Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (6. Kammer) - 6 A 30/15

Tatbestand

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Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen.

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Der schwerbehinderte Beigeladene ist beim Kläger seit dem 1. Januar 2003 beschäftigt und übt seit dem 1. Januar 2012 die Funktion des Geschäftsführers – Leiter der Geschäftsstelle aus. Mit Schreiben vom 13. August 2012 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen aufgrund eines nachhaltig zerrütteten Vertrauensverhältnisses wegen zahlreicher arbeitsbezogener Pflichtverletzungen und Verfehlungen des Beigeladenen. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei unzumutbar. Der vom Beklagten angehörte Beigeladene hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als unzutreffend zurückgewiesen und darüber hinaus geltend gemacht, für keine der - angeblichen - Pflichtverletzungen eine Abmahnung erhalten zu haben.

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Am 26. September 2012 führte der Beklagte eine Einigungsverhandlung durch. Auskunft zu den Verfehlungen des Beigeladenen erteilte der Vorstand des Klägers nicht. Zur Begründung hieß es, dass der Beklagte nicht zu prüfen habe, ob dem Beigeladenen zu Recht Verfehlungen vorgeworfen würden. Das Kündigungsschutzgesetz greife nicht, da beim Kläger nur 3 Mitarbeiter beschäftigt seien. Maßgeblich sei das zerrüttete Vertrauensverhältnis, das eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erschwere.

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Bereits mit Bescheid vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beigeladenen als verfristet und damit unzulässig zurück. Mit Bescheid vom 27. September 2012 lehnte der Beklagte die Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen ab. Die Zustimmungsentscheidung gemäß § 85 SGB IX liege im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Daher sei das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen. Umfang und Grenzen dieser Abwägung ergäben sich aus dem Sinn und Zweck des SGB IX als Fürsorgegesetz. Danach sollten schwerbehinderte Menschen vor den durch ihre Schwerbehinderung hervorgerufenen besonderen Arbeitsplatzgefährdungen und vor der wegen ihrer schweren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beruhenden längeren Arbeitslosigkeit bewahrt werden. Der Fürsorgecharakter des SGB IX verliere jedoch dann an Intensität, wenn die beabsichtigte Kündigung ihre Ursache ausschließlich im Verhalten des Arbeitnehmers habe, das heißt kein Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung vorliege, denn in einer solchen Situation sei es nicht Aufgabe des Integrationsamtes, schwerbehinderte Arbeitnehmer besserzustellen als nichtbehinderte Arbeitnehmer. Die inhaltliche Prüfung obliege insoweit zwar den Arbeitsgerichten. Das Integrationsamt müsse jedoch bei der Erforschung des Sachverhaltes alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes ausschöpfen. Die Aufklärungspflicht sei verletzt, wenn sich das Integrationsamt damit begnüge, das Vorbringen des Arbeitsgebers, soweit es im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, nur auf seine Schlüssigkeit zu überprüfen. Vielmehr müsse sich das Integrationsamt eine eigene Überzeugung von der Richtigkeit der für seine Entscheidung wesentlichen Behauptung verschaffen. Darüber hinaus könne das Integrationsamt seine Zustimmung verweigern, wenn der vom Arbeitgeber angegebene Kündigungsgrund offensichtlich unzutreffend sei oder er die Kündigung offensichtlich nicht rechtfertigen könne und daher die Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liege. Der Arbeitgeber müsse vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ergriffen haben. Er dürfe grundsätzlich erst dann kündigen, wenn er den Arbeitnehmer vergeblich wegen seines Verhaltens abgemahnt habe und es erneut zu einem vertragswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers gekommen sei. Vorliegend seien die angegebenen Kündigungsgründe von dem Beigeladenen entkräftet worden. Eine Aufklärung seitens des Klägers sei nicht erfolgt. Auch fehle es an einer Abmahnung. Unter diesen Umständen überwiege das Interesse des Beigeladenen an einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses.

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Gegen die Versagung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung erhob der Kläger am 5. Oktober 2012 Widerspruch. Der Beklagte verkenne, dass es sich beim Kläger um einen Kleinbetrieb handele, der grundsätzlich ohne Angaben von Gründen zumindest ordentlich ein Arbeitsverhältnis beenden könne. Es herrsche zwischen Kläger und Beigeladenem Streit, ob die Vorwürfe gegen den Beigeladenen zutreffend sind. Der Beklagte dürfe sich jedoch nicht zur „Superinstanz“ aufschwingen, die eine Kündigung verhindere, selbst wenn das Arbeitsgericht dies nicht vermöge. Es liege unstreitig keinerlei Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Beigeladenen vor. Soweit der Beklagte annehme, dass die geltend gemachten Kündigungsgründe offensichtlich unzutreffend seien und der Arbeitgeber vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ergreifen müsse, sei dies offensichtlich verfehlt. Die vorliegende Kündigung habe keines Kündigungsgrundes bedurft.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar obliege die abschließende inhaltliche Prüfung von verhaltensbedingten Kündigungsgründen den Arbeitsgerichten. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn sich im Rahmen der im Zustimmungsverfahren vorzunehmenden Ermittlungen herausstellen sollte, dass die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine ordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermöchten. Die beabsichtige Kündigung des Beigeladenen sei offensichtlich unverhältnismäßig. Zwar sei zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die von ihm angegebenen Verfehlungen des Beigeladenen das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstören und die Zustimmung zur Kündigung rechtfertigen könnten. Da der Beigeladene die Verfehlungen jedoch bestritten habe und der Kläger sowohl im Ausgangsverfahren als auch bei der Anhörung durch den Widerspruchsausschuss keine substantiierten Angaben zur Beweisführung des von ihm behaupteten Vertrauensverlustes erbracht habe und damit seiner Darlegungslast nicht nachgekommen sei, überwiege das Interesse des Beigeladenen. Nach den getroffenen Feststellungen habe der Beklagte nur zu der Überzeugung gelangen können, dass das dem Beigeladenen vorgeworfene Verhalten das Vertrauensverhältnis zum Kläger nicht nachhaltig und schwerwiegend geschädigt habe. Einen konkreten Nachweis für das Fehlverhalten des Beigeladenen habe der Kläger weder aufgezeigt noch belegt. Die Interessenabwägung zugunsten des Klägers scheitere am Vorliegen eines Kündigungsgrundes.

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Am 17. Juni 2013 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er macht geltend, der Beklagte habe verkannt, dass das Kündigungsschutzgesetz vorliegend nicht anwendbar sei. Die Verteidigung gegen eine ordentliche Kündigung wäre deshalb nur im Falle des Missbrauchs dieses Instruments möglich, was hier nicht ansatzweise erkennbar sei. Die Kündigung sei nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft des Beigeladenen ausgesprochen worden. Der Beklagte habe seine Entscheidung aus sachfremden Erwägungen getroffen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27. September 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2013 zu verpflichten, die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung, die in keinem Zusammenhang mit der Behinderung stehe, sei das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses abzuwägen. Das Schwerbehindertenrecht unterscheide hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten nicht zwischen Kleinbetrieben und solchen Betrieben, für die das Kündigungsschutzgesetz gelte. Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Nachweis für das angeführte Fehlverhalten des Beigeladenen und somit einen nachvollziehbaren Grund für eine Störung der Vertrauensbasis erbracht habe, sei die Ermessensabwägung zu seinen Lasten ausgefallen.

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Der Beigeladene verteidigt den angegriffenen Bescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nur teilweise begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 27. September 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, da sie ermessensfehlerhaft ergangen sind. Dem Kläger steht aber kein Anspruch auf die begehrte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des mit dem Beigeladenen bestehenden Arbeitsverhältnisses zu, denn das dem Beklagten insoweit eingeräumte Ermessen ist nicht „auf Null“ reduziert; es obliegt dem Beklagten, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX) bedarf gemäß § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Ein Ausnahmefall hiervon (§ 90 SGB IX) liegt nicht vor. Die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung (§ 88 SGB IX) liegt im Ermessen des Integrationsamtes. Sie ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen auszurichten. Danach ist das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu behalten, mit dem Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - BVerwG 5 C 24/93 -, juris, Rn. 13). Hierbei ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen, das die Nachteile schwerbehinderter Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will und dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers eingeengt wird. Besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen dann zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Entsprechend ist der Schutz umso geringer, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellbar ist. Andererseits ist auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen (vgl. BayVGH, Urteil vom 17. September 2009 - 12 B 09.52 -, juris, Rn. 49). Hierbei kommt es bei einer Verpflichtungsklage des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1993 - 5 B 80/92 -, juris, Rn. 2).

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Die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes hat das Verwaltungsgericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO daraufhin zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Zu überprüfen ist dabei auch, ob das Integrationsamt den der Ermessensentscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zutreffend ermittelt und seiner Aufklärungspflicht aus § 20 SGB X genügt hat. Das Integrationsamt hat, anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung, all das zu ermitteln und zu berücksichtigen, was erforderlich ist, um die Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - BVerwG 5 C 24/93 -, juris, Rn. 15). Hieran gemessen erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig.

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Die Entscheidung des Integrationsamtes, die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen zu erteilen, ist entgegen der Ansicht des Klägers allerdings nicht deshalb rechtfehlerhaft, weil es nicht darauf ankomme, ob die Vorwürfe gegenüber dem Beigeladenen inhaltlich zutreffen. Wenn wie hier ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aufgrund eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses wegen zahlreicher Pflichtverletzungen des schwerbehinderten Arbeitnehmers beenden will, hat das Integrationsamt zu klären und bei seiner Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen, ob die behaupteten Pflichtverstöße vorliegen und in wessen Verantwortungsbereich die Störung des Vertrauensverhältnisses demnach fällt. Andernfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, sich durch den bloßen Vorwurf arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen von dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zu trennen, selbst wenn dieser - wie hier - die Vorwürfe bestreitet. Es läge für jeden Arbeitgeber insoweit nahe, eine Kündigung, die ihre tatsächliche Ursache in der Behinderung des Arbeitnehmers hat und deshalb nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - BVerwG 5 C 24/93 -, juris, Rn. 16), durch die Behauptung angeblicher „behinderungsneutraler“ Pflichtverletzungen zu verschleiern und dadurch zu erleichtern. Dies stünde mit dem Fürsorgegedanken des SGB IX offensichtlich nicht in Einklang.

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Der Beklagte hat jedoch gegen seine Aufklärungspflicht aus § 20 SGB X verstoßen und damit einen Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) begangen, der zur Aufhebung des angegriffenen Bescheids führt.

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Die der Hauptfürsorgestelle durch § 20 SGB X auferlegte Aufklärungspflicht gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht. Soweit ein Umstand materiell-rechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht. Welche Umstände im einzelnen und mit welchem Gewicht für die Interessenabwägung maßgeblich sind, lässt sich nicht allgemein bestimmen; entscheidend sind der Bezug zur Behinderung und die an der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes gemessene Bedeutung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - BVerwG 5 C 24/93 -, juris, Rn. 15). Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die vom Kläger gegen den Beigeladenen erhobenen Vorwürfe arbeitsrechtlicher Pflichtverletzungen zutreffen und geeignet sind, das Vertrauensverhältnis zwischen Kläger und Beigeladenem zu zerstören. Diese Frage ist für den behindertenrechtlichen Kündigungsschutz auch nach Ansicht des Beklagten von wesentlicher Bedeutung; insoweit heißt es im Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2013, dass die vom Kläger angegebenen Verfehlungen des Beigeladenen sehr wohl das Vertrauensverhältnis zum Kläger zerstören könnten und die Zustimmung zur Kündigung rechtfertigen würden. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung hatte der Beklagte, um seine Ermessensentscheidung in sachgerechter Weise treffen zu können, anknüpfend an den Vortrag des Klägers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das zu ermitteln und dann auch zu berücksichtigen, was erforderlich war, um die gegensätzlichen Interessen von Kläger und Beigeladenem gegeneinander abwägen zu können. Da die Kündigung auf das zerstörte Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beigeladenem gestützt werden sollte, gehörte hierzu auch die Klärung, in wessen Verantwortungsbereich diese Störungen fielen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 51/90 -, juris, Rn. 26).

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Insoweit geht der Widerspruchsbescheid davon aus, dass die Verfehlungen insgesamt vom Beigeladenen bestritten worden seien und der Kläger sowohl im Ausgangsverfahren als auch bei der Anhörung vor dem Widerspruchsausschuss keine substantiierten Angaben zur Beweisführung des von ihm behaupteten Vertrauensverlustes erbracht habe und damit seiner Behauptungslast nicht nachgekommen sei. Damit habe der Widerspruchsausschuss, auch unter Abwägung der gegensätzlichen Interessen, nur dem Interesse des Beigeladenen Vorrang einräumen können. Dies genügt den Vorgaben von § 20 SGB X nicht. Der Beklagte war nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gehalten, das Vorliegen von Pflichtverletzungen des Beigeladenen und deren eventuelle Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis mit dem Kläger konkret festzustellen; er durfte die Interessenabwägung nicht allein auf das Bestreiten der Vorwürfe durch den Beigeladenen stützen. Zwar trifft der Einwand zu, der Kläger habe Nachfragen zu den angeblichen Pflichtverletzungen nicht beantwortet und auch keine weiteren Nachweise vorgelegt oder Beweisangebote unterbreitet, was vom - irrigen (s.o.) - Rechtsstandpunkt des Klägers, es komme nur auf die Behauptung eines zerstörten Vertrauensverhältnisse an, allerdings konsequent war. Auch mag die Amtsermittlungspflicht des Beklagten an den Mitwirkungspflichten des Klägers ihre Grenzen finden.

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Doch waren die Möglichkeiten des Beklagten zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts damit nicht ausgeschöpft. Der Kläger hatte dem Beklagten eine Aufstellung der Pflichtverstöße vorgelegt, die er dem Beigeladenen zum Vorwurf macht. Ein Vorwurf lautet, der Beigeladene habe eine bezahlte Tierpatenschaft als Werbeaktion für den Kläger eingeleitet, obwohl dieses Vorhaben durch die Medienanstalt (namentlich Herrn F.) untersagt worden sei. Der Beigeladene habe sich dem widersetzt und den Vorstand des Klägers belogen. Der Beigeladene hat in seiner Stellungnahme vom 23. August 2012 erklärt, dass die Tierpatenschaft sehr wohl durch die Medienanstalt und hier Herrn F. genehmigt worden sei, was der Kläger auch wisse. Der Beklagte hätte sich insoweit gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 SGB X an die Medienanstalt wenden müssen, um den Vorwurf des Klägers zu prüfen. Ein weiterer Vorwurf betraf das Mobbing von Mittarbeitern des Klägers durch den Beigeladenen. Dem Antrag des Klägers waren insoweit aussagekräftige Stellungnahmen der Mitarbeiterin M. B. und des Mitarbeiters M. D. beigefügt. Die detaillierten Vorwürfe hat der Beigeladene in seiner Stellungnahme nur pauschal zurückgewiesen. Insoweit hätte eine Vernehmung von Frau B. und Herrn D. (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB X) sowie eine persönliche Anhörung des Beigeladenen die Vorwürfe erhärten oder entkräften können. Auch im Hinblick auf den Vorwurf, der Beigeladene habe sich und anderen Mitarbeitern der Geschäftsstelle unberechtigt Honorargelder ausgezahlt, bestanden noch Aufklärungsmöglichkeiten für den Beklagten. Der Beigeladene hat insoweit erklärt, dass es schriftliche Honorarvereinbarungen zwischen ihm und dem Kläger gegeben habe, auf deren Grundlage die Gelder ausgezahlt worden seien. Zur Vorlage der entsprechenden Vereinbarungen hätte der Beklagte den Beigeladenen auffordern können.

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Der Beklagte hat die erforderlichen Ermittlungen nachzuholen und auf deren Grundlage eine neue Ermessensentscheidung über den Antrag des Klägers zu treffen. Deren Ergebnis ist offen, weshalb der Kläger nur einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrages hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Verstöße der Beteiligten gegen ihre Mitwirkungspflichten (§ 21 Abs. 2 SGB X) können dabei zu ihren Lasten gehen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtkostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO. Dem Beigeladenen können keine Kosten auferlegt werden, da er keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Da der Beigeladene sich am Kostenrisiko nicht beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, von der Anordnung der Erstattungsfähigkeit seiner außergerichtlichen Kosten abzusehen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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