GeB vom Verwaltungsgericht Regensburg - RO 5 K 20.1192

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 9.6.2020 (Az.: …*) rechtswidrig gewesen ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4.

III.Der Gerichtsbescheid ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 9.6.2020, mit dem die Erteilung einer Befreiung von der Absonderungspflicht nach der damals geltenden Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung in der Gültigkeit vom 16.5.2020 bis 15.6.2020 - EQV) rechtswidrig war.

Der in … wohnhafte Kläger hielt sich aufgrund einer Delegation seines Arbeitgebers seit 29.04.2017 in P* …, Malaysia auf. Da der Kläger eine Rückkehr an seinen Wohnsitz in … plante, beantrage er mit E-Mail vom 27.5.2020 noch in P* … bei dem Gesundheitsamt … die Befreiung von der Absonderungspflicht nach § 1 Abs. 1 EQV. Der Kläger beruft sich darin auf ein stabiles Infektionsgeschehen in P* … Es habe dort seit dem 26.4.2020 keine neu gemeldeten Infektionen mehr gegeben und seit dem 4.5.2020 sei kein einziger positiver Fall mehr in P* … gemeldet worden. Der Kläger habe sich seit dem Lockdown ab 18.3.2020 ausschließlich in P* … aufgehalten.

Mit E-Mail vom 2.6.2020 wurde der Kläger auf die Absicht des Landratsamtes, den Antrag ablehnen zu wollen, hingewiesen. Ihm wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum 4.6.2020 gesetzt.

Mit Bescheid vom 9.6.2020, nach Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 15.6.2020, lehnte das Landratsamt Schwandorf den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Quarantäneverpflichtung ab. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 7.7.2020, bei Gericht eingegangen am 9.7.2020, ließ der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben. Zur Begründung wird - wie bereits im Antrag - auf das zum Zeitpunkt der Antragstellung vorherrschende Infektionsgeschehen in P* … hingewiesen. Außerdem seien nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen wesentliche Teile der dortigen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus in Bezug auf Ein- und Rückreisende nach einer Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren voraussichtlich rechtswidrig. Gemäß dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen sei der Verordnungsgeber gehalten, dem tatsächlichen Infektionsgeschehen Rechnung zu tragen und eine differenzierte Regelung zu erlassen.

Der Umstand, dass es in P* … keine neu gemeldeten Infektionen mehr gegeben habe und kein einziger positiver Fall verzeichnet worden sei, stelle einen triftigen persönlichen Grund für die Erteilung einer Befreiung von der Absonderungspflicht dar. Ein begründeter Einzelfall im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV liege vor, eine Absonderung sei nicht mehr notwendig gewesen. Ein negativer „Coronatest“ oder eine ärztliche Untersuchung auf Covid-19 seien ausreichend, um eine Nicht-Infektion nachzuweisen und somit die Anordnung einer Absonderung zu vermeiden.

Weiterhin ergebe sich das besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse daraus, dass der Kläger beabsichtige Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Auch habe die angeordnete Einreise-Quarantäne diskriminierende Wirkung und sei mit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff verbunden. Auch daraus ergebe sich ein Feststellungsinteresse. Eine gerichtliche Kontrolle müsse nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 19 Abs. 4 GG trotz fehlender aktueller Beschwer möglich sein. Zudem bestehe eine Wiederholungsgefahr, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger in absehbarer Zeit aufgrund des arbeitsrechtlichen Weisungsverhältnisses in ein Gebiet geschickt werde, das während des Aufenthaltes als Risikogebiet qualifiziert werde.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass der Ausgangsbescheid des Beklagten vom 9.6.2020 rechtswidrig gewesen ist und der Beklagte dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV in der im Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung geltenden Fassung hätte erteilen müssen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei bereits unzulässig. Ein irgendwie geartetes Feststellungsinteresse liege nicht vor. Ein Rehabilitationsinteresse, eine Diskriminierung und eine Wiederholungsgefahr seien nicht ersichtlich. Im Hinblick auf eine Absicht des Klägers, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, werde ein berechtigtes Feststellungsinteresse nur dann anerkannt, wenn die Erledigung des Verwaltungsaktes erst nach Klageerhebung eingetreten sei. Nur dann rechtfertige der von einem Kläger in Bezug auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bereits entfaltete Aufwand die Fortführung der Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage, obwohl die Rechtmäßigkeit der Maßnahme auch von den ordentlichen Gerichten im Rahmen eines vor ihnen geltend gemachten Schadensersatzanspruches überprüft werden könne.

Weiterhin sei die Entscheidung des Oberveraltungsgerichts Nordrhein-Westfalen nicht auf das gegenständliche Verfahren anzuwenden. Bei der EQV handle es sich um eine bayerische Verordnung, die zudem einen anderen Wortlaut als die nordrhein-westfälische Regelung aufweise.

Neben einer Symptomfreiheit seien für eine Befreiung von der Absonderungspflicht zudem triftige berufliche oder persönliche Gründe erforderlich. Dies zeige ein Blick auf die gesetzlichen Ausnahmen nach § 2 Abs. 1 EQV. Allein der Umstand, dass kein einziger aktiver Fall im betroffenen Gebiet gemeldet worden sei, stelle noch keinen Grund für eine Ausnahme dar. Die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes stehe fest. Dem Kläger sei es nicht gelungen einen schlüssigen Grund vorzubringen, der eine Erteilung der beantragten Befreiung rechtfertigen könne.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt des Gerichtsakts und des vorgelegten Behördenakts Bezug genommen.

Gründe

Gemäß § 84 Abs. 1 VwGO konnte das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Klage ist begründet, soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids begehrt. Soweit er dagegen die Feststellung begehrt, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Ablehnung des Befreiungsantrags verpflichtet war, dem Kläger die beantragte Befreiung zu erteilen, ist sie unbegründet.

1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in (doppelt) analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in analoger Anwendung sowohl im Hinblick auf die ursprüngliche Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage als auch im Hinblick auf die Erledigung des Klagebegehrens vor Klageerhebung die statthafte Klageart. Im Hinblick auf den Streitgegenstand der als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführten Verpflichtungsklage stellt das Gericht im Fall der Spruchreife im Zeitpunkt der Erledigung (Fall des § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) fest, ob der versagende Bescheid rechtswidrig war und dem Kläger der begehrte Anspruch zum genannten Zeitpunkt zustand. Ist die mit dem Verpflichtungsantrag verfolgte Sache nicht spruchreif (Fall des § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) kann im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung begehrt werden, dass der versagende Bescheid rechtswidrig und die Behörde im Zeitpunkt der Erledigung zur (Neu-)Bescheidung verpflichtet war (ausführlich zur doppelt analogen Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bei Verpflichtungsklagen, wenn die Erledigung vor Klagerhebung eingetreten ist: BVerwG, U.v. 25.7.1985 - 3 C 25.84 - juris Rn. 38 f.; SchochKoVwGO/Riese, 41. EL Juli 2021, VwGO § 113 Rn. 98 f m.w.N. aus Rspr. und Lit.).

Zulässig ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Hinblick auf die Ablehnung des Erlasses eines Verwaltungsakts - hier einer Befreiung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV -, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an dieser Feststellung hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein und sich insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss geeignet sein, die betroffene Position des Klägers zu verbessern (BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 2 C 27.15 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Hier ist das Feststellungsinteresse nach Auffassung der entscheidenden Kammer jedenfalls aus dem Aspekt der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung, die durch die Versagung der beantragten Befreiung bewirkt wird, gegeben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in einem aktuellen Urteil vom 26.7.2022 (20 B 22.29, 20 B 22.30 - BeckRS 2022, 19876 Rn. 42) für den Fall einer sich erledigenden Absonderungsanordnung Folgendes aus:

„Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG, U. v. 12.11.2020 - 2 C 5.19 -- BVerwGE 170, 319). Um einen gewichtigen, sich typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff handelt es sich bei den Absonderungsanordnungen. Denn die grundsätzlich erforderliche Befristung einer Quarantäne beschränkt sich regelmäßig auf die Dauer des Krankheits- bzw. Ansteckungsverdachts und damit auf einen so kurzen Zeitraum, dass wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache - den Art. 19 Abs. 4 GG aber grundsätzlich gebietet (vgl. nur BVerfG, B.v. 22.11.2016 - 1 BvL 6/14 u.a. - juris Rn. 25 ff.; vgl. auch Sachs in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 146a) - nicht mehr zu erlangen ist. Bei der Quarantäneanordnung handelt es sich um einen erheblichen Eingriff in die Freiheitsgrundrechte der Kläger aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. VG Koblenz, U.v. 10.1.2022 - 3 K 385/21.KO - BeckRS 2022, 2814). Absonderungsanordnungen stellen wie Ausgangssperren jedenfalls Freiheitsbeschränkungen dar (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 - juris Rn. 240 f., a.A. wohl BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris Rn. 42 f.). Der auf die Betroffenen wirkende psychische Zwang ist bei der Absonderungsanordnung aufgrund der Bußgeldandrohung des § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro (§ 73 Abs. 2 IfSG), der drohenden Zwangsunterbringung nach § 30 Abs. 2 IfSG bei Verstößen gegen die Absonderung und der weitgehend fehlenden sachlichen und/oder zeitlichen Durchbrechung des grundsätzlichen Ausgangsverbots als hoch zu bewerten, denn Kontaktpersonen der Kategorie I, Verdachtspersonen und positiv getestete Personen durften während der gesamten, i.d.R. bis zu vierzehn Tage umfassenden Zeit der Isolation die Wohnung nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes verlassen. Lediglich der zeitweise Aufenthalt in einem zur Wohnung gehörenden Garten, einer Terrasse oder eines Balkons war ohne eine vorherige Zustimmung des Gesundheitsamtes allein gestattet (vgl. Nrn. 2.1 bis 2.5 der Allgemeinverfügung). Ob diese Einschränkungen sogar für die Annahme einer Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG genügen und damit dem Richtervorbehalt unterliegen (so Nr. 7.3.2.7 des Berichts des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG), kann dahinstehen, da bereits eine Freiheitsbeschränkung einen schweren Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt. Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, ob die Eingriffe in die Grundrechte der Kläger aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 - a.a.O.) als schwerwiegend zu beurteilen sind.“

Diese Überlegungen können auf den vorliegenden Fall vollumfänglich übertragen werden. Es handelt sich um die gleiche Fallkonstellation mit umgekehrtem Vorzeichen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV waren Personen, die aus einem Staat außerhalb der in Abs. 4 genannten Staatengruppe in den Freistaat Bayern einreisten, verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. Ausgenommen waren Einreisende aus solchen Staaten, für die das Robert Koch-Institut (RKI) aufgrund der dortigen epidemiologischen Lage die Entbehrlichkeit von Schutzmaßnahmen in Bezug auf Ein- und Rückreisende ausdrücklich festgestellt hatte (§ 1a Abs. 1 EQV). Insoweit ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass Malaysia zum fraglichen Zeitpunkt zu den quarantänepflichtigen Staaten gehörte. Der Kläger war daher grundsätzlich den gleichen Einschränkungen unterworfen, wie eine Person, die durch Absonderungsanordnung einer Quarantäne unterworfen wurde. Ein Verstoß gegen die Quarantäneverpflichtung nach § 1 Abs. 1 EQV war nach § 3 Nr. 1 EQV i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 24, Abs. 2 Hs. 2 IfSG ebenso wie ein Verstoß gegen eine Absonderungsanordnung mit einer Geldbuße bis zu 25.000 EUR bedroht. Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof dargestellten Grundrechtseingriffe wurden jedoch dann nicht ausgelöst, wenn der Betroffene Einreisende gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV eine Befreiung von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erhielt. Danach konnte die zuständige Kreisverwaltungsbehörde in begründeten Einzelfällen auf Antrag eine Befreiung von der Quarantäneverpflichtung erteilen. Eine rechtswidrige Versagung einer Befreiung von der Quarantäneverpflichtung der EQV hatte somit die gleichen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe zur Folge, wie eine rechtswidrige Absonderungsanordnung.

Allerdings gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in Rechte des Betroffenen nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, um die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern. Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nur zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende, Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 32). Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Bei freiheitsentziehenden Haftanordnungen - etwa zur Vorbereitung der Ausweisung - nimmt die Rechtsprechung etwa ein Rechtsschutzinteresse in Fällen an, in denen die Haftdauer auf sechs Wochen begrenzt ist, da das Recht der Freiheit der Person unter den grundrechtlich verbrieften Rechten einen besonders hohen Rang einnimmt (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00 - juris Rn. 36 f. m.w.N.).

Nach Auffassung der streitentscheidenden Kammer entfällt das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht deshalb, weil es der Kläger unterlassen hat, vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO zu beantragen. Zwar hätte der Kläger im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, einen möglichen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung (vorläufig) durchzusetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Unterlassung der Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt. Nur wenn ein Antrag nach § 123 VwGO erfolgreich durchgeführt worden wäre, würde dies wohl dazu führen, dass ein Feststellungsinteresse zu verneinen wäre (vgl. dazu: BVerfG, B.v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/103 - juris Rn. 39). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass das verwaltungsgerichtliche Eilrechtschutzverfahren nach § 123 VwGO ein Beschlussverfahren ist, für das besondere Verfahrensregeln gelten. Dies gilt sowohl in formeller als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt nach Maßgabe der Sachentscheidungsvoraussetzungen daher einen Anspruch auf Rechtsschutz in der Hauptsache und nicht nur auf Rechtsschutz in einem Eilverfahren (ausführlich dazu: BVerfG, B.v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 - juris Rn. 29; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Rn. 145). Darüber hinaus ist im vorliegenden Fall zu bedenken, dass es sich bei der beantragten Befreiung um eine Ermessensentscheidung handelte. Ein Eilrechtschutzverfahren nach § 123 VwGO hätte daher ohnehin nur dann gesichert erfolgreich sein können, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen hätte. Hätte das Gericht dagegen nur einen Ermessensfehlgebrauch festgestellt, so ist zwar anerkannt, dass auch der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Rahmen eines Antrags nach § 123 VwGO vorläufig gesichert bzw. geregelt werden kann. Im Einzelnen ist dazu aber vieles umstritten (vgl. nur: SchochKoVwGO/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 123 Rn. 161 ff.; Happ in: Eyermann, VwGO,15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 28), weshalb in diesem Fall ein effektiver Rechtsschutz im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht hätte erlangt werden können.

Nach alledem ist das besondere Feststellungsinteresse des Klägers für die beantragte Feststellung zu bejahen.

2. Die Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger hatte einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Befreiung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV, der seitens des Landratsamts nicht erfüllt worden ist (2. a)). Einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung hatte er dagegen nicht (2 b)).

a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV konnte die zuständige Kreisverwaltungsbehörde in begründeten Einzelfällen auf Antrag eine Befreiung erteilen.

Die Erteilung einer Befreiung setzte aus Sicht der entscheidenden Kammer zunächst voraus, dass ein besonders gelagerter Fall vorlag, der ein Abweichen von der allgemeinen Regelung rechtfertigen konnte. Dies folgt aus der Formulierung „in begründeten Einzelfällen“. Es musste sich mithin um einen atypischen Einzelfall handeln, den der Verordnungsgeber beim Erlass der allgemein gültigen Regelung nicht im Blick hatte. Erst unter diesen Voraussetzungen war für die zuständige Behörde ein Ermessensspielraum zur Erteilung einer Befreiung eröffnet. Ferner entspricht es aber dem Wesen eines Ausnahmefalls, dass eine Konstellation vorliegt, die sich vom abstrakt-generellen Regelungszweck der Norm, von der eine Ausnahme begehrt wird, abgrenzt, da sonst nicht zu erkennen wäre, worin eine Ausnahme liegen sollte. Die Erteilung einer Befreiung ist letztlich für besondere Fallgestaltungen vorgesehen, die von einer Regelung erfasst sind, obwohl diese vom Normgeber bei Betrachtung der maßgeblichen Umstände wohl davon ausgenommen worden wären (vgl. zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Öffnen von Ladengeschäften vom Öffnungsverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 12. BayIfSMV: VG Regensburg, B.v. 9.3.2021 - RO 5 E 21.353 - juris Rn. 35 ff.).

Durch die Möglichkeit der Erteilung einer Befreiung wurde im Übrigen der vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen geforderten Berücksichtigung des tatsächlichen Infektionsgeschehens (vgl. dazu: OVG NRW B.v. 5.6.2020 - 13 B 776/20 - juris Rn. 52 ff.) Rechnung getragen, das im Rahmen der Erteilung einer derartigen Ausnahmegenehmigung berücksichtigt werden konnte.

Diese Voraussetzungen lagen hier vor; denn der Antragsteller hat in seinem Befreiungsantrag nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich zwar längere Zeit in Malaysia - einem Land, das nach der epidemiologischen Einschätzung des RKI zum fraglichen Zeitpunkt Schutzmaßnahmen in Bezug auf Ein- und Rückreisende erforderte - aufhielt. Er führte aber auch aus, dass er sich ausschließlich in P* … aufhielt, wo seit dem 26.4.2020 keine neu gemeldeten Infektionen mit SARS-CoV-2 auftraten und seit dem 4.5.2020 kein einziger Fall mehr gemeldet wurde. Nach seinem Vortrag war es somit sehr unwahrscheinlich, dass er das Coronavirus nach Deutschland einschleppen konnte. Aufgrund der Insellage von P* … konnte nach Auffassung der Kammer deshalb ein atypischer Einzelfall angenommen werden, der es gegebenenfalls hätte rechtfertigen können, eine Befreiung zu erteilen. Im ablehnenden Bescheid vom 9.6.2020 ist das Landratsamt hierauf jedoch nicht eingegangen. Das Landratsamt hat vielmehr nur ausgeführt, dass eine Symptomfreiheit des Klägers noch nicht die Zulassung einer Befreiung rechtfertigen könne. Auch das RKI habe keine Entbehrlichkeit von Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Einreise aus Malaysia festgestellt. Auf den konkreten Einzelfall ist das Landratsamt nicht eingegangen. Die vom Kläger in seinem Befreiungsantrag angeführten Besonderheiten seines Einzelfalles hat die Behörde überhaupt nicht in ihre Entscheidung einbezogen. Auch wenn das Landratsamt erkannt hat, dass es eine Ermessensentscheidung im Sinne des Art. 40 BayVwVfG zu treffen hatte, hat es somit maßgebliche Gesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens nicht berücksichtigt. Dementsprechend lag ein Ermessensdefizit vor (vgl. dazu: SchochKoVwGO/Geis, 1. EL August 2021, VwVfG § 40 Rn. 107; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 40 Rn. 89), weshalb die ablehnende Entscheidung rechtswidrig war.

Zwar ist der Beklagte im Rahmen seiner Klageerwiderung vom 20.7.2020 auch auf die vom Kläger vorgetragenen Gründe, insbesondere auf den Umstand, dass zum fraglichen Zeitpunkt in P* … keine einzige Infektion gemeldet worden war, eingegangen. Insoweit konnten jedoch im gerichtlichen Verfahren keine Ermessenserwägungen mehr nachgeschoben werden. Zwar kann die Verwaltungsbehörde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt bei der Fortsetzungsfeststellungsklage. Da bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes auf den Zeitpunkt seiner Erledigung abzustellen ist und Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Eintritt des erledigenden Ereignisses außer Betracht bleiben, darf das Gericht nur diejenigen Ermessenserwägungen berücksichtigen, die die Behörde während des gerichtlichen Verfahrens bis zur Erledigung ergänzt hat (NdsOVG, U.v. 19.2.2015 - 7 LC 63/13 - juris Rn. 64; SchochKoVwGO/Riese, 41. EL Juli 2021, VwGO § 114 Rn. 246). Nachdem hier die Erledigung bereits vor Klageerhebung eingetreten ist, war eine Ergänzung von Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nicht mehr möglich.

b) Gleichwohl vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass allein aufgrund der besonderen Lage P* … und des dortigen Infektionsgeschehens die Erteilung einer Befreiung aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zwingend geboten war. Eine Ermessensreduzierung auf Null lag mithin nicht vor. So hätte etwa in die Erwägungen auch einbezogen werden können, dass gegebenenfalls die Möglichkeit bestand, dass der Kläger beim Rückflug mit Fluggästen in Kontakt kommt, die aus anderen Landesteilen Malaysias stammen, etc. Dementsprechend wäre trotz der besonderen Umstände des Einzelfalls auch bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung eine Ablehnung des Antrags möglich gewesen.

Nach alledem hat die Klage nur im tenorierten Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen