Urteil vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (3. Kammer) - 3 K 237/21.NW
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Zuweisung einer weiteren Hausnummer für sein Wohngebäude.
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Der Kläger ist Sondereigentümer des Grundstücks (Fnr.) … („H…..“) im Gemeindegebiet der Beklagten. Weitere Sondereigentümerin ist Frau B…. Der Kläger und Frau B… erwarben das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 10.12.1997 zunächst als Miteigentümer je zur Hälfte. Im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs befand sich im östlichen Bereich des Grundstücks bereits ein Wohngebäude, das von dem Kläger als „….“ bezeichnet wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde auf dem westlichen Bereich des Grundstücks eine weitere Bebauung zu Wohnzwecken errichtet, die von dem Kläger als „…“ bezeichnet wird.
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Mit notariellem Vertrag vom 15.9.2005 begründeten der Kläger und Frau B… Wohnungseigentum mit Miteigentumsanteilen zu je ½ (5 K 17/20.NW, Bl. 180 dA). Das Sondereigentum an den im Aufteilungsplan (5 K 17/20.NW, Bl. 187 dA) mit der Nr. .. bezeichneten östlichen Räumen im Erd- und Dachgeschoss steht Frau B… zu. Die dort mit der Nr. … bezeichneten westlichen Räume im Erd- und Dachgeschoss sind dem Sondereigentum des Klägers zugeordnet. Die jeweils dem Kläger und Frau B… zugeordneten Räume bilden eigene Baukörper, die über einen gemeinsamen Hauseingang in Form eines Windfanges verfügten. Der Hauseingang steht im Gemeinschaftseigentum. Es ist zurzeit nicht möglich, vom westlichen Gebäudeteil in den östlichen Gebäudeteil zu gelangen, da beide Gebäudeteile durch eine vom Kläger errichtete Mauer voneinander abgetrennt sind. Nach Angaben des Klägers gelangt Frau B… über ein Fenster in das Gebäude. Zur Verdeutlichung der örtlichen Situation wird auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 21.4.2021 – 5 K 17/20.NW – und den dortigen Lageplan verwiesen (5 K 17/20.NW, Bl. 418 dA).
- 4
Von Norden aus gesehen befindet sich rechts der Hauseingangstür – und damit an der Fassade des westlichen Gebäudeteils – ein Briefkasten, auf dem die Zahl “…“ angebracht ist, was der Hausnummer entspricht, die dem Grundstück von der Beklagten zugeteilt wurde.
- 5
Eine Satzung gemäß § 88 Abs. 1 Satz 5 Landesbauordnung über die Anbringung, Gestaltung und Zuteilung von Hausnummern besteht für das Gemeindegebiet der Beklagten nicht.
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Am 9.4.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zuweisung einer (weiteren) Hausnummer für das von ihm so bezeichnete, westliche Wohngebäude.
- 7
Mit Bescheid vom 10.4.2019, dem Kläger zugestellt am 13.4.2019 wurde der Antrag abgelehnt.
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Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 13.5.2019, eingegangen bei der Beklagten am Dienstag, den 14.5.2019, Widerspruch ein, den er wie folgt begründete: Auf dem in seinem Miteigentum stehenden Grundstück befänden sich zwei Gebäude, weshalb er einen Anspruch auf Zuteilung von zwei Hausnummern habe und dem von ihm so bezeichneten westlichen Gebäude eine erstmalige Hausnummer zuzuteilen sei. Dadurch, dass die Beklagte sowohl dem westlichen als auch dem östlichen Gebäude dieselbe Hausnummer zuteile, handele sie willkürlich. Die Verweigerung der Beklagten verstoße zudem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da es im Gemeindegebiet ähnlich gelagerte Fälle gebe, in denen im Falle von zwei Wohngebäuden auf einem Flurstück jeweils eine eigene Hausnummer zugewiesen worden sei. Die von der Beklagten in Bezug auf die Auffindbarkeit gegebene Begründung leuchte nur ein, wenn sich auf dem Grundstück nur ein einziges Wohngebäude befände, was nicht der Fall sei. Die Zuteilung einer weiteren Hausnummer sei aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten, da im Falle von Notrufen der Sondereigentümerin B… Eigentum sowie Leib und Seele von Bewohnern und Besuchern des in seinem Sondereigentum stehenden westlichen Wohngebäude gefährdet seien. Insbesondere könnte am falschen Wohngebäude eine Notfalltüröffnung durchgeführt werden und dieses Wohngebäude nach der hilflosen Person durchsucht werden.
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Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2021 wies der Kreisrechtsausschuss bei der Kreisverwaltung Donnersbergkreis den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Hausnummern dienten der Kennzeichnung von Grundstücken und seien unter Beachtung der Gesichtspunkte des Rettungswesens, Meldewesens, der Postzustellung und der Erfordernisse einer geordneten Verwaltung zu vergeben. In der Regel erhalte jedes bebaute oder gewerblich genutzte Grundstück eine Hausnummer. Für ein Grundstück könnten auch mehrere Hausnummern festgesetzt werden, so bei Eckgrundstücken, bei mehreren Zugängen auf besonders großen Grundstücken oder bei mehreren zur selbständigen Nutzung bestimmten Gebäuden auf einem Grundstück. Die Zuteilung (nur) einer Hausnummer sei in diesen Fällen also nicht zwingend. Diese Pflicht betreffe bebaute und unbebaute Grundstücke, denn das Gesetz spreche von Grundstücksnummern und nicht von Hausnummern. Es sei auch unerheblich, ob das Grundstück vor oder nach dem Inkrafttreten des BBauG oder des BauGB erschlossen worden sei. Als weitere Kriterien bei der Zuteilung von Hausnummern bei Wohnhäusern mit mehreren Eingängen bzw. Treppenhäusern, zwischen denen keine allgemein zugängliche Verbindung bestehe, könne festgelegt werden, dass jeder Eingang eine besondere Nummer erhalte. Umnummerierungen seien auf das unumgänglich notwendige Maß zu beschränken. Sie seien nur dann durchzuführen, wenn Straßenneu- und –umbenennungen es erforderten, die vorhandene Nummerierung fehlerhaft sei und zu Unzuträglichkeiten führe, Umbauten eine andere Nummerierung erforderlich machten oder Neubauten nicht mehr in die vorhandene Nummerierung eingegliedert werden könnten. Die dieser Pflicht zugrundeliegende gemeindliche Organisationsmaßnahme sei zwar ein sog. dinglicher Verwaltungsakt, der für sich genommen nicht auf eine Belastung oder Begünstigung Dritter ziele und gleichsam adressatenlos sei. Ein Anlieger könne indes gegenüber einer Verfügung im Sinne des § 35 VwVfG geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein, wenn die Gemeinde ihm gegenüber ihr planerisches Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Einen solchen Ermessensfehler habe der Kläger nicht aufgezeigt. Das von der Beklagten verfolgte Konzept der Ordnung von Anschriften und Hausnummern zur Erreichung der oben genannten Zwecke beruhe auf einem sachgerechten Ansatz. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstzuteilung einer Hausnummer, weil das von ihm bewohnte Gebäude bereits über eine Hausnummer verfüge. Anknüpfungspunkt für die Zuteilung einer Grundstücksnummer sei nach dem Wortlaut des § 126 BauGB das Grundstück, unerheblich ob bebaut oder unbebaut. Danach gehe der Gesetzgeber davon aus, dass die Ordnungsfunktion, die mit dieser Regelung verfolgt werde, auch gegeben sei, wenn zwei oder mehrere Gebäude auf einem Grundstück auflägen und hierfür (nur) eine Nummer vergeben werde. Dies decke sich auch mit den Aussagen der hierzu befragten Polizei, die mitgeteilt habe, dass sie im Einzelfall zum Ort des Einsatzes finden würde. Im Umkehrschluss ergebe sich dies auch aus der praktizierten Vorgehensweise bei Grundstücken, die zu betrieblichen Zwecken genutzt würden: Mehrere Baulichkeiten auf einem Grundstück, gleich welcher Größe, die zu Betriebszwecken genutzt würden, könnten unter einer Nummer erfasst werden. In diesen Fällen werde in der Regel der Eingang zur Hauptverwaltung nummeriert. Hierunter könnten im Einzelfall ganze Gebäudekomplexe fallen. Könnten also ganze großflächige Bereiche mit vielen Gebäuden unter einer Nummer zusammengefasst werden, sei es erst Recht zulässig, einem relativ kleinen Grundstück mit überschaubarer Bebauung, wie im vorliegenden Fall, (nur) eine Nummer zuzuweisen. Aus diesem Grund könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Bebauung des Grundstücks um ein Gebäude oder um mehrere einzelne Gebäude handele oder diese Gebäude getrennt seien oder nicht. Jedenfalls habe der Kläger selbst vorgetragen und durch die bei der Sitzung des Kreisrechtsausschusses vorgelegten Lichtbilder auch gezeigt, dass der westliche Teil der Grundstücksbebauung einen Hauseingang besitze und baulich vom östlichen Teil getrennt sei und dieser westliche Teil die Grundstücksbezeichnung „H…“ trage. Auf dem Lichtbild sei, ohne dass es hierauf ankomme, zu erkennen, dass auf dem Briefkasten die Ziffer 4 aufgebracht worden sei. Gleichzeitig habe der Kläger vorgetragen, dass die östliche Grundstücksbebauung keinen eigenen Hauseingang habe und die dortige Bewohnerin wohl über ein Fenster in dieses Gebäude gelange. Damit stehe fest, dass auch unter der Annahme, dass der westliche Teil der Grundstücksbebauung eine eigene Hausnummer erhalten müsse, dies bereits geschehen sei. Ob es sich dabei um eine Erst- bzw. Neuerteilung, Umnummerierung oder etwas Sonstiges handele, sei unerheblich.
- 11
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids (9.2.2021) hat der Kläger am 9.3.2021 die vorliegende Klage erhoben.
- 12
Der Kläger wiederholt seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor): Bescheid und Widerspruchsbescheid beruhten auf einer Scheinbegründung, Willkür, Amtsmissbrauch, „Aktenverfälschung“, „Urkundenverfälschung“, „Verletzung des Rechts auf öffentliches Gehör nach Art. 103 GG zu Lasten Dritter im Amt“ und der „Zersetzung der Rechtsstaatlichkeit“. Die von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten seien unvollständig. Zwischen dem von dem Kläger so bezeichneten westlichen Gebäude und dem von ihm so bezeichneten östlichen Gebäude befinde sich ein schmaler Schlitz.
- 13
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.4.2019 und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 5.2.2021 zu verpflichten, dem westlichen Gebäudeteil auf dem Grundstück Fnr. … eine Hausnummer erstmalig zuzuteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 17
Sie verweist zur Erwiderung auf ihren bisherigen Vortrag.
Entscheidungsgründe
- 19
Der Klage bleibt der Erfolg versagt.
- 20
Dabei geht die Kammer davon aus, dass sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers ausweislich seiner insoweit eindeutigen Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2021 ausschließlich auf (Neu-) bzw. erstmalige Zuteilung einer Hausnummer für den von ihm bewohnten westlichen Gebäudeteil und damit gegen den Bescheid vom 10.4.2019 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 5.2.2021 richtet. Die so verstandene Klage ist aus mehreren Gründen bereits unzulässig (A.). Selbst bei hilfsweise unterstellter Zulässigkeit hat sie keinen Erfolg (B).
A.
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Die statthafte Verpflichtungsklage ist unzulässig, da der Kläger das erforderliche Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat (1.). Darüber hinaus fehlt der Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (2.) und verfügt der Kläger auch nicht über die erforderliche Klagebefugnis (3.).
- 22
1) Der Kläger hat die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, binnen derer nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts Widerspruch zu erheben ist, nicht gewahrt. Der gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 10.4.2019 ausweislich des insoweit eindeutigen Posteingangsstempels der Verbandsgemeindeverwaltung Winnweiler am 14.5.2019 mit einfachem Brief erhobene Widerspruch war verfristet. Die Widerspruchsfrist begann nach Bekanntgabe des Bescheids vom 10.4.2019, die ausweislich der entsprechenden Angabe des Klägers im Widerspruchsverfahren am 13.4.2019 erfolgte, gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am 14.4.2019 zu laufen und endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 1 BGB am 13.5.2019. Der am 14.5.2019 erhobene Widerspruch – maßgeblich ist der Eingangsstempel der Behörde (OVG RP, Beschluss vom 29.10.2020 – 6 A 10198/20.OVG) – vermochte die Frist danach nicht zu wahren. Eine frühere Widerspruchserhebung erfolgte ausweislich des klägerischen Schreibens vom 6.5.2019 ausdrücklich nicht.
- 23
Der Kreisrechtsausschuss konnte sich im konkreten Fall auch nicht über die Verfristung des Widerspruchs hinwegsetzen.
- 24
Zwar eröffnet nach der vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen, allerdings vom überwiegenden Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur nicht oder nur eingeschränkt geteilten Rechtsauffassung die sachliche Bescheidung eines verspätet erhobenen Widerspruchs die verwaltungsgerichtliche Klagemöglichkeit. Die sachliche Bescheidung eines verfristeten Widerspruchs durch die Widerspruchsbehörde eröffnet indes jedenfalls dann nicht die Klagemöglichkeit, wenn – wie hier – Ausgangs- und Widerspruchsbehörde bei eingeschränkter Prüfungs- und Entscheidungskompetenz letzterer verschiedenen Rechtsträgern angehören (vgl. zum Ganzen: OVG RP, Urteil vom 12.1.1993 – 6 A 10374/92.OVG). So liegt der Fall hier. Denn der zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Kreisrechtsausschuss, der in der Trägerschaft des Donnersbergkreises steht, ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – dann, wenn der angefochtene Bescheid der Erstbehörde in Wahrnehmung einer Selbstverwaltungsaufgabe ergangen ist, auf eine bloße Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt. Ihm ist also eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit und damit auch die Ausübung eigenen Ermessens anstelle desjenigen der Ausgangsbehörde verwehrt. Dies verbietet zwingend auch eine als solche zu qualifizierende Ermessensentscheidung über die Frage, ob er, der Kreisrechtsausschuss, sich auf eine Fristversäumnis berufen will oder nicht. Diese Befugnis steht in Selbstverwaltungsaufgaben allein der Erstbehörde, vorliegend der beklagten Ortsgemeinde, zu. Anhaltspunkte dafür, dass im Verhalten der Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren eine als Verzicht auf die Einhaltung der Widerspruchsfrist zu wertende rügelose Einlassung zur Sache zu erblicken ist, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kreisrechtsausschuss im Widerspruchsbescheid vom 5.2.2021 die sachliche Bescheidung des verfristeten Widerspruchs nicht mit einer diesbezüglichen rügelosen Einlassung der Beklagten zur Sache, sondern überhaupt nicht begründet. Erweist sich die Klage danach bereits als unzulässig, ist der Kammer eine Sachentscheidung verwehrt (OVG RP, Urteil vom 12.1.1993, a.a.O.).
- 25
2) Der Verpflichtungsklage fehlt darüber hinaus das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da dem von dem Kläger bewohnten Teil des auf dem Anwesen „H….“ errichteten Wohngebäude bereits eine Hausnummer zugeordnet ist. Das von dem Kläger und Frau B… bewohnte Gebäude verfügt über nur einen Hauseingang, der im gemeinsamen Eigentum der beiden steht. Dieser bietet Zugang ausschließlich zu dem von dem Kläger bewohnten, westlichen Teil des Gebäudes, der vom östlichen Teil des Gebäudes, der von Frau B… bewohnt wird, baulich getrennt ist. Ausweislich der in der Verwaltungsakte und in der Akte in dem Verfahren 5 K 17/20.NW vor dem Verwaltungsgericht Neustadt (5 K 17/20.NW, Bl. 294 dA) befindlichen Lichtbilder ist an dem im gemeinsamen Eigentum stehenden Hauseingang ein Briefkasten befestigt, an dem die Nummer „…“ und damit die Hausnummer angebracht ist, die von der Beklagten dem Gesamtgrundstück zugeordnet wurde. Während Frau B… ausweislich der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21.4.2021 in dem Verfahren 5 K 17/20.NW vor dem Verwaltungsgericht Neustadt (5 K 17/20.NW, Bl. 392 dA) durch ein Fenster in den von ihr bewohnten, östlichen Gebäudeteil gelangt, kann der Kläger Zugang zu dem in seinem Sondereigentum stehenden, westlichen Gebäudeteil über die vorbezeichnete Hauseingangstüre nehmen. Damit besteht aus Sicht eines objektiven Empfängers eine Zuordnung der von der Beklagten für das Grundstück Fnr. … vergebenen Hausnummer „…“ zuvörderst für den von dem Kläger bewohnten Teil des Gebäudes. Dementsprechend ist aus Sicht der Kammer auch eine entsprechende Ordnungsfunktion und Auffindbarkeit jedenfalls des im Sondereigentum des Klägers stehenden Gebäudeteils gewährleistet. Die von dem Kläger in Bezug auf die Gefahrenabwehr geäußerten Bedenken teilt die Kammer nicht. So dürfte eine versehentliche Notfalltüröffnung und ein versehentliches Eindringen von Rettungskräften in den von ihm bewohnten Teil des Gebäudes bei einem von Frau B… abgesetzten Notruf dem allgemeinen Lebensrisiko entsprechen, welches sich auch im Falle anderer, von mehreren Parteien bewohnten Wohngebäuden realisieren kann. Diesem Risiko kann der Kläger darüber hinaus ohne weiteres selbst durch die Anbringung seines weithin lesbaren Namenszuges auf der Hauseingangstüre und/oder des Hinweises entgegenwirken, dass die Eingangstür einen Zugang zu dem von Frau B… bewohnten Gebäudeteil nicht bietet und dieser vielmehr durch eine bestimmte Fensteröffnung zu nehmen ist. Im Hinblick auf Ordnungsfunktion und Gefahrenabwehr könnte damit allenfalls die Sondereigentümerin B…. in Bezug auf den von ihr bewohnten Gebäudeteil einen etwaigen Anspruch auf (Neu-)Zuteilung einer Hausnummer geltend machen. Diesen Anspruch müsste Frau B… indes in einem gesonderten Verfahren verfolgen. Anhaltspunkte für eine gewillkürte Prozessstandschaft des Klägers sind weder dargetan, noch ersichtlich. Diese erwiese sich in der hier streitgegenständlichen Konstellation der Verpflichtungsklage ohnehin als unzulässig, § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, vor § 40 Rn. 25 m.w.N.).
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3) Entsprechend der vorstehenden Erwägungen ist der Kläger im konkreten Fall auch nicht klagebefugt. Bei der Bezeichnung der Grundstücke einer Gemeinde mit Hausnummern handelt es sich um eine Organisationsmaßnahme im Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung, § 2 Abs. 1 Gemeindeordnung - GemO (OVG RP, Urteil vom 22.2.2005 – 7 A 11002/04.OVG; VG NW, Urteil vom 10.3.2021
– 3 K 676/20.NW), die dem Interesse der Allgemeinheit an einer klar erkennbaren Gliederung des Gemeindegebiets dient und Bedeutung für Meldewesen, Polizei, Post, Feuerwehr und Rettungsdienst hat. Dem einzelnen Eigentümer werden hierdurch keine Befugnisse oder Rechtsstellungen verliehen, die er der erstmaligen Zuteilung einer Hausnummer durch die Gemeinde oder der Änderung einer Hausnummer entgegensetzen könnte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6.12.2011
– 8 ZB 11.1676). Abweichungen von diesem Grundsatz kommen allenfalls dann in Betracht, wenn einem Grundstück bisher noch keine Hausnummer zugeteilt wurde (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 30.1.2018 – W 4 K 17.815). Dies ist jedoch weder in Bezug auf das Grundstück Fnr. 79/3, noch in Bezug auf den von dem Kläger bewohnten, westlichen Teil des Wohngebäudes der Fall, weshalb ein zugunsten des Klägers diesbezüglich bestehendes, subjektiv-öffentliches Recht unter keinem denkbaren Gesichtspunkt anzuerkennen ist.
B.
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Die Zulässigkeit der Klage hilfsweise unterstellt, erweist sich diese jedenfalls als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.4.2019 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 5.2.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –). Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf (Neu-)Zuteilung einer (weiteren) Hausnummer für das Grundstück Fnr. … („H…“).
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1) § 126 Abs. 3 BauGB scheidet als Rechtsgrundlage eines möglichen Anspruchs auf Zuteilung einer Hausnummer von vorneherein aus. Danach hat der Eigentümer sein Grundstück mit der von der Gemeinde festgesetzten Nummer zu versehen. Diese Vorschrift regelt lediglich die Verpflichtung eines Bauherrn, die Anbringung einer Hausnummer zu dulden. Sie begründet keinen Anspruch auf Festsetzung einer Hausnummer, sondern setzt die Festsetzung zur Begründung der Folgepflicht des Eigentümers voraus (Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.8.2010 – 3 L 592/08). Die Nummerierung im Einzelnen richtet sich hingegen nach den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen (vgl. VG Würzburg, a.a.O.).
- 29
2) Ein möglicher Anspruch könnte sich allenfalls aus § 2 Abs. 1 GemO (s.o.) ergeben, wenn die Verletzung von geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Ein Anspruch auf Einschreiten im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null setzt dabei zunächst das Vorliegen einer hinreichend konkreten Gefahr voraus. Diese wäre dann anzunehmen, wenn die schnelle Auffindbarkeit und Identifizierbarkeit des Grundstücks insbesondere für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste nur durch Zuteilung einer weiteren Hausnummer gewährleistet wäre. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. So verfügt das Grundstück bereits über eine Hausnummer. Ausweislich der von dem Kreisrechtsausschuss in der Begründung des Widerspruchsbescheids zitierten Auskunft der zuständigen Polizeibehörde, bestand auch weder in der Vergangenheit, noch bestehen gegenwärtig wie auch immer geartete Schwierigkeiten, zur Abwendung einer Gefahrenlage zu dem klägerischen Grundstück zu gelangen. Selbst wenn man in diesem Zusammenhang allein auf den von dem Kläger bewohnten Gebäudeteil abstellte, ist dieser nach den vorstehenden Ausführungen durch die auf dem Briefkasten aufgebrachte Hausnummer hinreichend identifizier- und auffindbar. Die Frage, ob eine andere Bewertung dann in Betracht käme, wenn sich auf dem Grundstück tatsächlich zwei separate Gebäude befänden und nur eines der beiden über eine Hausnummer verfügte und dies dazu führen würde, dass eine eindeutige Identifikation und Auffindbarkeit des zweiten, unnummerierten Gebäudes nicht möglich wäre, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, da es sich bei den beiden Gebäudeteilen nicht um zwei separate Gebäude handelt. Das OVG Rheinland-Pfalz hat dazu in seinem Beschluss vom 22.7.2020 – 8 D 1071/20.OVG – Folgendes ausgeführt:
- 30
„Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO sind Gebäude „selbstständig benutzbare, überdeckte, bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen.“ Die selbstständige Benutzbarkeit wird im Regelfall dadurch dokumentiert, dass die bauliche Anlage einen eigenen Eingang besitzt (so: Jeromin, LBauO, 4. Aufl. 2016, § 2 Rn. 33; für das Vorliegen selbstständiger Reihenhäuser: OVG RP, Beschluss vom 28. Januar 2016
– 8 B 11203/15.OVG –, BauR 2016, 791 und juris, Rn. 16; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 22, Rn. 6.1). Im vorliegenden Fall verfügen beide, jeweils im Sondereigentum stehende Baukörper nur über einen gemeinsamen Hauseingang, weshalb sie nicht als selbstständige Gebäude in Erscheinung treten.“
- 31
Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Dabei kann dahinstehen, ob sich zwischen den Gebäuden ein schmaler Schlitz befindet. Unabdingbare Voraussetzung für die selbstständige Benutzbarkeit eines Gebäudes ist dessen Betretbarkeit mittels eines eigenen Zugangs. Dieser muss groß genug sein, damit Menschen die Anlage in natürlicher, aufrechter Haltung betreten können. Dies ist bei einem Einsteigen durch ein Fenster offensichtlich nicht der Fall (vgl. zum Ganzen: VG NW, Urteil vom 21.4.2021 – 5 K 17/20.NW m.w.N.). Damit ist zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Bezug auf solche Grundstücke im Gemeindegebiet ausgeschlossen, auf denen tatsächlich mehrere Wohngebäude errichtet sind.
- 32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt den §§ 167 VwGO, 708 ff. Zivilprozessordnung.
Beschluss
- 34
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
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