Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 12 K 2430/19.A
Tenor
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt die Erinnerungsführerin. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.
1
Gründe:
2I.
3Die vormalige Beklagte und jetzige Erinnerungsführerin (im Folgenden: Beklagte) begehrt im Wege des Erinnerungsverfahrens die Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 3. März 2022 dahingehend, dass zur Gebührenberechnung das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der Fassung zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch den ersten Prozessbevollmächtigten im Jahr 2019 und nicht zum Zeitpunkt des Anwaltswechsels im Jahr 2021 heranzuziehen ist.
4Der Kläger und jetziger Erinnerungsgegner (im Folgenden: Kläger) stammt nach eigenen Angaben aus dem Irak und ist am 5. Juli 2019 über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Dort stellte er einen Asylantrag, der durch die Erinnerungsführerin mit Bescheid vom 25. Juli 2019 als unzulässig abgelehnt wurde. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 1. August 2019 Klage. Mit Prozessvollmacht vom 2. August 2019 bestellte sich Rechtsanwalt I1. für den Kläger. Mit Schreiben vom 18. August 2021 übersandte Rechtsanwalt I1. die Mandatskündigung des Klägers. Neu für den Kläger bestellte sich mit Prozessvollmacht vom 13. August 2021 Rechtsanwalt X. . Die zuständige Berichterstatterin gab der Klage mit Urteil vom 21. Februar 2022 statt.
5Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 25. Februar 2022 beantragte der klägerische Prozessbevollmächtigte X. die Gebühren und Auslagen des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 540,50 € festzusetzen. Bestandteil der Berechnung war unter anderem eine 1,3-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV Anlage 1 RVG bei einem Gegenstandswert von bis 5.000,00 € in Höhe von 434,20 €. Grundlage der errechneten Verfahrensgebühr war der Gebührensatz nach Anlage 2 (zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG) in der seit dem 1. Januar 2021 gültigen Fassung.
6Das Gericht setzte die zu erstattenden Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. März 2022 auf 540,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 2. März 2022 fest.
7Am 3. März 2022 beantragte die Beklagte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss die Entscheidung des Gerichts.
8Zur Begründung führt sie an, sie, die Beklagte, müsse die Mehrkosten, die durch den Wechsel des Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem 1. Januar 2021 - nach Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - entstanden seien, nicht erstatten. Die Klageschrift datiere vom 1. August 2019. Mit ihr sei der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilt worden. Entsprechend berechneten sich die Gebühren nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht. Die Beklagte müsse gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht überstiegen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Vorliegend sei nicht einmal geltend gemacht, dass der Wechsel des Prozessbevollmächtigten und die neue Beauftragung eines zweiten Rechtsanwalts objektiv notwendig gewesen seien. Somit seien die Mehrkosten des Anwaltswechsels unnötig und nicht erstattungsfähig.
9Der Urkundsbeamte des Gerichts hat der Erinnerung der Beklagten nicht abgeholfen und ausgeführt, die geltend gemachten Kosten des Klägers seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Der vorgenommene Anwaltswechsel sei unabhängig von dem Inkrafttreten der Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zum 1. Januar 2021 erfolgt und sei auch nicht dazu angetan, der Beklagten unnötige Kosten zu verursachen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die elektronisch geführte Gerichtsakte sowie den auf elektronischem Weg übermittelten Verwaltungsvorgang des Bundesamts (eine Datei) Bezug genommen.
11II.
12A. Da das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO ein von der Kostenentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren darstellt, hat das Gericht über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss in der Besetzung zu entscheiden, in der die zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde.
13Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 24 C 06.2426 -, juris.
14Nachdem die Kostengrundentscheidung durch das Verwaltungsgericht Minden im Urteil vom 21. Februar 2022 durch die zuständige Berichterstatterin getroffen worden ist, hat über die Kostenerinnerung ebenfalls die Berichterstatterin zu entscheiden.
15B. Die Erinnerung hat keinen Erfolg. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 165, 151 Satz 1 VwGO statthaft. Auch wurde sie fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses erhoben (§ 152 Satz 3 i.V.m. § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
16Sie ist jedoch unbegründet. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Minden vom 3. März 2022 ist nicht zu beanstanden.
17I. Gemäß § 164 VwGO wird auf Antrag der Betrag der zu erstattenden Kosten durch den Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszuges per Beschluss festgesetzt.
18II. Die insofern getroffene Entscheidung ist rechtmäßig. Der Anspruch ergibt sich aus der Kostengrundentscheidung im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Februar 2022 in Verbindung mit § 162 VwGO. Hiernach gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens (Absatz 1). Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands sind stets erstattungsfähig (Absatz 2). Die Kosten eines Rechtsanwalts richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erhält der Rechtsanwalt, dem ein unbedingter Auftrag als Prozessbevollmächtigter erteilt worden ist, gemäß Nr. 3100, Vorbemerkung 3 Abs. 1 VV Anlage 1 RVG eine 1,3-fache Verfahrensgebühr. Diese entsteht gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV Anlage 1 RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information.
191. Für den Rechtsanwalt X. richtet sich der Vergütungsanspruch richtigerweise nach dem neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, da dessen Beauftragung erst im Jahr 2021 mit Prozessvollmacht vom 2. August 2021 erfolgte. Dadurch ergibt sich nach Anlage 2 (zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG) bei einem Gegenstandswert von bis 5.000,00 € ein einfacher Gebührenwert von 434,20 €.
20Die Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach für die Vergütung das bisherige Recht anzuwenden ist, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist, findet keine Anwendung. Bei § 60 RVG handelt es sich um eine Dauerübergangsregelung, die den vormaligen § 134 BRAGO ersetzt.
21Vgl. BT-Drucksache 15/1971, 203.
22Die Regelung stellt auf die erstmalige Beauftragung des betroffenen Rechtsanwalts und nicht irgendeines Prozessbevollmächtigten ab. Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Vorschrift, in der in Bezug auf den Rechtsanwalt ein bestimmter Artikel („der“) statt eines unbestimmten Artikels („ein“) verwendet wird.
23Es kommt hinzu, dass der Sinn und Zweck der Regelung unter anderem darin besteht, sicherzustellen, dass kein Rechtssuchender befürchten muss, dass für seinen Anwaltsvertrag hinter seinem Rücken andere Regelungen und andere Kosten eingeführt werden, als bei Vertragsschluss gegolten haben.
24Vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. (2021), § 60, Rn. 2.
25Daraus ergibt sich aber auch, dass sich § 60 RVG auf einen bestimmten Vertragsschluss und nicht auf eine abstrakte Beauftragung bezieht.
26Vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. (2021), § 60, Rn. 53 (bei mehreren Anwälten eines Mandanten und unterschiedlicher Berechnung von Verfahrens- und Terminsgebühr); Rn. 54 (bei Wechsel eines Anwalts vom Terminsvertreter zum Verfahrensbevollmächtigten).
27Das Kostenfestsetzungsrecht kennt keine Regelung, wonach für die Vergütung des Verfahrensbevollmächtigten, wenn er „quasi in die Fußstapfen des Vorgängers“ tritt, auch für seine Vergütung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung (Zeitpunkt des Tätigwerdens des „Vorgängers“) abzustellen ist.
28Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Juli 2011 - OVG 1 K 118.08 -, juris Rn. 9; VG Magdeburg, Beschluss vom 11. März 2022 - 3 E 17/22 MD -, juris Rn 5.
292. Die Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten X. sind erstattungsfähig. § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO fingiert die Erstattungsfähigkeit ohne eine Prüfung, ob die Heranziehung des Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war (§ 162 Abs. 1 VwGO). Aus dem prozessrechtlichen Verhältnis folgt dabei grundsätzlich die Pflicht, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, soweit sich dies mit der Wahrung der berechtigten Belange der Beteiligten vereinbaren lässt.
30Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2019 - 2 KSt 1/19, 2 KSt 1/19 (2 A 4/17) -, juris, Rn. 8.
31a) Ausgeschlossen ist die Kostenerstattung ausnahmsweise bei einem offensichtlichen Verstoß gegen die sich aus § 162 Abs. 1 VwGO ergebende Kostenminderungspflicht. Der Verstoß muss sich aus der Sicht eines verständigen Beteiligten geradezu aufdrängen.
32Vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 1. Dezember 2011 - 17 E 1169/11 -, juris Rn. 6; Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 7. Februar 2001 - 3 K 17.00 -, juris.
33Ein solcher Verstoß wird insbesondere angenommen, wenn die Beauftragung des Rechtsanwalts offensichtlich treuwidrig war und nur darauf abzielte, dem Gegner Kosten zu verursachen.
34Vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Mai 2006 - 3 So 38/06 -, juris Rn. 15; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. März 2015 - 1 M 50/15 -, juris Rn. 6.
35Dies ist vorliegend nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass der Anwaltswechsel im Jahr 2021 offensichtlich nur darauf abzielte, der Beklagten erhöhte Kosten durch die geänderte Gebührenlage zu verursachen liegen nicht vor.
36b) Der Hinweis der Beklagten auf § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, wonach die Kosten mehrerer Anwälte nur insoweit zu erstatten seien, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste, überzeugt nicht.
37Die für den Zivilprozess in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO getroffene Regelung findet gemäß § 173 VwGO entsprechende Anwendung. Ihre Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Der Kläger hat nicht die Festsetzung der Kosten mehrerer Rechtsanwälte, sondern lediglich die seines im Rubrum bezeichneten Prozessbevollmächtigten beantragt. „Die Kosten mehrerer Anwälte“ im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO bezieht sich auf eine Mehrzahl von Prozessbevollmächtigten, deren Gebühren kumulativ bei der Berechnung der zu erstattenden Kosten berücksichtigt werden sollen. Wenn „doppelte“ Kosten nicht zur Erstattung gebracht werden, kommt es auf die Frage der Notwendigkeit des Anwaltswechsels im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht an. Von der Regelung nicht erfasst, ist der vorliegende Fall, dass die Kosten eines Prozessbevollmächtigten - im Gegensatz zu den Kosten eines zuvor bevollmächtigten, in der Kostenfestsetzung jedoch nicht berücksichtigten, Anwalts - erhöht sind.
38Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Juli 2011 - OVG 1 K 118.08 -, juris Rn. 9; VG Magdeburg, Beschluss vom 11. März 2022 - 3 E 17/22 MD -, juris Rn. 5.
39§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist auch nicht entsprechend, mit Blick auf den sich auch aus § 162 Abs. 1 VwGO ergebenden Grundsatz der Kostenminderungspflicht anwendbar. Dem steht die gesetzgeberischen Wertung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die gesetzlich vorgesehenen Kosten eines Rechtsanwalts - wie bereits dargestellt - grundsätzlich stets erstattungsfähig sind, sodass sie insoweit kraft Gesetzes als notwendig angesehen werden, entgegen. Hierin kommt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass es den Beteiligten mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG möglich sein soll, sich in jeder Lage des Verfahrens eines qualifizierten Rechtsvertreters ihrer Wahl zu bedienen, um den Verwaltungsrechtsschutz wirksamer zu gestalten.
40Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Juli 2011 - OVG 1 K 118.08 -, juris Rn. 10; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2006 - OVG 1 K 72.05 -, juris Rn. 10
41Der Kläger darf bei einem nach der Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vollzogenen Anwaltswechsel nicht schlechter gestellt werden, als wenn er seine Klage zunächst selbst erhoben und erst nach Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes im Laufe des Verfahrens einen Rechtsanwalt bevollmächtigt hätte. Denn in diesem Fall, könnte dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass er die Erstattung seiner Kosten nur nach Maßgabe des alten Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes beanspruchen könne. Gründe für eine dahingehende kostenrechtliche Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich.
42Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Juli 2011 - OVG 1 K 118.08 -, juris Rn. 9; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 8. März 2022 - 5 A 379/20 -, juris Rn. 9, 10 VG Magdeburg, Beschluss vom 11. März 2022 - 3 E 17/22 MD -, juris Rn. 6.
43C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei; eine Streitwertfestsetzung ist daher entbehrlich.
44Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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