Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 1 K 253/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
3Der Kläger ist seit über vierzig Jahren Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse. In den Jahren 2009 bis 2017 erteilte der Beklagte dem Kläger fünf Waffenbesitzkarten (Nr. 00000 bis 0000-00), in die nach den Angaben des Beklagten zuletzt fünf Schusswaffen, ein Lauf, ein Wechsellauf sowie ein Verschluss eingetragen waren. Zugleich war der Kläger Inhaber eines bis zum 31. März 2019 gültigen Jagdscheins (Nr. 000/0000). Dabei bewahrte der Kläger nach seiner entsprechenden Anzeige beim Polizeipräsidium Münster vom 9. Mai 2018 neben seinen eigenen Waffen auch einen Revolver des Herstellers Smith & Wesson, Kaliber .38 Special, Nr. XXX 0000, für seinen in Essen lebenden Sohn auf, weil dieser sich berufsbedingt zum Teil mehrere Monate im Jahr in Asien aufhalte.
4Im Jahr 2018 geriet der Kläger in den Verdacht, eine Exportfeder gekauft zu haben, um sie in eine Druckluftwaffe einzubauen. Durch den Einbau wird auch eine zuvor vom Waffengesetz (teilweise) ausgenommene oder nicht der Erlaubnispflicht unterliegende Druckluftwaffe erlaubnispflichtig, wenn infolgedessen aus ihr Geschosse mit einer Bewegungsenergie von mehr als 7,5 Joule verschossen werden können. Das insoweit eingeleitete Ermittlungsverfahren Az. 600 Js 455/18 stellte die Staatsanwaltschaft Münster letztlich mit Verfügung vom 21. November 2018 nach § 170 Abs. 2 StPO mit dem Vermerk „kein Tatnachweis“ ein, weil keine für eine Überführung geeigneten Beweismittel vorlägen. Insbesondere wurden beim Kläger weder eine Druckluftwaffe noch eine Exportfeder aufgefunden.
5Im Zuge des vorgenannten Ermittlungsverfahrens durchsuchten Polizeibeamte am 25. Oktober 2018 die Wohnung des Klägers. Hierbei fanden sie u.a. zwei geladene Kurzwaffen auf, die sich in einem gesonderten Waffenfach eines durch eine Tastenkombination gesicherten Waffenschrankes mit dem Widerstandsgrad 0 der Norm DIN/EN 0000-0 befanden: In eine halbautomatische Pistole des Herstellers Glock, Kaliber .40 S&W, Nr. XXX 000, war ein Magazin mit 13 funktionstüchtigen Patronen eingeführt, wobei sich im Patronenlager keine Patrone befand und die Waffe automatisch gesichert war. Bei dem in die Waffenbesitzkarte des Sohnes des Klägers eingetragenen Revolver des Herstellers Smith & Wesson, Kaliber .38 Special, Nr. XXX 0000, fanden sich sechs funktionstüchtige Patronen in der eingeschwenkten Trommel. Die übrigen Waffen des Klägers waren ordnungsgemäß entladen.
6Nach einem Vermerk der Polizeibeamten gab der Kläger hierzu vor Ort an: Nur er kenne die für die Öffnung des Waffenschrankes erforderliche Tastenkombination. Der Revolver gehöre seinem Sohn, für den er diesen aufbewahre. Er habe diese Waffe noch nie in der Hand gehabt. Für den Ladezustand könne er nichts. Er sei in der Nacht von einer Jagd aus Hersfeld zurückgekommen, bei der er die Glock unterladen mitgeführt habe, ohne sie abgefeuert zu haben. Bei seiner Rückkehr habe er die Waffe nur noch schnell in den Tresor gelegt. Er habe vorgehabt, die Waffe am Morgen zu entladen und zu reinigen.
7Nach vorheriger Anhörung widerrief das Polizeipräsidium Münster mit Bescheid vom 22. Januar 2019 die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers (Ziffer 1.) und gab ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 5.) auf, die Erlaubnisdokumente unverzüglich, spätestens jedoch binnen acht Wochen nach Bekanntgabe der Verfügung zurückzugeben (Ziffer 2.) sowie die Waffen nebst Munition binnen einer Frist von acht Wochen nach Zugang einem Berechtigten im Sinne des Waffengesetzes zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und dies binnen einer Frist von 14 Tagen nachzuweisen (Ziffer 3.). Zugleich setzte es für die Entscheidung eine Gebühr in Höhe von 230 Euro fest (Ziffer 4.).
8Zur Begründung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse führte es im Wesentlichen aus: Der Kläger sei unzuverlässig im Sinne des Waffengesetzes, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass er mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werde. Schusswaffen seien nach Gebrauch zu entladen und zu entspannen. Hieran habe sich der Kläger nicht gehalten. Dieser habe die Pistole des Herstellers Glock im Kaliber .40 S&W geladen transportiert und aufbewahrt. Die späte Rückkehr von der Jagd könne den Kläger nicht entlasten, weil es diesem auch möglich gewesen sei, die mitgeführte Langwaffe ordnungsgemäß zu entladen. Es spiele keine Rolle, dass der zur Aufbewahrung verwendete Tresor eine höhere Schutzklasse als vom Gesetzgeber gefordert aufweise.
9In der Folge gab der Kläger die Erlaubnisdokumente an den Beklagten zurück und überließ seine Waffen und Munition Berechtigten.
10Der Kläger hat am 1. Februar 2019 Klage erhoben.
11Zur Begründung bringt er im Wesentlichen vor: Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Er sei nicht waffenrechtlich unzuverlässig. Aus dem Aufbewahrungszustand der Waffe seines Sohnes könne zu seinen Lasten nichts hergeleitet werden, weil es sich nicht um eine von ihm, dem Kläger, verantwortlich geführte Waffe handele. Auch aus der Auffindesituation seiner Pistole im unterladenen Zustand ergebe sich nicht seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit. Zwar verstoße das Verwahren einer unterladenen Waffe grundsätzlich gegen die Anforderungen an eine sorgfältige Verwahrung. Allerdings sei die waffenrechtliche Zuverlässigkeit stets individuell zu prüfen und erfordere eine Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände könne nicht die Prognose getroffen werden, dass er künftig mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werde. Es liege schon keine Verwahrung im vorgeworfenen Sinne vor, weil es an der erforderlichen zeitlichen Perpetuierung fehle. Er sei am 24. Oktober 2018 gemeinsam mit einem Freund in seinem Revier jagen gewesen. Unmittelbar nach Beendigung der Jagd, d.h. noch im Revier, habe er seine Waffen, darunter auch die Pistole, entladen. Sein Freund habe ihn nach Hause gebracht, wo er am 25. Oktober 2018 morgens um 4.00 Uhr angekommen sei. Plötzlich und unerwartet habe bei ihm eine migräneähnliche Aura eingesetzt, verbunden mit Übelkeit und sensorischen Wahrnehmungsstörungen (beidseitige Sehstörungen). Die Ursache für die einmalige Aura sei wohl ein eingeklemmter Nerv gewesen. Er habe deshalb aus Sicherheitsgründen entschieden, das Magazin der Pistole nicht von den Patronen zu trennen, sondern die Waffe gemeinsam mit dem Magazin kurzfristig in dem Schrank aufzubewahren, um nach kurzer, schlafbedingter Regenerationsphase die Pistole bzw. das Magazin von den Patronen zu trennen und diese sodann getrennt voneinander aufzubewahren. Mit dieser Absicht habe er das Magazin wieder in die Pistole eingeführt, den Schrank abgeschlossen und sich schlafen gelegt. Er habe bis etwa 6.00 Uhr geschlafen, wobei er nach dem Aufwachen mit Ausnahme eines leichten Kopfschmerzes regeneriert gewesen sei. Bevor er Pistole und Magazin habe trennen können, sei dann bereits die Wohnungsdurchsuchung erfolgt. Er habe die Waffe also nicht dauerhaft in diesem Zustand aufbewahren wollen. Deshalb fehle es an einem Aufbewahren im vorgeworfenen Sinne. Auch § 13 Abs. 9 AWaffV stelle, wenngleich bezogen auf eine Aufbewahrung außerhalb der Wohnung, geringere Anforderungen an eine bloß vorübergehende Aufbewahrung. Hier sei die Waffe so verwahrt gewesen, dass ein Zugriff Dritter ausgeschlossen gewesen sei. Selbst wenn sein Verhalten vorwerfbar sorgfaltswidrig gewesen sein sollte, stelle sich der Verstoß aufgrund der dargestellten Umstände des Einzelfalles nicht als schwerwiegend dar. Er habe sich aufgrund einer Sicherheitsabwägung zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten entschieden. Dies sei weder Ausdruck einer Nachlässigkeit noch eines vorwerfbar sorglosen Umgangs mit Waffen. Wenn überhaupt handele es sich um eine einmalige situative Nachlässigkeit. Zudem sei zu berücksichtigen, dass eine Gefährdung Dritter wie auch ein Abhandenkommen der Waffe oder eine unbefugte Ansichnahme durch Dritte ausgeschlossen gewesen sei. Allein die Bedeutung, die die Jagd für ihn habe, begründe die Prognose zukünftiger Zuverlässigkeit. Er habe seine berufliche Tätigkeit in den letzten Jahres sukzessive zurückgefahren und mit Wirkung ab dem 1. April 2015 einen langfristigen Jagdpachtvertrag abgeschlossen. Er könne sich auf einen jahrzehntelangen beanstandungslosen Waffenbesitz und ‑umgang berufen, auch bei verschiedenen polizeilichen Kontrollen in unterschiedlichen Jagdrevieren sowie einer Verkehrskontrolle sei es nicht zu Beanstandungen gekommen.
12Soweit ihm der Beklagte erstmals im Klageverfahren lange zurückliegende Fristverstöße im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Veräußerung bzw. Überlassung von Waffen vorwerfe, werde dies bestritten. Seitens des Beklagten sei ihm seinerzeit versichert worden, dass zunächst grundsätzlich auch eine telefonische Mitteilung ausreiche. Es sei lebensfremd, anzunehmen, dass der Beklagte eine Vielzahl von verspäteten Anzeigen nicht moniert hätte. Im Übrigen könne der Bescheid hierauf nicht gestützt werden, weil der Beklagte die angeblichen Verstöße bei Erlass des Bescheides nicht angeführt habe.
13Die Kläger beantragt,
14den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2019 aufzuheben.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Widerrufsbescheid. Ergänzend bringt er im Wesentlichen vor: Es sei kein Sicherheitsgewinn in dem behaupteten Verhalten des Klägers zu erkennen, die bereits entladene Waffe wieder unterladen und dann in den Waffentresor gelegt zu haben. Außerdem ergebe sich die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers auch aus zahlreichen Fristverstößen im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Veräußerung bzw. Überlassung von Waffen im Zeitraum zwischen 1985 und 2002, die bei der Durchsicht des Verwaltungsvorgangs im Zuge der Vorbereitung der Klageerwiderung festgestellt worden seien.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs sowie der beigezogenen Strafakte der Staatsanwaltschaft Münster Az. 600 Js 455/18 Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20A. Die als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Polizeipräsidiums Münster vom 22. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21I. Der mit Ziffer 1. des Bescheids verfügte Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers (Waffenbesitzkarten Nr. 00000 bis 00000-00) ist rechtmäßig.
22Rechtsgrundlage des Widerrufs ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Hiernach ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
23Der formell nicht zu beanstandende Widerruf ist materiell rechtmäßig. Es sind nachträglich, das heißt nach Erteilung der Erlaubnisse nach dem Waffengesetz, Tatsachen eingetreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
24Voraussetzung für die dem Kläger erteilten Erlaubnisse nach dem Waffengesetz (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 WaffG) ist unter anderem, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5) besitzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Der Kläger hat die erforderliche Zuverlässigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids,
25vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24.06 -, NVwZ 2007, 1201 = juris, Rn. 35 m.w.N.,
26nicht mehr besessen.
271. Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich zunächst aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG.
28Nach dieser Vorschrift besitzen Personen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden.
29a) Die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist anhand einer umfassenden Einbeziehung und Bewertung aller Tatsachen vorzunehmen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können. Die erforderliche Prognose hat sich am Zweck des Gesetzes zu orientieren, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen, sie namentlich den Anforderungen entsprechend verwahren.
30Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2008 ‑ 6 B 4.08 -, juris, Rn. 5, und vom 12. Oktober 1998 ‑ 1 B 245.97 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr 83 = juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 28.
31Hat ein Waffenbesitzer in diesem Zusammenhang bereits einmal versagt, ist schon dies allein ein gewichtiges Indiz dafür, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen nicht mehr verdient. Eine dahingehende Lebenserfahrung oder ein entsprechender Rechtssatz, dass erst ab dem zweiten Verstoß eine negative Zukunftsprognose angestellt werden kann, existiert nicht.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2013 - 16 A 2255/12 -, juris, Rn. 7.
33Der Mangel der Zuverlässigkeit setzt nicht den Nachweis voraus, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht sorgsam (verantwortungsbewusst) umgehen wird. Vielmehr genügt, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht.
34Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2008 ‑ 6 B 4.08 -, juris, Rn. 5, und vom 2. November 1994 - 1 B 215.93 -, DVBl 1995, 356 = juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 30 f. m.w.N.
35Wird im Rahmen der anzustellenden Prognose von einem gezeigten Verhalten als Tatsache auf das in Zukunft zu erwartende Verhalten des Betroffenen geschlossen, muss im Bereich des Waffenrechts kein Restrisiko hingenommen werden.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 32 f. m.w.N.
37Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes vielmehr nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 -, NJW 2015, 3594 = juris, Rn. 17.
39b) Hieran gemessen rechtfertigen Tatsachen die Annahme, der Kläger werde mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren.
40(aa) Der Kläger ist bereits in der Vergangenheit mit Waffen und Munition unvorsichtig und nicht sachgemäß umgegangen bzw. hat diese nicht sorgfältig verwahrt.
41Vorsichtig ist ein Umgang mit einer Waffe nur dann, wenn alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren Maßnahmen vom Waffeninhaber ergriffen werden, dass eine möglichst geringe Gefahr von der Waffe ausgeht. Hierzu gehört es, die Waffe nach dem Gebrauch stets zu sichern und zu entladen. Eine geladene Waffe darf nicht aus der Hand gelegt werden.
42Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 36 ff.; Heinrich, in: Steindorf, Waffenrecht, 10. Aufl. 2015, § 5 WaffG Rn. 11; Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 14 f. m.w.N.; Bundesverwaltungsamt, Fragenkatalog für die Sachkundeprüfung (gemäß § 7 WaffG), Stand: 13. Juli 2018, Kapitel III. Handhabung von Schusswaffen und Munition, Frage 08 (S. 91); siehe auch BVerwG, Beschluss vom 3. März 2014 - 6 B 36.13 -, NVwZ-RR 2014, 419 = juris, Rn. 5.
43Es widerspricht grundlegenden Vorsichts- bzw. Sorgfaltsmaßgaben im Umgang mit bzw. bei der Aufbewahrung von Waffen und Munition im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG, Waffen in geladenem Zustand aufzubewahren. Das bedeutet, dass sich Munition oder Geschosse weder im Patronen- oder Geschosslager noch im in die Waffe eingefügten Magazin befinden dürfen. Nur bei Beachtung dieser Maßgaben ist sichergestellt, dass Dritten die einfache Wegnahme von Waffen zum schnellen, sofortigen Gebrauch erschwert wird. Die Maßgaben dienen im Übrigen auch dem Schutz des Berechtigten.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 2014 - 6 B 36.13 -, NVwZ-RR 2014, 419 = juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn.44; siehe jetzt auch § 36 WaffG i.V.m. § 13 Abs. 1 und 2 AWaffV sowie § 1 Abs. 4 WaffG i.V.m. Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 2 Nr. 12; vgl. noch BayVGH, Beschluss vom 15. März 2019 - 21 CS 17.2281 -, juris, Rn. 17; VG Hamburg, Urteil vom 18. November 2019 - 9 K 4459/17 -, juris, Rn. 67.
45Diesen Anforderungen ist der Kläger in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht geworden. Dabei kann mit Blick auf seine halbautomatische Pistole des Herstellers Glock, Kaliber .40 S&W, Nr. XXX 000, dahinstehen, ob er die Waffe während der Rückfahrt von der Jagd aus Hersfeld in der Nacht zum 25. Oktober 2018 geladen transportiert hat, wofür unter anderem seine Einlassung gegenüber den Polizeibeamten im Zuge der Wohnungsdurchsuchung spricht. Denn auch auf der Grundlage des von ihm erstmals im laufenden gerichtlichen Verfahren geschilderten Geschehensablaufs, die Pistole erst nach Rückkehr von der Jagd morgens um 4.00 Uhr in Folge einer plötzlich einsetzenden migräneähnlichen Aura durch Einfügung des mit Patronen bestückten Magazins wieder unterladen und mit der Absicht in den Waffenschrank gelegt zu haben, sie bzw. das Magazin nach kurzer, schlafbedingter Regenerationsphase von den Patronen zu trennen und diese dann getrennt voneinander aufzubewahren, genügt sein Verhalten den dargestellten Anforderungen nicht. Der hiergegen gerichtete Einwand des Klägers, es liege kein Verstoß gegen Aufbewahrungspflichten vor, weil es sich mangels (beabsichtigter) Perpetuierung nicht um eine Aufbewahrung im Sinne von § 36 WaffG i.V.m. § 13 AWaffV gehandelt habe, trifft in der Sache nicht zu und geht ohnehin an den oben genannten Anforderungen vorbei. Dabei trägt auch sein Verweis auf § 13 Abs. 9 AWaffV nicht, weil dieser – wie der Kläger selbst einräumt – nur Fälle „außerhalb der Wohnung“ erfasst, in denen – anders als hier – „die Aufbewahrung gemäß den Anforderungen des Absatzes 1 und 2 nicht möglich ist“. Im Übrigen entbindet auch § 13 Abs. 9 AWaffV nicht von der Einhaltung der grundlegenden Vorsichts- bzw. Sorgfaltsmaßgaben, denen der Kläger hier nicht genügt hat.
46Losgelöst vom Vorstehenden ist der Kläger den oben genannten Anforderungen nicht gerecht geworden, indem er in seinem Waffenschrank den Revolver des Herstellers Smith & Wesson, Kaliber .38 Special, Nr. XXX 0000, mit sechs funktionstüchtigen Patronen im Patronenlager in der eingeschwenkten Trommel verwahrt hat. Diesen Umstand kann das Gericht bei seiner Beurteilung angesichts der ihm aufgegeben Überprüfung der objektiven Rechtslage von sich aus berücksichtigen, obwohl der Beklagte den Bescheid nicht hierauf gestützt hat, weil dies weder den Verwaltungsakt in seinem Wesen verändert noch die Rechtsverteidigung des Klägers beeinträchtigt. In der Sache dringt der Kläger nicht mit seinem Einwand durch, er habe den Revolver noch nie in der Hand gehabt und lediglich für seinen Sohn aufbewahrt. Die Aufbewahrungspflichten nach § 36 WaffG i.V.m. § 13 AWaffV knüpfen an den Besitz, d.h. daran an, wer die tatsächliche Gewalt darüber ausübt (vgl. § 1 Abs. 4 WaffG i.V.m. Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 2 Nr. 2). Hiernach war jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Einbringung des Revolvers in seinen Waffenschrank – wohl spätestens im Mai 2018 – ausschließlich der Kläger dafür verantwortlich, die ordnungsgemäße Aufbewahrung der Waffe sicherzustellen. Denn zumindest von da an übte allein dieser die tatsächliche Gewalt über die Waffe aus, da nur er – wie er auf gerichtliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat – die für die Öffnung des Waffenschrankes benötigte Tastenkombination kannte. Jedenfalls unter diesen Umständen änderte auch ein etwaiges vorheriges waffenrechtliches Fehlverhalten seines Sohnes (etwa in Form des Transports und der Einbringung einer geladenen Waffe in den Waffenschrank) nichts an der Verantwortlichkeit des Klägers. Vielmehr traf letzteren die eigenständige Pflicht, den Zustand der Waffe bei Übergang in seinen alleinigen Besitz zu prüfen, um eine den grundlegenden Vorsichts- bzw. Sorgfaltsmaßgaben entsprechende Aufbewahrung gewährleisten zu können.
47(bb) Dieses waffenrechtliche Fehlverhalten trägt unter den hier ersichtlichen Umständen je für sich ohne Weiteres die an den dargelegten Maßstäben ausgerichtete Prognose, der Kläger werde auch in Zukunft mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen bzw. diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren.
48Die Aufbewahrung einer Waffe in geladenem Zustand stellt ein besonders gravierendes waffenrechtliches Fehlverhalten dar. Hiermit hat der Kläger evident höchst bedeutsame und selbstverständliche, zudem keinen nennenswerten Aufwand erfordernde Verhaltensanforderungen im Umgang mit Waffen missachtet, wobei in Bezug auf den Revolver die Dauer des Verstoßes – auf der Grundlage der Angaben des Klägers ist von mindestens einem knappen halben Jahr auszugehen – dessen Gewicht zusätzlich verstärkt. Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, bei der Aufbewahrung der Pistole des Herstellers Glock habe es sich (allenfalls) um eine einmalige situative Nachlässigkeit gehandelt, die zukünftiges Fehlverhalten nicht besorgen lasse. Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger bei seiner Rückkehr von der Jagd tatsächlich plötzlich und unerwartet von einer migräneähnlichen Aura, verbunden mit Übelkeit und sensorischen Wahrnehmungsstörungen (beidseitige Sehstörungen), beeinträchtigt gewesen sein sollte. Denn auch in einem solchen Fall wird von einem Waffenbesitzer erwartet, mit Waffen und Munition in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen, d.h. hier eine geladene Waffe nicht aus der Hand zu legen bzw. Waffen ungeladen aufzubewahren. Dem ist der Kläger nicht gerecht geworden, ohne dass ihm dies aus den geltend gemachten gesundheitlichen Gründen tatsächlich unmöglich gewesen wäre. Vielmehr hat er nach seiner eigenen Darstellung (sogar) das von der Waffe ausgehende Gefahrpotential noch dadurch gesteigert, dass er die bereits entladene Waffe durch Einfügung des mit Patronen bestückten Magazins wieder unterladen und erst dadurch den Verstoß gegen die Aufbewahrungspflichten herbeigeführt hat. Dass diese Entscheidung, wie der Kläger behauptet, auf einer Sicherheitsabwägung beruht haben soll, lässt (zusätzlich) befürchten, dass er auch in Zukunft mit Waffen und Munition nicht jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, weil es belegt, dass er die Gefahren, die vom Umgang mit Waffen ausgehen, nicht richtig einschätzen kann. Auch die weiteren vom Kläger angeführten Umstände lassen die Prognose nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Die nach seiner Darstellung (beabsichtigte) kurze Dauer des Aufbewahrungsverstoßes mindert deren Gewicht angesichts der Schwere des Fehlverhaltens nicht. Auch darauf, dass es hier nicht zu einer Gefährdung Dritter bzw. zu einer Gefahr des Abhandenkommens der Waffe gekommen sei, kommt es im Rahmen der hier anzustellenden Prognose nicht an. Ebenso wenig lässt es unter den hier ersichtlichen Umständen die Befürchtung künftigen Fehlverhaltens entfallen, dass es beim Kläger zuvor zu keinen Beanstandungen in Bezug auf den Waffenbesitz gekommen sei. Schließlich mindert die Bedeutung, die die Jagd für den Kläger nach seinem Bekunden hat, schon deshalb nicht das Risiko künftigen Fehlverhaltens, weil sie auch die waffenrechtlichen Verfehlungen in der Vergangenheit nicht verhindert hat.
492. Darüber hinaus hat der Kläger nach dem Vorstehenden zugleich im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG wiederholt und gröblich gegen die Vorschriften des Waffengesetzes verstoßen.
50Vgl. zum Maßstab näher BVerwG, Urteil vom 26. März 1996 - 1 C 12.95 -, BVerwGE 101, 24 = juris, Rn. 24 f.; OVG NRW, Urteil vom 31. August 2006 - 20 A 524/05 -, juris, Rn. 29 ff. m.w.N.
51Umstände, die im Fall des Klägers eine Ausnahme von der durch § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG „in der Regel“ vermuteten Unzuverlässigkeit begründen, sind angesichts des oben Ausgeführten nicht ersichtlich.
523. Hiernach kommt es auf die vom Beklagten angeführten zahlreichen Fristverstöße im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Veräußerung bzw. Überlassung von Waffen im Zeitraum zwischen 1985 und 2002 nicht mehr entscheidungserheblich an.
53II. Dass die übrigen in dem Bescheid des Polizeipräsidiums Münster vom 22. Januar 2019 getroffenen Regelungen unabhängig von dem ausgesprochenen Widerruf seiner Waffenbesitzkarte rechtswidrig sind, hat der Kläger nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
54B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- § 5 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 7 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 36 WaffG 3x (nicht zugeordnet)
- AWaffV § 13 Aufbewahrung von Waffen oder Munition 4x
- VwGO § 167 1x
- StPO § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung 1x
- VwGO § 42 1x
- VwGO § 113 1x
- § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 10 Abs. 1 Satz 1 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 4 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 600 Js 455/18 2x (nicht zugeordnet)
- 20 A 419/11 5x (nicht zugeordnet)
- 16 A 2255/12 1x (nicht zugeordnet)
- 9 K 4459/17 1x (nicht zugeordnet)
- 20 A 524/05 1x (nicht zugeordnet)