Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (9. Kammer) - 9 A 76/14

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer kommunalaufsichtsrechtlichen Anordnung hinsichtlich der Vorlage von Unterlagen zum Nachweis der ordnungsgemäßen Einberufung und Durchführung von Gemeinderatssitzungen.

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Bezüglich einer Gemeinderatssitzung wandte sich eine Gemeinderätin an den Beklagten als Kommunalaufsichtsbehörde und trug vor, dass sie trotz gerichtlicher Verpflichtung Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten nicht bis zum Morgen des Sitzungstages von der Klägerin zur Verfügung gestellt bekommen habe. Darüber hinaus wurden rechtliche Bedenken zu den Tagesordnungspunkten vorgetragen.

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Daraufhin forderte der Beklagte die Klägerin unter dem 23.08.2013 nach § 135 Gemeindeordnung Land Sachsen-Anhalt (GO LSA; nunmehr § 145 Kommunalverfassungsgesetz für das Land Sachsen-Anhalt - KVG) auf bis 03.09.2013 die näher bezeichneten Unterlagen zum Nachweis der ordnungsgemäßen Einberufung sowie zur Durchführung der Gemeinderatssitzung vorzulegen. Im Verweigerungsfall kündigte der Beklagte kommunalaufsichtsrechtliche Mittel nach § 137 GO LSA an. Die Verfügung wurde adressiert:

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„Empfangsbekenntnis
Verbandsgemeinde S.-W.
für die Gemeinde A-Stadt
Herrn Bürgermeister R.
Platz der Freundschaft …

39… G.“

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Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2014 als unbegründet zurück. Der Einwand der Klägerin, die Verfügung vom 23.08.2013 sei nicht korrekt adressiert gewesen, gehe fehl. Die Gemeinde A-Stadt sei Mitgliedsgemeinde der Verbandsgemeinde S.-W.. Nach Maßgabe von § 4 Abs. 2 Satz 1 Gesetz über die Verbandsgemeinde in Sachsen-Anhalt (VerbGemG LSA) vom 14.02.2008 besorge die Verbandsgemeinde die Verwaltungsgeschäfte aller Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden in deren Auftrag und in deren Namen, sofern diese der Verbandsgemeinde nicht nach § 3 zur Erfüllung übertragen worden sei. Diese Regelung stelle klar, dass die Verbandsgemeinde bei allen den Mitgliedsgemeinden verbleibenden Aufgaben als Dienstleister handele. Diese Kompetenzzuweisung erfolge unmittelbar durch Gesetz und ohne einen Gestaltungsakt der Mitgliedsgemeine. Diese könnten sich folglich auch keine eigenen Besorgungskompetenzen gegenüber der Verbandsgemeinde vorbehalten wie z. B. eine eigene Bearbeitung der Eingangspost. Diesen Gedanken trage auch die Regelung in § 12 Abs. 1 VerbGemG LSA Rechnung. Insoweit sei die Adressierung des angefochtenen Informationsbegehrens an die Gemeinde A-Stadt über die Verbandsgemeinde S.-W. nicht zu beanstanden.

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Auch der Verweis auf § 9 Abs. 2 Satz 1 VerbGemG LSA für die technische Anfertigung und Versendung der Beratungsunterlagen führe zu keinem anderen Ergebnis. Gemäß § 4 Abs. 2 VerbGemG LSA besorge die Verbandsgemeinde die Verwaltungsgeschäfte aller Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinde in deren Auftrag und in deren Namen.

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Mit der am 14.03.2014 beim Verwaltungsgericht Magdeburg eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin weiter gegen die Vorlagepflicht und trägt zur Versäumung der Klagefrist vor, dass der Bürgermeister der Klägerin den prozessbevollmächtigten Unterzeichner anlässlich eines Besprechungstermins am 03.03.2014 in den Kanzleiräumen in B-Stadt die Verfügungen übergeben und auf den Fristablauf am 10.03.2014 hingewiesen habe. Unmittelbar nach Ende des Besprechungstermins habe der Unterzeichner den Vorgang seiner Sekretärin, Frau P. H., zur weiteren Bearbeitung gegeben. Die Akte wurde sodann von Frau H. am 11.03.2014 erneut vorgelegt. Dabei habe sich herausgestellt, dass keinerlei Fristenkontrolle stattgefunden habe und die Klagefrist somit abgelaufen gewesen sei. Die Versäumung der Klagefrist sei unverschuldet. Der unterzeichnende und mandatierte Rechtsanwalt habe sich darauf verlassen können, dass die allgemeinen organisatorischen Vorgaben zur weiteren fristwahrenden Behandlung des Schriftstücks von der Sekretärin Frau H. beachtet werden. Frau H. sei ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und als solche seit 13 Jahren in der Kanzlei tätig. Sie sei nach den Organisationsanweisungen angewiesen, persönlich die Fristenkontrolle und Vorlage beim Rechtsanwalt sicherzustellen. Der Fristenkalender werde von dem Unterzeichner persönlich täglich kontrolliert. Zur Glaubhaftmachung werde auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung der Frau P. H. verwiesen. Darin bekundet Frau H. an Eides statt, dass sie es vergessen habe, die ihr übergebenen Unterlagen als Posteingang zu bearbeiten und die Frist zu notieren.

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Die Klägerin macht weiter Ausführungen zur unklaren Adressierung der streitbefangenen Verfügung. Adressat kommunalaufsichtsrechtlicher Befugnisse nach den §§ 135 ff. GO LSA, müsse stets und ausschließlich die jeweilige Mitgliedsgemeinde einer Verbandsgemeinde, dieser Mitgliedsgemeinde sein. Dies sei vorliegend nicht eingehalten worden.

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Die Klägerin moniert, dass die Adressierung kommunalaufsichtsrechtlicher Schreiben an die Klägerin in der Vergangenheit stets unterschiedlich vorgenommen sei. Weiter sei unklar, ob die Verfügung an Herrn R. persönlich gerichtet gewesen sei. Ob dieser als Vertreter seiner Mitgliedsgemeinde oder als bloßer Empfangsbote gemeint sei, erschließe sich nicht. Unklar sei auch ob die „Verbandsgemeinde S.-W.“ im Kopf des Adressatenfeldes somit auch als Adressat der Verfügung gemeint sei.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Verfügung des Beklagten vom 23.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die streitbefangene Verfügung mit weiteren Hinweisen zu der ordnungsgemäßen Adressierung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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1.) Die Klage ist zulässig. Denn der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren. Der Antrag ist fristgerecht gestellt und die Voraussetzungen liegen vor. Denn die Versäumung der Klagefrist war für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unverschuldet, so dass sich auch die Klägerin dies nicht zurechnen lassen muss. Der Prozessbevollmächtigte kann sich dadurch exkulpieren, dass er seine Mitarbeiterin Frau H. auf die wichtige und ordnungsgemäße Einhaltung der Fristen und hier insbesondere der Klagefristen hingewiesen, geschult und ständig beaufsichtigt hat. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichtes letztendlich aus der eidesstattlichen Versicherung der Frau H..

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2.) Die Klage ist unbegründet. Der streitbefangene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz1 VwGO).

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Eine formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides ist nicht feststellbar. Es liegt keine fehlerhafte Bekanntgabe aufgrund falscher Adressierung des Bescheides vor. Nach § 41 VwVfG LSA ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. § 43 Abs. 1 VwVfG LSA bestimmt, dass ein Verwaltungsakt demjenigen gegenüber für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Um die ordnungsgemäße Bekanntgabe im Sinne einer Fristwahrung geht es der Klägerin vorliegend bereits nicht. Denn sie moniert nicht etwa die verspätete Zustellung oder Bekanntgabe des Bescheides, sondern geht davon aus, dass die Adressierung über die Verbandgemeinde und nicht direkt an sie einen Verfahrensfehler begründe. Dem ist nicht so. Notwendiger Zugang eines Veraltungsaktes bedeutet, dass der Verwaltungsakt tatsächlich derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Dazu ist grundsätzlich eine förmliche Adressierung an den Betroffenen erforderlich. Deshalb genügt es nicht, dass der Betroffene aus einen formell an eine andere Person adressierten Verwaltungsakt, z. B. dem Ehepartner, Kenntnis über einen an ihn gerichteten Veraltungsakt erlangt (vgl. zusammenfassend nur: Kopp/Ramsauer; VwVfG, 12. Auflage2011, § 41 Rz. 28). Dabei obliegt es der Behörde durch geeignete Maßnahmen für die verlässliche Übermittlung von Bescheiden zu sorgen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 02.08.2001, 1 M 24/00; OLG Köln, Beschluss v. 09.06.2009, 83 Ss 40/09, Sächs. OVG, Beschluss v. 12.08.2014, 3 B 498/13; alle juris).

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Dem ist der Beklagte nachgekommen. Aus der im Tatbestand wiedergegebenen Adressierung ist eindeutig ersichtlich, dass der Bescheid an die „Gemeinde A-Stadt“ gerichtet ist und die Verbandsgemeinde lediglich die Poststelle für den Zugang darstellt. Die Adressierung ist somit verlässlich. Dies mag zwar einen tatsächlichen „Umweg“ in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht darstellen; rechtswidrig ist diese Adressierung aber nicht. Denn § 12 VerbGemG LSA sieht gerade dies vor und ist ebenso nunmehr in § 97 Satz 1 KVG geregelt. Danach werden die Aufgaben der Gemeindeverwaltung der Mitgliedsgemeinden ausschließlich von der Verbandsgemeindeverwaltung erledigt; die Verbandsgemeindeverwaltung ist damit die Gemeindeverwaltung der Mitgliedsgemeinde. Unbeschadet mag es sich dabei, wie von der Klägerin vorgetragen, um eine reine Organisationsnorm handeln. Denn gerade die „Entgegennahme von Postsendungen“ wird eine typische „Aufgabe der Gemeindeverwaltung“ im Sinne eines organisatorischen Ablaufs darstellen. Sinn und Zweck der Norm wird daher eine organisatorische Entlastung der Verwaltung der Mitgliedsgemeinde sein. Aufgrund des klaren und eindeutigen Wortlauts der Norm verbietet sich auch eine Auslegung dahingehend, dass die Mitgliedsgemeinde gleichwohl die „eigene Verwaltung“ vornehmen darf. Denn wie aus der Überschrift des Abschnittes 6 des Gesetzes ersichtlich ist, betrifft die Regelung „Sonderregelungen für Mitgliedsgemeinden“; im KVG heißt es nunmehr im Abschnitt 2 „Mitgliedsgemeinden der Verbandsgemeinde.“ Davon unbeschadet kann aus der „Verbandsgemeindeverwaltung“ der Mitgliedsgemeinde eine Bürokraft zur Verfügung gestellt werden, wobei die Mitgliedsgemeinde diese Personalkosten der Verbandsgemeinde zu erstatten hat.

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Diese Zusammenschau ergibt, dass die Adressierung des Bescheides „über“ die Verbandsgemeinde als zuständige „Gemeindeverwaltung“ „für“ die Mitgliedsgemeinde jedenfalls nicht fehlerhaft im Sinne einer formellen Rechtswidrigkeit sein kann.

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Untermauert wird dies durch § 4 Abs. 2 Satz 1 VerbGemG LSA (§ 91 Abs. 2 Satz 1 KVG), wonach die Verbandsgemeinde die Verwaltungsgeschäfte aller Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinde in deren Auftrag und in deren Namen „besorgt“, sofern diese der Verbandsgemeinde nicht zur Erfüllung übertragen wurden. Dabei haben die Verbandsgemeinde und die Mitgliedsgemeinde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter Beachtung der beiderseitigen Verantwortungsbereiche vertrauensvoll zusammenzuarbeiten (§ 4 Abs. 4 Satz 1 VerbGemG LSA; § 93 Abs, 1 Satz 1 KVG). Dass diese „Vertrauensbasis“ zwischen der Klägerin und ihrer Verbandsgemeinde gerichtsbekannt gestört ist, ändert nichts an den gesetzlichen Gegebenheiten, Besorgungs- und Aufgabenzuweisungen. So muss die Verbandsgemeinde selbstverständlich auch organisatorisch dafür Sorge tragen, dass Bescheide und sonstige „die Aufgaben der Gemeindeverwaltung“ berührenden Dinge zeitgerecht an die Mitgliedsgemeinde weitergereicht werden. Auf die in diesem Zusammenhang eventuelle entstehende Fristenproblematik kommt es, wie eingangs beschrieben, vorliegend nicht an. Bei Verstößen könnte dies eine Schadensersatzpflicht aus de Grundsätzen der Amtshaftung auslösen.

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3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert bemisst sich nach der vorläufigen Festsetzung nach § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog.


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