Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 168/19

Tenor

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Antragstellerin abzuschieben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen.

2

Sie ist serbische Staatsangehörige und reiste 2011 ins Bundesgebiet ein. Ein 2011 gestellter Asylantrag wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ein 2015 gestellter Asylfolgeantrag blieb erfolglos.

3

Vom 25.11.2015 bis zum 30.12.2015 befand sich die Antragstellerin zur stationären Behandlung im Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP) A-Stadt. Dort wurde folgende Diagnose getroffen: Agoraphobie mit Panikstörung, Anpassungsstörungen, Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung. In dem Bericht wird ausgeführt, die Antragstellerin habe unter mehrmals täglich auftretenden Panikattacken gelitten. Sie habe besonders gegenüber männlichen Mitarbeitern ein ängstliches Verhalten gezeigt. Im Verlauf sei zudem deutlich geworden, dass sie unter einer Tachykardie leide. Im stationären Verlauf habe sich die Symptomatik gebessert, sie sei letztlich in stabilisiertem Zustand entlassen worden.

4

Daraufhin kündigte die damals zuständige Ausländerbehörde an, eine Prüfung des Gesundheitszustands der Antragstellerin einzuleiten. Eine geplante amtsärztliche Untersuchung erfolgte jedoch nicht. Der Antragstellerin wurden in der Folgezeit Duldungen erteilt.

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In einer ärztlichen Stellungnahme vom 14.02.2017 wurde ausgeführt, es lägen keine relevanten Verbesserungen des Gesundheitszustandes vor. Die Antragstellerin leide u.a. weiter unter anhaltenden Tachykardien.

6

In der Stellungahme der Traumatherapeutin R vom 20.02.2017 wurde ausgeführt, im Fall einer Abschiebung sei eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustands zu erwarten. Die Antragstellerin würde panisch dekompensieren. Die Tachykardie könnte einen herzanfallmäßigen Kollaps provozieren, so dass ein Notarzteinsatz erfolgen müsse.

7

Im September 2017 zog die Antragstellerin nach A-Stadt. Die Antragsgegnerin forderte sie kurz danach auf, ein qualifiziertes ärztliches Attest in Bezug auf ihre Reisefähigkeit vorzulegen. Daraufhin wurde eine weitere Stellungnahme von Frau ... vorgelegt. Im Wesentlichen werden darin Folgen einer Re-Traumatisierung in Serbien beschrieben. Am Ende wird darauf hingewiesen, dass keine Reisefähigkeit vorliege. Der toxische Stress einer Abschiebung könne zu einem Zusammenbruch des Herz-Kreislaufsystems führen. Damit einhergehend könnten Hyperventilation, Ohnmacht bzw. eine Kurzschlussreaktion (Suizid) ausgelöst werden. Zudem wurde eine ärztliche Stellungnahme von Dr. ... vom 10.10.2017 vorgelegt, wonach eine begleitete Rückführung nicht Lösung des Problems sei, da sich aus der Rückreise längerfristige medizinische Folgen ergeben könnten, die zurzeit nicht absehbar seien.

8

Es erfolgte eine amtsärztliche Begutachtung bei der Antragsgegnerin, in deren Rahmen sich die Antragstellerin persönlich vorstellte. Auf diese Untersuchung wurde am 14.12.2017 folgende Stellungnahme von der Amtsärztin Dr. ... abgegeben: Es sei davon auszugehen, dass es im Rahmen des Rückführungstransports zu massiven Ängsten kommen werde und dadurch eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands zu erwarten sei. Es könne zu einer Dekompensation und suizidalen Handlungen kommen. Professionelle Begleitung müsse vorhanden sein, zudem müsse sichergestellt sein, dass am Zielort eine Übergabe an kompetente Betreuungspersonen sowie eine ggf. erforderliche Weiterleitung in eine geeignete medizinische Weiterbehandlung erfolgen könne. Es müssten Kopien der wesentlichen medizinischen Unterlagen mit Behandlungsanweisungen mitgeführt werden. Verstehe man Reisefähigkeit als Transportfähigkeit, sei diese eingeschränkt gegeben. Allerdings könne bei der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden, dass die auftretenden Komplikationen so massiv seien, dass die Beherrschbarkeit während eines Transports große Probleme verursache. Verstehe man die Reisefähigkeit im erweiterten Sinne, seien zusätzliche ausgeprägte medizinische Bedenken zu beachten. Aufgrund der schweren Erkrankung könne jede Veränderung der äußeren Umstände zu einer Dekompensation mit ungewisser Entwicklung führen. Allein die situative Belastung der Reise könne die Antragstellerin überfordern. Es könne zu einer Zunahme der körperlichen Beschwerden bis hin zur kardialen Dekompensation, aber auch zur Suizidalität kommen. Auf dem beigefügten Bescheinigungsbogen sind zur abschließenden Beurteilung mehrere Alternativen der ärztlichen Abschlussmitteilung gegeben. Darunter sind auch die Mitteilungen aufgeführt, dass unter Erfüllung bestimmter Auflagen (z.B. ärztliche Begleitung) keine Bedenken gegen die Abschiebung auf dem Luftweg bestehen. Dr. ... wählte hingegen folgende Mitteilung: „Aus ärztlicher Sicht bestehen folgende Bedenken bei der geplanten Rückführungsmaßnahme auf dem Luftweg:“ und führte dazu aus, aufgrund einer massiven Angststörung werde ärztlicherseits bezweifelt, dass die Antragstellerin eine Flugreise ohne gravierende gesundheitliche Zwischenfälle überstehe.

9

In der Folgezeit wurden weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt. Eine Stellungnahme von Dr. ... brachte keine neuen Erkenntnisse. In einer Stellungnahme des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin ... vom 13.02.2018 wurde ausgeführt, es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin im Fall der Abschiebung tatsächlich suizidal dekompensieren könnte, auch wenn sie sich zum Zeitpunkt der Untersuchung von Suizidalität distanziert habe.

10

Ein am 22.02.2018 durchgeführter Abschiebungsversuch scheiterte, da die Antragstellerin nicht in ihrer Wohnung angetroffen wurde. Die Antragsgegnerin hatte vor der Durchführung mit dem Landesamt für Ausländerangelegenheiten (LfA) dafür gesorgt, dass eine ärztliche Begleitung erfolgt wäre und dass ein Arzt in Serbien zugegen gewesen wäre.

11

Am 05.04.2018 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut auf, ein qualifiziertes Attest zum Zweck der Prüfung der Reisefähigkeit vorzulegen. Daraufhin wurde ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ... vorgelegt. Danach leide die Antragstellerin unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer mittelgradigen depressiven Episode, Agoraphobie mit Panikstörungen und rezidivierenden Tachykardien. Es bestehe eine latente Suizidalität, die phasenweise in akute Suizidalität übergehe. Die Antragstellerin sei vom 14.03.2018 bis zum 03.04.2018 erneut im ZIP stationär behandelt worden. Eine Ausreise könne im schlimmsten Fall zu einer Dekompensation des Herz-Kreislauf-Systems führen, welche potentiell tödlich enden könne. Auch bestehe die Möglichkeit eines Suizidversuchs. Reisefähigkeit sei nicht gegeben.

12

Am 14.08.2018 erfolgte eine erneute amtsärztliche Untersuchung. In der Stellungnahme vom 15.08.2018 führte Dr. ... aus, die Beschwerden hätten sich seit der letzten Begutachtung nur wenig verändert. Der erfolgte Abschiebungsversuch habe bei der Antragstellerin zu einer Re-Traumatisierung mit massiven Ängsten geführt. Es sei daher gesichert davon auszugehen, dass es im Rahmen der Rückführung zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit einer eventuellen Dekompensation sowie zu suizidalen Handlungen kommen könnte. Zudem wird die Einschätzung aus der vorangegangen Untersuchung wiederholt.

13

Ein erneuter Abschiebungsversuch am 22.07.2019 scheiterte, da die Antragstellerin nicht in ihrer Wohnung angetroffen wurde.

14

Die Antragstellerin hat am 01.11.2019 um Eilrechtsschutz nachgesucht.

15

Sie macht geltend, sie sei nicht reisefähig. Dabei bezieht sie sich im Wesentlichen auf die amtsärztlichen Stellungnahmen. Die Antragsgegnerin wisse selbst nicht, welche konkreten Vorkehrungen bei der Ankunft und Übergabe in Serbien erfolgen würden. Als abschiebende Behörde hätte sie zumindest Auskünfte vom LfA einholen müssen. Vom 03.09.2019 bis zum 25.09.2019 sei sie erneut in stationärer Behandlung gewesen, diesmal im ... Klinikum ....

16

Die Antragstellerin beantragt,

17

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragstellerin, vorläufig bis zur Herstellung der Reisefähigkeit, zu unterlassen.

18

Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

20

Sie macht geltend, es liege zwar eine schwerwiegende Krankheit vor, eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands sei indes nicht sicher. Die ärztliche Begleitung sei ausreichend. Bei Komplikationen könne die Rückführung ggf. abgebrochen werden. Es sei Aufgabe des LfA, sich im Heimatland der abgeschobenen Personen mit den dortigen Behörden und Institutionen um den Empfang zu kümmern.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend Bezug genommen auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin, insbesondere auf die dort enthaltenen ärztlichen Unterlagen, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten.

II.

22

Der Antrag ist zulässig.

23

Er ist insbesondere als Antrag gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.

24

Der Antrag ist auch begründet.

25

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgeblich sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

26

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht. Aufgrund der vorliegenden ärztlichen Unterlagen ist ein vorübergehendes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in dem für das Verfahren nach § 123 VwGO erforderlichen Maße dargelegt worden, sodass die beantragte Sicherungsanordnung zu erlassen war.

27

Die Abschiebung ist nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist unter anderem dann gegeben, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben und damit für die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Grundrechte zu befürchten ist. Hinsichtlich der sogenannten inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen wegen Reiseunfähigkeit, die von den zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG abzugrenzen sind, ist zwischen zwei Fällen zu differenzieren. Eine Reiseunfähigkeit im engeren Sinne liegt dann vor, wenn der Ausländer aus gesundheitlichen Gründen transportunfähig ist, wenn sich also sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht. Darüber hinaus kann sich außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs eine konkrete Gesundheitsgefahr gerade durch die Abschiebung als solche ergeben, wenn sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich – d.h. nicht nur geringfügig – oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (sogenannte Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Zur Abgrenzung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Abschiebungsvorgang erforderlich (OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 – juris, Rn. 3).

28

Bei der Frage, ob ein rechtliches Abschiebungshindernis in diesem Sinne vorliegt, ist zu beachten, dass gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, ist durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen, § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen enthalten, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer fachärztliche Berichte vor, sind diese zum Beweis für eine Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten (Bayrischer VGH, Beschluss vom 05. Juli 2017 – 19 CE 17.657 – juris, Rn. 22). Die oben beschriebenen Gefahren können sich auch aus einer festgestellten psychischen Erkrankung ergeben (OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 – juris, Rn. 3; Beschluss vom 9. Dezember 2011 – 4 MB 63/11; Bayrischer VGH, Beschluss vom 5. Juli 2017 – 19 CE 17.657 – juris, Rn. 20; jeweils m.w.N.). Im Fall eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers geht es nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebungsvorgangs selbst schädigende Handlungen zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.08.2017 – 11 S 1724/17 – juris, Rn. 27; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 01. August 2019 – 3 EO 276/19 – juris, Rn. 14). Bestehen ausreichende Anhaltspunkte aus denen beachtliche Zweifel an der Reisefähigkeit folgen, hat die Behörde im Einzelfall den Sachverhalt weiter aufzuklären, etwa durch Anordnung einer ärztlichen Untersuchung (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. August 2019 – 3 B 187/19 – juris, Rn. 11).

29

Im Zusammenhang mit einer möglichen Suizidgefahr kann im Einzelfall ein rechtliches Abschiebungshindernis vorliegen, sofern schlüssig und nachvollziehbar glaubhaft gemacht worden ist, dass die Suiziddrohungen Krankheitswert aufweisen und dass hinreichend gewichtige und konkrete Anhaltspunkte dafür dargelegt und festgestellt sind, es werde krankheitsbedingt mit Rücksicht auf die angekündigte Abschiebung oder während derselben zu einem Suizidversuch kommen können. Nur dann gebietet die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG resultierende Schutzpflicht des Staates von der Abschiebung abzusehen. Wenn lediglich ein Suizidversuch noch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Unzulässigkeit der Abschiebung (vgl. zum Ganzen: Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, April 2017, § 60a AufenthG, Rn. 144).

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Im Hinblick auf die Beachtung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter ist es darüber hinaus nicht zu beanstanden, kumulativ zum Vorliegen einer solchen konkreten Gefahr der wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands zu verlangen, dass diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder effektiv gemindert werden kann (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. September 2014 – 2 BvR 1795/14 – juris, Rn. 11). Sofern im konkreten Einzelfall eine entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung möglich ist, sind die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Februar 1998 – 2 BvR 185/98 – juris, Rn. 4). Gerade weil es sich bei psychischen Erkrankungen, in deren Zusammenhang eine Suizidgefahr nicht auszuschließen ist, regelmäßig um nur vorübergehend hindernde Umstände handelt (OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 – juris, Rn. 5) liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor, wenn die Abschiebung – also der gesamte Abschiebungsvorgang, einschließlich der Ankunft im Zielstaat und einer etwaigen Empfangnahme – von der Ausländerbehörde so gestaltet werden kann, dass der Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (Bayrischer VGH, Beschluss vom 5. Juli 2017 – 19 CE 17.657 – juris, Rn. 29; OVG Saarlouis, Beschluss vom 14. Februar 2018 – 2 B 21/18 – juris, Rn. 14). Ob dies hinreichend sichergestellt ist, kann allerdings nicht abstrakt, sondern nur unter Würdigung der Einzelfallumstände beantwortet werden (OVG Magdeburg, Beschluss vom 06.09.2017 – 2 M 83/17 – juris, Rn. 3; OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 – juris, Rn. 5).

31

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Antragstellerin in Bezug auf die psychischen Beschwerden glaubhaft gemacht, dass eine Erkrankung vorliegt, aufgrund derer sie aktuell reiseunfähig ist. Abzustellen ist dabei vorrangig auf die amtsärztlichen Stellungnahmen und die fachärztliche Stellungnahme von Herrn .... Die dort geäußerten Bedenken werden nicht lediglich behauptet, sondern ausführlich und nachvollziehbar begründet. Zudem wird gerade nicht festgestellt, dass eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands durch Begleitmaßnahmen vermieden werden kann, vielmehr werden aufgrund der besonderen Situation der Antragstellerin erhebliche Zweifel an der Beherrschbarkeit möglicher Komplikationen geäußert. Insbesondere wird nicht geschlussfolgert, dass die Maßnahmen unter Auflagen durchgeführt werden könne, wie es der Kammer aus diversen anderen Verfahren bekannt ist. Es liegt im Ergebnis eine amtsärztliche Stellungnahme vor, die konkrete Bedenken äußert und gerade keine Vorkehrungen in Erwägung zieht, die diese Bedenken hinreichend ausräumen können. Zudem wird ausdrücklich geäußert, dass eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands zu erwarten sei. Dies zusammen betrachtet mit der diagnostizierten Tachykardie ist in diesem konkreten Fall ausreichend, um derzeit von einer Reiseunfähigkeit auszugehen.

32

Vor diesem Hintergrund war dem Risiko vorliegend auch nicht durch eine Maßgabe mit entsprechenden Vorkehrungen bei der Gestaltung der Abschiebung zu begegnen.

33

Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde wegen der in der Rechtsprechung anerkannten Reisefähigkeit im weiteren Sinne auch Umstände zu berücksichtigen hat, die bei der Übergabe im Zielland eintreten, sofern diese in unmittelbarem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Abschiebevorgang selbst stehen. Zwar ist es aus nachvollziehbaren Gründen gängige Praxis, dies im Wege der Amtshilfe auf das LfA auszulagern, zuständige Behörde bleibt jedoch in der Regel die örtliche Ausländerbehörde.

34

Daher waren aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorläufig zu untersagen. Die Kammer sieht davon ab, die Herstellung der Reisefähigkeit in den Beschlusstenor mitaufzunehmen, da die Frage der Reisefähigkeit letztlich eine rechtliche Bewertung aktueller Tatsachen betrifft. Gerade über das Vorliegen der Reisefähigkeit streiten die Beteiligten. Auch die Antragsgegnerin beabsichtigt nicht, die Antragstellerin im Zustand der Reiseunfähigkeit abzuschieben.

35

Im Hinblick darauf, dass eine Reiseunfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung in der Regel vorübergehend ist, wird klarstellend darauf hingewiesen, dass die Untersagung vorläufig ist und einer zukünftigen erneuten Begutachtung grundsätzlich nichts im Wege steht. Sollte das Ergebnis einer amtsärztlichen Untersuchung jedoch unverändert bleiben, dürfte dies zur Herstellung der Reisefähigkeit nicht ausreichen.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

37

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


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