Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (5. Kammer) - 5 K 510/14.KO
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihre Klage zurückgenommen hat.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2014 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 25. September 2012 auf Erteilung der Genehmigung für einen Linienverkehr auf der Linie 104 Puderbach – Dierdorf unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, haben die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin mit einer Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die personenbeförderungsrechtliche Genehmigung für die Buslinie 104 Puderbach – Dierdorf und wendet sich zugleich gegen die der Beigeladenen dazu bereits erteilte Genehmigung. Bisher wurde die Linie, für die die Beigeladene Genehmigungsinhaberin war, im Wege der Betriebsführung durch die A... Verkehrs-GmbH bedient. Diese Genehmigung lief am 31. August 2013 aus.
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Die Klägerin stellte im September 2012 einen Antrag auf Genehmigung eines Linienverkehrs gemäß § 42 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) als eigenwirtschaftliches Angebot. Ebenfalls im September 2012 gingen die Anträge der Beigeladenen sowie der B..., deren Geschäftsführung der Geschäftsführer der Klägerin innehat, bei dem Beklagten ein. Der Antrag der B... wurde jedoch nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht mehr weiter verfolgt.
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Der Beklagte gab den Antragstellern mit Schreiben vom 14. November 2012 bis zum 3. Dezember 2012 Gelegenheit zur Nachbesserung ihrer Anträge. Neben weiteren Modifikationen legte die Beigeladene mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 einen nachgebesserten Fahrplan und eine Beschreibung der Qualitätsmerkmale ihres Verkehrsangebots vor. In dem Schreiben heißt es unter anderem, sie sichere zu, den beantragten Verkehr wie beschrieben über die Laufzeit eigenwirtschaftlich durchzuführen. Die Klägerin besserte mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 ihr Angebot nach und sicherte – im Vorgriff auf § 12 Abs. 1 a PBefG – unter anderem folgende Angebotsbestandteile verbindlich zu: Für die Genehmigungsdauer das Fahrtenangebot für die Beförderung von Schülern, die durch den Aufgabenträger mit Schülerjahreskarten bestellt werden (bei mindestens 20 Schülern pro Fahrt). Ferner hinsichtlich der Anzahl der Verbindungen/Fahrten an allen Verkehrstagen die Quantität der Verbindungen/Fahrten im Vergleich zum beantragten Fahrplanangebot. Hiervon nahm die Klägerin Verbindungen bzw. Fahrten aus, die sich bis zum 31. Dezember 2023 von der Nachfrage her negativ entwickelten und von weniger als 9 Fahrgästen genutzt würden.
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Wegen einer zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Änderung des Personenbeförderungsgesetzes gab der Beklagte den Bewerbern mit E-Mail vom 8./9. Januar 2013 die Möglichkeit, bis zum 14. Januar 2013 Erklärungen über verbindliche Zusicherungen im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG abzugeben. Davon machte die Klägerin unter dem 14. Januar 2013 im Wesentlichen unter Wiederholung des Inhalts ihres Schreibens vom 3. Dezember 2012 Gebrauch. Ergänzend sicherte sie nunmehr die Aufrechterhaltung der Schülerbeförderung bei einer Mindestfahrgastzahl von 9 Schülern pro Fahrt zu. Die Beigeladene teilte mit Schreiben vom 14. Januar 2013 bestimmte verbindliche Zusicherungen mit. Darunter befindet sich die Aussage, in der Eigenwirtschaftlichkeit seien Mehr- und Minderleistungen gemäß des Angebots bei Fahrten ab 5 Fahrgästen bis 3,5 % der Gesamtleistung enthalten; entsprechende Gespräche würden mit dem Aufgabenträger bedarfsorientiert (mindestens zweimal jährlich) geführt.
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Nach Durchführung des personenbeförderungsrechtlichen Anhörungsverfahrens erteilte der Beklagte der Beigeladenen die begehrte Genehmigung und lehnte gleichzeitig den Antrag der Klägerin und der weiteren Bewerberin ab. Nach dem Auswahlkriterium der besten Verkehrsbedienung (§ 13 Abs. 2b PBefG) sei der Beigeladenen der Vorzug zu geben. Das Angebot der Klägerin sei schon deshalb schlechter, weil sie nur eine Aufrechterhaltung des Verkehrs wirksam zugesichert habe, soweit die Fahrten bzw. Verbindungen von wenigstens 9 Fahrgästen bzw. 20 Schülern mit Schülerjahreskarten genutzt würden. Diese von der Klägerin genannten Mindestbesetzungszahlen könnten nicht akzeptiert werden. Nach der langjährigen Verwaltungspraxis werde eine Mindestbesetzung von 5 Fahrgästen landeseinheitlich zugrunde gelegt. Ab 5 Fahrgästen bestehe nämlich grundsätzlich ein öffentliches Verkehrsinteresse. Die Mindestbesetzungszahlen der Klägerin hätten auch unter Berücksichtigung der zugesicherten längeren Genehmigungsdauer, der zugesicherten Standards, sowie, weil in der Frage des Tarifs kein Unterschied zwischen den Bewerbern auszumachen sei, eine derart relativierende Wirkung, dass die Genehmigung der Beigeladenen zu erteilen sei. Die Genehmigung zur Betriebsführung wurde gleichzeitig für die A... Verkehrs-GmbH erteilt.
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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Dabei wies sie insbesondere auf ihre umfangreichen verbindlichen Zusicherungen im Vergleich zu der Beigeladenen hin. Ihre Zusicherung, den Fahrplan aufrecht zu erhalten, soweit Fahrten von mindestens 9 Fahrgästen genutzt würden, habe lediglich zur Folge, dass eine Entpflichtung nur unter erschwerten Bedingungen zu erreichen sei. Deshalb dürfe diese verbindliche Zusicherung nicht zu ihren Lasten ausgelegt werden. Ihr Angebot sei insgesamt besser als das der Beigeladenen.
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Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2014 zurück. Die Klägerin habe schon kein zulässiges Angebot abgegeben, weil bei ihr eine Teilidentität in der Geschäftsführung mit der B... bestehe und deswegen ein Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbes vorliege. Es bleibe überdies dabei, dass die Beigeladene die bessere Verkehrsbedienung angeboten habe. Die Klägerin selbst habe ihr Angebot unter den Vorbehalt gestellt, dass nur Fahrten/Verbindungen, die von wenigstens 9 Fahrgästen bzw. 20 Schülern genutzt würden, eigenwirtschaftlich betrieben werden könnten. Dies sei eine unzulässige Bedingung. Dadurch bestehe die Gefahr für die Aufgabenträger, dass Fahrten unterhalb dieser Mindestbesetzungszahlen ersatzlos wegfielen bzw. kostenpflichtig bestellt werden müssten. Nach ständiger Verwaltungspraxis komme aber ein Wegfall von Fahrten erst bei weniger als 5 Personen in Betracht. Das Angebot der Klägerin sei danach schon seinem Inhalt nach wesentlich schlechter, auf die Profilierung durch die Zusicherungen komme es nicht mehr an. Demgegenüber habe die Beigeladene in ihrem Angebot vom 3. Dezember 2012 zugesichert, den beantragten Verkehr wie beschrieben über die gesamte Laufzeit eigenwirtschaftlich durchzuführen.
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Mit der am 26. Mai 2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Begründung im Widerspruchsverfahren weiter und vertieft diese.
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In der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2015 hat die Klägerin ihren Antrag aus der Klageschrift mit der Maßgabe gestellt, dass lediglich eine Neubescheidung begehrt werde. Sie beantragt nunmehr,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2014 zu verpflichten, über ihren Antrag vom 25. September 2012 auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung auf der Linie 104 Puderbach – Dierdorf unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Begründung im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid und vertieft seine Ausführungen.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie ist aber der Ansicht, die beste Verkehrsbedienung angeboten zu haben. Der Beklagte habe die Zusicherung der Klägerin hinsichtlich der Fahrgastbesetzung zu Recht negativ bewertet. Es bestehe die Gefahr, dass die Klägerin im Wege der Teilbetriebsentpflichtung bzw. Fahrplanänderung Fahrten mangels verbindlicher Zusicherung ohne erschwerte Bedingungen einstelle, wenn die von der Klägerin angenommenen Mindestbesetzungszahlen nicht erreicht würden. Dieses Risiko bestehe demgegenüber bei ihr nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsvorgänge Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2015 ihre Klage zurückgenommen hat. Begehrt ein Kläger statt der Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsakts in der mündlichen Verhandlung lediglich noch die Verpflichtung zur Neubescheidung, stellt eine solche Beschränkung des Klageantrags eine teilweise Klagerücknahme dar (vgl. nur OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 27.09.2007 – 2 L 224/05 –, juris, Rn. 24 m. w. N.).
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Soweit sie nicht zurückgenommen wurde, hat die Klage Erfolg.
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Die Klage ist zulässig. Ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung kann der Klägerin nicht unter Hinweis auf den Umstand abgesprochen werden, einer ihrer Geschäftsführer habe in gleicher Position zunächst auch einen Antrag auf Genehmigung derselben Linie für die Firma B... gestellt. Abgesehen davon, dass der zuletzt genannte Antrag inzwischen nicht mehr weiterverfolgt wird, bleibt zu sehen, dass sich die Klägerin als Adressatin eines ihren Antrag ablehnenden Bescheids unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) grundsätzlich gerichtlich gegen eine sie belastende Verwaltungsentscheidung wenden können muss.
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Die Klage ist auch begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 20. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2014 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist somit aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Darüber hinaus war der Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Diesem Antrag auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung steht der Grundsatz des Geheimwettbewerbs nicht entgegen (1.). Die Auswahlentscheidung des Beklagten hält der gerichtlichen Überprüfung nicht stand (2.).
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1. Dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung der begehrten Linienverkehrsgenehmigung steht zunächst nicht der vom Beklagten behauptete Ausschlusstatbestand wegen eines Verstoßes der Klägerin gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs entgegen. Zwar trifft es zu, dass sowohl die Klägerin wie auch die Mitbewerberin wegen der bestehenden Personenidentität in der Geschäftsführung Kenntnis von dem jeweils anderen Angebot hatten. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs folgt hieraus indes nicht. Die im Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2014 zitierte wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung (vgl. Vergabekammer Düsseldorf, Beschl. v. 24.08.2011 – VK-22/2011-L –, juris, Rn. 25) betrifft die europaweite Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags und nimmt Bezug auf die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A (VOL/A). Die darin genannten Bestimmungen und die dazu entwickelten Grundsätze sind aber nicht ohne weiteres auf das hier zugrunde liegende Verfahren betreffend die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung übertragbar. Während bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Sicherstellung des Geheimwettbewerbs zwischen den beteiligten Bietern aus fiskalischen Gründen zu den verfahrensrechtlichen Grundvoraussetzungen zählt, sieht das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bei Genehmigungen für den eigenwirtschaftlichen Verkehr vergleichbare Erfordernisse nicht vor (im Ergebnis ebenso Nds. OVG, Beschl. v. 27.10.2009 – 7 LA 94/08 –, juris, Rn. 5 f.; Dörr, in: Dreher/Motzke, Vergaberecht, Komm., 2. Aufl., 2013, § 97 Abs. 1 GWB Rn. 19 mit Fn. 47 m. w. N.). Die Regelungen über den eigenwirtschaftlichen Verkehr bei der Erteilung von Linienverkehrsgenehmigungen dienen nicht den fiskalischen Interessen der öffentlichen Hand, sondern in erster Linie der Sicherstellung des öffentlichen Verkehrsinteresses. Von der Rechtsprechung ist es wiederholt als legitimes Mittel anerkannt worden, den konkurrierenden Bewerbern zur Beförderung des Wettbewerbs um das beste Angebot und im Sinne des öffentlichen Verkehrsinteresses zur Gewährleistung der besten Verkehrsbedienung die Genehmigungsanträge wechselseitig mitzuteilen (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 11.10.2010 – 1 BvR 1425/10 –, juris, Rn. 11; Nds. OVG, Beschl. v. 27.10.2009, a.a.O., VG Koblenz, Urt. v. 26.01.2006 – 6 K 835/05.KO –, juris, Rn. 25). Hat sich, was nach dem Vorstehenden nicht zu beanstanden ist, der Beklagte hier für diesen Weg entschieden und haben die Anbieter dieses Verfahren nicht zeitnah bemängelt, sondern vielmehr ihrerseits von den Konkurrenzanträgen Kenntnis erhalten, so können weder sie, noch der Beklagte geltend machen, allein die Klägerin habe einen wettbewerbswidrigen Vorteil erlangt. Ein solches Verhalten wäre treuwidrig (zutreffend Nds. OVG, Beschl. v. 27.10.2009, a.a.O., Rn. 4: venire contra factum proprium). Schließlich ist der Beklagte selbst nicht entsprechend vorgegangen. Er hat das Angebot der Klägerin nämlich nicht von vornherein als unzulässig aus dem Wettbewerb herausgenommen, sondern in seine Auswahlentscheidung einbezogen und den Antrag letztlich aus Sachgründen abgelehnt.
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2. Die der Auswahlentscheidung des Beklagten zugrunde liegende Wertung, die Beigeladene habe das beste Verkehrsangebot abgegeben, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Werden – wie hier – im öffentlichen Personennahverkehr mehrere Anträge gestellt, die sich ganz oder zum Teil auf die gleiche oder im Wesentlichen gleiche Verkehrsleistung beziehen, so ist gemäß § 13 Abs. 2 b PBefG die Auswahl des Unternehmens danach vorzunehmen, wer die beste Verbindung anbietet. Hierbei sind insbesondere die Festlegungen eines Nahverkehrsplans im Sinne des § 8 Abs. 3 PBefG zu berücksichtigen. Die Entscheidung darüber, welcher Antragsteller die beste Verkehrsbedienung anbietet, eröffnet der Behörde einen Beurteilungsspielraum, welcher der gerichtlichen Überprüfung nur begrenzt zugänglich ist. Die Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob die Wertung die Grenzen des eingeräumten Beurteilungsspielraums überschritten hat (BayVGH, Urt. v. 15.03.2012 – 11 B 09.1114 –, juris, Rn. 51, 55). Letzteres ist hier der Fall. Der Beklagte hat die inhaltliche Reichweite einer von der Klägerin abgegebenen Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG unzutreffend ausgelegt und damit einen maßgeblichen Wertungsgesichtspunkt objektiv fehlgewichtet (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 55).
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Der Beklagte hat die Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung an die Beigeladene in erster Linie mit dem Argument begründet, das Angebot der Klägerin sei schon deshalb schlechter, weil sie die Zusicherung abgegeben habe, wonach lediglich Fahrten mit einer Mindestbesetzung von 9 Personen bzw. 20 Schülern mit Schülerjahreskarten pro Fahrt aufrecht erhalten werden. Demgegenüber habe die Beigeladene – ohne dies wirksam zuzusichern – erklärt, die in ihrem Fahrplan enthaltenen Fahrten aufrecht zu erhalten, solange mindestens 5 Fahrgäste regelmäßig mitfahren. Letzteres entspreche der den Bewerbern bekannten, seit Jahren geübten Verwaltungspraxis des Beklagten. Die Zusicherung der Klägerin biete keinen Vorteil, weil sie hinter dieser Praxis zurückbleibe. Der Sache nach relativiere sie vielmehr das Angebot der Klägerin insoweit, als nur Fahrten/Verbindungen mit den entsprechenden Mindestfahrgastzahlen über die gesamte Laufzeit eigenwirtschaftlich angeboten würden. Diese Sicht des Beklagten wird der inhaltlichen Reichweite der von der Klägerin abgegebenen Zusicherung nicht gerecht und ist von daher als Begründung für die Bewertung des klägerischen Angebots als das schlechtere Angebot nicht tragfähig.
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Dabei ist der Beklagte allerdings zunächst zu Recht von der Prämisse ausgegangen, die Klägerin habe in Bezug auf die Mindestfahrgastzahlen eine wirksame Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG abgegeben. Soweit der Beklagte den Bewerbern mit Blick auf die zum 1. Januar 2013 in Kraft getretene Regelung des § 12 Abs. 1 a PBefG mit E-Mail vom 8./9. Januar 2013 die Möglichkeit zur Abgabe von Zusicherungen im Sinne dieser Vorschrift eingeräumt hat, ist diese Verfahrensweise unter den Beteiligten nicht (mehr) strittig. Zwar hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 14. Januar 2013 deswegen Bedenken angemeldet, diese aber letztlich nicht mehr weiterverfolgt. Stattdessen hat sie sich auf die gewählte Verfahrensweise eingelassen und entsprechende Zusicherungen abgegeben. Auch das Gericht hält die Vorgehensweise des Beklagten in dieser Hinsicht für rechtlich unbedenklich, zumal es sich hier um die besondere Situation einer Gesetzesänderung ohne Übergangsregelung während eines laufenden Verwaltungsverfahrens handelte.
- 26
Unter dem Aspekt „Mindestfahrgastzahlen“ hat die Klägerin im Ergebnis zwei verbindliche Zusicherungen abgegeben. Derartige Aussagen zu Fahrplänen/Verbindungen können ohne weiteres Gegenstand einer verbindlichen Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG sein (Fielitz/Grätz, Personenbeförderungsgesetz, Kommentar, Loseblattsammlung, § 12 Rn. 9; und BT-Drs. 17/8233, Seite 15).
- 27
Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin bereits mit dem Nachbesserungsschreiben vom 3. Dezember 2012 im Vorgriff auf die zum 1. Januar 2013 in Kraft getretene Regelung des § 12 Abs. 1 a PBefG wirksame verbindliche Zusicherungen im Sinne dieser Vorschrift abgegeben hat. Denn jedenfalls hat sie in ihrem Schreiben vom 14. Januar 2013 (Bl. 18 f. der Unternehmensakte Firma B... GmbH Linie 104) erklärt, sie sichere zu den bisherigen Zusicherungen im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG vom 3. Dezember 2012 weitere und ergänzende Angebotsbestandteile verbindlich zu. Spätestens damit wurde ihre Erklärung, sie werde für die gesamte Genehmigungsdauer das Angebot für die Beförderung von Schülern mit Schülerjahreskarten bei mindestens 20 Schülern pro Fahrt aufrechterhalten, verbindlich zugesichert. Die weitere Absenkung der Mindestfahrgastzahl auf 9 Schüler pro Fahrt kann hingegen nicht als Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG gewertet werden, weil es sich insoweit gleichzeitig um eine im Januar 2013 nicht mehr zulässige Nachbesserung des Angebots handelte.
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Darüber hinaus hat sie im Schreiben vom 14. Januar 2013 unter der Ziffer 4.a) „Betriebszeiten und Anzahl der Verbindungen/Fahrten“ zugesichert, bis zum 31. Dezember 2023 die im Fahrplanangebot enthaltenen Fahrten/Verbindungen an allen Verkehrstagen aufrecht zu erhalten. Ausgenommen sind Verbindungen/Fahrten, die sich bis zum 31. Dezember 2023 von der Nachfrage her negativ entwickelt haben und von weniger als 9 Fahrgästen pro Fahrt genutzt werden. Diese Zusicherung ist wirksam abgegeben, weil sie sich mit dem Wortlaut der Ziffer 3.a) „Betriebszeiten und Inhalt der Verbindungen/Fahrten“ im Nachbesserungsschreiben vom 3. Dezember 2012 deckt.
- 29
Liegt nach alledem unter dem Stichwort „Mindestfahrgastzahlen“ eine wirksame Zusicherung der Klägerin vor, so lässt das Angebot der Beigeladenen eine solche Zusicherung vermissen. Deren Angebot einschließlich der Nachbesserung vom 3. Dezember 2012 enthält keine Aussagen zu der Frage der Mindestfahrgastzahlen. Angaben hierzu finden sich erstmals in der Zusicherung vom 14. Januar 2013. Da sich das Recht auf die Abgabe von Zusicherungen lediglich auf bereits zum 3. Dezember 2012 vorliegende Angebotsbestandteile bezog, ist diese Zusicherung unwirksam und kann als Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG keine Berücksichtigung finden. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass im Nachbesserungsschreiben der Beigeladenen vom 3. Dezember 2012 ausgeführt ist: „Wir sichern zu, den beantragten Verkehr wie hier beschrieben über die Laufzeit eigenwirtschaftlich durchzuführen.“ In dieser Formulierung kann schon deshalb keine wirksame Zusicherung im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG gesehen werden, weil diese Regelung zum damaligen Zeitpunkt (3. Dezember 2012) noch nicht in Kraft war. Überdies haben auch der Beklagte und die Beigeladene selbst dies nicht als Zusicherung im Sinne der Vorschrift gewertet. Das folgt aus dem Umstand, dass der Beklagte erstmals mit E-Mail vom 8./9. Januar 2013 den Bewerbern die Möglichkeit zur Abgabe von Zusicherungen eingeräumt hat. Dies wäre überflüssig gewesen, wenn solche Zusicherungen bereits vorgelegen hätten. Ferner führt die Beigeladene in ihrem Schreiben vom 14. Januar 2013 unter Bezugnahme auf das Schreiben des Beklagten vom 9. Januar 2013 sinngemäß aus, sie mache von der Möglichkeit Gebrauch, bestimmte Positionen ihres Angebots verbindlich zuzusichern. Auch dies wäre überflüssig, wenn sie davon ausgegangen wäre, ihr Angebot sei bereits in Gänze verbindlich zugesichert.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten können die Zusicherungen der Klägerin jedoch nicht als Einschränkung der Eigenwirtschaftlichkeit des von ihr abgegebenen Angebots gewertet werden. Nach Sinn und Zweck der Regelung des § 12 Abs. 1 a PBefG kann die Zusicherung nur so verstanden werden, dass die Klägerin sich im Falle eines Antrags auf Genehmigung einer Teilentpflichtung im Sinne des § 21 Abs. 4 PBefG bzw. einer Fahrplanänderung im Sinne des § 40 Abs. 2 PBefG bei mehr als 8 Personen pro Fahrt dem strengeren Regime des § 21 Abs. 4 Satz 3 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 a PBefG unterworfen hat. Sie muss sich mit anderen Worten in diesem Falle entgegenhalten lassen, dass die Erfüllung der Betriebspflicht in diesem Umfang in der Regel zumutbar ist. Werden derartige Anträge von der Klägerin hingegen bei weniger als 9 Fahrgästen pro Fahrt gestellt, so gilt die allgemeine Regel des § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 PBefG auch gegenüber der Klägerin. Keineswegs eröffnet die Zusicherung ihr die Möglichkeit, einen genehmigten Verkehr im Falle der Unterschreitung der zugesicherten Mindestfahrgastzahlen eigenmächtig einzustellen. Vielmehr bedarf es auch in diesen Fällen weiterhin einer Teilentpflichtungsgenehmigung im Sinne des § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG bzw. einer Zustimmung nach § 40 Abs. 2 PBefG, deren Voraussetzungen der Beklagte im Einzelfall zu prüfen hat.
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Ist damit im Ergebnis festzuhalten, dass Teilentpflichtungsanträge der Klägerin zum Teil nach dem strengeren Regime des § 21 Abs. 4 Satz 3 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 a PBefG und zum Teil nach § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 PBefG zu beurteilen sind, während solche Anträge der Beigeladenen mangels Vorliegens einer entsprechenden Zusicherung stets „nur“ nach § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 PBefG zu beurteilen sind, so ist die Wertung des Beklagten, das Angebot der Klägerin sei wegen der zugrunde liegenden Zusicherung schlechter als das der Beigeladenen, nicht mehr tragfähig.
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Dieses Ergebnis entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, wie sie in der Gesetzesbegründung zu § 12 PBefG (BT-Drs. 17/8233, Seite 15) niedergelegt ist. Darin heißt es, für die im Genehmigungswettbewerb zu treffende Auswahlentscheidung könne es darauf ankommen, mit welchen Standards die Antragsteller den beantragten Verkehr durchführen wollen. Mit § 12 Abs. 1 a PBefG sei deshalb die Möglichkeit geschaffen worden, bestimmte Angebotsteile verbindlich zuzusichern. Sie sollten dem Antragsteller eine bessere Ausgangsposition verschaffen, seien dann aber bei erfolgreichem Antrag für die gesamte Laufzeit der Genehmigung einzuhalten. Diese Überlegungen machen deutlich, dass Zusicherungen im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG schon vom Ansatz her nicht dazu geeignet sein können, bestimmte Teile eines verbindlich abgegebenen Angebots zu relativieren. Denn dann könnten sie ihre Zweckbestimmung, dem Antragsteller eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen, nicht erfüllen.
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Gleichwohl bleibt auch bei dieser Auslegung des Gesetzes die Entscheidung darüber, welcher Anbieter das beste Verkehrsangebot abgegeben hat, Sache des Beklagten. Allein die Tatsache, dass ein Bewerber als einziger zu einem bestimmten Angebotsteil eine wirksame Zusicherung abgegeben hat, führt noch nicht zwingend zu dem Ergebnis, es handele sich damit ohne weiteres um das in diesem Punkt bessere Angebot. Vielmehr muss auch in diesem Fall der Inhalt der Zusicherung sowie aller weiteren Angebotsbestandteile unter Berücksichtigung des öffentlichen Verkehrsinteresses ordnungsgemäß bewertet werden. Im vorliegenden Fall wird der Beklagte die Werthaltigkeit der klägerischen Zusicherung zur Mindestfahrgastzahl insbesondere mit Blick auf die von ihm geübte Verwaltungspraxis zu bewerten haben, Anträge auf Teilentpflichtungen im Sinne des § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG in der Regel abzulehnen, wenn noch mindestens 5 Personen pro Fahrt das Angebot nutzen.
- 34
Schließlich ist auch der Einwand des Beklagten, im Falle der Erteilung der Genehmigung an die Klägerin sehe er sich mit Blick auf die Regelung des § 15 Abs. 3 Satz 2 PBefG gezwungen, die vorgenannte Verwaltungspraxis aufzugeben, nicht stichhaltig. Die genannte Vorschrift verlangt lediglich, dass die Einhaltung von Zusicherungen im Sinne des § 12 Abs. 1 a PBefG durch eine Auflage zur Genehmigung abzusichern ist. Deren Ausgestaltung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Unter Berücksichtigung der oben zur inhaltlichen Reichweite der klägerischen Zusicherung gemachten Ausführungen ist der Beklagte gerade nicht zur Aufgabe seiner bisherigen Verwaltungspraxis gezwungen. Anträge auf Teilbetriebsentpflichtung bzw. Fahrplanänderung der Klägerin bei weniger als 9 Fahrgästen/20 Schülern pro Fahrt wären vielmehr – wie dargelegt – weiterhin nach § 21 Abs. 4 Satz 1 PBefG bzw. § 40 Abs. 2 PBefG zu behandeln.
- 35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und – soweit die Klage zurückgenommen worden ist – aus § 155 Abs. 2 VwGO. Für das Gericht bestand keine Veranlassung, die Klägerin und den Beklagten auch mit den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu belasten, da diese keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit ihrerseits keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
- 37
Gründe, die Berufung zuzulassen (§§ 124, 124a VwGO), liegen nicht vor.
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Beschluss
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Der Wert des Streitgegenstandes wird bis zur teilweisen Klagerücknahme auf 20.000 €, danach auf 10.000 € (vgl. Ziff. 1.4 und 47.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 [LKRZ 2014, 169]) festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz).
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Referenzen
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- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
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- GWB § 97 Grundsätze der Vergabe 1x
- PBefG § 13 Voraussetzung der Genehmigung 2x
- PBefG § 21 Betriebspflicht 9x
- 1 BvR 1425/10 1x (nicht zugeordnet)
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