Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 152/13

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid der Beklagten, durch den er gemäß den Einziehungsrichtlinien auf Schadensersatz in Höhe von 10.911,48 Euro wegen eines Schadens am Minenjagdboot „...“ in Anspruch genommen wird.

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Der Kläger steht als Kapitänleutnant im Dienste der Beklagten. Er war Kommandant des Minenjagdbootes „...“.

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Die „...“ gehörte zu einer Gruppe von sechs Booten, die sich vom 15.-18. Februar 2007 im Hafen von … aufhielt. Am 18. Februar lief der Verband aus, der nächste Hafenaufenthalt war am 24. Februar 2007 in … vorgesehen. Zwischenzeitlich sollte ein Bunkerstopp in … eingelegt werden. Am 20. Februar wurden das norwegische Minenjagdboot „...“ und die „...“ aus dem Verband entlassen und vorausgesandt; ihre Fahrt führte durch die sogenannten Inner Leads (innere Schären) an der … .

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Gegen 2.08 Uhr des 21. Februar 2007 setzte Schneefall bzw. Schneeregen ein, was zu einer Sichtverschlechterung, insbesondere zu einer Verschlechterung des Radarbildes führte. Darüber hinaus fiel das von dem Kommandanten privat beschaffte und auf einem Laptop installierte elektronische Seekartenprogramm aus. Eine Wiederherstellung durch den vom Kommandanten beauftragten Ersten Wachoffizier gelang nicht. Noch um 2.12 Uhr meldete der Navigationsmeister, Oberbootsmann …, dass das Boot laut GPS „On Track" sei. Auf Nachfrage teilte der Navigationsmeister mit, dass es noch 7,5 Kabellängen bis zum sogenannten Andrehpunkt sei. Der Kläger zweifelte an dieser Angabe und forderte den Navigationsmeister zur Überprüfung auf; gleichzeitig befahl er, die Fahrtgeschwindigkeit zu verringern. Der gemeldete Wert war tatsächlich falsch, es handelte sich vielmehr um den Minutenwert der GPS-Position, den der Navigationsmeister gerade in die Seekarte eintrug. Kurz nach - der wiederrum unzutreffenden - Meldung des Navigationsmeisters, dass der Andrehpunkt erreicht sei, befahl der Kläger mit mehr Ruderlage anzudrehen. Gegen 2.15 Uhr lief das in der Steuerborddrehung befindliche Boot mit einer Geschwindigkeit von 12 Knoten auf ein Felsenriff auf. Es entstand ein Schaden von mehreren Millionen Euro.

5

Die Havarie war Gegenstand einer Verhandlung vor dem Havarieausschuss am 25. Juni 2007. Wegen der Einzelheiten der Verhandlung und der dortigen Zeugenvernehmungen wird auf Bl. 6-13 und 78 - 86 der Beiakte A (Havarieakte) Bezug genommen. Anschließend erhielten der Kläger und der Navigationsmeister Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme. Der Kläger gab an, dass er zu keiner Zeit an der Meldung des Navigationsmeisters, dass es noch 7,5 Kabellängen bis zum Andrehen sei, so gezweifelt habe, dass deshalb sofortiges Handeln notwendig gewesen wäre. Er habe nicht damit gerechnet, dass in dieser Situation alle ungünstigen Umstände dazu führen würden, auf dem Felsenriff aufzulaufen. Unter den gegebenen Umständen hätte eine erhöhte kritische Aufmerksamkeit seinerseits ggf. die Havarie verhindern können, eine solche sei aber bei Meldung „7,5 Kabellängen bis zum Andrehpunkt“ nicht erforderlich gewesen.

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In seinem Entscheidungsvorschlag (wegen der Einzelheiten siehe Bl. 87 - 100 der Beiakte A) kam der Havarieausschuss zu dem Ergebnis, dass sich der Navigationsmeister fehlerhaft verhalten habe, weil er das Minenjagdboot in der Situation nicht sicher navigiert habe und Wachoffizier und Kommandanten einen falschen Andrehpunkt zur Einleitung der Kursänderung mitgeteilt habe. Das Verhalten des Klägers sei insoweit fehlerhaft, als er trotz vorhandener Möglichkeiten nicht die optische Kontrolle der nautischen Bahnführung seines Bootes sowie die Kontrolle durch die Andrehpeilung gefordert habe, besonders nach nur eingeschränkter Nutzbarkeit der technischen Möglichkeiten.

7

Der Befehlshaber der Flotte stimmte dem Entscheidungsvorschlag des Havarieausschusses am 24. September 2007 zu.

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Durch Leistungsbescheid vom 23. September 2010 nahm die Beklagte den Kläger wegen des Schadens am Minenjagdboot mit 10.911,48 Euro in Anspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass ursächlich für die Grundberührung neben schlechten Wetterbedingungen diverse Navigationsfehler gewesen seien. Fehlerhaft sei (auch) das Verhalten des Klägers als Kommandant gewesen. Er habe zunächst ein privat beschafftes Navigationsgerät eingesetzt, was nicht den Vorschriften entsprochen habe. Nach dem Ausfall des Gerätes habe er den Ersten Wachoffizier beordert zu versuchen, das Gerät wieder „zum Laufen zu bringen", so dass dieser in den folgenden entscheidenden Minuten seine Aufmerksamkeit allein auf das Gerät und nicht auf die Situation des Schiffes gelenkt habe. Das an Bord befindliche Radargerät habe konstruktionsbedingt durch den herrschenden Schneefall nur sehr ungenaue Daten geliefert. Trotz der sehr eingeschränkten Sichtverhältnisse und des Ausfalls der an Bord befindlichen technischen Einrichtungen zur Ortsbestimmung habe der Kläger das Boot mit unverminderter Geschwindigkeit fahren lassen und nicht für eine mögliche sichere optische Kontrolle der nautischen Bahnführung durch Peilung des Leuchtfeuers gesorgt. Die hohe Geschwindigkeit in Verbindung mit der fehlenden ständigen optischen Kontrolle des tatsächlichen Standortes bzw. sicheren Weges hätten zusammen mit der falschen Angabe des Andrehpunktes durch den Navigationsmeister zum Auflaufen auf das Felsenriff geführt. Das Verhalten des Klägers sei als grob fahrlässig einzustufen. Zwar seien ihm keine gravierenden Einzelfehler in der Navigation unterlaufen. Auch der vorschriftswidrige Einsatz des privaten Navigationsgerätes sei allenfalls mittelbar ursächlich für die Havarie gewesen. Allerdings habe dessen Einsatz wohl ein unangemessenes Vertrauen auf die hierdurch eingetretene einfache Positionsbestimmung bewirkt, so dass es nach Ausfall des Gerätes zu einer falschen Gewichtung zwischen alternativer Navigation und den Versuchen, das Gerät wieder funktionsfähig zu machen, gekommen sei. Über einen Zeitraum von mindestens sieben Minuten habe der Kläger die sichere Überwachung der Schiffsposition unterlassen und nicht dafür gesorgt, dass eine angemessene Geschwindigkeit eingehalten worden sei, die ein sicheres Navigieren unter den schwierigen Rahmenbedingungen ermöglicht hätte. Die Verringerung der Geschwindigkeit auf 12 Knoten kurz vor der Havarie sei nicht ausreichend gewesen, sie hätte radikal reduziert werden müssen. Möglicherweise hätte dann eine Vollbremsung die Havarie verhindern können.

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Damit habe der Kläger grundlegende Regeln der Bootsführung außer Acht gelassen. Aus Fürsorgegründen werde darauf verzichtet, die volle Schuldsumme zu fordern; stattdessen werde der Kläger gemäß den Einziehungsrichtlinien mit drei Brutto-Monatsgehältern inklusive Zulagen zum Zeitpunkt des Schadens, insgesamt 10.911,48 Euro, in Anspruch genommen.

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Der Kläger erhob Widerspruch und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass nicht konkret und klar sei, welche grundlegenden Regeln der Bootsführung er außer Acht gelassen habe. Es werde lediglich behauptet, dass er für mindestens sieben Minuten die sichere Überwachung der Schiffsposition unterlassen habe. Seit dem 18. Februar 2007, 13.00 Uhr, sei er nahezu ununterbrochen auf der Brücke des Bootes gewesen. Mehr als 50 Stunden ohne ausreichende Ruhepausen im Dienst lasse es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es sich vorliegend um ein sogenanntes Augenblicksversagen gehandelt habe. Der Vorwurf, dass der Einsatz des privaten Seekartenprogrammes auf dem privaten Laptop zu einer falschen Gewichtung zwischen alternativer Navigation und dem Bemühen, das ausgefallene System auf dem Laptop wiederherzustellen, gekommen sei, sei unbegründet. Das Seekartenprogramm sei nicht zur Navigation eingesetzt worden. Es sei nicht zutreffend, dass der Erste Wachoffizier zur alternativen Navigation in der Lage gewesen wäre, wenn er nicht von ihm den Auftrag erhalten hätte, das Seekartenprogramm neu zu starten. Denn zu jener Zeit war der Erste Wachoffizier nicht der fahrende Wachoffizier. Nur jener habe rechtzeitig vor dem Erreichen des Andrehzeitpunktes die optische Kontrolle durchführen sollen. Er habe auch die sichere Überwachung der Position über einen Zeitraum von sieben Minuten nicht unterlassen. Die Überwachung der Position des Bootes sei permanent vom Navigationsmeister durch GPS-Navigation und Vorkoppeln des Tracks durchgeführt worden. Die Güte des GPS- Signals sei ständig kontrolliert worden. Eine Verschlechterung des Signals wäre sofort gemeldet worden. Der Navigationsmeister sei sehr erfahren gewesen und habe bis dato fehlerfreie Leistungen erbracht. Auch der Vorwurf, dass er eine unangemessene Geschwindigkeit habe fahren lassen, sei unzutreffend. Die Geschwindigkeit von 17 Knoten im Transit sei nicht unangemessen gewesen. Er habe die Geschwindigkeit des Bootes - nachdem er dem Navigationsmeister die Überprüfung der Entfernung zum Andrehpunkt befohlen habe - auf 12 Knoten reduzieren lassen, um die Engstelle zu passieren. Zu jenem Zeitpunkt habe er keinen Hinweis darauf gehabt, dass der Andrehpunkt offenbar bereits erreicht bzw. überlaufen gewesen sei. Aus diesem Grund habe keine Veranlassung bestanden, das Boot mit einem Manöver zu stoppen. Zur Routine habe es des Weiteren gehört, alle Kursänderungen und Andrehpeilungen optisch zu kontrollieren. Eine solche Kontrolle habe auch kurz vor der Havarie stattfinden sollen; nur der Fehler des Navigationsmeisters und die zu späte Reaktion hätten dies verhindert. Die Zeit zwischen der Meldung zum Andrehen und der weiteren Meldung, dass der Andrehpunkt erreicht worden sei, habe nicht ausgereicht, um den Dritten Wachoffizier mit der Peilung zu beauftragen.

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Er habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit liege nur dann vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden sei. Das sei dann der Fall, wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt würden und das nicht beachtet werde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Diese Voraussetzungen lägen aufgrund des von dem Havarieausschuss ermittelten Sachverhalts nicht vor. Nicht jedes Fehlverhalten begründe im Rechtssinn eine Fahrlässigkeit oder gar eine grobe Fahrlässigkeit.

12

Im Übrigen hätte auch sein bisher einwandfreies Verhalten bei der Festsetzung des Schadensbetrages einfließen müssen. Schließlich sei das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren bereits im April 2007 von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft habe nicht ansatzweise ein fahrlässiges Verhalten erkannt.

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Ein Widerspruchsbescheid erging nicht.

14

Der Kläger hat am 06. Mai 2013 Klage erhoben.

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Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruch und weist ergänzend darauf hin, dass die Geschwindigkeit des Bootes bis zum Erreichen der Engstelle angemessen gewesen sei. Der Navigationsmeister habe das Schiff sicher navigiert, das von ihm verwendete Navigationsgerät habe einwandfrei gearbeitet und die Sichtverhältnisse seien immer noch ausreichend gewesen. Eine Navigation mit dem privaten GPS-Programm habe nicht stattgefunden. Erst kurz vor Erreichen der Engstelle hätte die optische Peilung einsetzen und die Geschwindigkeit reduziert werden sollen. Nach der Mitteilung des Navigationsmeisters, dass es noch 7,5 Kabellängen bis zum Andrehpunkt sei, habe er zwar eine Überprüfung verlangt, aber nicht derartige Zweifel an dessen Angaben gehabt, um die Geschwindigkeit drastisch verringern zu lassen. Der Fehler habe allein in den falschen Angaben des Navigationsmeisters gelegen. Nur wenn bei - vermeintlichem - Erreichen des Andrehpunktes richtiger Weise mitgeteilt worden wäre, dieser sei bereits überlaufen, hätte Anlass für ihn bestanden ein Alle-Kraft-Zurück- Manöver einzuleiten.

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Vorsorglich berufe er sich auf Verjährung. Die maßgebliche Verjährungsfrist sei am 04. Oktober 2010 abgelaufen; er bestreite, dass ihm der Bescheid schon früher zugestellt worden sei.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2010 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Darlegungen im angefochtenen Leistungsbescheid. Ergänzend weist sie daraufhin, dass die Einwände des Klägers nicht durchschlügen. Dem Kläger sei nicht ein einziger großer Fehler vorzuwerfen, sondern die mangelnde Reaktion auf die sich verschärfenden Umstände. Er habe zum einen vorschriftswidrig ein privates GPS-Gerät eingesetzt. Nachdem das GPS-Signal des privaten Programmes ausgefallen sei, hätte er die Fahrt des Bootes deutlich reduzieren und eine genaue Überwachung des Leuchtfeuers auf der Insel Askrova vornehmen müssen. Trotz der schlechten Witterungsverhältnisse und des Ausfalls der technischen Geräte an Bord habe der Kläger nicht die Fahrt des Bootes verringern lassen. Zwar habe die Havariekommission die vom Kläger gewählte Geschwindigkeit nicht beanstandet. Dieser Satz stehe aber lediglich im Zusammenhang mit der ursprünglichen Fahrplanung. Tatsächlich sei das Schiff bis kurz vor der Havarie mit einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 16 Knoten und damit zu schnell gefahren. Auch wenn der Kläger aufgrund seiner Wahrnehmung des Leuchtfeuers und des schlechten Radars die Navigationsangabe seines Navigationsmeisters bezweifelt habe und deshalb zu Recht vom Wachoffizier gefordert habe, die Fahrt zu reduzieren, sei diese aber nicht entscheidend genug verringert worden. Die fehlende Reduktion der Geschwindigkeit aufgrund der Zweifel an den Positionsangaben des Navigationsmeisters könne wohl noch als Augenblicksversagen eingestuft werden, vorzuwerfen sei dem Kläger jedoch, dass er nicht bereits wesentlich früher die Geschwindigkeit verringert habe. Insgesamt sei das Verhalten des Klägers grob fahrlässig gewesen.

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Der Schadensersatzbetrag sei entsprechend der Einziehungsrichtlinien festgesetzt worden. Diese sähen bei grob fahrlässig verursachten Schäden drei Messbeträge in Höhe von jeweils einem Brutto-Monatsgehalt als Schuldbetrag vor. Eine unzumutbare Härte die ein Abweichen von der Festsetzung geboten erscheinen lassen könne, habe der Kläger nicht vorgetragen; es sei auch nicht erkennbar, dass seine Existenz bei der Geltendmachung eines Ersatzbetrages von etwa 11.000,-- Euro gefährdet werde.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

25

Voraussetzung für eine Anfechtungsklage ist grundsätzlich die (erfolglose) Durchführung eines Vorverfahrens. Danach sind vor Erhebung der Klage die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren zu überprüfen. Diese von Amts wegen zu berücksichtigende Prozessvoraussetzung ist vorliegend zwar nicht erfüllt; denn grundsätzlich hätte der Kläger zunächst die Bescheidung seines Widerspruchs abwarten müssen. Ein ggf. ablehnender und damit (weiterer) belastender Verwaltungsakt hätte dann im Rahmen des Klagverfahrens überprüft werden können.

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Die Klage ist aber als sogenannte Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Danach ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage ist nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig (§ 75 S. 2 VwGO).

27

Der Kläger hat unter dem 06. Oktober 2010 Widerspruch und, nachdem die Beklagte nicht reagierte, am 06. Mai 2013 Klage erhoben. Die Beklagte hat nichts dafür vorgetragen, warum eine zeitnahme Bescheidung des Widerspruchs nicht möglich war; auch für das Gericht sind derartige Gründe nicht ersichtlich.

28

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

29

Problematisch ist bereits, ob der Schadenersatzanspruch von der Beklagten überhaupt noch geltend gemacht werden kann oder ob ihm nicht die vom Kläger erhobene Einrede der Verjährung entgegensteht.

30

Nach der bis zum 11. Februar 2009 gültigen Fassung des § 24 Abs. 2 Soldatengesetz (SG) verjährten Ansprüche nach Abs. 1 in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Dienstherr von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Als Kenntnis des Dienstherrn von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen ist zwar nicht die Kenntnis des „nächsten Vorgesetzten“ im Sinne der Bestimmung über die Bearbeitung von Schadensfällen in der Bundeswehr, wohl aber die Kenntnis der fachaufsichtsführenden Dienststellen anzusehen (Scherer/Alff/Poretschkin, SG § 24 Rdnr. 12). Vorliegend war das der 04. Oktober 2007. An diesem Tage ist der Erhalt der Havarieakte von dem den Schaden bearbeitenden Sachbearbeiter bestätigt worden (Bl. 69 a der Beiakte B). Durch die Havarieakte hatte dieser Kenntnis oder die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Schaden und der Person des Klägers und damit des Ersatzpflichtigen.

31

Die gegenwärtige Fassung des § 24 SG enthält indes eine mit der obigen Regelung vergleichbare Bestimmung nicht mehr, so dass - weil Übergangsvorschriften nicht existieren - grundsätzlich die neue, im Zeitpunkt der Geltendmachung einer Forderung maßgebliche Frist anzuwenden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. November 2011 - 4 LA 709/07; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 -1 ZR 9/03 - beide juris), was hier dazu führen würde, insoweit die zivilrechtlichen Regelungen über die Verjährung heranzuziehen. Allerdings gilt dies nicht für den Beginn, die Hemmung oder die Unterbrechung von Verjährungsfristen (vgl. Artikel 169 Abs. 1 Satz 2 EGBGB und BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 a.a.O). Demnach ist hier nach wie vor auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Dienstherrn abzustellen. Da die hier einschlägige (allgemeine) Verjährungsfrist drei Jahre beträgt (vgl. § 195 BGB), wäre vorliegend am 04. Oktober 2010 Verjährung eingetreten.

32

Wann der Kläger den Bescheid tatsächlich erhalten hat, konnte nicht abschließend geklärt werden. Die Zustellung des Leistungsbescheides vom 23. September 2010 in den U.S.A., wo der Kläger im Oktober 2007 lebte und Dienst verrichtete, ist von der Beklagten nicht nachgewiesen worden. Es befindet sich in der Akte nur ein Beleg über die Zur-Post-Gabe eines internationalen Einschreibens (Bl. 94 R der Beiakte B). Zwar muss der Kläger (spätestens) am 05. Oktober 2010 im Besitz des Leistungsbescheides gewesen sein, weil die von ihm unterschriebene Vollmacht für seinen Prozessbevollmächtigten dieses Datum trägt (Bl. 108 der Beiakte B). Ob er jedoch schon früher, insbesondere noch vor Ablauf der Verjährung, in den Besitz des Bescheides gelangt ist, ist auch nach Einvernahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung offen geblieben. Die Kammer geht davon aus, dass er die Vollmacht nicht per Email oder gar auf dem Postweg bekommen, sondern sie sich von der Homepage seines Prozessvertreters heruntergeladen hat. Ob indes sein weiterer Vortrag, er wisse genau, dass er den Bescheid in der zweiten Hälfte der ersten Oktoberwoche des Jahres 2007 erhalten habe, als ein eher (nach Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten) prozesstaktisch bestimmtes Verhalten oder als ein auch nach siebeneinhalb Jahren noch geradezu bemerkenswertes Erinnerungsvermögen zu werten ist, kann auf sich beruhen. Jedenfalls können ernsthafte Zweifel am rechtzeitigen Zugang (dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 41 RdNr. 24) nicht ausgeschlossen werden. Diese Zweifel zu entkräften hätte der Beklagten oblegen, weil sie die Beweislast für den Zeitpunkt des Zugangs trägt (vgl. § 41 Abs. 2 2. Halbsatz VwVfG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 41 RdNr. 24). Die fehlende Aufklärbarkeit des genauen Zugangszeitpunkts geht daher zu ihren Lasten.

33

Letztlich bedarf die Beantwortung der Frage der Verjährung aber keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Beklagten steht gegenüber dem Kläger auch in der Sache kein durch Leistungsbescheid festzusetzender Schadensersatz aus § 24 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) zu.

34

Gemäß der Bestimmung des § 24 Abs. 1 SG hat der Soldat, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Behörde darf eine begründete Schadensersatzforderung auch grundsätzlich durch Leistungsbescheid gegenüber dem Kläger geltend machen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 11. März 1999 - 2 C 15.98 - juris).

35

Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SG sind hier indes nicht erfüllt. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Schaden der Beklagten durch eine grob fahrlässig begangene Pflichtverletzung des Klägers verursacht wurde.

36

Der Kläger hat zwar anlässlich einer Dienstfahrt gegen die in § 7 SG normierte Treuepflicht des Soldaten verstoßen. Diese gebietet dem Soldaten, den Dienstherrn vor Schaden zu bewahren und unmittelbar und mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen (BVerwG, Urteil vom 11. März 1999, aaO, vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 04. Dezember 2012 - W 1 K 12.330 juris). Diese Pflicht wird objektiv verletzt, wenn ein Soldat durch rechtswidriges Handeln (ein Rechtfertigungsgrund stand dem Kläger nicht zur Seite) Gegenstände der Bundeswehr beschädigt (hier: Schaden am Minenjagdboot „Grömitz").

37

Die Kammer geht auch davon aus, dass der Kläger den Schaden am Boot fahrlässig verursacht hat. Vor der Havarie, d. h. dem Auflaufen auf das Riff am frühen Morgen des 21. Februar 2007, hat er nicht die notwendige Aufmerksamkeit walten lassen, hat hierdurch die gegebene Situation jedenfalls falsch eingeschätzt und unter vermeidbarer Missachtung des Gebots, sich so zu verhalten, dass dem Dienstherrn am Eigentum der Bundeswehr kein Schaden entsteht, nicht alles unternommen, um die Havarie zu verhindern, so dass von einer fahrlässigen Pflichtverletzung auszugehen ist.

38

Die Beklagte durfte den Kläger aber deshalb nicht durch Leistungsbescheid gem. § 24 Abs. 1 SG in Anspruch nehmen, weil nach Auffassung der Kammer, die Havarie bzw. der Schaden am Minenjagdboot „...“ am 21. Februar 2007 nicht durch eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers verursacht wurde. Zur Beurteilung, ob der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gerechtfertigt ist, muss an die konkrete Pflichtverletzung in der jeweiligen, zum Schaden führenden Situation angeknüpft werden.

39

Grob fahrlässig handelt nach allgemeinen und auch in Anwendung des § 24 Abs. 1 SG bestimmenden Grundsätzen, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt. Ein solcher Fall ist anzunehmen, wenn der Handelnde nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem - nicht erst nachträglich, sondern schon im Augenblick der Sorgfaltspflichtverletzung - hätte einleuchten müssen, wenn er nur die einfachsten Überlegungen angestellt hätte. Im Gegensatz zum rein objektiven Maßstab bei einfacher Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Es kommt also nicht nur darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, wozu auch gehört, ob die Gefahr erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war; abzustellen ist auch darauf, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (zum Ganzen vgl.: BVerwG, Beschluss vom 06. August 2009 - 2 B 9.09, Urteil vom 25. Mai 1988 - 6 C 38/85, VG Würzburg, Urteil vom 04. Dezember 2012, aaO, VG Minden, Urteil vom 20. Januar 2009 - 10 K 1722/08; VG Osnabrück, Urteil vom 15. Februar 2005 - 1 A 73/04 - alle juris; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, § 24 Rdnr. 23; Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, § 24 Rdnr. 3).

40

Nach diesen Maßstäben, denen sich das Gericht anschließt, ist dem Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen. Der - objektive - Pflichtenverstoß liegt vorliegend darin, dass der Kläger nach (teilweisem) Ausfall der technischen Überwachungsgeräte (Radar und privates Navigationsprogramm) nicht sofort und durchgängig eine optische Überwachung (Peilung) über den Peildiopter vorgenommen hat. Insoweit folgt die Kammer der Einschätzung des Havarieausschusses, wonach das Leuchtfeuer Askrova mit Hilfe der optischen Überwachung hätte gepeilt werden können, weil es trotz des Schneeregens immer noch in Sichtweite gewesen ist. Wenn also zusätzlich neben der Navigation mit Hilfe des GPS durch den Navigationsmeister eine optische Überwachung stattgefunden hätte, hätten sich möglicherweise die Grundberührung und damit der Schadenseintritt vermeiden lassen. Die Kammer geht aber davon aus, dass in subjektiver Hinsicht die Durchführung einer solchen (durchgängigen) optischen Peilung für den Kläger nicht nahegelegen hat bzw. sich ihm hätte aufdrängen müssen. Der Kläger durfte sich vielmehr grundsätzlich auf die Angaben des - das ist insoweit nicht in Abrede gestellt worden - zuverlässigen und erfahrenen Navigationsmeisters, des Oberbootsmannes … verlassen. Dieser hatte noch um 2.12 Uhr gemeldet, dass das Boot laut GPS „On Track“ gewesen ist. Für den Kläger gab es keinen Anlass dies anzuzweifeln, da man sich - wie der Havarieausschuss in seinem Entscheidungsvorschlag festgestellt hat - nach wie vor im weißen und damit sicherem Sektor des Leuchtfeuers befand. Nachdem er auf Anfrage um 2.13 Uhr vom Navigationsmeister die Auskunft erhalten hatte, dass es bis zum maßgeblichen Andrehpunkt noch 7,5 Kabellängen sei, der Kläger aufgrund seiner optischen Wahrnehmung und seiner Deutungen des Radarbildes allerdings an diesen Angaben zweifelte, hat er den Navigationsmeister unverzüglich gebeten seine Angaben zu überprüfen. Vielleicht hätte eine durchgängige optische Navigation des Klägers ihn bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Gefahrensituation erkennen lassen; aufgrund der ruhigen und bestimmten Angaben des Navigationsmeisters musste sich eine solche Verhaltensweise indes nicht aufdrängen. Nur wenn er alle erdenkliche Sorgfalt in dieser schwierigen Situation hätte walten lassen, hätte sich möglicherweise die Havarie vermeiden lassen. Dies begründet indes (nur) einen einfachen, jedoch keinen groben Fahrlässigkeitsvorwurf.

41

Der Kläger hat auch nicht dadurch grob fahrlässig gehandelt, dass er seine Geschwindigkeit nicht rechtzeitig verringerte. Der Kläger hatte die Geschwindigkeit für das Passieren von schwierigen bzw. engen Stellen auf 12 Knoten festgelegt. Diese Entscheidung ist vom Havarieausschuss nicht beanstandet, vielmehr als angemessen bewertet worden. Nach dessen Sachverhaltsfeststellungen, denen sich die Kammer anschließt, hat der Kläger auch die Geschwindigkeit unmittelbar vor der (aufgrund des vermeintlichen Andrehpunktes) vorzunehmenden Kursänderung wegen der Engstelle von 17 auf 12 Knoten reduzieren lassen. Damit ist ihm ein Verschuldensvorwurf im Sinne einer groben Fahrlässigkeit nicht zu machen. Die Kammer folgt nicht der Einschätzung der Beklagten, wonach nach dem Ausfall des privaten Navigationsprogrammes die Geschwindigkeit hätte drastischer reduziert werden müssen. Es erschließt sich dem Gericht bereits nicht, inwieweit der Kläger seine Überwachungspflichten damit verletzt haben sollte. Denn nicht der Kläger selbst, sondern der Erste Wachoffizier hat versucht das System wiederherzustellen, so dass der Kläger dadurch nicht abgelenkt war. Zwar hat der Erste Offizier während der Zeit den (unerfahrenen) Dritten Offizier nicht überwacht, allerdings war weder dieses Verhalten noch die Anordnung des Klägers an den Ersten Offizier ursächlich für den Schadenseintritt. (Die Beklagte selbst spricht auch insoweit nur von einer allenfalls „mittelbaren“ Verursachung, ohne dies allerdings, was erforderlich gewesen wäre, näher darzulegen).

42

Darüber hinaus - und das hält die Kammer für einen nicht unwesentlichen Umstand - hat die Beklagte ihrer Beurteilung, welches Verhalten in dieser Situation angemessen gewesen wäre, falsche Tatsachen zugrunde gelegt. Denn sowohl im streitbefangenen Bescheid als auch in ihrer Klageerwiderung geht sie von der unzutreffenden Annahme aus, alle technischen (Navigations-)Geräte an Bord seien ausgefallen. Das schiffseigene Navigationsgerät verrichtete indes bis zur Havarie ordnungsgemäß seinen Dienst. Darüber hinaus hat sich der Kläger unwiderlegt dahingehend eingelassen, dass das Boot seinerzeit mit Hilfe des privaten Seekartenprogramms überhaupt nicht navigiert worden ist, so dass dessen Ausfall auch unter diesem Gesichtspunkt nicht ursächlich für die Havarie geworden sein kann. Zum anderen - das hat der Havarieausschuss festgestellt - ist das Boot bis zum Erreichen der Engstelle auch unter Zugrundelegung der vorherrschenden Witterungsbedingungen nicht unangemessen geführt worden. Das Verhalten des Klägers ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als er nach der Mitteilung, dass der Andrehpunkt erreicht sei, unverzüglich die Geschwindigkeit von 16 auf 12 Knoten hat reduzieren lassen. Nur wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst hätte, dass der Andrehpunkt nicht nur erreicht, sondern bereits deutlich überlaufen war, wäre es geboten gewesen, die Geschwindigkeit radikal zu reduzieren und ein Alle-Kraft-Zurück- Manöver durchzuführen. Das zu erkennen wäre ihm aber allenfalls bei der oben beschriebenen Verfahrensweise (durchgängige optische Navigation) möglich gewesen. Dieses Unterlassen ist indes - wie ausgeführt - nur als einfaches, jedoch nicht als grob fahrlässiges Verhalten zu qualifizieren und führt deshalb gemäß den Einziehungsrichtlinien nicht zu einer Inanspruchnahme des Klägers.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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