Urteil vom Verwaltungsgericht München - M 18 K 18.6070

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen eine Rechtswahrungsanzeige nach § 7 Abs. 2 UVG.

Der Kläger ist Vater eines am ... Februar 2017 geborenen Kindes, welches bei seiner Mutter lebt.

Auf Antrag der Kindsmutter bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2018 für das Kind des Klägers Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab 1. März 2018.

Mit streitgegenständlichem Schreiben vom 5. Juli 2018, zugestellt an den Kläger am 9. Juli 2018, wurde der Kläger über den Bewilligungsbescheid vom 25. Juni 2018 informiert und darauf hingewiesen, dass gemäß § 7 UVG die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den Kläger bis zur Höhe der bewilligten Leistung auf den Freistaat Bayern übergegangen seien. Der Kläger könne daher künftig seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind für den Zeitraum ab 1. März 2018 schuldbefreiend nur mehr durch Zahlungen an die Staatsoberkasse Bayern erfüllen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Zahlungen aufzunehmen und die für die Zeit bis 31. Juli 2018 bestimmten Unterhaltsbeträge in Höhe von 770 EUR bis spätestens 31. Juli 2018 sowie die ab dem kommenden Monat fälligen monatlichen Unterhaltsbeträge von derzeit 154 EUR spätestens am ersten des gleichen Monats im Voraus zu überweisen. Davon unabhängig würden die bisher geltend gemachten Zeiträume aus früherer UVG-Gewährung unberührt bleiben. Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass Widersprüche gegen diese Mitteilung unzulässig sein, da Ansprüche des privaten Rechts geltend gemacht werden würden.

Mit Schreiben vom 6. August 2018, eingegangen bei der Beklagten am 17. August 2018, legte der Kläger Einspruch gegen das Schreiben vom 5. Juli 2018 und den Bescheid vom 25. Juni 2018 ein und beantragte Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2018 legt die Beklagte den Widerspruch der Regierung von Oberbayern zur Entscheidung vor.

Die Regierung von Oberbayern wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12. November 2018 als unzulässig zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Widerspruch nicht statthaft sei, weil er sich nicht gegen einen Verwaltungsakt richte. Das Schreiben vom 5. Juli 2018 sei kein Verwaltungsakt, sondern eine sogenannte Rechtswahrungsanzeige, mit der Folge, dass der unterhaltspflichtige Elternteil nicht mehr mit befreiender Wirkung an das Kind leisten könne. Mit dieser Information über den gegebenenfalls kraft Gesetzes eintretenden Anspruchsübergang habe die Beklagte keine eigenständige Entscheidung getroffen, sondern lediglich die geltende Rechtslage erläutert. Der nach § 7 UVG auf das Land übergehende Unterhaltsanspruch bleibe weiterhin ein Anspruch des privaten Rechts und müsse gegebenenfalls vor den Zivilgerichten eingeklagt werden. Der Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 25. Juni 2018 sei ebenfalls nicht statthaft, da der Kläger nicht Adressat des Bescheides sei.

Mit Schriftsatz vom 11. November 2018, eingegangen am 12. Dezember 2018, erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht München Klage

gegen das Schreiben der Beklagten vom 5. Juli 2018.

Er führte aus, dass die Klage nach erfolgter Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2018 eingelegt werde. Die Klagebegründung erfolge mit gesonderten Schriftsatz innerhalb eines Monats.

Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2019, eingegangen am 12. Juli 2019 bestellte sich die Bevollmächtigte und beantragte, dem Kläger Prozesskostenhilfe zu bewilligen und sie als Bevollmächtigte beizuordnen.

Mit Schriftsatz vom 13. September 2019 führte die Bevollmächtigte des Klägers aus, dass der Kläger seit dem 31. August 2017 ununterbrochen inhaftiert sei und dort keiner entlohnten Arbeit nachgehe; ebenso wenig verfüge er über sonstige Einkünfte. Dies habe zur Folge, dass dem Kläger als Schuldner bei Zahlung des Unterhalts weniger als der Bedarf nach Sozialhilferecht verbleiben würde, wobei im Rahmen der sozialhilferechtlichen Vergleichsberechnung nicht auf fiktives, sondern auf effektives Einkommen des Schuldners abzustellen sei. In einem solchen Fall finde ein Übergang des Unterhaltsanspruchs nach § 7 UVG nicht statt. Somit stehe der Beklagten kein Zahlungsanspruch gegen den Kläger zu.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2019,

die Klage abzuweisen.

Sie führte aus, dass das Mitteilungsschreiben vom 5. Juli 2018 kein Verwaltungsakt sei, so dass die Klage unbegründet sei. Die Aufrechterhaltung der Klage durch eine Rechtsanwältin erscheine als mutwillig. Gerade für einen Rechtskundigen sei es offensichtlich, dass das Informationsschreiben gemäß § 7 UVG kein Verwaltungsakt sei; dies sei in diesem Schreiben ausdrücklich erwähnt.

Die Bevollmächtigte des Klägers erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 11. November 2019, dass die Beklagte verkenne, dass es sich bei der Rechtswahrungsanzeige um einen Realakt handle und ein solcher Akt ebenfalls anfechtbar sei, und zwar entweder mit einer allgemeinen Leistungsklage oder mit einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO. Hinsichtlich der Begründetheit der Klage sei anzumerken, dass eine Rechtswahrungsanzeige voraussetze, dass das Kind einen Unterhaltsanspruch gegenüber deren Adressaten habe. Dies setze aufgrund des § 1603 Abs. 1 BGB wiederum voraus, dass dieser finanziell leistungsfähig sei. Letzteres sei vorliegend offensichtlich nicht der Fall.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien gemäß § 6 Abs. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen.

Die Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 16. Juni 2020 auf mündliche Verhandlung.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2020 wurde der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt, da die Klage bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei. Die Beschwerde hiergegen wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juli 2020 zurückgewiesen (Az.: 12 C 20.1546). Die Anträge der Bevollmächtigten des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurden mit Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10. August 2020 (Az.: 12 C 20.167) sowie 28. August 2020 (Az.: 12 C 20.1899) abgelehnt bzw. verworfen.

Mit Schriftsatz vom 29. Mai 2022 erklärte die Bevollmächtigte des Klägers Verzicht auf mündliche Verhandlung und beantragte, das Verfahren an das AG München zu verweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es sich nach Auskunft der Landeshauptstadt München um eine Familiensache handle.

Mit rechtskräftigen Beschluss vom 27. Juli 2022 erklärte das Gericht den Verwaltungsrechtsweg für zulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.

Die Klage ist unzulässig und war daher abzuweisen. Dem Kläger fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage.

Unabhängig davon, ob sich die Klage gegen einen Verwaltungsakt oder einen Realakt richtet, ist ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Für eine unnötige oder gar missbräuchliche Ausübung von Klagemöglichkeiten brauchen die Gerichte nicht zur Verfügung zu stehen. Damit ist diese Prozessvoraussetzung Ausfluss des allgemeinen Verbots eines Rechtsmissbrauchs und von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, vor § 40 Rn. 11 ff.). Vorliegend kann der Kläger mit dem Klageverfahren seine Rechtsstellung nicht verbessern, sodass ihm das Rechtsschutzbedürfnis für das Klageverfahren fehlt.

Dem streitgegenständlichen Schreiben der Beklagten vom 5. Juli 2018 (in Form des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2018) kommt kein eigener Regelungsinhalt zu, so dass es den Kläger nicht belastet. Vielmehr handelt es sich ausschließlich um eine - den Kläger nicht belastende - Rechtswahrungsanzeige nach § 7 Abs. 2 Satz Nr. 2 UVG.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG geht ein Unterhaltsanspruch eines nach § 1 UVG berechtigten Kindes gegen den Elternteil, bei dem es nicht lebt, für die Zeit, für die ihm Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zustehen, in Höhe der Unterhaltsvorschussleistung auf das Land über.

Für eine Inanspruchnahme dieses Elternteils auch für die Vergangenheit ist gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UVG zudem erforderlich, dass dieser von dem Antrag auf Unterhaltsleistung Kenntnis erhalten hat und er darüber belehrt worden ist, dass er für den geleisteten Unterhalt nach diesem Gesetz in Anspruch genommen werden kann (Rechtswahrungsanzeige).

Die Rechtswahrungsanzeige nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UVG stellt folglich keinen Unterhaltsanspruch fest, sondern hat lediglich den Sinn, den Schuldner unverzüglich von der Bewilligung der Unterhaltsleistungen nach dem UVG zu unterrichten, damit er nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an das unterhaltsberechtigte Kind zahlen kann (vgl. auch Punkt 7.4.2 der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (VwUVG) unter Verweis auf BGH, U.v. 28.3.1979 - IV ZR 58/78 - juris). Unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes hat sie eine der Mahnung vergleichbare Warnfunktion, indem sie den Unterhaltsschuldner darauf vorbereitet, dass er für Unterhaltsleistungen in Anspruch genommen wird. Sie zerstört das Vertrauen des Pflichtigen, dass die Dispositionen über seine Lebensführung durch Unterhaltspflichten nicht berührt werden, und wirkt insoweit gleich einer Mahnung.

Ihre Auswirkungen sind nicht nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, sondern nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts. Der Umfang des übergeleiteten Unterhaltsanspruchs bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (OLG Hamburg, U.v. 22.10.2010 - 12 UF 236/09 - juris Rn. 23 m.w.N.). In Bezug auf die Rechtswahrungsanzeige ist daher auch irrelevant, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt leistungsfähig ist (vgl. OLG Hamm, B.v. 17.3.2015 - II-2 UF 226/14 - juris Rn. 28 ff.).

Die Rechtswahrungsanzeige hat somit ausschließlich die Folge, dass der unterhaltspflichtige Elternteil nicht mehr mit befreiender Wirkung an das Kind leisten kann und beinhaltet weder eine Aussage darüber, ob ein Unterhaltsanspruch besteht noch, ob ein Anspruchsübergang nach § 7 UVG stattgefunden hat. Vielmehr ist dies ausschließlich im Rahmen eines (möglichen) Zivilverfahrens zu klären (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2009 - 12 C 09.2738 - juris Rn. 4).

Soweit die Beklagte im streitgegenständlichen Schreiben vom 5. Juli 2018 den Kläger darüber hinaus aufgefordert hat, die Zahlungen aufzunehmen und - im Einzelnen bestimmte - Unterhaltsbeträge zu überweisen, handelt es sich um eine zusätzliche (lediglich) zivilrechtliche Zahlungsaufforderung (vgl. Punkt 7.0.5 Buchst. a) der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (VwUVG)). Hingegen handelt es sich insoweit nicht um eine Festsetzung der von dem Kläger zu leistenden Zahlungen durch Verwaltungsakt. Dies ergibt sich eindeutig aufgrund der Formulierungen im Schreiben vom 5. Juli 2018 sowie dem Hinweis, dass Widersprüche gegen diese Mitteilung nicht zulässig seien, da Ansprüche des privaten Rechts geltend gemacht würden (vgl. VG Köln, U.v. 23.3.2022 - 26 K 6527/21 - juris).

Sofern der Kläger diese Zahlungsaufforderung nicht nachkommt, ist es folglich an der Beklagten, ihren behaupteten und geltend gemachten Anspruch vor den Zivilgerichten fest- bzw. durchzusetzen (Conradis, Unterhaltsvorschussgesetz, UVG, 2. Auflage 2013, § 7 Rn. 3, beck-online; vgl. Punkt 7.0.5 Buchst. b), 7.3.3., 7.6. VwUVG). Der Kläger ist hingegen alleine durch diese zivilrechtliche Zahlungsaufforderung nicht in seinen Rechtspositionen belastet.

Der Kläger kann mit der vorliegenden Klage folglich seine Rechtsposition nicht verbessern, sodass ihm kein Rechtsschutzbedürfnis zukommt und die Klage als unzulässig abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.

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