Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (4. Kammer) - 4 A 605/17
Tenor
Der Bescheid vom 2. September 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 7. September 2017 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen einen Duldungsbescheid betreffend Grundsteuern aus den Jahren 2000-2002 für das Grundstück A-Straße in A-Stadt.
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Die Kläger sind nach einem Grundbuchauszug, Neufassung ohne Eigentumswechsel vom 21. April 2005, zu je ½ Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt (Gemarkung A-Stadt, Flur x, Flurstück x, x). Dieses Grundstück haben die Kläger mit Kaufvertrag vom 27. März 2002 von der C (im Folgenden Verkäuferin genannt) erworben. Die Zurechnung des Grundbesitzes zu den Klägern erfolgte durch das Finanzamt zum 1. Januar 2003.
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Über das Eigentum der Verkäuferin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts x vom xxx das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Darin wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und ein Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO verfügt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verkäuferin wurde nachfolgend am xxx durch das Amtsgericht A-Stadt eröffnet. Am xxx meldete die Beklagte offene Forderungen gegenüber der Verkäuferin in Höhe von 12.111,85 € (einschließlich nicht beglichener Grundsteuern betreffend das Grundstück A-Straße für die Jahre 2000-2002) zum Insolvenzverfahren an. Die Forderungen wurden am 12. November 2003 in voller Höhe festgestellt.
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Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde mit Grundsteuerbescheid vom 28. Oktober 2002 die Grundsteuer für die Veranlagungsjahre 2000-2002 gegenüber der Verkäuferin in Höhe von insgesamt 749,27 € festgesetzt.
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Die Verkäuferin teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 12. November 2002 mit, dass ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet und ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt worden sei. Sie fügte den Beschluss des Amtsgerichts x vom xxx bei.
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Für das Jahr 2002 erging ein Änderungsbescheid über die Festsetzung der Grundsteuer B am 10. November 2002. Die Neufestsetzung bezog sich auf den geänderten Zeitraum 1. Januar 2002 bis 31. August 2002 in Höhe von 166,50 € (anstelle von 249,75 €). Dieser Änderungsbescheid wurde nachfolgend „aufgehoben“.
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Mit Schreiben vom 2. Januar 2003 legte der Insolvenzverwalter unter Bezugnahme auf die Änderungsbescheide am 13. Januar 2003 Widerspruch „gegen die für die genannten Liegenschaften ergangenen Festsetzungsbescheide“ ein. Darin führte er aus, dass über das Vermögen der Verkäuferin mit Beschluss vom 2. Dezember 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Da die Grundsteuerforderungen jeweils mit Beginn des Kalenderjahres entstünden, für das sie festzusetzen seien, handele es sich um Insolvenzforderungen.
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Zuvor, nämlich mit Bescheid vom 10. Dezember 2002, wurden die Kläger aufgefordert, für den Zeitraum vom 01. September bis 31. Dezember 2002 einen Grundsteuerbetrag in Höhe von 83,25 € zu zahlen. Diesen Betrag entrichteten die Kläger. Einen Hinweis auf etwaige Rückstände enthielt der Bescheid nicht.
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Im November 2013 hörte die Beklagte die Kläger dazu an, dass sie beabsichtige, einen Duldungsbescheid bezogen auf die von der Verkäuferin zu zahlenden Grundsteuern 2000-2002 zu erlassen.
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Nach gewährter Akteneinsicht führten die Kläger aus, dass der Grundsteuerbescheid nicht bestandskräftig sei, da vom Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 2. Januar 2003 Widerspruch gegen die Grundsteuerbescheide eingelegt und die Forderungen dann zur Insolvenztabelle angemeldet worden seien. In diesem Falle hätte die Steuerschuld gar nicht mehr per Steuerbescheid festgesetzt werden dürfen. Die Insolvenzordnung sei hier vorrangig.
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Am 2. September 2014 (Zustellung am 4. September 2014) erließ die Beklagte gegenüber den Klägern einen Duldungsbescheid. Mit diesem wurden die Kläger als Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt aufgrund der offenen Grundsteuerforderungen für die Jahre 2000-2002 in Höhe von 666,02 € verpflichtet, die Zwangsvollstreckung in das genannte Grundstück zu dulden. Zur Begrü;ndung wurde ausgeführt, dass gegenüber der Verkäuferin Grundsteuerschulden in dieser Höhe bestünden (2000 + 2001: je 249,76 € und 2002: 166,50 €). Am 2. Dezember 2002 sei das Insolvenzverfahren gegen die Verkäuferin eröffnet worden, woraufhin am 10. Februar 2003 die Forderungen der Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldet und am 12. November 2003 festgestellt worden seien. Die Insolvenz sei bis zum heutigen Tage noch nicht beendet. Die Duldungsverpflichtung der Kläger resultiere aus §§ 191, 77 Abs. 2 AO und § 12 GrStG. Die Entscheidung stünde im Ermessen der Beklagten. Bereits aus § 219 AO ergebe sich, dass ein Haftungsschuldner (gleiches gelte für die Duldung) nur in Anspruch genommen werden dürfe, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen sei, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Die Beklagte als Steuergläubigerin gehe davon aus, dass eine Begleichung der Steuerschuld durch das Insolvenzverfahren nicht mehr zu erwarten sei. Bei der Entscheidung über den Erlass eines Duldungsbescheides sei zu berücksichtigen, Steuerausfälle zu verhindern. Dabei diente das Rechtsinstitut der Steuerhaftung der Verstärkung und Sicherung des Steueranspruchs. Im Falle der Uneinbringlichkeit der Steuer müsse unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) daher die Haftungsinanspruchnahme die Regel sein. Die getroffene Maßnahme müsse zudem verhältnismäßig sein, was die Beklagte sodann näher unter Erwägungen zur Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit ausführt. Der Erlass des Bescheides verstoße auch nicht gegen das Gebot von Treu und Glauben. Es bestehe keine Verpflichtung zur vorzeitigen Unterrichtung und es liege kein Verhalten der Beklagten vor, dass eine schutzwürdige Annahme begründe, es würde kein Duldungsanspruch mehr geltend gemacht werden. Eine Verwirkung sei mithin nicht gegeben. Ebenfalls liege keine Verjährung vor. Die 5-jährige Zahlungsverjährungsfrist der rückständigen Grundsteuern würden mit der Anmeldung zur Insolvenztabelle (xxx) gemäß § 231 Abs. 1 AO unterbrochen.
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Zur Abwendung der Vollstreckung wurde den Klägern eine Frist zur Zahlung des Betrages bis zum 31. Oktober 2014 gewährt.
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Hiergegen legten die Kläger am 24. September 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie aus, dass der Insolvenzverwalter gegen die Grundsteuerbescheide Widerspruch eingelegt habe, der bis dato nicht beschieden sei. Ohne bestandskräftigen Grundsteuerbescheid fehle es an den Voraussetzungen zum Erlass eines Duldungsbescheides. Weiter sei bei der Schuldnerauswahl zu berücksichtigen gewesen, dass festgestellte Ansprüche nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner in unbeschränkter Weise geltend gemacht werden könnten, § 201 Abs. 1 InsO.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hierin vertieft sie ihre bisherigen Ausführungen. Ergänzend führt sie aus, soweit angeführt werde, dass der Grundsteuerbescheid vom 28. Oktober 2002 nicht rechtskräftig sei, anzumerken sei, dass hiergegen kein Widerspruch eingelegt worden sei. Soweit angeführt werde, dass der Grundsteuerbescheid nicht nach Insolvenzeröffnung hätte ergehen dürfen, sei darauf hinzuweisen, dass das Insolvenzverfahren erst am 2. Dezember 2002 eröffnet worden sei, während der Grundsteuerbescheid vom 28. Oktober 2002 datiere. Soweit die Kläger meinten, dass der Steuergläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO die Forderungen nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens in unbeschränkter Weise gegen die Schuldner geltend machen könne, sei anzumerken, dass der Duldungsanspruch eine Art Subsidiärforderung darstelle. Sollte die Beklagte aus dem Insolvenzverfahren wider Erwarten eine Quotenzahlung für die Grundsteuer erhalten und sich unter Berücksichtigung der Realisierung der Forderung gegenüber den Klägern insgesamt eine Überzahlung ergeben, würde diese Überzahlung erstattet werden. Ob im vorliegenden Fall eine Durchsetzung der Steuerforderungen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 201 Abs. 1 InsO möglich wäre, sei zudem äußerst unsicher. Die Steuerschuldnerin als GmbH sei gemäß § 60 Abs. 1 Ziffer 4 GmbH-Gesetz durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgel246;st. Eine Vollstreckung mangels Vorhandensein des Schuldners scheide aus.
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Zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen haben die Kläger vorerst den Betrag von 666,02 € beglichen.
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Die Kläger haben am 5. Oktober 2019 Klage erhoben.
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Ergänzend zum bisherigen Vortrag führen sie aus, dass zum Bescheiderlasszeitpunkt am 28. Oktober 2002 bereits ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet und ein starker Insolvenzverwalter bestellt worden sei. Dieser wäre demnach Bekanntgabeadressat des Bescheides gewesen. Zudem habe die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens zur Folge, dass das Steuerverfahren analog § 240 ZPO unterbrochen sei. Es hätte demnach keine Festsetzung der Steuern mehr stattfinden dürfen. Selbst wenn der Insolvenzverwalter kein starker im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO gewesen sei, so hätte spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls der Widerspruch der Verkäuferin auf die Ausgangsbescheide dem Insolvenzverwalter gegenüber beschieden werden müssen. Was die Frage der Vollstreckbarkeit des bereits von der Verkäuferin angefochten Ausgangsbescheides anbelange, so dürfte es zumindest an einer erforderlichen Mahnung fehlen. Vorliegend stelle sich zudem die Frage, ob nicht der zugrundeliegende Steueranspruch bereits erloschen sei. Es sei ersichtlich gewesen, dass noch diverse Immobilien im Eigentum der Verkäuferin gestanden hätten.
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Die Kläger beantragen,
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den Duldungsbescheid der Beklagten vom 2. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2017 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass, soweit bemängelt werde, dass es an einem bestandskräftigen Ausgangsbescheid fehle, es bei Erlass eines Duldungsbescheides nur darauf ankomme, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt, fällig und vollstreckbar sei. Auf die Bestandskraft des Bescheides komme es nicht an. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Steuerbescheid vom 28. Oktober 2003 sei wirksam bekannt gegeben worden. Das vorläufige Insolvenzeröffnungsverfahren (seit dem xxx) stehe dem nicht entgegen. Entgegen der Darstellung der Kläger handele es sich nicht um einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter, sondern um einen schwachen, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin nicht übergegangen sei. In einem solchen Fall seien Verwaltungsakte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin dem Schuldner bekanntzugeben. Die zitierte Vorschrift § 240 ZPO setze ebenfalls die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Mit der Feststellung zur Tabelle habe der Insolvenzverwalter im Übrigen erklärt, dass er die Forderung anerkenne. Da im vorliegenden Fall das Grundstück bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens an die Kläger veräußert worden sei, sei es nicht zur Insolvenzmasse gelangt, sodass die Beklagte Absonderungsrechte diesbezüglich nicht hätte geltend machen können. Auch wenn andere Grundstücke in die Insolvenzmasse gelangt sein sollten, habe die Grundsteuerforderung bezüglich des Grundstücks der Kläger nicht durch Zwangsversteigerung dieser anderen Grundstücke befriedigt werden können. Der Vollstreckbarkeit stehe keine fehlende Mahnung entgegen. Die Beklagte habe am 6. Dezember 2002 gegenüber der Verkäuferin die aus dem Bescheid vom 28. Oktober 2002 offene Grundsteuersumme angemahnt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagten noch nicht bekannt gewesen, dass am 02. Dezember 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Eine Mahnung sei zu diesem Zeitpunkt entbehrlich gewesen, da das allgemeine Vollstreckungsverfahren des § 269 LVwG durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 89 InsO nicht mehr zulässig gewesen sei. Das Insolvenzverfahren ersetze insoweit als Gesamtvollstreckungsverfahren die Einzelvollstreckungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger. Die Beklagte habe die ihr zu diesem Zeitpunkt mögliche Vollstreckungshandlung mit der Anmeldung ihrer Forderung im Insolvenzverfahren 10. Februar 2003 durchgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Duldungsbescheid vom 02. September 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 7. September 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn es mangelt an der Vollstreckbarkeit der sogenannten Erstschuld (Grundsteuerschuld für die Jahre 2000 bis 2002).
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Rechtsgrundlage für den angefochtenen Duldungsbescheid betreffend Grundsteuern sind § 1 Abs. 2 Nr. 2, 3, 4, § 3 Abs. 2, § 191 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., Satz 3, § 77 Abs. 2 Satz 1 AO, § 12 GrStG.
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Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., Satz 3 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Wer das ist, ergibt sich aus § 77 Abs. 2 Satz 1 AO: 8222;Wegen einer Steuer, die als öffentliche Last auf Grundbesitz ruht, hat der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden“. Gemäß § 12 GrStG ruht die Grundsteuer auf dem Steuergegenstand als öffentliche Last (sog. dingliche Haftung). Die öffentliche Last begründet für den Abgabengläubiger das Recht auf Befriedigung aus dem belasteten Gegenstand und verpflichtet den Grundstückseigentümer, wegen der dinglich gesicherten Abgabenforderung die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden, auch wenn er nicht persönlicher Schuldner der Abgabe ist (vgl. Stöckel/Volquardsen, Grundsteuerrecht, 2. Aufl., § 12 GrStG, Rn. 2). Er ist jedoch berechtigt, die Zwangsvollstreckung durch Zahlung abzuwenden (vgl. Koenig, AO, 3. Aufl., § 77, Rn. 15). Die dingliche Haftung gewährleistet den Eingang der Abgabe auch in den Fällen, in denen die Forderung bei dem persönlichen Schuldner – z. B. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – uneinbringlich ist und eine persönliche Haftung Dritter nicht in Betracht kommt (vgl. Stöckel/Volquardsen, a. a. O., § 12 GrStG, Rn. 1). Steuergegenstand ist gemäß § 2 Nr. 2 GrStG der Grundbesitz im Sinne des Bewertungsgesetzes: die Grundstücke (§§ 68, 70 des Bewertungsgesetzes). Die materielle Duldungspflicht entsteht kraft Gesetzes mit dem Entstehen der Grundsteuer (vgl. Stöcke/Volquardsen, a. a. O., Rn. 5); die Grundsteuer entsteht mit Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist, § 9 Abs. 2 GrStG.p>
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Diese Voraussetzungen sind zwar zunächst erfüllt, da es sich vorliegend um die zu Beginn der Jahre 2000, 2001 und 2002 entstandenen Grundsteuern (§ 9 Abs. 2 GrStG), auf dem Grundst2;ck A-Straße in A-Stadt als öffentliche Last ruhend, handelt. Dieses Grundstück ist im Einheitswertbescheid des Finanzamtes vom 14. Februar 2003 als Grundbesitz (bewertet als Einfamilienhaus) bezeichnet, mithin tauglicher Steuergegenstand. Denn der Einheitswert spiegelt die wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes i. S. d. Bewertungsgesetzes wieder. Die Kläger waren gemäß Grundbuchauszug vom 21. April 2005 zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides hälftige (bürgerlich-rechtliche) Miteigentümer an dem betreffenden Grundstück. Nach § 77 Abs. 2 Satz 2 AO gilt zugunsten der Finanzbehörde als Eigentümer, wer als solcher im Grundbuch eingetragen ist (Fiktion). Dies soll die Durchsetzbarkeit von Grundsteueransprüchen mittels Duldungspflicht des Grundstückseigentümers erleichtern. Diese gesetzliche Vermutung ist nicht widerlegbar (BecKOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 1. Juli 2019, § 77, Rn. 60 m. w. N.; Koenig, AO, 3. Aufl., § 77, Rn. 19).
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Allerdings hat die dingliche Haftung nach 67; 12 GrStG aufgrund ihrer Abhängigkeit von der sog. „Erstschuld“ (Grundsatz der Akzessorietät) weitere – ungeschriebene – Tatbestandsmerkmale: sie setzt stets das Bestehen einer solchen Steuerschuld voraus. D. h. sie muss entstanden und darf noch nicht untergegangen – z. B. getilgt, verjährt oder erlassen – worden sein (vgl. BVerwG, U. v. 13. Februar 1987 – 8 C 25/85 –, juris Rn. 18). Gegenüber dem Erwerber eines Grundstücks setzt der (materielle) Duldungsanspruch weiter voraus, dass der Steueranspruch festgesetzt, fällig und vollstreckbar ist (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 22). Der „Duldungsschuldner“ i. S. v. § 191 Abs. 1 AO kann also stets nur soweit in Anspruch genommen werden, als dies auch beim Steuerschuldner möglich ist (vgl. Troll/Eisele, a. a. O., Rn. 2, 5). Der zugrundeliegende Anspruch muss noch nicht bestandskräftig sein (vgl. Koenig, a. a. O., § 191 AO, Rn. 133). Jedoch ist der durch Duldungsbescheid in Anspruch genommene Steuerpflichtige von Einwendungen gegen einen bestandskr8;ftig gewordenen Steuerbescheid ausgeschlossen (vgl. BFH, U. v. 1. März 1988 – VII R 109/86 –, juris Rn 17).
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Vorliegend sind zwar auch die weiteren ungeschriebenen Voraussetzungen (Entstehung der Steuerschuld, kein Untergang, Festsetzung des Steueranspruchs und dessen Fälligkeit) erfüllt, nicht jedoch das Tatbestandsmerkmals der Vollstreckbarkeit des Steueranspruchs. Da dies zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides führt, sieht das Gericht von näheren Ausführungen zu den übrigen Merkmalen ab.
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>Die Vollstreckbarkeit von Grundsteuerbescheiden richtet sich nicht nach der AO, sondern nach dem Landesrecht, hier dem LVwG. Denn § 3 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 2 AO verweist nicht auf die Vorschriften des Sechsten Teils (§ 249 ff. AO), der sich mit der Vollstreckung befasst. Dies ergibt deshalb Sinn, weil es sich bei der Grundsteuer um eine Realsteuer handelt, deren Aufkommen den Gemeinden zugewiesen ist (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG) und ihnen das Hebesatzrecht zugewiesen ist (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG), was ihnen erlaubt, die Höhe der Steuer selbst festzusetzen. Danach ist es zweckmäßig, dass die Gemeinden die Vollstreckung nach den ihn bekannten Vorschriften – des jeweiligen Landesrechts – durchführen. Dementsprechend sind vorliegend in Bezug auf den Grundsteuerbescheid vom 28. Oktober 2002 die §§ 262 ff. LVwG anwendbar. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welches in einem Fall betreffend einen Duldungsbescheid über rückständige Grundsteuern ausgeführt hat, dass sich die Vollstreckbarkeit nach irrevisiblem Landesrecht beurteile. Insbesondere müsse das Vorliegen von Leistungsgebot und das Fehlen von Vollstreckungshindernissen gegeben sein (vgl. BVerwG, U. v. 13. Februar 1987 – 8 C 25/85 –, juris Rn. 22). Aus dieser Entscheidung ist zu entnehmen, dass es sich nicht um eine Vollstreckbarkeit i. S. v. § 80 VwGO bzw. § 69 FGO, § 361 AO aus Bundesrecht handelt, sondern um die konkrete Vollstreckbarkeit nach den landesrechtlichen Vorschriften.
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Neben dem vorliegend zu bejahenden Leistungsgebot und der Fälligkeit gem. § 220 Abs. 1 AO i. V. m. § 28 Abs. 1 GrStG (§ 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 LVwG) bedurfte es danach zudem einer Mahnung, 7; 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 270 Abs. 1 LVwG. Daran fehlt es vorliegend, so dass die Vollstreckbarkeit der Erstschuld (Grundsteuer 2000-2002) aus diesem Grund zu verneinen ist.
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Nach § 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 270 Abs. 1 LVwG darf die Vollstreckung erst beginnen, nachdem die Schuldnerin oder der Schuldner mit einer Zahlungsfrist von einer Woche angemahnt worden ist. Die Mahnung ist erst zulässig nach Ablauf einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder nach Fälligkeit der Leistung, sofern die Leistung erst nach Bekanntgabe des Leistungsbescheides fällig wird. Die Mahnung muss die Vollstreckungsbehörde bezeichnen. Schriftliche Mahnungen sind verschlossen zu übergeben oder zu übersenden. In dem von der Beklagten übersandten Verwaltungsvorgang findet sich keine Mahnung. Soweit die Beklagte im Laufe des Klagverfahren angegeben hat, sie habe die Verkäuferin am 6. Dezember 2002 hinsichtlich der aus dem Bescheid vom 28. Oktober 2002 offenen Grundsteuersumme angemahnt, ist Folgendes anzumerken:
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Zum Einen ist in dem besagten „Schreiben“ – übersandt wurde lediglich ein Ausdruck aus dem Datenverarbeitungsprogramm – lediglich ein Teil der Hauptforderung, nämlich in Höhe von 249,75 € wegen vermeintlich angenommener Fälligkeit nur hinsichtlich dieses Teils enthalten, so dass es bereits danach an einer Mahnung über die restliche Hauptforderung fehlt. Zum Anderen ist die Mahnung vom 6. Dezember 2002 erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Dezember 2002 an die Verkäuferin versandt worden, d. h. zu einem Zeitpunkt, als Einzelvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern nicht mehr zulässig waren. Irrelevant ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Beklagten, sie habe am 6. Dezember 2002 noch keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehabt. Denn auf die Kenntnisnahme des einzelnen Gläubigers kommt es nicht an. Die Eröffnungswirkungen treten zu dem gem. § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO angegebenen Zeitpunkt ein (BGH, U. v. 19. Januar 2006 – IX ZR 232/04 – juris, Rn. 9). Damit waren seit dem 2. Dezember 2002, 11:00 Uhr, gem. § 89 InsO Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens unzulässig. Hierunter fällt auch die Mahnung, da sie dem Vollstreckungsverfahren zuzurechnen ist, wenngleich sie diesem als Tatbestandsmerkmal für den Beginn der Vollstreckung vorgelagert ist (vgl. Fischer, in PK, LVwG, § 269, Erl. 4, § 270, Erl. 2).
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Eine Mahnung war vorliegend auch nicht entbehrlich. Das LVwG sieht lediglich zwei Konstellationen vor, in denen es keiner Mahnung bedarf. Dies sind nach § 269 Abs. 3 die – hier nicht einschlägigen – Fälle, wonach Abs. 1 Nr. 3 nicht gilt für die Beitreibung von Zwangsgeldern und Kosten einer Ersatzvornahme (1.) oder Säumniszuschlägen, Zinsen, Kosten und anderen Nebenforderungen, wenn im Leistungsbescheid über die Hauptforderung oder bei deren Anmahnung auf sie dem Grunde nach hingewiesen worden ist (2.). Zudem kann ohne vorhergehende Mahnung vollstreckt werden, wenn Tatsachen darauf schließen lassen, dass die Mahnung den Vollstreckungserfolg gefährden würde (§ 269 Abs. 4 LVwG). Anders als in anderen Landesvollstreckungsgesetzen ist in Schleswig-Holstein die Mahnung damit zwingende Voraussetzung („ist“) für die Vollstreckbarkeit.
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- <p>Weitere ungeschriebene Ausnahmen von dem Erfordernis der Mahnung neben den normierten Fällen sind für das Gericht nicht erkennbar. Insbesondere kann Abs. 4 nicht sinngemäß herangezogen werden, da dort ein anderer Hintergrund besteht, nämlich das Beiseiteschaffen von Vermögen oder die Aufgabe eines Arbeitsplatzes, um das Vermögen oder pfändbare Forderungen vor dem Zugriff der Vollstreckungsbeamten zu schützen. Diese Gefahr ist jedoch eine andere, als der Umstand einer drohenden – unverschuldeten, im Sinne einer nicht absichtlich herbeigeführten – Vermögenslosigkeit und anstehender Insolvenz. Zu berücksichtigen ist dabei in dem konkreten Fall hier, dass die Verkäuferin bereits durch die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO gemäß Beschluss des Amtsgerichts x vom xxx unterlag, mithin ab diesem Tag grundsätzlich keine Gefahr mehr im Sinne von Abs. 4 drohte.
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Eine sinngemäße Anwendung kann nach Auffassung des Gerichts entgegen der Annahme der Beklagten auch nicht deshalb angenommen werden, weil nach § 89 InsO eine Einzelvollstreckung gem. § 269 LVwG unzulässig war, mithin auch eine Mahnung. Denn diese gesetzliche Folge (§ 89 InsO) stellt keinen Fall der Entbehrlichkeit eines Teils der Einzelvollstreckung dar, sondern verbietet diese gerade. Dann kann aber nicht gleichsam auf sie verzichtet werden, um darüber doch die („Einzel-“)Vollstreckbarkeit herbeizuführen, als Voraussetzung für den Duldungsbescheid. Die Mahnung als Vollstreckungsvoraussetzung kann auch nicht dadurch ersetzt werden, dass eine Steuerforderung zur Insolvenztabelle angemeldet wurde (vorliegend am xxx). Denn dabei handelt es sich gerade nicht um die Vollstreckbarkeit nach den landesrechtlichen Vorschriften im Sinne der oben zitierten Vorschriften, sondern eine Maßnahme im Rahmen der Gesamtvollstreckung im Insolvenzverfahrens. Das von der Beklagten hierfür in Anspruch genommene Zitat des Urteils des VG Düsseldorf (22. April 2015 – 5 K 8185/14, juris Rn. 60) verhilft nicht weiter. Dort hei23;t es:
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„Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Abgabenschuldners steht der Geltendmachung des Duldungsanspruchs gegenüber der Klägerseite nicht entgegen. Zwar geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das spezielle insolvenzrechtliche Vollstreckungsverbot nach § 251 Abs. 2 S. 1 AO in Verbindung § 89 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) einher: § 89 InsO verbietet während der Dauer des Insolvenzverfahrens (Einzel-)Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Dieses Verbot bezweckt den Schutz der gleichmäßigen, gemeinschaftlichen Befriedigung aller Gläubiger im Rahmen der durch das Insolvenzverfahren eingeleiteten Gesamtvollstreckung; geschützt sind dabei Insolvenzmasse und Insolvenzschuldner.“
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Zwar kann der Beklagten in der generellen Aussage zugestimmt werden, dass das Insolvenzverfahren insoweit als Gesamtvollstreckungsverfahren die Einzelvollstreckungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ablöst. Nicht gefolgt werden kann ihr jedoch darin, dass diese gleichsam die für einen Duldungsbescheid notwendigen einzelnen Maßnahmen nach dem landesrechtlichen Vollstreckungsrecht (vor Eintritt in das Insolvenzverfahren) ersetzt.
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Soweit die Beklagte darauf verweist, dass dies im Hinblick auf den Sinn und Zweck eines Duldungsbescheides zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, ist dem entgegenzuhalten, dass es sich vorliegend aufgrund der zeitlichen Abfolge (vorläufiger schwacher Insolvenzverwalter 19.06.2002, Grundsteuerbescheid 28.10.2002, Eröffnung Insolvenzverfahren 02.12.2002) um einen Einzelfall handelt, der von Seiten der Beklagten – eines Gläubigers – dadurch vermieden werden kann, dass zeitnah zum Entstehen der Grundsteuerschuld (Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist, § 9 Abs. 2 GrStG) ein entsprechender Festsetzungsbescheid ergeht, der sodann kurzfristig vollstreckt werden kann. Und nicht abzuwarten bis zu einem Zeitpunkt, in dem sich bereits ein Insolvenzverfahren andeutet, wie vorliegend durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Wartet der Gläubiger hingegen etwaige Festsetzungsfristen ab – was ihm unbenommen ist –, so hat er dann aber auch das Insolvenzrisiko zu tragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
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- § 12 GrStG 6x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 80 1x
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- § 77 Abs. 2 Satz 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 251 Abs. 2 S. 1 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 191 Abs. 1 AO 1x (nicht zugeordnet)
- VII R 109/86 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 262 ff. LVwG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 270 Abs. 1 LVwG 2x (nicht zugeordnet)
- InsO § 27 Eröffnungsbeschluß 1x
- § 1 Abs. 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 231 Abs. 1 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 191 AO 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 21 Anordnung vorläufiger Maßnahmen 3x
- § 269 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 LVwG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 240 Unterbrechung durch Insolvenzverfahren 2x