Ermittlung des Bodenrichtwertes gebe. Ferner habe er keinen Antrag auf Festsetzung des Beitrages vor Abschluss der Sanierung bei der Beklagten gestellt. Außerdem sei es zweifelhaft, ob das Sanierungsziel bis zum 31. Dezember 2016 und damit eine Wertverbesserung erreicht werde.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ihre Entscheidung begründete sie damit, dass der Sanierungsbeitrag rechtmäßig festgesetzt sei. Das vom Kläger in Zweifel gezogene Gutachten existiere. Die Regelung des § 154 Abs. 3 BauGB räume der Beklagten einen Ermessensspielraum ein, ob sie den Sanierungsbeitrag vor oder nach dem Ende der Sanierung erhebe. Hier habe die Beklagte von einer Beitragsfestsetzung vor Beendigung der Sanierung Gebrauch gemacht. Grund für die vorzeitige Festsetzung des Beitrages sei, dass alle Ausgleichsbeträge, die nach förmlicher Beendigung der Sanierung festgesetzt würden an das Land abgeführt werden müssten und deswegen nicht mehr der Beklagten für die durchgeführten bzw. noch durchzuführenden Sanierungsarbeiten zur Verfügung stünden. Die Sanierungsmaßnahmen im öffentlichen Raum seien außerdem tatsächlich beendet. Die Höhe der dadurch bedingten Wertschöpfung ergebe sich aus den Feststellungen des Gutachterausschusses mit Festschreibung des Endwertes. Eine Wertverbesserung sei daher bereits eingetreten. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 20. Februar 2016 zugestellt.

10

Dagegen hat der Kläger vor dem erkennenden Verwaltungsgericht am 11. März 2016 Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruch. Dazu führt er aus, dass es sich bei der Wertermittlung des Gutachterausschusses für Grundstückswerte für den Regionalbereich Saale-Unstrut des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt um eine Art von Prognose handele. Ein Gutachten mit Gutachtennummer, aus dem sich die relevanten Maßnahmen oder Gründe für eine Werterhöhung nachvollziehen ließen, gebe es nicht. Aus der Bodenrichtwerttabelle von 2006 und 2014 ergebe sich ebenfalls keine Wertsteigerung. Zu Beginn der Sanierungsmaßnahmen 2006 habe der Bodenrichtwert ebenfalls bereits bei 23,50 Euro gelegen. Außerdem hätten nur 10% bis 15 % der Grundstückseigentümer im Sanierungsgebiet einen Bescheid über die Erhebung eines Beitrages erhalten. Der Rest der Grundstückseigentümer habe rechtswidrigerweise entgegen dem Gesetz wegen einer Vereinbarung weniger gezahlt.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2016 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, dass sie den Gutachterausschuss zur Ermittlung der Bodenrichtwerte angerufen und dieser die Bodenrichtwerte gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen ermittelt habe. Aus den vorgelegten Karten ergebe sich die Differenz der Bodenrichtwerte auf den 30. November 2005. Die Sanierungsarbeiten liefen bereits seit 1992. Insbesondere in den Jahren 2005 bis 2007 habe es umfangreiche Straßenausbaumaßnahmen gegeben. Die seit 1993 eingetretene Wertverbesserung sei durch die Erhöhung der Bodenrichtwerte zutreffend abgebildet. Wegen der genauen Kriterien sei der Kläger auf den Gutachterausschuss zu verweisen. Der Bodenrichtwert seines Grundstücks weiche auch nicht derartig vom ermittelten Bodenrichtwert ab, dass ein Einzelgutachten zu veranlassen gewesen wäre. Außerdem bestehe auch vor dem Hintergrund der Anwendung einer Kappungsgrenze auf das klägerische Grundstück das Risiko, dass er im Falle eines Einzelgutachtens einen höheren sanierungsrechtlichen Ablösebeitrag zu zahlen habe.

16

Die Grundstückseigentümer seien auch angehört und über die Erhöhung des Bodenrichtwertes informiert worden. Da der Kläger den Eigentümerwechsel am hier streitgegenständlichen Grundstück nicht gemäß §§ 144, 145 BauGB der Beklagten angezeigt habe, habe sie ihn auch nicht adäquat informieren können.

17

Bescheide über den sanierungsrechtlichen Ablösebetrag seien nur gegenüber Grundstückseigentümern ergangen, die sich dem bereits 2006 vorgeschlagenen Vorgehen der freiwilligen Ablöse nicht angeschlossen hätten. Der damals gewährte Abschlag sei vom Stadtrat der Stadt Löbejün am 24. März 2006 beschlossen und mit Schreiben vom 18. Juli 2006 vom Ministerium für Bau und Verkehr Sachsen-Anhalt bewilligt worden. Der Abschlag ergebe sich aus der Abzinsung der jeweils zu zahlenden Beträge. Insgesamt hätten 92,58 % der Grundstückseigentümer die freiwillige Ablösung gewählt. Auch den Eltern des Klägers als damalige Eigentümer des hier streitgegenständlichen Grundstücks sei die freiwillige Ablöse angeboten worden. Ein Bescheid sei hierüber nicht erteilt worden.

18

Die Sanierung schreite sukzessive fort. Lediglich einige Maßnahmen an öffentlichen Plätzen und Stützmauern seien noch nicht beendet. Die vorzeitige Ablösung des Sanierungsbeitrages sei auch geboten gewesen, um beantragte Fördermittel für das Sanierungsgebiet einsetzen zu können.

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Sofern der Ausgleichsbetrag noch nicht endgültig entstanden sei, enthalte der Bescheid vom 18. Mai 2015 die Festsetzung einer Vorausleistung gemäß § 154 Abs. 6 BauGB; hilfsweise sei er in einen Vorausleistungsbescheid umzudeuten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

22

Sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Seinen rechtlichen Anknüpfungspunkt findet der angefochtene Bescheid in § 154 Abs. 4 BauGB – gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 BauGB in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2006, BGBl. I S. 3316. Danach hat der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, welcher der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks entspricht (Abs. 1 Satz 1). Die Werterhöhung besteht aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre – Anfangswert –, und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets ergibt – Endwert – (Abs. 2).

24

Nach dieser Vorschrift fordert die Gemeinde den Ausgleichsbetrag durch Bescheid an. Der Ausgleichsbetrag ist nach § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB nach Abschluss der Sanierung zu entrichten und auch erst dann entstanden. Unter der Wortgruppe "Abschluss der Sanierung" versteht man den rechtsförmlichen Abschluss der Sanierung. Rechtsförmlich abgeschlossen ist die Sanierung im vorgenannten Sinn, wenn die Sanierungssatzung durch Beschluss der Gemeinde gemäß § 162 BauGB aufgehoben wird oder einzelne Grundstücke durch einen Verwaltungsakt – eine so genannte Abgeschlossenheitserklärung der Gemeinde nach § 163 BauGB – aus dem Sanierungsgebiet entlassen werden (vgl. Kleiber in Fieseler/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB 127. Ergänzungslieferung, Oktober 2017, § 154 Rn. 156). Die Ausgleichsbetragspflicht entsteht auch dann erst mit dem rechtlichen bzw. förmlichen Abschluss der Sanierung, wenn es die Gemeinde pflichtwidrig unterlassen hat, die Sanierung bzw. Entwicklungsmaßnahme abzuschließen, obwohl die Maßnahme tatsächlich schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte förmlich abgeschlossen werden müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 – 4 C 11.13 –, juris).

25

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Sanierung ist ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht abgeschlossen. Weder wurde die Sanierungssatzung aufgehoben, noch wurde die Sanierung tatsächlich abgeschlossen, noch wurde das Grundstück des Klägers durch Verwaltungsakt aus dem Sanierungsgebiet entlassen.

26

In dem Beschluss des Stadtrates der Beklagten vom 28. September 2011, wonach der Sanierungszeitraum mit Ablauf des 31. Dezember 2016 enden soll, vermag die Kammer auch keine Aufhebung der Sanierungssatzung im Sinne des § 162 BauGB zu erkennen. Zum einen ist schon nach dem Wortlaut nicht erkennbar, dass mit diesem Stadtratsbeschluss auch die Aufhebung der Sanierungssatzung verbunden sein sollte. Vielmehr sollte danach nur ein Endzeitpunkt der Sanierungsmaßnahmen und -bemühungen gemäß § 142 Abs. 3 Satz 3 und 4 BauGB festgelegt werden. Zum anderen dürfte dem Beschluss die nach § 162 Abs. 2 Satz 1 BauGB notwendige Satzungsqualität sowie die ortsübliche Bekanntmachung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 BauGB fehlen.

27

Die Beklagte hat in Bezug auf das Grundstück des Klägers auch nicht gemäß § 163 Abs. 2 BauGB vor Beendigung der Sanierungsmaßnahme durch Verwaltungsakt den Abschluss der Sanierungsmaßnahme ausgesprochen und das Grundstück damit aus dem Sanierungsgebiet entlassen. Ein auf diese Rechtswirkung gerichteter Verwaltungsakt der Beklagten liegt dem Gericht nicht vor. Insbesondere kann er auch nicht in den streitgegenständlichen Beitragsbescheid hineingedeutet werden. Denn insoweit ist nach dem objektiven Erklärungswert des Bescheides nicht erkennbar, dass die Beklagte auch die Entlassung des klägerischen Grundstücks aus dem Sanierungsgebiet regeln wollte.

28

In der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beklagte auch, bisher weder die Sanierung tatsächlich abgeschlossen, noch die Sanierungssatzung aufgehoben, noch das klägerische Grundstück aus dem Sanierungsgebiet entlassen zu haben.

29

Ein Fall der Ablösung des Ausgleichsbetrages gemäß § 154 Abs. 3 Satz 2 BauGB liegt ebenfalls nicht vor. Danach kann die Gemeinde die Ablösung im Ganzen vor Abschluss der Sanierung zulassen. Dabei gilt es aber zu beachten, dass die Ablösung nach § 154 Abs. 3 Satz 2 BauGB freiwillig ist und deshalb nur durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag erfolgen kann (vgl. Kleiber in Fieseler/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB 127. Ergänzungslieferung, Oktober 2017, § 154 Rn. 183). Der Kläger hat ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen keine Ablösevereinbarung mit der Beklagten geschlossen, mithin fehlt es an der freiwilligen Ablösung im Sinne der Vorschrift. Dass der Kläger die im Jahr 2006 angebotene Vereinbarung über die Ablösung des Sanierungsbetrages mit der Beklagten nicht abgeschlossen hat, führt auch nicht dazu, auf die Ablösevereinbarung in der Zukunft verzichten zu können.

30

Ein Fall der vorzeitigen Festsetzung des Ausgleichsbetrages nach § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist hier ebenfalls nicht gegeben. Danach soll die Gemeinde auf Antrag des Ausgleichspflichtigen den Ausgleichsbeitrag vorzeitig festsetzen, wenn der Ausgleichspflichtige an der vorzeitigen Festsetzung ein berechtigtes Interesse hat und der Ausgleichsbeitrag mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann. Im Unterschied zur Ablösung des Ausgleichsbetrages nach Satz 2, die des Einvernehmens der Gemeinde bedarf, besteht nach Satz 3 demnach lediglich ein Antragsrecht des Grundstückseigentümers – also des Klägers – auf Festsetzung des Ausgleichsbetrags vor Abschluss der Sanierung nach §§ 162, 163 BauGB. A. als die Beklagte meint, berechtigt § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB sie schon nach dem Wortlaut nicht zur einseitigen Erhebung von Sanierungsbeiträgen vor dem rechtsförmlichen Abschluss der Sanierung im Wege des Erlasses eines Beitragsbescheides. Einen Antrag auf vorzeitige Ablösung hat der Kläger, worauf er zutreffend hinweist, nicht gestellt. Eine Ablösung auf der Grundlage des § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB scheidet daher hier ebenfalls aus.

31

Der Bescheid vom 18. Mai 2015 enthält auch nicht die Festsetzung einer Vorausleistung gemäß § 154 Abs. 6 BauGB. Gemäß § 154 Abs. 6 BauGB kann die Gemeinde von den Eigentümern auf den nach Absätzen 1 bis 4 zu entrichtenden Ausgleichsbetrag Vorauszahlungen verlangen, sobald auf dem Grundstück eine den Zielen und Zwecken der Sanierung entsprechende Bebauung oder sonstige Nutzung zulässig ist. Die Erhebung einer solchen Vorausleistung war nach dem objektiven Erklärungswert des streitgegenständlichen Bescheides vom 18. Mai 2015 nicht das Ziel der Beklagten. So stützt sie ihre damalige Entscheidung ausschließlich auf § 154 Abs. 3 Satz 2 BauGB und geht rechtsirrtümlich davon aus, den abschließenden Ausgleichsbetrag bereits vor Abschluss der Sanierung erheben zu können. Greifbare Anhaltspunkte, dass die Beklagte hier auf das Vorfinanzierungsinstrument des § 154 Abs. 6 BauGB zurückgreifen wollte, sind nicht ersichtlich. Auch im Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 finden sich keine Hinweise auf die Erhebung einer Vorausleistung. Vielmehr führt die Beklagte aus, dass ihr in § 154 Abs. 3 BauGB ein Ermessen über die Frage der Erhebung des Ausgleichsbetrages vor Abschluss der Sanierung eingeräumt werde. Dort ist auch von einer vorzeitigen Ablösung die Rede, was nicht den Eindruck erweckt, dass irgendwann noch eine Endabrechnung des Ausgleichsbetrages erfolgen wird. Das von der Beklagten in § 154 Abs. 3 BauGB angenommene Ermessen übt sie dann auch nach ihrer Auffassung im Hinblick auf die Rechtsgrundlage der Erhebung des endgültigen Ablösebetrages aus.

32

Auch eine Umdeutung des Bescheides vom 18. Mai 2015 gemäß §§ 47 Abs. 3 VwVfG, 128 Abs. 3 AO in einen Vorausleistungsbescheid gemäß § 154 Abs. 6 BauGB kommt nicht in Betracht.

33

Grundsätzlich können rechtswidrige Verwaltungsakte nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 140 BGB unter bestimmten Voraussetzungen in eine wirksame Regelung umgedeutet werden (vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 16. Auflage 2015, § 47 Rn. 1; Pautsch in Pautsch/Hoffmann, Kommentar zum VwVfG, 2016, § 47 Rn. 7, juris).

34

Einer solchen Umdeutung steht hier aber zum einen § 47 Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA entgegen, der die Umdeutung von gebundenen Entscheidungen in Ermessensentscheidungen ausschließt (vgl. für die Umdeutung eines Bescheides über die Leistung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrages in einen Haftungsbescheid OVG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 18. Juni 2015 – OVG 2 B 4.13 –, juris, Rn. 32. und für die Umdeutung eines Erschließungsbeitragsbescheides in einen Bescheid über Vorausleistungen VG Augsburg, Urteil vom 29. Februar 2006 – 2 K 04.1745. – juris Rn. 24). Hintergrund dieser Regelung ist, dass das Erfordernis der Betätigung des Ermessens durch die Umdeutung nicht umgangen werden soll (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 47 Rn. 28). Danach kann eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden, weil Ermessensentscheidungen voraussetzen, dass die Behörde sich ihres Ermessensspielraums bewusst war und ihr Ermessen ausgeübt hat (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, 142. Lieferung 2015, § 128 Rn. 7a). Bei der antragsunabhängigen Erhebung des sanierungsrechtlichen Ablösebetrages gemäß § 154 Abs. 1, 3 Satz 1 und Abs. 4 BauGB handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (vgl. auch OVG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 18. Juni 2015, a.a.O., Rn. 32). So heißt es wörtlich:

35

"Der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks hat zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, …

36

[…]

37

Der Ausgleichsbetrag ist nach Abschluss der Sanierung […] zu entrichten.

38

[…]

39

Die Gemeinde fordert den Ausgleichsbetrag durch Bescheid an; der Betrag wird einen Monat nach der Bekanntgabe des Bescheides fällig."

40

Bei der Erhebung von Vorausleistungen gemäß § 154 Abs. 6 BauGB ist der Beklagten dagegen ein Ermessen eingeräumt. So heißt es dort wörtlich: "Die Gemeinde kann von den Eigentümern […] Vorauszahlungen verlangen […].". Dieses Ermessen hat die Beklagte bei Erlass ihres Bescheides vom 18. Mai 2015 nicht ausgeübt, noch hätte sie es ausüben können, da sie ihren Bescheid ausdrücklich auf § 154 Abs. 3 BauGB stützte und nicht von einer Vorauszahlung, sondern einer vorzeitigen Ablösung ausging.

41

Zum anderen können, sofern man mit der Beklagten davon ausginge, dass sie bei der Anwendung von § 154 Abs. 3 BauGB das ihr in Satz 3 eingeräumte Ermessen zumindest im Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 ausgeübt habe, diese Ermessenserwägungen nicht herangezogen werden, um den Bescheid vom 18. Mai 2015 in einen Vorausleistungsbescheid gemäß § 154 Abs. 6 VwGO umzudeuten. Denn die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen zu § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB sind nicht geeignet, einen Bescheid nach § 154 Abs. 6 VwGO zu tragen. Gemäß § 40 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben. Das bedeutet, dass die zu treffende Entscheidung ihre Rechtfertigung in den Zwecken des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1981 – 1 C 145.80 –, juris Rn. 15; Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 16. Auflage 2015, § 40 Rn. 73). Das ist vorliegend nicht der Fall.

42

Der Zweck von § 154 Abs. 3 BauGB ist die endgültige Abschöpfung der Wertsteigerung eines Grundstücks durch eine Sanierung der Umgebung vor deren offiziellen Abschluss. Dagegen ist der Zweck von § 154 Abs. 6 BauGB die Erhebung von Vorausleistungen zur Vorfinanzierung bestimmter Sanierungsmaßnahmen unter dem Vorbehalt einer endgültigen Abrechnung und Abschöpfung der tatsächlichen Wertsteigerung. Zwar hat die Beklagte hier zumindest im Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen angestellt, wenn sie ausführt, dass § 154 Abs. 3 BauGB ihr ein Ermessen bzgl. der Ablösung des Sanierungsbetrages einräumt. Dabei stellt sie aber schon nach dem Wortlaut ihrer Begründung auf die endgültige Ablösung und nicht auf eine bloß "vorläufige" Vorfinanzierung ab. Ferner führt sie in ihren Ermessenserwägungen weiter im Sinne des § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB aus, dass die Werterhöhung bereits mit hinreichender Sicherheit ermittelbar und durch den Gutachterausschuss festgestellt sei. Daran wird hinreichend deutlich, dass es der Beklagten beim Erlass ihres Bescheides und auch im Widerspruchsbescheid nicht um die Ausübung des in § 154 Abs. 6 BauGB eingeräumten Ermessens, sondern allenfalls um die Ausübung des in § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB eingeräumten Ermessens gegangen ist. Dabei handelt es sich, wie ausgeführt, um zwei von ihrer Zielrichtung völlig verschiedene Aspekte des sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrages, nämlich zum einen dessen endgültige Erhebung und zum anderen der Vorfinanzierung noch vorzunehmender Maßnahmen. Die von der Beklagten ausgeübten Ermessenserwägungen im Hinblick auf § 154 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BauGB sind indes vom Gesetz so nicht vorgesehen. Denn – wie oben ausgeführt – sehen diese Ermessensvorschriften entweder einen Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages ("Ablösung") oder eine auf Antrag des Ausgleichsbetragspflichtigen "vorzeitige Festsetzung" voraus. Ein Ermessen dahin, dass die Gemeinde ohne oder gegen den Willen des Ausgleichsbetragspflichtigen einseitig einen "Ablösebetrag" endgültig "festsetzen" darf, sehen diese Vorschriften gerade nicht vor. Insoweit ist die Gemeinde auf das Vorfinanzierungsinstitut der Vorausleistung nach § 154 Abs. 6 BauGB angewiesen. Dies war aber – ausdrücklich – von der Beklagten nicht gewollt. Insoweit vermag dieser Rechtsanwendungsfehler nach Überzeugung des Gerichts nicht nachträglich durch eine Umdeutung im gerichtlichen Verfahren geheilt werden. Ermessenserwägungen zur Erhebung einer Vorausleistung konnten also nicht erstmalig im Gerichtsverfahren nachgeholt werden, § 114 VwGO. Fehlt es hier demnach an Ermessenserwägungen, die am Zweck des Gesetzes, nämlich der Anforderung von Vorausleistungen als Vorfinanzierungsinstrument, ausgerichtet sind, scheidet eine entsprechende Umdeutung des Bescheides nach Überzeugung der Kammer aus.

43

Da die Klage in der Sache Erfolg hat, waren die Kosten der Beklagten aufzuerlegen, § 154 Abs. 1 VwGO.

44

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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