Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 B 15/20

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der am 20. August 2020 von der Antragstellerin gestellte Antrag,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 5. August 2020 gegen die Baugenehmigung vom 28. Juli 2020 anzuordnen,

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bleibt ohne Erfolg.

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Der nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, aber unbegründet.

5

Der Antrag ist statthaft. Der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 5. August 2020 gegen die Baugenehmigung vom 28. Juli 2020 entfaltet i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO angesichts der Regelung des § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherren an der sofortigen Ausnutzung der ihnen erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse der antragstellenden Nachbarin, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten der Antragstellerin geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ihre Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition der antragstellenden Nachbarin allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Reglungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.

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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihnen erteilte Baugenehmigung sofort, d.h. ungeachtet des Widerspruchs der Antragstellerin ausnutzen zu können; denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2020 Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt.

8

Die Antragstellerin vermag sich hinsichtlich des seiner Art nach unstreitig gebietsverträglichen Wohnbauvorhabens der Beigeladenen nicht mit Erfolg auf einen sog. Gebietserhaltungs- oder Gebietsbewahrungsanspruch zu berufen. Einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch des Inhalts, dass dieser unabhängig von der Art der Nutzung des geplanten Bauvorhabens einen Abwehranspruch vermittelt, weil das Vorhaben einem für das Baugebiet charakteristischen harmonischen Erscheinungsbild, etwa im Sinne einer vorrangigen Bebauung mit Wohnhäusern mit einer bestimmten Bebauungstiefe entlang einer gedachten Baugrenze, nicht entspricht, erkennt das Gericht in ständiger Rechtsprechung nicht an (vgl. etwa Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Februar 2014 - 2 B 12/14; vom 24. November 2017 – 2 B 56/17; so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Mai 2014, - 1 ME 47/14; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 1 MB 16/15).

9

Bei summarischer Prüfung verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung über die bauliche Erweiterung des Gebäudes der Beigeladenen darüber hinaus nicht das Rücksichtnahmegebot in seiner besonderen Ausprägung der Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12/14 –, juris; Beschluss vom 19. März 2015 – 4 B 65/14 –, juris; Urteil vom 05. Dezember 2013 – 4 C 5/12 –, BVerwGE 148, 290-297; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12/98 –, BVerwGE 110, 355-363), weswegen dahinstehen kann, ob die Antragstellerin sich hierauf überhaupt berufen kann bzw. ob dies vorliegend nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) deswegen ausgeschlossen ist, weil sie selbst in der Vergangenheit in erheblichem Umfang aus dem diesbezüglichen wechselseitigen Austauschverhältnis ausgebrochen ist (vgl. VGH München, Beschluss vom 14. Februar 2018 – 15 CS 17.2549, NVwZ-RR 2018, 560).

10

Ein Doppelhaus, welches nach Maßgabe des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO seine Umgebung als offene Bauweise zu prägen vermag, entsteht dadurch, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch das Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. März 2020 – 2 A 3479/18, Rn. 45, juris). Ein Doppelhaus verlangt stets, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. Sie müssen in eine harmonische Beziehung zueinander treten. Diese harmonische Beziehung kann nicht dadurch gestört werden, dass einer der Eigentümer die Grenzbebauung im hinteren Bereich einseitig in einem erheblichen Umfang fortsetzt. Der Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus kann dabei auch dann entstehen, wenn ein nichtgrenzständiger Anbau wegen seiner Abmessungen die bisherige Doppelhaushälfte so massiv verändert, dass die beteiligten Gebäude nicht mehr als bauliche Einheit erscheinen. Ein solcher Fall kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der im Verhältnis zur bisherigen Kubatur massive Anbau grenznah errichtet wird und – in seiner Wirkung einem grenzständigen Anbau vergleichbar – die Freiflächen auf dem Grundstück der anderen Doppelhaushälfte abriegelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12/98, Beschluss vom 10. April 2012 – 4 B 42/11, Urteil vom 5. Dezember 2013, 4 C 5/12). Ob ein nicht grenzständiger Anbau die bisherige bauliche Einheit zweier Doppelhaushälften aufhebt, hängt maßgebend von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2012 – 4 B 42/11, Rn. 9, juris). Insoweit verbietet sich eine abstrakt-generell oder mathematisch-prozentual Betrachtungsweise (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 A 7/13 –, Rn. 61, juris). Es bedarf einer (Gesamt-)Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte, ob die Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut erscheinen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Januar 2016 – 10 A 2574/14 –, Rn. 9, juris).

11

Aus diesem besonderen nachbarschaftlichen Austauschverhältnis der Bebauung von Grundstücken mit Doppelhäusern darf aber nicht gefordert werden, dass die ein Doppelhaus bildenden Gebäude vollständig oder im Wesentlichen deckungsgleich aneinandergebaut werden müssen. Die Haushälften können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Aus den städtebaulichen Wurzeln des Doppelhauses folgt auch nicht, dass die Haushälften in ihren städtebaulich relevanten Merkmalen – Überdeckung der Giebelflächen, Kubatur, Traufen, Dachform, Dachneigung und Firsthöhe, Grundfläche und Bautiefe – einander im Wesentlichen entsprechen müssen. Sie müssen lediglich quantitativ – zu einem wesentlichen Teil – und qualitativ in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut sein und können auch nur in harmonischer Beziehung zueinander oder miteinander erweitert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12/98, juris). Untergeordnete Anbauten können grundsätzlich auch im Falle des Vorliegens eines Doppelhauses als Gestaltungselemente nicht grenzständig errichtet werden (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. März 2020 – 2 A 3479/18, Rn. 61 f., juris), sofern sie die vorgenannten Maßgaben erfüllen.

12

Mit dem Bauvorhaben der Beigeladenen wird unter Zugrundelegung dieser Prämissen insgesamt noch keine Disproportionalität in der Weise geschaffen, dass die Haushälfte der Antragstellerin als von dem erweiterten Wohnhaus der Beigeladenen dominiert und nur noch als bloßes Anhängsel in Form eines untergeordneten Anbaus erscheint (vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. April 2012 – 10 A 1035/10 –, Rn. 37, juris). Das nicht grenzständige Vorhaben der Beigeladenen verändert die Doppelhaushälfte jedenfalls nicht derart massiv, dass die Gebäude der Antragstellerin und der Beigeladenen hierdurch nicht mehr als bauliche Einheit erscheinen. Die Haushälften erscheinen vielmehr als noch ausreichend gleichgewichtig. Der beabsichtigte Anbau nimmt die Bestandssituation der Doppelhaushälfte der Antragstellerin insoweit auf, als er spiegelbildlich die Doppelhaushälfte der Beigeladenen ebenfalls um einen rückwärtigen Anbau ergänzt und insoweit zu einer gewissen Harmonie der Bebauung beiträgt. Etwas Gegenteiliges gilt auch nicht vor dem Hintergrund, dass das Vorhaben eine von dem auf dem Grundstück der Antragstellerin vorhandenen Anbau abweichende Bebauungstiefe von 4,71 m aufweist. Die Kammer geht bei der in dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage davon aus, dass der Bestandsanbau der Antragstellerin abweichend von der baurechtlichen Genehmigungssituation tatsächlich eine Tiefe von ca. 4,4 m aufweist. Dies haben die Beigeladenen unter Vorlage eines entsprechenden Lichtbildes samt der dazugehörigen Berechnung nachvollziehbar dargelegt (s. Bl. 34 d. Gerichtsakte). Die Antragstellerin ist diesem Vorbringen nicht mehr entgegengetreten. Die demzufolge vorliegende (Tiefen-)Differenz der Anbauten von rund 30 cm ist aufgrund ihres geringen Umfanges nicht geeignet, das Erscheinungsbild des Gesamtgebäudes derart zu beeinträchtigen, dass die Haushälften nur noch als zwei zufällig aneinander gebaute Einzelhäuser erscheinen.

13

Das Gericht verkennt nicht, dass das genehmigte Vorhaben ausweislich der Bauvorlagen über zwei Vollgeschosse und ein Satteldach verfügen soll, wohingegen der Bestandsanbau auf dem Grundstück der Antragstellerin eingeschossig ausgestaltet und mit einem Flachdach versehen ist. Die insoweit in quantitativer Hinsicht abweichende Gestaltung der Geschossigkeit der Anbauten ist zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht geeignet, das Bild einer baulichen Einheit des Gesamtgebäudes zu durchbrechen. Hierfür fehlt es dem Vorhaben mit einer Länge von 4,71 m und Breite von 4,40 m sowie einer Traufhöhe von ca. 6,00 m jedenfalls bei der gebotenen Gesamtbetrachtung (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Januar 2016 – 10 A 2574/14 –, Rn. 12, juris) an der erforderlichen Dominanz, die im Einzelfall dazu führen kann, dass zwei (ehemalige) Doppelhaushälften durch einen Anbau als zwei zufällig aneinander gebaute Einfamilienhäuser erscheinen. Die Dachform und -neigung des Gesamtgebäudes bleibt in weiten Teilen erhalten. Auf Höhe des gemeinsamen Dachfirstes ergeben sich keine baulichen Änderungen. Die sich über beide Doppelhaushälften erstreckende Schleppgaube soll unverändert fortbestehen, wodurch insoweit fortgesetzt der Eindruck der Verklammerung der Doppelhaushälften erhalten bleibt. Von der Erschließungsstraße aus gesehen wird das frontale Erscheinungsbild des Gebäudes im Übrigen nicht verändert. Das Vorhaben nimmt die Höhe der rückseitigen Schleppgaube auf und ordnet sich auf diese Weise dem mit einer höheren Firsthöhe versehenen Gesamtgebäude (vgl. Bl. 22 Beiakte A) unter. Die von dem Bestandsanbau der Antragstellerin abweichende Geschossigkeit des Vorhabens lässt im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch deswegen nicht den Eindruck entstehen, dass es sich bei der Haushälfte der Antragstellerin um ein bloßes Anhängsel in Gestalt eines untergeordneten Anbaus handelt, weil der sich in südliche und westliche Richtung erstreckende Bestandsanbau ihrer Doppelhaushälfte ein Gewicht verleiht, der dieser Annahme zur Überzeugung der Kammer entgegensteht. Die zwecks Erweiterung der Wohnfläche errichteten eingeschossigen Anbauten der Antragstellerin weisen rückwärtig eine Gesamtbreite von bis zu 7,73 m auf (vgl. Bl. 18 Beiakte B) und erreichen damit nahezu exakt die Gesamtbreite der Doppelhaushälfte der Beigeladenen (vgl. Bl. 20 d. Beiakte A). In westlicher Richtung erreicht die Außenwand des Anbaus eine Gesamtlänge (9,00 m), welche die Länge der Giebelseite des ursprünglichen Baukörpers auf ihrem Grundstück übersteigt (8,95 m). Im Falle der Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ist somit, trotz der differierenden Geschossigkeit und geringfügig abweichenden Bebauungstiefe, in der Zusammenschau eine ausreichende Gleichwertigkeit der Doppelhaushälften sichergestellt.

14

Das Vorhaben erweist sich auch im Übrigen nicht als rücksichtslos. Das sich aus § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. aus § 34 Abs. 1 BauGB ergebende nachbarschützende allgemeine Gebot der Rücksichtnahme ist nach dem Sachstand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht verletzt.

15

Welche Anforderungen das Rücksichtnahmegebot begründet, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, desto weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu üben. Das Rücksichtnahmegebot verlangt in diesem Sinne eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem durch das Gebot begünstigten Nachbarn und andererseits dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Bauherrn nach Lage der Dinge zuzumuten ist, und ist verletzt, wenn diese Abwägung ergibt, dass das Vorhaben dem Nachbarn gegenüber als rücksichtslos anzusehen ist, weil die mit dem Vorhaben verbundenen Folgen die Grenzen des dem Nachbarn unter den gegebenen Umständen Zumutbaren überschreiten (Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 2020 – 1 MB 1/20, n.v.). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

16

Das Vorhaben der Beigeladenen erweist sich insbesondere – auch losgelöst von der Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – hinsichtlich seiner Ausmaße nicht als rücksichtslos. Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass nachbarliche Belange in unzumutbarer Weise beeinträchtigt sein können, wenn ein Nachbaranwesen durch die Ausmaße eines Bauvorhabens geradezu „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“ würde. Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn die baulichen Dimensionen des „erdrückenden Gebäudes“ aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von dem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, oder das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort das Gefühl des Eingemauertseins oder der Gefängnishofsituation hervorruft (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 - 4 C 1.78 -, sog. „Hochhaus-Fall“ - 12-geschossiges Hochhaus neben 2-geschossiger Bebauung -; OVG Münster, Urteil vom 9. August 2006 – 8 A 3726/05, juris). Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert oder dem Nachbarn (sehr) unbequem ist, reicht nicht aus. Die in den gewählten Ausdrücken bzw. Bildern („Gefängnishofsituation“, „Eingemauertsein“, „Erdrücken“, „Erschlagen“, „Luft zum Atmen nehmen“) liegende „Dramatik“ ist danach vielmehr ernst zu nehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Januar 2007, - 1 ME 80/07 - und vom 13. Januar 2010, - 1 ME 237/09 -). Das von den Beigeladenen beabsichtigte Vorhaben erweist sich – entsprechend der vorstehenden Ausführungen – weder seiner Höhe noch dem Volumen nach als „übergroßer“ Baukörper (vgl. hierzu VG München, Urteil vom 15. Juli 2019 – M 8 K 18.1148 –, Rn. 76, juris). Das Vorhaben bleibt hinter der Firsthöhe des auf den Grundstücken der Antragstellerin und der Beigeladenen befindlichen Bestandsgebäudes zurück und ordnet sich dem Hauptgebäude insoweit unter. Es nimmt darüber hinaus im Wesentlichen die auf dem Grundstück der Antragstellerin vorhandene Bebauungstiefe auf und überschreitet diese nur geringfügig. Schließlich hält das Vorhaben einen seitlichen Abstand von 3,00 m zu dem Grundstück der Antragstellerin ein. Von einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens gegenüber dem Grundstück bzw. Gebäude der Antragstellerin entsprechend der vorstehenden Maßgaben kann aus diesem Grund keine Rede sein.

17

In diesem Sinne ist auch zu konstatieren, dass das Vorhaben keine Freiflächen auf dem Grundstück der Antragstellerin – im Sinne der von der Antragstellerin in Bezug auf die Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. April 2012 – 4 B 42/11 –, Rn. 9, juris) – „abriegelt“. Schon eine bloße Beeinträchtigung von Freiflächen erscheint vorliegend zweifelhaft, da sich in der dem Vorhaben entsprechenden Bebauungstiefe im Wesentlichen der auf dem Grundstück der Antragstellerin bereits verwirklichte Anbau befindet.

18

Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) waren nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO der Antragstellerin aufzuerlegen, da die Beigeladenen keinen eigenen ausdrücklichen Antrag gestellt und somit nicht an dem Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) teilgenommen haben.

19

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG. Dabei hat die Kammer das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin mit 15.000,00 € für das Hauptsacheverfahren in Ansatz gebracht. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird jener Wert eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens in ständiger Spruchpraxis der Kammer mit der Hälfte des Betrages veranschlagt, so dass sich hier der mit 7.500,00 € festgesetzte Streitwert errechnet.


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