Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 75/22

Tenor

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine ihm drohende Abschiebung.

2

Der Antragsteller ist serbischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 5. März 2012 ohne ein Visum gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, xy, und den beiden gemeinsamen Kindern xy. und xy in die Bundesrepublik Deutschland ein. Für die Kinder gestellte Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Oktober 2012 ab. Die zuständige Ausländerbehörde wies den Antragsteller mit Bescheid vom 26. November 2012 aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Er erhielt aufgrund einer Erkrankung seiner Lebensgefährtin jedoch zunächst fortgesetzt Duldungen.

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Der Antragsteller erkannte am 22. August 2016 mittels notarieller Vaterschaftsanerkennung den am 18. Mai 2016 geborenen ... als sein Kind an. ... ist deutscher Staatsangehöriger. Die in der Hansestadt Lübeck wohnhafte Mutter dieses Kindes, xy, ist türkische Staatsangehörige und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

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Der Antragsteller beantragte am 2. September 2016 erstmals die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge für ... nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Mit Bescheid vom 29. September 2016 lehnte die vormals zuständige Ausländerbehörde der Stadt K. diesen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Die Ausländerbehörde führte aus, dass das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Antragsteller und ... allein zum Zwecke der Sicherung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland begründet worden sei. Nachfolgend schob die zuständige Ausländerbehörde den Antragsteller am 5. Oktober 2016 nach Serbien ab.

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Der Antragsteller reiste – nach dem Ablauf eines Einreise- und Aufenthaltsverbots – erneut ohne ein Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und zeigte der Antragsgegnerin einwohnermelderechtlich seinen Zuzug in die Hansestadt Lübeck zum 19. November 2019. Er teilte der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 20. November 2019 mit, dass er nunmehr in Lübeck lebe. Er verwies darauf, dass er mit Frau xy ein gemeinsames Kind habe. Er beantragte erneut, ihm einen Aufenthaltstitel aufgrund des gemeinsamen Sorgerechts für dieses Kind zu erteilen.

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Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 15. Juni 2020 ab (Ziffer 1). Sie wies den Antragsteller an, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 30. Juni 2020 zu verlassen (Ziffer 2). Für den Fall der Nichtbefolgung drohte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Abschiebung in die Republik Serbien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie für den Fall der Abschiebung auf sechs Monate (Ziffer 4). Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin darauf, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht vorliegen würden. Der Antragsteller lebe nicht mit seinem Kind und der Kindsmutter in einem gemeinsamen Haushalt. Es sei nicht belegt, dass der Antragsteller die Personensorge für das Kind tatsächlich ausübe. Nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG sei der Familiennachzug im Übrigen nicht zuzulassen. Die vormals zuständige Stadt K. habe einen Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bereits bestandskräftig mit der Begründung abgelehnt, dass die Vaterschaftsanerkennung allein zur Schaffung eines Aufenthaltsrechts erfolgt sei. Selbst im Falle eines regulären Familiennachzugs seien jedoch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen einzuhalten. Es fehle an der Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da im Falle des Antragstellers ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vorliege. Der Antragsteller sei illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er sei am 19. November 2019 ohne Visum eingereist, welches er für einen langfristigen Aufenthalt – wie hier dem Nachzug zu dem deutschen Kind – benötige. Dies sei nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG strafbar. Dass er allein zum Zwecke eines längerfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet eingereist sei, ergebe sich schon daraus, dass der Antragsteller kurz nach seiner Einreise einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt habe. Es werde vor dem Hintergrund von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und dem damit einhergehenden Schutz der Familie jedoch im Ermessenswege gem. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Erfordernis des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen.

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Die Erteilung scheitere gleichwohl an § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, da der Antragsteller ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Die Voraussetzungen des § 39 AufenthV lägen nicht vor, weswegen das Visum erforderlich sei. Von einem Visumverfahren könne nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Ein strikter Rechtsanspruch sei wegen des Ausweisungsinteresses und dem nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessen nicht gegeben. Die Nachholung des Visumverfahrens sei auch zumutbar. Die Terminbuchung bei der Botschaft in Belgrad könne aus der Bundesrepublik erfolgen, wodurch die zeitliche Trennung der Familie auf ein Mindestmaß reduziert werden könne. Die Reisezeit sei aufgrund der geographischen Nähe ebenfalls kurz. Während des Visumverfahrens könne das Kind durch den deutschen Sorgeberechtigten betreut werden. Es stehe der Familie auch frei, zusammen auszureisen.

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Es könne auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden. Die Norm diene nicht als „Auffangaufenthaltsrecht“. Maßgeblich seien die Vorschriften über die Aufenthaltstitel zwecks Familiennachzuges.

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Duldungsgründe seien schließlich weder ersichtlich noch geltend gemacht.

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Mit Schreiben vom 23. Juli 2020 erhob der Antragsteller Widerspruch. Er verwies erneut darauf, dass er in der Hansestadt Lübeck lebe und ein gemeinsames Kind mit seiner „Ehefrau“, xy, habe. Beide hätten das gemeinsame Sorgerecht. Er reichte ein Schriftstück vom 27. Juni 2020 ein, woraus sich ergebe, dass die Kindsmutter regelmäßige Besuche des Antragstellers bei seinem Sohn bestätige und mitteile, dass sich der Antragsteller sehr um den gemeinsamen Sohn sorge. Der Sohn fühle sich in der Gegenwart des Antragstellers wohl. Während des Widerspruchsverfahrens teilte der Antragsteller mit, dass er unter einer arteriellen Hypertonie, Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 leide. Er beantragte die Erteilung einer Duldung aus gesundheitlichen Gründen.

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Am 5. August 2020 kontrollierte der Außendienst der Antragsgegnerin die Meldeadresse des Antragstellers in der Hansestadt Lübeck. Dort trafen die Mitarbeiter der Antragsgegnerin den Neffen des Antragstellers an, welcher die Auskunft erteilte, dass sich der Antragsteller seit fünf bis sechs Monaten in A-Stadt aufhalte und dort wohne.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2020 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück (Ziffer 1). Sie ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von drei Jahren an (Ziffer 2) und lehnte zugleich einen Antrag auf Erteilung einer Duldung ab (Ziffer 3). Zur Begründung verweist sie darauf, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht vorlägen. Der Antragsteller lebe mit seinem deutschen Kind nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft. Die tatsächliche Übernahme der Personensorge sei nicht glaubhaft gemacht. Es lägen seit der im September 2016 ergangenen ablehnenden Entscheidung der Stadt Krefeld keine tatsächlichen Veränderungen in Bezug auf das Verhältnis des Antragstellers zu seinem Sohn vor. Es komme hinzu, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit mehr als einem Jahr in A-Stadt begründet habe. Die melderechtliche Situation ändere hieran nichts. Es sei nicht dargelegt, wie die Ausübung der elterlichen Personensorge aus 180 km Entfernung gestaltet werde. Aus der unsubstantiierten Stellungnahme der Kindsmutter ergebe sich nichts anderes. Es fehle auch weiterhin an der Nachholung des für den Familiennachzug erforderlichen Visumverfahrens. Ferner sei von einer aufenthaltsrechtlich motivierten Scheinvaterschaft zum Zwecke des dauerhaften Sozialleistungsbezugs auszugehen. Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG komme nicht in Betracht, da eine wirksame Eheschließung mit Frau xy nicht vorliege. Der Antrag auf Erteilung einer Duldung sei abzulehnen, da eine Reiseunfähigkeit nicht mittels qualifizierter ärztlicher Bescheinigung glaubhaft gemacht worden sei.

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Der Antragsteller erhob sodann am 4. November 2020 vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht Klage (Az. 11 A 240/20). Der Antragsteller trägt im Klagverfahren im Wesentlichen vor, dass er sich liebevoll um sein Kind kümmere und aktiv an der Erziehung teilnehme. Vorgelegte Bestätigungsschreiben der Kindsmutter würden bestätigen, dass der Antragsteller sich bemühe, nach seinen finanziellen und gesundheitlichen Möglichkeiten an der Erziehung mitzuwirken. Er sei derzeit auf Fahrdienste von Bekannten angewiesen und würde seine Kinder sonst häufiger sehen. Mehrfache Fahrten oder ein Umzug nach Lübeck seien ihm nicht möglich. Eine Ausreise des Antragstellers führe zu einer unzumutbaren Trennung zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn ....

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Der Antragsteller hat am 19. Mai 2022 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung nimmt er auf seinen Vortrag im Hauptsacheverfahren Bezug. Ergänzend weist er darauf hin, dass er von der Antragsgegnerin unter Aushändigung einer bis zum 16. Mai 2022 gültigen Grenzübertrittsbescheinigung dazu aufgefordert worden sei, die Bunderepublik zu verlassen. Ihm sei angedroht worden, ihn nötigenfalls in seine „Heimat“ abzuschieben. Der Antragsteller habe ein Visumverfahren bei der Deutschen Botschaft in Belgrad eingeleitet. Er habe einen für den 8. August 2022 gebuchten Termin in der Botschaft in Belgrad nicht wahrnehmen können, da die Antragsgegnerin im Besitz des Passes des Antragstellers sei und eine Vorabzustimmung nicht erteilt habe.

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Der Antragsteller beantragt,

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1. die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 3. November 2020 eingereichten Klage (Az. 11 A 240/20) gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 anzuordnen,

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2. hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung dazu zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinsichtlich des Antragstellers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Aktenzeichen 11 A 240/20 abzusehen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie verweist zur Begründung auf ihre Klageerwiderung im Hauptsacheverfahren sowie auf sämtliche im Hauptsacheverfahren erfolgten Stellungnahmen und Mitteilungen. Für den Antragsteller bestünden in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten. Unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller die Personensorge für sein deutsches Kind ausübe, wäre die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt. Der Antragsteller habe das Visumverfahren bislang nicht nachgeholt. Die Bearbeitungsdauer hänge bei Visumanträgen zum Zwecke der Familienzusammenführung davon ab, wie schnell die zuständige Ausländerbehörde eine Stellungnahme zu dem Antrag abgebe. Dies dauere in der Regel drei bis vier Monate. Das Visum könne nach Eingang einer positiven Stellungnahme innerhalb von sieben bis zehn Werktagen bei der Botschaft abgeholt werden. Im Falle einer Vorabzustimmung betrage die Bearbeitungszeit ca. sieben Werktage. Die Erteilung einer Vorabzustimmung sei bislang nicht in Betracht gekommen, da der Antragsteller auch trotz entsprechender Aufforderungen vom 15. und 26. Juli 2022 nicht ausreichend zur Ausübung der Personensorge vorgetragen habe.

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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

22

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt insgesamt ohne Erfolg. Weder ist die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. 11 A 240/20) gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2020 anzuordnen (hierzu unter 1.) noch ist die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, hinsichtlich des Antragstellers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Az. 11 A 240/20) von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen (hierzu unter 2.).

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1. Der Hauptantrag zu 1. ist bereits unzulässig. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur dann statthaft, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels ein zunächst eingetretenes fiktives Bleiberecht nach § 81 AufenthG beendet hat, wenn also der Aufenthalt nach Stellung des Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 81 AufenthG zunächst als erlaubt oder als geduldet galt, d.h. die gesetzliche Erlaubnis- oder Duldungsfiktion ausgelöst hat (Dittrich/Breckwoldt, in: HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.1.3, Stand: 23.09.2019, Rn. 30 ff. m.w.N.). Zwar lebt im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG nicht (wieder) auf, denn die behördliche Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nach der Konzeption des Gesetzgebers unbeschadet einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers beendet (OVG Magdeburg, Beschl. v. 22.01.2007 – 2 M 318/06 –, juris Rn. 4 m.w.N.; VG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 B 115/18 –, juris Rn. 21). Allerdings würde die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können, sodass der beantragte Rechtsbehelf nicht nutzlos wäre. Deshalb wäre in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (so auch OVG Schleswig, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 MB 40/11 –, juris Rn.10; VG Schleswig, Beschl. v. 09.01.2019 – 1 B 137/18 –, juris Rn. 6).

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Dem Antrag des Antragstellers vom 20. November 2020 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kam eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG jedoch nicht zu. Der Antragsteller hielt sich zu keinem Zeitpunkt mit einem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt war zum Zeitpunkt der Antragstellung auch nicht rechtmäßig im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Beantragt ein nach Anhang II der EU-Visum-Verordnung (s. Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, ABl. L 303/39 vom 28.11.2018) von der Visumpflicht befreiter Ausländer, der bereits bei der Einreise einen Daueraufenthalt anstrebt, einen Aufenthaltstitel, so entsteht keine Fiktionswirkung, weil der Aufenthalt mangels Einreise mit dem erforderlichen Visum nicht rechtmäßig ist (VGH Mannheim, Beschl. v. 30.05.2022 – 12 S 485/22 –, juris Rn. 13 sowie v. 20.09.2018 – 11 S 1973/18 –, juris Rn. 14; vgl. auch OVG Schleswig, Beschl. v. 02.03.2020 – 4 MB 5/20 –, juris Rn. 7 m.w.N.; VGH München, Beschl. v. 01.10.2020 – 10 CS 20.1954 –, juris Rn. 8 m.w.N.; Samel, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Auflage 2020, § 81 Rn. 36).

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Der Antragsteller ist ohne Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er gehört als serbischer Staatsangehöriger zu den sog. „Positivstaatlern“ gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anlage II der EU-Visum-Verordnung und ist somit nur für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, von der Visumpflicht befreit. Der Antragsteller beabsichtigte nach allen für die Kammer erkennbaren Umständen jedoch bereits vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland den langfristigen Familiennachzug zu seinem in der Hansestadt Lübeck lebenden Sohn. Er hat unmittelbar nach seiner Einreise und seinem Zuzug in die Hansestadt Lübeck (19.11.2019) – wie bereits vor seiner Abschiebung im Jahr 2016 – eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis beantragt (20.11.2019). Für diesen Aufenthaltszweck ist ein für einen längeren Aufenthalt erforderliches Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum), das vor der Einreise erteilt wird (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV), erforderlich, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Ein derartiges Visum besaß der Antragsteller bei seiner Einreise unstreitig nicht.

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2. Der hilfsweise gestellte Antrag zu 2. ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

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Der Sicherungszweck des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann unter anderem dann statthafterweise geltend gemacht werden, wenn – wie hier – das Hauptsacheverfahren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betrifft und der Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll, die Abschiebung vorübergehend und für die Dauer des Verfahrens auszusetzen (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 10.06.2020 – 4 MB 16/20 –, juris Rn. 5). Allerdings kommt eine solche Sicherung nur ausnahmsweise in Betracht. Denn ein verfahrensabhängiges Bleiberecht soll nach der gesetzlichen Wertung der § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 und 2, § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG grundsätzlich nicht eintreten, wenn der Antrag weder eine fiktive Erlaubnis oder Duldung nach § 81 Abs. 3 AufenthG noch die Anordnung einer Fortgeltung nach § 81 Abs. 4 AufenthG zur Folge hat. Ausnahmsweise anders verhält es sich, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt (OVG Schleswig, Beschl. v. 02.03.2020 – 4 MB 5/20 –, juris Rn. 10 f. [zu § 25 Abs. 5 AufenthG] m.w.N.; OVG Bautzen, Beschl. v. 13.08.2021 – 3 B 277/21 –, juris Rn. 30 f. [auch zu § 25a AufenthG]; OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.04.2019 – 13 ME 86/19 –, juris Rn. 4 m.w.N.).

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a) Sicherungsfähig wäre danach grundsätzlich ein Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da dieser einen Aufenthalt im Bundesgebiet bedingt. Der Antrag ist insoweit jedoch unbegründet.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

31

Dem Antragsteller steht gegenüber der Antragsgegnerin kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 5 AufenthG zur Seite. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Insoweit fehlt es bereits an der tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Einer Ausreise des Antragstellers steht insbesondere nicht Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK entgegen.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschl. v. 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 –, juris Rn. 17 ff. m.w.N. und v. 22.05.2018 – 2 BvR 941/18 –, juris Rn. 5 m.w.N. sowie stattgebender Kammerbeschl. v. 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 –, juris Rn. 41 m.w.N.) gewährt Art. 6 GG zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den Aufenthalt begehrenden Ausländers pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers bzw. der Trägerin des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine bzw. ihre familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Für die Entfaltung dieser ausländerrechtlichen Schutzwirkungen ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern entscheidend, wobei eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist. Soweit der Umgang mit einem Kind betroffen ist, ist zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass das Kind beide Eltern braucht und der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils nicht durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil oder dritte Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes hat. Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden – etwa weil ihm im Herkunftsland flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht –, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.04.1989 – 2 BvR 1169/84 –, juris Rn. 44). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen nicht vor, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, juris Rn. 18 f. m.w.N.; OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2010 – 3 B 191/10 –, juris Rn. 6). Auch aus dem Umstand, dass die anderen Familienmitglieder über (befristete oder unbefristete) Aufenthaltstitel verfügen, folgt noch nicht, dass eine gemeinsame Rückkehr von vornherein unzumutbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009, Urt. v. 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, juris Rn. 18; vgl. auch OVG Sachsen, Beschl. v. 16.12.2010 – 3 B 191/10 –, juris Rn. 6). Für das Recht der Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts Anderes (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 1 C 3.08 –, juris Rn. 18 sowie VGH Mannheim, Beschl. v. 05.07.2018 – 11 S 1224/18 –, juris Rn. 24 f. m.w.N.).

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Gemessen an diesen Grundsätzen stehen einer Ausreise des Antragstellers weder das Verfassungs- noch das Konventionsrecht entgegen. Es fehlt an der erforderlichen Glaubhaftmachung der streitigen Tatsachen betreffend die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge und des Umgangs des Antragstellers mit seinem Sohn. Der Antragsteller hat zwar die Vaterschaft für ... anerkannt. Die Kindsmutter und der Antragsteller haben (rechtlich) auch die gemeinsame Sorge inne. Der Sohn des Antragstellers wohnt gleichwohl mit seiner Mutter zusammen rund 180 km vom Wohnsitz des Antragstellers entfernt. Ausweislich der aktuellsten schriftlichen Angaben der Kindesmutter vom 11. August 2022 (vgl. Bl. 130 d. Gerichtsakte zum Az. 11 A 240/20) treffe sich der Antragsteller drei Mal im Monat mit seinem Sohn und telefoniere regelmäßig mit ihm. Der Antragsteller und sein Sohn würden während der Zusammenkünfte – nach den Ausführungen der Kindsmutter – etwa Eis essen oder Fußball spielen. Es ist nicht näher dargelegt oder glaubhaft gemacht, über welchen zeitlichen Rahmen sich die benannten Treffen erstrecken und ob diese durchgängig durch die Kindsmutter begleitet werden oder nicht. Inwiefern zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn überhaupt eine sprachliche Kommunikation möglich ist – was von der Antragsgegnerin bestritten wird –, ist nicht näher dargelegt. Der Antragsteller verfügt nach den erkennbaren Umständen nur über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache und keine Kenntnisse der englischen Sprache (vgl. Feststellungen der Polizei A-Stadt vom 21.07.2021, Bl. 54 d. Gerichtsakte zum Az. 11 A 240/20). Inwieweit der Sohn des Antragstellers serbisch spricht, ist nicht ersichtlich. Zwei vorgelegte Lichtbilder vom Antragsteller und seinem Sohn sind undatiert und unkommentiert. Sie geben somit keinen hinreichenden Aufschluss über die derzeitige tatsächliche Vater-Kind-Beziehung. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller neben den vorgenannten Zusammenkünften Erziehungs- oder Betreuungsaufgaben wahrnimmt oder etwa Feiertage, Geburtstage oder Urlaube mit seinem Sohn verbringt. Hierzu verhält sich der Antragsteller nicht, obgleich er bereits durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26. Juli 2022 zu dahingehenden weitergehenden Angaben aufgefordert worden ist (vgl. Bl. 102 f. d. Gerichtsakte zum Az. 11 A 240/20).

34

Soweit der Antragsteller angibt, dass er sich mehr Kontakt zu seinem Sohn wünsche, fehlt es an einer Glaubhaftmachung. Zwar kann es im Rahmen des Aufbaus einer Eltern-Kind-Beziehung ausreichend sein, wenn der ausländische Elternteil sich zur Wahrnehmung seiner elterlichen Verantwortung für sein Kind ernsthaft um Umgang mit diesem bemüht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2021 – OVG 11 S 81/21 –, juris Rn. 12 und v. 20.10.2016 – OVG 12 S 25.16 –, juris Rn. 9). Derartiges ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Antragsteller legt bereits nicht dar, weswegen er die Hansestadt Lübeck und damit den regelmäßigen Aufenthaltsort seines Sohnes, wo der Antragsteller nach seiner erneuten Einreise im Jahr 2019 zunächst seinen Wohnsitz genommen hatte, wieder verlassen und sich stattdessen im 180 km entfernten A-Stadt niedergelassen hat und inwiefern er nunmehr ernsthaft eine Rückkehr in die Hansestadt Lübeck anstrebt. Es erschließt sich auch nicht hinreichend, weswegen es dem Antragsteller (trotz unverändertem aufenthalts- und sozialleistungsrechtlichem Status) zunächst möglich gewesen sein soll, seinen Wohnsitz in der Hansestadt Lübeck und sodann in A-Stadt zu begründen, ihm eine Rückkehr nach Lübeck nunmehr – wie er vorträgt (vgl. Bl. 125 ff. d. Gerichtsakte zum Az. 11 A 240/20) – aber weder gesundheitlich noch finanziell möglich wäre, zumal in der Hansestadt Lübeck offenbar ein Neffe des Antragstellers unter der dortigen vormaligen Meldeanschrift des Antragstellers wohnhaft ist (vgl. Bericht des Außendienstes der Antragsgegnerin vom 24.07.2020, Bl. 864 Beiakte „E“). Inwiefern der Gesundheitszustand des Antragstellers konkret Aufenthalten in der Hansestadt Lübeck oder gemeinsamen Treffen des Antragstellers mit seinem Sohn entgegensteht ist weder präzisierend ausgeführt noch sonst aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich.

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Im Ergebnis hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass eine schützenswerte persönliche Verbundenheit zwischen ihm und seinem Sohn besteht und damit eine nach Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung vorliegt. Die freiwillige Ausreise des Antragstellers verstößt demzufolge nicht gegen Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK. Bei einem drei Mal im Monat stattfindenden Umgang ohne hinreichend erkennbare Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung (vgl. hierzu OVG Bautzen, Beschl. v. 25.09.2021 – 3 A 408/21 –, juris Rn. 32 sowie Beschl. v. 23.07.2019 – 3 B 174/19 –, juris Rn. 15) und bei welchem auch der zeitliche Umfang sowie eine emotionale Verbundenheit völlig unklar bleibt, kann nicht angenommen werden, dass der Sohn des Antragstellers dringend auf ihn angewiesen wäre oder das Kindeswohl bei einer Ausreise des Antragstellers gefährdet sein könnte. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Vater-Kind-Beziehung durch eine Trennung nachhaltig beeinträchtigt wäre. Zwar ist zu berücksichtigen, dass auch Telefonate Teil der Wahrnehmung des Umgangs sind und insoweit – zumal bei getrennten Wohnsitzen – auch Element familiärer Gemeinschaft sein können (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 –, juris Rn. 37). Dem Antragsteller ist es jedoch – sofern man im Sinne des sinngemäßen Vorbringens des Antragstellers von einer möglichen Kommunikation ausgeht – zuzumuten, regelmäßige Telefonate aus dem Ausland fortzuführen und seinen Sohn im Rahmen von Besuchen in regelmäßigen Abständen zu sehen. Es ist auch nicht dargelegt oder glaubhaft gemacht, dass der Sohn des Antragstellers in wirtschaftlicher Hinsicht auf den Antragsteller angewiesen wäre.

36

Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass zwischen dem Antragsteller und seinem deutschen Kind eine verfassungsrechtlich schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung bestünde, so ist jedenfalls nicht erkennbar, dass es mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unvereinbar wäre, den Antragsteller auf die Einholung des für einen Familiennachzug erforderlichen Visums zu verweisen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK ist es nämlich grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (VGH München, Urt. v. 07.12.2021 – 10 BV 21.1821 –, juris Rn. 37 m.w.N.). Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 09.12.2021 – 2 BvR 1333/21 –, juris Rn. 47 m.w.N.). In dem vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Das Visumverfahren zum Zwecke der Familienzusammenführung ist ausweislich der von der Antragsgegnerin eingeholten Auskunft regelmäßig mit einer Dauer von drei bis vier Monaten verbunden. Die lediglich vorübergehende Abwesenheit des Antragstellers könnte seinem Sohn angesichts des erreichten Lebensalters von sechs Jahren und drei Monaten im Rahmen von vorbereitenden Gesprächen bereits hinreichend begreiflich gemacht werden, wodurch der Sohn die Trennung nicht als endgültigen Verlust erfahren würde. Der Antragsteller ist nach einer erfolgten (freiwilligen) Ausreise zum Zwecke der Nachholung des Visumverfahrens im Übrigen auch während dieses Verfahrens – im Rahmen der vorstehend ausgeführten zeitlichen Grenzen – berechtigt, zu Besuchszwecken visumfrei in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Zur Abmilderung der Trennung könnte der Antragsteller den Kontakt mit seinem Sohn etwa über Telefongespräche oder mithilfe sonstiger moderner Kommunikationsmittel auch aus dem Ausland aufrechterhalten (vgl. zur Berücksichtigung entsprechender Kommunikationsmöglichkeiten: VGH München, Urt. v. 07.12.2021 – 10 BV 21.1821 –, juris Rn. 43), sofern man auch insoweit die von dem Antragsteller behauptete mögliche Kommunikation unterstellt.

37

b) Soweit der Antragsteller sich zur Begründung auf das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bezieht, ergibt sich kein gegenteiliges Ergebnis. Ein derartiger Anspruch ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO regelmäßig bereits nicht sicherungsfähig (vgl. näher hierzu: Beschl. der Kammer v. 27.07.2022 – 11 B 80/22 –, juris Rn. 30). Vorliegend ergibt sich auch dann nichts anderes, wenn man unterstellt, dass der Antragsteller durch den Antrag eine Rechtsposition aus § 39 Abs. 5 AufenthV in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sichern möchte. Es ist nämlich weder hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht noch sonst für die Kammer ersichtlich, dass der Antragsteller über § 39 Abs. 5 AufenthV berechtigt wäre, den von ihm begehrten Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt wäre und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hätte. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist bereits weder erkennbar noch vorgetragen, dass die Abschiebung des Antragstellers derzeit oder im Zeitpunkt der Antragstellung nach § 60a AufenthG ausgesetzt (gewesen) wäre. Der Antragsteller verweist vielmehr gerade darauf, dass ihm keine Duldung erteilt worden sei.

38

Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch nichts anderes aus dem Vortrag des Antragstellers dazu, dass ihm der begehrte Aufenthaltstitel ohne Nachholung des Visumverfahrens zu erteilen sei. Ein sicherungsfähiger Anspruch besteht auch insoweit nicht. Zwar kann von der Anforderung der Einreise mit dem erforderlichen Visum (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) grundsätzlich gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Der Antragsteller hat jedoch keinen (strikten) Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG glaubhaft gemacht. Hiernach ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Es fehlt an der Voraussetzung der „Ausübung der Personensorge“. Ausschlaggebend ist insoweit die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts (vgl. näher hierzu: Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, AufenthG, Stand: 34. Ed. 01.10.2021, § 28 Rn. 24a m.w.N.; vgl. auch Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 28 Rn. 26 m.w.N.). Im Sinne der vorstehenden Ausführungen ist jedoch derzeit für die Kammer weder ersichtlich, dass der Antragsteller die Personensorge in Bezug auf sein deutsches Kind ausübt, noch, dass er die ernsthafte Absicht hat, dies künftig zu tun. Ein strikter Rechtsanspruch, der nur dann vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 – 1 C 15.14 –, juris Rn. 15), liegt auch wegen der mangelnden Erfüllung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und dem deswegen über § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten behördlichen Ermessen nicht vor. Die Kammer nimmt insoweit gem. § 117 Abs. 5 VwGO analog (vgl. zur Anwendbarkeit VGH München, Beschl. v. 17.11.2003 – 12 C 03.612 –, juris Rn. 2 m.w.N.) auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid Bezug, denen sie folgt.

39

Dass sich die Nachholung eines Visumverfahrens aufgrund der familiären Bindungen des Antragstellers zu seinem Sohn angesichts von Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK als unzumutbar darstellt, ist im Übrigen ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Die Kammer nimmt auch insoweit auf die vorstehenden Ausführungen Bezug.

40

c) Der Antragsteller hat schließlich auch keinen Anspruch auf eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sich aus nationalen Gesetzen, einschließlich Verfassungsrecht, Unionsrecht oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (Haedicke, in: HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 - rechtl. Unmöglichkeit, Stand: 08.10.2020, Rn. 1). Der Abschiebung des Antragstellers steht nach den vorstehenden Ausführungen insbesondere nicht der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK entgegen.

41

Aus dem Vortrag des Antragstellers zu seiner gesundheitlichen Situation ergibt sich gleichermaßen keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung. Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann gegeben sein, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich der Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Eine Abschiebung muss auch unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) (Kluth/Breidenbach, in: BeckOK AuslR, AufenthG, 32. Ed., Stand: 01.01.2022, § 60a Rn. 13).

42

Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten, § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. VGH München, Beschl. v. 23.08.2016 – 10 CE 15.2784 –, juris Rn. 16 m.w.N.).

43

Nach diesen Maßgaben – und den im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes allein zu berücksichtigenden präsenten Beweismitteln und glaubhaft gemachten Tatsachen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.03.2013 – 8 ME 44/13 –, juris Rn. 5 m.w.N.) – hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt. Insbesondere ergibt sich aus dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Entlassungsbrief vom 27. August 2020 nichts, das auf eine Reiseunfähigkeit hindeutet. Hiernach ist der Antragsteller nach einem stationären Aufenthalt wegen einer COVID-19-Erkrankung im guten Allgemeinzustand entlassen worden. Es bestünden eine arterielle Hypertonie, Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 als Vorerkrankungen. Ausführungen zu einer eingeschränkten Reisefähigkeit enthält das ärztliche Schreiben insoweit nicht.

44

Nach alledem war der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

45

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegeben, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

46

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.


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