Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 4878/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der am 00.08.1959 in der Stadt N. (Ukraine) geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er beantragte erstmals am 20.12.1991 die Aufnahme als Aussiedler für sich, seine Ehefrau K. P. und den Sohn L. bei dem Bundesverwaltungsamt. In dem Antrag gab er an, sein Vater sei der deutsche Volkszugehörige P1. U. , geb. am 00.07.1925 im Gebiet Shitomir, Ukraine. Der Vater sei 1987 in N. verstorben. Die Mutter, T. G. , sei im Jahr 1912 im Gebiet Zaparoshje, Ukraine, geboren und ebenfalls deutsche Volkszugehörige. Sie lebe seit 1948 in N. und sei nun Rentnerin. Die Großeltern väterlicherseits, C. U. , geb. 1904 und verstorben 1969 in N. , und L1. U. , geb. 1903 und verstorben 1976 in N. , seien ebenfalls Deutsche gewesen. Auch die Großeltern mütterlicherseits, L2. G. , geb. 1856 und gestorben 1917 im Zaporoshjer Gebiet, sowie R. G. , geb. 1857 und gestorben 1953 in N. seien deutsche Volkszugehörige gewesen.
3Die Formularblätter zur Angabe von Umsiedlungsmaßnahmen, Kommandanturüberwachung oder Einziehung zur Trudarmee bei Familienmitgliedern wurden nicht ausgefüllt.
4Der Kläger gab an, er habe ebenfalls die deutsche Volkszugehörigkeit. Seine Muttersprache und die jetzige Umgangssprache in der Familie seien Russisch und Ukrainisch. Er beherrsche die deutsche Sprache überhaupt nicht. In der Familie werde von den Großeltern und den Eltern Deutsch gesprochen. In der vorgelegten Fotokopie des Inlandspasses, ausgestellt im Jahr 1991, sowie in der Geburtsurkunde des Sohnes L. vom 07.09.1988 war der Kläger mit der deutschen Volkszugehörigkeit eingetragen. In der unbeglaubigten Kopie einer am 21.06.1979 ausgestellten Geburtsurkunde werden die Eltern als deutsche Volkszugehörige aufgeführt.
5Dem Antrag war außerdem eine Meldebescheinigung der Stadt Frankfurt vom 16.12.1991 für den Kläger beigefügt.
6Durch Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 09.03.1992 wurde der Antrag abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei kein Aussiedler, weil er kein Kriegsfolgenschicksal erlitten habe. Weder er selbst, noch seine Eltern oder Großeltern seien von den gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungsmaßnahmen der UdSSR betroffen gewesen. Darüber hinaus sei er nicht deutscher Volkszugehöriger, weil das Bekenntnis zum deutschen Volk nicht durch die Eltern oder Großeltern an ihn vermittelt worden sei. Er beherrsche weder die deutsche Sprache noch könne eine Pflege des deutschen Volkstums festgestellt werden.
7Der Bescheid wurde am 11.03.1992 an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau zum Zweck der Zustellung an den Kläger übersandt.
8Mit Schreiben vom 03.01.1994, das am 15.02.1994 beim BVA einging, legte der Kläger „Beschwerde“ gegen den Bescheid ein. Er erklärte, er habe die Ablehnung erhalten, habe aber nicht rechtzeitig Widerspruch einlegen können, weil er schwer erkrankt sei (Bechterew-Krankheit) und seit dem 19.05.1993 als arbeitsunfähig und Invalide der II. Gruppe anerkannt sei. Der Bescheid sei falsch, weil es nicht möglich gewesen sei, sein Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch Sprache, Erziehung und Kultur zu belegen. Die deutsche Kultur sei durch das stalinistische Regime hart unterdrückt worden. Es sei nicht möglich gewesen, die deutsche Sprache zu erlernen, weil es keine deutschen Schulen und Bücher gegeben habe. Seine Großeltern seien Bauern gewesen. Man habe im Juni 1941 versucht, sie nach Sibirien zu verbannen. Sie seien aber aus den Zügen geflohen, hätten sich versteckt und seien in ihren Dörfern geblieben. Nach dem Krieg seien sie gezwungen gewesen, ihre Häuser und Dörfer zu verlassen und im Geheimen nach N. zu übersiedeln. Deswegen seien sie nicht verhaftet worden.
9Der Widerspruch wurde als zulässig bewertet und eine Sprachprüfung durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kiew am 27.09.1994 veranlasst. Bei der Anhörung erklärte der Kläger in russischer Sprache, er habe die russische und ukrainische Sprache seit der Geburt erlernt, die deutsche Sprache seit dem 2. Lebensjahr. Jetzt spreche er ausschließlich russisch und ukrainisch, deutsch nie. Er kenne keine deutschen Lieder, Märchen, Gedichte oder Gebete. Diese benötige er auch nicht, wenn er in Deutschland arbeiten wolle. Es wurde festgestellt, dass der Kläger die deutsche Sprache weder verstehe, noch spreche oder schreibe.
10Durch Widerspruchsbescheid vom 09.11.1994 wurde der Widerspruch auf der Grundlage der Neufassung des § 6 BVFG vom 01.01.1993 zurückgewiesen. Dem Kläger seien keine objektiven Bestätigungsmerkmale wie Sprache, Kultur oder Erziehung vermittelt worden, § 6 Abs. 2 Nr. 2 BVFG. Der Kläger beherrsche die deutsche Sprache nicht, wie bei der Anhörung in Kiew festgestellt worden sei. Eine Vermittlung prägender deutscher Kulturinhalte könne aufgrund der Antragsangaben nicht festgestellt werden.
11Der Bescheid wurde am 14.11.1994 über die Kurierpost des Auswärtigen Amts zur Weiterleitung an die Deutsche Botschaft in Moskau übermittelt.
12Am 30.12.2002 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler für sich, seine nunmehrige Ehefrau C1. Y. , geb. D. (geb. 00.05.1975) und den Sohn L. . Er erklärte nunmehr, er habe ab dem 5. Lebensjahr Deutsch von den Eltern gelernt und darüber hinaus als Leiter des deutschen Kulturzentrums in N. . Er spreche jetzt häufig Deutsch in der Familie und seine Sprachkenntnisse reichten für ein einfaches Gespräch aus. Vom 04.06.1998 bis 03.12.1998 sei er mehrmals geschäftlich in Dortmund gewesen. Der Abschnitt im Formular über berufliche Tätigkeiten war nicht ausgefüllt. Es wurde auf die Angaben im Antrag von 1991 verwiesen.
13Mit dem Antrag legte er eine am 17.10.1996 neu ausgestellte Geburtsurkunde vor, in der als Eltern wie zuvor P2. U. und T1. U. als deutsche Volkszugehörige eingetragen waren.
14Das Bundesverwaltungsamt verwies auf den bestandskräftigen Abschluss des früheren Aufnahmeverfahrens des Klägers.
15Mit Schreiben vom 05.11.2014 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und beantragte Akteneinsicht. Mit dem Antrag wurde erstmalig das Arbeitsbuch des Klägers sowie eine Bescheinigung „zum Untersuchungsprotokoll der sozialmedizinischen Begutachtung“ der Kommunalen Einrichtung der staatlichen Gebietsverwaltung N. , ausgestellt am 20.03.2015 eingereicht. Hiernach befand sich der Kläger laut wiederholter Untersuchung in der dritten Invaliditätskategorie aufgrund „Allgemeinerkrankung“. Schwierige physische Arbeit in funktionell ungünstiger Lage und Stresssituationen seien nicht geeignet für den Kranken.
16Mit Schreiben vom 12.12.2016 forderte das BVA eine notariell beglaubigte Geburtsurkunde aus dem Geburtsjahr mit deutscher Übersetzung eines vereidigten Übersetzers an. Ferner wurde der Kläger aufgefordert, Nachweise für Dauer und Zweck des Aufenthaltes in Deutschland im Jahr 1991 einzugeben. Ferner sei ein neuer Sprachtest in Kiew oder die Vorlage eines B1-Zertifikates erforderlich. Der Kläger wurde gebeten, in der Zeit vom 01.06.2017 bis zum 21.06.2017 in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland persönlich vorzusprechen. Dies erfolgte nicht.
17Mit Schreiben vom 14.07.2017 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dieser habe sich im Dezember 1991 lediglich 20 Tage besuchsweise im Rahmen der Visumgültigkeit aufgehalten. Ferner wurde beantragt, den Kläger von dem Erfordernis der Nachweise für die deutschen Sprachkenntnisse zu befreien. Der Kläger verfüge nicht über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Er sei aber aufgrund einer Erkrankung nicht in der Lage, diese Kenntnisse nachzuweisen. Er leide unter einer zerebrovaskulären Krankheit sowie Enzephalopathie des III. Grades. Es bestünden ausgeprägte kognitive Störungen und eine herabgesetzte geistige Fähigkeit, sodass das Erlernen von Sprachen nicht möglich sei.
18Dem Schreiben beigefügt war eine notariell beglaubigte Kopie einer Geburtsurkunde mit Apostille, die am 10.09.1959 ausgestellt wurde. Ferner lag eine Bescheinigung der Poliklinischen Abteilung des städtischen H. -N1. -Klinikkrankenhauses vom 12.05.2017 bei. Darin wurde dem Kläger bescheinigt, dass er wegen eines überstandenen Insults, der zu kognitiv-emotionellen Störungen geführt habe, die deutsche Sprache dauernd nicht erlernen könne. Der Kläger leide an einer zerebrovaskulären Krankheit aufgrund der Atherosklerose und Hypertonie des Grades III, einer chronischen diszirkulatorischen und atherosklerotischen Enzephalopathie des Grades III sowie anhaltenden Folgen des überstandenen Insults in Form von mäßig ausgeprägten Koordinationsstörungen und emotionell-kognitiven Störungen.
19Die Stadt Frankfurt/Main legte auf Anforderung des BVA eine Auskunft aus dem Melderegister vor. Derzufolge hatte sich der Kläger am 01.12.1991 in der U1.---- . 00 in Frankfurt/Main angemeldet. Am 05.12.2000 wurde er von Amts wegen abgemeldet.
20Mit Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 20.09.2017 wurde der Antrag abgelehnt. In der Begründung hieß es, der Aufnahmeantrag sei nach Wiederaufgreifen des Verfahrens erneut abgelehnt worden. Der Kläger sei kein deutscher Volkszugehöriger, weil er bereits die Abstammung von deutschen Eltern oder Großeltern nicht nachgewiesen habe. Die vorgelegten Geburtsurkunden hätten mangels anerkennungsfähiger Beglaubigungen keinen Beweiswert. Die dort angegebene deutsche Volkszugehörigkeit der Eltern sei nicht glaubhaft, weil weder die Eltern noch die Großeltern von den Vertreibungsmaßnahmen der sowjetischen Behörden in der Ukraine betroffen gewesen seien. Vielmehr hätten diese von der Geburt bis zum Tod unbeanstandet dort gelebt. Der Vortrag des Klägers, die Eltern hätten sich „geheim“ dort aufgehalten, könne wohl nur bedeuten, dass sie ihre deutsche Volkszugehörigkeit vor den Behörden verborgen hätten.
21Im Übrigen habe der Kläger entgegen § 4 Abs. 1 BVFG nicht ununterbrochen einen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten gehabt. Er habe sich ausweislich der Meldeauskunft der Stadt Frankfurt von 1991 bis 2000 in Deutschland aufgehalten. Im Aufnahmeantrag von 2002 habe er außerdem einen Aufenthalt von Juni bis Dezember 1998 in Dortmund angegeben.
22Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28.09.2017 zugestellt. Am 01.11.2017 legte er hiergegen Widerspruch ein. In der Begründung trug er vor, der Kläger habe sich nicht von 1991 bis 2000 in Deutschland aufgehalten. Vielmehr sei er ausweislich des Arbeitsbuches von 1991 bis 2012 als Direktor einer Baufirma in N. angestellt gewesen. Die Anmeldung in Frankfurt im Jahr 1991 sei lediglich erfolgt, um ein Bankkonto zu eröffnen. Nach Ablauf der Visumsgültigkeit von 20 Tagen habe er das Bundesgebiet wieder verlassen und sich aus Unwissenheit nicht abgemeldet. Eine Aufenthaltserlaubnis oder Arbeitserlaubnis habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt besessen. Laut Auskunft des Ausländerzentralregisters vom 14.02.2018 sei der Kläger im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt ausländerrechtlich erfasst gewesen. Die vorgelegte Auskunft weist nach, dass am 18.02.1998 ein Antrag des Klägers auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit durch das BVA Köln, Außenstelle Kiel, abgelehnt worden ist.
23Ferner wurde eine Bescheinigung des Staatsarchivs des Gebiets F. vom 25.11.2013 vorgelegt. Danach wurde C. U. , geb. 1904, mit seiner Ehefrau A. und dem Sohn O. im September 1941 nach Sibirien ausgesiedelt.
24Durch Widerspruchsbescheid vom 04.06.2018 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. In der Begründung wurde daran festgehalten, dass der Kläger ein Verfolgungsschicksal seiner Eltern und Großeltern nicht glaubhaft gemacht habe. Der Antrag des Klägers auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 27.12.1995 sei am 18.02.1998 ebenfalls abgelehnt worden. Außerdem fehle es an einem ununterbrochenen Wohnsitz. Der Kläger sei von 1991 bis 2000 in Frankfurt gemeldet gewesen. Ausweislich der Unterlagen aus dem Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren habe der Kläger im Jahr 1996 einen Asylantrag gestellt und habe von der Stadt Kempten im Allgäu eine Aufenthaltsgestattung erhalten. Hierdurch habe er seinen Wohnsitz in der Ukraine aufgegeben, um sich dauerhaft im Bundesgebiet niederzulassen. Es könne daher kein Zweifel daran bestehen, dass sich der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse einige Jahre lang in Deutschland befunden habe.
25Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 06.06.2018 zugestellt. Hiergegen wurde am 05.07.2018 Klage erhoben. Zur Begründung wird vorgetragen, der Kläger erfülle die Voraussetzungen als Spätaussiedler. Er sei deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG. Er stamme von seiner deutschen Mutter ab, wie durch seine Geburtsurkunde aus 1976 (Bl. 174 VV) nachgewiesen sei. Er werde selbst in allen behördlichen Urkunden als Deutscher geführt. Er könne zwar die erforderlichen Sprachkenntnisse nicht nachweisen, sei jedoch aufgrund seiner zerebrovaskulären Krankheit sowie Enzephalopathie des III. Grades nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen (vgl. Bescheinigung vom 12.05.2017).
26Er erfülle auch die Wohnsitzanforderungen des § 4 Abs. 1Nr. 3 BVFG. Insoweit werden die Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Die Anmeldung in Frankfurt habe nur eine formale Bedeutung gehabt. Der Kläger habe niemals einen Schwerpunkt seiner persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und häuslichen Lebensverhältnisse in Deutschland gehabt.
27In der mündlichen Verhandlung wird eine weitere Bescheinigung des Ersten städtischen H. -N1. -Klinikkrankenhauses vom 23.11.2021 vorgelegt, in der festgestellt wird, dass der Kläger die deutsche Sprache wegen des überstandenen Insults und der daraus folgenden kognitiv-emotionellen Störungen dauerhaft nicht erlernen könne.
28Die Prozessbevollmächtigte des Klägers bietet an, noch einen Auszug aus dem Geburtsregister sowie ein ärztliches Gutachten zum Gesundheitszustand einzuholen und vorzulegen, um die Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft zu bestätigen.
29Der Kläger beantragt,
30die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamts vom 20.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2018 zu verpflichten, dem Kläger einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler gemäß § 27 BVFG zu erteilen.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass der Kläger seinen Wohnsitz in der Ukraine mit der Ausreise aus der Ukraine im Oktober 1996 und der Stellung des Asylantrages aufgegeben habe. Er habe ab dem 00.12.1996 in der Stadt Kempten im Allgäu seinen Wohnsitz gehabt. Mit der Asylantragstellung habe er zum Ausdruck gebracht, dass er die Ukraine verfolgungsbedingt verlassen habe und dort keinen Lebensmittelpunkt mehr habe (OVG NRW, Beschlüsse vom 29.11.2018 und 15.03.2018 – 11 A 2848/17 und 11 E 736/17 – ).
34Ungeachtet dessen habe der Kläger weder die deutsche Abstammung nachgewiesen noch die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 12.05.2017 rechtfertige für sich allein jedenfalls nicht, dass der Kläger krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, sich Kenntnisse der Sprache auf dem erforderlichen Niveau anzueignen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bescheinigung vom 23.11.2021 sei praktisch identisch mit der früheren Bescheinigung. Zum Nachweis einer krankheitsbedingten Sprachunfähigkeit sei aber ein fachärztliches Gutachten vorzulegen. Eine Vertagung zur Beibringung weiterer Beweismittel sei nicht erforderlich, da der Kläger hinreichend Zeit gehabt habe, die nun angebotenen Beweismittel zu beschaffen.
35Es sei schließlich auffällig, dass der Kläger im Verlaufe seiner Verfahren drei zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgestellte Geburtsurkunden vorgelegt habe (21.06.1979, Bl. 33 VV, 17.10.1996, Bl. 91 VV, 10.09.1959, Bl. 172 VV). Hinsichtlich des Datums und der Registernummer über die Eintragung im Geburtenregister wiesen die Geburtsurkunden unterschiedliche Angaben auf.
36Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die von der Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgänge (Aufnahmeverfahren und Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren) Bezug genommen.
37E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
38Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 20.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler.
39Nach dieser Bestimmung wird Personen ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler ist gemäß § 4 Abs. 1 BVFG ein deutscher Volkszugehöriger, der im Wege des Aufnahmeverfahrens nach Deutschland übergesiedelt ist, wenn er vor dem 01.01.1993 geboren ist, von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzungen nach Nr. 1 oder Nr. 2 erfüllt und seit seiner Geburt seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte, § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG.
40Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Es kann dahinstehen, ob er seit seiner Geburt einen ununterbrochenen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte. Hieran
41bestehen Zweifel, weil er sich jedenfalls im Jahr 1991 in Frankfurt polizeilich angemeldet hat und im Jahr 1996 ein Asylverfahren in Deutschland durchgeführt hat. Jedoch kann nicht mehr festgestellt werden, ob der Kläger sich seinerzeit dauerhaft, also zumindest für einen längeren Zeitraum, in Deutschland niedergelassen hat und hier den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse hatte. Die Anmeldung und die Stellung eines Asylantrags allein lassen insoweit keine Schlussfolgerungen zu.
42Er ist jedenfalls kein deutscher Volkszugehöriger. Die deutsche Volkszugehörigkeit des im Jahr 1959 geborenen Klägers bestimmt sich nach § 6 Abs. 2 BVFG. Danach besitzt die deutsche Volkszugehörigkeit, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat. Das Bekenntnis muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 des 9. Buches SGB nicht besitzen.
43Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers nicht vor, weil schon nicht festgestellt werden kann, dass er von einem deutschen Staatsangehörigen oder einem deutschen Volkszugehörigen abstammt, der die Stichtagsvoraussetzungen nach § 4 Nr. 1 oder Nr. 2 BVFG erfüllt.
44Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
45vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 – 1 C 43.18 – juris Rn. 12 ff.
46liegt dem Bundesvertriebenengesetz ein weiter, generationenübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde, der neben den Eltern auch die Voreltern erfasst. Demnach kommen hier als Personen, von denen die Abstammung abgeleitet werden kann, die vermeintlichen Eltern des Klägers, P2. und T. U. , sowie die Großeltern väterlicherseits, C. und L1. U. , und die Großmutter mütterlicherseits, R1. G. , in Betracht, die alle zum Stichtag am 08.05.1945 im Aussiedlungsgebiet lebten. Der Großvater mütterlicherseits, L2. G. , ist bereits im Jahr 1917 verstorben.
47Der Kläger hat jedoch bereits nicht die biologische Abstammung von P2. und T. U. nachweisen können. Die zum Nachweis der Abstammung vorgelegten Geburtsurkunden vom 21.06.1979, vom 17.10.1996 und vom 10.09.1959 sind nicht beweisgeeignet.
48Nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 438 Abs. 1 ZPO ist in jedem Einzelfall zu ermessen, ob Urkunden, die von einer ausländischen Behörde erstellt wurde, ohne näheren Nachweis als echt anzusehen sind. Im Fall der Echtheit kommt ihnen dieselbe Beweisfunktion zu wie inländischen Urkunden. Sie sind nur dann nicht beweisgeeignet, wenn konkrete Anhaltspunkte gegen ihre Echtheit oder ihre inhaltliche Unrichtigkeit sprechen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion die Beschaffung gefälschter oder inhaltlich unrichtiger Urkunden ohne weiteres möglich ist und auch in den bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren häufig zu beobachten ist,
49vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.09.2021 – 11 A 3811/19 – ; Urteile vom 22.02.2017 – 11 A 1298/15 – und vom 03.07.2014 – 11 A 166/13 – ; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 27.02.2019 – 19 A 1999/16 – juris, Rn. 42 zur Rechtslage in der Russischen Föderation bez. Urkunden im Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren.
50Insbesondere konnten Eintragungen der Nationalität nach 1990 in Personenstandsurkunden auf Antrag der Betroffenen – auch bei bereits verstorbenen Personen – geändert werden, ohne dass die Änderung und frühere Eintragungen nachvollziehbar sind,
51vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.09.2021 – 11 A 3811/19 – .
52Vor diesem Hintergrund ist in jedem Einzelfall eine eingehende Prüfung der Urkunden erforderlich und ihr Beweiswert auch im Zusammenhang mit dem Sachvortrag zu bestimmen,
53vgl. auch VG Köln, Urteil vom 07.09.2020 – 7 K 4194/19 – .
54Obwohl die vorgelegten Geburtsurkunden übereinstimmend Tag und Ort der Geburt des Klägers sowie die Abstammung von deutschen Eltern dokumentieren, ist ihr Beweiswert zweifelhaft. Zunächst gibt es keine Erklärung dafür, warum der Kläger überhaupt im Besitz von drei in verschiedenen Jahren ausgestellten Geburtsurkunden ist und warum er die Urkunde aus dem Geburtsjahr 1959 erst auf ausdrückliche Aufforderung der Beklagten im Wiederaufgreifensverfahren übersandt hat.
55Die Originale wurden nicht vorgelegt. Dass die Kopien mit dem Original übereinstimmen, wurde nicht hinreichend belegt. Die Kopie der Urkunde vom 21.06.1979 (Bl. 33 Beiakte 1) ist nicht notariell oder amtlich beglaubigt. Ob die Kopie der Urkunde vom 17.10.1996 (Bl. 91 Beiakte 1) beglaubigt ist, lässt sich nicht feststellen. Der Stempel auf der Rückseite wurde nicht übersetzt. Die Kopie der Urkunde vom 10.09.1959 (Bl. 172 Beiakte 1) ist zwar formal notariell beglaubigt. Es ist jedoch unklar, ob sich die Beglaubigung tatsächlich auf die Geburtsurkunde bezieht. In der Übersetzung heißt es nämlich, bei der „vorliegenden Kopie“ handele es sich um ein Dokument von 16 Seiten. Die beigefügte Apostille ist ebenfalls nicht geeignet, Beweis über die Echtheit des Dokuments zu erbringen. Es wird nämlich nicht die Echtheit der Unterschrift des Standesbeamten bestätigt, sondern der Notarin, die die Kopie beglaubigt hat.
56Darüber hinaus ist auffällig, dass in allen drei Urkunden unterschiedliche Angaben zur Eintragung der Geburt in das Geburtsregister gemacht werden. In der Kopie vom 21.06.1979 (Bl. 33) wird angegeben, die Eintragung im Geburtsregister sei am 21.06.1979 unter der Nr. 000 erfolgt. In der Kopie vom 17.10.1996 (Bl. 91) heißt es, die Eintragung im Geburtsregister habe am 17.10.1996 unter der Nr. 00 stattgefunden. In der Kopie vom 10.09.1959 (Bl. 172) ist aufgeführt, dass die Eintragung im Geburtsregister am 10.09.1959 unter der Nr. 000 vorgenommen wurde.
57Die Geburt des Klägers wäre somit, wenn die Eintragungen zutreffend wären, in drei verschiedenen Jahren mit teilweise unterschiedlichen Nummern in das Standesamtsregister eingetragen worden. Eine Geburt wird jedoch – entsprechend dem Sinn des Geburtsregisters, die Identität der geborenen Person eindeutig zu dokumentieren – nur einmal in das Geburtsregister, und zwar regelmäßig im Jahr der Geburt eingetragen.
58Daraus folgt, dass die Abstammung des Klägers von den angegebenen Eltern nicht zweifelsfrei urkundlich belegt werden kann. Damit entfällt auch die Abstammung von den angegebenen Großeltern. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger – im Unterschied zu den meisten anderen Aufnahmeverfahren – zu den Lebensläufen seiner Eltern und Großeltern in beiden Aufnahmeanträgen fast keine Angaben machen kann. Die Großmutter mütterlicherseits (R. G. , geb. 1857) wäre im Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter T. im Jahr 1912, schon 55 Jahre alt gewesen. Die unbeglaubigte Geburtsurkunde von T. (Bl. 41 Beiakte 1) weist deutliche Unterschiede in Schriftstärke und Schriftbild zwischen der linken und der rechten Seite auf. Eine Geburtsurkunde des Vaters wurde nicht vorgelegt.
59Die Abstammung von deutschen Eltern und beiderseits deutschen Großeltern wird auch dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger ausweislich der Sprachprüfung am 27.09.1994 praktisch keine deutschen Sprachkenntnisse hat, nichts über die Pflege von deutschen Sitten und Gebräuchen in der Familie berichten kann und keine deutschen Märchen, Gedichte, Lieder oder Gebete kennt.
60Eine objektive Grundlage für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, beispielsweise durch die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers angebotene Einholung einer Auskunft aus dem Geburtsregister, ist nicht erkennbar. Diese war auch deshalb nicht veranlasst, weil die Unstimmigkeiten in den vorgelegten Geburtsurkunden zuletzt mit Schriftsatz der Beklagten vom 25.07.2019 in das Verfahren eingeführt wurden und somit hinreichende Gelegenheit bestand, diese durch Vorlage eines entsprechenden Auszuges aus dem Geburtsregister zu entkräften. Die üblicherweise in den Verfahren nach dem BVFG vorgelegten Auskünfte aus den amtlichen Registern der ehemaligen UdSSR sind allerdings in der Regel nicht geeignet, Beweis für bestimmte Eintragungen in früheren Zeitpunkten zu erbringen, weil sie lediglich Auskunft über den Stand des Registers im Zeitpunkt der Fertigung der Auskunft geben,
61vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.09.2021 – 11 A 3811/19 – .
62Darüber hinaus kann auch die deutsche Staatsangehörigkeit oder deutsche Volkszugehörigkeit der Bezugspersonen nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.
63Die Vorfahren des Klägers waren keine deutschen Staatsangehörigen. Das ist im durchgeführten Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren bestandskräftig entschieden worden.
64Welche Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der Bezugspersonen zu stellen sind, von denen die Abstammung abgeleitet wird, richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers und ist keinen Veränderungen im weiteren Zeitablauf zugänglich. Im Zeitpunkt der Geburt des Klägers im Jahr 1959 galt somit das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19.05.1953 – BGBl. I S. 201,
65vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 – 1 C 43.18 – juris, Rn. 25 ff. ; OVG NRW, Urteil vom 13.11.2019 – 11 A 648/18 – ; VG Köln, Urteil vom 03.03.2019 – 7 K 5609/17 –.
66Maßgeblich ist somit die Definition der deutschen Volkszugehörigkeit in § 6 BVFG 1953 und die hierzu von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze. Diese unterschieden zwischen bekenntnisfähigen Personen, mithin solchen, die zu Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen im Juni 1941 für ein Bekenntnis zu einem bestimmten Volkstum reif genug waren (Bekenntnisgeneration) und solchen Personen, die zu diesem Zeitpunkt diese Reife noch nicht erlangt hatten (sog. bekenntnisunfähige Frühgeborene) oder die noch nicht geboren waren (sog. Spätgeborene),
67vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 – 1 C 43.18 – juris, Rn. 29 unter Bezug-
68nahme auf BVerwG, Urteil vom 29.08.1995 – 9 C 391.94 – BVerwGE 99, 133,
69136 f.
70Die in den Jahren 1925 und 1912 geborenen vorgeblichen Eltern des Klägers waren im Juni 1941 bekenntnisfähige Personen. Das trifft auch auf die angegebenen Großeltern väterlicherseits, geboren 1904 und 1903, zu. Auch die Großmutter mütterlicherseits, geb. 1857, war 1941 bekenntnisfähig. Ihre Volkszugehörigkeit richtet sich somit nach der in § 6 BVFG a.F. enthaltenen Vorschrift, die der jetzt in § 6 Abs. 1 BVFG normierten Regelung entspricht.
71Danach war deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigt wurde.
72Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum besteht in dem von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen, nach außen hin verbindlich geäußerten Willen, Angehöriger des deutschen Volkes als einer national geprägten Kulturgemeinschaft zu sein und keinem anderen Volkstum anzugehören. Das Bekenntnis kann durch eine ausdrückliche Erklärung oder durch ein schlüssiges Gesamtverhalten erfolgen, wobei auch das Vorliegen der genannten Bestätigungsmerkmale eine Bedeutung als Indiz für ein Bekenntnis hat,
73vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1989 – 9 C 18.89 – und vom 13.06.1995 – 9 C 293.94 –.
74Das Bekenntnis musste von Angehörigen der sog. „Erlebnisgeneration“ bis kurz vor dem Einsetzen der gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die ehemalige Sowjetunion im Juni 1941 abgegeben worden sein. Nach diesem Zeitpunkt war eine Erklärung zur deutschen Volkszugehörigkeit wegen der damit verbundenen Repressalien nicht mehr zumutbar.
75Allerdings ist für deutsche Volkszugehörige aus dem sog. Reichskommissariat Ukraine auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich das Jahr 1943 abzustellen. In den Gebieten der Ukraine, die bis Sommer 1941 von deutschen Truppen besetzt wurden, waren die Deutschen zunächst nicht von Vertreibungsmaßnahmen betroffen. Diese setzten erst ein, als die Rote Armee die Gebiete im Verlauf des Jahres 1943 zurückeroberte,
76vgl. VG Köln, Urteil vom 25.08.2020 – 7 K 1573/ 18 – .
77Die Vorfahren des Klägers lebten in den Gebieten Shitomir und Zaporoshje, Gebiet Dnjepropetrowsk, die zum Reichskommissariat gehörten. Dort war bis 1943 ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum möglich.
78Es liegen hier keine Dokumente vor, aus denen sich in der Zeit kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Streitkräfte im Jahr 1943 ein ausdrückliches Bekenntnis zum deutschen Volkstum ergibt. Ein Bekenntnis durch konkludentes Verhalten ist ebenfalls nicht vorgetragen. Zwar kann sich ein Bekenntnis auch aus objektiven Bestätigungsmerkmalen ergeben, wenn diese hinreichende Indizien für ein Bekenntnis aufweisen. Die Abstammung von Deutschen, womit auch die deutsche Namensgebung verbunden ist, genügt aber als alleiniges Indiz nicht. Im Hinblick auf die Verwendung der deutschen Sprache als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache, auf deutsche Kultur, Erziehung oder andere Merkmale liegen fast keine Angaben vor, außer dass die Mutter Ostern und Weihnachten gefeiert hat. Dieses Kriterium zeichnet aber auch andere Minderheiten in der Ukraine mit christlichem Glauben aus, z.B. Polen oder Russen.
79Im vorliegenden Streitverfahren werden die wenigen Indizien durch den Umstand entkräftet, dass keiner der Eltern oder Großeltern von den gegen die Deutschen gerichteten Vertreibungsmaßnahmen betroffen war. Vielmehr haben alle Personen auch nach 1943 in N. gelebt und sind dort gestorben. Dies lässt darauf schließen, dass sie für die staatlichen Stellen der Sowjetunion nicht als Deutsche erkennbar waren, folglich gerade kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt haben,
80vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 23.09.2021 – 11 A 3811/19 – .
81Soweit im Beschwerdeschreiben des Klägers vom 03.01.1994 behauptet wird, die Vorfahren seien aus den Zügen geflohen, hätten sich in ihren Dörfern versteckt und später heimlich in N. gelebt, ist dies nicht glaubhaft. Sowohl die städtische als auch die ländliche Bevölkerung war in sog. Hausbüchern registriert. Seit 1933 wurde die Verpflichtung eingeführt, einen Inlandspass zu besitzen. Die Bewegungsfreiheit wurde durch ein System der Aufenthaltserlaubnisse, Arbeitsbücher und Militärbücher kontrolliert,
82vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Russische Staatsbürgerschaft.
83Ein Zugang zu amtlichen Dokumenten, zu Wohnungen und Arbeit wäre ohne Inlandspass und die weiteren Ausweispapiere nicht möglich gewesen und schließt damit ein heimliches Leben aus.
84Die im vorliegenden Verfahren und im Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen vom 25.11.2013 (Bl. 205, 206 Beiakte 1) und vom 23.05.1996 (Bl. 20. 21 Beiakte 2) sind offensichtlich unrichtig. Sie bescheinigen einerseits eine Umsiedlung nach Sibirien, andererseits nach Kasachstan und stehen daher in unauflöslichem Widerspruch zueinander. Ferner lassen sie sich auch nicht mit den vorgelegten Urkunden und den Angaben des Klägers in den Aufnahmeanträgen in Einklang bringen, dass die Eltern und Voreltern in N. / Ukraine gelebt haben und dort auch verstorben sind. Die vertriebenen Deutschen durften aber erst seit 1972 in die früheren Siedlungsgebiete zurückkehren.
85Die im Verwaltungsverfahren weiter vorgelegten Urkunden und Bescheinigungen, in denen die deutsche Nationalität der Großeltern mütterlicherseits (Bl. 41), der Mutter (Bl. 94 und 101), der Urgroßeltern väterlicherseits (Bl. 98) und der Eltern (Bl. 103) bestätigt wird, wurden sämtlich in der Nachkriegszeit ausgestellt. Sie lassen nicht erkennen, worauf die Angabe der deutschen Nationalität beruht. Sie sind daher nicht geeignet, einen Rückschluss auf das Bekenntnisverhalten kurz vom Beginn der Verfolgungsmaßnahmen im Jahr 1943 zu ziehen.
86Der Kläger ist schließlich auch nicht in der Lage, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Das wurde im Sprachtest am 27.09.1994 festgestellt. Dass der Kläger auch inzwischen keine deutschen Sprachkenntnisse erworben hat, ist unstreitig. Es wurde bisher auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger infolge eines Schlaganfalls und einer zerebrovaskulären Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die deutsche Sprache zu erlernen. Die dahingehenden pauschalen Bescheinigungen des Städtischen H. -N1. -Klinikkrankenhauses vom 12.05.2017 – (Bl. 178, 179 Beiakte 1) und die gleichlautende Bescheinigung derselben Klinik vom 23.11.2021 sind nicht hinreichend aussagekräftig. Es fehlen überzeugende Angaben und Nachweise über Zeitpunkt und Behandlung des Schlaganfalls und Ergebnisse von Untersuchungen, mit denen kognitive Einschränkungen festgestellt worden sind.
87Eine weitergehende Aufklärung dieses Punktes drängte sich dem Gericht nicht auf, da es schon an der erforderlichen Abstammung von Deutschen fehlt und objektive Anhaltspunkte für eine entsprechende Erkrankung im Verlauf des Verfahrens nicht erkennbar sind.
88Die Klage war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
89Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
90Rechtsmittelbelehrung
91Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
92- 93
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 94
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 95
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 96
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 97
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
99Auf die ab dem 1. Januar 20ß22 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
100Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
101Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
102Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
103Beschluss
104Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
1055.000,00 €
106festgesetzt.
107Gründe
108Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
109Rechtsmittelbelehrung
110Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
111Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
112Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
113Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
114Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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