Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 6122/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die am 00.00.0000 in der ehemaligen UdSSR geborene Klägerin J. I. begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides.
3Ihre Eltern sind ausweislich der im Geburtsjahr ausgestellten Geburtsurkunde der deutsche Volkszugehörige K. I. und die russische Volkszugehörige B. I. . Die Großeltern väterlicherseits sind ebenfalls deutsche Volkszugehörige. Der Großvater, K1. I. , diente in den Jahren 1944 – 1945 in der deutschen Wehrmacht, war bis 1947 in Kriegsgefangenschaft und siedelte anschließend in die Bundesrepublik Deutschland über, wo er 1964 verstarb. Die Großmutter siedelte 1944 in den Warthegau um, wurde nach Kriegsende jedoch in die UdSSR (Uralgebiet) zurücktransportiert. Der 1925 geborene Vater der Klägerin diente ebenfalls in der deutschen Wehrmacht, geriet in Kriegsgefangenschaft und wurde 1946 zurück in die UdSSR (Magadan-Gebiet) deportiert. Die Großeltern der Klägerin sowie ihr Vater erwarben ausweislich der vorgelegten Einbürgerungsurkunde vom 26.08.1944 im Warthegau die deutsche Staatsbürgerschaft.
4Im Mai 1957 übersandte das Deutsche Rote Kreuz an den Vater der Klägerin ein von der zuständigen Behörde (Gemeinde Brake, Kreis Lemgo) genehmigtes „Anforderungsschreiben“ des Großvaters der Klägerin an die sowjetischen Milizbehörden, das sich auf die Ausreise des Vaters der Klägerin mit Ehefrau und den Kindern W. und V. I. (der Klägerin) in die Bundesrepublik Deutschland richtete. Die Übersiedlung der Familie in das Bundesgebiet wurde jedoch von den sowjetischen Behörden in der Folgezeit nicht gestattet.
5Unter dem 28.06.1989 stellte der Vater der Klägerin erneut einen Antrag auf Übernahme in das Bundesgebiet. In diesem Antrag war die Klägerin wiederum als Kind des Übernahmebewerbers aufgeführt. Mit Schreiben des Landratsamtes des Ortenaukreises vom 08.11.1989 wurde dem Bevollmächtigten des Vaters mitgeteilt, dass das BVA den Übernahmeantrag mit Bescheid vom 19.07.1957 bereits genehmigt habe. Die Verwandten müssten nun bei den örtlichen Milizbehörden einen Ausreiseantrag stellen. Der Vater der Klägerin reiste sodann im Jahr 1990 nach Deutschland aus. Am 30.04.1991 wurde ihm ein Vertriebenenausweis ausgestellt.
6Am 12.11.1991 beantragte die Klägerin erstmalig die Aufnahme nach § 27 Abs. 1 BVFG als Aussiedlerin bei dem Bundesverwaltungsamt.
7Dem Aufnahmeantrag war ein im Jahr 1990 ausgestellter Inlandspass mit Eintragung der russischen Nationalität beigefügt. In der Geburtsurkunde des Sohnes Alexander vom 21.08.1991 war die Klägerin ebenfalls mit russischer Nationalität geführt. Zu den Sprachkenntnissen wurde angegeben, die Muttersprache sei deutsch/russisch, die jetzige Umgangssprache in der Familie russisch. Die Klägerin könne die deutsche Sprache verstehen. In der Familie werde deutsch gesprochen von den Großeltern und einem Elternteil, aber nicht vom Antragsteller oder den Kindern des Antragstellers.
8Der Aufnahmeantrag wurde mit Bescheid vom 18.02.1994 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin beherrsche die deutsche Sprache nicht als Muttersprache oder als bevorzugte Umgangssprache. Sie habe angegeben, dass sie die deutsche Sprache lediglich verstehe. Außerdem habe sie sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt, denn in ihrem Inlandspass sei die russische Volkszugehörigkeit angegeben. Der Ablehnungsbescheid wurde am 26.02.1994 mit Postzustellungsurkunde an den bevollmächtigten Vater der Klägerin zugestellt.
9Am 21.11.2002 stellte die Klägerin einen erneuten Aufnahmeantrag. Mit diesem legte sie einen am 05.02.2002 ausgestellten Inlandspass der Russischen Föderation ohne Eintragung einer Nationalität vor. Außerdem war dem Antrag ein Beschluss der Pass- und Visaabteilung der Stadt Kaliningrad vom 01.06.2001 beigefügt, wonach die Nationalität der Klägerin auf ihren Wunsch von „Russin“ in „Deutsche“ zu ändern sei. Zu den Sprachkenntnissen gab sie an, sie habe die deutsche Sprache als Kind vom 1. bis zum 7. Lebensjahr vom Vater, der Großmutter und anderen Verwandten väterlicherseits erlernt. Ferner habe sie Deutschunterricht in der Schule und in Sprachkursen gehabt. Sie verstehe in deutscher Sprache fast alles und ihre Kenntnisse seien für ein einfaches Gespräch ausreichend.
10Das BVA teilte mit Schreiben vom 21.05.2003 mit, dass das Aufnahmeverfahren durch den Bescheid vom 18.02.1994 bestandskräftig abgeschlossen sei. Mit Schreiben vom 30.05.2003 stellte der bevollmächtigte Vater der Klägerin den Antrag, das Aufnahmeverfahren wieder aufzugreifen, weil sich viele Änderungen in den familiären Verhältnissen ergeben hätten. Er sei nach dem Krieg als Vaterlandsverräter verurteilt und nach Magadan deportiert worden, wo es keine Deutschen gegeben hätte. Er habe zwar seine deutschen Sprachkenntnisse erhalten, habe aber keine Möglichkeit gehabt, diese weiterzugeben, weil seine Frau eine Russin gewesen sei und die deutschen Familienangehörigen sehr weit weg gelebt hätten. Er habe sich aber bemüht, die Kinder angemessen im Sinne des deutschen Volkstums zu erziehen. Sie seien bereits durch Geburt deutsche Staatsangehörige.
11Die Kinder hätten mit 16 Jahren dem Druck der Passbeamtin nicht Widerstand leisten können, die ihnen vorgemacht hätte, sie würden als Deutsche große berufliche und gesellschaftliche Benachteiligungen erleiden. Hierdurch seien die Töchter beeinflusst worden. Nun hätten sie sich aber die deutsche Nationalität durch Gerichtsbeschluss zurückerkämpft, was früher unter der Diktatur nicht möglich gewesen sei.
12Mit Schreiben vom 08.07.2003 erklärte das BVA erneut, dass das Aufnahmeverfahren bestandskräftig abgeschlossen sei und verwies die Klägerin auf die Durchführung des Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens. Am 18.03.2011 wurde der Klägerin ein Ausweis über die deutsche Staatsangehörigkeit ausgestellt.
13Mit zwei Schreiben vom 18.10.2012 stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim BVA einen Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, vorsorglich im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens sowie einer Spätaussiedlerbescheinigung. Die Klägerin sei deutsche Staatsangehörige. Sie habe bereits eine Übernahmegenehmigung unter der SO-Liste vom 19.07.1957 erhalten, so dass auf sie die Vorschriften des § 6 Abs. 1 BVFG anzuwenden seien. Die Klägerin könne sich nach § 100 Abs. 4 BVFG auf § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG berufen.
14Mit weiteren Schreiben vom 24.10.2012 und vom 06.11.2012 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erneut die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 2 BVFG und einer Spätaussiedlerbescheinigung. Die Klägerin halte sich als deutsche Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie sei auch deutsche Volkszugehörige. Die Aufnahmeverfahren seien noch anhängig, da die Bescheide nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Die Anträge müssten unter Berücksichtigung von § 100 Abs. 4 bzw. Abs. 5 BVFG beschieden werden. Da der Klägerin am 19.07.1957 eine Übernahmegenehmigung erteilt worden sei und die sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG bzw. § 4 BVFG vorlägen, sei auch dann eine Spätaussiedlerbescheinigung zu erteilen, wenn kein Aufnahmebescheid vorläge. Wegen der Übernahmegenehmigung sei die Eintragung im Inlandspass irrelevant. Im Übrigen sei die Eintragung der russischen Nationalität im Inlandspass während der Gefangenschaft als deutsche Staatsangehörige und gegen ihren Willen erfolgt.
15Das Deutsche Rote Kreuz teilte mit Schreiben vom 08.04.2013 auf eine Anfrage des BVA mit, dass für die Klägerin keine Übernahmegenehmigung aus dem Jahr 1957 und kein D1-Antrag aus dem Jahr 1989 vorlägen.
16Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte mit Schreiben vom 12.09.2013, 05.11.2013, 21.11.2013 und 28.01.2014 einen ausdrücklichen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Erteilung eines Aufnahmebescheides unter Einbeziehung der Kinder und des Ehegatten sowie deren Abkömmlingen. Sie habe eine Aufnahmegenehmigung nach altem Recht, habe im Zeitpunkt der Einreise fließend Deutsch sprechen können und die deutsche Sprache in ihrer Familie von ihren Eltern gelernt. Hierzu wurde ein Deutsch-Zertifikat des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 06.05.2013 vorgelegt, wonach die Klägerin bei der Prüfung im April 2013 das Ergebnis A2 erzielt hat.
17Mit Auskunft vom 14.05.2014 teilte die Stadt Offenburg mit, dass die Klägerin am 06.09.2011 erstmalig eine Wohnung in Offenburg bezogen habe.
18Mit Bescheid vom 02.06.2014 wurde der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Erteilung eines Aufnahmebescheides abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, ein Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Die Sachlage habe sich nicht zugunsten der Klägerin geändert. Eine Übernahmegenehmigung sei nach den Erkenntnissen des Amtes für die Klägerin nicht erteilt worden. Im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit und die deutschen Sprachkenntnisse berufe sie sich auf eine Sachlage, die nach ihrer Behauptung schon immer bestanden und sich nicht geändert habe. Das Sprachzertifikat könne nicht als „neues Beweismittel“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 berücksichtigt werden, da sie dieses nicht innerhalb der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG vorgelegt habe.
19Durch das am 14.09.2013 in Kraft getretene 10. Änderungsgesetz sei auch keine Änderung der Rechtslage zugunsten der Klägerin erfolgt. Vielmehr sei das im Zeitpunkt der Aufenthaltnahme der Klägerin im Juni 2011 geltende Recht auf den Anspruch der Klägerin anzuwenden.
20Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens komme auch nicht nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in Betracht. Der Ablehnungsbescheid sei nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen. Die Klägerin sei nach den seinerzeit vorgelegten Urkunden russische Volkszugehörige gewesen und habe die deutsche Sprache lediglich verstehen, aber nicht sprechen können. Auch bei einer Rechtswidrigkeit des Bescheides bestehe kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit am Eintritt von Rechtssicherheit und dem Individualinteresse der Klägerin an einer neuen Sachentscheidung überwiege das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Bescheides. Es lägen keine Umstände vor, die dies als unerträglich erscheinen ließen. Insbesondere habe die Klägerin die ablehnende Entscheidung von 1994 über mehrere Jahre hingenommen und damit akzeptiert.
21Auch wenn man das Schreiben vom 30.05.2003 als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bewertet und bearbeitet hätte, habe auch seinerzeit kein Anspruch darauf bestanden.
22Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.06.2014 am 11.06.2014 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde angegeben, die Klägerin sei aufgrund des 10. Änderungsgesetzes im Zeitpunkt ihrer Einreise deutsche Volkszugehörige gewesen. Da sie deutsche Staatsangehörige sei, könne sie sich auf § 25 Abs. 2 BVFG berufen. Mit Schreiben vom 12.06.2014 legte der Prozessbevollmächtigte Bescheinigungen über die Teilnahme der Klägerin an Integrationskursen vor und bat um Berücksichtigung der Entscheidung des OVG NRW mit dem Az. 12 A 1878/09 .
23Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2014 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
24Hiergegen hat die Klägerin am 07.11.2014 Klage erhoben, mit der sie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Aufnahmebescheides begehrt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen den Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend macht sie geltend, sie habe sich im Aussiedlungsgebiet auch zum deutschen Volkstum bekannt, indem sie mehrfach versucht habe, die Eintragung im Inlandspass zu ändern, und einen Antrag auf Ausreise als deutsche Staatsangehörige bei den russischen Behörden gestellt habe.
25Die Klägerin sei auch im Zeitpunkt der Einreise und im Zeitpunkt ihrer Selbständigkeit in der Lage gewesen, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Sie habe die deutsche Sprache im Elternhaus gelernt und bis zu ihrer Selbständigkeit deutsch gesprochen. Die nachgewiesenen Sprachkenntnisse der Stufe A2 lägen über dem Niveau, das für die Anerkennung als Spätaussiedler gefordert werde.
26Es sei unzutreffend, dass es allein auf den Zeitpunkt der Einreise ankomme. Jedenfalls hätten die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit auch nach der damals geltenden Rechtslage vorgelegen.
27Mit Schriftsatz vom 18.08.2015 weist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hin. Nachdem die Beklagte in ähnlichen Fällen das Verfahren wiederaufgegriffen habe, sei sie gemäß Art. 3 GG auch hier verpflichtet, das Verfahren wiederaufzugreifen und die Sprachkenntnisse neu zu bewerten.
28Die Klägerin beantragt in der mündlichen Verhandlung,
29die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 02.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2014 zu verpflichten, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen,
30die beiden Söhne der Klägerin, B1. I. und X. I. , in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen,
31hilfsweise,
32die beiden Söhne der Klägerin in die Übernahmegenehmigung einzutragen.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Sie hält an der Auffassung fest, dass kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehe. Eine Änderung der Rechtslage liege nicht vor, weil die Klägerin sich nicht auf das 10. Änderungsgesetz berufen könne. Ungeachtet dessen seien die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit weder nach der aktuellen Rechtslage noch nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise erfüllt.
36Auch nach der aktuellen Rechtslage müsse die Klägerin im Zeitpunkt der Einreise in der Lage gewesen sein, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Dies lasse sich jedoch nicht feststellen. Die durch das vorgelegte Zertifikat aus dem Jahr 2013 nachgewiesenen Sprachkenntnisse der Stufe A2 genügten nicht für ein einfaches Gespräch. Außerdem belegten sie nicht die Sprachkenntnisse zum Zeitpunkt der Einreise im Jahr 2011.
37Die Beklagte bestreitet, dass sie in vergleichbaren Fällen das Verfahren wiederaufgegriffen habe und daher in der Ermessensausübung gemäß Art. 3 GG gebunden sei.
38Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40Soweit die Klägerin mit der Klage die Erteilung eines Aufnahmebescheides, gegebenenfalls im Wege des Wiederaufgreifens des Verwaltungsverfahrens begehrt, ist die Klage zulässig. Insbesondere steht der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin einen Aufnahmebescheid zum Zweck der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG benötigt. Zwar ist sie nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens, sondern als deutsche Staatsangehörige eingereist. Es erscheint jedoch derzeit nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin eine Übernahmegenehmigung erteilt wurde und sie deshalb gemäß § 100 Abs. 4 BVFG auch ohne einen Aufnahmebescheid eine Spätaussiedlerbescheinigung erhalten kann.
41Das Rechtsschutzinteresse ergibt sich jedoch aus ihrem Antrag auf Einbeziehung ihrer Söhne B1. und X. in den Aufnahmebescheid,
42vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.08.2014 - 11 A 496/14 - ; BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 5 C 32.00 - .
43Eine andere rechtliche Möglichkeit der Einbeziehung besteht nicht. Insbesondere ist eine nachträgliche Einbeziehung oder Eintragung der Söhne in eine Übernahmegenehmigung im BVFG nicht vorgesehen,
44vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.11.1999 – 5 B 17/99 – juris, Rn. 4.
45Die Klägerin benötigt zum Zweck der Einbeziehung einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedlerin nach § 27 Abs. 1 BVFG. Dies ist insbesondere für den Sohn X. von Bedeutung, weil dieser die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt und die Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheids für ihn voraussichtlich nicht in Betracht kommt, sodass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gesichert ist,
46vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18.01.2016 - 11 E 29/16 - und vom 10.02.2016 - 11 E 109/16 - .
47Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheides im Härteweg nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Der Bescheid des BVA vom 02.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
48Das frühere Aufnahmeverfahren der Klägerin wurde durch den Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 18.02.1994 bestandskräftig abgeschlossen. Der Bescheid wurde ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Postzustellungsurkunde an den bevollmächtigten Vater der Klägerin ordnungsgemäß bekanntgegeben. Da kein Widerspruch eingelegt wurde, wurde die Ablehnung bestandskräftig. Damit steht fest, dass der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedlerin nicht zusteht, es sei denn, dass sie einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG hat.
49Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Aufnahmeverfahrens sind jedoch nicht erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin einen Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht in zulässiger Weise geltend gemacht.
50Sie kann sich nicht auf eine Änderung der Rechtslage durch das 10. Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 06.09.2013 (BGBl. I S. 3554) berufen. Denn dieses Änderungsgesetz ist auf die Beurteilung des Aufnahmeanspruchs der Klägerin nicht anwendbar, soweit es um die Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft geht. Daher wirkt es sich nicht zu ihren Gunsten aus.
51Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Bundesgebiet aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die sonstigen Voraussetzungen ergeben sich aus § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Danach wird der Aufnahmebescheid auf Antrag an Personen erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Wer Spätaussiedler ist, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 BVFG für Personen, die aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion stammen. Nach dieser Vorschrift ist Spätaussiedler ein deutscher Volkszugehöriger, der die Aussiedlungsgebiete nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von 6 Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor seit seiner Geburt seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
52Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet abzustellen,
53vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 30.14 und 1 C 29.14 - , Urteil vom 28.05.2015 - 1 C 24.14 - juris Rn. 20; Urteil vom 12.03.2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116, 119 Rn. 9.
54Denn aus der materiell-rechtlichen Bestimmung des § 4 Abs. 1 BVFG ergeben sich nicht nur die Voraussetzungen für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft, sondern auch der Zeitpunkt, auf den es für den Erwerb ankommt, nämlich den Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts. Dies gilt entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch für Antragsteller, die – wie die Klägerin - nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens übersiedeln, sondern auf einer anderen rechtlichen Grundlage in das Bundesgebiet eingereist sind und sodann einen Härtefallaufnahmebescheid beantragen,
55vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.11.2015 - 11 E 1113/15 - und vom 09.12.2015 - 11 E 1170/15 - .
56Denn die Voraussetzungen für die Begründung der Spätaussiedlereigenschaft sind im Verfahren zur Erteilung eines (nachträglichen) Aufnahmebescheides und im Verfahren auf Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG einheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinen Entscheidungen vom 16.07.2015 ausdrücklich ausgeführt, dass es auch bei einem nach der Aufenthaltnahme erfolgten Antrag auf einen Härtefallaufnahmebescheid nach Sinn und Zweck der Regelung nicht zu rechtfertigen sei, die lediglich vorläufige Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft nach anderen Grundsätzen vorzunehmen als die zu diesem Zeitpunkt bereits mögliche endgültige Entscheidung über die Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung,
57BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 29.14 – juris, Rn. 28, 29.
58Die vorherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass in Fällen eines Härtefallaufnahmebescheides die Anforderungen an die Spätaussiedlereigenschaft, insbesondere an die deutsche Volkszugehörigkeit, nach dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen sind, wurde bewusst aufgegeben,
59BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 29.14 – juris, Rn. 28 unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung, BVerwG, Urteil vom 22.04.2004 – 5 C 27.02 – Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr.11.
60Die jetzt in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG geregelten Fälle der nachträglichen Beantragung eines Aufnahmebescheides umfassen aber auch die hier vorliegende Fallgestaltung, in denen der Aufnahmebewerber nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens, also ohne Aufnahmebescheid oder Einbeziehungsbescheid, sondern als deutscher Staatsangehöriger oder auf anderer Rechtsgrundlage eingereist ist.
61Demnach bleibt es dabei, dass auch in den Fällen einer Übersiedlung außerhalb des Aufnahmeverfahrens für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts, hier im Juni 2011, maßgeblich ist. Zu diesem Zeitpunkt richtete sich der Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2007 (BGBl. I S. 1902). Denn im Juni 2011 war das 10. Änderungsgesetz noch nicht in Kraft getreten. Eine Änderung der Rechtslage durch das 10. Änderungsgesetz zugunsten der Klägerin liegt somit nicht vor.
62Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine nachträgliche Änderung der dem Bescheid zugrunde liegenden Sachlage berufen.
63Zwar hat sich die Sachlage insoweit geändert, als die Klägerin nach Erlass des Ablehnungsbescheides vom 18.02.1994 im Jahr 2001 ihre Nationalität durch Beschluss der Pass- und Visaabteilung der Stadt Kaliningrad vom 01.06.2001 von „Russisch“ in „Deutsch“ geändert hat. Dies wirkt sich jedoch nicht zugunsten der Klägerin aus. Denn nach der hier zum Zeitpunkt der Einreise der Klägerin geltenden Fassung des § 4 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2007 (BGBl. I S. 1902) war für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit u. a. erforderlich, dass sich der Antragsteller bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiet „nur“ zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin auch nach der Änderung der Nationalität nicht, weil sie bei der Ausstellung ihres ersten Inlandspasses im Jahr 1968 die russische Nationalität ihrer Mutter, und nicht die deutsche Nationalität des Vaters gewählt hat und hiermit ein Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum abgegeben hat. Dieses Gegenbekenntnis schließt ein durchgängiges und ausschließliches Bekenntnis „nur“ zum deutschen Volkstum aus.
64Das Gegenbekenntnis ist der Klägerin auch zurechenbar. Die Erklärung des Vaters der Klägerin im Brief vom 30.05.2003, die Passbeamtin habe seine Töchter zur Wahl der russischen Nationalität überredet, indem sie auf erhebliche gesellschaftliche und berufliche Nachteile bei einer Entscheidung für die deutsche Nationalität hingewiesen habe, lässt ein freiwilliges Bekenntnis nicht entfallen. Die Beeinflussung der Motivation für die Wahl einer anderen Nationalität durch Dritte schließt nicht aus, dass der jugendliche Passbewerber eine frei verantwortliche Entscheidung für ein fremdes Volkstum getroffen hat. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der freie Wille aufgrund einer körperlichen oder psychischen Zwangslage nicht mehr ausgeübt werden konnte. Dafür liegen aber keine Anhaltspunkte vor.
65Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Eintragung sei während der Gefangenschaft der Klägerin als deutsche Staatsangehörige und damit gegen ihren Willen erfolgt, ist nicht nachvollziehbar. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich die 16-jährige Klägerin im Jahr 1968 selbst in Gefangenschaft befand. Allein der Vater der Klägerin befand sich in Kriegsgefangenschaft und anschließend 20 Jahre in Strafhaft wegen der Zugehörigkeit zur deutschen Wehrmacht. Es gibt insbesondere auch keinen Hinweis im Brief des Vaters vom 30.05.2003, dass die Klägerin wegen der Verurteilung ihres Vaters zu einer Wahl der russischen Nationalität gezwungen worden sei.
66Demnach erfüllt die Klägerin auch bei Berücksichtigung der Nationalitätsänderung im Jahr 2001 nicht die Anforderungen an das notwendige durchgängige Bekenntnis.
67Soweit sich die Klägerin auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit, auf das Bestehen einer Übernahmegenehmigung und familiär vermittelte Sprachkenntnisse beruft, macht sie keine nachträgliche Änderung der Sachlage geltend, sondern eine Rechtsstellung bzw. eine Sachlage, die nach ihrem Vortrag bereits zum Zeitpunkt des Ablehnungsbescheids im Jahr 1994 bestanden hat, aber nicht berücksichtigt worden ist. Diese Umstände hätte sie in einem Rechtsbehelfsverfahren gegenüber dem Ablehnungsbescheid geltend machen können; sie können daher jetzt nicht mehr berücksichtigt werden, § 51 Abs. 2 VwVfG.
68Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht auf das Vorliegen neuer Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG stützen. Der Staatsangehörigkeitsausweis vom 18.03.2011 ist zwar ein Beweismittel, das der Klägerin im Jahr 1994 nicht zur Verfügung stand. Dieses Beweismittel hat sie jedoch nicht in der Frist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG vorgelegt. Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Erteilung eines Aufnahmebescheides wurde erst im Oktober 2012 gestellt.
69Auch das Sprachzertifikat vom 06.05.2013 ist kein neues Beweismittel, das eine für die Klägerin günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Es ist weder geeignet, Beweis für die bei Einreise im Juni 2011 vorhandenen Sprachkenntnisse zu erbringen noch für die erforderliche familiäre Vermittlung der deutschen Sprache.
70Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG.
71Die Beklagte hat die nachträgliche Aufhebung des ablehnenden Bescheides nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 VwVfG ermessensfehlerfrei abgelehnt. Sie hat hierbei zutreffend auf die Abwägung der grundsätzlich gleichwertigen Belange des Schutzes der Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung und damit der Belange von Rechtsfrieden auf der einen und auf das Interesse der Klägerin an der Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite abgehoben. Es ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass sie im Ergebnis dem öffentlichen Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat. Es bedarf auch keiner abschließenden Klärung, ob der ablehnende Bescheid rechtswidrig ist oder nicht, denn allein der Umstand der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Entscheidung würde noch nicht ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung und damit ein Wiederaufgreifen gebieten. Das Ermessen der Behörde zu Gunsten des Betroffenen verdichtet sich lediglich dann, wenn das Festhalten an dem bestandskräftigen Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre,
72vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 5 C 9/11 -.
73Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Die Ablehnung des Wiederaufgreifens eines Verfahrens ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als ein Verstoß gegen die guten Sitten, Treu und Glauben oder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu bewerten wäre oder eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Entscheidung gegeben ist.
74Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass die Ablehnung des Wiederaufgreifens gegen die guten Sitten, Treu und Glauben oder Art. 3 GG verstößt. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das BVA in vergleichbaren Fällen das Verfahren wiederaufgegriffen hätte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die diesbezügliche Behauptung nicht mit der Angabe von vergleichbaren Fällen belegt.
75Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Ablehnungsbescheid vom 18.02.1994 offensichtlich rechtswidrig war. Es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte die für die Spätaussiedlereigenschaft maßgebliche deutsche Volkzugehörigkeit nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 in der seinerzeit geltenden Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2094) zu Unrecht verneint hat. Danach waren nach dem 31.12.1923 geborene Personen nur dann deutsche Volkszugehörige, wenn ihnen die Eltern oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt hatten. Ferner musste sich der Antragsteller bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt haben.
76Zwar hatte die Beklagte seinerzeit zu Unrecht darauf abgestellt, ob die deutsche Sprache als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache beherrscht wird,
77vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.2000 - 5 C 37/99 - .
78Dies war jedoch nicht offensichtlich rechtswidrig, sondern entsprach bis zu der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die erst nach dem Erlass des Bescheides erging, der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich bis dahin an der vor dem 01.01.1993 geltenden Fassung des § 6 BVFG orientiert hatte,
79vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.1996 - 9 C 8/96 - und vom 17.06.1997 - 9 C 10/96 - .
80Aber auch auf der Grundlage des Urteils des Bundeverwaltungsgerichts vom 19.10.2000 ist der Bescheid nicht offensichtlich rechtswidrig. Denn es konnte auch nach den dort aufgestellten Maßstäben für die Sprachbeherrschung gerade nicht festgestellt werden, dass die deutsche Sprache der Klägerin mit Gewicht und gleichrangig zur Landessprache vermittelt worden ist. Denn die Klägerin konnte nach den seinerzeitigen Angaben im Aufnahmeantrag die deutsche Sprache nur verstehen, nicht sprechen. Der Vater der Klägerin hat in seinem Brief an das BVA vom 30.05.2003 bestätigt, dass er die deutsche Sprache nicht an seine Kinder hat weitergeben können und andere Personen mit deutschen Sprachkenntnissen nicht vorhanden waren. Demgegenüber entbehrt die Behauptung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im vorliegenden Verfahren, die Klägerin habe bei Ausreise und schon in der Kindheit ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen können, jeglicher Grundlage und begründet keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung.
81Außerdem fehlte seinerzeit die erforderliche „Erklärung“ zum deutschen Volkstum, da die Klägerin sich bei der Ausstellung des ersten Inlandspasses im Jahr 1968 für die russische Nationalität der Mutter entschieden hatte und dies zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung im Jahr 1994 auch noch nicht geändert hatte. Es liegen auch keine Hinweise darauf vor, dass sich die Klägerin in diesem Zeitraum auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat.
82Der Ablehnungsbescheid war auch nicht deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil die Beklagte seinerzeit nicht geprüft hat, ob die Klägerin möglicherweise Spätaussiedlerin in Anwendung von § 100 Abs. 4 BVFG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a. F. ist. Nach dieser Vorschrift sind Personen, die vor dem 1. Juli 1990 eine Übernahmegenehmigung des Bundesverwaltungsamtes erhalten haben, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG in der vor dem 01.01.1993 geltenden Fassung oder des § 4 BVFG auch dann Spätaussiedler, wenn ihnen kein Aufnahmebescheid nach § 26 erteilt worden ist.
83Diese Regelung könnte der Klägerin die Möglichkeit bieten, den Spätaussiedlerstatus durch die Berufung auf die günstigeren Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG in der Fassung des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 28.06.1990 (BGBl. I S. 1247) zu erwerben. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG 1990 war Vertriebener, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verlassen hat oder verlässt. Demnach war für die Begründung der Rechtsstellung als Vertriebener bereits ausreichend, die Aussiedlungsgebiete als deutscher Staatsangehöriger zu verlassen. Die deutsche Volkszugehörigkeit war nicht unbedingt erforderlich.
84Ob die Klägerin die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, kann offen bleiben. Die Beklagte hat über den Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG noch nicht entschieden. Insbesondere bedarf es noch einer eingehenden Prüfung der Frage, ob der Klägerin selbst eine Übernahmegenehmigung erteilt worden ist. Dieser Antrag ist auch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
85Denn selbst, wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie nach dieser Regelung den Status einer Spätaussiedlerin mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes erworben hat, begründet dies keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß §§ 26 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG.
86Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährt § 27 BVFG in der Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2094) keinen Rechtsanspruch für Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG auf Erteilung eines Aufnahmebescheides. Vielmehr steht dieser Anspruch nur solchen Personen zu, die die sich aus §§ 4, 6 Abs. 2 BVFG ergebenden Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen, also insbesondere deutsche Volkszugehörige sind,
87vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.10.2010 - 12 A 2496/09 - juris Rn. 29 unter Hinweis auf BVerwG, Beschlüsse vom 07.07.1998 - 9 B 1202.97 - , 14.09.1999 - 5 B 57.99 - , 02.11.1999 - 5 B 17.99 - und 17.08.2004 - 5 B 72.04 - juris.
88Dies lässt sich schon aus dem Wortlaut ableiten. Denn § 100 Abs. 4 BVFG bestimmt ausdrücklich, dass der Inhaber einer Übernahmegenehmigung auch dann Spätaussiedler ist, wenn ihm kein Aufnahmebescheid erteilt wurde. Demnach ist zur Geltendmachung des Spätaussiedlerstatus nach § 100 Abs. 4 BVFG gerade kein Aufnahmebescheid erforderlich. Die Einreise kann mit Hilfe der Übernahmegenehmigung erfolgen, die in dieser Funktion den Aufnahmebescheid ersetzt. Die Erteilung eines Aufnahmebescheides an die Inhaber einer Übernahmegenehmigung ist daher zur Begründung des Spätaussiedlerstatus weder notwendig noch vorgesehen.
89Die Übergangsvorschrift des § 100 Abs. 4 BVFG lässt sich auch nicht dahingehend auslegen, dass ein Aufnahmebescheid zwar nicht notwendig ist, aber vom Inhaber der Übernahmegenehmigung gleichwohl beantragt werden kann, um Ehegatten oder Abkömmlinge darin einzubeziehen.
90Dies ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar. Der Gesetzgeber wollte bei Erlass des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes für den Personenkreis der §§ 1 – 3 den Bestand an vertriebenenrechtlichen Rechtspositionen erhalten, der diesen Personen nach der früheren Gesetzesfassung zugestanden hatte. Die Regelung ist also Ausdruck des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Nach § 27 BVFG in der Fassung vom 28.06.1990 (BGBl. I S. 1247) war aber eine Einbeziehung von Angehörigen in den Aufnahmebescheid von Aussiedlern nicht vorgesehen. Diese rechtliche Möglichkeit wurde erstmalig durch die Einfügung von § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2094) für den Personenkreis der Spätaussiedler geschaffen. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gebietet demnach nicht, Personen mit Vertriebenenstatus eine darüber hinaus gehende Rechtsstellung einzuräumen,
91vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.10.2010 – 12 A 2496/09 – juris, Rn. 52 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 05.12.2000 – 1 C 24.00 – juris, Rn. 14.
92Demnach hatte die Klägerin auch bei Erlass des Ablehnungsbescheides am 18.02.1994 keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides unter Berufung auf ihre – mögliche – Rechtsstellung als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F..
93Ein Anspruch der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet.
94Soweit der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung erstmalig beantragt hat, die Beklagte zu verpflichten, die Söhne der Klägerin in ihren Aufnahmebescheid einzubeziehen, bzw. hilfsweise in die (vorgebliche) Übernahmegenehmigung einzutragen, handelt es sich hiermit um eine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO. Dies ist jedoch unzulässig, da die Voraussetzungen des § 91 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die Beklagte hat in die Klageänderung nicht eingewilligt. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung auf die Ergänzung der Anträge nicht reagiert und nur den Klageabweisungsantrag gestellt. Darin ist auch keine Einlassung auf die geänderte Klage im Sinne des § 91 Abs. 2 VwGO zu sehen.
95Die Erweiterung der Klageanträge ist auch nicht sachdienlich, da sie die endgültige Beilegung des Rechtsstreits nicht fördert. Vielmehr ist es zweckmäßig, den Antrag auf Einbeziehung der Söhne in den Aufnahmebescheid der Klägerin erst nach rechtskräftigem Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits weiter zu verfolgen bzw. den Hilfsantrag auf Eintragung in die Übernahmegenehmigung beim BVA erst dann zu stellen.
96Die Beklagte hat offensichtlich bisher über den von der Klägerin im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag auf Einbeziehung ihrer Söhne nicht entschieden, weil die Entscheidung im Wesentlichen von der Erteilung eines Aufnahmebescheides für die Klägerin abhängig ist und diese Voraussetzung nicht vorlag. Das Absehen von einer Entscheidung ist auch sinnvoll, weil die Klägerin andernfalls gezwungen wäre, gegen die Ablehnung des Antrages Rechtsmittel einzulegen, um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern. Diese Rechtsmittel müssen aber erfolgslos bleiben, solange die Klägerin keinen Aufnahmebescheid erhält.
97Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Beklagte bereit wäre, die beantragte Einbeziehung vollständig zu prüfen und positiv zu bescheiden, falls die Beklagte im vorliegenden Verfahren verpflichtet würde, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die übrigen Voraussetzungen für eine Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG oder § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG vorlägen. Es besteht daher keine Veranlassung, den Einbeziehungsantrag oder den Antrag auf Eintragung in die Übernahmegenehmigung zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits zu machen.
98Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
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