Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 53/20

Tenor

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Antragstellerin begehrt, aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie nicht zum Präsenzunterricht herangezogen zu werden.

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Die ... Jahre alte Antragstellerin steht als Lehrerin in den Diensten des Antragsgegners. Sie ist an der Schule am ... - Förderzentrum mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung in A-Stadt tätig.

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Die Antragstellerin leidet an allergischem Asthma sowie einer rechtsseitigen Stimmbandlähmung. Hierzu übermittelte sie dem Antragsgegner sowie der Betriebsärztin ... drei entsprechende ärztliche Atteste vom 28. April 2020, 16. Juni 2020 sowie vom 30. Juni 2020, um eine Befreiung von der Pflicht zur Erteilung von Präsenzunterricht zu erhalten. Die Atteste bescheinigten jeweils ihre Zugehörigkeit zur sog. Risikogruppe in Bezug auf das SARS-CoV-2-Virus.

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Mit E-Mail vom 11. Juli 2020 teilte die Betriebsärztin der Antragstellerin mit, dass sie bezogen auf ihren Schulstandort, Schultyp, die daraus resultierende Gefährdungsbeurteilung, sowie das aktuelle Infektionsgeschehen berücksichtigend, im Rahmen der arbeitsvertraglich und dienstrechtlich festgelegten Aufgaben in ihrer Schule einsetzbar sei.

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Am 10. August 2020 hat die Antragstellerin die Kammer um gerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht.

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Sie macht geltend, dass sie eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung bei der Heranziehung zu Präsenzunterricht befürchte, die von dem Antraggegner nicht individuell und angemessen bewertet worden sei. An ihrer Schule bestehe, bedingt durch die räumliche Nähe zur Stadt Hamburg, ein höheres Infektionsrisiko, da die Infektionszahlen in Hamburg die Schleswig-Holsteins bislang überstiegen hätten. Ein Teil des Kollegiums der Antragstellerin wohne zudem in Hamburg. Darüber hinaus würden an ihrer Schule Schüler mit Förderbedarf auf dem Feld der geistigen Entwicklung beschult, womit oftmals eine besondere Schwierigkeit bei der Vermittlung der aktuellen Gefahrensituation sowie zur Einhaltung der damit verbundenen notwendigen Maßnahmen verbunden sei. Darüber hinaus seien die Schüler zu einem gewissen Teil auf intensive Assistenzleistungen der jeweiligen Lehrkräfte angewiesen, wobei ein enger körperlicher Kontakt im Bereich der Pflege, etwa beim Essen und begleitenden Toilettengängen unabdingbar sei. In der ihr für das kommende Schuljahr zugewiesenen Klasse aus zehn Schülern, würden auch fünf Schüler Begleitpersonen benötigen, sodass vier zusätzliche Personen während des Unterrichts anwesend seien. Hinzu komme, dass die Klassenräume der Schule klein gehalten seien, da sie ursprünglich für fünf bis sechs anstatt der nunmehr zehn Schüler in einer Klasse vorgesehen gewesen seien. Das Abstandsgebot von 1,5 Metern könne daher nicht eingehalten werden. Das Tragen von Masken oder sonstigen Schutzkleidungsstücken an der Schule sei ebenfalls nicht vorgesehen. Es könne ihr angesichts der damit verbundenen körperlichen Belastungen auch nicht zugemutet werden, sich in eine entsprechende Schutzmontur zu kleiden, weil dies ihre Asthmaerkrankung bestärken würde. Zudem beeinträchtige dies den pädagogischen Erfolg des Unterrichts. Insgesamt sei das von der Schule erarbeitete Grundkonzept nicht geeignet, weitere Ansteckungen effektiv zu verhindern. Es fehle insoweit an einer angemessenen Bewertung ihrer Gefährdungslage.

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Der Antragsgegner tritt dem entgegen und trägt vor, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da es an einer Antragsbefugnis der Antragstellerin fehle. Die Versagung des Begehrens könne die Antragstellerin nicht in ihren subjektiven Rechten verletzen, da ausgeschlossen sei, dass ihr ein Anspruch auf ein unbefristetes und vorbehaltloses Fernbleiben vom Präsenzunterricht zustehe.

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Der Antrag sei auch unbegründet, da die vorzunehmende Abwägung zwischen Arbeitsschutzgesichtspunkten und der Dienst- und Treuepflicht der Antragstellerin hier nicht dazu führe, dass sich die Antragstellerin ihrer Dienstpflicht entziehen könne. Eine arbeitsmedizinische Bewertung der individuellen Risikosituation anhand der attestierten Vorerkrankung sei erfolgt und auf Grundlage der schulischen Gefährdungsbeurteilung vorgenommen worden, die sowohl die Schulart, den Schulstandort sowie das aktuelle Infektionsgeschehen berücksichtige. Die Antragstellerin sei an ihrer Schule aktuell keinem über dem allgemeinen Lebensrisiko liegenden Risiko einer Infektion ausgesetzt. Die Zuordnung zu einer „Risikogruppe" entsprechend der infektionsepidemiologischen Auswertungen des Robert-Koch-Instituts bilde lediglich den Anlass für eine entsprechende arbeitsmedizinische Einzelfallprüfung. Diese Risikogruppenzuordnung stelle kein Präjudiz für das Ergebnis der arbeitsmedizinischen Bewertung dar. Er habe mit der Handreichung für Schulen „Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen im Rahmen des Schulbetriebs unter dem Aspekt des Schutzes vor Ansteckung durch das SARS-CoV-2" vom 23. Juni 2020 generelle Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten geschaffen, die an der jeweiligen Schule umzusetzen seien. Zusätzlich habe die Schule der Antragstellerin ein individuelles Hygienekonzept aufgestellt, welches laufend fortgeschrieben und entsprechend der aktuell geltenden Vorgaben überarbeitet werde. In dem Hygienekonzept vom 2. August 2020 sei insbesondere vorgesehen, in den Fällen, in denen ein Abstand von mindestens 1,5 Metern nicht gewährleistet werden könne, eine von der Schule zur Verfügung gestellte FFP 2 Maske zu tragen. Zudem seien in dieses Hygienekonzept die Ergebnisse des Beratungsgespräches zwischen dem Schulleiter, dem örtlichen Personalrat sowie der Antragstellerin eingeflossen. Konkret für die Antragstellerin sei vorgesehen, diese ausschließlich in Doppelbesetzung im Präsenzunterricht einzusetzen, ihr eine FFP 2 Maske sowie eine mobile Plexiglas-Spuckschutzwand zur Verfügung zu stellen und sie an Konferenzen digital teilnehmen zu lassen; für einen Unterricht im Freien sei für sie und ihre Klasse ein Pavillon aufgestellt. Das Ansteckungsrisiko sei damit auf ein zumutbares Maß minimiert. Einen allumfassenden Gesundheitsschutz, der jegliches Risiko einer Erkrankung ausschließe, könne es während der pandemischen Lage nicht geben und es gebe ihn im Übrigen auch in zahlreichen anderen Tätigkeitsbereichen nicht. Der besonderen Situation nach den Sommerferien werde durch zusätzliche präventive Schutzmaßnahmen wie die dringende Empfehlung zum Tragen von Schutzmasken und die Teststrategie des Bundes für die Rückkehrenden aus Risikogebieten Rechnung ausreichend getragen.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

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Der nach §§ 122, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sinngemäß darauf gerichtete Antrag der Antragstellerin,

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dem Antragsgegner einstweilig zu untersagen, sie zum Präsenzunterricht heranzuziehen, bis er ausreichende Maßnahmen zur Vermeidung einer Infektion bei ihr mit SARS-CoV-2 während ihres Dienstes getroffen hat,

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ist (noch) zulässig. Zutreffend weist der Antragsgegner zwar daraufhin, dass der Antrag der Antragstellerin, der in seiner ursprünglich gestellten Fassung weder eine zeitliche noch sachliche Befristung der Untersagung zum Heranziehung zum Präsenzunterricht enthält, keinen geeigneten Gegenstand darstellt, über den im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens entschieden werden kann. Es fehlt insofern - auch in Anbetracht der Grundsätze der ausnahmsweisen Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache wegen der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) - am vorläufigen Charakter des Rechtschutzbegehrens. Vielmehr wäre unmittelbare Folge der Stattgabe des ursprünglichen Antrags eine inzidente Feststellung der Dienstunfähigkeit, die jedoch die Regelungen der §§ 41 ff. Landesbeamtengesetz Schleswig-Holstein (LBG SH) umgehen würde. Dies ist jedoch von der Antragstellerin offensichtlich nicht gewollt, mit der Folge, dass ihr Antrag auszulegen ist. So rügt sie im Wesentlichen, dass der Dienstherr und die Schule, an der sie unterrichtet, keine ausreichenden Schutzmaßnahmen getroffen haben, um ihrem individuell erhöhten Gesundheitsrisiko, das mit einer Infektion mit SARS-CoV-2 besteht, gerecht zu werden. Aus diesem Grund ist ihr Antrag entsprechend ihrem Begehren insofern zu begrenzen und seine Zulässigkeit zu bejahen.

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Der Antrag bleibt allerdings in der Sache ohne Erfolg. Er ist unbegründet.

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Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dazu hat der Antragsteller Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich ergibt, dass ihm ein Anspruch, ein Recht oder ein sonstiges schützenswertes Interesse zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und ferner, dass dieser Anordnungsanspruch in Folge einer Gefährdung durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss, somit eine Eilbedürftigkeit besteht (sog. Anordnungsgrund, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Dies zugrunde gelegt, ist es der Antragstellerin zwar gelungen, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Für die Kammer bestehen keinerlei Zweifel an der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung, da das Schuljahr 2020/2021 bereits am 10. August 2020 begonnen hat, und damit die Antragstellerin verpflichtet ist, im Rahmen ihrer Dienstpflichten Präsenzunterricht durchzuführen.

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Demgegenüber ist ein Anordnungsanspruch vorliegend zugunsten der Antragstellerin zu verneinen. Ein solcher setzt voraus, dass der Antragstellerin bei den ergriffenen Maßnahmen die Durchführung von Präsenzunterricht unter Abwägung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn mit ihrer beamtenrechtlichen Einsatzpflicht unzumutbar ist.

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Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn wird verfassungsrechtlich durch Art. 33 Abs. 5 GG garantiert. Sie hat einfachgesetzliche Konkretisierungen in § 45 BeamtStG gefunden. Danach hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien zu sorgen und die Beamtinnen und Beamten bei ihrer amtlichen Tätigkeit und in ihrer Stellung zu schützen. Von der Fürsorgepflicht ist auch die Pflicht des Dienstherrn umfasst, für die Ausübung des Amtes angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen (BVerwG, Urt. v. 24. Januar 2013 – 5 C 12/12 –, BVerwGE 145, 315-325, Rn. 24, m.w.N.). Der Beamte hat kraft der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch gegen diesen auf Schutz nicht nur vor sicheren, sondern schon vor ernstlich möglichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit durch Einwirkungen am Arbeitsplatz (BVerwG, Urt. v. 13. September 1984 – 2 C 33/82 –, Rn. 18, juris).

18

Darüber hinaus sind die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) unmittelbar auch auf Beamte anwendbar, § 2 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 22. November 2017 - 2 LA 117/15 - juris, Rn. 11). Dieses wird wiederum durch die Regelungen der Arbeitsstättenverordnung noch näher konkretisiert. Danach ist der Dienstherr verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben und sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird, § 4 Nr. 1 ArbSchG. Nach § 4 Nr. 6 ArbSchG sind dabei auch spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen zu berücksichtigen.

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Hieraus folgt im Einzelnen auch ein ggf. gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des Beamten auf Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften. Die Auswahl zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Abhilfe liegt allerdings im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn (BVerwG, Urt. v. 13. September 1984 – 2 C 33/82 –, Rn. 19, juris).

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Der vorstehende Anspruch, der der Antragstellerin hier unstreitig zusteht, führt jedoch nicht zu dem zwingenden Schluss, dass ihr das Recht zusteht, den Dienst - hier in Form des Präsenzunterrichts - zu verweigern. Ob diesbezüglich ein Verweigerungsrecht entsprechend § 273 BGB besteht, richtet sich nach den Umständen im jeweiligen Einzelfall. Das Interesse des Arbeitgebers, die Arbeitsleistung zu erhalten, ist abzuwägen mit dem individuellen Interesse des Arbeitnehmers an der Einhaltung der beanspruchten arbeitsrechtlichen Schutzpflichten. Entsprechendes gilt im öffentlichen Dienstrecht, wo die von der Antragstellerin beanspruchte, durch arbeitsschutzrechtliche Regelungen konkretisierte Fürsorgepflicht des Dienstherrn in einem vergleichbaren Verhältnis zu ihrer beamtenrechtlichen Einsatzpflicht (§ 34 Satz 1 BeamtStG) steht. Ein Recht zur Verweigerung der Arbeits- oder Dienstleistung besteht nur, wenn diese bei Nichteinhaltung der Schutzvorschriften unzumutbar ist (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 B 1308/20 –, Rn. 10, juris, m.w.N.). Maßgeblich für die Beurteilung des Einzelfalles sind dabei insbesondere die vom Dienstherrn für den jeweiligen Dienstort aufgestellten Schutzkonzepte. Bieten diese neben dem Schutz der Allgemeinheit, ausreichende Maßnahmen zum Individualschutz, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion der einzelnen Beamten unter Berücksichtigung ihrer Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe möglichst zu vermeiden, muss ein darüberhinausgehendes Dienstverweigerungsrecht ausgeschlossen sein.

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Diesen - strengen - Maßstab für die Annahme eines Dienstverweigerungsrechts seitens eines Beamten zugrunde gelegt, ist ein Anspruch der Antragstellerin auf Verweigerung des Präsenzunterrichts nicht glaubhaft gemacht. Die nach dem Vorstehenden gebotene Bewertung der Zumutbarkeit zur Heranziehung zum Dienst geht zulasten der Antragstellerin aus. Denn die hier vom Antragsgegner getroffenen Maßnahmen werden dem sich aus der Fürsorgepflicht und den arbeitsrechtlichen Schutzpflichten ergebenden Maßstab gerecht.

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Die Antragstellerin ist nach § 34 Satz 1 BeamtStG verpflichtet, ihre Kernaufgabe der Unterrichtserteilung zu erfüllen. Die Unterrichtserteilung erfolgt grundsätzlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern in persönlicher Präsenz. Im Ergebnis führt ihre besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe nicht dazu, dass ihr die Erfüllung dieser Pflicht als Kern ihrer beamtenrechtlichen Einsatzpflicht gegenwärtig nicht zugemutet werden kann.

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Zwar gehört die Antragstellerin grundsätzlich aufgrund ihrer Erkrankung an allergischem Asthma bronchiale und ihrer einseitigen Stimmbandlähmung zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Beschäftigten. Sie ist aufgrund ihrer chronischen Lungenerkrankung nach der Information des Robert Koch-Instituts (SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 - COVID-19 - Stand: 07.08.2020) zunächst Teil einer der Personengruppen, bei denen im Fall einer Infektion mit SARS-CoV-2 allgemein häufiger schwere Krankheitsverläufe beobachtet werden.

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Allerdings ist für die Risikobeurteilung auch nach den Informationen des RKI jeweils eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Patienten mit Asthma bronchiale sind nach der arbeitsmedizinischen Empfehlung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nur dann besonders schutzbedürftig, wenn es sich um eine „unkontrollierte“ Erkrankung handelt. Diese Einschätzung steht im Einklang mit einer aktuellen medizinischen Studie aus Frankreich (insgesamt 768 Patienten, davon 37 Asthmatiker), die zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine Asthma-Erkrankung grundsätzlich nicht zu schwereren Verläufen führt (https://www.pharmazeutische-zeitung.de/kein-erhoehtes-risiko-fuer-schweres-covid-19-119321/). Eine derartige Erkrankung hat die Antragstellerin vorliegend nicht dargelegt.

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Dass sich der Antragsgegner für die hier vorzunehmende Einzelfallbetrachtung an der arbeitsmedizinischen Empfehlung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum „Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten“ orientiert hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

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Die ergriffenen konkreten und im gerichtlichen Verfahren umfassend dargelegten Maßnahmen erscheinen gegenwärtig ausreichend, um das Risiko einer Erkrankung der Antragstellerin an SARS-CoV-2 auch in Anbetracht der bei ihr erhöhten Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. Die Antragstellerin hat nicht plausibel dargestellt, in welcher Weise die ergriffenen Maßnahmen auch in Anbetracht ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit unzureichend sein sollen und welche zusätzlichen Maßnahmen aus welchen Gründen unabdingbar geboten seien.

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Weiter ist es der Antragstellerin nicht gelungen darzulegen, weshalb die Einschätzung der Betriebsärztin, dass sie einsetzbar sei, fehlerhaft zustande gekommen sein soll. Zwar fehlt es an einer schriftlichen Begründung der gegenüber der Antragstellerin erfolgten Einschätzung der Einsatzfähigkeit. Der Betriebsärztin lagen jedoch nach Angaben der Antragstellerin alle von ihr im Rahmen des Antrags in Bezug genommenen Atteste vor, sodass keine diesbezüglichen Defizite erkennbar sind. Die Betriebsärztin hat die übersendeten Atteste ausweislich ihrer E-Mail vom 11. Juli 2020 zur Kenntnis genommen. Für die Kammer liegen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die arbeitsmedizinische Beurteilung im Ergebnis unzutreffend ist oder eine Prüfung im Einzelfall unterblieben ist. Allein aus dem Umstand, dass eine einzige Betriebsärztin bei rund 2000 gestellten Anträgen von Lehrern auf Befreiung vom Präsenzunterricht zuständig ist, lässt sich nicht zwingend schließen, dass sie nicht jeden Einzelfall umfassend arbeitsmedizinisch geprüft hat.

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Der Antragsgegner hat zudem mit der Handreichung für Schulen „Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen im Rahmen des Schulbetriebs unter dem Aspekt des Schutzes vor Ansteckung durch das SARS-CoV-2" vom 23. Juni 2020 generelle Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten geschaffen, die an der jeweiligen Schule umzusetzen sind und diese Handlungsempfehlungen in einem Schaubild zusammengestellt, das den Schulleitern als Hilfestellung dienen soll, um auf das Pandemiegeschehen regional differenziert reagieren zu können.

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Die Schule der Antragstellerin hat auf dieser Grundlage ein umfangreiches, über ein Schaubild hinausgehendes Hygienekonzept entwickelt, das Verhaltensregeln, Regelungen zum Ausschluss kranker Kinder und zum Personaleinsatz und insbesondere auch zum Umgang mit Personen erhöhten Risikos an einem schwerwiegenden COVID-19-Krankheitsverlauf trifft. Hinzu kommen die Beschreibung des Verhaltens beim Auftreten von Krankheitszeichen in der Schule (Kinder und Beschäftigte), allgemeine Verhaltensregeln im Bereich der Hygieneregeln sowie Hinweise zum Umgang mit Mund-Nasen-Bedeckung. Beschrieben ist zudem die Rahmenhygiene im Bereich Gruppengröße sowie bei der Nutzung von Räumen und im Außenbereich und das Belüften. Das Konzept schließt mit Ausführungen zur Lebensmittelhygiene, zur offenen Ganztagsschule und mit weiteren Verweisen und Erläuterungen.

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Darüber hinaus besteht auch ein individuelles Arbeitsschutzkonzept, welches die Schule auf Grundlage der Ergebnisse eines Beratungsgesprächs mit der Antragstellerin erarbeitet und dieser mit Schreiben vom 8. August 2020 vorgelegt hat. Dieses Arbeitsschutzkonzept berücksichtigt die besondere Schutzbedürftigkeit der Antragstellerin. Danach solle immer eine zweite Lehrkraft im Klassenraum sein, die direkt am Kind arbeiten könne. Wenn dies nicht gewährleistet sei, könne und müsse die Antragstellerin die Klasse daher nicht allein unterrichten. Die Eltern seien darauf hingewiesen worden, dass bei personellen Engpässen auch kurzfristig Schülerinnen und Schüler zu Hause bleiben müssten. Neben den allgemeinen Schutzmaßnahmen (Hygiene, Abstand, Mund-Nase-Schutz, Visier, Schutzhandschuhe, Kittel) werde der Antragstellerin eine FFP 2 Maske zur Verfügung gestellt. Außerdem erhalte sie eine mobile Spuckwand (Plexiglaswand auf einem Rolltisch). Räumlich könne sie entscheiden, im Nebenraum der Klasse mit Kleingruppen zu arbeiten. Die restliche Klasse würde dann von der zweiten Lehrkraft beschult. Das Arbeiten im Freien werde ermöglicht. Jede Klasse habe ihren abgetrennten Außenbereich und es werde ein Pavillon für die Antragstellerin aufgestellt. Von Konferenzen am Ort sei die Antragstellerin befreit und könne digital teilnehmen.

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Die Kammer hat auch keinen Anlass daran zu zweifeln, dass sowohl der Antragsgegner als auch die Schule der Antragstellerin entsprechend auf das jeweilige aktuelle Infektionsgeschehen und etwaige steigende Fallzahlen reagieren werden. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat gemäß § 34 Absatz 9 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, soweit der Fall eintritt, dass die Gefahr einer Weiterverbreitung des Virus besteht. Die vorgesehenen Abläufe werden im „Corona-Reaktions-Plan Schule SH" verdeutlicht, die der Antragsgegner vorgelegt hat. Wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, ist das für die Gefährdungsbeurteilung maßgebliche regionale Infektionsgeschehen weiterhin auf niedrigem Niveau im gesamten Kreis ..., obwohl sich dieser in direkter Nähe zum Stadt Hamburg befindet (aktuell infizierte 11 Personen im Kreis ..., Stand 18. August 2020), sodass gegenwärtig nicht von einem erhöhten Infektionsrisiko, insbesondere auch nicht in der Schule der Antragstellerin auszugehen ist.

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Damit sind unter Fürsorge- und Arbeitsschutzgesichtspunkten sowohl allgemein hinreichende Vorkehrungen getroffen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung des momentanen Infektionsgeschehens geeignet sind, das Risiko einer Ansteckung an der Schule allgemein auf ein vertretbares und zumutbares Maß zu begrenzen und eine Gefährdung der Lehrkräfte zu minimieren. Zudem ist auch durch das individuelle Konzept der Risikogruppenzugehörigkeit der Antragstellerin in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Insbesondere wird sie trotz der besonderen Situation an einer Schule für Schüler mit geistigem Förderbedarf durch die zweite Lehrkraft sowie das Nutzen von weiteren Schutzmaßnahmen sicherstellen können, dass ein Mindestabstand von ihr zu den Schülern gewahrt und ein direkter Kontakt weitgehend vermieden bleibt. Aufgaben, die unmittelbare Nähe zu Schülern erfordern, können insoweit von der zweiten Lehrkraft durchgeführt werden. Ebenso ist es der Antragstellerin möglich, ihr eigenes Verhalten unter Beachtung der aufgestellten Abstands- und Hygieneregeln dahingehend auszurichten, einen Kontakt zu anderen Lehrkräften auf das erforderliche Mindestmaß zu begrenzen. Soweit die Antragstellerin die Schutzmaßnahmen auch aus medizinischen Gründen ablehnt, hat sie hierfür keine sachkundigen Belege angeführt.

33

Die Beurteilung des möglicherweise eingeschränkten pädagogischen Werts des unter Schutzmaßnahmen durchgeführten Unterrichts ist darüber hinaus lediglich Aufgabe des Schulleiters und stellt kein relevantes Kriterium für die Bemessung der Zumutbarkeit von Präsenzunterricht für die Antragstellerin dar.

34

Aus dem Anspruch auf Fürsorge und aus den arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften ergibt sich gerade kein Anspruch der Antragstellerin darauf, an der Schule eine NulIrisiko-Situation anzutreffen. Ein allumfassender Gesundheitsschutz während einer pandemischen Lage kann nicht sichergestellt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Schulen Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind, vgl. § 33 Nr. 3 IfSG. Mithin besteht in einer Gemeinschaftseinrichtung bereits eine allgemeine Infektionsgefährdung in Bezug auf sämtliche Infektionserkrankungen, denen sich eine Lehrkraft aufgrund ihrer Dienstleistungspflicht grundsätzlich auszusetzen hat.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.

36

Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).


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