Beschluss vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 O 233/15.KO
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren zur Fahreignung der Antragstellerin wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin erstrebt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich ihrer Fahreignung.
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Der Antragsgegner entzog mit Bescheid vom 29. Juni 2011 der Antragstellerin die Fahrerlaubnis, nachdem diese kein Einverständnis mit einer amtsärztlichen Untersuchung hinsichtlich ihrer Kraftfahreignung mit Blick auf eine psychische Erkrankung vorgelegt hatte. Die Antragstellerin lieferte ihren Führerschein daraufhin beim Antragsgegner ab und beantragte im August 2011 die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Das Gesundheitsamt wies in seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 2011 auf eine bestehende Schizophrenie hin, die in der Vergangenheit mit Verfolgungs- und Vergiftungswahn, akustischen, geruchlichen und optischen Halluzinationen einhergegangen sei. Es wurde eine ausführliche medizinisch-psychologische Untersuchung empfohlen, mit der sich die Antragstellerin – einschließlich der Kostentragung – einverstanden erklärte. Mit Schreiben vom 24. Juni 2012 legte die Antragstellerin Widerspruch ein gegen das Gutachten des TÜV ... vom 22. Juni 2012, da in diesem „die Tatsachen vollends falsch dargestellt bzw. wiedergegeben“ würden. Das Gutachten kommt zu folgendem Ergebnis:
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„Es liegt eine noch nicht hinreichend therapierte Gesundheitsstörung, Krankheit oder Körperbehinderung vor, die für die Fahreignung erheblich ist. Zudem liegen schwerwiegende psychofunktionale Leistungsbeeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kfz in Frage stellen. Frau … sollte sich erneut in nervenärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben und eine gute Compliance entwickeln.“
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Im Dezember 2013 legte die Antragstellerin eine vom 28. Oktober 2013 datierende fachärztliche Bescheinigung von Frau Dr. med. ... (Neurozentrum ..., Praxis für Neurologie/Psychiatrie und Psychotherapie, ...) vor. Danach findet sich aktuell „kein Hinweis für eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem SFK.“ Fachärztlicherseits bestünden keine Bedenken gegen die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Die Antragstellerin erklärte sich im Mai 2014 einverstanden mit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auf ihre Kosten durch das Neurozentrum ... in .... Der Antragsgegner teilte dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin im August 2014 mit, dass zur Ausräumung der Eignungsbedenken nur eine erneute medizinisch-psychologische Untersuchung einer anerkannten MPU-Stelle anerkannt werden könne.
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Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 wurde die Antragstellerin aufgefordert, auf ihre Kosten ein fachärztliches Gutachten eines Psychiaters mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation bis zum 16. Januar 2015 beizubringen.
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Das Landgericht Bad Kreuznach wies mit Beschluss vom 4. Februar 2015 (Az. 2 OH 2/15) den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren wegen fehlender Zuständigkeit zurück.
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Die Antragstellerin hat am 17. März 2015 beim erkennenden Verwaltungsgericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Antrag im selbständigen Beweisverfahren beim Verwaltungsgericht gestellt. Zur Begründung verweist sie darauf, der Antragsgegner dürfe kein Gutachten mehr verlangen, da die infrage stehenden ärztlichen Klärungen hinreichend erfolgt seien. Es liege keinerlei belastbarer ärztlicher Befund bezüglich einer Psychose vor. Daher bestehe ein rechtliches Interesse daran, diese Frage zu klären. Hierdurch erübrige sich ein sonst erforderlich werdender Rechtsstreit.
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Die Antragstellerin beantragt,
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ihr für nachfolgenden Antrag im selbständigen Beweisverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt H zu bewilligen.
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Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe werde beantragt,
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im Wege der Beweissicherung ohne mündliche Verhandlung das schriftliche Gutachten eines Psychiaters sowie eines Psychologen über folgende Fragen einzuholen: Besteht bei der Antragstellerin eine akute schizophrene Psychose? Wenn ja, steht diese der Teilnahme im Straßenverkehr entgegen? Wenn nein, welche Gründe sprechen gegen die Erteilung einer Fahrerlaubnis an die Antragstellerin?
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er verneint ein rechtliches Interesse für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor Anhängigkeit der Klage, da hier Fragen betroffen seien, welche die Behörde im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht prüfe.
II.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstrebte selbständige Beweisverfahren hat keinen Erfolg.
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Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da der Antrag auf ein selbständiges Beweisverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dabei geht die Kammer von folgendem rechtlichen Ansatz aus:
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Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden. Für eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO ist keine offensichtliche Begründetheit der Klage oder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolges notwendig. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen (siehe OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. Mai 2000 - 2 E 10602/00.OVG -). Dabei können schwierige Rechts- und Tatsachenfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht abschließend entschieden werden. Es genügt, dass der Rechtsstandpunkt des Antragstellers bei summarischer Prüfung mit guten Gründen vertretbar erscheint. Insbesondere wenn der Ausgang des Rechtsstreits von einer Beweisaufnahme abhängt, ist die Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO grundsätzlich zu bejahen. Das Gleiche gilt auch dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (siehe BVerfG, Beschluss vom 7. April 2000, NJW 2000, 1936). Prozesskostenhilfe darf mithin dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber fernliegend ist (BVerfG, a.a.O.).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht für das Begehren der Antragstellerin, denn sie hat aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach den §§ 485 ff. ZPO i.V.m. § 98 VwGO.
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Nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann eine Partei – wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist – die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass unter anderem der Zustand einer Person festgestellt wird. Gemäß Satz 2 der Vorschrift ist ein rechtliches Interesse dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Der Antrag muss unter anderem die Glaubhaftmachung der Tatsachen enthalten, welche die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen (§ 487 Nr. 4 ZPO).
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Das erkennende Gericht ist nach § 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO als zur Entscheidung in der Hauptsache berufen zuständig. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Koblenz für eine im Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO zu verfolgende Verpflichtungsklage auf Erteilung der Fahrerlaubnis ergibt sich aus § 45, § 52 Nr. 3 VwGO und § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes.
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Ein rechtliches Interesse für die Durchführung des begehrten selbständigen Beweisverfahrens ist nicht glaubhaft gemacht. Das gilt zunächst für den in § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO genannten Fall, dass die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Eine derartige Prognose ist im derzeitigen Stadium des beim Antragsgegner anhängigen Verwaltungsverfahrens nicht möglich. Ein künftiger Rechtsstreit ist nicht einmal im Ansatz erkennbar, da der Antragsgegner noch nicht über den Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis entschieden hat. Eine Aussage über die Vermeidung eines künftigen Rechtsstreites müsste ins Blaue hinein erfolgen und erwiese sich als reine Spekulation. Selbst nach Erlass eines negativen Ausgangsbescheides, der mit Widerspruch angefochten wurde, wäre eine den Anforderungen des § 485 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 487 Nr. 4 ZPO entsprechende Prognose noch nicht möglich. Denn in einem Vorverfahren würde das Verpflichtungsbegehren nach § 68 Abs. 1 VwGO von der Widerspruchsbehörde überprüft werden, die in vollem Umfang an die Stelle der Ausgangsbehörde tritt und auch grundsätzlich deren volle Entscheidungskompetenz besitzt (vgl. Kopp/Schenke, Komm. zur VwGO, 20. Aufl. 2014, § 68 Rd.-Nr. 9).
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Unabhängig davon scheidet ein rechtliches Interesse an der Durchführung des Beweisverfahrens auch deshalb aus, weil nach der Verweisungsvorschrift des § 98 VwGO die dort unter anderem in Bezug genommenen §§ 485 ff. ZPO lediglich „entsprechend“ anzuwenden sind. Dies bedeutet nicht nur, die Unterschiede zwischen Verwaltungsprozess und Zivilprozess dahin zu berücksichtigen, dass in ersterem der Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO gilt, während letzterer durch den Verhandlungsgrundsatz (Beibringungsgrundsatz) gekennzeichnet ist (vgl. hierzu Thomas/Putzo, Komm. zur ZPO, 34. Aufl. 2013, Einl. I, Rd.-Nrn. 1-4). Daneben ist der Gewaltenteilungsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachten, wonach die Verwaltung und das Verwaltungsgericht von der Verfassung vorgesehene unterschiedliche Staatsgewalten darstellen. Die Durchführung der von der Antragstellerin begehrten Beweiserhebung bedeutete die Auslagerung eines wesentlichen Teiles des anhängigen Verwaltungsverfahrens auf das Verwaltungsgericht, so dass gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen würde. Die von § 98 VwGO ermöglichte entsprechende Anwendung der zivilprozessualen Vorschriften über die Beweisaufnahme hat dieses verfassungsrechtliche Prinzip zu berücksichtigen. Hier ist zu sehen, dass in den Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung die Sachverhaltsermittlung bereits den Behörden obliegt, die ggf. auch den durch § 485 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Sachverständigenbeweis erheben müssen. Von daher ist für die Einleitung eines dem Hauptprozess vorgeschalteten gerichtlichen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO regelmäßig kein Raum (vgl. Schreiber, Das selbständige Beweisverfahren, NJW 1991, 2600 f.). Diese Auslegung des Gesetzes ergibt sich auch unter Einbeziehung der Gesetzgebungsmaterialien zum Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz in der Fassung vom 17. Dezember 1990. In der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung heißt es hierzu (BT-Drucks. 11/3621, S. 24):
- 24
„... In Verfahren nach der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsordnung, in denen die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Beweisaufnahme nach § 98 VwGO, § 82 FGO entsprechende Anwendung finden, folgt die Beschränkung auf den Sicherungszweck aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung der Behörden einerseits und der Gerichte andererseits. Denn die Sachverhaltsermittlung einschließlich der Beweiserhebung ist hier außerhalb eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich Aufgabe der Behörden.“
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Das Begehren der Antragstellerin liefe aber nicht nur auf eine Umgehung der vorgenannten verfassungsrechtlichen und einfach-rechtlichen Maßgaben hinaus. Vielmehr würden auch die Besonderheiten der im Fahrerlaubnis-Erteilungsverfahren differenziert geregelten Anforderungen an den Untersuchungsgrundsatz nach § 24 VwVfG vernachlässigt. Danach ermittelt die Behörde zwar im Grundsatz den Sachverhalt von Amts wegen. Das schließt aber, wie § 26 Abs. 2 VwVfG zeigt, Mitwirkungspflichten der Beteiligten nicht aus. Die Sätze 1 und 2 der Bestimmung regeln die allgemeine Mitwirkungspflicht dahingehend, dass die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben sollen. Darüber hinaus enthält Satz 3 die Zulässigkeit von weitergehenden Mitwirkungspflichten, soweit diese durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen sind. Derartige spezialgesetzliche Pflichten bestehen beispielsweise beim Nachweis der Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges, wie § 2 Abs. 8 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – und § 11 Abs. 2 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – zeigen (zu den spezialgesetzlichen Mitwirkungspflichten siehe: Kopp/Ramsauer, Komm. zum VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 24 Rd.-Nr. 46 und § 26 Rd.-Nr. 44a; Stelkens/Bonk/Sachs, Komm. zum VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 26 Rd.-Nr. 57). Das von der Antragstellerin begehrte selbständige Beweisverfahren liefe dieser gesetzlich vorgesehenen Pflichtenverteilung zuwider.
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An dieser vom Gesetzgeber geregelten Zuteilung einer Mitwirkungslast an den Fahrerlaubnis-Bewerber ist auch keine Ausnahme mit Blick auf das mögliche Fehlen finanzieller Mittel oder beengter finanzieller Verhältnisse der Antragstellerin zu machen. Diese Umstände stellen regelmäßig keinen ausreichenden Grund für die Verweigerung der Begutachtung oder sonst für eine Aufweichung der in der Regel zu erbringenden Nachweisanforderungen dar. Grundsätzlich geht es zu Lasten des Betroffenen, wenn er nicht über die für ein Gutachten erforderlichen Mittel verfügt (vgl. hierzu VG Koblenz, Beschluss vom 12. März 2015 – 4 L 183/15.KO – m.w.N.).
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Referenzen
- ZPO § 485 Zulässigkeit 4x
- VwGO § 86 1x
- §§ 485 ff. ZPO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 68 1x
- 2 E 10602/00 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 486 Zuständiges Gericht 1x
- VwVfG § 26 Beweismittel 1x
- FGO § 82 1x
- 2 OH 2/15 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 487 Inhalt des Antrages 2x
- VwGO § 166 1x
- VwGO § 52 1x
- 4 L 183/15 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 98 4x
- VwGO § 40 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 3x
- VwVfG § 24 Untersuchungsgrundsatz 1x