Beschluss vom Verwaltungsgericht Koblenz (5. Kammer) - 5 L 475/21.KO

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

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Die anwaltlich vertretene Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 8. Mai 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. April 2021 wiederherzustellen. Dabei geht die Kammer unter Berücksichtigung der Antragsbegründung davon aus (§ 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –), dass sich die Antragstellerin allein gegen Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides, d.h. die von der Antragsgegnerin nach § 16 Abs. 3 Satz 1 Handwerksordnung – HwO – ausgesprochene und mit der Anordnung des Sofortvollzugs versehene Untersagungsverfügung wendet. Denn zu Beginn ihrer Antragsbegründung führt die Antragstellerin aus, sie „begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 8. Mai 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.04.2021, wonach der Antragstellerin untersagt ist, weitere Tätigkeiten des Friseurhandwerks ohne Eintragung in die Handwerksrolle auszuüben“. Letzteres ist der Regelungsgehalt von Ziffer 1 des Bescheides vom 30. April 2021. Zu den Ziffern 2 und 3 des angegriffenen Bescheids lässt sich die Antragstellerin demgegenüber weder in ihrer Antragsbegründung noch in ihrem weiteren Schriftsatz vom 2. Juni 2021 ein.

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I. Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. In der Sache bleibt er jedoch ohne Erfolg.

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Vorab ist festzuhalten, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Anforderungen an die Begründung des Vollzugsinteresses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt und auch im Übrigen in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Hiervon geht ausdrücklich auch die Antragstellerin aus.

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Damit bedarf es zur Entscheidung über die vorläufige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren einer gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse eines Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist stattzugeben, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nicht überwiegt.

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Ausgehend hiervon überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Untersagungsverfügung vom 30. April 2021 bereits deshalb, weil diese – jedenfalls nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung – offensichtlich rechtmäßig ist und zudem ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht.

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1. In formeller Hinsicht ist die auf § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO gestützte Untersagungsverfügung rechtmäßig ergangen.

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Die Antragsgegnerin war zu deren Erlass nach § 124b Satz 1 und 2 Halbs. 1 HwO i.V.m. § 1 Abs. 2 der Landesverordnung über Zuständigkeiten nach der Handwerksordnung und dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz zuständig. Die Antragstellerin ist mit Schreiben vom 30. Juli 2020 ordnungsgemäß angehört worden. Gleichermaßen sind die Handwerkskammer A. und die Industrie- und Handelskammer A. vor Erlass der streitbefangenen Maßnahme gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO angehört worden und haben gemeinsam erklärt, dass sie die Voraussetzungen einer Untersagung als gegeben ansehen.

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2. Die von der Antragstellerin angegriffene Untersagungsverfügung vom 30. April 2021 ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.

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Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde die Fortsetzung des selbständigen Betriebs eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe untersagen, wenn der Betrieb entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung ausgeübt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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a) Die Antragstellerin betreibt mit den hier allein streitgegenständlichen Tätigkeiten „Brautfrisuren, Hairstyling, Komplettstyling, Frisieren der Brauteltern, u.a.“ (nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind insbesondere die von der Antragstellerin darüber hinaus angebotenen Workshops und Online-Kurse) ein stehendes Gewerbe.

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aa) Entgegen ihrer eigenen Einschätzung ist die Antragstellerin mit den vorstehend wiedergegebenen Verrichtungen nicht künstlerisch, sondern handwerklich tätig. Sie wird deshalb – anders als bei der Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit höherer Art (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 1991 – 2 BvR 281/91 –, juris Rn. 14) – grundsätzlich vom Geltungsbereich der Handwerksordnung erfasst.

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Die Abgrenzung zwischen handwerklicher und künstlerischer Betätigung erfolgt nach handhabbaren, in der Rechtsprechung und im Schrifttum bereits entwickelten Kriterien (vgl. hierzu und zum Folgenden grundlegend OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 5 Bf 146/17.Z –, juris Rn. 25 ff.; ferner OVG RP, Beschluss vom 11. Juni 2021 – 6 A 10114/21.OVG –, BA S. 4 mit Verweis auf VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 29. November 2018 – 4 K 854/18.NW –; Urteil vom 10. Dezember 2020 – 4 K 603/20.NW –). Insoweit erfolgt die Abgrenzung zunächst danach, ob die betreffende Tätigkeit im Wesentlichen eine erlernbare Arbeit darstellt oder als eigenschöpferisches gestaltendes Schaffen ohne erlernbare Voraussetzungen anzusehen ist. Dabei steht einer Einordnung als handwerkliche Tätigkeit nicht entgegen, wenn einzelne künstlerische Elemente in der Tätigkeit enthalten sind (vgl. OLG München, Urteil vom 3. Dezember 1992 – 6 U 2473/92 –, juris Rn. 7; OLG Brandenburg, Urteil vom 18. August 2010 – 3 U 149/09 –, juris Rn. 28). Das gilt insbesondere bei handwerklichen Tätigkeiten, die – wie das Friseurhandwerk – vom Berufsbild her auch eine eigenschöpferische Komponente aufweisen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 5 Bf 146/17.Z –, juris Rn. 26).

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Darüber hinaus ist eine Abgrenzung anhand der Gewinnerzielungsabsicht möglich. Während eine handwerkliche Tätigkeit vorrangig auf die Erzielung wirtschaftlicher Gewinne gerichtet ist, verfolgt eine künstlerische Tätigkeit daneben ein höheres vergeistigtes Ziel (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 5 Bf 146/17.Z –, juris Rn. 27 m.w.N.). Von Bedeutung ist des Weiteren, ob – was für eine handwerkliche Tätigkeit spricht – bei der Ausübung der Tätigkeit die korrekte Ausführung der Technik im Vordergrund steht und damit eher wenig Raum für eine künstlerische Freiheit bleibt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 5 Bf 146/17.Z –, juris Rn. 28) oder ob der Schwerpunkt auf einer eigenschöpferischen, dem eigenen künstlerischen Empfinden entspringenden Tätigkeit liegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 1991 – 2 BvR 281/91 –, juris Rn. 16).

14

Gemessen daran ist der von der Antragstellerin ausgeübte, hier allein in Rede stehende Tätigkeitskomplex des „Brautstyling, Hairstyling, Komplettstyling“ als handwerkliche Betätigung anzusehen. Für diese Einordnung spricht zunächst, dass es sich um eine im Wesentlichen erlernbare Arbeit handelt. Denn die Antragstellerin bringt selbst vor, ihre Fertigkeiten während „einer Anlernphase […] durch den Besuch verschiedener Kurse und Workshops“ erlernt zu haben. Hinzukommt, dass bei lebensnaher Betrachtung die Gestaltung einer (Hochzeits-)Frisur grundsätzlich nicht überwiegend durch ein eigenschöpferisches gestaltendes Schaffen geprägt ist. Zwar versteht es sich von selbst, dass die zu erbringende Leistung durch die Kundinnen nicht in jedem Detail vorab vorgegeben wird und dem Leistungserbringer insoweit ein gewisser Gestaltungsspielraum zukommt. Zugleich wird das gewünschte Resultat aber regelmäßig nicht vollends in dessen Belieben gestellt, sondern mindestens in Grundzügen umrissen. Damit verbleibt im Ergebnis allerdings wenig Raum für eine eigene schöpferische Leistung. Im Kern geht es vielmehr um die Verwirklichung der Gestaltungswünsche der Kundinnen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31. August 2011 – 8 C 8.10 –, juris Rn. 25 [insoweit in BVerwGE 140, 267 nicht abgedruckt]); dies ist keine freie künstlerische Handlung, sondern Handwerk. Vorliegend ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Antragstellerin bei ihrer Tätigkeit eine weitergehende eigenschöpferische Schaffenskraft zur Anwendung bringt als es im Grundsatz bei einer derartigen Tätigkeit anzunehmen ist. Vielmehr erweist sich ihr dahingehendes Vorbringen als widersprüchlich. Während sie einerseits vorbringt, ihre Arbeit sei künstlerisch geprägt, da sie „das Haarstyling gerade eben nicht an den Vorgaben der Bräute oder sonstigen Hochzeitskunden orientiert“, gesteht sie andererseits doch ein, dass „die Kunden ihre Wünsche äußern“. Wieso diese Wünsche gleichsam nicht von Relevanz für die zu gestaltende Frisur sein sollen, erschließt sich nicht. Die bloße Tatsache, dass die Antragstellerin bei alledem „ihre eigenen Frisuren entwickelt“ und „nach ihrem eigenen Stil“ arbeitet, vermag eine künstlerische Einordnung ihrer Tätigkeit jedenfalls nicht zu begründen. Insoweit sei daran erinnert, dass es einer Einordnung als handwerkliche Tätigkeit nicht entgegensteht, wenn einzelne künstlerische Elemente in der Tätigkeit enthalten sind, diese allerdings – wie hier – nicht den Schwerpunkt darstellen. Im Übrigen gibt die Antragstellerin vor, mit der streitbefangenen Arbeit „ihre Vergütung und den Unterhalt“ zu bestreiten. Da insoweit allerdings kein höheres vergeistigtes Ziel dargelegt oder ersichtlich ist, das sie mit ihrer Tätigkeit verfolgt, spricht auch dies für eine handwerkliche Klassifizierung.

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Soweit die Antragstellerin einer handwerklichen Einordnung ihrer Tätigkeit schließlich die Definition einer künstlerischen Tätigkeit nach § 2 Satz 1 Künstlersozialversicherungsgesetz – KSVG – entgegenhält, folgt hieraus nichts anderes. Die Abgrenzung zwischen handwerklicher und künstlerischer Tätigkeit ist nämlich nach den oben dargestellten, in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Kriterien vorzunehmen und wird von der sozialrechtlichen Einordnung im Künstlersozialabgabenrecht nicht vorweggenommen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 11. Juni 2021 – 6 A 10114/21.OVG –, BA S. 5 f.). Das Bundessozialgericht hat selbst immer wieder betont, dass dem Künstlersozialversicherungsgesetz ein an dem Gesetzeszweck orientierter eigenständiger Kunstbegriff zugrunde liegt. Der Begriff der selbständigen künstlerischen Tätigkeit im Sinne der §§ 1 und 2 KSVG muss also nicht zwangsläufig mit dem Begriff der künstlerischen Tätigkeit aus anderen Rechtsgebieten übereinstimmen. Insbesondere bei künstlerischen Tätigkeiten, deren Arbeitsergebnisse einen praktischen Nützlichkeits- bzw. Gebrauchswert haben oder einem gewerblichen Verwendungszweck dienen, fallen die Abgrenzungskriterien zwischen Kunstausübung einerseits und handwerklicher bzw. kunsthandwerklicher oder gewerblicher Tätigkeit andererseits unterschiedlich aus (vgl. BSG, Beschluss vom 14. Mai 2014 – B 3 KS 1/14 B –, juris Rn. 9 m.w.N.).

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bb) Zudem handelt es sich bei dem von der Antragstellerin ausgeübten Gewerbe um ein stehendes Gewerbe. Ein solches ist immer dann zu bejahen, wenn weder ein Reise- noch ein Messe-, Ausstellungs- oder Marktgewerbe vorliegt (vgl. VGH BW, Urteil vom 27. Februar 2020 – 6 S 2901/18 –, juris Rn. 25 m.w.N.; Schreiner, in: Schwannecke [Hrsg.], HwO, Werkstand: Dezember 2020, § 1 Rn. 55).

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Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass die Antragstellerin kein Messe-, Ausstellungs- oder Marktgewerbe betreibt.

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Ebenso wenig liegt allerdings ein Reisegewerbe im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Gewerbeordnung – GewO – vor. Nach dieser Vorschrift betreibt ein Reisegewerbe, wer gewerbsmäßig ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche zu haben Waren feilbietet oder Bestellungen aufsucht (vertreibt) oder ankauft, Leistungen anbietet oder Bestellungen auf Leistungen aufsucht. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Reisegewerbe und dem stehenden Handwerksbetrieb (Gewerbe) besteht darin, dass bei dem erstgenannten Gewerbe die Initiative zur Erbringung der Leistung von dem Gewerbetreibenden ausgeht, während im stehenden Gewerbe die Kunden um Angebote nachsuchen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2000 – 1 BvR 2176/98 –, juris Rn. 30; BVerwG, Beschluss vom 1. April 2004 – 6 B 5.04 –, juris Rn. 8). Im Fall der Antragstellerin ist schon nach ihrem eigenen Vortrag ohne Weiteres von Letzterem auszugehen. Sie gibt nämlich ausdrücklich an, dass „die Kunden zuvor bei [ihr] anrufen und sie […] sodann unmittelbar ihre Leistungen […] vor Ort erbringt, was gerade kein Reisegewerbe darstellt“. Soweit die Antragstellerin demgegenüber jedoch meint, einer Einordnung ihrer Tätigkeit als stehendes Gewerbe stehe entgegen, dass sie „ihre Tätigkeit ohne zeitlichen Rahmen jeweils auf Abruf bei den Kunden zu Hause, im Hotel oder an der sonstigen Location aus[übt]“, während in den von ihr vorgehaltenen Räumlichkeiten „die Leistung […] weder angeboten noch erbracht“ werde, verfängt dies nicht. Denn maßgeblich für die Abgrenzung des Reisegewerbes vom stehenden Handwerksbetrieb ist nach dem Vorstehenden allein die Initiative zur Erbringung der Leistung, nicht aber der Ort der Leistungserbringung.

19

b) Ferner handelt es sich bei dem von der Antragstellerin ausgeübten stehenden Gewerbe um den Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO.

20

Ein Gewerbebetrieb ist nach dieser Vorschrift ein Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe vollständig umfasst, das in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist, oder Tätigkeiten ausgeübt werden, die für dieses Gewerbe wesentlich sind (wesentliche Tätigkeiten). Zwar umfasst der Betrieb der Antragstellerin nicht vollständig ein Gewerbe, das in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 HwO). Sie übt mit dem von ihr beschriebenen Tätigkeitsspektrum des „Brautstyling, Hairstyling, Komplettstyling“ allerdings Tätigkeiten aus, die für das Friseurhandwerk nach Nr. 38 der Anlage A zu § 1 Abs. 2 HwO wesentlich sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 HwO).

21

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Tätigkeit wesentlich, wenn sie nicht nur fachlich zu dem betreffenden Handwerk gehört, sondern gerade den Kernbereich dieses Handwerks ausmacht und ihm sein essentielles Gepräge verleiht. Arbeitsvorgänge, die aus der Sicht des vollhandwerklich arbeitenden Betriebes als untergeordnet erscheinen, also lediglich einen Randbereich des betreffenden Handwerks erfassen, können demnach die Annahme eines handwerklichen Betriebes nicht rechtfertigen (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteil vom 3. September 1991 – 1 C 55.88 –, NVwZ-RR 1992, 472 [473]; Urteil vom 25. Februar 1992 – 1 C 27.89 –, NVwZ-RR 1992, 547 [548]; Urteil vom 9. April 2014 – 8 C 50.12 –, BVerwGE 149, 265 [269 Rn. 21]; vgl. ferner OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2012 – 6 A 10702/12.OVG –, juris Rn. 44 ff.). Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen einer für das Friseurhandwerk wesentlichen Tätigkeit vor.

22

Die von der Antragstellerin im Einzelnen angegebenen Tätigkeiten (im Bereich „Hairstyling“: Kämmen der Haare, Flechten und Eindrehen der Haare, Haare kreppen/wellen/locken/glätten mit Kreppeisen, Lockenstab- oder Glätteisen, Aufstecken der Haare mit und ohne Kissen/Unterlage, Haare auftoupieren, Föhnen der Haare; im Bereich „Brautstyling“ ergänzt durch Einflechten von Blumen, Schmuck oder ähnliches, Befestigen von Schleier, Hut etc.; im Bereich „Komplettstyling“ weiter ergänzt durch das passende Make-up) entsprechen fachlich dem Berufsbild eines Friseurs und den hierzu gehörigen Tätigkeiten. Dies folgt aus den einschlägigen Berufsausbildungs- und Meisterverordnungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Anhaltspunkt für die Frage der fachlichen Zugehörigkeit einer Tätigkeit zu einem handwerksfähigen Gewerbe herangezogen werden können (vgl. zu Meisterverordnungen BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1979 – 5 C 10.79 –, BVerwGE 58, 217 [219]; zu Berufsausbildungsverordnungen BVerwG, Urteil vom 31. August 2011 – 8 C 9.10 –, BVerwGE 140, 276 [279 Rn. 20]; Urteil vom 9. April 2014 – 8 C 50.12 –, BVerwGE 149, 265 [270 Rn. 22]; vgl. ferner OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2012 – 6 A 10702/12.OVG –, juris Rn. 46; BayVGH, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – 22 ZB 12.22 –, juris Rn. 13). Bei dem von der Antragstellerin der Sache nach vorgenommenen „Gestalten von Frisuren“ handelt es sich nach § 4 Abs. 2 Abschnitt A Nr. 2.3 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Friseur/zur Friseurin – FriseurAusbV – um einen Teil des Berufsbildes eines Friseurs bzw. einer Friseurin. Ebenso finden sich die von der Antragstellerin angebotenen Tätigkeiten als dem Friseurhandwerk zum Zwecke der Meisterprüfung zuzurechnende Tätigkeiten in der Verordnung über das Meisterprüfungsberufsbild und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im Friseur-Handwerk (Friseurmeisterverordnung – Friseur-MstrV –) wieder. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 11 Friseur-MstrV werden dem Friseurhandwerk insbesondere die Gestaltung von Frisuren mit unterschiedlichen Methoden einschließlich Haarersatz und -schmuck zugerechnet.

23

Darüber hinaus handelt es sich bei dem Gestalten von Frisuren in der von der Antragstellerin angebotenen Art und Weise nicht nur um einen Randbereich des Friseurhandwerks, sondern dieses macht gerade dessen Kernbereich aus und verleiht ihm sein essentielles Gepräge. Das Gestalten von Frisuren ist letztlich das Hauptziel der Tätigkeit einer Friseurin oder eines Friseurs. Dies gilt umso mehr, wenn – wie im Fall der Antragstellerin – aufwendige und letztlich auch hochpreisige (Hochzeits-)Frisuren in Rede stehen, die bei lebensnaher Betrachtung ein besonderes Maß an Sorgfalt und fachlicher Hingabe sowie eine vorhergehende Beratung erfordern. Insoweit geht das Tätigkeitsspektrum der Antragstellerin weit über ein „einfaches“ Gestalten von Frisuren hinaus, wie es von vielen Leuten selbst und ohne weitergehende fachliche Qualifikation vorgenommen wird (vgl. hierzu die von der Antragstellerin angebotenen Brautfrisuren: https://*** [zuletzt abgerufen am 1. Juli 2021]). Vielmehr handelt es sich um eine das Friseurhandwerk geradezu prägende Tätigkeit, mit der viele Friseurbetriebe ausdrücklich werbend in Erscheinung treten. Dass die Antragstellerin bei alledem keine Bearbeitung der Haare im klassischen Sinne (d.h. Schneiden, Waschen, Färben) vornimmt, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Schon aus systematischen Erwägungen bedarf es zur Wahrnehmung einer wesentlichen Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 HwO keines vollhandwerklichen Tätigwerdens; anderenfalls wäre die Tatbestandsvariante des § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 HwO obsolet. Dies wird gestützt von teleologischen Erwägungen (vgl. hierzu Schreiner, in: Schwannecke [Hrsg.], HwO, Werkstand: Dezember 2020, § 1 Rn. 77 f.). An der Gefahrgeneigtheit des Friseurhandwerks ändert sich im Ergebnis nämlich nichts, wenn die Antragstellerin kein Schneiden, Waschen oder Färben der Haare vornimmt. Auch die von ihr weiterhin ausgeübten Arbeiten, insbesondere die Verwendung eines Kreppeisens, eines Lockenstabs und eines Glätteisens, bringen potentielle Gefahren – etwa durch Hitzeschäden infolge nicht sachgemäßer Anwendung der genannten Geräte – für die Kundinnen mit sich.

24

Als unwesentliche Tätigkeiten des Friseurhandwerks im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO sind die Tätigkeiten der Antragstellerin hingegen nicht einzustufen. Nach dieser Norm stellen insbesondere solche Tätigkeiten keine wesentliche Tätigkeiten dar, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können (Nr. 1), die zwar eine längere Anlernzeit verlangen, aber für das Gesamtbild des betreffenden zulassungspflichtigen Handwerks nebensächlich sind und deswegen nicht die Fertigkeiten und Kenntnisse erfordern, auf die die Ausbildung in diesem Handwerk hauptsächlich ausgerichtet ist (Nr. 2), oder die nicht aus einem zulassungspflichtigen Handwerk entstanden sind (Nr. 3).

25

Zunächst liegt kein Fall von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO vor. Denn der zeitliche Richtwert für die Ausbildung in diesem Bereich beträgt nach dem einschlägigen Ausbildungsrahmenplan 26 Wochen (Anlage zu § 4 Abs. 2 Abschnitt A Nr. 2.3 FriseurAusbV). Nicht durchzudringen vermag die Antragstellerin in diesem Zusammenhang mit dem Einwand, ihre Tätigkeit mache „nur ein[en] Bruchteil dessen [aus], was unter Teil A Nr. 2.3 des Ausbildungsberufsbild[es] insgesamt gefordert wird und wofür insgesamt 26 Wochen Ausbildungszeit vorgesehen sind“. Zum einen ist schon der Vortrag der Antragstellerin nicht nachvollziehbar, für ihre Tätigkeit seien nur die unter b), c) und e), nicht aber die weiter unter a), d), f) und g) der Anlage zu § 4 Abs. 2 Abschnitt A Nr. 2.3 FriseurAusbV genannten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten vonnöten. Zum anderen dürfte auch bei Außerachtlassung der von der Antragstellerin nicht für erforderlich gehaltenen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten noch immer ein zeitlicher Richtwert von über drei Monaten Ausbildungszeit verbleiben. Ungeachtet dessen verbietet sich die von der Antragstellerin aufgenommene zeitliche Aufspaltung aber ohnehin aus Rechtsgründen. Denn der Dreimonatszeitraum des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO bezieht sich nicht lediglich auf einzelne Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten derjenigen Tätigkeiten, die in der dritten Spalte des Ausbildungsrahmenplans (Anlage zu § 4 FriseurAusbV) genannt sind. Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 HwO sind vielmehr die verschiedenen Tätigkeiten, die in der zweiten Spalte des Ausbildungsrahmenplans als Teile des Ausbildungsberufsbildes genannt sind (vgl. Detterbeck, in: HwO, 3. Online-Aufl. 2016, § 1 Rn. 46 mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 31. August 2011 – 8 C 8.10 –, juris Rn. 26 [insoweit in BVerwGE 140, 267 nicht abgedruckt]; Urteil vom 9. April 2014 – 8 C 50.12 –, BVerwGE 149, 265 [270 f. Rn. 23]). Im Übrigen ist die Methodik der Frisurengestaltung auch Gegenstand des Teils II der Meisterprüfung im Friseurhandwerk (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 1 lit. g) Friseur-MstrV). Dies spricht ebenfalls dagegen, dass es sich insoweit um eine kurzfristig erlernbare Tätigkeit handelt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – 22 ZB 12.22 –, juris Rn. 18; Detterbeck, in: HwO, 3. Online-Aufl. 2016, § 1 Rn. 44; Schreiner, in: Schwannecke [Hrsg.], HwO, Werkstand: Dezember 2020, § 1 Rn. 83). Damit einhergehend wirbt schließlich auch die Antragstellerin auf ihrer Internetseite (https://*** [zuletzt abgerufen am 1. Juli 2021]) damit, vor Beginn ihrer selbständigen Tätigkeit „jahrelang [sic!] Bekannte und Freunde zum Spaß frisiert [zu] habe[n]“ und „über die Jahre [sic!] selbst natürlich auch Workshops und vor allem Einzelcoachings bei geschätzten Kolleginnen besucht“ zu haben.

26

Auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO sind nicht erfüllt. Denn nach dem Vorstehenden handelt es sich bei den Tätigkeiten der Antragstellerin nicht um für das Gesamtbild des Friseurhandwerks nebensächliche, sondern vielmehr prägende Tätigkeiten.

27

Ebenso wenig sind die genannten Tätigkeiten schließlich nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 HwO unwesentlich, da sie gerade den Kernbereich des Friseurhandwerks darstellen und diesem nicht aus einem nicht zulassungspflichtigen Handwerk zugewachsen sind.

28

c) Nimmt die Antragstellerin – wie vorliegend aufgezeigt – eine wesentliche Tätigkeit eines zulassungspflichtigen Handwerks wahr, unterfällt dies gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO der Eintragungspflicht in die Handwerksrolle. Über eine solche Eintragung verfügt die Antragstellerin indes nicht, sodass sie ihren Betrieb entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung ausübt.

29

d) Sind nach alledem die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Untersagungsverfügung nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO gegeben, ist es in der Regel – und so auch hier – ermessensgerecht, die Fortführung des Betriebs zu untersagen. Ausnahmsweise kann in Fällen einer kurzfristig behebbaren lediglich formellen Rechtswidrigkeit, etwa wenn der Gewerbetreibende zwar noch nicht eingetragen ist, er aber die Voraussetzungen für eine Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt, etwas anderes gelten (vgl. zum Ganzen OVG Nds., Beschluss vom 29. September 2011 – 8 ME 105/11 –, juris Rn. 27; Schmitz, in: Schwannecke [Hrsg.], HwO, Werkstand: Dezember 2020, § 16 Rn. 21 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Weder hat die Antragstellerin dargetan noch ist sonst ersichtlich, dass sie die Voraussetzungen für eine Eintragung in die Handwerksrolle insoweit erfüllt oder aber die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände nach §§ 7a, 7b und 8 HwO vorliegen.

30

3. Schließlich liegt mit Blick auf die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit Dritter ein besonderes Vollzugsinteresse vor, das die Anordnung des Sofortvollzugs der Untersagungsverfügung zu rechtfertigen vermag (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2016 – 4 B 96.16 –, juris Rn. 39).

31

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

32

Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und erfolgt in Anlehnung an die Ziffern 54.2.1 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).

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