Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (15. Kammer) - 15 A 12/16

Tatbestand

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Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen die beklagte Polizeivollzugsbeamten im Rang einer Kriminalkommissarin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

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Nach dem Abschluss der 10. Klasse einer Polytechnischen Oberschule absolvierte die 1970 geborene Beklagte bis 1989 eine Lehre als Wirtschaftskaufmann/Industrie im Bau- und Montagekombinat A-Stadt. Anschließend wurde sie in den Polizeidienst aufgenommen und mit Wirkung vom 05.12.1991 zur Polizeihauptwachtmeisterin zur Anstellung und zum 01.01.1993 zur Polizeimeisterin zur Anstellung ernannt. Zum 15.12.1997 erfolgte die Verbeamtung auf Lebenszeit und zum 01.04.2000 wurde die Beamtin zur Polizeikommissarin ernannt.

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Die letzte Beurteilung für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis 30.04.2014 erfolgte mit der Benotung „E/C“.

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Der gegen ihre Suspendierung beim Disziplinargericht gerichtete Eilantrag (8 B 17/14 MD) wurde zurückgenommen. Die teilweise Einbehaltung ihrer Dienstbezüge in Höhe von 31 % durch Verfügung vom 24.09.2014 wurde vom Disziplinargericht mit Beschluss vom 25.02.2015 (8 B 20/14; juris) als rechtmäßig angesehen und die Beschwerde dagegen zurückgewiesen (10 M 3/15).

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Die Beklagte ist bereits strafrechtlich anderweitig in Erscheinung getreten. Am 21.07.2010 verhängte das Amtsgericht A-Stadt wegen eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 70,00 Euro. Die Beamtin erhält monatliche Bezüge in Höhe von ca. 2.100,00 Euro netto. Sie ist geschieden und hat zwei Kinder im Alter von 12 und 9 Jahren, die in ihrem Haushalt leben.

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Durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 09.08.2013 (13 Ds 155 Js 31406/11) wurde die Beamtin wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten zur Bewährung verurteilt. In dem Berufungsverfahren verurteilte das Landgericht A-Stadt die Beklagte durch Urteil vom 12.11.2013 (28 Ns 155 Js 31406/11) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das rechtskräftige Urteil führt aus:

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„Die Kammer hat folgenden strafrechtlich relevanten Sachverhalt festgestellt:

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Vor dem Landgericht A-Stadt war ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags gegen den damaligen Angeklagten F.K. (Geschäftsnummer: 21 Ks 15/11) anhängig. Die Angeklagte hat mit F.K. eine Lebenspartnerschaft geführt, aus der 2 gemeinsame Kinder hervorgegangen sind. Diese Lebenspartnerschaft war im April 2011 beendet, jedoch bestand noch persönlicher Kontakt zwischen der Angeklagten und F. K. .

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Dem Strafverfahren lag Folgendes zugrunde:

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Nach einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen F.K. und den Brüdern S. und A.T. in den Nachmittagsstunden des 24. April 2011 auf einem Sportplatz in A-Stadt, U..weg, bei der K. dem S.T. einen Messerstich in den Halsbereich versetzte und lebensgefährlich verletzte, wurde K... unmittelbar darauf vorläufig festgenommen und in die Räume des Zentralen Polizeigewahrsams in A-Stadt verbracht. Dort wurde der Angeklagten durch die sachbearbeitende Kriminalhauptkommissarin F…gestattet, mit K... zu sprechen, um insbesondere den Verbleib des Tatmessers in Erfahrung zu bringen. Unmittelbar nach dem Gespräch äußerte die Angeklagte gegenüber Kriminalhauptkommissarin F…, dass K... ihr mitgeteilt habe, das Tatmesser sei ihm während der Auseinandersetzung von einem Anderen zugesteckt worden und nach der Tat wieder von ihm an einen Anderen übergeben worden. Eine geplante Durchsuchung der Wohnung des K... sei daher nicht Erfolg versprechend.

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In der öffentlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht A-Stadt in dem Strafverfahren gegen F.K. bekundete die Angeklagte als Zeugin nach erfolgter Belehrung über die Wahrheitspflicht in der Hauptverhandlung am 22. August 2011 wahrheitswidrig, weder habe ihr K... dieses bei dem Gespräch am 24. April 2011 in den Räumen des Zentralen Polizeigewahrsams so mitgeteilt noch habe sie darüber entsprechend die Kriminalhauptkommissarin F... informiert. Durch diese wahrheitswidrige Aussage beabsichtige die Angeklagte, den F.K. zumindest auch zu entlasten und seine Bestrafung als Täter der Messerattacke auf den S.T. zu verhindern. Gleichwohl wurde F.K. trotz der Falschaussage angeklagt im genannten Verfahren durch das Landgericht A-Stadt am 4. Oktober 2011 und u. a. wegen versuchten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem 21. März 2012 rechtskräftig.

(...).

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Die Angeklagte wird jedoch durch die zur Verfügung stehenden Beweismittel zweifelsfrei der Tat überführt. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Aussagen der Zeuginnen Kriminalhauptkommissarin Anja F..., Vorsitzende Richterin am Landgericht C.M., Richterin am Landgericht K.M. und Staatsanwältin A.W.. Weiterhin beruhen die Feststellungen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Landgericht A-Stadt vom 22. August 2011 (21 Ks 155 Js 12819/11 - 15/11), dem auszugsweise verlesenen Urteil des Landgerichts A-Stadt zu obiger Geschäftsnummer vom 4. Oktober 2011 sowie dem verlesenen Aktenvermerk der Kriminalhauptkommissarin F... vom 25. April 2011.

(...).

VI.

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Bei der Strafzumessung hat die Kammer unter Zugrundelegung des gesetzlichen Strafrahmens des § 153 StGB - Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren - sowie der Strafzumessungserwägungen des § 46 StGB sämtliche für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände berücksichtigt. Zugunsten der Angeklagten hat die Kammer gewertet, dass es sich bei F.K. um den ehemaligen Lebensgefährten der Angeklagten und den Vater der gemeinsamen beiden Kinder handelte, so dass nicht auszuschließen ist, dass sich die Angeklagte in einem inneren persönlichen Konflikt befunden hat. In erheblicher Weise strafverschärfend war dagegen zu berücksichtigen, dass die Angeklagte die Tat im Zusammenhang mit Erkenntnissen, die sie aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Polizeibeamtin erlangt, begangen hat und der Angeklagten bekannt war, dass gerade den Aussagen von Polizeibeamten als Zeugen in Strafverfahren eine besondere Bedeutung zukommt. Schließlich war zu berücksichtigen, dass dem Strafverfahren gegen K… ein schwerwiegender Vorwurf, welcher eine erhebliche Bestrafung zur Folge haben konnte, zugrunde lag. Die Kammer hat daher auf die Verhängung einer tat - und schuldangemessenen Freiheitsstrafe von 6 Monaten erkannt.“

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Mit der Disziplinarklage vom 30.12.2015 (Eingang: 05.01.2016) wird die Beamtin angeschuldigt, schuldhaft ein einheitlich zu wertendes schweres Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem sie

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1. wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung strafrechtlich verurteil worden sei
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und

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2. gegen ihre Pflicht zu vollem Arbeitseinsatz und zu sorgfältiger Arbeit
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und

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3. gegen ihre Gesunderhaltungspflicht und dienstliche Auflagen verstoßen habe.
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Dabei liege die schwerste Verfehlung in dem Sachverhalt um die rechtskräftige Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitlung. Dies stelle kein Bagatelldelikt dar. Angesichts des engen Bezuges zur dienstlichen Tätigkeit der Beamtin zeige ein solches strafrechtlich relevantes Tatverhalten ein erhebliches Fehlverhalten der Beamtin mit konkreten Bezügen zu ihrem Amt als Polizeibeamtin. Im Lichte der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung sei vorliegend ein direkter Dienstbezug gegeben und in Anbetracht des strafrechtlichen Orientierungsrahmens auf Entfernung aus dem Dienst zu erkennen. Schuldausschlussgründe und disziplinarrechtlich relevante Milderungs- oder Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Es handele sich nicht etwa um eine einmalige persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat oder um ein Handeln in einer psychischen Ausnahmesituation. Die Beamtin sei vor der Zeugenvernehmung belehrt worden und im Übrigen sei ihr als Polizeibeamtin die besondere Bedeutung einer wahrheitsgemäßen Aussage vor Gericht bekannt gewesen. Daran ändere auch nichts, dass es sich bei dem damaligen Angeklagten um ihren ehemaligen Lebensgefährten und den Vater ihrer beiden Kinder gehandelt habe. Denn trotz Belehrung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht habe sie gerade die Aussage nicht verweigert und habe bewusst die Aussage der Zeugin F... und der Zeugin P… in Abrede gestellt.

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Der erhebliche kriminelle Unrechtgehalt der von der Beklagten begangenen Straftat sei in so hohem Maße ansehensschädigend, dass sie dadurch die zur Ausübung ihres Berufes unverzichtbare Vertrauensgrundlage zerstört habe.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beamtin aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Disziplinarklage abzuweisen

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und ist der Auffassung, dass kein Dienstvergehen vorliege. Wegen stetiger Nichtbeachtung der gesundheitlichen Situation der Beklagten habe die Klägerin gegen die ihr obliegende Fürsorgepflicht verstoßen. Zur strafrechtlichen Verurteilung sei es nur aufgrund ihrer akuten psychischen Erkrankung gekommen. Sie habe an einem Burnout und akutem Schlafmangel sowie unter Mobbing gelitten. Das Strafurteil sei falsch. Denn die Beklagte sei unschuldig und habe nicht gelogen. Ein faires Verfahren habe seinerzeit nicht stattgefunden. Die Zeugin F... habe zum Zeitpunkt der Verhandlung eine Kopie der polizeilichen Verfahrensakte gehabt. Der besagte Satz um das Messer sei von Frau F... verdreht wiedergegeben worden.

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Mit Beschluss vom 17.10.2016 hat das Disziplinargericht die Disziplinarklage gemäß § 53 DG LSA auf die der Beklagten vorgeworfenen Handlungen, die zu der strafrechtlichen Verurteilung wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung durch das Landgericht A-Stadt in dem Urteil vom 12.11.2013 geführt haben, beschränkt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Strafakten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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1.) Das Aktiv-Rubrum war von Amts wegen zu berichtigen. Denn nach Nr. 4.2 der "Personalrechtlichen Befugnisse im Bereich der Polizei" (RdErl. des MI v. 02.05.2013 – 25.21 – 03000; juris) sind den nachgeordneten Polizeibehörden und –einrichtungen die dem Innenministerium als oberste Dienstbehörde nach dem Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt zusehenden Befugnisse u. a. zur Erhebung der Disziplinarklage (§ 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA) gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA übertragen worden.

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2.) Die zulässige Disziplinarklage ist begründet.

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Die Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

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Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte den in der Disziplinarklage bezüglich ihrer strafrechtlichen Verurteilung vorgehaltenen Pflichtenverstoß, auf den das Disziplinargericht die Disziplinarklage nach § 53 DG LSA beschränkt hat, begangen hat. Durch die Begehung der Straftat hat sie vorsätzlich und schuldhaft letztendlich gegen ihre Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

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a.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts A-Stadt vom 12.11.2013, mit welchem das Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 09.08.2013 hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen bestätigt und im Rechtsfolgenausspruch zum Nachteil der Beklagten erhöht wurde.

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Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist das Disziplinargericht an die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris).

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Das Bundesverwaltungsgericht führt dazu aus (zuletzt: Beschluss v. 25.02.2016, 2 B 1.15; juris):

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"Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13).

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Die Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. Dagegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 8. April 1986 - 1 D 145.85 - BVerwGE 83, 180 und vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - juris Rn. 29; Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - IÖD 2012, 127 <129> und vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 11).

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Dementsprechend umfasst die Bindungswirkung strafgerichtlicher Urteile auch die Feststellung, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gehandelt hat. Dies folgt aus der Tatsache der Verurteilung, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1992 - 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255, 261 m.w.N.)."

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Eine Möglichkeit bzw. ein Bedürfnis zur Lösung von diesen tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils nach § 54 Abs. 1 Satz 2 DG LSA sieht das Gericht nicht (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urteil vom 30.04.2013, 8 A 18/12 MD; juris). Es ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nur ausnahmsweise und unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich ist. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel können daher zu einer nochmaligen Prüfung veranlassen (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; vom 07.10.1986, 1 D 46.86; zuletzt: Beschl. V. 01.03.2013, 2 B 78/12; OVG NRW, U. v. 29.10.1981, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2-01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10 A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zusammenfassend: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

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Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zu dem Tathergang. Zuletzt hat das Landgericht A-Stadt das Zeugenverhalten der Beklagten ausführlich im Zusammenhang mit den Aussagen der Zeuginnen F... und P… sowie der damaligen Richterinnen M… und M… und der Staatsanwältin W.. gewürdigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Beklagte die Unwahrheit gesagt hat. Diese strafrichterlichen Feststellungen sind nachvollziehbar und verstoßen nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte. Demnach verbietet sich eine erneute Beweiserhebung oder auch nur anderweitige Tatwürdigung durch das erkennende Disziplinargericht. Aus diesem Grund wurde auch der im behördlichen Disziplinarverfahren durch die Beklagte gestellte Beweisantrag auf erneute Zeugenvernehmung zu Recht abgelehnt (Anlage 10, Beiakte D).

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Dementsprechend steht fest, dass die Beklagte in der öffentlichen Hauptverhandlung am 22.08.2011 vor dem Landgericht A-Stadt in dem Strafverfahren gegen F.K. als Zeugin nach erfolgter Belehrung über die Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt hat.

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b.) Bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein, um von einer Disziplinarwürdigkeit auszugehen. Dabei muss die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens von der eigentlichen Zumessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 DG LSA getrennt beurteilt werden. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

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Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Die Vorstellung, dass der Beamte „niemals Privatmann“ sei, sondern auch außerhalb des Dienstes Beamter, der stets auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen habe, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Privatsphäre des Beamten bewusst aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte durch die gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringen, dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens im außerdienstlichen Bereich sollten durch besondere tatbestandliche Merkmale verschärft werden. Dies sollte in erster Linie für eine Vielzahl von Straßenverkehrsdelikten gelten (z. B. Trunkenheit im Verkehr; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache V/1693, zu Art. 2 § 2 Seite 10; BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 13.10; juris). In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

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c.) Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Beeinträchtigung der für die Dienstausübung unabdingbaren Autorität). Während bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und hier insbesondere bei dem Besitz oder dem Verbreiten kinderpornografischer Dateien ein Dienstbezug bei Lehrern, Pädagogen, Erziehern und auch Polizeivollzugsbeamten im Regelfall angenommen wird (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; VG Magdeburg, Urt. v. 05.06.2013, 8 A 10/12 MD; jüngst VG Wiesbaden bei einem JVA-Bediensteten einer Jugend-JVA, Urt. v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; alle juris) wird dies z. B. bei einem Zollinspektor, welcher im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit eingesetzt wird, abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10). Die Ausübung der Prostitution hat Dienstbezug bei einer Justizbeamtin (VG Münster, Urteil v. 19.03.2013, 13 K 2930/12.O; juris). Ebenso die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Beamten, der auch dienstlich ein Kraftfahrzeug zu führen hat (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Ähnlich besteht der Dienstbezug bei einem Vermögensdelikt eines Beamten, dem dienstlich die Führung einer Kasse obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Das erkennende Disziplinargericht hat bei einem Polizeibeamten hinsichtlich außerdienstlicher Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Munitionsgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz wegen der dienstlichen Eigenschaft als Waffenträger den Dienstbezug bejaht (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 14/11; juris). Bei einem Polizeivollzugsbeamten im Eingangsamt hat die Kammer den Dienstbezug bei der Begehung der Straftat der Entziehung elektrischer Energie verneint (Urteil v. 17.10.2013, 8 A 6/13; juris).

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Unter diesen Voraussetzungen sieht die Disziplinarkammer bei der Begehung der Straftat der uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung durch eine Polizeivollzugsbeamtin den Dienstbezug als gegeben an. Das strafbare Verhalten der Polizeibeamtin bei einem solchen unmittelbar der gerichtlichen Wahrheitsfindung dienenden Delikt schlägt auf ihr konkret-funktionales Amt durch. Denn auch bei ihren dienstlichen Angelegenheiten ist sie auch als Hilfsbeamtin der Staatsanwaltschaft auf wahrheitsgemäße Aussagen angewiesen und weiß um die besondere Bedeutung solcher wahrheitsgemäßer Aussagen. Bereits von Amts wegen erfordert ihr Beruf die Erforschung der Wahrheit.

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Aber auch ohne Annahme des Dienstbezuges ist die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Verhaltens der Beklagten aufgrund der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Disziplinargericht anschließt, gegeben.

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Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; beide juris) stellt klar, dass bereits bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten die Eignung zu Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums gegeben sein kann. Dies unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 19.08.2010 (2 C 13.10; juris; auch: Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris) aus:

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„Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Deliktes zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zu Vertrauensbeeinträchtigung zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichem Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft und keine „allgemeine Empörung oder Entrüstung“ darstellt.“

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Vorliegend beträgt der Strafrahmen des § 153 sowie auch der des § 258 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich angesiedelt. Die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Verhaltens ist damit aufgrund dieses Strafrahmens gegeben.

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d.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

51

Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 17.10.2013, 8 A 6/13; alle juris).

52

In Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung auch bei der Bewertung der Schwere der Pflichtverletzung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein. Besteht eine wesentlich höhere Strafandrohung - wie hier bis zu fünf Jahren – reicht der disziplinarrechtliche Orientierungsrahmen auch und sogar bei Fehlen eines Dienstbezuges bis zur Höchstmaßnahme (BVerwG, B. v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris). Dabei betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Disziplinargerichte ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen dürfen. Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; juris).

53

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach §§ 153, 258 Abs. 1 StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich angesiedelt. Eine im Bereich der Höchstmaßnahme zu ahndende schwere Dienstpflichtverletzung liegt somit vor. Soweit das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 11.01.2016 (6 B 357/15.D; juris) in einem vergleichbaren Fall jedenfalls von einer statusberührenden Disziplinarmaßnahme ausgeht und im Suspendierungsverfahren (noch) die Möglichkeit der Zurückstufung sieht und die Parallele zur disziplinarrechtlichen Rechtsprechung des Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichts zieht, ist dies der dortigen Einzelfallentscheidung geschuldet.

54

e.) Der so zu bestimmende Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entbindet die Disziplinargerichte jedenfalls nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

55

Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

56

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

57

Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris; insoweit missverständlich: OVG LSA, Beschluss v. 17.09.2013, 10 M 9/13 [n. v.]). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

58

In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen und sind auch nicht vorgetragen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass es sich bei dem damaligen Angeklagten um den Vater ihrer Kinder handelte, kann von einer psychischen Ausnahmesituation nicht ausgegangen werden. Denn die Beklagte entschloss sich nach Belehrung durch das Gericht zur Aussage und die besondere Bedeutung der wahrheitsgemäßen Aussage war ihr als Polizeibeamtin bewusst. Anhaltspunkte für schuldmildernde Gründe sind nicht erkennbar und auch von den Strafgerichten nicht gesehen worden. Die Beklagte versucht vielmehr durch die Schilderung eines anderen Tatgeschehens die Verurteilung als falsch darzustellen. Damit kann sie aber nach den Ausführungen zur Bindungswirkung nicht mehr erfolgreich gehört werden.

59

Es handelt sich um eine schwerwiegende Verfehlung der Beamtin. Strafgerichte sind in besonderem Maße darauf angewiesen, auf die Glaubwürdigkeit der in einem Strafverfahren aussagenden Polizeibeamten vertrauen zu können. Denn oftmals hängt die Entscheidung über Verurteilung oder Freispruch entscheidend von den Angaben der gegen einen Angeklagten aussagenden Polizeibeamten ab, so dass die Richter diesen nur dann guten Gewissens verurteilen können, wenn sie den be- oder entlastenden Aussagen der Polizeibeamten Glauben schenken können. Wird dies in Frage gestellt, ist eine effektive und im Interesse der Allgemeinheit unverzichtbare gerechte Strafjustiz nicht mehr handlungsfähig.

60

Unter Abwägung aller Erkenntnisse fällt die vom Disziplinargericht anzustellende Persönlichkeits- und Prognosebewertung hinsichtlich der Vertrauensbeeinträchtigung für die Beklagte negativ aus. Das Disziplinargericht kann unter den geschilderten Umständen nicht feststellen, dass der Dienstherr mit einer unverhältnismäßigen Härte oder Würdigung des Sachverhaltes gegen die Beklagte disziplinarrechtlich vorging.

61

Hinsichtlich der - eingetretenen - Vertrauensbeeinträchtigung ist auch nicht entscheidend, dass die Beamtin im Folgezeitraum nicht mehr auffällig wurde. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird.

62

Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urt. v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

63

Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für die Betroffene ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihr zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

64

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


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