Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (3. Kammer) - 3 A 401/11

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Beurteilung von schriftlichen Prüfungsleistungen im Rahmen der Abschlussprüfung zur geprüften Rechtsfachwirtin.

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Die Klägerin legte als Teilnehmerin der Abschlussprüfung zur geprüften Rechtsfachwirtin im Zeitraum vom 29.11. bis 03.12.2010 die schriftliche Prüfung ab. Mit Bescheid vom 18.01.2011 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie aufgrund der Bewertung ihrer Prüfungsleistungen in den schriftlichen Prüfungsbereichen „Mandatsbetreuung in der Zwangsvollstreckung und im materiellen Recht“; „Mandatsbetreuung im Kosten-, Gebühren- und Prozessrecht“; „Personalwesen und Mandantenbetreuung“ sowie in dem Fach „Büroorganisation und Büroverwaltung“ die Abschlussprüfung insgesamt nicht bestanden habe, da ihre Leistungen in drei von vier schriftlichen Prüfungsbereichen mit dem Prädikat 5 und damit als „mangelhaft“ bewertet wurden. Da die Klägerin nicht in allen schriftlichen Prüfungsbereichen mindestens die Note „ausreichend“ erzielt habe, stehe bereits jetzt fest - so der Bescheid weiter - dass sie die Prüfung nicht mehr bestehen könne.

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Der vorgenannten Entscheidung lagen die Bewertungen in den einzelnen Prüfungsbereichen zugrunde. Dabei war es so, dass ausweislich des Deckblattes der Klausurbeurteilung die Leistungen durch zwei Prüfer beurteilt waren, wobei sich diese Beurteilung auf dem Deckblatt dadurch auszeichnete, dass unter der Rubrik „Bewertung“ eine Punktzahl angegeben war, eine Note und dann die Unterschrift des Erstkorrektors bzw. Zweitkorrektors. Ein gesondertes schriftliches Votum, aus dem sich die Zusammensetzung und die Gründe für die Benotung ergaben, war nicht vorhanden. Bei der Korrektur der Arbeit war es in der Regel so, dass sich bei dieser zu den einzelnen Aufgaben in der Regel Randbemerkungen fanden, teilweise die gefundenen Ergebnisse abgehakt worden und in den Randbemerkungen auch Hinweise auf die nach Ansicht des Korrektors fehlenden Aussagen vorhanden waren. Auch wurde je nach dem einzelnen Fachgebiet teilweise auf die für einschlägig gehaltenen rechtlichen Normen hingewiesen und diese bezeichnet. Bei Berechnungen der einzelnen Prüfungsleistungen in dem Fach „Gebührenrecht und ZPO“ fanden sich neben dem Buchstaben „f“ – auch vereinzelte Hinweise auf die aus der Sicht des Korrektors für einschlägig gehaltenen Probleme und erforderlichen Auseinandersetzungen. Bei der Bewertung der Klausuren ist eine gesonderte Abzeichnung der Klausuren durch den Zweitkorrektor und Behandlung der betreffenden Klausur nicht ohne weiteres erkennbar, sondern lässt sich nur vereinzelt aus der Verwendung unterschiedlicher Kugelschreiber erkennen.

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Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 18.01.2011 am 18.02.2011 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch begründete sie mit Schriftsatz vom 05.04.2011 im Einzelnen bezüglich der gestellten Aufgaben in den einzelnen Prüfungsfächern auf insgesamt 17 Seiten. Bei den Ausführungen zu den einzelnen Aufgaben in den Prüfungsfächern und in ihrer zusammenfassenden Stellungnahme führte die Klägerin dabei im Einzelnen aus, dass z. B. nicht ersichtlich sei, dass die zu erbringenden Leistungen durch einen Erst- und Zweitkorrektor ordnungsgemäß beurteilt worden seien. Es könnte sich insbesondere auch der Verdacht aufdrängen, dass der Zweitkorrektor sich jeweils „blind“ der Bewertung des Erstkorrektors angeschlossen habe, da insbesondere handschriftliche Korrekturvermerke augenscheinlich immer nur von einem Korrektor stammen würden. Die Benotung stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu den von der Klägerin in den betreffenden Arbeiten gezeigten fachlichen Qualitäten. Bei sachgerechter und angemessener Bewertung hätten sämtliche Klausuren mit der Note „gut“, teilweise sogar im oberen Notenbereich, zumindestens aber mit der Note „befriedigend“ (jedoch im oberen Bereich) bewertet werden müssen. Es sei insbesondere auch zu bemängeln, dass die Bewertung intransparent sei. Die insbesondere vorliegenden handschriftlichen Korrekturvermerke seien unerheblich, weil sie z. B. vermeintliche Unvollständigkeiten oder Fehler rügen würden, welche entweder keine solchen seien oder aber erkennbar auf der unklaren Aufgabenstellung beruhen würden. Zudem bestünden die handschriftlichen Korrekturvermerke jedoch meistens aus Häkchen, was bedeutete, dass auch vom Korrektor die Lösung der Klägerin als richtig bewertet worden sei. Es sei auch so, dass teilweise eine unklare Aufgabenstellung vorgelegen habe, theoretisches Spezialwissen abgefragt worden sei und auch Aussagen etwa in der Lösungsskizze nicht zutreffen würden. Es seien auch keine Bewertungsmaßstäbe dargelegt worden, aus denen sich ergebe, welches Gewicht den einzelnen Aufgaben zukomme, und wie die zu den einzelnen Aufgaben von der Klägerin gefundenen Lösungen für sich betrachtet bewertet würden. Es ließe sich insbesondere auch kein nachvollziehbares Punktesystem erkennen.

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Hinsichtlich der einzelnen Aufgaben und deren Lösung sei darauf hinzuweisen, dass teilweise auch die Aufgabenstellung missverständlich gewesen sei, die Klägerin die Aufgaben meistens im Wesentlichen beantwortet habe und allenfalls bei Einzelfragen ein geringer Punktabzug möglich sei. Die von ihr getroffenen Darstellungen seien sachgerecht und nachvollziehbar und würden zeigen, dass die Klägerin über ein ausreichendes Verständnis für den angestrebten Beruf der Rechtsanwaltsfachwirtin habe. Soweit auch etwa falsche Darstellungen gewählt worden seien, z. B. bei einer Drittwiderspruchsklage gegenüber dem „Gerichtsvollzieher“, handele es sich um einen bloßen Flüchtigkeitsfehler, wie sich aus nachfolgenden Ausführungen, die zutreffend seien, ergeben würde. Im Übrigen müsse auch berücksichtigt werden, dass teilweise die Lösungsskizze fehlerhaft sei und auch etwaige Randbemerkungen, wie z. B. eine geforderte Auseinandersetzung mit § 811 ZPO im Rahmen der Aufgabe Nr. 3 (Materielles Recht und Zwangsvollstreckung) unzutreffend sei. Darüber hinaus sei insbesondere zu betonen, dass selbst dann, wenn Mängel vorliegen würden, bei der Bearbeitung diese allenfalls zu einem geringen Punktabzug führen könnten. Auch sei vom Prüfungsstoff her keine sachgerechte Auswahl erfolgt, da etwa Fragen zu steuerrechtlichen Problemen nicht bei einer Prüfung zur Rechtsanwaltsfachwirtin eine Rolle spielen dürften.

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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Widerspruchs wird auf das Schreiben vom 05.04.2011 verwiesen (Bl. 157 der Beiakte A).

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Aufgrund des eingelegten Widerspruches erfolgte eine Überprüfung. Nach dem Widerspruchsbescheid wurden der Widerspruch und die dazugehörigen Prüfungsunterlagen an den zuständigen Prüfungsausschuss mit Maßgabe der Überprüfung des Ergebnisses und Stellungnahme weitergeleitet. Der Prüfungsausschuss, genauer gesagt die Vorsitzende des Prüfungsausschusses, hat dann mit Schreiben vom 07.11.2011 dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer das Überprüfungsergebnis mitgeteilt.

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Durch Widerspruchsbescheid vom 09.11.2011 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. In diesem Widerspruchsbescheid wurde (entsprechend der Stellungnahme Bl. 176 ff. der Beiakte A, mit der die Formulierung des Widerspruchsbescheides teilweise wörtlich übereinstimmt) ausgeführt, dass hinsichtlich der einzelnen Prüfungsfächer die Beanstandungen der Klägerin unzutreffend seien und es bei den mitgeteilten Ergebnissen bleibe. Im Einzelnen führte die Beklagte zu dem Bereich Prüfungsarbeit „RVG/ZPO“ aus, dass die Fälle von unterschiedlichem Gewicht seien und etwa die Klägerin im Fall 4 und 9 so weit unter den Mindestanforderungen geblieben sei, dass eine Kompensierung mit anderen Aufgaben zwar möglich gewesen sei, aber eben zu dem Ergebnis geführt habe, dass der Teil RVG und ZPO nur mit insgesamt 52 % gelöst worden sei. Es läge damit ein ausreichendes Prüfungsergebnis vor, wobei die Beklagte hinsichtlich der anderen Fälle sich auf eine Einstufung des Schwierigkeitsgrades und die Angabe von Prozentzahlen, die auf die Lösungshöhe hindeuteten, bezog, ohne diese Prozentzahlen dabei näher zu erläutern. Hinsichtlich des Fachbereiches „Materielles Recht/Zwangsvollstreckung“ führte die Beklagte aus, dass der Klägerin wesentliche Kenntnisse im Zwangsvollstreckungsrecht und im materiellen Recht fehlen würden. Die Lösungsvorschläge in der Prüfungsarbeit würden nicht den Leistungserfordernissen einer Rechtsfachwirtin entsprechen. Die Beklagte stellte in diesem Zusammenhang hinsichtlich der einzelnen Aufgaben fest, dass wesentliche Lösungsansätze fehlen würden, Aufgaben unvollständig gelöst seien, entsprechende Vorschriften, die einschlägig seien, nicht erörtert worden seien, teilweise eine falsche Subsumtion der Vorschriften vorliege und eine konkrete Beantwortung von Fallfragen nicht erfolgt sei. Teilweise würden auch die Lösungen zeigen, dass die Klägerin etwa bezüglich der Aufgabe 9 mit allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts nicht vertraut sei. In der Gesamtschau der gesamten Arbeit liege eine mangelhafte Leistung vor. Die etwas besseren Lösungsvorschläge zum materiellen Recht könnten die erheblichen Mängel in der Zwangsvollstreckung nicht ausgleichen. Bei der Bewertung der Prüfungsarbeit „Personalwesen und Mandatsbetreuung“ sei es so, dass es sich teilweise um leichte Aufgaben handele und die entsprechenden Fehler in den Randbemerkungen ausdrücklich dargestellt worden seien. Teilweise sei auch der Sachverhalt, etwa bezüglich der Aufgabe 4, nicht richtig erfasst worden. Sonstige Fehler, die die Klägerin bei der Lösung gemacht habe, würden sich aus den Randbemerkungen ergeben. Zusammenfassend sei auszuführen, dass die Widerspruchsführerin die Kernprobleme der Prüfungsaufgaben nicht erkannt habe. Hinsichtlich des Prüfungsfaches „Büroorganisation und Verwaltung“ seien etwa die Mängel der Aufgabenlösung durch die Randbemerkungen eindeutig dargestellt. Verschiedene Aufgaben seien schlichtweg unrichtig beantwortet worden. Auch würden die Randbemerkungen die mangelnde Unterscheidung bei der Aufgabe 6 zwischen Sonderausgaben und Werbungskosten aufzeigen und sich aus den übrigen Randbemerkungen auch die unzutreffenden Lösungsansätze der Klägerin ergeben. Bei nochmaliger Bewertung der Arbeit verbleibe es bei der Benotung „mangelhaft“. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Bewertung von Prüfungsentscheidungen und den zu stellenden Anforderungen um höchstpersönliche Werturteile handele. Bei diesen Bewertungen fließe in eine Gesamtschau die Bewertung der einzelnen Klausuren ein. Unter Zuhilfenahme von Musterlösungen sowie der Hinzuziehung der weiteren Stellungnahmen des Erst- und Zweitkorrektors sei die Benotung nachvollziehbar, in sich schlüssig und entspreche den Anforderungen rationaler Abwägung. Es sei so, dass in diesem Zusammenhang auch keine Verpflichtung zu einer detaillierten Aufschlüsselung der Endnote bestünde. Musterlösungen oder Lösungsskizzen nebst Punkteschemen dienten den Prüfern lediglich allgemein und nicht als verbindliche Hilfestellung. Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen des Prüfungsrechts verfüge der Prüfer über einen prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum. Dementsprechend sei es allein Aufgabe des Prüfers, zu entscheiden, ob Ausführungen an der richtigen Stelle stünden, den zutreffenden Umfang hätten und deshalb im Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen und den Leistungen der anderen Prüflinge zur Vergabe von Punkten führen würden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 09.11.2011 Bezug genommen.

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Die Klägerin hat am 01.12.2011 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage beruft sie sich zunächst auf die Ausführungen im Widerspruchsschreiben, die sie auch zum Gegenstand der Klage macht. Darüber hinaus führt sie aus, dass insbesondere keine sachliche Auseinandersetzung mit den Einwänden der Klägerin stattgefunden habe, was sich schon aus dem geringen Umfang der Stellungnahmen/des Widerspruchsbescheides gegenüber dem umfangreichen Widerspruchsschreiben ergäbe. Eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin sei nicht erfolgt, so dass bereits dieser Umstand zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidungen führe. Im Einzelnen sei es so, dass erhebliche Mängel bezüglich der Bewertung in den einzelnen Prüfungsfächern bestünden. So sei etwa bezüglich des Prüfungsfaches „RVG/ZPO“ nach wie vor unklar, wie sich die genannten Prozentwerte ergeben würden und auf welche Art und Weise der Abzug von Punkten bei der Bewertung erfolgt sei. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei zu bemängeln, dass umfangreich dargelegt sei, dass die Lösungsskizze z. T. fehlerhaft sei und von daher gesehen die Klägerin sachgerechte Antworten gegeben habe bzw. auch in Aufgabenteilen die Fragestellung unklar gewesen sei und z. B. nicht nach bestimmten Vollzugsvoraussetzungen gefragt worden sei. Auch sei eine Auseinandersetzung mit § 811 ZPO bei der Aufgabenstellung hinsichtlich der Nr. 3 in Teilbereichen materielles Recht/Zwangsvollstreckung fehlerhaft. Auch habe man sich z. B. nicht mit dem Argument „Vorliegen eines Flüchtigkeitsfehlers“ auseinandergesetzt.

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Bei dem Prüfungsfach „Personalwesen“ habe insbesondere keine Auseinandersetzung mit der Argumentation der Klägerin an der ihrer Meinung nach unzutreffenden Bewertung stattgefunden. Insbesondere seien auch die Ausführungen der korrigierenden Prüfer nicht nachvollziehbar. Bezüglich des Fachgebietes „Büroorganisation“ sei die Darstellung in der Lösungsskizze fraglich, wenn nicht sogar fehlerhaft. Auch hier habe keine detaillierte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin stattgefunden, zumal auch bei sonstigen Fragen stets sachgerechte Antworten gegeben seien und auch erhebliche Zweifel bestünden, ob die Lösungsskizze oder auch die Randbemerkungen als zutreffend zu bewerten seien.

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Zusammenfassend sei zu sagen, dass keine Auseinandersetzungen mit der geübten Kritik an einer fehlerhaften Lösungsskizze und teilweise falschen Fragestellungen erfolgt sei. Eine sachgerechte Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Bedenken der Klägerin sei nicht erfolgt. Es sei insbesondere auch höchst zweifelhaft, ob tatsächlich eine Beurteilung durch einen Erst- und Zweitkorrektor separat stattgefunden habe. Die Klägerin habe umfangreiches Wissen nachgewiesen und überwiegend sachgerechte Antworten gegeben. Sie habe als Prüfling auch einen Antwortspielraum, der durchaus abweichende Meinungen zulasse. Es sei auch keine Unvollständigkeit der einzelnen Lösungen gegeben gewesen, sondern umfangreich auf das Fachwissen der Klägerin hingewiesen worden. Auch sei es so, dass bei der Musterlösung zu einzelnen Aufgabenbereichen sich sogar sachliche Fehler eingeschlichen hätten. Es sei zu bemängeln, dass insgesamt keine nachvollziehbare Bewertung gegeben sei. Auch sei theoretisches Spezialwissen abgefragt worden, so dass etwa das Problem einer invitatio ad offerendum oder steuerrechtliche Fragen nicht als sachgerechte Fragestellungen anzusehen seien. Die Bewertung der Leistungen der Klägerin müsse daher als willkürlich erscheinen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 1.12.2011, 1.2.2012, 23.7.2012 sowie das Gerichtsprotokoll verwiesen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Prüfungsbescheid der Beklagten vom 18.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2011 aufzuheben und die vier angefochtenen Prüfergebnisse zu überprüfen und die Prüfergebnisse einer Neubewertung zu unterziehen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin im Einzelnen entgegen. Sie führt insbesondere aus, dass hier eine sachgerechte Auswahl des Prüfungsstoffes erfolgt sei und kein theoretisches Spezialwissen abgefragt worden sei. Hinsichtlich der Bewertung sei es so, dass die Bewertung und die Überprüfung im Widerspruchsverfahren nicht durch eine Prüferin, sondern durch den gesamten Prüfungsausschuss vorgenommen worden sei. Die Bewertungen in den einzelnen Rechtsgebieten seien nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Prüfungsarbeit RVG/ZPO ergäben sich aus den Randbemerkungen die Bewertungen. In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, dass von dem Korrektor nicht mehr zu erwarten sei, als die richtige Gebühr dahinter zu schreiben und das Ergebnis mit dem Vermerk „f“ zu versehen. Soweit es die Punktbewertung anbelange, seien für die einzelnen Aufgaben unterschiedliche Punkte vergeben worden, wobei im Hinblick auf die jeweils erreichbare Punktzahl dann der bestimmte Prozentanteil, der auf die Lösung der Klägerin entfalle, zu berücksichtigen sei. Bei der Prüfungsarbeit „Materielles Recht/Zwangsvollstreckung“ sei es so, dass im Einzelnen die fehlerhafte Beantwortung der Prüfungsfragen nicht als Flüchtigkeitsfehler anzusehen sei und verschiedene Normen überhaupt nicht erkannt worden seien. Die Klägerin habe in diesem Zusammenhang insbesondere auch bei Einzelfragen nicht die volle Punktzahl erhalten, sondern es sei zu Abzügen gekommen. Bei dem Prüfungsfach „Büroorganisation und Verwaltung“ seien die Fälle in unterschiedlicher Gewichtung zu bewerten. In diesem Zusammenhang sei es so, dass hier die entsprechenden Antworten in sachgerechter Weise unter Berücksichtigung von Punktabzügen bewertet worden seien. Allgemein könne darauf hingewiesen werden, das bei den Bewertungen der den Prüfern obliegende Beurteilungsspielraum nicht überschritten worden sei, da weder Verfahrensfehler vorgelegen hätten noch anzuwendendes Recht verkannt worden sei, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Auch die allgemeinen Bewertungsregeln seien nicht verletzt worden. Die Einschätzungen des Prüfungsausschusses würden auch von der Abteilung Berufsausbildung des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer geteilt. Für die Entscheidung des Prüfungsausschusses seien die Stellungnahmen der jeweiligen Prüfer eingeholt worden. Es sei auch nicht notwendig, dass ein Zweitkorrektor ersichtlich eigene Korrekturvermerke hinterlasse. Die Prüfungsleistungen der Klägerin seien als unvollständig oder falsch gewertet worden, wenn sie nicht vertretbar gewesen seien. Die Lösungsskizzen würden den Prüfern lediglich als nicht verbindliche Hilfestellung dienen. Auch wenn die Ausführungen der Klägerin in den Prüfungsarbeiten teilweise umfangreich gewesen seien, bedeute dies nicht, dass diese vertretbar gewesen seien. Bei einer Gesamtschau sei die Bewertung der Klausuren nicht zu beanstanden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Sie ist fristgerecht erhoben. Auch besteht nach Auffassung der Kammer trotz des derzeitigen Wohnsitzes der Klägerin in Österreich nach wie vor ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens der Prüfung, da schon eine mögliche Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland nicht ausgeschlossen werden kann und es in diesem Falle von Nutzen ist, wenn z. B. das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden kann.

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Die Klage ist aber unbegründet. Der streitbefangene Bescheid der Beklagten vom 18.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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Rechtsgrundlage für die angefochtene Prüfungsentscheidung ist § 46 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes i. V. m. der aufgrund der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss geprüfter Rechtsfachwirt/geprüfte Rechtsfachwirtin vom 23.08.2001, BGBl. I 2001, S. 2250, erlassenen Prüfungsordnung der C. über die Fortbildungsprüfung „Geprüfter Rechtsfachwirt/geprüfte Rechtsfachwirtin“. Nach dieser Prüfungsordnung, gegen deren rechtswirksames Zustandekommen keine Bedenken bestehen und auch Einwände erhoben worden sind, ist die Prüfung gem. § 18 Abs. 3 bestanden, wenn der Prüfungsteilnehmer in allen schriftlichen Prüfungsteilen und in der mündlichen Prüfung mindestens die Note „ausreichend“ erzielt hat. Die Klägerin hat entgegen dieser Festlegung in drei schriftlichen Prüfungsteilen die Note „mangelhaft“ erzielt. Diese Bewertung ist unter Berücksichtigung der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren und im Gerichtsverfahren vorgebrachten Einwände entgegen ihrer Auffassung rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Dies ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:

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Das Gericht verweist zunächst auf die Ausführungen in dem streitbefangenen Bescheid vom 18.01.2011 und im Widerspruchsbescheid vom 09.11.2011. Das Gericht macht sich diese Begründung gem. § 117 Abs. 5 VwGO in vollem Umfange zu eigen und verweist insbesondere auf die Begründung in dem streitbefangenen Widerspruchsbescheid vom 09.11.2011.

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Die umfangreichen Ausführungen der Klägerin, die das Gericht zur Kenntnis genommen hat, sich aber nicht dazu verpflichtet fühlt, zu jedem vorgetragenen Punkt Stellung zu nehmen, führen nicht zum Erfolg der Klage. Das Vorbringen der Klägerin wiederholt sich teilweise, wenn auch zu unterschiedlichen Sachverhalten, und zudem durch die Bezugnahme des Gerichtes auf den Widerspruchsbescheid und dessen Begründung sind die Einwände der Klägerin berücksichtigt. Das Gericht hält es für sachdienlich, sich zu den wesentlichen Punkten zu äußern und die Ansicht des Gerichtes darzulegen. Dies geschieht nicht zuletzt deshalb, weil hier die Besonderheit einer nur eingeschränkten Möglichkeit der Überprüfung durch das Gericht besteht. Es ist in diesem Zusammenhang unstreitig, dass es sich um eine Prüfung des allgemeinen Prüfungsrechtes handelt. Für diese ist kennzeichnend, dass den Prüfern ein Bewertungsspielraum zugebilligt wird, soweit komplexe prüfungsspezifische Bewertungen - z. B. bei der Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, bei der Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung oder bei der Würdigung der Darstellung - im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens getroffen werden müssen und sich nicht ohne weiteres in nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren einzelner Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen. Bei der Bewertung von Prüfungsleistungen, die Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sind, ist es anerkannte Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Entscheidung vom Gericht nur insoweit überprüft werden kann, ob Verfahrensfehler begangen worden sind, das anzuwendende Recht verkannt worden ist, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt worden sind oder sich die Prüfungsbehörden von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen (vgl. zu dieser Problematik allgemein BVerwGE 8, 272; Gatz, Rechtsfragen des Prüfungswesens, ZAP 1999, 429 ff).

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Bei Fachfragen besteht dagegen kein Bewertungsspielraum. Unter Fachfragen sind alle Fragen zu verstehen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hierunter fallen sowohl Fragen, die fachwissenschaftlich geklärt sind, als auch solche, die in der Fachwissenschaft kontrovers behandelt werden (vgl. zu vorstehenden Ausführungen Bundesverwaltungsgericht, B. v. 17.12.1997, DVBl. 1998, 404). Die Prüfer können bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Daraus folgt, dass Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Streiten Prüfling und Prüfer über die richtige Antwort auf Fachfragen, so ist einerseits dem Prüfer ein Bewertungsspielraum im soeben beschriebenen Sinne einzuräumen, andererseits aber auch dem Prüfling ein Antwortspielraum zuzugestehen. Eine von ihm vorgetragene und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden (vgl. BVerfG 84, 34, 55).

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Vorliegend ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe sich ein Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide bezüglich der von ihr geltend gemachten Rügen nicht feststellen lässt.

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Zunächst ist festzuhalten, dass Verfahrensmängel nicht bestehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG im Hinblick auf die Begründung von Prüfungsleistungen nicht auf die Vorschrift des § 39 VwVfG, der eine Begründung eines Verwaltungsaktes fordert, Bezug nimmt. Dessen ungeachtet wird aber zu Recht die Auffassung von einer Begründungspflicht bei Prüfungsleistungen, möglicherweise auch erst während des laufenden Widerspruchsverfahrens, aufgrund einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Einwänden des Prüflings vertreten (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, § 39 VwVfG RdNr. 15). Dabei bestehen gegen die Begründung der schriftlichen Klausurergebnisse hier keine Bedenken. Es ist zunächst davon auszugehen, dass entsprechend der Prüfungsordnung die Klausurleistung durch zwei Mitglieder des Prüfungsausschusses beurteilt wurde (§ 17 Abs. 2 der Prüfungsordnung). Dies folgt bereits daraus, dass die Prüfer durch ihre Unterschriftsleistung die Befassung mit der Klausur und auch eine Durchsicht beurkundet haben, mag auch die Abfassung eines gesonderten schriftlichen Votums oder eben der deutliche Korrekturvermerk durch Randbemerkungen mit dem Handzeichen des Zweitkorrektors wünschenswert sein. Gefordert wird dies allerdings nicht. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass entgegen der Auffassung der Klägerin sich die Durchsicht durch zwei Personen teilweise aus den vorliegenden Klausuren selbst ergibt, wenn auch erst nach genauerem Hinsehen. So lässt sich nämlich aus der unterschiedlichen Dicke der verwendeten Korrekturstifte die Korrektur durch zwei Personen erkennen. Bei der Klausur „Gebührenrecht“ verweist das Gericht insoweit auf die Randbemerkungen etwa auf den Seiten 11, 13, 15, 16 und 18. Wenn man diese Randbemerkungen mit anderen Korrekturzeichen in dieser Arbeit vergleicht, ergeben sich Unterschiede, die auf die Bearbeitung durch zwei Personen hinweisen. Entsprechendes gilt für die Klausur „Personalwesen“, wobei das Gericht hier etwa auf die Seite 6 hinweisen kann, wo auch hier im Vergleich mit der Korrektur auf anderen Seiten Unterschiede bestehen. Die sich nach Auffassung der Klägerin abzeichnende „Blindkorrektur“ durch eine zweite Person sieht das Gericht nicht als gegeben an, da es durchaus üblich ist und auch in der Prüfungsordnung entsprechend festgelegt worden ist, dass der Zweitkorrektor Kenntnis von den Randbemerkungen des Erstkorrektors hat. Wenn in diesem Zusammenhang dann teilweise überhaupt keine Korrekturzeichen am Rande vermerkt sind, ist dies hinzunehmen, da sich durch die Beurkundung der Note durch den Zweitkorrektor ergibt, dass sich dieser in vollem Umfang den Ausführungen des Erstkorrektors anschließt und eine entsprechende Bewertung vornimmt.

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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass sich die Beurteilung der Prüfungsleistungen hier nicht durch ein gesondertes Votum ergibt, sondern unter Bezugnahme auf die Randbemerkungen sich die Notengebung erschließt. Durch die Randbemerkungen, sei es ein Häkchen, sei es das Zeichen „f“ oder sei es der Hinweis auf Normen und die sonstigen Aussagen (in gebotener Kürze), ergibt sich, aus welchen Gründen hier davon ausgegangen wird, dass die Ausführungen der Klägerin nicht sachgerecht sind. Wenn in diesem Zusammenhang die Klägerin ausführt, dass sie z. B. wesentliche Punkte der Aufgabe erfüllt habe, die Aufgaben gut gelöst habe, die volle Punktzahl zu geben sei oder allenfalls ein geringerer Abzug von Punkten möglich sei und z. B. mindestens 60 % der Aufgabe gelöst sind, genügen die kurzen Randbemerkungen, um von dem Vorliegen einer Begründung auszugehen. Es ist in diesem Zusammenhang auch als Begründung ausreichend, wenn bei der Gesamtbeurteilung eine Punktzahl angegeben wird, ohne dass im Einzelnen genau alle Punkte bei den Aufgaben genannt werden oder etwa ganz exakte Prozentzahlen angegeben werden, unabhängig davon, dass teilweise im Widerspruchsbescheid oder aber auch in der späteren Klageerwiderung die Punktzahlen genannt werden. Es ist in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn die ausschlaggebenden Gründe für die Beurteilung ersichtlich sind, wobei dies durchaus auch - etwa wie bei einfachen Rechenaufgaben - durch kurze Randbemerkungen erfolgen kann und auch in allen sonstigen Prüfungsgebieten und Beurteilungen möglich ist (vgl. Kopp/Ramsauer, aaO, § 39 RdNr. 16).

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Andere formelle Fehler etwa bezüglich der Durchführung des Widerspruchsverfahrens lassen sich ebenfalls nicht erkennen. Es besteht keinerlei Verpflichtung, aufgrund einer 17seitigen Stellungnahme der Klägerin sich in entsprechender Weise bezüglich der Seitenzahlen bei der Ablehnung eines Widerspruches an diese anzulehnen oder gar die Seitenzahl zu überbieten. Es ist - ebenso wie bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs im Gerichtsverfahren - ausreichend, wenn sich die Rechtsanwaltskammer mit den wesentlichen Punkten auseinandersetzt, da nicht ersichtlich ist, dass sie die Einwände der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat, zumal auch der Prüfungsausschuss in seiner Gesamtheit sich mit den Einwänden der Klägerin beschäftigt hat. In diesem Zusammenhang kann auch dahingestellt bleiben, in welcher Weise Stellungnahmen der einzelnen Prüfer vorlagen. Nach der Prüfungsordnung ist nicht festgelegt, in welcher Art und Weise sich die Auseinandersetzung mit den Einwänden der Klägerin in einem Widerspruchsverfahren abspielen muss. Es ist lediglich - wie hier auch geschehen - festgelegt, dass der Widerspruch von der Rechtsanwaltskammer entschieden wird. Die Befassung mit den Einwänden des Prüfungsteilnehmers kann auch durch den gesamten Prüfungsausschuss erfolgen, zumal auch darauf hinzuweisen ist, dass insoweit etwaigen Stellungnahmen lediglich vorbereitende Funktion zukommt und die eigentliche Entscheidung in der Kompetenz der Rechtsanwaltskammer liegt, die hier auch die Einwände der Klägerin abgelehnt und den Widerspruchsbescheid erlassen hat.

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Die Einwände der Klägerin, dass etwa nicht erkannt worden sei, dass Flüchtigkeitsfehler vorlägen oder verlangte Antworten im Hinblick auf eine Aufgliederung der Fragen unsinnig seien, entgegen der Auffassung in den Bewertungen keine unklaren Aussagen vorliegen würden und Fragen unklar seien, lässt nach Auffassung des Gerichtes hier weder Verfahrensfehler noch Bewertungsfehler, die den Beurteilungsspielraum überschreiten würden, erkennen. Es ist ureigenste Aufgabe bei einer Beurteilung, auch hinsichtlich der Art und Weise der Darstellung des Prüfungsteilnehmers zu beurteilen, ob diese Aussagen klar und unmissverständlich sind und aus Sicht des Korrektors eine angemessene Darstellung der Probleme erfolgt. Wenn in diesem Zusammenhang in den Randbemerkungen z. B. darauf hingewiesen wird, dass Gliederungen nicht erkennbar sind oder eine unklare Darstellung vorliegt, handelt es sich hier um Begründungen, die von einem Beurteilungsspielraum gedeckt sind.

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Die Klägerin kann ferner nicht mit der Aussage gehört werden, dass zum Teil die Fragen nicht sachgerecht, theoretischer Natur mit der Abfragung unzulässigen Spezialwissens seien und Fragen angebrachter wären, wenn sie bei steuerrechtlichen Prüfungen gestellt würden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch bei der Auswahl der Fragen grundsätzlich Ermessen besteht und es somit im Ermessen der zustehenden Prüfungsbehörde liegt, welche Fragen im Einzelnen gestellt werden (vgl. Gatz, aaO, S. 433). Darüber hinaus halten sich die gestellten Fragen auch in dem durch § 1 und insbesondere § 13 Abs. 2 der Prüfungsordnung festgelegten Rahmen, die die Ziele und Aufgabenbereiche in einer Prüfung festlegen. Ein Überschreiten der dort festgelegten Grenzen sieht das Gericht nicht. Beispielhaft sei hier auf die Aussage der Klägerin eingegangen, dass etwa in dem Prüfungsfach „Materielles Recht“ die in der Praxis faktisch nicht vorkommende Figur der invitatio ad offerendum verwendet worden ist. In diesem Zusammenhang ist schon die Aussage, dass diese Rechtsfigur in der Praxis faktisch überhaupt nicht vorkomme, unzutreffend, da etwa diese Problematik erst vor kurzem auch in einer Fernsehsendung angesprochen wurde unter der den Passanten gestellten Frage, ob sie Anspruch auf Auslieferung einer Ware zu einem geringeren Preis hätten, wenn an der Kasse plötzlich ein höherer Preis verlangt würde. Im Übrigen ist es auch häufig so, dass etwa in Supermärkten Sonderangebote preislich gut sichtbar ausgezeichnet sind, aber man vergessen hat, diese Preiskorrektur im Scannersystem aufzunehmen, so dass an der Kasse plötzlich ein höherer Preis erscheint. Diese Fragestellung beinhaltet nach Auffassung des Gerichtes durchaus die Überprüfung der Kenntnisse in dem Fachbereich „Bürgerliches Recht in praxisbezogenen Schwerpunkten“ (vgl. § 13 Abs. 2 d der Prüfungsordnung). Die Aussagen und Kenntnisse über das Wissen eines Kaufvertrages sind demnach völlig irrelevant, wenn die Klägerin hier eindeutig die gestellte Frage falsch beantwortet.

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Der weitere beispielhafte Hinweis der Klägerin darauf, dass es sich etwa im Fach „Büroorganisation“ bei der Aufgabe 6 (Frage nach Beispielen für einkommensteuerrechtliche Sonderausgaben und Werbungskosten) um einkommenssteuerrechtliche Fragen handelt, welche insbesondere im Hinblick auf die Sonderausgaben keinen Bezug zur Büroorganisation aufweisen und deshalb eher im Rahmen einer Prüfung zum Steuerfachwirt sinnvoll seien, hält das Gericht ebenfalls für unzutreffend. Es ist nach der Prüfungsordnung (§ 13 Abs. 2 a) u. a. Gegenstand der Prüfung das betriebliche Umsatz- und Einkommensteuerrecht. Die Frage hat durchaus einen Praxisbezug und ist daher u. a. als zulässige Frage anzusehen.

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Abschließend in diesem Zusammenhang sei hier noch ein kurzer Hinweis auf die Aufgabe Nr. 13 im Fach „Büroorganisation“ angebracht. Die Problematik der Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Bußgeldverfahren aufgrund einer Verteidigungsanzeige betrifft durchaus den Bereich der Zustellungen. Wenn in diesem Zusammenhang aufgrund der Randbemerkung „liegt wirksame Zustellung vor“ die Darstellung der Klägerin nicht klar und deutlich genug gesehen wird, ist sowohl diese Frage als auch die Randbemerkung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der Darstellung der Klägerin als sachgerecht anzusehen.

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Die Tatsache, dass im Hinblick auf den Prüfungsstoff eine sachgerechte Fragestellung erfolgt, die zum Teil von der Antragstellerin nicht zutreffend oder nur teilweise beantwortet worden ist, kann auch nicht mit dem Hinweis auf das Aufzeigen von „umfangreichem Wissen“ kompensiert werden. Es ist eine klare Auseinandersetzung mit den einzelnen Fragen und deren Beantwortung zu verlangen, nicht etwa Ausführungen allgemein, die den Kern des Falles nicht treffen. Dies gilt insbesondere z. B. für die Frage, ob man an einem gestohlenen Fahrrad Eigentum erwerben kann oder nicht, wo die Klägerin die einschlägige Norm schlichtweg nicht nennt.

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Die weiteren Ausführungen der Klägerin, in denen teilweise ausgeführt wird, dass nach ihrer Meinung die Lösungsskizze falsch sei, sind ebenfalls nicht geeignet, hier von einer fehlerhaften Beurteilung auszugehen. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Lösungsskizze lediglich eine Hilfestellung bei der Beurteilung gibt, nicht aber verbindlich die zutreffende Antwort oder Befassung mit dem Problem festlegt. Es besteht insoweit lediglich ein Hilfsmittel für die Beurteilung, wobei die Lösungsskizze vielfach auch nur Anregungen enthält und von daher gesehen schon äußerst zweifelhaft ist, ob sich überhaupt eine Fehlerhaftigkeit der Lösungsskizze auf die Beurteilung auswirken kann. Selbst wenn man der Auffassung ist, dass eine Lösungsskizze aufgrund der Vorgaben faktisch ein erhebliches Gewicht bei der Beurteilung ausmacht und von daher gesehen diese zutreffend sein muss, ist es nach Auffassung des Gerichtes nicht dergestalt, dass hier Fehler in der Lösungsskizze erkennbar sind. Die Ausführungen lassen bei Durchsicht aller für fehlerhaft gehaltenen Antworten keine Rechtsfehler erkennen. Beispielhaft sei hier nur etwa auf den Fall Nr. 3 in dem Rechtsgebiet „Materielles Recht und Zwangsvollstreckung“ (Waschmaschine) verwiesen. Wenn in diesem Zusammenhang in der Lösungsskizze ausgeführt wird, dass § 811 ZPO ausscheidet, weil die Norm nur Anwendung bei einer Zwangsvollstreckung wegen Geldforderung findet und auch bei der Beurteilung in der Randbemerkung sich die Aussage findet „§ 811 ZPO nicht erörtert“, ist dieses nicht zu beanstanden. Wenn die Widerspruchsführerin in diesem Zusammenhang ausführt, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der nicht einschlägigen Vorschrift des § 811 ZPO falsch wäre, ist nach Auffassung des Gerichtes nicht zu beanstanden, dass das Fehlen der Erörterung von § 811 ZPO als eine nicht vollständige Beantwortung der Aufgabe gesehen wird. Die Auseinandersetzung mit § 883 ZPO, der sich mit der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen beschäftigt, lässt nicht erkennen, ob hier nicht möglicherweise der Einwand des § 811 ZPO geltend gemacht werden kann, zumal diese Norm unter der Vorschrift „Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen“ steht. Nach dem bloßen Wortlaut und zunächst auf den ersten Blick sind gem. § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO etwa „Haus- und Küchengeräte“ nicht der Pfändung unterworfen.

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Auch die sonstigen Einwände der Klägerin rechtfertigen keine andere Entscheidung. Soweit etwa hinsichtlich einzelner Randbemerkungen kritisiert wird, dass z. B. Hinweis auf § 630 BGB bei einer Zeugniserteilung die Bemerkungen fehlerhaft seien, ist dies unzutreffend. Dieser Hinweis am Rande bedeutet einen Verweis auf die in einem Zeugnis genannten Fakten, nicht aber bedeutet dies einen Hinweis auf die Erteilung eines Zeugnisses und die Pflicht zur Erteilung eines Zeugnisses. Die Situation bei der Beurteilung der einzelnen Fragen ist auch, worauf das Gericht zusammenfassend hinweist, nicht durch eine Verkennung des Antwortspielraums der Klägerin rechtswidrig. Es ist vielmehr so, dass unter Beachtung des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums hier von verschiedenen Wertungen ausgegangen wird und insbesondere auch die Art und Weise der Darstellung und Auseinandersetzung mit den Problemen erörtert wird. In diesem Zusammenhang obliegt es der Gewichtung des einzelnen Prüfers, ob und in welcher Weise er die Darstellung der Prüfungsteilnehmerin und deren unstreitig teilweise fehlerhafte Antwort wertet. Ihre eigene Einschätzung, dass die Klausuren mit „gut“ zu bewerten seien, ist insoweit keine Aussage, die der Klägerin hier zum Erfolg verhelfen kann. Nach Durchsicht der Beurteilungen und auch der Auseinandersetzung mit allen von der Klägerin vorgetragenen Einwänden, hinsichtlich derer das Gericht - wie schon oben dargelegt - auf eine punktuelle Auseinandersetzung zu allen Fragen verzichtet, ist die Beurteilung durch den Prüfungsbescheid vom 18.01.2011 nicht zu beanstanden, da er bei der Beurteilung das maßgebliche Punkteschema in § 17 Abs. 1 der Prüfungsordnung verwendet. Eine Auseinandersetzung und ausreichende Begründung der wesentlichen Fakten erfolgt in dem Widerspruchsbescheid der Rechtsanwaltskammer vom 09.11.2011, auf welchen das Gericht ergänzend Bezug nimmt.

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Aus den vorgenannten Gründen war daher die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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