Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 2709/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Der am 00.03.1969 in Alma-Ata (heute: Almaty, Kasachstan) geborene Kläger, T. I. , ist kasachischer Staatsangehöriger. Er begehrt das Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens und die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler.
3Am 02.11.1993 gingen ein Aufnahmeantrag seines Vaters, G. I. , und dessen zweiter Ehefrau, U. I. , sowie ein Aufnahmeantrag des Klägers beim zuständigen Bundesverwaltungsamt ein. In der vorgelegten Abschrift der Geburtsurkunde des Klägers (ausgestellt am 01.04.1969) vom 12.06.1992 ist der Vater als Deutscher, die Mutter, V. I. , als Ukrainerin eingetragen. Die Ehe des Vaters mit der Mutter des Klägers ist ausweislich der vorgelegten Abschrift der Scheidungsurkunde seit dem 27.06.1975 geschieden.
4Zu den Sprachkenntnissen des Klägers wurde angegeben, seine Muttersprache sei Deutsch. Der Kläger könne die deutsche Sprache verstehen und sprechen. In der Familie werde auch von den Großeltern und Eltern deutsch gesprochen. Seit dem 4. Lebensjahr habe er nur Deutsch gesprochen, mit den Eltern Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert. Der im Jahr 1940 geborene Vater habe von 1969 bis 1991 Dienst in den Innenorganen geleistet.
5Auf Anforderung des BVA vom 14.09.1994 wurde u.a. der im Jahr 1985 ausgestellte Inlandspass des Klägers nachgereicht. Darin ist er mit deutscher Volkszugehörigkeit eingetragen.
6Mit Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 23.05.1995 wurden die Anträge des Klägers, seines Vaters und seiner Stiefmutter abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, der Vater des Klägers könne die Rechtsstellung als Spätaussiedler gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d BVFG nicht erwerben, weil er eine herausgehobene politische oder berufliche Stellung innegehabt habe, die er nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System habe erreichen können. Er habe seit 1969 im Dienst der Verwaltung des Innern für das Gebiet Alma-Ata gestanden. 1972 sei er in das kasachische Innenministerium versetzt worden und dort als Instrukteur für die politische Erziehung von Häftlingen verantwortlich gewesen. In dieser Funktion sei er 1975 als Milizangehöriger zunächst zum Oberinstrukteur für politische Erziehung und seit 1987 im Range eines Oberstleutnants im Innendienst zum stellvertretenden Behördenleiter und Vorgesetzten für ca. 500 Personen aufgestiegen. Während seiner Karriere sei er Mitglied in der KPdSU gewesen, für die er von 1977 bis 1978 als Parteisekretär gearbeitet habe. Er habe im Rahmen der Sachaufklärung selbst eingeräumt, die berufliche Stellung nur aufgrund der Parteizugehörigkeit und der besonderen Bindung an das politische System der ehemaligen Sowjetunion erhalten zu haben. Hierdurch seien auch die Ehegattin und der Sohn T. in rechtserheblichem Ausmaß begünstigt worden. Die Spätaussiedlereigenschaft scheide daher für den Vater des Klägers, dessen Ehegattin und den Kläger aus.
7Der Widerspruch des Vaters des Klägers vom 21.06.1995, der auch für seine Ehefrau und den Sohn eingelegt und begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.1995 abgelehnt. Gegen den am 15.11.1995 an den damaligen Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Widerspruchsbescheid wurden keine Rechtsmittel eingelegt.
8Mit Schreiben vom 07.11.2002 beantragte Rechtsanwalt Krempels für den Kläger, seinen Vater und dessen Ehefrau Akteneinsicht sowie das Wiederaufgreifen des Verfahrens. Das BVA teilte mit Schreiben vom 08.04.2003 mit, das Verfahren sei bestandskräftig abgeschlossen.
9Mit Schreiben vom 04.05.2016 beantragte Rechtsanwalt J. , dem Kläger einen Aufnahmebescheid unter Einbeziehung seiner Familienangehörigen zu erteilen. Im vorgelegten Antragsformular erklärte der Kläger nunmehr, er habe die deutsche Sprache von Kindheit an von seinen Großeltern erlernt. Bis zum 5. Lebensjahr habe er im Wolgagebiet gewohnt und nur deutsch gesprochen. Vater und Mutter hätten ihn nicht erzogen. Er sei mit seinen Großeltern aufgewachsen. Einen Hinweis auf das erste Aufnahmeverfahren des Klägers und seines Vaters enthielt der Antrag nicht.
10Auf die Mitteilung des Bundesverwaltungsamts, dass das erste Aufnahmeverfahren bestandskräftig abgeschlossen worden sei, beantragte Rechtsanwalt J. das Wiederaufgreifen des Verfahrens. Der Kläger erklärte, er lebe seit 30 Jahren (also seit 1986) getrennt und unabhängig von seinem Vater. Er habe überhaupt nicht gewusst, dass dieser in den 1990er Jahren einen Antrag gestellt habe. Er habe den Bescheid erst im Jahr 2015 erhalten, als er seinen eigenen Antrag abgegeben habe.
11Mit Schreiben vom 07.03.2017 behauptete der nunmehr beauftragte Rechtsanwalt M. , der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt einen eigenen Aufnahmeantrag gestellt. Es sei anzunehmen, dass damals der Vater des Mandanten den Aufnahmeantrag für diesen unterschrieben habe. Dies ergebe sich daraus, dass die Unterschriften auf dem Antrag vom 12.06.1992 und auf dem vorgelegten Personalausweis unterschiedlich seien.
12Hilfsweise werde das Wiederaufgreifen des Verfahrens beantragt. Es lägen neue Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor. Aus den beigefügten Bescheinigungen und Zeugenerklärungen ergebe sich, dass der Kläger von 1976 bis 2001 gar nicht mit seinem Vater, sondern mit seinen Großeltern zusammengelebt habe. Er sei nicht unter der gleichen Anschrift gemeldet gewesen. Damit entfielen die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 5 Nr. 2 c BVFG.
13Mit Bescheid vom 15.09.2017 lehnte das BVA den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab. In der Begründung wurde ausgeführt, ein Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens liege nicht vor. Eine nachträgliche Rechtsänderung zugunsten des Klägers sei durch das 10. Änderungsgesetz zum BVFG nicht eingetreten, weil die für die Ablehnung des ersten Antrags maßgebliche Vorschrift des § 5 BVFG durch dieses Gesetz nicht geändert worden sei.
14Der Kläger könne sich auch nicht auf das Vorliegen neuer Beweismittel berufen, weil dieser den Umstand, dass er nicht mit seinem Vater zusammengelebt habe, schon im früheren Verfahren hätte vorbringen können. Insoweit sei er nicht ohne grobes Verschulden außerstande gewesen, die Beweismittel in dem bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren geltend zu machen. Überdies sei es dann nicht erklärlich, warum in den Ursprungsanträgen identische Wohnanschriften angegeben worden seien.
15Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG komme ebenfalls nicht in Betracht, da bei der erforderlichen Güterabwägung dem Rechtsgut der Rechtssicherheit und damit der Aufrechterhaltung des Bescheides der Vorzug zu geben sei. Eine Verdichtung des Ermessens auf ein Wiederaufgreifen, insbesondere eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Entscheidung, sei nicht erkennbar. Der Umstand, dass der Kläger mit seinem Vater nicht in einer familiären Gemeinschaft gelebt habe, sei jedenfalls nicht offensichtlich, da er in Widerspruch zu den seinerzeitigen Antragsangaben stehe.
16Gegen den am 20.09.2017 zugestellten Bescheid legte der damals bevollmächtigte Rechtsanwalt M. am 17.10.2017 Widerspruch ein. Er beantragte mehrfach eine Fristverlängerung für die Vorlage der Widerspruchsbegründung und bezog sich auf das Schreiben einer Detektei (AVS in Bochum), die mit der Prüfung der Unterschriften unter den seinerzeitigen Aufnahmeanträgen beauftragt war. Da eine Widerspruchsbegründung nicht innerhalb der beantragten Fristverlängerung einging, wies das BVA den Widerspruch mit Bescheid vom 07.03.2018 zurück.
17Gegen den am 12.03.2018 zugestellten Bescheid hat die neue Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwältin A. , am 09.04.2018 Klage erhoben, mit der sie den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens und Erteilung eines Aufnahmebescheides weiterverfolgt.
18Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, der erste Aufnahmeantrag im Jahr 1992 sei ohne Kenntnis des Klägers von seinem Vater gestellt worden, sodass die Ablehnungsbescheide ihm gegenüber keine Wirksamkeit entfalten könnten. Der Kläger habe hiervon im Jahr 2016 bei Stellung seines Aufnahmeantrages erfahren. Darin habe er angegeben, dass er bisher keinen Antrag auf Registrierung gestellt habe (Ziff. 16.2). Kenntnis über die Antragstellung habe er erst am 20.09.2017 erlangt, nachdem Rechtsanwalt M. Akteneinsicht gewährt worden sei, die ihm die Möglichkeit gegeben habe, selbst die Unterlagen einzusehen und die gefälschten Unterschriften zu entdecken.
19Der Kläger habe seit seiner Geburt fast keinen Kontakt mit dem Vater gehabt. Der Vater habe seinerzeit versucht, sich mit dem Kläger zu versöhnen und habe ihm ein besseres Leben in Deutschland ermöglichen wollen. Der Vater des Klägers habe deshalb in sämtlichen vorgelegten Vollmachten und Anträgen aus dem Jahr 1992 die Unterschriften des Klägers verfälscht. Dies sei nun durch den beigefügten Untersuchungsbericht vom 20.03.2018 über eine vergleichende Handschriftenprüfung erwiesen. Auch im vorgelegten Inlandspass sei die Unterschrift des Klägers vertuscht worden. Die im ersten Antrag gemachten Angaben seien ungültig, da sie vom Vater des Klägers stammten, der diesen nicht bevollmächtigt habe.
20Im vorgelegten „Schriftvergleichenden Untersuchungsbericht“ von A1. R. , Sachverständiger für Handschriften- und Dokumentenuntersuchung, vom 20.03.2018 (Anlage K11) wurde festgestellt, dass die Unterschriften und der Ausfülltext im ursprünglichen Aufnahmeantrag (Bl. 27 Beiakte 2), im nachgereichten Formularblatt zum Aufnahmeantrag (Bl. 108 Beiakte 2) und auf der Vollmacht für den damaligen Verfahrensbevollmächtigten C. O. (rosa Vollmacht ohne Datum, Bl. 56 Beiakte 2) nicht vom Kläger stammen. Vielmehr wurden Aufnahmeantrag und das nachgereichte Formularblatt vom Vater des Klägers unterschrieben, die rosa Vollmacht vom Bevollmächtigten C. O. .
21Auf Anforderung des Gerichts hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers die im Schriftgutachten ausgewerteten Schriftproben des Klägers aus unterschiedlichen Zeitabschnitten übersandt (Bl. 112 d.A.).
22Ungeachtet dessen lägen auch hinreichende Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor. Durch zahlreiche eidesstattliche Versicherungen sei bestätigt worden, dass der Kläger seit seinem 1. Lebensjahr, also seit 1970, bei seinen Großeltern auf F. Str. 000 in Almaty gewohnt habe. Unter der Anschrift der Mutter, O1. Q. 0, Haus 0, Wohnung 00, Almaty, sei er nur gemeldet gewesen. Seine damalige Wohnanschrift bei den Großeltern werde dadurch bestätigt, dass er von 1978 bis 1986 die Schule Nr. 00 auf der gleichen Straße besucht habe. Sein Vater habe erst seit dem Jahr 1972 eine bedeutende Funktion im Sinne des § 5 Nr. 1 b BVFG ausgeübt, nämlich als Offizier der Untersuchungsisolierzelle im Gefängnis. Zuvor sei er von 1969 bis 1972 beim Innenministerium als Zivilist tätig gewesen. Die seit 1972 ausgeübte Funktion könne daher keinen Einfluss auf den Kläger gehabt haben.
23Seit der Scheidung der Eltern im Jahr 1973 habe der Kläger zu seinem Vater keinen Kontakt mehr gehabt und auch keinen Unterhalt ausgezahlt bekommen. Die Mutter des Klägers habe bestätigt, dass der Kläger bei seinen Großeltern aufgewachsen sei und nur selten Kontakt zu seinem Vater gehabt habe. Deswegen habe dieser im Aufnahmeantrag S für seinen Sohn auch zum Teil unzutreffende Angaben gemacht (Zeitdauer der Militärschule, Eheschließung).
24Dass der Kläger in seiner Kindheit bei den Großeltern und nicht bei seinem Vater gewohnt habe, könne auch durch ein Schulzeugnis der Schule Nr. 00 in der F. Straße, der Komsomolkarte sowie durch die Militärkarten des Klägers und seines Vaters, einer Versicherung der ehemaligen Vermieterin und einer Meldebescheinigung des Bezirks D. der Stadt Almaty vom 24.10.2018 bestätigt werden. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Meldeanschrift nicht zwingend bestätige, dass die Person unter der Adresse auch tatsächlich wohnhaft sei.
25In der mündlichen Verhandlung hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers, teils nach telefonischer Rücksprache mit dem Kläger, weiter ausführlich zu der Behauptung vorgetragen, der Kläger habe nie bei seinem Vater gewohnt. Zum Nachweis hierfür wurden eine vollständige Übersetzung des Inlandspasses aus dem Jahr 1985 sowie Straßenkarten von Almaty aus dem Internet (Google maps) vorgelegt. Diese sollen belegen, dass der Kläger von der Wohnung seines Vaters aus die von ihm besuchte Mittelschule nicht habe erreichen können.
26Der Kläger beantragt,
27die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.1995 sowie des Bescheides vom 15.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2018 zu verpflichten, das Verfahren wiederaufzugreifen und dem Kläger einen Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erteilen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie hat vorgetragen, der Kläger könne sich nicht auf eine geänderte Rechtslage berufen. Die maßgebliche Vorschrift des § 5 Nr. 1 d BVFG sei bereits durch das Haushaltssanierungsgesetz vom 22.12.1999, in Kraft getreten, geändert worden und in die bis heute unverändert gebliebenen Vorschriften § 5 Nr. 2 b und c BVFG gefasst worden. Unabhängig davon stelle die neugefasste Vorschrift keine Änderung zugunsten des Klägers dar.
31Auch lägen keine neuen Beweismittel vor, die zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten. Die im Wiederaufgreifensverfahren vorgelegten schriftlichen Zeugenerklärungen, wonach der Kläger in den Jahren 1977 bis 1978 nicht mit seinem Vater in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe, hätten aber nicht zu einer abweichenden Entscheidung geführt.
32Der Kläger sei auch nicht ohne grobes Verschulden außerstande gewesen, den Grund für das Wiederaufgreifen, nämlich die fehlende Wohngemeinschaft mit dem Vater, in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Dieser Grund sei auch weder durch Rechtsanwalt M1. im Jahr 2002 noch durch Rechtsanwalt J. in dem 2016 eingeleiteten Verfahren vorgetragen worden. Der Kläger habe jedenfalls bereits im Juli 2016 durch Rechtsanwalt J. nach Akteneinsicht erfahren, dass ein für ihn gestellter Antrag im Jahr 1995 abgelehnt worden sei.
33Die vorgelegten Zeugenaussagen seien nicht glaubhaft. Sie stimmten nicht mit den Angaben des Klägers in seinem früheren Aufnahmeantrag zur familiären Vermittlung der Sprachkenntnisse und den Wohnorten überein. Auch die Melde-Bescheinigung des Departements der Stadt Almaty vom 13.01.2017 stehe in Widerspruch zu den im Inlandspass angegebenen Wohnorten.
34Den Vorwurf, der Vater habe die Unterschriften des Klägers bei der ersten Antragstellung gefälscht, könne die Beklagte nicht nachvollziehen. Die Unterschrift auf der Vollmacht vom 15.03.1995 (Bl. 112 VV) weise durchaus Ähnlichkeit mit der Unterschrift im Reisepass vom 26.04.2011 auf, wobei Unterschriften sich in einem Zeitraum von 15 Jahren durchaus verändern könnten.
35In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2021 hat die Vertreterin der Beklagten ergänzend darauf hingewiesen, dass auch die Unterschrift des Klägers im vorgelegten Arbeitsbuch (Bl. 179 Beiakte 2) eine erkennbare Ähnlichkeit mit der Unterschrift auf der Vollmacht von 1995 habe. Im Übrigen sei nicht glaubhaft, dass der Kläger nie mit seinem Vater zusammengelebt habe. Die Adressen des Vaters und des Klägers stimmten in den vorgelegten Aufnahmeanträgen und Inlandspässen überein. Darüber hinaus sei die Adresse des Vaters auch noch im Schriftsatz der früher bevollmächtigten Rechtsanwälte des Klägers vom 31.01.2017 (Bl. 242 d.A.) als Anschrift des Klägers angegeben worden. Entscheidend sei aber, dass der Vater des Klägers in seinem Widerspruchsschreiben vom 21.06.1995 angegeben habe, dass er 1977 mit seinem Sohn in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung zusammengelebt habe.
36Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang und sämtliche weiteren von der Klägerseite vorgelegten Unterlagen (Beiakten 1 und 3) Bezug genommen.
37E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
38Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 15.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 BVFG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler.
39Dem Anspruch des Klägers steht entgegen, dass sein früherer Antrag vom 02.11.1993 bestandskräftig abgelehnt worden ist und die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG nicht vorliegen.
40Auch unter Berücksichtigung des vorgelegten Schriftgutachtens vom 20.03.2018 ist davon auszugehen, dass der Kläger seinerzeit einen wirksamen Aufnahmeantrag gestellt hat, so dass ihm der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 23.05.1995 in der Gestalt des seinerzeitigen Widerspruchsbescheides vom 13.11.1995 zuzurechnen ist.
41Zwar kann dem Schriftgutachten insoweit gefolgt werden, als der Kläger seinerzeit weder den Aufnahmeantrag, noch das nachgereichte Formularblatt zu den beruflichen Tätigkeiten (Bl. 108 Beiakte 2), noch die rosa Vollmacht (Bl. 56 Beiakte 2) unterschrieben hat. Das Gericht ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Antrag mit Wissen und Einverständnis des Klägers von seinem Vater gestellt wurde oder jedenfalls später von ihm genehmigt wurde und ihm deshalb als eigener Antrag zugerechnet werden kann.
42Hierbei kann offen bleiben, ob die Regelungen der Vertretung nach §§ 164 BGB analog auf die Antragstellung nach § 27 BVFG anzuwenden sind, soweit § 14 VwVfG keine Vorschriften enthält. Daran bestehen hier Zweifel, weil der Vater des Klägers nicht offen im Namen des Klägers, also im fremden Namen gehandelt hat, sondern den Anschein hervorgerufen hat, der Kläger habe den Antrag selbst gestellt (verdeckte oder mittelbare Stellvertretung).
43Denn der Kläger hat durch die Unterzeichnung der blauen Vollmacht am 15.03.1995 (Bl. 112 Beiakte 2), und damit noch vor Erlass des Ablehnungsbescheides vom 23.05.1995, auf Anforderung des BVA (Bl. 110 Beiakte 2) den bisherigen Verfahrensbevollmächtigten, C. O. , (erneut) beauftragt, für ihn das Aussiedleraufnahmeverfahren durchzuführen. Die Vollmacht wurde am 18.05.1995 dem BVA vorgelegt (Bl. 110 Beiakte 2). Damit hat der Kläger gegenüber dem BVA erklärt, dass die Durchführung des Verfahrens mit seinem Wissen und Einverständnis erfolgt und die bisherigen Erklärungen ihm als eigene zugerechnet werden können.
44Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Unterschrift auf der blauen Vollmacht vom Kläger stammt. Sie sieht nicht nur der Unterschrift auf dem vorgelegten Reisepass von 2011 ähnlich (Bl. 172 Beiakte 2). Sie ist auch identisch mit der Unterschrift des Klägers auf den eingesandten Schriftproben aus der Zeit von 1995 und mit der Unterschrift im 1994 ausgestellten Arbeitsbuch (Bl. 179 Beiakte 2). Die Entwicklung der Unterschrift des Klägers wird auf der Übersicht auf S. 6 des Dokumentationsanhangs des Schriftgutachtens nachvollziehbar dargestellt. Hierbei weist die Unterschrift auf Schriftstücken der Jahre 1995 und 1996 eine deutliche Übereinstimmung mit der Unterschrift auf der blauen Vollmacht auf. Dies wird durch die vorgelegten Kopien dieser Schriftstücke bestätigt (vgl. insbesondere Registerkarten des Unternehmens von 1995, VUr4 und VUr9, Protokoll der Gesellschafterversammlung von 1996, VTr10, Erlass Nr. 58 von 1996, VTr 11, Mietverträge von 1997 und 2001, VTr13 und VTr15).
45Die Zuordnung der Unterschrift des Klägers auf der blauen Vollmacht wird durch das vorgelegte Schriftgutachten nicht widerlegt, da dieses die Unterschrift auf der blauen Vollmacht nicht untersucht hat. Obwohl die Beklagte auf die Unterschrift des Klägers auf der blauen Vollmacht mit Schreiben vom 12.07.2018 hingewiesen hatte, hat der Kläger keine Ergänzung des Gutachtens bezüglich dieser Unterschrift veranlasst. Das Gericht sieht angesichts der erkennbaren Ähnlichkeiten der Unterschriften deshalb auch keinen Anlass, selbst einen Sachverständigen mit der Untersuchung dieser Unterschrift zu beauftragen.
46Zum anderen ist im früheren Aufnahmeverfahren noch vor Erlass des Bescheides auf Anforderung des Bundesverwaltungsamts (Bl. 77 Beiakte 2) eine Fotokopie des Inlandspasses des Klägers aus dem Jahr 1985 vorgelegt worden (Bl. 92, 93 Beiakte 2). Da sich der Inlandspass üblicherweise im Besitz des Inhabers befindet, kann der Pass nur mit Einverständnis des Klägers übersandt worden sein. Die hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Erklärung der Prozessbevollmächtigten erscheint konstruiert und unglaubhaft. Die Annahme, der Vater habe vermutlich wegen der Anmeldung seines Sohnes in seiner Wohnung im Jahr 1994 eine Kopie des Inlandspasses vom Kläger erhalten und diese dann im Aufnahmeverfahren – ohne Wissen des Klägers – eingereicht, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn der Vater den Kläger bei der Anmeldung begleitet haben sollte oder diese allein durchgeführt haben sollte, gibt es keinen sinnvollen Grund dafür, hierfür eine Kopie des Inlandpasses anzufertigen. Denn die neue Meldeanschrift musste ja im Original des Inlandspasses eingetragen werden.
47Vielmehr ist die Annahme, dass der Vater des Klägers den Aufnahmeantrag in dessen Auftrag gestellt, aber selbst unterschrieben hat, mit den wechselnden Aufenthaltsorten des Klägers gut zu erklären. Denn der Kläger war bei Antragstellung durch den Vater im Jahr 1992 nicht in Kasachstan, sondern lebte in der Ukraine, wo er zunächst an der Militärhochschule der Stadt N. studierte und bis 1993 als selbständiger Unternehmer tätig war (Bl. 159 Beiakte 2). Es erscheint deshalb nachvollziehbar, dass der Antrag im Auftrag des Klägers in seiner Abwesenheit von seinem Vater unterschrieben wurde. Nachdem der Kläger im Jahr 1994 nach Almaty zurückgekehrt war, war er nunmehr selbst in der Lage, die blaue Vollmacht zu unterschreiben und die Kopie des Inlandspasses einzureichen.
48Vor diesem Hintergrund erweist sich auch der Vortrag, der Kläger habe von dem Aufnahmeantrag und dem Ablehnungsbescheid erst bei oder nach Stellung des zweiten Aufnahmeantrags im Jahr 2016 erfahren, als unglaubhaft. Dies zeigt sich schon darin, dass der Kläger wechselnde Angaben zum Zeitpunkt macht, indem er von dem Erstantrag und dem bestandskräftigen Bescheid erfahren haben will. In diesem Zusammenhang ist von 2015 (Bl. 234 Beiakte 2), von 2016 (Bl. 13 d.A.), vom 20.09.2017 (Bl. 42 d.A.) und vom 20.10.2017 (Zeugenerklärung vom 02.11.2017, Anlage K9) die Rede.
49Insbesondere handelt es sich bei der vorgelegten notariellen Zeugenerklärung der angeblichen 3. Ehefrau des Vaters des Klägers, Frau V. K. I1. vom 02.11.2017 (Anlage K9), offenkundig um eine Gefälligkeitsbescheinigung. Diese Erklärung, in der auf zielgerichtete Fragen bestätigt wird, dass es im Jahr 2016 einen Konflikt zwischen dem Kläger und seinem Vater gegeben habe, weil dieser ohne Wissen des Klägers Dokumente für diesen nach Deutschland geschickt haben soll, ist schon von ihrer äußeren Form nicht beweisgeeignet. Die Kopie in russischer Sprache ist unvollständig. Die Unterschrift der befragten V. I1. fehlt ebenso wie deren Pass und die Heiratsurkunde. Die Erklärung ist aber auch inhaltlich unrichtig. V. kann nicht 2012 mit dem Vater des Klägers in einer standesamtlichen Ehe gelebt haben, wie sie angibt, weil der Vater zu diesem Zeitpunkt noch mit seiner 2. Ehefrau, U. I. , verheiratet war (vgl. notarielle Erklärung von U. I. , Anlage K10). Die Behauptungen in dieser Erklärung sind daher auch im Hinblick auf den übrigen Inhalt nicht glaubhaft.
50Der Vortrag des Klägers ist insgesamt nicht geeignet, das vermeintliche Verhalten des Vaters zu erklären, nämlich ohne Wissen und Einverständnis seines Sohnes einen Aufnahmeantrag für diesen zu stellen. Insbesondere ist eine derartige Handlungsweise wohl kaum geeignet, eine Versöhnung mit dem Kläger herbeizuführen, nachdem Vater und Sohn über Jahre keinen Kontakt miteinander gehabt hätten, wie in der Klagebegründung behauptet wird.
51Steht dem Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Aufnahmebescheides somit ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid entgegen, so kann der Anspruch nur weiterverfolgt werden, wenn der Ablehnungsbescheid im Wege des Wiederaufgreifens des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG beseitigt wird.
52Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens liegen jedoch nicht vor. Eine für den Kläger günstige Änderung der Sachlage oder der Rechtslage im Hinblick auf die Ausschlussgründe des § 5 BVFG ist nicht eingetreten, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Die maßgebliche Vorschrift in § 5 Ziff. 1 d) BVFG (herausgehobene Stellung aufgrund einer besonderen Bindung an das totalitäre System der UdSSR) ist zwar durch das Haushaltssanierungsgesetz vom 22.12.1999 (BGBl. I S. 2534) mit Wirkung vom 01.01.2000 aufgehoben worden und in die bis heute unverändert gebliebenen Vorschriften des § 5 Nr. 2 b und c BVFG (Ausübung einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam galt) gefasst worden. Eine inhaltliche Änderung des Ausschlussgrundes war damit jedoch nicht verbunden,
53vgl. VG Köln, Urteil vom 14.08.2018 – 7 K 16189/17 – juris, Rn. 20.
54Auch der Ausschluss der Familienangehörigen des Funktionsinhabers wegen ihrer Teilhabe am Schutz des Systems, die in § 5 Nr. 2 c BVFG n.F. ausdrücklich geregelt wurde, entsprach der damaligen Auslegung der früheren Vorschrift in § 5 Nr. 1 d),
55vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 22.05.1998 – 3 K 4161/95 – juris, Rn. 39,
56hat sich also nicht geändert.
57Eine Änderung des § 5 Nr. 2 b) und c) BVFG ist auch durch das 10. Änderungsgesetz vom 06.09.2013 (BGBl. I S. 3554) nicht erfolgt,
58vgl. VG Köln, Urteil vom 14.08.2018 – 7 K 16189/17, juris, Rn. 23.
59Soweit sich der Kläger ausdrücklich auf das Vorliegen neuer Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG als Wiederaufgreifensgrund beruft, kann dahinstehen, ob es sich bei den vorgelegten Zeugenerklärungen und Dokumenten wirklich um neue Beweismittel handelt. Tatsächlich handelt es sich um einen neuen Tatsachenvortrag. Die Behauptung, dass der Kläger in seiner Kindheit, insbesondere während der Berufstätigkeit des Vaters in den Innenorganen der UdSSR von 1969 oder von 1972 bis 1991, nie mit diesem zusammengelebt habe, ist nämlich im ursprünglichen Verfahren gar nicht vorgebracht worden. Insbesondere wurde dieser Einwand im ausführlich begründeten Widerspruchsschreiben des Vaters, das auch zum Ausschlussgrund für den Sohn/Kläger Stellung nimmt, nicht erwähnt.
60Jedenfalls ist der Antrag insoweit unzulässig, weil der Kläger nicht ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen, § 51 Abs. 2 VwVfG,
61vgl. zur Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG beim Vortrag neuer Tatsachen: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 51 Rn. 34.
62Es ist, wie ausgeführt, davon auszugehen, dass der Kläger seinerzeit bereits von dem Aufnahmeverfahren und dem Ablehnungsbescheid Kenntnis erlangt hat. Demnach hätte er selbst oder der Vater im Widerspruchsschreiben darauf hinweisen können, dass der Kläger von der Funktion des Vaters nicht profitiert habe, weil er mit diesem nicht in einer familiären Haushaltsgemeinschaft zusammengewohnt habe. Die jetzt vorgelegten Zeugenerklärungen, Urkunden und amtlichen Bescheinigungen hätten auch schon seinerzeit beigebracht werden können.
63Das Bundesverwaltungsamt hat die nachträgliche Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides auch nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Behörde hat hierbei zutreffend auf die Abwägung der grundsätzlich gleichwertigen Belange des Schutzes der Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung und damit der Belange des Rechtsfriedens auf der einen Seite und auf das Interesse des Klägers an einer erneuten Sachprüfung auf der anderen Seite abgehoben. Es ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass sie im Ergebnis dem öffentlichen Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat. Das Ermessen der Behörde verdichtet sich lediglich dann zugunsten des Betroffenen, wenn das Festhalten an dem bestandskräftigen Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre,
64vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 – 5 C 9.11 – .
65Ob das der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Hier sind keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung zugunsten des Klägers ersichtlich. Insbesondere war die seinerzeitige Entscheidung nicht offensichtlich rechtswidrig, sondern stand in Übereinstimmung mit der damaligen Vorschrift des § 5 Ziff. 1 d) BVFG und ihrer Auslegung in der Rechtsprechung. Der jetzt vorgetragene Grund für eine Aufhebung der Entscheidung, nämlich das fehlende Zusammenleben zwischen Vater und Sohn, war seinerzeit nicht vorgetragen worden und auch aus den Antragsunterlagen nicht erkennbar und damit nicht offensichtlich. Vielmehr konnte die Behörde davon ausgehen, dass ein kleines Kind bei seinen Eltern aufwächst, wenn keine Hinweise auf einen anderen Sachverhalt erkennbar sind. Im Gegenteil hatten der Kläger und sein Vater in den Anträgen übereinstimmende Wohnanschriften angegeben. Darüber hinaus wurde im Aufnahmeantrag des Klägers erklärt, dieser habe mit den Eltern Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert und von den Eltern die deutsche Sprache gelernt (Bl. 29 und 28 R Beiakte 2). Daraus sind Anhaltspunkte für ein Aufwachsen bei den Großeltern nicht zu entnehmen.
66Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folgt und den am 04.05.2016 gestellten Antrag als Erstantrag ansieht, hätte aber die Klage keinen Erfolg. Denn auch in diesem Fall ist die Ablehnung rechtmäßig, weil aufgrund der Tätigkeit des Vaters in den Innenorganen nunmehr der Ausschlussgrund des § 5 Nr. 2 c) BVFG vorliegt. Danach erwirbt die Rechtsstellung eines Spätaussiedlers nicht, wer für mindestens 3 Jahr mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von Buchstabe b in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat.
67Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Vater des Klägers hat jedenfalls von 1972 bis 1991 eine Funktion ausgeübt, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt. Er war in dieser Zeit – auch in leitender Funktion – für das kasachische Innenministerium als Instrukteur für die politische Erziehung von Häftlingen zuständig. Damit hat er die Akzeptanz der kommunistischen Ideologie aktiv gefördert und durchgesetzt. Dies wird vom Kläger auch nicht bestritten.
68Es kann auch festgestellt werden, dass der Kläger in dieser Zeit, jedenfalls bis zum Beginn seines Militärdienstes im Jahr 1987, mehr als 3 Jahre mit seinem Vater in einer Haushaltsgemeinschaft zusammengelebt hat, nämlich jedenfalls ab 1972. Seine Behauptung, er habe ab dem Alter von 1 Jahr ausschließlich im Haushalt der Großeltern väterlicherseits gelebt, ist unglaubhaft.
69Es ist mehr als zweifelhaft, dass der Kläger bereits als einjähriges Kind seinen Großeltern zur Erziehung übergeben worden sein soll, weil die Eltern wegen ihrer Karriere keine Zeit für ihr Kind gehabt haben sollen. Dieser Grund für die Trennung von den Eltern wird erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, also 5 Jahre nach Beginn des erneuten Aufnahmeverfahrens und ist somit als gesteigertes, unglaubhaftes Vorbringen einzuordnen. Es ist auch vor dem Hintergrund, dass die Großeltern väterlicherseits noch bis 1972 im Gebiet Wolgograd gelebt haben, die Eltern des Klägers aber in Almaty in Kasachstan, mehr als fernliegend. Almaty ist mehr als 2500 km von Wolgograd entfernt. Eine Übergabe des einjährigen Kindes an die Großeltern im Jahr 1970 würde somit eine lange Reise (mindestens einen 8-stündigen Flug oder eine mehrtägige Bahnreise) erfordern und bedeuten, dass ein Kontakt mit dem Kind über Wochen und Monate nicht stattfinden konnte.
70Die schriftlichen Zeugenerklärungen der Verwandten, die die Aufnahme des Klägers im Haus der Großeltern im Gebiet Wolgograd im Jahr 1970 bestätigen (Bl. 250 ff. Beiakte 2), stehen im Widerspruch zum Vortrag des Klägers und seines Vaters und sind daher unglaubhaft.
71Der Kläger selbst hat in der Erklärung zu seinem Aufnahmeantrag angegeben, er habe bis zum 5. Lebensjahr, also bis 1974, im Wolgagebiet gewohnt (Bl. 167 Beiakte 2). Er sei bei seinen Großeltern aufgewachsen, Vater und Mutter hätten ihn nicht erzogen. Die Großeltern sind jedoch schon 1972 nach Almaty umgezogen (Bl. 5 R und 7 Beiakte 2). In der Klagebegründung wird sodann angegeben, der Kläger habe seit seinem 1. Lebensjahr bei seinen Großeltern auf der F. Str. 000 in Almaty, gewohnt, bei der Mutter sei er nur gemeldet gewesen (Bl. 12 d.A.).
72Die Zeugin K1. D1. wiederum erklärt in einer Bestätigung ohne Datum und Unterschrift (Anlage K12, Bl. 26 d.A.), der Kläger habe bis 1975 im Wolgagebiet bei seinen Großeltern gelebt, ab 1976 bei seiner Mutter in Almaty und ab 1978 wiederum bei den Großeltern in der F. Nr. 000 in Almaty. Dort habe sie, die Zeugin, mit ihrem Cousin T. (dem Kläger), ihren Großeltern und Eltern in einem Haus gewohnt. Der leibliche Vater habe nur den Lebensunterhalt bezahlt.
73Selbst wenn der Kläger zunächst bei seinen Großeltern im Wolgagebiet gelebt haben sollte, ist es nicht glaubhaft, dass er nach dem Umzug der Großeltern und der anderen Verwandten nach Almaty im Jahr 1972 bei den Großeltern, und nicht beim Vater gewohnt hat. Diese Version steht in Widerspruch zu den Angaben des Vaters des Klägers im Widerspruchsschreiben vom 21.06.1995. Darin erklärte dieser, er sei 1977 vor die Wahl gestellt worden, entweder in die Partei einzutreten oder arbeits- und obdachlos zu werden. Dies habe er wegen seines kleinen Sohnes nicht gewollt. Er habe erst nach 7 Jahren seiner Tätigkeit (also im Jahr 1976) eine 2-Zimmer-Wohnung erhalten mit 31 m², die eigentlich keinen Platz geboten habe für die ganze Familie mit 5 Personen, nämlich für seine Eltern und für seine eigene Familie. Aus diesem Vortrag ist zu entnehmen, dass der Vater des Klägers mit den Großeltern (2 Personen), seiner zweiten Ehefrau und dem Sohn T. (3 Personen) in einer Wohnung zusammengelebt hat. Weitere Kinder hat der Vater des Klägers mit seiner zweiten Ehefrau nicht gehabt.
74Es besteht kein Grund anzunehmen, dass der Vater des Klägers insoweit die Unwahrheit gesagt hat. Vielmehr hätte es nahegelegen, zu erklären, dass der Sohn nicht beim Vater gelebt hat und damit nicht von seiner Funktion bei den Innenorganen profitiert hat, wenn dies der Fall gewesen wäre. Der Vortrag im Widerspruchsschreiben stimmt insoweit auch mit den Angaben im Aufnahmeantrag des Klägers vom 12.06.1992 überein, der von seinem Vater ausgefüllt wurde. Darin wurde angegeben, der Kläger habe die deutsche Sprache von den Eltern und Großeltern gelernt und mit den Eltern Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert. Als Anschrift der Großmutter väterlicherseits wurde im Aufnahmeantrag des Vaters die Anschrift des Vaters angegeben (Bl. 6R). Dies bestätigt die Darstellung, dass der Vater des Klägers nach seiner Scheidung von der Mutter im Jahr 1975 mit den Großeltern und dem Kläger in einer Wohnung oder in einem Haus zusammengelebt hat. Zutreffend hat die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass noch mit Schriftsatz des damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 31.01.2017 (Bl. 242 Beiakte 2) die Anschrift des Vaters als Anschrift des Klägers angegeben wurde.
75Die Behauptung, dass der Kläger in Almaty bei seinen Großeltern gelebt hat, wird zwar von verschiedenen Verwandten, von der zweiten Ehefrau des Klägers, U. I1. und der vorgeblichen dritten Ehefrau, V. I1. , in ihren Zeugenerklärungen bestätigt. Die Mutter des Klägers indessen hat hierzu keine Erklärung abgegeben.
76Schließlich gibt es keine objektive Bestätigung dafür, dass der Kläger mit den Großeltern in der Straße F. Nr. 000 gelebt hat und vom Vater getrennt war. Trotz zahlreicher vorgelegter Meldebescheinigungen wurde keine einzige Bescheinigung eingereicht, die beweist, dass der Kläger oder dass die Großeltern an der angegebenen Anschrift gewohnt haben.
77Der vorgelegte Inlandspass aus dem Jahr 1985 beweist hingegen, dass der Kläger im Zeitraum von 1985 bis 1987 bei seinem Vater in der Siedlung O1. 00x/00-00 gemeldet war. Dies legt die Vermutung nahe, dass er auch dort gewohnt hat, und zwar auch schon vor Ausstellung des Inlandspasses. Der Vortrag in der mündlichen Verhandlung, die Anmeldung im Jahr 1985 sei nur erfolgt, um den Inlandspass zu erhalten, vermag nicht zu überzeugen. Der Kläger hätte auch einen Inlandspass erhalten, wenn er bei den Großeltern oder der Mutter gemeldet gewesen wäre. Dass er zuvor nirgendwo gemeldet war, wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wird, ist unglaubhaft.
78Soweit die Klägerseite zahlreiche Bescheinigungen und Dokumente, insbesondere über den Schulbesuch des Klägers in der F. Straße vorgelegt hat, erbringen diese keinen Beweis dafür, dass der Kläger auch in der F. Straße gewohnt hat. Diese Anschrift geht aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor.
79Auch die Länge des Schulweges von der Wohnanschrift des Vaters in der Siedlung O1. 00x/00-00 bis zur Schule in der F. Straße (heute: P. D2. ) von ca. 9 km und die Zeitdauer des Fußweges von fast 2 Stunden, beweist nicht, dass der Kläger dort nicht wohnen konnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es in einer Großstadt wie Almaty auch in den 80er Jahren öffentliche Verkehrsmittel oder Schulbusse gab, die den Siedlungsbezirk O1. 00x mit der Innenstadt verbunden haben. Denn typischerweise haben Mittelschulen einen größeren Einzugsbereich, sodass der Schulweg nicht von allen Schülern zu Fuß bewältigt werden kann.
80Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
82Rechtsmittelbelehrung
83Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
84- 85
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 87
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 88
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
91Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV - ) wird hingewiesen.
92Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
93Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
94Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
95Beschluss
96Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
975.000,00 €
98festgesetzt.
99Gründe
100Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
101Rechtsmittelbelehrung
102Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
103Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
104Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
105Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
106Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 27 Anspruch 2x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 7 K 16189/17 2x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 2x
- BVFG § 5 Ausschluss 8x
- VwVfG § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes 2x
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwVfG § 14 Bevollmächtigte und Beistände 1x
- § 113 Abs. 5 Satz 1 BVFG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 K 4161/95 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- BGB § 164 Wirkung der Erklärung des Vertreters 1x
- VwVfG § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens 9x
- VwGO § 55a 1x