Urteil vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 4 K 5339/20

Tenor

1. Die Verfügung des Landratsamtes Karlsruhe vom 07.10.2020 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.12.2020 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger, ein am XXX1990 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, verließ sein Heimatland – nach eigenen Angaben – im Juni 2016 und reiste über Niger, Libyen und Italien am 17.06.2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In Italien hatte sich der Kläger – ebenfalls nach eigenen Angaben – ca. zehn Monate aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Im Zeitpunkt seiner Einreise verfügte er über kein Visum, seinen Reisepass hatte er – seinen Angaben zufolge – in Nigeria zurückgelassen.
Am 28.06.2018 stellte der Kläger einen Asylantrag, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 20.07.2018 im Dublin-Verfahren als unzulässig abgelehnt wurde. Zugleich wurde die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet. Den hiergegen gerichteten Eilantrag des Klägers lehnte das VG Stuttgart mit Beschluss vom 31.08.2018 im Verfahren A 1 K XXX ab.
Eine auf den 10.01.2019 terminierte Abschiebung des Klägers konnte nicht durchgeführt werden, da dieser nicht angetroffen wurde.
Nachdem die Frist für eine Überstellung des Klägers nach Italien abgelaufen war, hob das Bundesamt seinen Bescheid vom 20.07.2018 auf. Das Klageverfahren – A 1 K XXX – wurde durch Beschluss des VG Stuttgart vom 12.08.2019 nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt.
Da das Bundesamt anschließend ein nationales Asylverfahren für den Kläger durchführte, erteilte es ihm am 11.03.2019 eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens.
Unter dem 28.03.2019 erging ein Strafbefehl des AG Ellwangen gegen den Kläger wegen unerlaubter Einreise, mit dem gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen à 8,00 Euro verhängt wurde.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 19.09.2019 als unbegründet ab, stellte fest, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorlägen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria an. Er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage beim VG Karlsruhe im Verfahren A 4 K XXX, nahm diese jedoch am 28.02.2020 zurück. Daraufhin wurde das Klageverfahren mit Beschluss vom 04.03.2020 eingestellt.
Der Kläger teilte dem Landratsamt Karlsruhe unter dem 18.12.2019 mit, dass seine Lebensgefährtin, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitze und in Wiesbaden lebe, ein Kind von ihm erwarte. Gleichzeitig legte er eine beglaubigte Abschrift der vom Amt für Soziale Arbeit der Stadt Wiesbaden am 19.09.2019 erteilten Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft und die Erklärung der gemeinsamen elterlichen Sorge vor.
10 
Am 23.12.2019 wurde der Sohn des Klägers in Wiesbaden geboren. Dieser besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.
11 
Am 16.01.2020 beantragte der Kläger erstmals die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 27.02.2020 (Eingang beim Landratsamt Karlsruhe) reichte er das ausgefüllte Antragsformular, die Kopie eines am 01.03.2017 ausgestellten nigerianischen Reisepasses mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 28.02.2022 sowie einen beglaubigten Abdruck aus dem Geburtenregister der Stadt Wiesbaden bzgl. der Geburt seines Sohnes nach. Im Antragsformular hatte der Kläger bei der Frage nach Vorstrafen im Bundesgebiet „nein“ angekreuzt.
12 
Am 24.03.2020 wurde dem Kläger eine bis zum 22.09.2020 befristete Duldung wegen fehlender Reisedokumente ausgestellt, nachdem er zuvor aufgefordert worden war, seinen Reisepass bei der Ausländerbehörde abzugeben. Die Duldung wurde mit einer Wohnsitzauflage versehen, wonach der Kläger verpflichtet war, in einer Gemeinschaftsunterkunft in Oberhausen zu wohnen.
13 
Am 26.03.2020 erhielt die Ausländerbehörde eine Mitteilung der Lebensgefährtin des Klägers, wonach ein regelmäßiger Umgang mit seinem Sohn stattfinde. Dieser erfolge, da eine familiäre Lebensgemeinschaft noch nicht bestehe, in Form von Besuchen an jedem Wochenende von Freitag bis Montag sowie täglich in Form eines Videoanrufs. Unterhaltszahlungen leiste der Kindsvater nicht. Die Lebensgefährtin reichte zudem eine Kopie ihres deutschen Personalausweises zu den Akten.
14 
Am 07.04.2020 ging beim Landratsamt Karlsruhe nochmals ein vom Kläger unterschriebenes Formular des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ein. Auch dort wurde die Frage nach im Bundesgebiet verhängten Vorstrafen mit „nein“ beantwortet.
15 
Am 22.04.2020 ging der nigerianische Reisepass des Klägers beim Landratsamt Karlsruhe ein.
16 
Am 11.09.2020 wurde die Duldung des Klägers bis zum 10.12.2020 verlängert.
17 
Mit Schreiben vom 21.09.2020 hörte das Landratsamt Karlsruhe den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an.
18 
Der Kläger teilte unter dem 29.09.2020 mit, dass er noch nicht mit seiner Partnerin sowie seinem Sohn zusammenleben könne. Er habe in der kommenden Woche seine Deutschprüfung.
19 
Mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 07.10.2020 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen hinsichtlich einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem minderjährigen ledigen Deutschen erfülle. Jedoch stehe das sog. Titelerteilungsverbot der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen. Aufgrund der unerlaubten Einreise des Klägers sei ein Ausweisungsinteresse gegeben. Zudem habe der Kläger im Antragsformular falsche Angaben gemacht, indem er den ergangenen Strafbefehl bei der Frage nach dem Vorhandensein von Vorstrafen nicht erwähnt habe. Darüber hinaus gehöre die Einreise mit dem erforderlichen Visum ebenfalls zu den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis. An dieser fehle es vorliegend. Der Kläger sei auch nicht berechtigt, den Aufenthaltstitel ausnahmsweise im Bundesgebiet einzuholen, ohne das Visumverfahren durchzuführen. Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme seien nicht gegeben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen sei hilfsweise geprüft worden, diese komme jedoch nicht in Betracht, da die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des familienbezogenen Aufenthaltstitels nicht umgangen werden dürften. Die Nachholung des Visumverfahrens sei im Falle des Klägers nicht unzumutbar. Er lebe derzeit nicht in familiärer Gemeinschaft mit seinem neun Monate alten Sohn und könne auch vom Ausland aus Videoanrufe tätigen. Der Kläger habe schließlich keinen Anspruch auf die Ausstellung einer Bescheinigung zum Nachweis eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.
20 
Die Verfügung wurde dem Kläger am 08.10.2020 zugestellt.
21 
Am 21.10.2020 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Verfügung.
22 
Am 22.10.2020 wurde dem Kläger eine bis zum 21.10.2021 befristete Duldung aus familiären Gründen erteilt, die in der Folgezeit verlängert wurde und derzeit bis 18.10.2022 gilt.
23 
Mit Bescheid vom 08.12.2020 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch des Klägers zurück. Die Begründung entsprach im Wesentlichen derjenigen der Verfügung des Landratsamts Karlsruhe vom 07.10.2020. Ergänzend wurde ausgeführt, dass die Wartezeit für einen Termin zur Beantragung eines Visums in Nigeria zwar ca. 12 Monate betrage, jedoch werde das Visum nach der Antragstellung innerhalb von drei bis vier Wochen ausgestellt, sofern eine Vorabzustimmung erfolge. Eine solche Vorabzustimmung könne dem Kläger durch die Ausländerbehörde erteilt werden. Da er einen Termin über die Online-Terminreservierung der Deutschen Botschaft in Lagos/Nigeria von Deutschland aus buchen könne, sei von einer tatsächlichen Trennungsdauer von lediglich vier bis fünf Wochen auszugehen. Dies sei nicht unzumutbar. Die illegale Einreise dürfe nicht mit einem Verzicht auf das Visumverfahren „honoriert“ werden.
24 
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 11.12.2020 zugestellt.
25 
Am 09.12.2020 war dem Kläger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet worden.
26 
Der Kläger hat am 28.12.2020 Klage erhoben. Er macht geltend, dass der Beklagte keinen Ermessensspielraum habe, sondern ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilen müsse, da er Vater eines deutschen Kindes sei. Seinen nigerianischen Reisepass habe er im Januar 2020 von seiner Schwester erhalten, die ihm diesen zugeschickt habe.
27 
Er beantragt,
28 
die Verfügung des Landratsamts Karlsruhe vom 07.10.2020 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.12.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
29 
Der Beklagte beantragt,
30 
die Klage abzuweisen.
31 
Er beruft sich darauf, dass der Kläger sich weder mit den Gründen der Verfügung vom 07.10.2020 noch mit denjenigen des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 auseinandergesetzt habe. Es bleibe dabei, dass ihm keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne.
32 
Nachdem der Kläger am 03.03.2021 nach Rheinstetten verzogen war, erteilte die Stadt Rheinstetten am 08.03.2021 ihre Zustimmung zu einer Fortführung des Verfahrens durch das Landratsamt Karlsruhe. Am 21.12.2021 zog der Kläger nach Wiesbaden um. Die Stadt Wiesbaden stimmte unter dem 09.05.2022 der Fortführung des Verfahrens durch das Landratsamt Karlsruhe zu.
33 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die dem Gericht vorliegenden Akten des Landratsamts Karlsruhe sowie des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Akte des Asylverfahrens des Klägers einschließlich der Bundesamtsakte und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.06.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

34 
Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist.
35 
Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte ist passivlegitimiert (I.) und dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu (II.).
I.
36 
Trotz der beiden nach Klageerhebung erfolgten Umzüge des Klägers – zunächst nach Rheinstetten sowie anschließend zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn nach Wiesbaden – ist der Beklagte weiterhin gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO passivlegitimiert.
37 
Zwar ist nach § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 1. Hs. AAZuVO diejenige Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer gewöhnlich aufhält. Durch die Umverteilung des Klägers und dessen Umzug am 19.02.2021 nach Rheinstetten und am 21.12.2021 nach Wiesbaden wäre daher die ausländerrechtliche Zuständigkeit zunächst auf die Stadt Rheinstetten und zuletzt auf die Stadt Wiesbaden übergegangen.
38 
Ändern sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände, kann nach § 3 Abs. 3 LVwVfG die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Ist bereits ein Gerichtsverfahren anhängig, so ist hinsichtlich der Frage, ob ein „laufendes“ Verwaltungsverfahren vorliegt, danach zu differenzieren, ob es sich um eine Anfechtungs- oder eine Verpflichtungsklage handelt. Geht es – wie vorliegend – um ein Verpflichtungsbegehren, so findet das Verwaltungsverfahren erst dann seinen Abschluss, wenn über das Begehren rechtskräftig entschieden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.05.1995 – 1 C 7.94 –, NVwZ 1995, 1131 <1132> = beck online m.w.N.).
39 
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 LVwVfG lagen sowohl im Anschluss an den Umzug des Klägers nach Rheinstetten als auch im Anschluss an dessen Umverteilung nach Wiesbaden vor.
40 
Es dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens, wenn der Beklagte, der im Falle des Klägers die Ermittlungen durchgeführt und auf deren Grundlage über die Erteilungsvoraussetzungen entschieden hat, das Verfahren fortführt (vgl. zum Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis: BVerwG, Urteil vom 24.05.1995, a.a.O.). Auch die erforderlichen Zustimmungen wurden jeweils erteilt.
41 
Nach alledem ist das Landratsamt Karlsruhe nach wie vor für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger zuständig und der Beklagte passivlegitimiert.
II.
42 
Die Versagung eines Aufenthaltstitels ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
43 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz                     (BVerwG, Urteil vom 15.08.2019 – 1 C 23.18 –, juris Rn. 12). Zugrundezulegen ist daher das AufenthG i.d.F. des Art. 4a des Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und weiterer Gesetze vom 23.05.2022, BGBl. I S. 760.
44 
Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG (1.). Allerdings ist der Beklagte verpflichtet, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen (2.).
1.
45 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem minderjährigen deutschen Sohn.
46 
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG ist u.a. zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
a.
47 
Bei dem am 23.12.2019 geborenen Sohn des Klägers handelt es sich um einen minderjährigen und ledigen deutschen Staatsangehörigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Da die Kindsmutter – die Lebensgefährtin des Klägers –Deutsche ist, ergibt sich die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes aus § 4 Abs. 1 S. 1 StAG. Der Kläger übt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht aus. Die entsprechende Erklärung wurde bereits vor der Geburt des Kindes beurkundet. Zwischenzeitlich besteht – seit Dezember 2021 – auch unzweifelhaft eine familiäre Lebensgemeinschaft.
b.
48 
Dem Anspruch des Klägers nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG steht indes die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG entgegen.
49 
Nach § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde zwischenzeitlich unanfechtbar abgelehnt, nachdem er seine gegen den Bundesamtsbescheid vom 19.09.2019 gerichtete Klage zurückgenommen hat.
50 
Gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG findet § 10 Abs. 3 S. 1 und 2 AufenthG keine Anwendung, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Unter einem Anspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG ist nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und voraussetzt, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsmerkmale eines Aufenthaltstitels erfüllt sind (vgl. BVerwG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 26.05.2020 – 1 C 12.19 – ZAR 2021, 30 <33> = beck online Rn. 53 m.w.N.; dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.07.2018 – 11 S 1224/18 –, AuAS 2018, 182ff = juris Rn. 23). Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen „auf Null“ reduziert ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.12.2014 – 1 C 15.14 –, juris Rn. 19 zu § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, vom 17.12.2015 – 1 C 31.14 –, BVerwGE 153, 353ff = juris Rn. 20 ff. zu § 10 Abs. 1 AufenthG und vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, BVerwGE 162, 349ff = juris Rn. 27; s. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.03.2008 – 11 S 378/08 –, VBlBW 2008, 353ff = juris Rn. 15).
51 
Im Fall des Klägers sind zwar die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (dazu vorstehend unter a.) gegeben, jedoch liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht vollständig vor.
aa.
52 
Auf den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kommt es hinsichtlich des begehrten Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzugs nicht an, da dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen ist, vgl. § 28 Abs. 1 S. 2 AufenthG.
bb.
53 
Die Identität des Klägers ist geklärt, § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, wie auch der Beklagte zutreffend bejaht, nachdem der Kläger seinen nigerianischen Reisepass vorgelegt hat, dessen durch den Beklagten veranlasste Echtheitsüberprüfung keine Beanstandungen zutage gefördert hat.
cc.
54 
Im Fall des Klägers besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
55 
Ein Ausweisungsinteresse folgt bereits aus dem Umstand, dass der Kläger ohne Visum (i.) und ohne Reisepass (ii.) in das Bundesgebiet eingereist ist. Zudem hat er unrichtige Angaben im Verwaltungsverfahren auf Erteilung der streitgegenständlichen Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Beklagten gemacht (iii.). Das Ausweisungsinteresse ist schließlich noch aktuell (iv.).
i.
56 
Die Einreise des Klägers ohne Visum stellt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG dar.
57 
Nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat.
58 
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, einen Auffangtatbestand für solche Rechtsverstöße zu schaffen, die ein den übrigen Tatbeständen des § 54 Abs. 2 AufenthG vergleichbares Gewicht aufweisen. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift schließt es aus, sie als Auffangtatbestand für „sonstige Fälle der Rechtsuntreue“ anzuwenden. Vielmehr liegt es nahe, das Merkmal der Geringfügigkeit unter Berücksichtigung der sonstigen Tatbestände auszulegen, die nach dem Willen des Gesetzgebers ein Ausweisungsinteresse rechtfertigen sollen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.03.2021 – 11 S 120/21 –, juris Rn. 51 und 52).
59 
Eine unerlaubte Einreise ohne Visum ist ein – nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbewehrter – nicht geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 C 9.94 –, BVerwGE 102, 63ff = juris Rn. 20, wonach eine vorsätzliche Straftat grundsätzlich nicht als geringfügig anzusehen ist) und stellt damit grundsätzlich ein Ausweisungsinteresse dar (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17.09 –, BVerwGE 138, 122 ff = juris Rn. 23; OVG Magdeburg, Beschluss vom 07.07.2014 – 2 M 23/14 –, ZAR 2014, 384 = juris Rn. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 06.03.2002 – 3 Bf 205/01 –, juris Rn. 2; Sächsisches OVG, Beschluss vom 17.08.2006 – 3 Bs 130/06 –, juris Rn. 5), ohne dass es darauf ankäme, ob der Kläger tatsächlich ausgewiesen werden könnte (BVerwG, Urteil vom 28.09.2004 – 1 C 10.03 –, NVwZ 2005, 460 <461> = beck online; Urteil vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, NVwZ 2019, 486 <487> = beck online Rn. 15).
60 
Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG macht sich ein Ausländer strafbar, wenn er entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet einreist. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 ist die Einreise unerlaubt, wenn der Ausländer den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Der Kläger reiste am 17.06.2018 ohne Visum sowie ohne einen anderen Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG in die Bundesrepublik ein.
61 
Dass er wenige Tage nach seiner Einreise einen Asylantrag stellte, führt in seinem Fall nicht zu einem persönlichen Strafaufhebungsgrund und damit zu einem möglichen Wegfall des Ausweisungsinteresses.
62 
Gemäß § 95 Abs. 5 AufenthG bleibt Art. 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („Genfer Flüchtlingskonvention“, künftig: GK) unberührt. Art. 31 Abs. 1 GK wiederum sieht vor, dass die vertragschließenden Staaten keine Straftaten wegen unrechtmäßiger Einreise von Flüchtlingen einleiten, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren, sofern diese sich unverzüglich bei den Behörden melden. Bei dieser Regelung handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2014 – 2 BvR 450/11 –, NVwZ 2015, 361 <362> = beck online Rn. 22).
63 
Der Umstand, dass der Asylantrag des Klägers mehr als ein Jahr später als unbegründet abgelehnt wurde, steht einer Straffreiheit nicht entgegen. Für die Legalität oder Illegalität der Einreise ist der Zeitpunkt des Grenzübertritts maßgeblich (OVG Berlin, Beschluss vom 13.02.1996 – 7 S 5.95 –, beck online Rn. 5). Würde einem Asylbewerber bei negativem Ausgang des Asylverfahrens vorgeworfen, er hätte nicht ins Bundesgebiet einreisen dürfen, so würde er nachträglich mit einem Einreiseverbot belegt, welches vom nicht voraussehbaren Ausgang eines späteren Verfahrens abhängt und somit im Zeitpunkt der Einreise nicht erkennbar ist. Dies stünde in Widerspruch zur Forderung des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG (BVerwG, Urteil vom 15.05.1984 – 1 C 59.81 –, NVwZ 1984, 591 = juris Rn. 21).
64 
Ein Flüchtling verliert seinen Schutz durch Art. 31 Abs. 1 GK grundsätzlich auch nicht bereits dadurch, dass er aus einem Drittstaat einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsstaat, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert. Art. 31 Abs. 1 GK will durch das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit lediglich verhindern, dass Flüchtlinge, die sich bereits in einem anderen Staat niedergelassen haben, unter Berufung auf die Genfer Flüchtlingskonvention ungehindert weiterreisen können. Eine Gefährdung des Schutzzwecks besteht bei einer bloßen Durchreise hingegen nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2014, a.a.O. S. 363/364). Der Kläger hat Italien allerdings nicht lediglich als sog. Transitstaat genutzt, sondern sich vielmehr ca. zehn Monate lang dort aufgehalten und einen Asylantrag bei den italienischen Behörden gestellt. Eine Unmittelbarkeit ist demnach nicht gegeben.
ii.
65 
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers zudem unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt.
66 
Nach den Angaben des Klägers ist – ebenso wie nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des AG Ellwangen – davon auszugehen, dass er im Zeitpunkt seiner Einreise keinen Pass mit sich geführt hat. Der zwischenzeitlich vorgelegte nigerianische Reisepass wurde zwar bereits im Jahr 2017 – und somit vor der Einreise des Klägers nach Deutschland – ausgestellt, jedoch hat der Kläger auf Nachfrage des Gerichts angegeben, diesen von seiner Schwester auf dem Postweg erhalten zu haben, als er sich – im Januar 2020 – bereits in Deutschland befunden habe. Er habe den Pass selbst in Nigeria vor seiner Ausreise beantragt, diesen jedoch nicht mehr finden können, als er sich auf den Weg nach Libyen gemacht habe.
67 
iii.
68 
Ein nicht geringfügiger Verstoß i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt auch vor, wenn ein Ausländer im Aufenthaltserlaubnisverfahren unrichtige Angaben macht, weil er auch dann den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat erfüllt (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 08.08.2018 – B 6 K 16.578 –, juris Rn. 47).
69 
Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige Angaben macht, um einen Aufenthaltstitel für sich zu beschaffen. Angaben sind unrichtig, wenn sie nicht dem wahren Sachverhalt entsprechen (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2018, § 95 AufenthG Rn. 106; Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Auflage 2021, § 95 AufenthG Rn. 235).
70 
Der Kläger ist wegen unerlaubter Einreise durch Strafbefehl des AG Ellwangen rechtskräftig verurteilt worden. Dennoch hat er dem Landratsamt Karlsruhe im Verwaltungsverfahren zweimal ein ausgefülltes und von ihm unterschriebenes Formblatt (Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) zukommen lassen, auf dem bei der Frage nach verhängten Vorstrafen „nein“ angekreuzt worden war. Die Angaben des Klägers waren demnach insoweit unrichtig.
71 
Bei § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sodass der Tatbestand bereits dann vollendet ist, wenn unrichtige Angaben gemacht wurden (vgl. Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn. 236; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O. Rn. 106; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition, Stand: 01.01.2022, § 95 AufenthG Rn. 91). Es ist nicht erforderlich, dass die Angaben entscheidungserheblich sind (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O.; Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn 237; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, a.a.O.). Darüber hinaus ist es unerheblich, wenn die Behörde – wie vorliegend – Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.08.2009 – 1 Ss 1161/09 –, NStZ-RR 2009, 387 <388> = beck online).
72 
Der Kläger war auch nicht berechtigt, gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG die Auskunft bezüglich seiner Vorstrafen zu verweigern bzw. sich als unbestraft zu bezeichnen. Zwar darf ein Verurteilter sich nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen, wenn die Verurteilung nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen ist. Geldstrafen von weniger als 90 Tagessätzen werden nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a BZRG dann nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist. Dies ist beim Kläger der Fall. Allerdings müssen Verurteilte derartige Vorstrafen nach § 53 Abs. 2 BZRG gegenüber Behörden angeben, die ein Recht auf unbeschränkte Auskunft haben, sofern die Verurteilten hierüber belehrt werden. In § 41 Abs. 1 Nr. 7 BZRG ist geregelt, dass Eintragungen, die nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen werden, den Ausländerbehörden zur Kenntnis gegeben werden dürfen. Diese haben somit ein Recht auf unbeschränkte Auskunft. Der Kläger wurde in dem Antragsformular darüber belehrt, dass die Ausländerbehörde nach § 86 AufenthG berechtigt ist, personenbezogene Daten zu erheben. Personenbezogene Daten i.S.d. § 86 AufenthG sind auch Angaben zu Vorstrafen (Winkelmann/Krämer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 86 AufenthG Rn. 5). Vorstrafen von weniger als 90 Tagessätzen sind nicht generell unerheblich, sodass vom Ausländer eine umfassende Auskunft auch diesbezüglich verlangt werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10.08.2009, a.a.O., zum Fall eines bezüglich der Vorstrafen unrichtig ausgefüllten Formblatts im Verfahren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis).
73 
Der subjektive Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfordert ein vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O. Rn. 116). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Kläger lediglich fahrlässig gehandelt haben könnte. Zwar wird der Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nur einmal erfüllt, wenn falsche Angaben in demselben Antragsverfahren wiederholt werden (vgl. Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn. 239 m.w.N.), jedoch ist die zweimalige Vorlage des unrichtig ausgefüllten Antragsformulars durch den Kläger insoweit bedeutsam, als daraus geschlossen werden kann, dass es sich nicht um ein – einmaliges – „Versehen“ handelte. Auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zwar angegeben, dass ein Sozialarbeiter ihm jeweils beim Ausfüllen der Formulare geholfen und ihn dabei offenbar nicht hinreichend über den Inhalt dieser speziellen Frage informiert habe. Er habe diese nicht so verstanden, dass er den Strafbefehl hätte erwähnen müssen. Ob dies zutrifft oder es sich lediglich um eine Schutzbehauptung handelt, kann dahinstehen, da beide Formulare eine Belehrung in Bezug auf Falschangaben enthielten und der Kläger durch seine Unterschrift jeweils bestätigt hatte, sowohl die ihm gestellten Fragen als auch die nachfolgende Belehrung korrekt verstanden zu haben.
iv.
74 
Das Ausweisungsinteresse ist noch aktuell.
75 
Die unerlaubte Einreise des Klägers wurde – wie bereits ausgeführt – durch einen Strafbefehl vom 28.03.2019 geahndet. Im Hinblick auf diesen Strafbefehl ist keine Tilgungsreife nach dem BZRG gegeben. Die Tilgungsfrist beträgt bei Verurteilungen zu einer Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen fünf Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG) und ist demnach noch nicht abgelaufen. Allerdings bilden die Tilgungsfristen nach dem BZRG hinsichtlich der Aktualität eines Ausweisungsinteresses lediglich eine absolute Obergrenze, während im Übrigen die einfache Verjährung – als untere Grenze – und die absolute Verjährungsfrist als obere Grenze maßgeblich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, juris Rn. 23). Da die unerlaubte Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet wird, betrug die einfache Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB drei Jahre, beginnend mit Beendigung der Tat (§ 78a S. 1 StGB), somit mit der Einreise des Klägers am 17.06.2018. Die einfache Verjährungsfrist ist demnach bereits am 16.06.2021 abgelaufen, während die absolute Verjährung – nach § 78c Abs. 3 S. 2 StGB das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist – erst am 16.06.2024 eintreten würde.
76 
In Bezug auf die unrichtigen Angaben im Antragsverfahren fehlt es an einer strafrechtlichen Verurteilung, sodass allein die Verjährungsvorschriften des Strafrechts heranzuziehen sind. Bei § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt es sich um eine Tat, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist. Die (einfache) Verjährungsfrist beträgt demnach gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Seit dem Übermitteln der beiden ausgefüllten Formblätter an das Landratsamt Karlsruhe sind noch keine fünf Jahre vergangen, sodass dieses Ausweisungsinteresse ebenfalls noch aktuell ist und Berücksichtigung finden darf.
77 
Nach alledem ist es auch in Anbetracht des eher restriktiv auszulegenden Tatbestands des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (dazu vorstehend) gerechtfertigt, aus dem Verhalten des Klägers – seiner unerlaubten Einreise sowie den unrichtigen Angaben im Antragsverfahren – ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse abzuleiten, welches im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell ist.
78 
Darauf, dass von der Voraussetzung des Fehlens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gemäß § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG abgesehen werden kann, kommt es vorliegend nicht an, da § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG – wie bereits dargelegt – einen strikten Rechtsanspruch fordert.
dd.
79 
Eine Gefährdung oder Beeinträchtigung sonstiger Interessen der Bundesrepublik i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist durch den Aufenthalt des Klägers nicht ersichtlich.
ee.
80 
Der Kläger erfüllt aktuell auch nicht die Passpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG, da sein Reisepass seit dem 01.03.2022 ungültig ist.
81 
Allerdings hat er auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er bislang nur deshalb noch keinen neuen Pass beantragt habe, weil er hierfür das Original des abgelaufenen Passes benötige, welches sich in der Behördenakte befinde. Der Vertreter des Beklagten hat bestätigt, dass das Original bei der Passbeantragung vorgelegt werden muss, sich jedoch aktuell bei der Stadt Wiesbaden befindet. Darin könnte ggf. ein besonderer, atypischer Umstand liegen, der ein ausnahmsweises Absehen vom Vorliegen dieser Regelerteilungsvoraussetzung rechtfertigen würde, weil er so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigt, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, juris Rn. 13 sowie vom 13.06.2013 – 10 C 16.12 –, juris Rn. 16). Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, kann das Fehlen einer der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zwar einem (gebundenen) gesetzlichen Anspruch – wie demjenigen aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG – nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, NVwZ 2009, 1239 <1240> = beck online Rn. 15). Ob dies vorliegend der Fall ist, bedarf indes keiner Entscheidung, da auch bei Annahme eines atypischen Falles, wie oben ausgeführt, kein strikter Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG gegeben wäre.
ff.
82 
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG, da er bei seiner Einreise nicht über das erforderliche, nämlich über gar kein Visum verfügte. Dass der Beklagte im Ermessenswege nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG von der Durchführung des Visumverfahrens absehen könnte, ist ohne Bedeutung, da, wie bereits ausgeführt, selbst in Fällen der Ermessensreduktion auf null ein strikter Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG zu verneinen wäre.
83 
Der Kläger ist auch nicht deshalb von der Visumpflicht suspendiert, weil er nach § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV berechtigt ist, den Aufenthaltstitel vom Inland aus einzuholen.
84 
Gemäß § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV ist eine Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet möglich, wenn die Abschiebung des Ausländers nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung oder Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder aufgrund der Geburt eines Kindes einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erworben hat.
85 
Der Kläger verfügt aktuell über eine Duldung aus familiären Gründen, welche bis zum 18.10.2022 gültig ist. Er stützt sein Begehren auf die Geburt seines deutschen Sohnes im Bundesgebiet. Allerdings ist auch unter einem Anspruch i.S.v. § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der dann vorliegt, wenn alle Tatbestandsmerkmale der speziellen und der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2014 – 1 C 15.14 –, NVwZ-RR 2015, 113ff = juris Rn. 15; Sächsisches OVG, Beschluss vom 03.11.2020 – 3 B 262/20 –, juris Rn. 17). Dies ist beim Kläger – wie vorstehend dargelegt – gerade nicht der Fall.
86 
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug.
2.
87 
Dem Kläger ist indes ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
88 
Nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG. Sie darf nach § 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
a.
89 
Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Ausländer ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Dies ist beim Kläger der Fall. Die Ausreisepflicht ist gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar, wenn der Aufenthalt des Ausländers trotz erfolgter Beantragung eines Aufenthaltstitels nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt. Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG sind beim Kläger nicht gegeben.
b.
90 
Da der Kläger nicht mehr im Besitz eines gültigen Reisepasses ist, ist seine Ausreise bereits aus diesem Grunde (tatsächlich) unmöglich. Allerdings ließe sich dieses Ausreisehindernis in absehbarer Zeit beseitigen, wenn der Kläger einen neuen Reisepass beantragen würde.
c.
91 
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein rechtliches Ausreisehindernis i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG sich auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben kann (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 – 1 C 14.05 –, BVerwGE 126, 192ff = juris Rn. 17; Beschluss vom 14.12.2010 – 1 B 30.10 –, beck online Rn. 3; OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2018 – 13 LB 45/17 –, juris Rn. 61). In diesem Sinne kann eine unzumutbare Trennung einer familiären Lebensgemeinschaft ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG darstellen. Kann die Lebensgemeinschaft nur in Deutschland stattfinden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021 – 2 BvR 1333/21 –, juris Rn. 46; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 –, juris Rn. 42).
92 
Nach diesen Maßstäben kann sich der Kläger auf ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot berufen, denn es besteht zwischen ihm und seinem Sohn eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft, in die, müsste der Kläger ausreisen, in einer mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbaren Weise eingegriffen würde. Er lebt zwischenzeitlich seit fast sechs Monaten mit seinem Sohn in familiärer Gemeinschaft. Zudem trägt er durch sein Erwerbseinkommen maßgeblich zum Lebensunterhalt des Sohnes bei. Dessen Mutter, die Lebensgefährtin des Klägers, ist arbeitslos und bezieht Leistungen des Jobcenters. Zudem leben nach den Angaben des Klägers im gemeinsamen Haushalt noch drei weitere Kinder der Lebensgefährtin im Alter von 12, 5 und 4 Jahren, für die sie keinen Unterhalt bezieht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Vater der beiden älteren Kinder Deutscher sei. Den Vater des vierjährigen Kindes, welches „afrikanisch“ aussehe, kenne er nicht. Von dem Einkommen des Klägers würden nicht lediglich die Miete, sondern auch Kleidung und Lebensmittel für alle sechs Mitglieder des Haushalts (mit-)finanziert. Das Gericht hat keinen Anlass, an diesen Angaben des Klägers zu zweifeln. Der Sohn des Klägers ist deutscher Staatsangehöriger und lebt seit seiner Geburt gemeinsam mit seiner deutschen Mutter und drei deutschen Geschwistern im Bundesgebiet. Daher ist es ihm nicht zumutbar, die Bundesrepublik zu verlassen und dem Kläger in dessen Heimatland – nach Nigeria – zu folgen.
93 
Mit einem Wegfall dieses Ausreisehindernisses ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen.
c.
94 
Der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG ist nicht einschlägig, da das Ausreisehindernis nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Klägers beruht.
d.
95 
Ein Rückgriff § 25 Abs. 5 AufenthG scheidet im Fall des Klägers nicht aus systematischen Gründen aus.
96 
Die Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des AufenthG (§§ 27ff AufenthG) sind zwar grundsätzlich als eine vom Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraums vorgenommene Ausgestaltung des Familiennachzugs bzw. der Wahrung der Familieneinheit zu begreifen und stellen regelmäßig ein den aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK abzuleitenden Anforderungen genügendes aufenthaltsrechtliches Regelwerk dar. Nicht zuletzt aus systematischen Gründen folgt hieraus, dass dann, wenn eine Herstellung bzw. Wahrung der Familieneinheit nach dem 6. Abschnitt rechtmäßig versagt werden kann, zur Legalisierung des Aufenthalts ein Rückgriff auf die Vorschriften des 5. Abschnitts – und hier regelmäßig auf § 25 Abs. 5 AufenthG – nicht möglich ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.2009 – 11 S 2990/08 –, EZAR NF 22 Nr. 3 = juris Rn. 25; Urteil vom 18.11.2009 – 13 S 2002/09 –, juris Rn. 43).
97 
Da der Kläger vorrangig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug begehrt und die Voraussetzungen dieses Anspruchs nicht gegeben sind – dazu vorstehend –, sprechen zunächst systematische Gründe gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Allerdings geht der VGH Baden-Württemberg davon aus, dass trotz der aus dem im Aufenthaltsrecht geltenden Trennungsprinzip abzuleitenden systematischen Bedenken ein Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG zur Legalisierung des Aufenthalts ausnahmsweise möglich sein muss, wenn Art. 6 Abs. 1 GG zwingend gegen die Zulässigkeit einer Trennung der Familie spricht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.2019, a.a.O.; Urteil vom 18.11.2009, a.a.O.).
98 
Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Zwar ist weder eine Abschiebung des Klägers nach Nigeria noch seine dauerhafte Ausreise in diesen Staat zu erwarten. Die Ausreise wäre dem Kläger allerdings auch dann unzumutbar, wenn er – weil man ihn aus systematischen Gründen auf die erneute Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug im Anschluss an die Nachholung des Visumverfahrens verweisen würde – lediglich für die Dauer der Durchführung dieses Verfahrens ausreisen müsste.
99 
Hierbei ist zu beachten, dass es bei der Frage der Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht darauf ankommt, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau sowie die Kontinuität emotionaler Bindungen zu beiden Elternteilen in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 48 m.w.N.). Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021, a.a.O. Rn. 42). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es zwar grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 47; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021, a.a.O. Rn. 43). Allerdings kann auch eine nur vorübergehende Trennung dann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine gültige Prognose darüber anstellt, welchen Trennungszeitraum der Betroffene realistischerweise zu erwarten hat (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 61; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 a.a.O. Rn. 44). Die Folgen einer vorübergehenden Trennung haben insbesondere dann ein gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.01.2009, a.a.O.; stattgebender Kammerbeschluss vom 01.12.2018, a.a.O. Rn. 33; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 48; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 a.a.O. Rn. 44).
100 
Vorliegend hat der Beklagte zwar – nach aktueller Rücksprache mit der Visaabteilung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Lagos/Nigeria – dargelegt, dass die eigentliche Ausstellung des Visums nach Erteilung einer Vorabzustimmung bereits drei bis vier Wochen nach persönlicher Antragstellung erfolgen kann. Die „vorgeschaltete“ Wartezeit von knapp über 12 Monaten auf einen Termin zur Beantragung des Visums könne dazu genutzt werden, die vom Deutschen Generalkonsulat geforderte Urkundenüberprüfung, welche üblicherweise einen Zeitraum von etwa fünf Monaten in Anspruch nehme, in Amtshilfe durchführen zu lassen. Diese Wartezeit führe nicht zu einer Trennung des Klägers von seinem Sohn, da der Termin vom Bundesgebiet aus online vereinbart werden könne, sodass eine Ausreise erst kurz vor diesem Termin erforderlich sei. Die Trennungsdauer werde demnach im Falle der Vorabzustimmung nur ca. vier bis fünf Wochen betragen.
101 
Diese Informationen lassen indes keine gültige Prognose darüber zu, wie lange das Visumverfahren im konkreten Fall tatsächlich dauern wird. Damit die Dauer des Visumverfahrens abschätzbar ist, muss u.a. geklärt sein, welche Ausländerbehörde für eine Vorabzustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist, und ob (aus deren Sicht) die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht, sie mithin auch zur Erteilung einer Vorabzustimmung bereit wäre (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.03.2021 – 10 CE 20.2030 –, juris Rn. 24). Nach dem (letzten) Umzug des Klägers ist für die Erteilung einer Vorabzustimmung i.S.d. § 31 AufenthV die Stadt Wiesbaden zuständig geworden. Ob diese von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs des Klägers ausgehen würde und bereit wäre, auf Antrag eine Vorabzustimmung zu erteilen, lässt sich derzeit nicht beurteilen. Auf die signalisierte Bereitschaft des Beklagten zur Erteilung einer Vorabzustimmung kommt es aufgrund des Zuständigkeitswechsels nicht mehr an. Somit kann bei der anzustellenden Prognose nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde erteilt wird.
102 
Ohne Vorabzustimmung dauert nach den auf der Homepage des Auswärtigen Amtes allgemein zugänglichen Informationen ein Visumverfahren in Nigeria zum Zweck der Familienzusammenführung „in der Regel bis zu sechs Monaten, in bestimmten Fällen sogar länger“ (https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose/_realmLIst.do?request_locale=de&location-Code=lago#:~:text=Die%20f%C3%BCr%20Kurzzeit%2D%2F,in20bestimmten%20F%C3%A4llen%20sogar%20l%C3%A4nger; Stand: 14.06.2022). Demnach kann von der Kammer eine belastbare Prognose dahingehend, dass der Kläger innerhalb von vier bis fünf Wochen nach seiner Ausreise mit einem gültigen Visum aus Nigeria zurückkehren wird, nicht gestellt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Trennung des Klägers von seinem Sohn realistischerweise mehrere Monate (sechs Monate bzw. sogar länger) andauern wird, sofern der Kläger nach Nigeria ausreisen muss, um das Visumverfahren nachzuholen.
103 
Ein Trennungszeitraum von sechs Monaten wäre im Hinblick auf das Kindeswohl des deutschen Sohnes unzumutbar. Auch wenn dieser – nach einer Wartezeit von einem Jahr auf den Beginn des Visumverfahrens – mit dreieinhalb Jahren dem Kleinkindalter entwachsen wäre, so ändert dies nichts daran, dass selbst dann noch die Gefahr bestünde, dass er die Trennung vom Kläger als endgültigen Verlust wahrnehmen würde. Hinzu kommt, dass vorliegend nicht nur eine affektive, sondern auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des deutschen Kindes vom Kläger gegeben ist, da dieser maßgeblich zum Unterhalt der Familie beiträgt. Müsste der Kläger für mehrere Monate ausreisen, würde er seine Anstellung bei der Wiesbadener Müllabfuhr mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren.
e.
104 
Soweit die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG darüber hinaus voraussetzt, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, ist zunächst festzuhalten, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert ist, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
105 
Nach § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG setzt die Sicherung des Lebensunterhalts voraus, dass der Ausländer diesen einschließlich des Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.
106 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er bei der Wiesbadener Müllabfuhr arbeitet und ein Nettoeinkommen von ca. 1.200,- Euro monatlich erzielt.
107 
Soweit er darüber hinaus angegeben hat, dass er mit seinem Einkommen die Miete der gemeinsamen Wohnung bestreitet und – da seine Lebensgefährtin arbeitslos ist und Leistungen des Jobcenters bezieht – zum Unterhalt der Familie maßgeblich beiträgt, ändert dies ebenso wenig am Vorliegen eines gesicherten Lebensunterhalts wie der Umstand, dass die drei älteren Kinder der Lebensgefährtin, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, keine Unterhaltszahlungen von ihren Vätern erhalten.
108 
Zwar ist – da § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG auf die Regelungen des Sozialrechts umfassend verweist – nicht allein auf die Person des Ausländers, sondern auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft abzustellen, in der dieser lebt (vgl. Dienelt in Bergmann/ders., a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 39 m.w.N.). Obwohl faktisch eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger, seinem Sohn, seiner Lebensgefährtin und deren Kindern vorliegt, ist indes von einer Sicherung des Lebensunterhalts auszugehen. Denn der Grund für das Abstellen auf die Bedarfsgemeinschaft liegt in der Vermeidung zusätzlicher Belastungen der öffentlichen Haushalte, die u.a. durch eine Verfestigung des Aufenthalts hilfsbedürftiger ausländischer Familienangehöriger eintritt. Dieser Grund liegt bei deutschen Familienangehörigen bzw. Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nicht vor, da das Aufenthaltsrecht eines Deutschen im Land seiner Staatsangehörigkeit nicht weiter verfestigt werden kann. Deutsche sind auch dann nicht zur Ausreise verpflichtet, wenn sie Sozialleistungen beziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.08.2011 – 1 C 12.10 –, NVwZ-RR 2012, 330 <332> = beck online Rn. 19). Daher führt die mit einer Aufenthaltserlaubnis verbundene Verfestigung des Aufenthalts des Klägers nicht zu einer Verstetigung der Belastung öffentlicher Haushalte. Der Kläger ist in der Bedarfsgemeinschaft, in welcher er lebt, der einzige Ausländer. Denn auch wenn er seinen Angaben zufolge den Vater des vierjährigen Kindes seiner Lebensgefährtin nicht kennt und dieses „afrikanisch“ aussieht, dürfte es sich – ebenso wie bei dem Sohn des Klägers – nach § 4 Abs. 1 S. 1 StAG um einen deutschen Staatsbürger handeln. Der Kläger erzielt ein seinen Bedarf deckendes Einkommen. In diesem Fall greift die allgemeine Regel, dass die Verfestigung des Aufenthalts eines Mitglieds der auf Sozialleistungen angewiesenen Bedarfsgemeinschaft zu einer zusätzlichen Belastung der öffentlichen Haushalte führt und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht, nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.08.2011, a.a.O., zu einer Niederlassungserlaubnis).
109 
Im Übrigen kann gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden. In Bezug auf die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist ein Absehen unabhängig von § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG vorliegend nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG möglich.
110 
Im Fall des Klägers ist das Ermessen des Beklagten in Bezug auf ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des Nichtbestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (aa.), der Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (bb.) sowie der Durchführung eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG (cc.) jeweils auf null reduziert.
aa.
111 
Der Beklagte hatte selbst zum Ausdruck gebracht, dass er bereit wäre, von der Erteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses abzusehen. Diese Aussage war konkludent in der (zwischenzeitlich aufgrund des Zuständigkeitswechsels nicht mehr maßgeblichen) Zusage des Beklagten enthalten, eine Vorabzustimmung im Visumverfahren erteilen zu wollen. Zudem hatte das Landratsamt Karlsruhe bereits im streitgegenständlichen Ausgangsbescheid (dort auf Seite 7) ausgeführt, dass das behördliche Absehensermessen nach Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte, insbesondere unter Berücksichtigung des deutschen Kindes, im Falle des Klägers auf null reduziert sein könne.
112 
Zwischenzeitlich kommt hinzu, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG erfüllt sind. Die Abschiebung des Klägers ist seit deutlich mehr als 18 Monaten ausgesetzt, da er seit der Geburt seines Sohnes im Dezember 2019 über einen Duldungsanspruch aus familiären Gründen verfügt.
113 
Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass das mit der Regelung des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG verfolgte Ziel des Gesetzgebers, sog. Kettenduldungen zu vermeiden, keine selbständige, von den besonderen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen unabhängige Anspruchsgrundlage für die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels bildet. Vielmehr müssen diese Voraussetzungen auch bei einem Regelanspruch nach § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG grundsätzlich erfüllt sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.2014 – 1 B 19.14 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Allerdings ist bei der – im Rahmen der Ermessensentscheidung über ein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen – durchzuführenden umfassenden Interessenabwägung im Hinblick auf die Gewichtigkeit der öffentlichen und privaten Interessen auch die gesetzgeberische Intention, Kettenduldungen nach Möglichkeit zu vermeiden, einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.2014, a.a.O. Rn. 7).
114 
Der Beklagte hatte das hohe Gewicht der verfassungs- und menschenrechtlich geschützten Beziehung des Klägers zu seinem deutschen Sohn bereits im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügung grundsätzlich zutreffend erkannt. Im Fall des Klägers werden einwanderungspolitische Belange mit Blick auf das Kindeswohl seines Sohnes – wie dargelegt – zurückgedrängt. Nunmehr hat sich der Ermessensspielraum des Beklagten noch weiter reduziert, weil die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG erfüllt sind. Das Ermessen des Beklagten kann daher rechtmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsinteresses abgesehen wird.
bb.
115 
Das Ermessen des Beklagten in Bezug auf ein Absehen von der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) ist ebenfalls zugunsten des Klägers auf null reduziert, sofern nicht bereits von einem atypischen Fall ausgegangen und folglich eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG angenommen wird, dazu vorstehend. Steht – wie bei § 25 Abs. 5 AufenthG – die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ermessen der Ausländerbehörde, so können das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung und eine etwaige Atypik grundsätzlich in den Ermessenerwägungen berücksichtigt werden (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 13). Dem Umstand, dass der Kläger die Passpflicht seit dem 01.03.2022 gar nicht erfüllen kann, weil er bereits zuvor der Aufforderung nachgekommen war, seinen Reisepass im Original beim Beklagten abzugeben, muss daher zumindest im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung Rechnung getragen werden. Zwischenzeitlich befindet sich dieser Pass bei der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden. Der Beklagte kann sein Ermessen nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG demnach rechtmäßig nur in der Weise ausüben, dass im Ermessenswege auf die Erfüllung der Passpflicht verzichtet wird. Es bleibt der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden im Übrigen unbenommen, dem Kläger eine Passauflage zu erteilen, sofern er nach Herausgabe des abgelaufenen Passes und entsprechender Aufforderung keinen aktuellen Reisepass beantragen sollte.
cc.
116 
Nach § 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AufenthG kann von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ein solches Absehen ist vorliegend mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zwingend geboten.
i.
117 
Die Prüfung, ob die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der ordnungsgemäßen Durchführung eines Visumverfahrens i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG vorliegt, ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es sich um einen bleibeorientierten Aufenthaltstitel handelt (so aber wohl OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.05.2019 – 13 ME 123/19 –, juris Rn. 8) und eine Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens im Falle humanitärer Gründe i.d.R. unmöglich oder unzumutbar sein dürfte (vgl. Endres de Oliveira in: Huber/Eichenhofer/ders., Aufenthaltsrecht, 1. Auflage 2017, Kap. IV Rn. 435). Zwar setzt § 25 Abs. 5 AufenthG tatbestandlich voraus, dass sich der Ausländer im Bundesgebiet befindet und seine Ausreise unmöglich ist. Deshalb ist es denklogisch ausgeschlossen, ein Visum in Bezug auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom Ausland aus einzuholen. Daraus folgt allerdings nicht, dass das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG einem Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt, grundsätzlich nicht entgegengehalten werden kann. Vielmehr muss insbesondere geprüft werden, ob ein Fall der bewussten Umgehung des Visumverfahrens vorliegt. Denn die Frage, welches Visum als das erforderliche Visum i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17.09 –, juris Rn. 19; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2021 – 11 S 966/19 –, juris Rn. 83), wobei auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010, a.a.O.). Nach Maßgabe dessen ist im Fall des Klägers der Aufenthaltszweck in einem Familiennachzug zu seinem minderjährigen deutschen Sohn zu sehen, sodass ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs das „erforderliche“ Visum i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG für die Einreise des Klägers gewesen wäre.
ii.
118 
Hinsichtlich eines Absehens von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Durchführung eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG allerdings der Zweck des § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG zu beachten, für die Aufnahme in das Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine zusammenfassende Sonderregelung zu schaffen, weshalb eine umfassende Abwägung zwischen den öffentlichen und den privaten Interessen geboten ist. Bei dieser Abwägung kann der Nichteinhaltung der Erteilungsvoraussetzungen grundsätzlich nicht das gleiche Gewicht beigemessen werden, das ihr bei Aufenthaltsbegehren zu anderen Zwecken zukommt (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.07.2008 – 19 CE 08.781 –, juris Rn. 45; in diesem Sinne auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.03.2009 – 13 S 44/09 –, juris Rn. 8).
119 
iii.
120 
Vorliegend ist das Ermessen des Beklagten zugunsten des Klägers auf null reduziert.
121 
Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass nach seiner Wertung im Fall des Klägers auf ein Visumverfahren verzichtet werden könne, sofern man in Bezug auf dessen Dauer einen Zeitraum von sechs Monaten annehmen müsse. Dass das Gericht diesen Zeitraum vorliegend für seine Prognose zugrunde legt und insoweit von einer unzumutbaren Trennungsdauer ausgeht, wurde vorstehend ausgeführt.
122 
Zu den in die Ermessenentscheidung des Beklagten einzustellenden Erwägungen kann darüber hinaus der Gesichtspunkt gehören, ob und inwieweit dem Ausländer die Versäumnisse bei der Einreise persönlich anzulasten sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2021 – 12 S 389/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Deshalb ist zu berücksichtigen, dass im Fall des Klägers durch einen Verzicht auf die Durchführung des Visumverfahrens keinesfalls dessen bewusste Umgehung „honoriert“ wird. Der Kläger ist nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG zwar ohne das erforderliche Visum eingereist, dazu vorstehend. Im Zeitpunkt der Einreise des Klägers in das Bundesgebiet war indes nicht absehbar, dass er Vater eines deutschen Kindes werden würde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bereits im Juni 2018 beabsichtigt hatte, mit einer deutschen Staatsangehörigen eine Familie zu gründen. Dem Kläger ist zwar vorzuwerfen, dass er nach mehrmonatigem Aufenthalt in Italien ohne Visum nach Deutschland gereist ist, um hier ein (weiteres) Asylverfahren durchzuführen. Eine bewusste Umgehung des Visumverfahrens in Bezug auf einen Familiennachzug liegt hingegen nicht vor. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Sinn und Zweck der Regelung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG nicht primär die Verhinderung oder Sanktionierung einer unerlaubten Einreise ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2010, a.a.O.). Da dem Kläger – wie dargelegt – auch nicht der Vorwurf einer bewussten Umgehung des Visumverfahrens bezüglich des (nunmehr) angestrebten Aufenthaltszwecks gemacht werden kann, wird das Visumverfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (vgl. dazu BT-Drs. 15/420, S. 70) durch einen Verzicht im (Einzel-)Fall des Klägers nicht entwertet.
123 
Auch in Bezug auf das Absehen von der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG kommt hinzu, dass das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung von Kettenduldungen nach der Wertung des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG zu einer weiteren Einschränkung des Ermessensspielraums führt. Auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen wird verwiesen.
124 
Dem Kläger ist daher eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
III.
125 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
126 
B E S C H L U S S
127 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Anlehnung an Ziffer die Empfehlung in Ziffer 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der zuletzt am 18. Juli 2013 geänderten Fassung auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

34 
Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist.
35 
Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte ist passivlegitimiert (I.) und dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu (II.).
I.
36 
Trotz der beiden nach Klageerhebung erfolgten Umzüge des Klägers – zunächst nach Rheinstetten sowie anschließend zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn nach Wiesbaden – ist der Beklagte weiterhin gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO passivlegitimiert.
37 
Zwar ist nach § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 1. Hs. AAZuVO diejenige Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer gewöhnlich aufhält. Durch die Umverteilung des Klägers und dessen Umzug am 19.02.2021 nach Rheinstetten und am 21.12.2021 nach Wiesbaden wäre daher die ausländerrechtliche Zuständigkeit zunächst auf die Stadt Rheinstetten und zuletzt auf die Stadt Wiesbaden übergegangen.
38 
Ändern sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände, kann nach § 3 Abs. 3 LVwVfG die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Ist bereits ein Gerichtsverfahren anhängig, so ist hinsichtlich der Frage, ob ein „laufendes“ Verwaltungsverfahren vorliegt, danach zu differenzieren, ob es sich um eine Anfechtungs- oder eine Verpflichtungsklage handelt. Geht es – wie vorliegend – um ein Verpflichtungsbegehren, so findet das Verwaltungsverfahren erst dann seinen Abschluss, wenn über das Begehren rechtskräftig entschieden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.05.1995 – 1 C 7.94 –, NVwZ 1995, 1131 <1132> = beck online m.w.N.).
39 
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 LVwVfG lagen sowohl im Anschluss an den Umzug des Klägers nach Rheinstetten als auch im Anschluss an dessen Umverteilung nach Wiesbaden vor.
40 
Es dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens, wenn der Beklagte, der im Falle des Klägers die Ermittlungen durchgeführt und auf deren Grundlage über die Erteilungsvoraussetzungen entschieden hat, das Verfahren fortführt (vgl. zum Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis: BVerwG, Urteil vom 24.05.1995, a.a.O.). Auch die erforderlichen Zustimmungen wurden jeweils erteilt.
41 
Nach alledem ist das Landratsamt Karlsruhe nach wie vor für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger zuständig und der Beklagte passivlegitimiert.
II.
42 
Die Versagung eines Aufenthaltstitels ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
43 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz                     (BVerwG, Urteil vom 15.08.2019 – 1 C 23.18 –, juris Rn. 12). Zugrundezulegen ist daher das AufenthG i.d.F. des Art. 4a des Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und weiterer Gesetze vom 23.05.2022, BGBl. I S. 760.
44 
Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG (1.). Allerdings ist der Beklagte verpflichtet, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen (2.).
1.
45 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem minderjährigen deutschen Sohn.
46 
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG ist u.a. zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
a.
47 
Bei dem am 23.12.2019 geborenen Sohn des Klägers handelt es sich um einen minderjährigen und ledigen deutschen Staatsangehörigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Da die Kindsmutter – die Lebensgefährtin des Klägers –Deutsche ist, ergibt sich die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes aus § 4 Abs. 1 S. 1 StAG. Der Kläger übt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht aus. Die entsprechende Erklärung wurde bereits vor der Geburt des Kindes beurkundet. Zwischenzeitlich besteht – seit Dezember 2021 – auch unzweifelhaft eine familiäre Lebensgemeinschaft.
b.
48 
Dem Anspruch des Klägers nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG steht indes die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG entgegen.
49 
Nach § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde zwischenzeitlich unanfechtbar abgelehnt, nachdem er seine gegen den Bundesamtsbescheid vom 19.09.2019 gerichtete Klage zurückgenommen hat.
50 
Gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG findet § 10 Abs. 3 S. 1 und 2 AufenthG keine Anwendung, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Unter einem Anspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG ist nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und voraussetzt, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsmerkmale eines Aufenthaltstitels erfüllt sind (vgl. BVerwG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 26.05.2020 – 1 C 12.19 – ZAR 2021, 30 <33> = beck online Rn. 53 m.w.N.; dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.07.2018 – 11 S 1224/18 –, AuAS 2018, 182ff = juris Rn. 23). Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen „auf Null“ reduziert ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.12.2014 – 1 C 15.14 –, juris Rn. 19 zu § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, vom 17.12.2015 – 1 C 31.14 –, BVerwGE 153, 353ff = juris Rn. 20 ff. zu § 10 Abs. 1 AufenthG und vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, BVerwGE 162, 349ff = juris Rn. 27; s. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.03.2008 – 11 S 378/08 –, VBlBW 2008, 353ff = juris Rn. 15).
51 
Im Fall des Klägers sind zwar die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (dazu vorstehend unter a.) gegeben, jedoch liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht vollständig vor.
aa.
52 
Auf den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kommt es hinsichtlich des begehrten Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzugs nicht an, da dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen ist, vgl. § 28 Abs. 1 S. 2 AufenthG.
bb.
53 
Die Identität des Klägers ist geklärt, § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, wie auch der Beklagte zutreffend bejaht, nachdem der Kläger seinen nigerianischen Reisepass vorgelegt hat, dessen durch den Beklagten veranlasste Echtheitsüberprüfung keine Beanstandungen zutage gefördert hat.
cc.
54 
Im Fall des Klägers besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
55 
Ein Ausweisungsinteresse folgt bereits aus dem Umstand, dass der Kläger ohne Visum (i.) und ohne Reisepass (ii.) in das Bundesgebiet eingereist ist. Zudem hat er unrichtige Angaben im Verwaltungsverfahren auf Erteilung der streitgegenständlichen Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Beklagten gemacht (iii.). Das Ausweisungsinteresse ist schließlich noch aktuell (iv.).
i.
56 
Die Einreise des Klägers ohne Visum stellt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG dar.
57 
Nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat.
58 
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, einen Auffangtatbestand für solche Rechtsverstöße zu schaffen, die ein den übrigen Tatbeständen des § 54 Abs. 2 AufenthG vergleichbares Gewicht aufweisen. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift schließt es aus, sie als Auffangtatbestand für „sonstige Fälle der Rechtsuntreue“ anzuwenden. Vielmehr liegt es nahe, das Merkmal der Geringfügigkeit unter Berücksichtigung der sonstigen Tatbestände auszulegen, die nach dem Willen des Gesetzgebers ein Ausweisungsinteresse rechtfertigen sollen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.03.2021 – 11 S 120/21 –, juris Rn. 51 und 52).
59 
Eine unerlaubte Einreise ohne Visum ist ein – nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbewehrter – nicht geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 C 9.94 –, BVerwGE 102, 63ff = juris Rn. 20, wonach eine vorsätzliche Straftat grundsätzlich nicht als geringfügig anzusehen ist) und stellt damit grundsätzlich ein Ausweisungsinteresse dar (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17.09 –, BVerwGE 138, 122 ff = juris Rn. 23; OVG Magdeburg, Beschluss vom 07.07.2014 – 2 M 23/14 –, ZAR 2014, 384 = juris Rn. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 06.03.2002 – 3 Bf 205/01 –, juris Rn. 2; Sächsisches OVG, Beschluss vom 17.08.2006 – 3 Bs 130/06 –, juris Rn. 5), ohne dass es darauf ankäme, ob der Kläger tatsächlich ausgewiesen werden könnte (BVerwG, Urteil vom 28.09.2004 – 1 C 10.03 –, NVwZ 2005, 460 <461> = beck online; Urteil vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, NVwZ 2019, 486 <487> = beck online Rn. 15).
60 
Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG macht sich ein Ausländer strafbar, wenn er entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet einreist. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 ist die Einreise unerlaubt, wenn der Ausländer den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Der Kläger reiste am 17.06.2018 ohne Visum sowie ohne einen anderen Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG in die Bundesrepublik ein.
61 
Dass er wenige Tage nach seiner Einreise einen Asylantrag stellte, führt in seinem Fall nicht zu einem persönlichen Strafaufhebungsgrund und damit zu einem möglichen Wegfall des Ausweisungsinteresses.
62 
Gemäß § 95 Abs. 5 AufenthG bleibt Art. 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („Genfer Flüchtlingskonvention“, künftig: GK) unberührt. Art. 31 Abs. 1 GK wiederum sieht vor, dass die vertragschließenden Staaten keine Straftaten wegen unrechtmäßiger Einreise von Flüchtlingen einleiten, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren, sofern diese sich unverzüglich bei den Behörden melden. Bei dieser Regelung handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2014 – 2 BvR 450/11 –, NVwZ 2015, 361 <362> = beck online Rn. 22).
63 
Der Umstand, dass der Asylantrag des Klägers mehr als ein Jahr später als unbegründet abgelehnt wurde, steht einer Straffreiheit nicht entgegen. Für die Legalität oder Illegalität der Einreise ist der Zeitpunkt des Grenzübertritts maßgeblich (OVG Berlin, Beschluss vom 13.02.1996 – 7 S 5.95 –, beck online Rn. 5). Würde einem Asylbewerber bei negativem Ausgang des Asylverfahrens vorgeworfen, er hätte nicht ins Bundesgebiet einreisen dürfen, so würde er nachträglich mit einem Einreiseverbot belegt, welches vom nicht voraussehbaren Ausgang eines späteren Verfahrens abhängt und somit im Zeitpunkt der Einreise nicht erkennbar ist. Dies stünde in Widerspruch zur Forderung des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG (BVerwG, Urteil vom 15.05.1984 – 1 C 59.81 –, NVwZ 1984, 591 = juris Rn. 21).
64 
Ein Flüchtling verliert seinen Schutz durch Art. 31 Abs. 1 GK grundsätzlich auch nicht bereits dadurch, dass er aus einem Drittstaat einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsstaat, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert. Art. 31 Abs. 1 GK will durch das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit lediglich verhindern, dass Flüchtlinge, die sich bereits in einem anderen Staat niedergelassen haben, unter Berufung auf die Genfer Flüchtlingskonvention ungehindert weiterreisen können. Eine Gefährdung des Schutzzwecks besteht bei einer bloßen Durchreise hingegen nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2014, a.a.O. S. 363/364). Der Kläger hat Italien allerdings nicht lediglich als sog. Transitstaat genutzt, sondern sich vielmehr ca. zehn Monate lang dort aufgehalten und einen Asylantrag bei den italienischen Behörden gestellt. Eine Unmittelbarkeit ist demnach nicht gegeben.
ii.
65 
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers zudem unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt.
66 
Nach den Angaben des Klägers ist – ebenso wie nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des AG Ellwangen – davon auszugehen, dass er im Zeitpunkt seiner Einreise keinen Pass mit sich geführt hat. Der zwischenzeitlich vorgelegte nigerianische Reisepass wurde zwar bereits im Jahr 2017 – und somit vor der Einreise des Klägers nach Deutschland – ausgestellt, jedoch hat der Kläger auf Nachfrage des Gerichts angegeben, diesen von seiner Schwester auf dem Postweg erhalten zu haben, als er sich – im Januar 2020 – bereits in Deutschland befunden habe. Er habe den Pass selbst in Nigeria vor seiner Ausreise beantragt, diesen jedoch nicht mehr finden können, als er sich auf den Weg nach Libyen gemacht habe.
67 
iii.
68 
Ein nicht geringfügiger Verstoß i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt auch vor, wenn ein Ausländer im Aufenthaltserlaubnisverfahren unrichtige Angaben macht, weil er auch dann den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat erfüllt (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 08.08.2018 – B 6 K 16.578 –, juris Rn. 47).
69 
Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige Angaben macht, um einen Aufenthaltstitel für sich zu beschaffen. Angaben sind unrichtig, wenn sie nicht dem wahren Sachverhalt entsprechen (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2018, § 95 AufenthG Rn. 106; Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Auflage 2021, § 95 AufenthG Rn. 235).
70 
Der Kläger ist wegen unerlaubter Einreise durch Strafbefehl des AG Ellwangen rechtskräftig verurteilt worden. Dennoch hat er dem Landratsamt Karlsruhe im Verwaltungsverfahren zweimal ein ausgefülltes und von ihm unterschriebenes Formblatt (Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) zukommen lassen, auf dem bei der Frage nach verhängten Vorstrafen „nein“ angekreuzt worden war. Die Angaben des Klägers waren demnach insoweit unrichtig.
71 
Bei § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sodass der Tatbestand bereits dann vollendet ist, wenn unrichtige Angaben gemacht wurden (vgl. Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn. 236; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O. Rn. 106; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition, Stand: 01.01.2022, § 95 AufenthG Rn. 91). Es ist nicht erforderlich, dass die Angaben entscheidungserheblich sind (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O.; Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn 237; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, a.a.O.). Darüber hinaus ist es unerheblich, wenn die Behörde – wie vorliegend – Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.08.2009 – 1 Ss 1161/09 –, NStZ-RR 2009, 387 <388> = beck online).
72 
Der Kläger war auch nicht berechtigt, gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG die Auskunft bezüglich seiner Vorstrafen zu verweigern bzw. sich als unbestraft zu bezeichnen. Zwar darf ein Verurteilter sich nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen, wenn die Verurteilung nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen ist. Geldstrafen von weniger als 90 Tagessätzen werden nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a BZRG dann nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist. Dies ist beim Kläger der Fall. Allerdings müssen Verurteilte derartige Vorstrafen nach § 53 Abs. 2 BZRG gegenüber Behörden angeben, die ein Recht auf unbeschränkte Auskunft haben, sofern die Verurteilten hierüber belehrt werden. In § 41 Abs. 1 Nr. 7 BZRG ist geregelt, dass Eintragungen, die nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen werden, den Ausländerbehörden zur Kenntnis gegeben werden dürfen. Diese haben somit ein Recht auf unbeschränkte Auskunft. Der Kläger wurde in dem Antragsformular darüber belehrt, dass die Ausländerbehörde nach § 86 AufenthG berechtigt ist, personenbezogene Daten zu erheben. Personenbezogene Daten i.S.d. § 86 AufenthG sind auch Angaben zu Vorstrafen (Winkelmann/Krämer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 86 AufenthG Rn. 5). Vorstrafen von weniger als 90 Tagessätzen sind nicht generell unerheblich, sodass vom Ausländer eine umfassende Auskunft auch diesbezüglich verlangt werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10.08.2009, a.a.O., zum Fall eines bezüglich der Vorstrafen unrichtig ausgefüllten Formblatts im Verfahren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis).
73 
Der subjektive Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfordert ein vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O. Rn. 116). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Kläger lediglich fahrlässig gehandelt haben könnte. Zwar wird der Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nur einmal erfüllt, wenn falsche Angaben in demselben Antragsverfahren wiederholt werden (vgl. Hörich/Bergmann in Huber/Mantel, a.a.O. Rn. 239 m.w.N.), jedoch ist die zweimalige Vorlage des unrichtig ausgefüllten Antragsformulars durch den Kläger insoweit bedeutsam, als daraus geschlossen werden kann, dass es sich nicht um ein – einmaliges – „Versehen“ handelte. Auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zwar angegeben, dass ein Sozialarbeiter ihm jeweils beim Ausfüllen der Formulare geholfen und ihn dabei offenbar nicht hinreichend über den Inhalt dieser speziellen Frage informiert habe. Er habe diese nicht so verstanden, dass er den Strafbefehl hätte erwähnen müssen. Ob dies zutrifft oder es sich lediglich um eine Schutzbehauptung handelt, kann dahinstehen, da beide Formulare eine Belehrung in Bezug auf Falschangaben enthielten und der Kläger durch seine Unterschrift jeweils bestätigt hatte, sowohl die ihm gestellten Fragen als auch die nachfolgende Belehrung korrekt verstanden zu haben.
iv.
74 
Das Ausweisungsinteresse ist noch aktuell.
75 
Die unerlaubte Einreise des Klägers wurde – wie bereits ausgeführt – durch einen Strafbefehl vom 28.03.2019 geahndet. Im Hinblick auf diesen Strafbefehl ist keine Tilgungsreife nach dem BZRG gegeben. Die Tilgungsfrist beträgt bei Verurteilungen zu einer Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen fünf Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG) und ist demnach noch nicht abgelaufen. Allerdings bilden die Tilgungsfristen nach dem BZRG hinsichtlich der Aktualität eines Ausweisungsinteresses lediglich eine absolute Obergrenze, während im Übrigen die einfache Verjährung – als untere Grenze – und die absolute Verjährungsfrist als obere Grenze maßgeblich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 – 1 C 16.17 –, juris Rn. 23). Da die unerlaubte Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet wird, betrug die einfache Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB drei Jahre, beginnend mit Beendigung der Tat (§ 78a S. 1 StGB), somit mit der Einreise des Klägers am 17.06.2018. Die einfache Verjährungsfrist ist demnach bereits am 16.06.2021 abgelaufen, während die absolute Verjährung – nach § 78c Abs. 3 S. 2 StGB das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist – erst am 16.06.2024 eintreten würde.
76 
In Bezug auf die unrichtigen Angaben im Antragsverfahren fehlt es an einer strafrechtlichen Verurteilung, sodass allein die Verjährungsvorschriften des Strafrechts heranzuziehen sind. Bei § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt es sich um eine Tat, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist. Die (einfache) Verjährungsfrist beträgt demnach gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Seit dem Übermitteln der beiden ausgefüllten Formblätter an das Landratsamt Karlsruhe sind noch keine fünf Jahre vergangen, sodass dieses Ausweisungsinteresse ebenfalls noch aktuell ist und Berücksichtigung finden darf.
77 
Nach alledem ist es auch in Anbetracht des eher restriktiv auszulegenden Tatbestands des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (dazu vorstehend) gerechtfertigt, aus dem Verhalten des Klägers – seiner unerlaubten Einreise sowie den unrichtigen Angaben im Antragsverfahren – ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse abzuleiten, welches im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell ist.
78 
Darauf, dass von der Voraussetzung des Fehlens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gemäß § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG abgesehen werden kann, kommt es vorliegend nicht an, da § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG – wie bereits dargelegt – einen strikten Rechtsanspruch fordert.
dd.
79 
Eine Gefährdung oder Beeinträchtigung sonstiger Interessen der Bundesrepublik i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist durch den Aufenthalt des Klägers nicht ersichtlich.
ee.
80 
Der Kläger erfüllt aktuell auch nicht die Passpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG, da sein Reisepass seit dem 01.03.2022 ungültig ist.
81 
Allerdings hat er auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er bislang nur deshalb noch keinen neuen Pass beantragt habe, weil er hierfür das Original des abgelaufenen Passes benötige, welches sich in der Behördenakte befinde. Der Vertreter des Beklagten hat bestätigt, dass das Original bei der Passbeantragung vorgelegt werden muss, sich jedoch aktuell bei der Stadt Wiesbaden befindet. Darin könnte ggf. ein besonderer, atypischer Umstand liegen, der ein ausnahmsweises Absehen vom Vorliegen dieser Regelerteilungsvoraussetzung rechtfertigen würde, weil er so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigt, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, juris Rn. 13 sowie vom 13.06.2013 – 10 C 16.12 –, juris Rn. 16). Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, kann das Fehlen einer der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zwar einem (gebundenen) gesetzlichen Anspruch – wie demjenigen aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG – nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, NVwZ 2009, 1239 <1240> = beck online Rn. 15). Ob dies vorliegend der Fall ist, bedarf indes keiner Entscheidung, da auch bei Annahme eines atypischen Falles, wie oben ausgeführt, kein strikter Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG gegeben wäre.
ff.
82 
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG, da er bei seiner Einreise nicht über das erforderliche, nämlich über gar kein Visum verfügte. Dass der Beklagte im Ermessenswege nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG von der Durchführung des Visumverfahrens absehen könnte, ist ohne Bedeutung, da, wie bereits ausgeführt, selbst in Fällen der Ermessensreduktion auf null ein strikter Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG zu verneinen wäre.
83 
Der Kläger ist auch nicht deshalb von der Visumpflicht suspendiert, weil er nach § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV berechtigt ist, den Aufenthaltstitel vom Inland aus einzuholen.
84 
Gemäß § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV ist eine Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet möglich, wenn die Abschiebung des Ausländers nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung oder Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder aufgrund der Geburt eines Kindes einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erworben hat.
85 
Der Kläger verfügt aktuell über eine Duldung aus familiären Gründen, welche bis zum 18.10.2022 gültig ist. Er stützt sein Begehren auf die Geburt seines deutschen Sohnes im Bundesgebiet. Allerdings ist auch unter einem Anspruch i.S.v. § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der dann vorliegt, wenn alle Tatbestandsmerkmale der speziellen und der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2014 – 1 C 15.14 –, NVwZ-RR 2015, 113ff = juris Rn. 15; Sächsisches OVG, Beschluss vom 03.11.2020 – 3 B 262/20 –, juris Rn. 17). Dies ist beim Kläger – wie vorstehend dargelegt – gerade nicht der Fall.
86 
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug.
2.
87 
Dem Kläger ist indes ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
88 
Nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG. Sie darf nach § 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
a.
89 
Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Ausländer ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Dies ist beim Kläger der Fall. Die Ausreisepflicht ist gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar, wenn der Aufenthalt des Ausländers trotz erfolgter Beantragung eines Aufenthaltstitels nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt. Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG sind beim Kläger nicht gegeben.
b.
90 
Da der Kläger nicht mehr im Besitz eines gültigen Reisepasses ist, ist seine Ausreise bereits aus diesem Grunde (tatsächlich) unmöglich. Allerdings ließe sich dieses Ausreisehindernis in absehbarer Zeit beseitigen, wenn der Kläger einen neuen Reisepass beantragen würde.
c.
91 
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein rechtliches Ausreisehindernis i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG sich auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben kann (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 – 1 C 14.05 –, BVerwGE 126, 192ff = juris Rn. 17; Beschluss vom 14.12.2010 – 1 B 30.10 –, beck online Rn. 3; OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2018 – 13 LB 45/17 –, juris Rn. 61). In diesem Sinne kann eine unzumutbare Trennung einer familiären Lebensgemeinschaft ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG darstellen. Kann die Lebensgemeinschaft nur in Deutschland stattfinden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021 – 2 BvR 1333/21 –, juris Rn. 46; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 –, juris Rn. 42).
92 
Nach diesen Maßstäben kann sich der Kläger auf ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot berufen, denn es besteht zwischen ihm und seinem Sohn eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft, in die, müsste der Kläger ausreisen, in einer mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbaren Weise eingegriffen würde. Er lebt zwischenzeitlich seit fast sechs Monaten mit seinem Sohn in familiärer Gemeinschaft. Zudem trägt er durch sein Erwerbseinkommen maßgeblich zum Lebensunterhalt des Sohnes bei. Dessen Mutter, die Lebensgefährtin des Klägers, ist arbeitslos und bezieht Leistungen des Jobcenters. Zudem leben nach den Angaben des Klägers im gemeinsamen Haushalt noch drei weitere Kinder der Lebensgefährtin im Alter von 12, 5 und 4 Jahren, für die sie keinen Unterhalt bezieht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Vater der beiden älteren Kinder Deutscher sei. Den Vater des vierjährigen Kindes, welches „afrikanisch“ aussehe, kenne er nicht. Von dem Einkommen des Klägers würden nicht lediglich die Miete, sondern auch Kleidung und Lebensmittel für alle sechs Mitglieder des Haushalts (mit-)finanziert. Das Gericht hat keinen Anlass, an diesen Angaben des Klägers zu zweifeln. Der Sohn des Klägers ist deutscher Staatsangehöriger und lebt seit seiner Geburt gemeinsam mit seiner deutschen Mutter und drei deutschen Geschwistern im Bundesgebiet. Daher ist es ihm nicht zumutbar, die Bundesrepublik zu verlassen und dem Kläger in dessen Heimatland – nach Nigeria – zu folgen.
93 
Mit einem Wegfall dieses Ausreisehindernisses ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen.
c.
94 
Der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG ist nicht einschlägig, da das Ausreisehindernis nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Klägers beruht.
d.
95 
Ein Rückgriff § 25 Abs. 5 AufenthG scheidet im Fall des Klägers nicht aus systematischen Gründen aus.
96 
Die Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des AufenthG (§§ 27ff AufenthG) sind zwar grundsätzlich als eine vom Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraums vorgenommene Ausgestaltung des Familiennachzugs bzw. der Wahrung der Familieneinheit zu begreifen und stellen regelmäßig ein den aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK abzuleitenden Anforderungen genügendes aufenthaltsrechtliches Regelwerk dar. Nicht zuletzt aus systematischen Gründen folgt hieraus, dass dann, wenn eine Herstellung bzw. Wahrung der Familieneinheit nach dem 6. Abschnitt rechtmäßig versagt werden kann, zur Legalisierung des Aufenthalts ein Rückgriff auf die Vorschriften des 5. Abschnitts – und hier regelmäßig auf § 25 Abs. 5 AufenthG – nicht möglich ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.2009 – 11 S 2990/08 –, EZAR NF 22 Nr. 3 = juris Rn. 25; Urteil vom 18.11.2009 – 13 S 2002/09 –, juris Rn. 43).
97 
Da der Kläger vorrangig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug begehrt und die Voraussetzungen dieses Anspruchs nicht gegeben sind – dazu vorstehend –, sprechen zunächst systematische Gründe gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Allerdings geht der VGH Baden-Württemberg davon aus, dass trotz der aus dem im Aufenthaltsrecht geltenden Trennungsprinzip abzuleitenden systematischen Bedenken ein Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG zur Legalisierung des Aufenthalts ausnahmsweise möglich sein muss, wenn Art. 6 Abs. 1 GG zwingend gegen die Zulässigkeit einer Trennung der Familie spricht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.2019, a.a.O.; Urteil vom 18.11.2009, a.a.O.).
98 
Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Zwar ist weder eine Abschiebung des Klägers nach Nigeria noch seine dauerhafte Ausreise in diesen Staat zu erwarten. Die Ausreise wäre dem Kläger allerdings auch dann unzumutbar, wenn er – weil man ihn aus systematischen Gründen auf die erneute Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug im Anschluss an die Nachholung des Visumverfahrens verweisen würde – lediglich für die Dauer der Durchführung dieses Verfahrens ausreisen müsste.
99 
Hierbei ist zu beachten, dass es bei der Frage der Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht darauf ankommt, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau sowie die Kontinuität emotionaler Bindungen zu beiden Elternteilen in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 48 m.w.N.). Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021, a.a.O. Rn. 42). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es zwar grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 47; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021, a.a.O. Rn. 43). Allerdings kann auch eine nur vorübergehende Trennung dann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine gültige Prognose darüber anstellt, welchen Trennungszeitraum der Betroffene realistischerweise zu erwarten hat (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 61; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 a.a.O. Rn. 44). Die Folgen einer vorübergehenden Trennung haben insbesondere dann ein gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.01.2009, a.a.O.; stattgebender Kammerbeschluss vom 01.12.2018, a.a.O. Rn. 33; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.12.2021, a.a.O. Rn. 48; stattgebender Kammerbeschluss vom 22.12.2021 a.a.O. Rn. 44).
100 
Vorliegend hat der Beklagte zwar – nach aktueller Rücksprache mit der Visaabteilung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Lagos/Nigeria – dargelegt, dass die eigentliche Ausstellung des Visums nach Erteilung einer Vorabzustimmung bereits drei bis vier Wochen nach persönlicher Antragstellung erfolgen kann. Die „vorgeschaltete“ Wartezeit von knapp über 12 Monaten auf einen Termin zur Beantragung des Visums könne dazu genutzt werden, die vom Deutschen Generalkonsulat geforderte Urkundenüberprüfung, welche üblicherweise einen Zeitraum von etwa fünf Monaten in Anspruch nehme, in Amtshilfe durchführen zu lassen. Diese Wartezeit führe nicht zu einer Trennung des Klägers von seinem Sohn, da der Termin vom Bundesgebiet aus online vereinbart werden könne, sodass eine Ausreise erst kurz vor diesem Termin erforderlich sei. Die Trennungsdauer werde demnach im Falle der Vorabzustimmung nur ca. vier bis fünf Wochen betragen.
101 
Diese Informationen lassen indes keine gültige Prognose darüber zu, wie lange das Visumverfahren im konkreten Fall tatsächlich dauern wird. Damit die Dauer des Visumverfahrens abschätzbar ist, muss u.a. geklärt sein, welche Ausländerbehörde für eine Vorabzustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist, und ob (aus deren Sicht) die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht, sie mithin auch zur Erteilung einer Vorabzustimmung bereit wäre (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.03.2021 – 10 CE 20.2030 –, juris Rn. 24). Nach dem (letzten) Umzug des Klägers ist für die Erteilung einer Vorabzustimmung i.S.d. § 31 AufenthV die Stadt Wiesbaden zuständig geworden. Ob diese von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs des Klägers ausgehen würde und bereit wäre, auf Antrag eine Vorabzustimmung zu erteilen, lässt sich derzeit nicht beurteilen. Auf die signalisierte Bereitschaft des Beklagten zur Erteilung einer Vorabzustimmung kommt es aufgrund des Zuständigkeitswechsels nicht mehr an. Somit kann bei der anzustellenden Prognose nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde erteilt wird.
102 
Ohne Vorabzustimmung dauert nach den auf der Homepage des Auswärtigen Amtes allgemein zugänglichen Informationen ein Visumverfahren in Nigeria zum Zweck der Familienzusammenführung „in der Regel bis zu sechs Monaten, in bestimmten Fällen sogar länger“ (https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose/_realmLIst.do?request_locale=de&location-Code=lago#:~:text=Die%20f%C3%BCr%20Kurzzeit%2D%2F,in20bestimmten%20F%C3%A4llen%20sogar%20l%C3%A4nger; Stand: 14.06.2022). Demnach kann von der Kammer eine belastbare Prognose dahingehend, dass der Kläger innerhalb von vier bis fünf Wochen nach seiner Ausreise mit einem gültigen Visum aus Nigeria zurückkehren wird, nicht gestellt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Trennung des Klägers von seinem Sohn realistischerweise mehrere Monate (sechs Monate bzw. sogar länger) andauern wird, sofern der Kläger nach Nigeria ausreisen muss, um das Visumverfahren nachzuholen.
103 
Ein Trennungszeitraum von sechs Monaten wäre im Hinblick auf das Kindeswohl des deutschen Sohnes unzumutbar. Auch wenn dieser – nach einer Wartezeit von einem Jahr auf den Beginn des Visumverfahrens – mit dreieinhalb Jahren dem Kleinkindalter entwachsen wäre, so ändert dies nichts daran, dass selbst dann noch die Gefahr bestünde, dass er die Trennung vom Kläger als endgültigen Verlust wahrnehmen würde. Hinzu kommt, dass vorliegend nicht nur eine affektive, sondern auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des deutschen Kindes vom Kläger gegeben ist, da dieser maßgeblich zum Unterhalt der Familie beiträgt. Müsste der Kläger für mehrere Monate ausreisen, würde er seine Anstellung bei der Wiesbadener Müllabfuhr mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren.
e.
104 
Soweit die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG darüber hinaus voraussetzt, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, ist zunächst festzuhalten, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert ist, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
105 
Nach § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG setzt die Sicherung des Lebensunterhalts voraus, dass der Ausländer diesen einschließlich des Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.
106 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er bei der Wiesbadener Müllabfuhr arbeitet und ein Nettoeinkommen von ca. 1.200,- Euro monatlich erzielt.
107 
Soweit er darüber hinaus angegeben hat, dass er mit seinem Einkommen die Miete der gemeinsamen Wohnung bestreitet und – da seine Lebensgefährtin arbeitslos ist und Leistungen des Jobcenters bezieht – zum Unterhalt der Familie maßgeblich beiträgt, ändert dies ebenso wenig am Vorliegen eines gesicherten Lebensunterhalts wie der Umstand, dass die drei älteren Kinder der Lebensgefährtin, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, keine Unterhaltszahlungen von ihren Vätern erhalten.
108 
Zwar ist – da § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG auf die Regelungen des Sozialrechts umfassend verweist – nicht allein auf die Person des Ausländers, sondern auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft abzustellen, in der dieser lebt (vgl. Dienelt in Bergmann/ders., a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 39 m.w.N.). Obwohl faktisch eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger, seinem Sohn, seiner Lebensgefährtin und deren Kindern vorliegt, ist indes von einer Sicherung des Lebensunterhalts auszugehen. Denn der Grund für das Abstellen auf die Bedarfsgemeinschaft liegt in der Vermeidung zusätzlicher Belastungen der öffentlichen Haushalte, die u.a. durch eine Verfestigung des Aufenthalts hilfsbedürftiger ausländischer Familienangehöriger eintritt. Dieser Grund liegt bei deutschen Familienangehörigen bzw. Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nicht vor, da das Aufenthaltsrecht eines Deutschen im Land seiner Staatsangehörigkeit nicht weiter verfestigt werden kann. Deutsche sind auch dann nicht zur Ausreise verpflichtet, wenn sie Sozialleistungen beziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.08.2011 – 1 C 12.10 –, NVwZ-RR 2012, 330 <332> = beck online Rn. 19). Daher führt die mit einer Aufenthaltserlaubnis verbundene Verfestigung des Aufenthalts des Klägers nicht zu einer Verstetigung der Belastung öffentlicher Haushalte. Der Kläger ist in der Bedarfsgemeinschaft, in welcher er lebt, der einzige Ausländer. Denn auch wenn er seinen Angaben zufolge den Vater des vierjährigen Kindes seiner Lebensgefährtin nicht kennt und dieses „afrikanisch“ aussieht, dürfte es sich – ebenso wie bei dem Sohn des Klägers – nach § 4 Abs. 1 S. 1 StAG um einen deutschen Staatsbürger handeln. Der Kläger erzielt ein seinen Bedarf deckendes Einkommen. In diesem Fall greift die allgemeine Regel, dass die Verfestigung des Aufenthalts eines Mitglieds der auf Sozialleistungen angewiesenen Bedarfsgemeinschaft zu einer zusätzlichen Belastung der öffentlichen Haushalte führt und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht, nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.08.2011, a.a.O., zu einer Niederlassungserlaubnis).
109 
Im Übrigen kann gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden. In Bezug auf die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist ein Absehen unabhängig von § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG vorliegend nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG möglich.
110 
Im Fall des Klägers ist das Ermessen des Beklagten in Bezug auf ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des Nichtbestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (aa.), der Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (bb.) sowie der Durchführung eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG (cc.) jeweils auf null reduziert.
aa.
111 
Der Beklagte hatte selbst zum Ausdruck gebracht, dass er bereit wäre, von der Erteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses abzusehen. Diese Aussage war konkludent in der (zwischenzeitlich aufgrund des Zuständigkeitswechsels nicht mehr maßgeblichen) Zusage des Beklagten enthalten, eine Vorabzustimmung im Visumverfahren erteilen zu wollen. Zudem hatte das Landratsamt Karlsruhe bereits im streitgegenständlichen Ausgangsbescheid (dort auf Seite 7) ausgeführt, dass das behördliche Absehensermessen nach Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte, insbesondere unter Berücksichtigung des deutschen Kindes, im Falle des Klägers auf null reduziert sein könne.
112 
Zwischenzeitlich kommt hinzu, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG erfüllt sind. Die Abschiebung des Klägers ist seit deutlich mehr als 18 Monaten ausgesetzt, da er seit der Geburt seines Sohnes im Dezember 2019 über einen Duldungsanspruch aus familiären Gründen verfügt.
113 
Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass das mit der Regelung des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG verfolgte Ziel des Gesetzgebers, sog. Kettenduldungen zu vermeiden, keine selbständige, von den besonderen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen unabhängige Anspruchsgrundlage für die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels bildet. Vielmehr müssen diese Voraussetzungen auch bei einem Regelanspruch nach § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG grundsätzlich erfüllt sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.2014 – 1 B 19.14 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Allerdings ist bei der – im Rahmen der Ermessensentscheidung über ein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen – durchzuführenden umfassenden Interessenabwägung im Hinblick auf die Gewichtigkeit der öffentlichen und privaten Interessen auch die gesetzgeberische Intention, Kettenduldungen nach Möglichkeit zu vermeiden, einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.2014, a.a.O. Rn. 7).
114 
Der Beklagte hatte das hohe Gewicht der verfassungs- und menschenrechtlich geschützten Beziehung des Klägers zu seinem deutschen Sohn bereits im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügung grundsätzlich zutreffend erkannt. Im Fall des Klägers werden einwanderungspolitische Belange mit Blick auf das Kindeswohl seines Sohnes – wie dargelegt – zurückgedrängt. Nunmehr hat sich der Ermessensspielraum des Beklagten noch weiter reduziert, weil die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG erfüllt sind. Das Ermessen des Beklagten kann daher rechtmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsinteresses abgesehen wird.
bb.
115 
Das Ermessen des Beklagten in Bezug auf ein Absehen von der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) ist ebenfalls zugunsten des Klägers auf null reduziert, sofern nicht bereits von einem atypischen Fall ausgegangen und folglich eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG angenommen wird, dazu vorstehend. Steht – wie bei § 25 Abs. 5 AufenthG – die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ermessen der Ausländerbehörde, so können das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung und eine etwaige Atypik grundsätzlich in den Ermessenerwägungen berücksichtigt werden (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 13). Dem Umstand, dass der Kläger die Passpflicht seit dem 01.03.2022 gar nicht erfüllen kann, weil er bereits zuvor der Aufforderung nachgekommen war, seinen Reisepass im Original beim Beklagten abzugeben, muss daher zumindest im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung Rechnung getragen werden. Zwischenzeitlich befindet sich dieser Pass bei der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden. Der Beklagte kann sein Ermessen nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG demnach rechtmäßig nur in der Weise ausüben, dass im Ermessenswege auf die Erfüllung der Passpflicht verzichtet wird. Es bleibt der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden im Übrigen unbenommen, dem Kläger eine Passauflage zu erteilen, sofern er nach Herausgabe des abgelaufenen Passes und entsprechender Aufforderung keinen aktuellen Reisepass beantragen sollte.
cc.
116 
Nach § 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AufenthG kann von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ein solches Absehen ist vorliegend mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zwingend geboten.
i.
117 
Die Prüfung, ob die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der ordnungsgemäßen Durchführung eines Visumverfahrens i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG vorliegt, ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es sich um einen bleibeorientierten Aufenthaltstitel handelt (so aber wohl OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.05.2019 – 13 ME 123/19 –, juris Rn. 8) und eine Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens im Falle humanitärer Gründe i.d.R. unmöglich oder unzumutbar sein dürfte (vgl. Endres de Oliveira in: Huber/Eichenhofer/ders., Aufenthaltsrecht, 1. Auflage 2017, Kap. IV Rn. 435). Zwar setzt § 25 Abs. 5 AufenthG tatbestandlich voraus, dass sich der Ausländer im Bundesgebiet befindet und seine Ausreise unmöglich ist. Deshalb ist es denklogisch ausgeschlossen, ein Visum in Bezug auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom Ausland aus einzuholen. Daraus folgt allerdings nicht, dass das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG einem Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt, grundsätzlich nicht entgegengehalten werden kann. Vielmehr muss insbesondere geprüft werden, ob ein Fall der bewussten Umgehung des Visumverfahrens vorliegt. Denn die Frage, welches Visum als das erforderliche Visum i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17.09 –, juris Rn. 19; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2021 – 11 S 966/19 –, juris Rn. 83), wobei auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010, a.a.O.). Nach Maßgabe dessen ist im Fall des Klägers der Aufenthaltszweck in einem Familiennachzug zu seinem minderjährigen deutschen Sohn zu sehen, sodass ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs das „erforderliche“ Visum i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG für die Einreise des Klägers gewesen wäre.
ii.
118 
Hinsichtlich eines Absehens von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Durchführung eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens ist im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG allerdings der Zweck des § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG zu beachten, für die Aufnahme in das Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine zusammenfassende Sonderregelung zu schaffen, weshalb eine umfassende Abwägung zwischen den öffentlichen und den privaten Interessen geboten ist. Bei dieser Abwägung kann der Nichteinhaltung der Erteilungsvoraussetzungen grundsätzlich nicht das gleiche Gewicht beigemessen werden, das ihr bei Aufenthaltsbegehren zu anderen Zwecken zukommt (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.07.2008 – 19 CE 08.781 –, juris Rn. 45; in diesem Sinne auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.03.2009 – 13 S 44/09 –, juris Rn. 8).
119 
iii.
120 
Vorliegend ist das Ermessen des Beklagten zugunsten des Klägers auf null reduziert.
121 
Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass nach seiner Wertung im Fall des Klägers auf ein Visumverfahren verzichtet werden könne, sofern man in Bezug auf dessen Dauer einen Zeitraum von sechs Monaten annehmen müsse. Dass das Gericht diesen Zeitraum vorliegend für seine Prognose zugrunde legt und insoweit von einer unzumutbaren Trennungsdauer ausgeht, wurde vorstehend ausgeführt.
122 
Zu den in die Ermessenentscheidung des Beklagten einzustellenden Erwägungen kann darüber hinaus der Gesichtspunkt gehören, ob und inwieweit dem Ausländer die Versäumnisse bei der Einreise persönlich anzulasten sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2021 – 12 S 389/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Deshalb ist zu berücksichtigen, dass im Fall des Klägers durch einen Verzicht auf die Durchführung des Visumverfahrens keinesfalls dessen bewusste Umgehung „honoriert“ wird. Der Kläger ist nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG zwar ohne das erforderliche Visum eingereist, dazu vorstehend. Im Zeitpunkt der Einreise des Klägers in das Bundesgebiet war indes nicht absehbar, dass er Vater eines deutschen Kindes werden würde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bereits im Juni 2018 beabsichtigt hatte, mit einer deutschen Staatsangehörigen eine Familie zu gründen. Dem Kläger ist zwar vorzuwerfen, dass er nach mehrmonatigem Aufenthalt in Italien ohne Visum nach Deutschland gereist ist, um hier ein (weiteres) Asylverfahren durchzuführen. Eine bewusste Umgehung des Visumverfahrens in Bezug auf einen Familiennachzug liegt hingegen nicht vor. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Sinn und Zweck der Regelung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG nicht primär die Verhinderung oder Sanktionierung einer unerlaubten Einreise ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2010, a.a.O.). Da dem Kläger – wie dargelegt – auch nicht der Vorwurf einer bewussten Umgehung des Visumverfahrens bezüglich des (nunmehr) angestrebten Aufenthaltszwecks gemacht werden kann, wird das Visumverfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (vgl. dazu BT-Drs. 15/420, S. 70) durch einen Verzicht im (Einzel-)Fall des Klägers nicht entwertet.
123 
Auch in Bezug auf das Absehen von der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG kommt hinzu, dass das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung von Kettenduldungen nach der Wertung des § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG zu einer weiteren Einschränkung des Ermessensspielraums führt. Auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen wird verwiesen.
124 
Dem Kläger ist daher eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
III.
125 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
126 
B E S C H L U S S
127 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Anlehnung an Ziffer die Empfehlung in Ziffer 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der zuletzt am 18. Juli 2013 geänderten Fassung auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen