Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (7. Kammer) - 7 A 337/17

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Gebühren und Auslagen für Leistungen der Polizei.

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Am 24.11.2016 um 17:06 Uhr informierte der Kläger die Polizei darüber, dass in der D.straße in Z. vor der Hausnummer ..-.. ein LKW stehe und dieser das Herausfahren aus Ausfahrten behindere. Da er das zuständige Ordnungsamt nicht erreichen könne, bitte er um polizeiliche Unterstützung.

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Gegenüber der Einmündung des klägerischen Grundstückes parkte im Zeitpunkt der Alarmierung zwischen den Hausnummern … und ... ein Lastkraftwagen mit Anhänger mit einer Gesamtlänge von jedenfalls über 9 m. Der Bordstein ist in dieser Straße zwischen den Hausnummern ... und ... auf 9 m Länge erhöht und die Straße ist an dieser Stelle 5,45 m breit. Der Bordstein vor den Grundstücken der Hausnummern ... und ... ist eingeschwenkt und abgesenkt.

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Aufgrund der Alarmierung fuhren zwei Beamte der seinerzeit zuständigen Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord mit einem Dienstfahrzeug in die angegebene Straße und stellten fest, dass eine Ordnungswidrigkeit und eine direkte Behinderung der Ein-/Ausfahrt des Klägers nicht vorliegen würden. Nach den Angaben der Beamten habe der Kläger diese aufgefordert, Maßnahmen gegen den gegenüber wohnenden Nachbarn zutreffen, ohne jedoch den Namen des Klägers zu nennen. Dies hätten die Beamten verweigert und den Einsatzort verlassen. Der Einsatz endete um 18:08 Uhr.

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Nach vorheriger Anhörung setzte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord mit Bescheid vom 22.03.2017 Gebühren und Auslagen in Höhe von 113,75 € fest (2 Bedienstete je 1 Stunde zu 50 € und ein Dienstfahrzeug für 25 km je 0,55 €/km) und führte zur Begründung aus, dass bei dem Einsatz der Beamten am 24.11.2016 weder eine strafbare Handlung noch Gründe für polizeiliches Einschreiten im Rahmen der Gefahrenabwehr vorgelegen hätten, weshalb für diesen vermeidbaren Einsatz Gebühren erhoben werden würden.

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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 20.04.2017 Klage erhoben und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass es entscheidend für die Frage, ob eine Ordnungswidrigkeit vorgelegen habe, nicht auf den Eindruck der Polizeibeamten vom Vorliegen oder von der Erheblichkeit des Verstoßes oder einer möglichen Motivation eines Anzeigeerstatters ankomme, sondern darauf, ob der Parkende gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen habe. Gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO sei das Parken vor Bordsteinabsenkungen unzulässig. Eine Heranziehung des in dieser Situation die Polizei benachrichtigenden Klägers sei nur dann möglich, wenn der Kläger hätte vollumfänglich wissen müssen, dass keine Ordnungswidrigkeit vorgelegen habe. Zum einen habe bereits eine Ordnungswidrigkeit vorgelegen. Zum anderen sei davon auszugehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Information an die Polizei davon ausgegangen sei, dass hier eine Verkehrsordnungswidrigkeit vorgelegen habe. Sein Anruf beim Ordnungsamt bzw. der Polizei habe das Ziel verfolgt, die von ihm als Ordnungswidrigkeit wahrgenommene Situation zu beseitigen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger kein ernsthaftes Anliegen verfolgt habe, sondern aus Scherz o.ä. die Polizei informiert habe, seien nicht zu erkennen. Vielmehr zeige auch die danach intensive Auseinandersetzung des Klägers mit dem Vorgang die Ernsthaftigkeit und die Bedeutung, die die Angelegenheit für ihn habe, auch wenn dies polizeilich anders eingeschätzt werde. Ein bewusstes Fehlalarmieren der Polizei durch den Kläger könne daher ausgeschlossen werden.

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Nach der Auffassung des Klägers sei die Polizei auch für die Feststellung und Ahndung von Verstößen im so genannten ruhenden Verkehr zuständig. Die Regelungen der Straßenverkehrsordnung zum ruhenden Verkehr seien Bestandteil der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, für die die Polizei zuständig sei. Unabhängig davon könne die Frage der internen Zuständigkeitserwägungen der Sicherheitsbehörden nicht dem Kläger entgegengehalten werden.

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Es sei auch nicht richtig, dass der Kläger die Polizei darüber informiert habe, dass seine Grundstücksausfahrt von einem LKW zugeparkt werde und es ihm unmöglich sei, das Grundstück mit dem eigenen Fahrzeug zu verlassen.

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Der Kläger beantragt daher sinngemäß,

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den Bescheid der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord vom 22.03.2017 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie tritt der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen in dem Bescheid vom 22.03.2017 entgegen und führt zur weiteren Begründung aus, der Kläger habe den Polizeieinsatz dadurch verursacht, dass dieser durch telefonische Kontaktaufnahme am 24.11.2016 auf einen falsch geparkten und somit eine Verkehrsbehinderung darstellenden LKW mitsamt Anhänger hingewiesen habe. Es liege damit eine unmittelbare und adäquate Kausalität vor. Ohne seinen Anruf und die Schilderung wäre es nicht zu einem Einsatz gekommen. Die Polizei habe aufgrund der nach der Schilderung des Klägers zu erwartenden Lage ihren Einsatz durchführen müssen, um eine Verkehrsbehinderung auszuschließen und einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung abzuwehren. Ein solcher Verstoß habe jedoch tatsächlich nie vorgelegen. Die Polizeibeamten hätten vor Ort keine Ordnungswidrigkeit feststellen können. Für die Inanspruchnahme des Klägers als Kostenschuldner sei ausreichend, dass der Veranlasser durch sein Verhalten den Grund für das Tätigwerden der Behörde gesetzt habe. Hier liege der Grund in dem Telefonat des Klägers mit der Polizei. Der Kläger hätte zu jeder Zeit vollumfänglich wissen müssen, dass keine Ordnungswidrigkeit vorgelegen habe. Der LKW habe im Gegensatz zu den vom Kläger übermittelten Informationen nach örtlicher Besichtigung durch die Beamten gerade keine Behinderung dargestellt. Keine der angrenzenden Aus-/Einfahrten sei direkt behindert worden. Alleine die Verhinderung des Parkens des LKW auf der Straße zu den vom Kläger gewünschten Zeiten stelle keine Notwendigkeit einer polizeilichen Maßnahme dar.

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Anders als der Kläger meint, habe die Polizei den Kläger nicht zur Feststellung einer angezeigten Verkehrsordnungswidrigkeit aufgesucht. Anlass des Aufsuchens des Klägers sei die angeblich zugeparkte Grundstücksausfahrt gewesen, die es ihm unmöglich gemacht hätte, das Grundstück mit seinem Fahrzeug zu verlassen. Für solche Feststellungen und die spätere Ahndung der entsprechenden Verstöße im so genannten ruhenden Verkehr sei nicht die Polizei, sondern das Ordnungsamt zuständig. Hier gebe es auch keine Dringlichkeitsfälle, wo die Polizei anstelle des Ordnungsamtes handeln müsste. Auch wenn tatsächlich ein Herausfahren vom Grundstück des Klägers durch den abgestellten LKW unmöglich gewesen wäre, hätte die Polizei nicht zum Kläger fahren müssen, da es sich um eine rein zivilrechtliche Angelegenheit zwischen dem Kläger und dem Halter des LKW handeln würde. Der Polizeieinsatz habe damit ausschließlich der Sicherung des zivilrechtlichen Anspruches des Klägers durch Dokumentation des Sachverhaltes dienen können. Da der Kläger sein Grundstück unstreitig mit seinem Pkw habe verlassen können, sei der Anruf bei der Polizei missbräuchlich gewesen. Die Beamten vor Ort hätten schnell festgestellt, dass der Kläger offensichtlich seinen Nachbarn mithilfe einer polizeilichen Ordnungswidrigkeitsanzeige habe ärgern wollen.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Das Passivrubrum war von Amts wegen zu berichtigen, da die Beklagte gemäß der zum 01.01.2019 in Kraft getretenen Regelung des § 4 der Verordnung über Polizeiinspektionen und besondere polizeiliche Zuständigkeiten (ZuStVO PI) Rechtsnachfolgerin der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord ist, welche den streitgegenständlichen Bescheid erlassen hat.

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Die Heranziehung des Klägers zu Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen der Polizei mit Bescheid der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord vom 22.03.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Bescheid ist daher gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben.

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Der Beklagten steht gegenüber dem Kläger kein Anspruch auf Kostenerstattung für die Alarmierung der Polizei in Höhe von 113,75 € EUR zu. Es fehlt an einer nach Art. 20 Abs. 3 GG erforderlichen Rechtsgrundlage für den Erlass des streitgegenständlichen Kostenbescheides. Zum einen erweist sich die dem Kostenbescheid zu Grunde liegende Anlage zur Allgemeinen Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt als nichtig (dazu unter I.) und zum anderen liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 1, 3 und 5 des Verwaltungskostengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (VwKostG LSA) vom 27.06.1991 (GVBl. LSA 19 91, 154), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 18.05.2010 (GVBl. LSA 2010, 340) i.V.m. § 1 der Allgemeinen Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt (AllGO LSA) vom 10.10.2012 (GVBl. LSA 2012, 336) in der hier maßgeblichen Fassung vom 09.06.2016 (GVBl. LSA 2016, 203) und die in der dazugehörigen Anlage enthaltene Tarifstelle Nr. 60, Ziffern 5.1 und 5.2.2 sowie Ziffer 1 nicht vor (dazu unter II.).

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Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VwKostG LSA werden für Amtshandlungen in Angelegenheiten der Landesverwaltung und im übertragenen Wirkungskreis der Gebietskörperschaften und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts nach diesem Gesetz Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben, wenn die Beteiligten zu der Amtshandlung Anlass gegeben haben. Nach § 3 Abs. 3 S. 1 VwKostG LSA sind die gebührenpflichtigen Amtshandlungen und die Höhe der Gebühren in einer allgemeinen Gebührenordnung zu bestimmen, die das Ministerium der Finanzen im Einvernehmen mit den jeweils zuständigen Ministerien erlässt. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 VwKostG LSA sind die Gebühren in den Gebührenordnungen so festzusetzen, dass ihr Aufkommen den auf die Amtshandlung entfallenden durchschnittlichen Aufwand des Verwaltungszweiges, soweit er nicht durch Erstattung der Auslagen gedeckt ist, nicht übersteigt. Die Gebühren sind nach S. 2 nach dem Maß des Verwaltungsaufwandes, dem Wert des Gegenstandes der Amtshandlung, dem Nutzen oder der Bedeutung der Amtshandlung für den Gebührenschuldner zu bemessen. Kostenschuldner ist nach § 5 Abs. 1 S. 1 VwKostG LSA derjenige, der zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat.

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Von der in § 3 Abs. 3 S. 1 VwKostG LSA eingeräumten Ermächtigung hat das Ministerium der Finanzen Gebrauch gemacht und die Allgemeine Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt erlassen. Nach § 1 Abs. 1 AllGO LSA sind für Amtshandlungen der Landesverwaltung und im übertragenen Wirkungskreis der Gebietskörperschaften, für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und für Leistungen, die von Behörden des Landes bewirkt werden, ohne dass sie Amtshandlungen sind, Gebühren und Pauschbeträge für Auslagen nach dieser Verordnung und dem Kostentarif (Anlage) zu erheben.

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I. Die Anlage zur AllGO LSA sieht in der Tarifstelle 60 Ziffern 5.1 und 5.2.2 für die sonstige Inanspruchnahme von Bediensteten, Diensthunden und Fahrzeugen der Polizei je Bediensteten und je angefangene Stunde 50 € und für jeden angefangenen Kilometer mit Personenkraftwagen 0,55 € vor.

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Die Abrechnung nach vollen Stunden gemäß der Tarifstelle Ziffer 5.1 ist jedoch mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, weil damit wesentlich ungleiche Sachverhalte ohne sachlich gerechtfertigten Grund gleich behandelt werden und - umgekehrt - Normadressaten anders behandelt werden, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung ihrem Maße nach rechtfertigen könnten (vgl. zur Abrechnung nach vollen Stunden bei Gebühren für einen Feuerwehreinsatz: VG Magdeburg, Urteil vom 28.11.2018 - 7 A 47/17 MD - nicht veröffentlicht -; VG Saarland, Urteil vom 21.04.2016 - 6 K 1963/14 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.11.2013 - 7 A 10758/13 -; Sächsisches OVG, Beschluss vom 04.10.2013 - 5 A 209/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.02.2011 - OVG 1 B 73.09; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.09.2010 - 9 A 1582/08 -; zur Unvereinbarkeit einer Abrechnung nach halben Stunden: VG Dresden, Urteil vom 11.02.2019 - 6 K 5853/17 -; a.A. im Hinblick auf eine Abrechnung nach halben Stunden: OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.03.2019 - 11 LC 293/16 - und Urteil vom 28.06.2012 - 11 LC 234/11 -; alle zitiert nach juris).

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Zur Zugrundelegung von Pauschalsätzen bei Gebühren für den Einsatz der Feuerwehr hat das OVG Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 15.09.2010 ausgeführt:

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"Zugleich hat der Satzungsgeber auch bei der Zugrundelegung von Pauschalsätzen sicherzustellen, dass die einzelnen Kostenschuldner nicht mit Kosten belastet werden, die den von ihnen zu verantwortenden Einsätzen nicht mehr zuzurechnen sind. Das ist bei Anwendung des § 4 Abs. 3 FwS nicht ausreichend gewährleistet. Die Regelung führt jedenfalls bei kurzzeitigen Einsätzen zu einer zu weitgehenden Loslösung der Ersatzpflicht von der individuellen Kostenverantwortung, ohne dass hierfür hinreichende Rechtfertigungsgründe zu ersehen sind. Indem für jede angefangene Stunde der volle Stundensatz veranschlagt wird, werden Einsätze, die bezogen auf ihre Dauer in einem erheblichen Maße voneinander abweichen, im Hinblick auf die Höhe der zu ersetzenden Kosten gleichgestellt. Dies kann sogar - in besonders gelagerten Fällen, worauf der Beklagte zu Recht hinweist - dazu führen, dass bei vergleichbarem Aufwand von Personal, Fahrzeugen und Geräten für einen Einsatz von 61 Minuten Dauer von dem Kostenschuldner ebenso viel verlangt wird, wie für einen Einsatz von einer Dauer von 119 Minuten. Aber auch bereits bei weniger deutlichen zeitlichen Differenzen - und damit nicht nur in Ausnahmefällen, wie der Beklagte meint - liegt eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte vor. Umgekehrt fehlt eine hinreichende Rechtfertigung dafür, dass sich bei einem die Stundengrenze nur wenige Minuten überschreitenden Einsatz der Kostensatz sogleich verdoppelt. Auch der Beklagte hat für die von ihm in § 4 Abs. 3 FwS geregelte Typisierung keine einleuchtenden sachlichen Erwägungen angeführt. Sachverhalte der vorliegend beschriebenen Art lassen sich schon deshalb nicht durch die in der Satzung enthaltene Billigkeitsklausel auffangen, da § 4 Abs. 3 FwS nicht nur in Ausnahmefällen, sondern vielfach zu Ergebnissen führt, die mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. (…)"

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Das Vorangestellte beansprucht aufgrund der im Ergebnis inhaltsgleichen Regelungen - eine Abrechnung nach vollen Stunden - der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Regelung in § 4 Abs. 3 der dortigen Feuerwehrsatzung sowie der Tarifstelle 60 Ziffer 5.1 der Anlage zur AllGO LSA gleichermaßen Geltung. Die Kammer macht sich daher die Ausführungen des OVG Nordrhein-Westfalen zu Eigen. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung in Ziffer 5.1 der Tarifstelle 60 wegen des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig. Es fehlt an einem sachlichen Grund der Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte sowie der Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte. Einen solchen vermochte auch die Beklagte nicht darzulegen. Die Überschreitung von nur einer einzigen Minute führt eine Verdoppelung der Gebührenhöhe nach sich – bei einer Einsatzzeit von 61 Minuten fallen im Vergleich zu einer Einsatzzeit von 60 Minuten die doppelten Gebührensätze an. Dies erscheint mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. In den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit muss eine verhältnismäßige Belastungsgleichheit unter den Kostenschuldnern gewahrt bleiben. Nach Auffassung des Gerichtes wird einer solchen Belastungsgleichheit jedenfalls bei einer pauschalen Abrechnung nach vollen Stunden nicht mehr Rechnung getragen. Die Abrechnung der Einsatzzeit nach kürzeren Zeitintervallen ist der Beklagten nach Auffassung des Gerichtes auch möglich und nicht mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden. Für diese Annahme spricht, dass die Einsatzzeit ausweislich der Einsatzprotokolle minutengenau erfasst wird. Damit hat die Beklagte hinreichend bestimmte Zeitpunkte, die eine Bemessung der Einsatzzeit in kürzeren Zeitintervallen ermöglichen.

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An dieser rechtlichen Bewertung vermögen auch die Entscheidungen des OVG Lüneburg vom 28.06.2012 (Az. 11 LC 234/11, a.a.O.) und vom 19.03.2019 (Az. 11 LC 293/16, a.a.O.) nichts zu ändern. Nach Auffassung des Gerichtes verstoße es nicht gegen höherrangiges Recht, Einsatzzeiten nach einem Halbstundentakt zu bemessen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz zwinge nicht zu einer Abrechnung in einem kürzeren Zeitintervall, etwa im Viertelstunden- oder gar Minutentakt. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass den Entscheidungen des OVG Lüneburg eine Regelung zur Bemessung der Einsatzzeiten nach halben Stunden zugrunde lag und nicht - wie hier - nach vollen Stunden. Im Übrigen hat auch das OVG Lüneburg festgestellt, dass in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit eine verhältnismäßige Belastungsgleichheit unter den Abgabenschuldnern gewahrt bleiben muss.

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Die Nichtigkeit der Regelung in der Tarifstelle 60 Ziffer 5.1 der Anlage zur AllGO LSA schlägt sich auf die Wirksamkeit der gesamten Tarifstelle 60 der Anlage zur AllGO LSA nieder und führt zur Nichtigkeit der Tarifstelle 60, jedoch nicht zur Nichtigkeit der übrigen Tarifstellen der Anlage sowie der AllGO LSA (für die Gesamtnichtigkeit einer Satzung über die Erhebung von Feuerwehrgebühren: VG Saarland, Urteil vom 21.04.2016, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.09.2010, a.a.O.; für die Teilnichtigkeit einer Satzung über die Erhebung von Feuerwehrgebühren im Falle des Ersatzes von Auslagen bei der Beauftragung privater Unternehmen: VG Köln, Urteil vom 12.04.2013 – 9 K 6650/10 - zitiert nach juris). Die Wirksamkeit der Regelungen in der AllGO LSA bleibt zwar unberührt, jedoch fehlt es mit der Nichtigkeit der Tarifstelle 60 der Anlage zur AllGO LSA an einem gebührenrechtlichen Tatbestand, der die Beklagte dazu ermächtigt, gegenüber dem Kläger für den Einsatz am 24.11.2016 Gebühren zu erheben.

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Ob die Nichtigkeit einzelner Kostensätze lediglich zur Nichtigkeit dieser führt oder die Nichtigkeit der übrigen Regelungen nach sich zieht, hängt davon ab, ob - erstens - die Beschränkung der Nichtigkeit eine mit höherrangigem Recht sinnvolle (Rest-)Regelung des Lebenssachverhaltes belässt und ob - zweitens - hinreichend sicher ein hypothetischer Wille des Normgebers angenommen werden kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.09.2010 - 9 A 1582/08 - a.a.O.).

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Beschränkt man die Nichtigkeit der Tarifstelle 60 Ziffer 5.1 lediglich auf die vorgesehene Abrechnung nach Stunden, ergibt sich keine sinnvolle Restregelung. Es würde bei der Regelung gebührenpflichtiger Tatbestände verbleiben, ohne dass klar ist, in welcher Höhe Kosten für den einzelnen Gebührentatbestand verlangt werden können. Es ergibt sich aus den übrigen Regelungen der Tarifstelle 60 auch nicht, welche Abrechnungsmethode die im Kostentarif als Stundensätze berechneten Kostenpunkte in diesem Falle folgen würde (z.B. anteilig nach Minuten).

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Insbesondere kann auch kein hypothetischer Wille des Verordnungsgebers hinsichtlich einer minutengenauen Abrechnung oder beispielsweise eine Abrechnung nach Zeitabschnitten von 15 Minuten angenommen werden. Denn es kann angesichts des vom Verordnungsgeber gewährten Kostenansatzes - Ermittlung der Einsatzkosten nach Stunden - nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber die im Kostentarif enthaltenen Stundensätze in der jeweiligen Höhe auch in Ansehung einer zeitgenaueren Abrechnung genauso gestaltet hätte. Im Gegenteil ist vielmehr anzunehmen, dass die Höhe der Stundensätze gerade auch mit Blick darauf festgelegt worden ist, dass für jede angefangene Stunde der volle Stundensatz in Ansatz zu bringen ist (vgl. zum Ganzen: VG Saarland, Urteil vom 21.04.2016 - 6 K 1963/14 - a.a.O.). Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verordnungsgeber angesichts dieser Umstände für ein völlig anderes Gebührensystem entschieden hätte.

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Die Wirksamkeit der übrigen Tarifstellen der Anlage zur AllGO LSA ergibt sich daraus, dass die übrigen Tarifstellen Gebührentatbestände anderer Verwaltungszweige regeln und jeder Verwaltungszweig für seine kostenpflichtigen Verwaltungstätigkeiten eine eigene Kalkulation aufgestellt hat, welche sich in der jeweiligen festgesetzten Höhe der Gebühren widerspiegelt. Insoweit verbleibt es bei sinnvollen Restregelungen in den übrigen Tarifstellen der Anlage, da diese auf einer jeweils eigenständigen Kalkulation beruhen und sich die aufgrund des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nunmehr fehlerhafte Kalkulation der Tarifstelle 60 nicht auf die übrigen Tarifstellen durchschlägt. Inwieweit für die Tätigkeit anderer Verwaltungszweige eine Abrechnung nach vollen Stunden mit den Grundsätzen des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht, hatte das Gericht in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

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Ebenso bleibt die Wirksamkeit der AllGO LSA selber von der Nichtigkeit der Tarifstelle 60 der Anlage deshalb unberührt, weil die Verordnung eine zwingende Abrechnung nach vollen Stunden nicht vorsieht. Gegenteilig ist sogar in § 3 Abs. 2 S. 1 AllGO LSA geregelt, dass für jede angefangene volle Viertelstunde ein Viertel der in § 3 Abs. 1 geregelten Stundensätze oder der besonderen Stundensätze im Kostentarif zu berechnen ist. Eine Abrechnung nach kürzeren Intervallen als einer vollen Stunde steht demnach den Regelungen in der AllGO LSA nicht entgegen. Es verbleibt damit bei sinnvollen Regelungen in der AllGO LSA, welche mit höherrangigem Recht vereinbar sind.

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II. Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass eine Abrechnung nach vollen Stunden mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar und daher die Anlage zur AllGO LSA wirksam ist, so liegen dennoch die Voraussetzungen für die Erhebung des Kostenersatzes wegen des Einsatzes der Polizei am 24.11.2016 von 17:06 Uhr bis 18:08 Uhr weder nach der Tarifstelle 60 Ziffer 5 (dazu unter 1.) noch nach der Tarifstelle 60 Ziffer 1 (dazu unter 2.) vor.

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Die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Gebühren nach dem Verwaltungskostengesetz des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. der AllGO LSA beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem die in Rede stehende Handlung beendet wurde, hier der 24.11.2016, 18.08 Uhr (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.03.2016 - 2 L 48/14 - zitiert nach juris). Dies folgt nicht zuletzt aus der Anmerkung 4 zur Ziffer 5 der Tarifstelle 60 selbst, die notwendig davon ausgeht, dass die Polizei aufgrund einer angenommenen Gefahr tätig wird, um dann später festzustellen, dass eine Gefahr tatsächlich nicht vorgelegen hat (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 15.10.2015 - 7 A 35/15 - nicht veröffentlicht).

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1. Für die Erhebung von Kosten nach der Tarifstelle 60 Ziffer 5 ist es erforderlich, dass es an einer Amtshandlung von Polizeibeamten fehlt und objektiv keine Gefahr vorgelegen hat. Bei dem hier maßgeblichen Einsatz lag zwar keine Amtshandlung (dazu unter a)), jedoch eine objektive Gefahr (dazu unter b)) vor, weshalb der Tatbestand der Tarifstelle 60 Ziffer 5 nicht erfüllt ist.

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a) Die von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord herangezogene Tarifstelle 60 Ziffer 5 enthält keinen gebührenpflichtigen Tatbestand, welcher eine Amtshandlung bezeichnet, da die Tarifstelle lediglich eine „Inanspruchnahme“ der Polizei regelt und gerade nicht eine oder mehrere (bestimmte) Amtshandlung(en). Mit dem Begriff „Inanspruchnahme“ wird vielmehr auf Regelungen der Leistungsverwaltung verwiesen (vgl. zum Ganzen: OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.05.2014 - 3 L 354/13 - zitiert nach juris). § 15 Abs. 1 S. 1 VwKostG LSA ermächtigt auch zur Erhebung von solchen Leistungsgebühren. Danach können für Leistungen, die von Behörden des Landes bewirkt werden, ohne dass sie Amtshandlungen sind, Leistungsgebühren nach § 15 Abs. 1 S. 1 VwKostG LSA erhoben werden. In diesem Fall finden die Vorschriften des Verwaltungskostengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt über Kosten nach § 15 Abs. 2 VwKostG LSA entsprechende Anwendung, weshalb auch der Gebührentatbestand in der Tarifstelle 60 Ziffer 5 von der Ermächtigungsgrundlage des § 3 Abs. 1 - 3 S. 1 VwKostG gedeckt ist. Voraussetzung des hier in Rede stehenden Gebührentatbestandes ist demnach, dass der Kläger für eine Leistung der Polizei und gerade nicht für eine Amtshandlung herangezogen wird. Eine Amtshandlung ist ein selbstständiges, in sich abgeschlossenes Verwaltungshandeln auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts eines öffentlich-rechtlich organisierten Rechtsträgers durch seine Organe, insbesondere Behörden, im Einzelfall und mit Außenwirkung (vgl. Loeser/Bartel, Kommentar zum Niedersächsischen Verwaltungskostengesetz, § 1, Ziffer 3.1.1, Seite 6, Stand: Juli 2010). Vorliegend sind die Polizeibeamten vor Ort gerade nicht tätig geworden, sondern haben nach der Überprüfung des vom Kläger behaupteten Verkehrsverstoßes eines (verbotswidrig) parkenden Lastkraftwagens ohne weitere Veranlassung den Einsatz beendet. Somit fehlt es an einem aktiven Verwaltungshandeln mit Außenwirkung, weshalb es sich nicht um eine Amtshandlung der Polizeibeamten handelt. In Rede steht hier daher eine Leistung der Polizeibeamten, für welche eine Gebühr nach der Tarifstelle 60 Ziffer 5 grundsätzlich erhoben werden kann.

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b) Unter Berücksichtigung einer ex-post-Betrachtung hat in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt durch den in Z. in der D.straße zwischen den Hausnummern .. und ... parkenden Lastkraftwagen mit Anhänger objektiv eine Gefahr vorgelegen. Anders als die Beklagte meint, ist es bei dieser Betrachtung unerheblich, ob die vor Ort anwesenden Polizeibeamten im Wege einer Ermessensentscheidung nicht von dem Vorliegen einer Gefahr ausgegangen sind und aus diesem Grund von Maßnahmen der Gefahrenabwehr abgesehen haben. Bei einer objektiven Betrachtung sind ausschließlich die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt unabhängig von einer persönlichen Wertung in den Blick zu nehmen.

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In § 3 Nr. 3 a) des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.05.2014 (GVBl. LSA 2014, 182/183, ber. S. 380), in der hier maßgeblichen Fassung vom 18.12.2015 (GVBl. LSA 2015, 666/711) ist der Begriff der Gefahr legal definiert. Danach stellt eine Gefahr eine konkrete Gefahr dar, d.h. eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Die öffentliche Sicherheit ist nach § 3 Nr. 1 SOG LSA die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. Ausweislich des von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord zur Verfügung gestellten Bildmaterials parkte ein Lastkraftwagen mit Gespann in der D.straße zwischen den Hausnummern .. und ... in Z… Die Ausfahrten aus den Grundstücken der Hausnummern … und ... sind mit einem eingeschwenkten und abgesenkten Bordstein von der Fahrbahn abgetrennt. Aufgrund der Länge des Lastkraftwagens von jedenfalls über 9 Metern ragte dieser sowohl in die Ausfahrt des Grundstückes mit der Hausnummer ... als auch mit der Hausnummer ... und damit zu beiden Seiten in den Bereich des abgesenkten Bordsteins hinein, da der Bordstein an dieser Stelle lediglich auf 9 m Länge erhöht ist. Mit dieser Parkposition liegt ein Verstoß gegen § 12 Abs. 3 Nr. 5 Straßenverkehrsordnung (StVO) in der Fassung vom 06.03.2013 (BGBl. I 2013, 367) vor, wonach das Parken vor Bordsteinabsenkungen unzulässig ist. Der somit einhergehende Verstoß gegen die Rechtsordnung stellt einen Schaden für die öffentliche Sicherheit dar, welcher nicht nur hinreichend wahrscheinlich war, sondern bereits eingetreten war.

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Anders als die Beklagte meint, sind die Beamten für die Ahndung des Verstoßes gegen § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO auch zuständig gewesen. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 SOG LSA haben die Sicherheitsbehörden und die Polizei die gemeinsame Aufgabe der Gefahrenabwehr, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Nach § 2 Abs. 2 SOG LSA wird die Polizei in Erfüllung der Aufgaben der Gefahrenabwehr außer in den Fällen des Abs. 1 nur tätig, soweit die Gefahrenabwehr durch Sicherheitsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Die Gefahrenabwehr ist nach § 3 Nr. 6 SOG LSA die Abwehr von Gefahren gemäß der Nr. 3 durch Maßnahmen (Gefahrenabwehrverordnungen, Verwaltungsakte und andere Eingriffe) sowie durch sonstiges Handeln. Eine ausschließliche Zuständigkeit der allgemeinen Sicherheitsbehörden iSv § 84 Abs. 1 SOG LSA für den sog. ruhenden Verkehr sieht das Gesetz hingegen - anders als die Beklagte behauptet - nicht vor. Gegenteilig sieht § 16 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten auf verschiedenen Gebieten der Gefahrenabwehr (ZustVO SOG) in der Fassung vom 31.07.2002 (GVBl. LSA 2002, 328), in der hier maßgeblichen Fassung, sogar vor, dass die Gemeinden in ihrem Gebiet neben (Hervorhebung durch die Kammer) der Polizei zuständig für die Überwachung des ruhenden Verkehrs sind. Danach oblag es zwar grundsätzlich der Gemeinde als allgemeine Sicherheitsbehörde im Sinne von § 84 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA die Gefahr, welche von dem rechtswidrig parkenden Lastkraftwagen ausging, zu beseitigen. Das zuständige Ordnungsamt versuchte der Kläger nach eigenen Angaben auch zu erreichen, blieb jedoch erfolglos. An der Glaubhaftigkeit dieser Angaben hat das Gericht auch keine Zweifel, da unter Berücksichtigung der allgemein zugänglichen Quellen im Internet Mitarbeiter der Gemeinde M. an einem Freitag bis 12:00 Uhr zu erreichen sind. Der Kläger informierte jedoch erst gegen 17:00 Uhr die Polizei über den Verkehrsverstoß und bat um polizeiliche Unterstützung. Dass der Kläger zu dieser Zeit das Ordnungsamt nicht mehr erreichen konnte, erscheint daher nachvollziehbar. Somit war eine Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörde nicht möglich, weshalb die Polizei nach § 2 Abs. 2 SOG LSA die Aufgabe der Gefahrenabwehr wahrzunehmen hatte.

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Ohne Belang ist auch, dass der Kläger selber durch den parkenden Lastkraftwagen im Zeitpunkt der Alarmierung keine Beeinträchtigung seiner Ein-/Ausfahrt zu befürchten hatte. Die Regelungen zur Gefahrenabwehr in den §§ 1 und 2 SOG LSA sind nicht beschränkt auf diejenigen Fälle, in denen (jedenfalls auch) private Interessen betroffen sind. Der Gesetzgeber hat sich bei der Legaldefinition des Begriffes der öffentlichen Sicherheit in § 3 Nr. 1 SOG LSA dazu entschieden, neben der Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung aufzunehmen. Damit will er zum Ausdruck bringen, dass durch die Maßnahmen der Gefahrenabwehr gerade nicht nur Rechte eines Einzelnen geschützt werden sollen, sondern auch die Rechtsgüter der Allgemeinheit, die (ausschließlich) in einem öffentlichen Interesse stehen. Mit der Alarmierung der Polizei verfolgte der Kläger das Interesse an der Einhaltung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und mithin ein öffentliches Interesse. Auch erfordert die Vorschrift in § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO keine subjektive Betroffenheit. Bei dieser Vorschrift sowie den übrigen Vorschriften zum unzulässigen Parken in § 12 Abs. 3 Nr. 1 - 4 StVO handelt es sich um öffentlich- rechtliche Vorschriften, welche dem öffentlichen Interesse dienen und nicht ausschließlich dem Schutz subjektiver Rechtsgüter.

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Es ist auch für die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides unerheblich, dass der hier in Rede stehende Lastkraftwagen - nach den Ausführungen der Beklagten - sowohl vor als auch nach dem hier entscheidungserheblichen Tatzeitpunkt erneut an dieser Stelle geparkt hat und deshalb wiederum eine Ordnungswidrigkeit nach § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO begangen wurde, ohne dass sich der Kläger dadurch beeinträchtigt fühlte. Dass der Kläger diese Verstöße ohne eine Meldung bei der Polizei hingenommen hat, ändert nichts an dem Umstand, dass der Lastkraftwagen - wie bereits erläutert - jedenfalls im Tatzeitpunkt eine objektive Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt hat.

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2. Der streitgegenständliche Bescheid findet seine Rechtsgrundlage auch nicht in der Tarifstelle 60 Ziffer 1 der Anlage zur AllGO LSA. Danach ist eine Rahmengebühr in Höhe von 20-10.000 € für Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu erheben, wenn keine anderen Gebühren bestimmt sind. Bei der Erhebung von Verwaltungskosten im Gefahrenabwehrrecht geht es um eine Kostenerhebung für eine hoheitliche Tätigkeit als Entgelt für das „Veranlassen“ entsprechender Amtshandlungen (vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 VwKostG LSA). Voraussetzung ist daher eine bestimmte Amtshandlung. Daran fehlt es hier. Wie bereits dargelegt, liegt hier eine Amtshandlung gerade nicht vor, da die eingetroffenen Beamten von einer hoheitlichen Tätigkeit abgesehen und den Einsatzort verlassen haben.

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Gestützt auf diese Rechtsgrundlage wäre der Bescheid auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat. Nach § 10 Abs. 1 VwKostG hat bei einer Rahmengebühr die konkrete Berechnung der Gebühr nach dem Verwaltungsaufwand, dem Wert des Gegenstandes bzw. nach dem Nutzen bzw. der Bedeutung der Amtshandlung für den Gebührenschuldner zu erfolgen. Der Behörde bleibt demnach bei der Festsetzung innerhalb des jeweils vorgegebenen Gebührenrahmens ein Ermessensspielraum. Eine ermessensfehlerfreie Gebührenfestsetzung war der Beklagten von vornherein nicht möglich, da sie den vorgegebenen Gebührenrahmen, innerhalb dessen das Festsetzungsermessen zu betätigen ist, nicht zugrunde gelegt hat. Diesen Ermessensfehler könnte die Beklagte auch im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nach § 114 S. 2 VwGO heilen. Diese Regelung schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt oder die Gründe einer Ermessensausübung ausgewechselt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 8 C 4/10 - zitiert nach juris). Da die Beklagte von ihrem Ermessen nicht Gebrauch gemacht hat und somit in keiner Weise ihr Ermessen betätigt hat, kann sie bereits angestellte Ermessenserwägungen nicht bloß ergänzen, sondern müsste völlig neue Ermessensgesichtspunkte ins Feld führen, die bei der ursprünglichen behördlichen Entscheidung ersichtlich keine Rolle gespielt haben. Dies ist jedoch nach § 114 S. 2 VwGO unzulässig (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.05.2014, a.a.O.).

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III. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach § 167 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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