Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 26/19
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Überdachungsanbau zur LKW-Beladung auf dem Grundstück der Beigeladenen, F-Straße, A-Stadt, bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Errichtung der 70 m langen und 2,30 m hohen Lärmschutzwand gemäß den Auflagen Nummern 7. und 8. der Baugenehmigung vom 6. November 2018 mittels einer für sofort vollziehbar erklärten bauaufsichtlichen Anordnung stillzulegen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner zu je ½.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
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Das vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Der Hauptantrag,
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die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs vom 30. April 2019 gegen die der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 6. November 2018 anzuordnen,
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beurteilt sich nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO; insoweit ist der Antrag statthaft und auch sonst zulässig. Denn nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Überdachungsanbau an ihre Bestandshalle für die LKW-Beladung auf dem Grundstück F-Straße in A-Stadt (Gemarkung A-Stadt, Flur 7, Flurstücke 87/22 und 87/27) nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.
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Dieser Antrag ist jedoch unbegründet.
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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherrin an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.
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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihr erteilte Baugenehmigung sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs des Antragstellers ausnutzen zu können; denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung des Antragsgegners vom 6. November 2018 Nachbarrechte des Antragstellers verletzt.
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Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme durch die Baugenehmigung ist nicht auszumachen. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt den Antragsteller insbesondere nicht in seinen Nachbarrechten aufgrund einer zu unbestimmten Betriebsbeschreibung.
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Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt regelmäßig vor, wenn die Baugenehmigung nicht hinreichend bestimmt ist und die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Nach § 108 Abs. 1 LVwG muss eine Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten eindeutig zu erkennen sein, sie darf einer unterschiedlichen subjektiven Wertung nicht zugänglich sein. Zur inhaltlichen Bestimmtheit einer Baugenehmigung gehört, dass sie u.a. Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt, damit einerseits der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und auf der anderen Seite Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche, dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss der Baugenehmigung selbst – gegebenenfalls durch Auslegung – entnommen werden können, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts der Baugenehmigung herangezogen werden müssen. Ist die Baugenehmigung hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Umstände unbestimmt und infolgedessen die Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Vorhabens nicht auszuschließen, ist die Baugenehmigung im Regelfall als nachbarrechtswidrig aufzuheben (OVG Schleswig, Beschl. v. 22.12.2017 - 1 MB 19/17 -, Rn. 8, juris). Maßgebend sind hierbei die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen.
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Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Baugenehmigung vom 6. November 2018 bzw. die ihr zugrundeliegende Betriebsbeschreibung als hinreichend bestimmt i.S.d. § 108 Abs. 1 LVwG. Die erforderlichen Inhalte lassen sich neben den Angaben auf dem Vordruck „Betriebsbeschreibung“ (Bl. 61 d. Beiakte A) auch den beigefügten Planzeichnungen (insbesondere Bl. 55 d. Beiakte A) entnehmen sowie weiterhin der ausdrücklich in Bezug genommenen schalltechnischen Prognoseuntersuchung vom 13. September 2018. Alle diese Unterlagen sind über einen Zugehörigkeitsvermerk zum Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung gemacht worden. Die Prognoseuntersuchung findet mit ihren Feststellungen und gutachterlichen Prämissen im Übrigen auch für den zentralen Punkt der Errichtung einer Lärmschutzwand über die Auflage Nr. 7 der Baugenehmigung Berücksichtigung, wonach die Lärmschutzwand „gemäß dem Kapitel 8 der schalltechnischen Prognoseuntersuchung vom 13.09.2018 (BLB-Auftragsnummer P001BLB18_Version II)“ zu errichten ist. Nach diesen Angaben der Beigeladenen soll der Be- und Entladebetrieb im neu zu errichtenden Überdachungsanbau von Montag bis Freitag in einer Zeit von 7.00 Uhr bis ca. 16.00, max. 20.00 Uhr stattfinden, wobei pro Tag nach Angaben der Beigeladenen (Bl. 55 d. Beiakte A) 1 – 2 LKW beladen werden sollen. Auch die Belegenheit der in diesem Zusammenhang zu errichtenden 70 m langen und 2,30 m hohen Lärmschutzwand ergibt sich nach Auffassung der Kammer hinreichend aus den im Genehmigungsverfahren vorgelegten Unterlagen. Hierbei ist maßgeblich auf diejenige Gestaltung abzustellen, die sich aus den gutachterlichen Ausführungen ergibt. Dort ist auf S. 23 (Bl. 88 d. Beiakte A) ersichtlich, dass die Lärmschutzwand sich am Lehmweg entlang etwa von der Mitte des Flurstücks 53/21 im Westen bis zur Einmündung in die Straße Im Sande im Osten erstrecken soll. Soweit der Antragsteller auf eine ebenfalls im Genehmigungsverfahren vorgelegte Zeichnung (Bl. 51 d. Beiakte A) verweist, auf der sich eine geschwungene grüne Linie findet, an deren Beginn die Bezeichnung „70 m Lärmschutzwand“ steht, so misst die Kammer dem keine die Widersprüchlichkeit der Baugenehmigung begründende Wirkung bei. Es erscheint offenkundig, dass mit dieser Linie, die sich um die Einmündung herum weit in die Straße Im Sande erstreckt und damit erheblich länger als 70 m wäre, nicht die nach dem Gutachten zu fordernde maßgebliche Lärmschutzwand gemeint sein kann. Insoweit ist es unschädlich, dass diese Linie, wie vom Antragsteller gerügt, das - schon vor dem Umbau vorhandene - Schiebetor, das zwischen den Bestandshallen hindurch auf den südlich gelegenen Grundstücksteil führt, anders als nach den gutachterlichen Vorgaben nicht (mehr) erfasst und damit auch vor dem Grundstück des Antragstellers endet.
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Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung vom 6. November 2018 ergibt sich im Übrigen nicht unter dem Gesichtspunkt der vom Antragsteller gerügten baunutzungsrechtlichen Unverträglichkeit des von ihm als Tischlereifertigungsbetriebs gewerteten Unternehmens der Beigeladenen. Der Antragsteller kann vorliegend nach summarischer Prüfung nicht mittels des sogenannten Gebietserhaltungsanspruches das Eindringen von der Nutzungsart nach unzulässigen Bauvorhaben in das Baugebiet, in welchem sein Grundstück belegen ist, abwehren.
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Die Einordnung von Baugebieten in einem Bebauungsplan, aber auch in einem faktischen Baugebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB hat nur zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet nachbarschützende Wirkung. Einem „Baugebiet“ sind nur solche Grundstücke zuzurechnen, deren bauliche Nutzungen in einem wechselseitigen Austauschverhältnis stehen; nur in diesem Fall kann ein Eigentümer, der sein Grundstück den planungsrechtlichen Vorgaben entsprechend nutzt, schutzwürdig erwarten, dass sich andere – den gleichen Vorgaben unterworfene – Eigentümer ebenfalls an diese Vorgaben halten (OVG Schleswig, Beschl. v. 18.09.2017 - 1 MB 15/17 -, Rn. 20, juris, unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 -; VG Schleswig, Urt. v. 10.11.2016 - 2 A 119/15 -, Rn. 105, juris). In diesem Fall können „gebietsverfremdende“ Nutzungen abgewehrt werden, ohne dass es auf eine dadurch bedingte tatsächliche Betroffenheit ankommt. Das Grundstück des Antragstellers liegt nach den vorgelegten Lichtbildern und in Ansehung der Aufnahmen der im Internet verfügbaren Kartendienste nach summarischer Prüfung allerdings in einem anderen Baugebiet als das der Beigeladenen. Nördlich des Lehmweges findet sich, soweit ersichtlich auf der gesamten Länge, d.h. mindestens vom Heidkamp im Westen über nahezu 550 m in östlicher Richtung, eine homogen erscheinende Wohnbebauung, während auf der südlichen Seite des Lehmweges zwar ebenfalls zahlreiche Wohngebäude vorhanden sind, der Bereich zwischen den Straßen Am Kamp und Im Sande aber indessen auch nachhaltig von drei gewerblichen bzw. Handwerksbetrieben (Unternehmen der Beigeladenen, Heinrich Krumme Heizungs-, Klima und Sanitärtechnik GmbH sowie TMH Technik- und Motorenservice A-Stadt GmbH & Co. KG Seefahrtbedarf) (mit-)geprägt wird. Es spricht einiges dafür, dass in diesem Bereich dem Lehmweg eine trennende Wirkung zukommt, so dass von der Belegenheit in unterschiedlichen Baugebieten auszugehen sein dürfte. Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass es sich wegen der die soeben genannten Unternehmen umgebenden Wohnbebauung (auch) südlich des Lehmweges um ein einheitlich zu betrachtendes Gebiet handelte, käme nach Auffassung der Kammer ein von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiger Gebietserhaltungsanspruch nicht zum Zuge. Auch in diesem Fall bliebe es bei der jedenfalls nach bisheriger Bewertung anzunehmenden erheblichen Prägung durch die drei Unternehmen, so dass am ehesten von einer sog. Gemengelage in Form des Aufeinandertreffens vom Baugebietstypus unverträglicher Nutzungen auszugehen wäre. Für ein Berufen auf den Gebietserhaltungsanspruch wäre daher auch unter Zugrundelegung dieser Betrachtung kein Raum (vgl. VG Schleswig, Urt. v. 10.11.2016 - 2 A 119/15 -, Rn. 109, juris).
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Das genehmigte Vorhaben verstößt nach summarischer Prüfung auch nicht gegen das über das „Einfügen“ des § 34 Abs. 1 BauGB umfasste Gebot der Rücksichtnahme. Welche Anforderungen sich aus diesem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt wiederum von den konkreten Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Umfang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je selbstverständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Somit kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei ist zu beachten, dass das Rücksichtnahmegebot keine allgemeine Härteklausel ist, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts steht (BVerwG, Beschl. v. 11.01.1999 - 4 B 128.98 -, Rn. 6, juris). Bloße Lästigkeiten reichen für einen Verstoß nicht aus, vielmehr ist eine qualifizierte Störung im Sinne einer Unzumutbarkeit erforderlich. Nach diesen Grundsätzen lässt sich die Rücksichtslosigkeit nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung nicht feststellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die genehmigte Betriebserweiterung eine für den Antragsteller unzumutbare Lärmbeeinträchtigung nach sich zieht. Dies steht allerdings nach der Schlussfolgerung der schalltechnischen Prognoseentscheidung unter dem in Auflage Nr. 7 zur Genehmigung genommenen Vorbehalt der Errichtung einer 70 m langen und 2,30 m hohen Lärmschutzwand, die fugendicht aufgestellt und eine Mindestschalldämmung von 24 dB aufweisen muss. Die in Richtung Norden weisende (Straßen-)Seite der Lärmschutzwand muss danach zudem hochabsorbierend ausgeführt sein. Die Einhaltung der Mindestschalldämmung und des Absorptionsgrades ist dem Antragsgegner und dem LLUR vor Inbetriebnahme des Anbaus nachzuweisen, vgl. Auflage Nr. 8 zur Baugenehmigung vom 6. November 2018. Diese Auflagen zur Baugenehmigung hat die Beigeladene akzeptiert und sich ihnen damit auch unabhängig von einem möglichen Bestandsschutz des bereits seit längerer Zeit vorhandenen Tores zwischen den Bestandshallen unterworfen. Hinzu kommt nach Auflage Nr. 6 der Baugenehmigung, dass während der Zeit von 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr keine lärmintensiven Arbeiten, wie insbesondere Umschlagsarbeiten, durchgeführt werden dürfen. Auch diese Regelung entspricht den Vorgaben der gutachterlichen Untersuchung. Im Übrigen ist über die in Bezug genommene Prognose vorauszusetzen, dass die Berechnungen des Gutachters naturgemäß nur insoweit Geltung beanspruchen können, als dass im regelmäßigen Betrieb die auf dem Betriebsgelände eingesetzten Fahrzeuge und Ladetätigkeiten vergleichbare immissionswirksame Schallleistungspegel aufweisen müssen, wie diejenigen, die bei der Untersuchung verwendet wurden. Einer nochmaligen Festschreibung dieses Erfordernisses in der Baugenehmigung bedarf es insoweit nicht.
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Soweit der Antragsteller rügt, der Gutachter habe seinen Berechnungen fehlerhafte und unzureichend ermittelte Prämissen zugrunde gelegt (keine ausreichenden Messungen des Betriebsgesamtlärms im Zustand vor der Genehmigung, Realitätsferne der angenommenen LKW-Fahrten, nicht nachvollziehbare Berechnungs- bzw. Rundungsergebnisse, Anwendung der Immissionsrichtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet (WA) für den Immissionsort des Grundstücks des Antragstellers, keine Berücksichtigung von erhöhter Störwirkung an Sonn- und Feiertagen) ergibt sich aus diesen Einwendungen bei summarischer Prüfung nicht der Verstoß der Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot. Gegenstand der legitimierenden Wirkung der erteilten Baugenehmigung ist - wie bereits ausgeführt - ausschließlich das Vorhaben der Beigeladenen, wie es im Rahmen der Bauantragstellung zur Bewertung gestellt worden ist. Nur diese Angaben zur Gestaltung der betrieblichen Abläufe vermag der Gutachter seiner prognostischen Untersuchung, ggf., wie es vorliegend geschehen ist, im Wege einer „worst case“-Betrachtung (z.B. Kalkulation mit 3 LKW-Fahrten pro Tag zum neuen Anbau) zugrunde zu legen. Inwiefern es im späteren tatsächlichen betrieblichen Ablauf z.B. zu einer abweichenden Anzahl von LKW-Fahrten und/oder an anderen als den genannten Betriebstagen oder -zeiten kommt, ist nicht im Rahmen der Überprüfung der erteilten Baugenehmigung zu berücksichtigen, sondern im Rahmen eines möglichen Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten.
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Die Prognoseuntersuchung hat vorliegend nachvollziehbar dargelegt, dass auf der Grundlage der durchgeführten Messungen, die vor der Halle bei der Beladung eines seitlich geöffneten LKW-Anhängers mit Planenabdeckung mit einem gasbetriebenen Gabelstapler (leer und mit Last) erfolgten, und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Geräuschquellen (insbesondere LKW-Fahrwege bzw. LKW-Bewegungen entlang des Lehmweges, Hallenöffnung gegenüber dem Grundstück des Antragstellers sowie im Anbau, vgl. S. 14 f. des Gutachtens, Bl. 79 f. der Beiakte A) die maßgeblichen Immissionsrichtwerte an allen untersuchten Immissionsorten einschließlich des Grundstücks des Antragstellers bei Aufstellung der Lärmschutzwand eingehalten werden.
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Es bestehen weiter keine Bedenken dagegen, dass der Gutachter abweichend vom Vorbringen des Antragstellers, der vom Vorliegen eines reinen Wohngebietes (WR) ausgeht, als maßgebliche Immissionsrichtwerte für das Grundstück des Antragstellers die Werte zugrunde gelegt hat, die die TA Lärm für allgemeine Wohngebiete (WA) vorsieht, nämlich für den bestimmungsgemäßen Betrieb 55 dB(A) am Tag und 40 dB(A) in der Nacht. Treffen – wie es vorliegend nach summarischer Prüfung zwischen dem durch Wohnen geprägten Bereich auf der nördlichen Seite des Lehmwegs und dem Bereich auf der südlichen Seite des Lehmwegs mit dem Betrieb der Beigeladenen sowie dem sich unmittelbar anschließenden Heizungsbauunternehmen und einem Technik- und Motorenservice der Fall ist – zwei Bereiche mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammen, so hat das in dem Bereich mit der höheren Schutzwürdigkeit belegene Grundstück u.U. eine höhere Belastung hinzunehmen, als es dem eigenen Gebietscharakter entspricht. Grenzen gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte Gebiete und zum Wohnen dienende Gebiete aneinander (Gemengelage), können nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete sollen dabei nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 2 TA Lärm nicht überschritten werden. Für die Höhe des Zwischenwertes ist nach Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 1 TA Lärm die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich. Wesentliche Kriterien sind gemäß Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm die Prägung des Einwirkungsgebiets durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriegebiete andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde. Liegt ein Gebiet mit erhöhter Schutzwürdigkeit nur in einer Richtung zur Anlage, so ist nach Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 3 TA Lärm dem durch die Anordnung der Anlage auf dem Betriebsgrundstück und die Nutzung von Abschirmungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen (vgl. zur Mittelwert-Rechtsprechung BVerwG, Beschl. v. 12.09.2007 - 4 B 24/07 -, Rn. 5, juris). Unter summarischer Prüfung der konkreten Schutzwürdigkeit des Grundstücks des Antragstellers, insbesondere seiner Lage im Wohngebiet unmittelbar gegenüber dem Betrieb der Beigeladenen, erscheint es hier nicht als unzumutbare Beeinträchtigung, die WA-Werte anstelle der WR-Werte für die Beurteilung der Geräuschimmissionen anzusetzen.
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Mit seinem in zulässiger Weise gemäß § 123 Abs. 1 VwGO hilfsweise verfolgten Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das Bauvorhaben der Beigeladenen (Überdachungsanbau zur LKW-Beladung einschließlich Lärmschutzwand) sowie den betrieblich veranlassten LKW-Ziel- und Quellverkehr auf dem Grundstück der Beigeladenen F-Straße, A-Stadt, soweit die vorbezeichneten Betriebstätigkeiten vom Lehmweg aus erfolgen, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens – hilfsweise bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Errichtung der Lärmschutzwand gemäß Auflagen Nummern 7. und 8. der Baugenehmigung vom 6. November 2018 – mittels einer für sofort vollziehbar erklärten bauaufsichtlichen Anordnung stillzulegen,
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hat der Antragsteller teilweise Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss in beiden Fällen sowohl einen Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung – als auch einen Anordnungsanspruch – den materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Regelung – hinreichend glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
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Diese Voraussetzungen liegen hier mit Blick auf die bislang nicht erfüllte Verpflichtung der Beigeladenen zur Errichtung der Lärmschutzwand vor.
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Dem Antragsteller steht wegen der bereits aufgenommenen Betriebsabläufe im und vor dem streitgegenständlichen Anbau ein Anordnungsgrund zur Seite.
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Mit Blick auf die Verpflichtung zur Errichtung der Lärmschutzwand liegt auch ein Anordnungsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten im Sinne des § 59 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LBO vor. Ein solcher Anspruch auf Tätigwerden des Antragsgegners besteht nicht bereits, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 LBO vorliegen, sondern es ist vielmehr darüber hinaus erforderlich, dass der Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Maßgebend ist, ob das Bauvorhaben gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Ein Verstoß gegen Rechtsnormen, die zumindest auch dem Schutz des um Rechtsschutz suchenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, ist bereits tatbestandliche Voraussetzung für einen Anspruch des Nachbarn auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Bauaufsichtsbehörde bei der Entscheidung darüber, ob sie gegen einen rechtswidrigen Zustand – etwa durch Erlass einer Stilllegungsverfügung – einschreiten soll. Erst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, entsteht für den Nachbarn ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein mögliches bauaufsichtliches Einschreiten. Eine sog. „Ermessensreduzierung auf Null“, bei der sich dieses Ermessen dahingehend verdichtet, dass sich nur ein Einschreiten als rechtmäßige Entscheidung erweist, liegt erst dann vor, wenn geschützte Nachbarrechte in besonders gravierender Weise beeinträchtigt werden (OVG Schleswig, Beschl. v. 05.09.2008 - 1 LA 53/08 -, Rn. 2; Beschl. v. 06.01.2015 - 1 LA 60/14 -, Rn. 9, beide juris).
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Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zu den von der Beigeladenen zugunsten der angrenzenden Wohnbebauung umzusetzenden Lärmschutzmaßnahmen hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er insbesondere ohne die durch die Baugenehmigung beauflagte Lärmschutzwand in unzumutbarer Weise in seinen Nachbarrechten verletzt wird. Das bisherige bauordnungsrechtliche Vorgehen des Antragsgegners, nämlich das Schreiben vom 7. Mai 2019, das (allein) in der Erklärung der Beigeladenen vom 10. Mai 2019 resultierte, man werde die Lärmschutzwand in den kommenden zwei Wochen errichten, trägt den Belangen des Antragsstellers nicht ausreichend Rechnung. In dieser Situation verdichtet sich das Ermessen des Antragsgegners dergestalt, dass allein eine für sofort vollziehbar erklärte Stilllegungsverfügung betreffend den Betrieb der Beigeladenen im Bereich des Überdachungsanbaus bis zur Errichtung der Lärmschutzwand als ermessensfehlerfreie Handlungsalternative zur Verfügung steht. Eine entsprechende Verpflichtung des Antragsgegners vermag der Antragsteller hier im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Vermeidung erheblicher Nachteile auch unter Vorwegnahme seines Hauptsachebegehrens zu erlangen.
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Soweit der Antragsteller daneben beantragt, das streitgegenständliche Bauvorhaben der Beigeladenen über einen längeren Zeitraum stillzulegen bzw. höchst hilfsweise
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andere geeignete bauaufsichtliche Maßnahmen gegenüber der Beigeladenen bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens mittels sofort vollziehbarer bauaufsichtlicher Anordnung zu ergreifen, die geeignet sind, unzumutbare Lärmbelästigungen des Antragstellers durch den LKW-Ladeverkehr und die entsprechende betriebliche Be- und Entladetätigkeit der Beigeladenen zu unterbinden,
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hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Kammer ist derzeit, auch unter Berücksichtigung des vom Antragsteller vorgelegten umfangreichen Bildmaterials nicht zu der Überzeugung gelangt, dass hinreichend erhebliche Überschreitungen der vom Umfang der Baugenehmigung vom 6. November 2018 erfassten betrieblichen Abläufe vorliegen, die ein bauaufsichtliches Einschreiten gebieten. In diesem Zusammenhang wird im Rahmen des Widerspruchsverfahrens aufzuklären sein, inwieweit die vom Antragsteller gerügten vermehrten Be- und Entladetätigkeiten im Zusammenhang mit dem Messebetrieb tatsächlich (allein) aus dem hier streitgegenständlichen Betrieb des Überdachungsanbaus resultieren bzw. ob sie nicht vielmehr im Zusammenhang mit dem ehedem bestehenden Betrieb der Beigeladenen stehen und nachbarliche Ansprüche hier deswegen ggf. verwirkt sind. In diese Richtung geht insbesondere das Vorbringen des Antragstellers, die Warenverladung finde umfangreich (auch) vor der als „Warenannahme“ bezeichneten Toröffnung der Bestandshalle statt und die LKW würden den Lehmweg „verstopfen“ sowie mit laufendem Motor, auch außerhalb der Betriebszeiten, auf dem Grundstück der Beigeladenen und dem angrenzenden Fußweg stehen. Auch die Annahme, das Unternehmen der Beigeladenen entwickle sich – mutmaßlich infolge der Anbaugenehmigung – mehr und mehr zu einem Speditionsunternehmen, wird durch die vorgelegten Bilder, insbesondere durch die unter dem 3. Juni 2019 vorgelegte Aufnahme vom 16. Mai 2019, nicht mit hinreichender Sicherheit belegt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei das Gericht das Unterliegen des Antragstellers in Ansehung des unbegründeten Hauptantrages und des teilweise begründeten Hilfsantrages mit insgesamt 50 % bemisst.
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Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht aus Billigkeit für erstattungsfähig erklärt worden, weil sie keinen eigenen Sachantrag gestellt hat und damit auch nicht das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO eingegangen ist.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG, wobei der für ein entsprechendes Hauptsacheverfahren anzunehmende Wert von 15.000 € pro betroffenem (Einfamilien-)Hausgrundstück wegen des nur vorläufigen Regelungscharakters des Eilverfahrens um die Hälfte reduziert worden ist.
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- § 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
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