Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 58/20

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3993,66 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag der Antragstellerin,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Polizeikommissaranwärterin in der Laufbahngruppe 2.1 bei der Schleswig-Holsteinischen Landespolizei zu beschäftigen,

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ist zwar zulässig, aber unbegründet.

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Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragstellerin einen Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Zwar hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund, also die besondere Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung, glaubhaft gemacht. Zunächst ist eine rückwirkende Ernennung zum Beamten auf Widerruf nach § 8 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) nicht zulässig. Ein beamtenrechtlicher Ersatzanspruch, mit dem der Antragssteller sich im Fall des späteren Obsiegens in der Hauptsache ggf. beim Dienstherrn schadlos halten könnte, lässt vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) den Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung nicht entfallen (OVG Schleswig, Beschluss vom 05.11.2018 2 MB 17/18 - juris Rn. 9; Beschluss der Kammer vom 23.07.2019 – 12 B 7/19 – juris, Rn. 27 m.w.N). Der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gebietet darüber hinaus dem Antragssteller, seine Ansprüche im Wege des Primärrechtsschutzes geltend zu machen und sich nicht auf die spätere Geltendmachung von Sekundäransprüchen zu verlagern (OVG Schleswig, Beschluss vom 05.11.2018 a.a.O.; Beschluss der Kammer vom 23.07.2019 a.a.O.).

6

Der Antragstellerin steht indes kein Anordnungsanspruch zur Seite.

7

Sie hat keinen Anspruch darauf, vorläufig (bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens) als Polizeikommissaranwärterin bei der Schleswig-Holsteinischen Landespolizei weiter beschäftigt zu werden. Die Entlassungsverfügung vom 12.08.2020 ist formell und materiell rechtmäßig.

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In formeller Hinsicht sind keine Einwände vorgebracht worden und auch für die Kammer nicht erkennbar.

9

Rechtsgrundlage für die Entlassung ist die Bestimmung des § 30 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Landesbeamtengesetz Schleswig-Holstein (LBG SH), 22 Abs. 4 BeamtstG i.V.m. §§ 19 Abs. 9, 42 Abs. 8 der Landesverordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahnabschnitte I, II und III des Polizeivollzugsdienstes (APO-Pol.). Nach der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Poll-VO SH ist der Vorbereitungsdienst für das erste Einstiegsamt in der Laufbahngruppe 2 in einem Bachelorstudiengang durchzuführen, der mit der erfolgreichen Laufbahnprüfung Il abzuschließen ist. Die Antragsgegnerin legt bei der Feststellung, ob ein Beamter im Vorbereitungsdienst den Anforderungen noch entspricht, die Ergebnisse der Leistungen zugrunde, die von der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung (FHVD) bewertet worden sind. Ob diese Bewertungen dem tatsächlichen Leistungsstand der Antragstellerin entsprechen, ist von der Antragsgegnerin nicht zu prüfen. Erforderlich ist der Nachweis mindestens ausreichender (somit 5 Punkte, vgl. § 52 Abs. 2 APO-Pol) Leistungen in allen Prüfungsteilen (§ 53 Abs. 1 APO-Pol). Gemäß § 53 Abs. 2 APO-Pol gilt der Prüfungsteil, der mit einer schlechteren Note als „ausreichend" abgeschlossen wurde, als nicht bestanden. So verhält es sich auch bei der streitgegenständlichen Modulprüfung (Modul 3 „Grundlagen der Kriminalitätsbekämpfung und der Verkehrssicherheit“, 45 Abs. 4 Nr. 3 APO-Pol).

10

Gemäß § 53 Abs. 3 APO-Pol können studienbegleitende Modulprüfungen in den fachtheoretischen Semestern, soweit sie nicht bestanden wurden, nach einer angemessenen Vorbereitungszeit von jeweils 6 Wochen zweimal wiederholt werden. Die Antragstellerin hat auch nach Wahrnehmung der zwei Wiederholungen die Modulprüfung nicht bestanden. Weitere Verbesserungsversuche sind nicht vorgesehen, vgl. § 53 Abs. 3 APO-Pol.

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Die Folge des endgültigen Nichtbestehens dieses Prüfungsteils ist die Beendigung des Studiums kraft Gesetzes, § 42 Abs.8 Nr. 1 APO-Pol. Der Gesetzgeber geht in diesem Falle davon aus, dass das Ziel des Studiums endgültig nicht erreicht worden ist, §§ 53 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 41 APO-Pol. Mit der Beendigung des Studiums enden gleichzeitig der Vorbereitungsdienst und das Beamtenverhältnis auf Widerruf (§ 42 Abs. 8 Satz 2 Satz APO-Pol. i. V. M. § 30 Abs. 4, S. 1, Nr. 2 LBG).

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Das OVG Münster (Beschluss vom 10.11.2015 - 6 B 608/15 - juris Rn 5 ff.; im Ergebnis ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.08.2019 - OVG 4 S 22.19 - juris Rn. 12 ff.; OVG Bautzen, Beschluss vom 11.02.2016 - 2 A 428/14 - juris Rn. 10 ff.; Beschluss der Kammer vom 22.08.2019 - 12 B 5/19 - juris Rn. 36 ff zu einem Fall betreffend die Ausbildungsverordnung der Bundespolizei) hat zu einem Fall, der zwar die Ausbildungsverordnung für Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen betrifft, aber mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist, Folgendes ausgeführt:

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„Gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG endet das Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ablauf des Tages der Ablegung oder dem endgültigen Nichtbestehen der für die Laufbahn vorgeschriebenen Prüfung, sofern durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b) der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnabschnitt II (Bachelor) der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein- Westfalen vom 21. August 2008 (GV.NRW. S. 554) i.d.F. der Änderungsverordnungen vom 19. November 2010 (GV. NRW. S. 623) und vom 16. August 2012 (GV. NRW. S. 303) - VAPPol II Bachelor - endet das Beamtenverhältnis für Beamtinnen und Beamte auf Widerruf, die die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden haben, an dem Tag, an dem das Prüfungsergebnis bekanntgegeben wird.

14

Tatbestandsvoraussetzung der Vorschrift ist allein der Umstand, dass der Beamte die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden hat. Die daran geknüpfte Rechtsfolge besteht in der mit dem Tage der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Widerruf.

15

Die Bachelorprüfung besteht u.a. aus den Studienleistungen während des Studiums (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 VAPPol II Bachelor). Ein erfolgreicher Abschluss des Studiums und damit auch der II. Fachprüfung ist nur dann möglich, wenn die Prüfungsleistungen jeweils mindestens mit der Note "ausreichend" (4,0) oder "bestanden" bewertet wurden (vgl. § 14 Abs. 2 VAPPol II Bachelor).

16

Hieraus folgt: Ein endgültiges Nichtbestehen der Bachelorprüfung ist auch dann gegeben, wenn eine Studienleistung endgültig nicht bestanden ist. Ein endgültiges Nichtbestehen einer Studienleistung liegt vor, wenn sie nach den einschlägigen Prüfungsbestimmungen nicht mehr wiederholt werden kann. § 12 Abs. 1 Satz 1 VAPPol II Bachelor bestimmt insoweit, dass eine nicht bestandene Studienleistung abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen des Satzes 3 einmal wiederholt werden kann. Erreichen Studierende in der Abschlussnote einer Studienleistung auch nach Inanspruchnahme einer Wiederholungsmöglichkeit nach § 12 Abs. 1 VAPPol II Bachelor nicht eine Bewertung von mindestens "ausreichend" (4,0) oder "bestanden", ist die Studienleistung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 VAPPol II Bachelor und damit - wie dargelegt - auch die Bachelorprüfung (vgl. § 14 Abs. 1 und 2 VAPPol II Bachelor) endgültig nicht bestanden.

17

Liegt ein "endgültiges Nichtbestehen der Prüfung" in diesem Sinne vor, endet das Widerrufsbeamtenverhältnis kraft Gesetzes mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, hier also des Ergebnisses der Wiederholungsklausur im Modul HS 1.1. Diese Rechtsfolge tritt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung und unabhängig von deren Bestandskraft ein. Die Beendigung des Beamtenverhältnisses ist dabei kein Regelungsgegenstand der Prüfungsentscheidung und von deren Rechtmäßigkeit und Bestand nicht abhängig. Dementsprechend knüpft § 12 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b) VAPPol II Bachelor nach seinem Wortlaut die Rechtsfolge der Beendigung des Beamtenverhältnisses ausschließlich an das rein tatsächliche Ereignis der Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens der Prüfung an. Durch die Anknüpfung an dieses eindeutig fixierbare Ereignis schafft er entsprechend seinem Sinn und Zweck sofort von einem Streit um das Prüfungsergebnis unabhängige Verhältnisse und damit in Bezug auf den beamtenrechtlichen Status unmittelbar Rechtsklarheit.

18

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. August 2009 - 6 B 948/09 - und vom 7. September 2009 - 6 B 1150/09 -, jeweils juris unter Hinweis auf: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1986 - 2 C 27.85 -, ZBR 1986, 295, und Urteil vom 14. November 1985 - 2 C 35.84 -, ZBR 1986, 170.

19

Dies zugrunde gelegt, können die vom Antragsteller im Einzelnen erhobenen Einwände gegen die Bewertung der streitgegenständlichen Klausur, bei der es sich um die erste Wiederholungsklausur handelt, nur im Rahmen des gegen die Prüfungsentscheidung gerichteten Klageverfahrens, nicht aber im vorliegenden Verfahren Berücksichtigung finden. Erweist sich die Prüfungsentscheidung der Beigeladenen nachfolgend als rechtswidrig, wäre der Prüfungsbescheid aufzuheben und dem Antragsteller die Möglichkeit einer weiteren Klausur zu geben. Dies muss zumindest nicht zwingend in einem fortbestehenden Beamtenverhältnis auf Widerruf geschehen,

20

vgl. BVerwG, Urteile vom 9. März 1989 - 2 C 59.86 - , ZBR 1990, 125 und vom 30. Januar 1986 - 2 C 27.85 -, a.a.O.,

21

Ob bei einer solchen Sachlage unter Umständen eine Wiederbegründung eines Beamtenverhältnisses in Betracht kommen kann, bedarf in diesem Verfahren keiner Klärung.

22

Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Einräumung der Möglichkeit einer zweiten Wiederholungsprüfung begehrt, dürfte dieses Begehren nur zusammen mit der Anfechtung des Prüfungsbescheids der Beigeladenen verfolgt werden können, der aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.“

23

Diese Auffassung hält die Kammer für zutreffend und schließt sich ihr an.

24

Insoweit vermögen die Ausführungen der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zur Bewertung der - im Gegensatz zum nordrhein-westfälischen Recht - hier sogar möglichen zweiten Wiederholung des Moduls - nicht zu verfangen.

25

Der Antragstellerin bleibt es unbenommen, um vorläufigen Rechtsschutz, gerichtet auf (vorläufige) Neubewertung des Moduls 3 oder gar auf (vorläufige) Einräumung einer weiteren bzw. nochmaligen Wiederholungsprüfung gegenüber der Fachhochschule (Hervorhebung durch die Kammer) zu ersuchen. Damit steht ihm auch im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ausreichender Rechtsschutz zur Seite (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.06.2020 - 2 BvR 469/20 - juris Rn. 25). Insoweit unterscheidet sich die vorliegende von der vom Bundesverfassungsgericht a.a.O. zu beurteilenden Konstellation.

26

Das Gericht merkt in diesem Zusammenhang allerdings Folgendes an: Die Bewertung ihrer ersten, am 28.01.2020 geschriebenen hat die Antragstellerin - soweit ersichtlich - erstmalig in ihrem Widerspruch vom 22.08.2020 und in ihrer bei Gericht eingereichten Antragsschrift beanstandet. Die äußeren Umstände der beiden am 16.05. und 01.07.2020 geschriebenen Wiederholungsklausuren rügt die Antragstellerin erstmalig in ihrer Antragsschrift. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass ein Mangel des Prüfungsverfahrens grundsätzlich unverzüglich gerügt werden muss. Diese Forderung ist im Hinblick auf das bundesrechtliche Gebot der Chancengleichheit aus zwei selbstständig nebeneinanderstehenden Gesichtspunkten gerechtfertigt. Zum einen soll verhindert werden, dass der betroffene Prüfling in Kenntnis des Verfahrensmangels zunächst die Prüfung fortsetzt und das Prüfungsergebnis abwartet, um sich so eine ihm nicht zustehende weitere Prüfungschance zu verschaffen, was im Verhältnis zu den anderen Prüflingen den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Zum anderen dient die Obliegenheit, den Verfahrensmangel unverzüglich geltend zu machen, dem Interesse der Prüfungsbehörde an einer eigenen, möglichst zeitnahen Überprüfung des gerügten Mangels mit dem Ziel einer schnellstmöglichen Aufklärung, Korrektur oder zumindest Kompensation (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.06.1994 - 6 C 37/92 - juris Rn. 18 mit weit. Nachw.). Die Obliegenheit unverzüglicher Rüge von Mängeln besteht in Prüfungsverfahren auch jenseits einer ausdrücklichen normativen Regelung (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21.03.2013 - 14 E 135/13 - juris Rn. 4).

27

Die Antragstellerin hat diesbezügliche Einwendungen dem Antragsgegner gegenüber nicht zeitnah erhoben.

28

Ob die Antragstellerin ggf. eine erneute Wiederholungsprüfung innerhalb oder außerhalb des (Widerrufs-)Beamtenverhältnisses absolvieren kann bzw. muss, braucht zu diesem Zeitpunkt nicht entschieden werden.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

30

Der Wert des Streitgegenstandes ist gem. §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 GKG (Gerichtskostengesetz) i.V.m. Ziff. 1.5 S. 2 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit festgesetzt worden. Danach beläuft sich der Streitwert auf ¼ des im Kalenderjahr zu zahlenden Grundbetrages (Polizeikommissaranwärtergrundbetrag iHv 1.331,22 € x 12: 2: 2 = 3993,66 €).


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