Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 52/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
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Der vom Antragsteller am 04.10.2021 gestellte Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Nutzung der vom Hof der Beigeladenen (D-Straße, D-Stadt) unmittelbar an der Grundstücksgrenze seines Grundstücks (S-Straße, D-Stadt) entlangführenden und zum Betriebsgelände der nordwestlich des Grundstücks des Antragstellers gelegenen Biogasanlage führenden Treckertrasse unverzüglich zu verbieten,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte und sowohl ein Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung – als auch ein Anordnungsanspruch – der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Regelung – hinreichend glaubhaft gemacht worden sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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Ein Anordnungsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten im Sinne des § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LBO, wie er beim Antragsgegner mit Schreiben vom 05.11.2019 geltend gemacht und vom Antragsgegner unter dem 15.07.2021 negativ beschieden worden ist, und wogegen der Antragsteller unter dem 22.07.2021 Widerspruch erhoben hat, liegt nicht vor. Ein solcher Anspruch auf Tätigwerden des Antragsgegners bestünde nicht bereits, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 4 LBO vorliegen, sondern es ist vielmehr darüber hinaus erforderlich, dass der Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Maßgebend ist, ob das Bauvorhaben gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Ein Verstoß gegen Rechtsnormen, die zumindest auch dem Schutz des um Rechtsschutz suchenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, ist bereits tatbestandliche Voraussetzung für einen Anspruch des Nachbarn auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Bauaufsichtsbehörde bei der Entscheidung darüber, ob sie gegen einen rechtswidrigen Zustand – etwa durch Erlass einer Nutzungsuntersagung – einschreiten soll. Erst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, entsteht für den Nachbarn überhaupt ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein mögliches bauaufsichtliches Einschreiten. Eine sog. „Ermessensreduzierung auf Null“, bei der sich dieses Ermessen dahingehend verdichtet, dass sich nur ein Einschreiten als rechtmäßige Entscheidung erweist, liegt erst dann vor, wenn geschützte Nachbarrechte in besonders gravierender Weise beeinträchtigt werden (OVG Schleswig, Beschluss vom 05.09.2008 - 1 LA 53/08 -, Rn. 2; Beschluss vom 06.01.2015 - 1 LA 60/14 -, Rn. 9, beide juris).
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass ein Einschreiten wegen der vom Antragsteller beanstandeten Trasse für den Antragsgegner überhaupt nur möglich ist, soweit dem nicht die vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) nach §§ 16, 19 BImSchG erteilte Änderungsgenehmigung vom 04.09. 2020 entgegensteht, durch die der Beigeladenen die Erweiterung ihrer nördlich des Grundstücks des Antragstellers gelegenen Biogasanlage genehmigt worden ist. Mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung wird nämlich die Errichtung und der Betrieb der genehmigten Anlage gestattet und zugleich festgestellt, dass sie mit den zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2008 – 7 C 48/07 –, Rn. 27, juris), sodass sie alle anderen Entscheidungen, die vor Errichtung und Betrieb der Anlage eingeholt werden müssten, ersetzt. Da es sich insoweit um eine präventive Kontrolle handelt, fällt nach Erteilung der Genehmigung die Zuständigkeit zum Vollzug der öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Immissionsschutzes wieder an die zuständigen Fachbehörden zurück (OVG Koblenz, Urteil vom 03.08.2016 – 8 A 10377/16, Rn. 41, juris, m.w.N.). Dementsprechend kann derselbe Sachverhalt bei einem Verstoß gegen Pflichten sowohl aus dem BImSchG als auch aus anderen Vorschriften für verschiedene Behörden Anlass zum Einschreiten sein (vgl. Jarass, BImSchG § 17 Rn. 20, beck-online, m.w.N.). Die Befugnis der sonstigen Fachbehörden zum Erlass nachträglicher Anordnungen endet jedoch dort, wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung oder Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraussetzen würde; diese Befugnis steht allein der Immissionsschutzbehörde zu. Weil der Regelungs- und Bindungsumfang der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sich nur auf die bei Erteilung der Genehmigung erkennbaren, möglicherweise aber falsch eingeschätzten Gefahren bezieht, sind allerdings spätere Veränderungen des geprüften Sachverhalts oder nachträgliche Erkenntnisse über bestimmte Gefahren sowie Rechtsänderungen vom Regelungsgehalt der Genehmigung nicht umfasst. Zur Abwehr nicht voraussehbar gewesener anderweitiger Gefahren– z.B. bei nachträglich bekannt gewordenen Mängeln der verwendeten Baumaterialien – kann deshalb z. B. auch die Bauverwaltungsbehörde ohne Tangierung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung entsprechende Anordnungen treffen (Landmann/Rohmer UmweltR/Seibert, 96. EL September 2021, BImSchG § 13 Rn. 121 - 124). Aus demselben Grund kann auch eine gegenüber der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abweichende Bauausführung Grundlage für ein bauaufsichtsbehördliches Einschreiten sein, sofern die Abweichung ihrerseits nachbarschützende Vorschriften verletzt (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 22.09.2014 – 1 MB 32/14 –, Rn. 6, juris). Sind hingegen bei Erteilung der Anlagengenehmigung spezifisch baurechtliche Gefahren verkannt worden, so ist die Anordnung nicht ohne Rücknahme des feststellenden Teils der Genehmigung möglich. Über die Rücknahme hat auf Antrag der Baubehörde die für die Genehmigungserteilung zuständige Behörde zu befinden (Landmann/Rohmer UmweltR/Seibert, 96. EL September 2021, BImSchG § 13 Rn. 124).
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1. Daran gemessen steht einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die Trasse in ihrer Gesamtheit entgegen, dass ausweislich des Lageplans (BA B, Unterordner 2, Formular 2.4), den die Beigeladene bei Antragstellung eingereicht hat und der Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist, die vom Antragsteller beanstandete Trasse in ihrem wesentlichen Verlauf von der auf dem Grundstück D-Straße gelegenen Hofstelle zu der nordwestlich hiervon gelegenen Biogasanlage Regelungsgegenstand der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 04.09.2020 ist.
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Entgegen der zwischenzeitlichen Behauptung des Antragstellers ist der Verlauf der Trasse nicht entgegen der Genehmigung umfänglich zu seinen Lasten verändert und an seine Grundstücksgrenze (Flurstücke x und x) verlegt worden. Es mag zutreffen, dass die Trasse zwischenzeitlich nicht unmittelbar entlang der nördlichen Grundstücksgrenzen der Grundstücke S-Straße Nr. x, x und x verlaufen, sondern von der Hofstelle direkt nach Nordwesten führen sollte. Wohl aufgrund von Bedenken wegen der moorigen Beschaffenheit des Untergrunds wurde dieser Verlauf jedoch abgeändert (vgl. Verwaltungsvorgang in der Hauptsache, Az. 2 A 182/21, BA B, Bl. 15). Entscheidend ist aber, dass nach dem Lageplan letztlich eine Zuwegung genehmigt wurde, die mit einem Abstand von etwa 8 m an der nördlichen Grundstücksgrenze des Antragstellers entlangführt und sich im äußersten nordöstlichen Bereich des Grundstücks, wo sie nach Süden abknickt, der Grundstücksgrenze bis auf geschätzt 2,5 m annähert:
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(Lageplan)
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Die Nutzung der Trasse für die Belieferung der Biogasanlage mit der Biomasse durch die hierfür üblichen Fahrzeuge ist von der Genehmigung ebenfalls mit umfasst. Für die Annahme einer Regelungswirkung der Genehmigung auch in Bezug auf die durch die Nutzung der Trasse entstehenden Emissionen spricht neben der Planzeichnung, dass bei der Anwendung des BImSchG auch die von bloßen Nebeneinrichtungen bzw. von zugeordneten Tätigkeiten ausgehenden Emissionen sowie der Kraftfahrzeugverkehr (Zu- und Abgangsverkehr), sofern er sich noch innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs der Anlage bewegt und noch nicht im allgemeinen Straßenverkehr aufgegangen ist, der Anlage zuzurechnen und von den Pflichten des Betreibers nach § 5 BImSchG umfasst (vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Dietlein, 96. EL September 2021, BImSchG § 5 Rn. 92 f.) und dementsprechend bei der Genehmigung mit in den Blick zu nehmen sind. Hinzu kommt, dass die Trasse einschließlich der Aufschüttung bereits Gegenstand der Beteiligung der Gemeinde (vgl. Mail des LLUR vom 10.06.2020 an die Gemeinde D-Stadt, BA A) sowie einer landschaftspflegerischen Begleitplanung (vgl. Mail der unteren Naturschutzbehörde vom 10.12.2019 an das LLUR, BA C sowie Lageplan 13.5.4, BA B) gewesen ist, die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens stattgefunden hat.
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Ist aber die Trasse mitsamt den von ihr ausgehenden Auswirkungen vom Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung umfasst, müsste die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach den eingangs dargestellten Grundsätzen zurückgenommen werden, soweit man ihre Nutzung für die Belieferung der Biogasanlage unterbinden wollte. Der Antragsteller kann deshalb gegenüber dem Antragsgegner nicht geltend machen, dass beim Befahren der Trasse mit den mit Biomasse beladenen, 40 t schweren Transportfahrzeugen aufgrund eines für hohe Lasten ungeeigneten, moorigen Untergrundes Erschütterungen entstünden, die seine Gebäude beschädigen würden. Das gleiche gilt, soweit er geltend macht, dass die Errichtung der Trasse zu einer Vernässung seines Grundstücks durch die Störung des natürlichen Verlaufs des Oberflächenwassers führe. Er müsste diese Störungen gegenüber dem LLUR weiter substantiieren, welches bei Bedarf auch nachträgliche Anordnungen treffen kann, vgl. § 17 BImSchG.
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2. Auch soweit die Trasse wohlmöglich mit einem gegenüber der Genehmigung geringfügig abweichenden Verlauf errichtet worden ist, kann sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner nicht erfolgreich auf eine Verletzung der Abstandflächen durch die etwa 1,5 m hohe Aufschüttung berufen, weil jedenfalls eine Ermessensreduzierung auf null nicht vorliegt.
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Nach den im Internet frei zugänglichen Luftbildern (Digitaler Atlas Nord und Google Maps) ist der im Lageplan eingezeichnete Verlauf weitgehend eingehalten worden. Allenfalls in dem Bereich, wo die nördliche und östliche Grundstücksgrenze des Antragstellers zusammentreffen, nähert sich die Trasse der Grundstücksgrenze weiter an als genehmigt (vgl. die vom Antragsteller vorgelegten Lichtbilder, BA B zu 2 A 182/21, Bl. 20 ff.). Hiervon dürfte die Grundstückgrenze des Antragstellers allerdings allenfalls auf einer Länge von etwa 4 - 5 m betroffen sein. Zur Veranschaulichung mag das folgende Luftbild dienen (Quelle: DigitalerAtlasNord; Grundstück des Antragstellers blau umrandet):
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Eine solche geringfügige Abweichung begründet hier keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten.
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Es ist hier bereits zweifelhaft, ob die Trasse nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 LBO Abstandsflächen einzuhalten hat. Denn nach § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 LBO sind Stützwände und geschlossene Einfriedungen außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten mit einer Höhe bis zu 1,50 m ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Ist aber zur Absicherung einer Aufschüttung die Errichtung einer Stützwand zulässig, so muss nach der Wertung des Gesetztes auch die Aufschüttung selbst ohne eigene Abstandsflächen zulässig sein. Letztlich kann dies jedoch offenbleiben, denn auch bei Annahme eines Abstandsflächenverstoßes lägen die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null nicht vor, da sich - wie der Antragsgegner zutreffend ausführt - die Situation des Antragstellers durch eine Reduzierung der Höhe der Trasse auf 1 m oder die Verlagerung ihres Verlaufs in dem betroffenen Bereich nach Norden bzw. Osten um etwa 1 - 2 m insbesondere im Hinblick auf die geltend gemachten Beeinträchtigungen durch die Vibrationen und die angebliche Vernässung seines Grundstücks nicht spürbar verbessern würde.
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3. Auch die der Beigeladenen mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 04.09.2020 aufgegebene Anpflanzung eines Knicks ist nicht nachbarschützend, sodass sich der Antragsteller nicht darauf berufen kann, dass dies bislang zu Unrecht nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erfolgt sei.
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IV. Danach ist der Antrag mit der sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen gewesen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, da diese einen eigenen Sachantrag gestellt und sich somit am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO i. V. m § 154 Abs. 3 VwGO).
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V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer ist unter Berücksichtigung der geltend gemachten Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses von einem Streitwert in Höhe von 15.000 € ausgegangen. Dieser Wert ist für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren gewesen.
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Referenzen
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x
- BImSchG § 16 Wesentliche Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen 1x
- BImSchG § 19 Vereinfachtes Verfahren 1x
- VwGO § 154 2x
- §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- BImSchG § 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen 1x
- BImSchG § 17 Nachträgliche Anordnungen 1x
- VwGO § 123 2x
- § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- § 59 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 4 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 53/08 1x
- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 60/14 1x
- 7 C 48/07 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 10377/16 1x (nicht zugeordnet)
- 1 MB 32/14 1x (nicht zugeordnet)
- 2 A 182/21 2x (nicht zugeordnet)
