Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 20/21

Tenor

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22.04.2021 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.01.2021 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag,

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die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs vom 22.04.2021 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27.01.2021 (Az. 1312/19) für den Neubau eines Produktionsgewächshauses und eines Regenwasserspeicherbeckens, belegen Dorfstraße 9 in A-Stadt, Flurstück 231, Flur 3, Gemarkung A-Stadt, anzuordnen,

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beurteilt sich nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO. Insoweit ist der Antrag statthaft und auch sonst zulässig. Denn nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch des Antragstellers gegen die der Beigeladenen im Verfahren nach § 67 LBO erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Produktionsgewächshauses mit einer Gesamtgrundfläche von 3.384,9 m² (Außenmaße Fundament) bzw. einer Nettogrundfläche von 3.263,40 m² und eines Regenwasserspeicherbeckens (mit den erforderlichen Aufschüttungen und Abgrabungen) in der Dorfstraße 9, A-Stadt (Flurstücke 231 und 5/1, Flur 3, Gemarkung A-Stadt) nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.

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Dieser Antrag ist jedoch unbegründet.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherrin an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtspositionen durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet werden. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.

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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihr erteilte Baugenehmigung sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs des Antragstellers ausnutzen zu können; denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung des Antragsgegners vom 27.01.2020 Nachbarrechte des Antragstellers verletzt.

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Zunächst ist festzuhalten, dass die vom Antragsteller im Wesentlichen gerügten Nachbarrechtsverstöße (Abstandflächenverstöße, Verstöße gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot) einer gerichtlichen Überprüfung auch in Ansehung des unter dem 29.08.2019 erteilten Bauvorbescheids betreffend die Zulässigkeit des Gewächshauses zugänglich sind. Gegen diesen Bauvorbescheid hat sich der Antragsteller zwar in der Hauptsache mit Widerspruch und Anfechtungsklage (2 A 83/20) gewandt, jedoch keinen Eilrechtsschutz nachgesucht. Letzteres hat grundsätzlich zur Folge, dass der Antragsgegner und parallel auch das mit der (summarischen) Überprüfung befasste Gericht in der Beurteilung des Vorhabens bzw. der Baugenehmigung durch die verbindliche Wertung des vorangegangenen Bauvorbescheides gebunden sind, der zwar noch nicht bestandskräftig geworden ist (vgl. zur Auswirkung der Bestandskraft für den anfechtenden Nachbarn BVerwG, Urt. v. 17.03.1989 - 4 C 14/85 -, Rn. 15, juris), nach ständiger Rechtsprechung der Kammer allerdings aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 212a BauGB als bauaufsichtliche Zulassung sofort vollziehbar (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 25.11.2004 - 2 B 33/04 -, n.v.; Beschl. v. 05.03.2021 - 2 B 4/21 -, Rn. 2, juris) und damit bereits zugrunde zu legen ist.

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Der der Beigeladenen erteilte Bauvorbescheid vom 29.08.2018 (Az. 767/18) enthält unter Bezugnahme auf einen Lageplan allerdings (nur) die Aussage, dass grundsätzliche Bedenken gegen das zur Voranfrage gestellte Gewächshaus mit 3041,76 m² Grundfläche nicht erhoben werden; dieses sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB privilegiert zulässig. Eine verbindliche Beurteilung der Ausgestaltung des Gewächshauses im Übrigen (z.B. seiner Höhe), des konkreten Betriebskonzeptes (z.B. Betriebszeiten, Mitarbeiter) oder der nunmehr ebenfalls zur Genehmigung gestellten Abgrabungen und Aufschüttungen findet sich dort nicht. In diesen Punkten erweist sich der Bauvorbescheid daher mangels Bindungswirkung als nicht geeignet, mögliche Einwendungen des Nachbarn im Verfahren gegen die im Anschluss daran erteilte Baugenehmigung auszuschließen.

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Ein Verstoß durch die im Verfahren nach § 67 LBO erteilte Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungs- oder Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme ist indessen nicht auszumachen.

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Ein Verstoß des Vorhabens gegen die bauordnungsrechtlichen Abstandflächengebote liegt nicht vor. So werden mit Blick auf das Gewächshaus die Anforderungen nach § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 LBO gewahrt (vgl. Zeich.-Nr. 100, Bl. 267 der Beiakte C zum Verfahren 2 B 20/21). Selbst wenn man im südlichen Bereich des Vorhabengrundstücks eine Summierung von geplanter Gebäudehöhe (ca. 7,15 m) und geplanter Aufschüttung (max. 2,40 m) vornähme und so auf eine maximale Höhe von 9,55 m käme, wäre der erforderliche Abstand von 0,4 H zur Grundstücksgrenze an dieser Stelle nach der vorliegenden Planung auf jeden Fall gewahrt. Auch die im Grenzbereich zum Grundstück des Antragstellers geplante Stützwand trägt § 6 Abs. 7 Nr. 5 LBO Rechnung, wonach u.a. Stützwände außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten mit einer Höhe von bis zu 1,50 m in den Abstandflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandflächen zulässig sind. Nach der zugrunde zu legenden Planung (vgl. Zeich.-Nr. 100 sowie 307, Bl. 267 und 274 der Beiakte C zum Verfahren 2 B 20/21) sind an der Grenze zum Grundstück des Antragstellers lediglich Stützwände mit einer Höhe von weniger als 1,50 m vorgesehen. Auf eine vom Antragsteller gerügte abweichende Ausführung kommt es wie bereits dargestellt im Verfahren der Überprüfung der Baugenehmigung unter Nachbarschutzgesichtspunkten nicht an. Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass auch im bauordnungsrechtlichen Verfahren betreffend die Baueinstellungsanordnung vom 27.02.2020 festgestellt worden ist, dass Stützwände im fraglichen Bereich lediglich bis zu einer Höhe von 1,50 m errichtet worden sind.

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Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme durch die Baugenehmigung ist nach der gebotenen summarischen Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich.

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In welchem Umfang einem Nachbarn unter dem Aspekt des Bauplanungsrechts Abwehrrechte zustehen, wird grundsätzlich entscheidend dadurch bestimmt, ob es sich um ein im (unbeplanten) Innen- oder im Außenbereich belegendes Bauvorhaben handelt und dementsprechend entweder § 34 oder § 35 BauGB Anwendung findet.

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Vorliegend besteht zwischen den Beteiligten Uneinigkeit darüber, nach welcher der beiden genannten Vorschrift sich das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich beurteilt. Aufgrund des von der Kammer in Augenschein genommenen Lichtbild- und Kartenmaterials spricht einiges dafür, dass jedenfalls ein erheblicher Teil der (nördlichen) Vorhabenfläche im Außenbereich der Gemeinde A-Stadt, einer sog. Außenbereichszunge, belegen ist, weil sie nicht (mehr) am Bebauungszusammenhang jenes Ortsteils teilnimmt, welcher bogenförmig auf der nördlichen Seite der Dorfstraße 1 bis 19 und anschließend entlang der Straße Tiebarg verläuft. Eine genauere Einschätzung kann jedoch dahinstehen, weil auch bei Qualifizierung der Vorhabenfläche als Bestandteil des im Zusammenhang bebauten Ortsteils gemäß § 34 BauGB die von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige Verletzung einer drittschützenden Rechtsnorm, nämlich des sog. Gebietserhaltungsanspruchs, nicht ersichtlich ist. Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass es sich bei der näheren Umgebung des Bauvorhabens um ein faktisches Dorfgebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO, jedenfalls aber um eine Gemengelange i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB handelt, in welchem neben der vorzufindenden Wohnnutzung, den landwirtschaftlichen Betriebsstellen und den vorhandenen gewerblichen Betrieben auch derjenige der Beigeladenen nach der Art der baulichen Nutzung zulässig bzw. nicht mittels eines Gebietserhaltungsanspruchs durch den Grundstücksnachbarn abzuwehren wäre.

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Ebenso findet das vom Antragsteller als verletzt angesehene Rücksichtnahmegebot sowohl im planungsrechtlichen Innen- als auch im Außenbereich den erforderlichen gesetzlichen Niederschlag, nämlich etwa im Einfügensgebot gemäß § 34 Abs. 1 BauGB, in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB oder als sonstiger unbenannter öffentlicher Belang i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB.

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Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme objektiv-rechtlich begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem von der Rücksichtnahme Begünstigten und andererseits dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - 4 C 22/75 -, Rn. 22, juris).

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Der Inhalt des Gebotes der Rücksichtnahme und damit allgemein die Grenze der Zumutbarkeit wird insbesondere bei Umwelteinwirkungen durch nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz durch die Vorschriften der §§ 3, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG konkretisiert. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind die Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 BImSchG alle Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen. Einwirkungen dieses Grades sind den davon Betroffenen grundsätzlich nicht zuzumuten.

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Nach der gebotenen summarischen Prüfung sind vorliegend keine unzumutbaren Licht- bzw. Lärmimmissionen auf das Grundstück des Antragstellers zu erwarten, die aus der Bewirtschaftung bzw. Beleuchtung des Gewächshauses und/oder der Lage bzw. der Nutzung der für das Vorhaben vorgesehenen Zufahrt und der entsprechenden Pkw-Stellplätze resultieren. Nach der maßgeblichen Betriebsbeschreibung durch die Beigeladene sind im Produktionsgewächshaus lediglich zwei Vollzeitangestellte tätig, die Geschäftszeiten sind für Montag bis Freitag von 07.00 bis 17.00 Uhr vorgesehen. Hinzu tritt eine tägliche An- und Abfahrt eines Kleinlasters zur Belieferung des Großmarktes während der Erntezeit von Mai bis Oktober.

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Hinsichtlich der vom Antragsteller befürchteten Lichtimmissionen ist festzuhalten, dass ausweislich des im Genehmigungsverfahren vorgelegten Lichtimmissionsgutachtens vom 06.03.2020 eine den technischen Vorgaben widersprechende Belastung durch Raumaufhellung und Blendwirkung nicht besteht, sofern bestimmte Anforderungen berücksichtigt werden, also insbesondere die künstliche Beleuchtung auf den Zeitraum zwischen 6.00 und 22.00 Uhr beschränkt wird. Dementsprechend hat die Beigeladene eine Modifikation ihrer ursprünglichen Planung vorgenommen, so dass nunmehr Baugenehmigungsbestandteil ist, dass nur der nördliche Teil des Gewächshauses mit einer Grundfläche von 36,20 m x 25,68 m künstlich beleuchtet wird und dies auch nur zwischen 6.00 und 20.00 Uhr. Auch die vom Gutachter (lediglich) empfohlene Außerbetriebnahme der Notbeleuchtung bei Nichtbenutzung der Anlage ist mittels einer entsprechenden Auflage (Nr. 14) in die Baugenehmigung aufgenommen worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich in dieser Situation eine unzumutbare Belastung für den Antragsteller ergeben könnte, bestehen nach Auffassung der Kammer nicht. Es bleibt ihm im Übrigen unbenommen, aber auch ohne weiteres zumutbar, gegen (subjektiv) empfundene Störungen seinerseits bauliche bzw. sonstige Vorkehrungen zu treffen, z.B. Jalousien oder blickdichte Vorhänge zu nutzen.

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Auch die befürchteten unzumutbaren Schallbelastungen bestehen nach summarischer Prüfung nicht. Die zehn geplanten bzw. mittels behördlicher Auflage festgesetzten Pkw-Stellplätze sind sämtlich am Bestandsgebäude Dorfstraße 9 geplant, acht davon auf den vom Antragsteller abgewandten Gebäudeseiten. Lediglich zwei Stellplätze sollen an der südlichen Gebäudefront in einer Entfernung von ca. 40 m zum Wohnhaus des Antragstellers errichtet werden. Aufgrund der vorgelegten Planungsunterlagen spricht Überwiegendes dafür, dass jedenfalls sieben dieser Stellplätze „inhaltlich“ zu den im L-förmigen Bestandsgebäude befindlichen Wohnungen gehören. Aus dem genehmigten Betriebskonzept der Beigeladenen ist nicht ersichtlich, dass es im geplanten Gewächshaus einen Direktvertrieb bzw. einen von Endabnehmern frequentierten „Hofladen“ geben soll, für den etwa weitere Stellplätze erforderlich wären. Dementsprechend ist hier zu berücksichtigen, dass nach den Gedanken des § 12 Abs. 1 BauNVO, wonach Stellplätze und Garagen grundsätzlich in allen Baugebieten zulässig sind, und des § 12 Abs. 2 BauNVO, wonach lediglich in Kleinsiedlungsgebieten, Reinen Wohngebieten und Allgemeinen Wohngebieten sowie in Sondergebieten, die der Erholung dienen, Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind, davon auszugehen ist, dass die Schwelle einer unzumutbaren Nachbarbelastung hoch liegt. Insbesondere aus § 12 Abs. 2 BauNVO lässt sich ableiten, dass jedenfalls durch Stellplätze hervorgerufene Immissionen, die zur Wohnnutzung gehören, sogar in einem Wohngebiet grundsätzlich hinzunehmen sind, soweit die Anzahl der Stellplätze den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf nicht überschreitet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.03.2003 - 4 B 59/02 -, Rn. 7, juris; VG Schleswig, Urt. v. 17.04.2018 - 2 A 75/16 -, n.v.).

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Auch aus der unmittelbaren Belegenheit der vorgesehenen Stellplätze entsteht für den Antragsteller hier kein nachbarliches Abwehrrecht. Zu der großen Entfernung vom Wohnhaus des Antragstellers kommt hinzu, dass zwischen letzterem und den geplanten Stellplätzen zwischenzeitlich ein weiteres Gebäude an der Dorfstraße errichtet worden ist, welches ebenfalls zur Geräuschabschirmung beiträgt. Die Zufahrtsgestaltung soll im Vergleich zur bisherigen Grundstückssituation nicht verändert werden. Sie liegt am westlichen Rand des Vorhabengrundstücks und wird im Wesentlichen durch das Bestandsgebäude Dorfstraße 9 abgeschirmt. Die Zufahrt zum Gewächshaus selbst ist erst hinter dem nordöstlichen Teil des Bestandsgebäudes und damit in einer Entfernung von ca. 55 m zum Wohnhaus des Antragstellers geplant. In dieser Situation ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner und das zur Stellungnahme veranlasste LLUR bis auf weiteres (vgl. Auflage Nr. 10 zur Baugenehmigung betreffend die mögliche Notwendigkeit nachträglicher Schallimmissionsmessungen) davon abgesehen haben, eine Schallimmissionsprognose einzuholen, und das Vorhaben unter diesem Gesichtspunkt für unbedenklich erachtet haben. Zur Sicherstellung der immissionsrechtlichen Anforderungen hat der Antragsgegner zudem weitere Auflagen aus dem Fachgebiet Umweltschutz (Nr. 9 ff.) in die Baugenehmigung aufgenommen, wonach u.a. beim Betrieb der Gesamtanlage die Schallimmissionswerte von 55 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts nicht überschritten werden dürfen. Diese Richtwerte sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Für das Zusammentreffen von Gebieten mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit hat das Bundesverwaltungsgericht anerkannt, dass Mittelwerte im Sinne von Zwischenwerten unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls und der jeweiligen Umstände zu bilden sind (BVerwG, Urteil vom 28.09.1993 - 4 B 151/93 -, Rn. 12, juris). Da etwa im Außenbereich lärmintensive Nutzungen möglich sind, hat nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ggf. auch ein angrenzendes Wohngebiet im Randbereich erhöhte Lärmwerte hinzunehmen. Demzufolge können nach Ziffer 6.7 der zur Anwendung zur bringenden TA Lärm in derartigen Gemengelagen die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Dabei werden als Obergrenze die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete genannt. Insofern ist es vorliegend angesichts der Vorbelastung insbesondere durch die vorhandene Grundstückssituation, aber auch mit Blick auf die vom Antragsteller angeführte benachbarte Wohnnutzung nicht zu beanstanden, dass als maßgeblicher Lärmwert für die unmittelbar angrenzenden Grundstücke an der Dorfstraße die Immissionsrichtwerte auf maximal die Werte von tags 55 dB(A) und - insoweit infolge der auf den Tageszeitraum begrenzten Betriebszeit ohnehin nicht weiter relevant - nachts 45 dB(A) festgelegt wurden.

21

Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch die sonstigen, insbesondere optischen, Auswirkungen der geplanten Anlage auf das Grundstück des Antragstellers in der A-Straße ist nicht zu besorgen.

22

Soweit ein Bauvorhaben die landesrechtlichen Abstandvorschriften einhält, scheidet die Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebotes der Rücksichtnahme im Regelfall aus (OVG Schleswig, Beschl. v. 11.11.2010 - 1 MB 16/10 -, Rn. 14; OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2005 - 1 LB 23/04 -, Rn. 44; BVerwG, Beschl. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, Rn. 4, alle juris). Unter besonderen Umständen kann ein Bauvorhaben - ausnahmsweise - auch dann rücksichtslos sein, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandflächen gewahrt sind. Dies kommt in Betracht bei „bedrängender“ oder (gar) „erdrückender“ Wirkung einer baulichen Anlage oder in Fällen, die - absehbar - zu gravierenden, allein durch die Abstandflächenwahrung nicht zu bewältigenden Nutzungskonflikten führen (OVG Schleswig, Beschl. v. 11.11.2010 - 1 MB 16/10 -, Rn. 15 mwN, juris).

23

Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass nachbarliche Belange in unzumutbarer Weise beeinträchtigt sein können, wenn ein Nachbaranwesen durch die Ausmaße eines Bauvorhabens, seine massive Gestaltung oder seine Lage unangemessen benachteiligt und geradezu „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“ würde. Mit anderen Worten wird dies dann angenommen, wenn die baulichen Dimensionen des „erdrückenden Gebäudes“ aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von dem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, oder das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort das Gefühl des Eingemauertseins oder der Gefängnishofsituation hervorruft. Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert oder dem Nachbarn (sehr) unbequem ist, reicht nicht aus. Die in den gewählten Ausdrücken bzw. Bildern („Gefängnishofsituation“, „Eingemauertsein“, „erdrücken“, „erschlagen“, „Luft zum Atmen nehmen“) liegende „Dramatik“ ist danach vielmehr ernst zu nehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, Rn. 24 und v. 13.01.2010 - 1 ME 237/09 -, Rn. 14, beide juris; s.a. Beschl. der Kammer v. 21.02.2011 - 2 B 8/11 -, v. 02.02.2012 - 2 B 1/12 -, v. 28.06.2012 - 2 B 30/12 - und v. 08.12.2014 - 2 B 85/14 -, n.v.).

24

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich die erforderliche „Dramatik“ nicht. Zwar überragt das geplante Gewächshaus (Höhe ca. 7 m) auf der Grundlage der an der Grundstücksgrenze vorgesehenen Aufschüttungen (mittlere Auftragshöhe 1,20 m, im Grundstücksgrenzbereich max. 2,40 m Bodenniveauerhöhung) das Wohnhaus des Antragstellers. Es ist auch mit einer Breite von insgesamt ca. 36 m zum Grundstück des Antragstellers ausgerichtet, allerdings insgesamt mindestens 16 m von diesem entfernt. Soweit der Antragsteller rügt, das Gewächshaus sei ein bauklotzartiger Baukörper ohne strukturelle Durchbrechungen wie Fassaden bei sonstigen Gebäuden und allein daraus ergebe sich eine negative Wirkung, so folgt die Kammer dieser Einschätzung in Ansehung der optischen Gestaltung der Stahlträgerkonstruktion mit den Glaswänden nicht. Auch eine vom Antragsteller im Übrigen gerügte „Abriegelungswirkung“ ist hier nicht auszumachen; dies schon deshalb, weil auf seinem Grundstück im Osten noch ein signifikanter unbebauter Bereich verbleibt und der Eindruck des „Eingemauertseins“ bei Weitem nicht den Grad der in der Rechtsprechung ausdrücklich geforderten „Dramatik“ (vgl. nur vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, Rn. 24 und v. 13.01.2010 - 1 ME 237/09 -, Rn. 14) erreicht. Insgesamt ergibt sich für die Kammer nicht der Eindruck, dass das Gewicht, die Eigenständigkeit oder die baurechtliche Charakteristik des Wohngrundstücks des Antragstellers durch die streitgegenständliche Anlage eingeschränkt oder gar dominiert wäre.

25

Eine nennenswerte, unzumutbare Verschattung der Garten- und Ruhebereiche auf dem Grundstück des Antragstellers ist aufgrund der Lage des geplanten Gewächshauses in nördlicher Richtung ohnehin ausgeschlossen. Auch die Möglichkeiten unzumutbarer Einsichtnahmen, insbesondere in das auf einer Höhe von ca. 5,5 m liegende Schlafzimmerfenster des Antragstellers, durch die – im Übrigen nur zur Tagzeit – im eingeschossigen Gewächshaus arbeitenden Angestellten sind vorliegend zu vernachlässigen. Es ist dem betroffenen Nachbarn im Übrigen auch unter diesem Gesichtspunkt zuzumuten, unerwünschte Einblicke durch eigene Mittel abzuwehren, sei es durch Sichtschutz im Haus oder im Gartenbereich (vgl. VG Schleswig, Urt. v. 25.11.2014 - 8 A 119/12 -, n.v.).

26

Die Rüge des Antragstellers betreffend den unzumutbaren Zulauf von Oberflächenwasser auf sein Grundstück vom höher gelegenen Betriebsgrundstück erfolgt ohne nähere Darlegung oder Substantiierung. Zwar tauchten auch im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung des Regenauffangbeckens, insbesondere hinsichtlich der Gestaltung bzw. Dimensionierung des Notüberlaufs, auf. Diese konnten jedoch infolge der ergänzten Planungen der Beigeladenen (vgl. Bl. 263 der Beiakte C zu 2 A 20/21), die unter dem grün gestempelten Wasserwirtschaftlichen Konzept Genehmigungsbestandteil geworden sind, ausgeräumt werden. Konkrete Bedenken gegen diese baulichen und organisatorischen Anpassungen, insbesondere die Ausgestaltung der Grundstücksentwässerung als geschlossenes Druckentwässerungssystem und die fortlaufende Bodenbewässerung im Gewächshaus auch ohne die Bestückung mit Pflanzen, die entgegen der Einschätzung des zuständigen Fachdienstes des Antragsgegners unzumutbare Einwirkungen auf das Grundstück des Antragstellers erwarten lassen, sind nicht ersichtlich. Zudem erscheint es nachvollziehbar, dass die Beigeladene angesichts des uneinheitlich hohen gewachsenen Bodens (vgl. Zeich.-Nr. 101, Bl. 268 der Beiakte C zum Verfahrens 2 B 20/21) hier ein Bedürfnis für die Nivellierung bzw. Anhebung der Vorhabenfläche gesehen und dementsprechend geplant hat. Sollte sich im Rahmen des aufgenommenen Betriebs dennoch zeigen, dass es etwa aufgrund der Gestaltung des Baugrundstücks bzw. der fortlaufenden Bewässerung im Gewächshaus zu einem unzumutbaren Zufluss auf das tiefer gelegene Grundstück des Antragstellers kommt, wäre die Beigeladene, ggf. mittels ordnungsrechtlicher Maßnahmen, dazu anzuhalten, dieser Einwirkung, z.B. durch eine Drainage, entgegenzutreten.

27

Das vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers war nach alldem mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.

28

Es entsprach hier der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil sie sich nicht durch das Stellen eines eigenen Sachantrages nach § 154 Abs. 3 VwGO am Kostenrisiko des vorliegenden Verfahrens beteiligt hat.

29

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG, wobei die Kammer unter Berücksichtigung der geltend gemachten Beeinträchtigungen des Wohnhauses A-Straße (Flurstück 31/3) von einem Streitwert in Höhe von 15.000 € für das Hauptsacheverfahren ausgeht, der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war.


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