Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (6. Kammer) - 6 A 1991/11

Tenor

Soweit die Klägerin zu 3. die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird der Beklagte unter Aufhebung seines Bescheides vom 28. Juni 2010 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 – soweit sie dem entgegenstehen – verpflichtet, auf den Antrag vom 16. Dezember 2009 die monatlichen Elternbeiträge der Kläger zu 1. und 2. für das Kind A., und zwar für die Monate Januar bis April, Juli und August 2010 in Höhe von monatlich 226,07 Euro sowie für die Monate September und Oktober 2010 in Höhe von monatlich 146,89 Euro vollständig zu übernehmen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 3., die diese selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn die Kläger zu 1. und 2. nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger zu 1. und 2. (im Folgenden: nur Kläger) begehren von dem Beklagten über seine teilweise Bewilligung hinaus die vollständige Übernahme der Elternbeiträge für ihre am 21. September 2007 geborene Tochter A., die vormalige Klägerin zu 3., und zwar begrenzt für den Zeitraum 01. Januar bis 30. April 2010 und 01. Juli bis 31. Oktober 2010.

2

Im v. g. Zeitraum besuchte die vormalige Klägerin zu 3. bis August 2010 die Krabbelgruppe des ... e. V. und ab September 2010 die ...-Kindertagesstätte. Sie hat einen am 20. Juni 1997 geborenen (Halb-)Bruder … A., für den die Klägerin zu 1. aufgrund einer Unterhaltsvereinbarung mit dem Kindesvater ... im Januar 2010 75,00 € und ab Februar 2010 150,00 € monatlich erhält. Der v. g. Bruder lebt ebenso wie der am 23. September 2010 geborene weitere Bruder ... A. im Haushalt der Kläger.

3

Am 21. Dezember 2009 beantragten die Kläger bei dem Beklagten die Übernahme der in der Kindertageseinrichtung Krabbelgruppe ... für ihre Tochter A. entstehenden Kosten ab dem 01. Januar 2010. Dabei machten sie Angaben zu ihren Einkünften, und zwar beim Kläger zu 2. aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit. Weiter gab die Klägerin zu 1. an, dass ihre Kinder ... A. und ... A. je 164,00 € Kindergeld (noch 2009) und je 140,00 € Kinderzuschlag monatlich erhielten und reichte hierzu entsprechende Nachweise ein.

4

Mit Bescheid vom 28. Juni 2010 lehnte der Beklagte ihren Antrag auf Übernahme der Elternbeiträge mit folgender Begründung ab: Die Prüfung der vorgelegten Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger habe ergeben, dass die Voraussetzungen für eine unzumutbare Belastung bei ihnen nicht gegeben seien; das anzurechnende Einkommen der Kläger sei zu hoch. Ausweislich des dem Ablehnungsbescheid beigefügten Berechnungsbogens berücksichtigte der Beklagte sowohl das Kindergeld für die Kinder und ...A. ... A. in Höhe von 368,00 € monatlich wie auch den Kinderzuschlag in Höhe von 280,00 € monatlich als Einkünfte der Klägerin zu 1..

5

Den am 28. Juli 2010 eingelegten Widerspruch begründeten die Kläger mit Schriftsatz vom 9. Januar 2011. Dabei machten sie geltend: Die prognostizierten Einnahmen des Klägers zu 2. aus selbständiger Rechtsanwaltstätigkeit seien zu hoch gewesen. Statt des ursprünglich angenommenen durchschnittlichen monatlichen Gewinns in Höhe von 398,00 € sei im Geschäftsjahr 2010 lediglich ein monatlicher Gewinn in Höhe von 148,80 € erwirtschaftet worden. Unzutreffend sei auch der für die Klägerin zu 1. in Ansatz gebrachte Abzugsbetrag für Versicherungen in Höhe von 136,50 €, was weiter ausgeführt wird. Zugleich wurde der Widerspruch mit Rücksicht auf die erzielten höheren Einkünfte des Klägers zu 2. aus unselbständiger Tätigkeit in den Monaten Mai und Juni 2010 insoweit zurückgenommen.

6

Mit Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2010 wurde den Klägern auf ihren Antrag vom 13. Juli 2010 für das Kind A. für die Zeit vom 01. Januar 2010 bis 31. August 2012 eine soziale Staffelung der Elternbeiträge nach Stufe 2 der Tabelle (95 % des Elternbeitrages) bewilligt.

7

Während des über 17 Monate anhängigen Widerspruchsverfahrens wurden von den Klägern weitere Unterlagen angefordert, die der Beklagte auch erhielt. Dabei führte das Fachamt des Beklagten am 26. und 27. September 2011 Probeberechnungen durch, die es dazu veranlassten, mit Bescheid vom 05. Oktober 2011 dem Antrag der Kläger „vom“ 21. Dezember 2009 auf Übernahme der Elternbeiträge ab dem 01. Januar 2010 teilweise, und zwar ab dem 01. November 2010 bis zum 31. Oktober 2011 zu entsprechen. Der vorgenannte Bescheid enthielt weder eine Kostengrund- und Hinzuziehungsentscheidung noch legte er dar, inwieweit hierdurch dem Widerspruch der Kläger stattgegeben worden ist. Zugleich gab das Fachamt den (noch offenen) Widerspruch für den Zeitraum vom 01. Januar 2010 bis 31. Oktober 2010 unter entsprechender Fertigung eines „Nichtabhilfevermerks“ an die Widerspruchsstelle des Beklagten ab.

8

Mit Schreiben vom 07. November 2011 teilte die Widerspruchsstelle des Beklagten dem Prozessbevollmächtigten mit, dass der Bewilligungsbescheid vom 05. Oktober 2011 kein Abhilfebescheid sei. Über den am 28. Juli 2010 eingegangenen Widerspruch sei bislang nicht entschieden worden. Der Ausgang des Widerspruchsverfahrens bleibe noch abzuwarten.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2011 übernahm der Beklagte unter entsprechender „Abhilfe“ seines Bescheides vom 28. „Juli“ 2010 den Elternbeitrag der Kläger für ihr Kind A. und zwar für den Monat Januar 2010 in Höhe von 82,85 €, für die Monate April, Juli und August 2010 in Höhe von jeweils 90,33 € sowie für den Monat September 2010 in Höhe von 73,15 €. Im Übrigen wies er den Widerspruch der Kläger zurück. Der Bescheid enthielt eine abstrakte Kostengrundentscheidung; eine Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren fehlte. Laut Begründung des Widerspruchsbescheides sei Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens die Prüfung der Sach- und Rechtslage für den Zeitraum vom 01. Januar 2010 bis 30. April 2010 und 01. Juli bis 31. Oktober 2010. Der Begründung des Widerspruchsbescheides und dem Rückgabevermerk vom 30. November 2011 ist zu entnehmen, dass sich die Widerspruchsstelle bei der Neuberechnung des (anrechenbaren) Einkommens und der Neuermittlung der Einkommensgrenze an den Probeberechnungen des Fachamtes vom 26. bzw. 27. September 2011 mit der Maßgabe orientierte, dass die Fahrkosten des Klägers zu 2. nicht in Abzug gebracht wurden, wohl aber die Rückerstattung zu viel entrichteter Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag gemäß Einkommensteuerbescheid für 2009 des Finanzamtes A-Stadt vom 14. Oktober 2010 mit 1/12 Anteil (= 85,64 €) bezogen auf den streitbefangenen Berechnungsmonat Oktober 2010. Bei den dem Widerspruchsbescheid zugrundeliegenden Probeberechnungen hielt das Fachamt an der Berücksichtigung des Kindergeldes sowie des Kinderzuschlages im Rahmen der Einkommensberechnung der Klägerin zu 1. in Höhe von 368,00 € bzw. 280,00 € weiter fest. Für die Berechnungsmonate September und Oktober 2010 setzte es als Einkommen der Klägerin zu 1. gar ein monatliches Kindergeld für drei Kinder in Höhe von 558,00 € an. Wegen der weiteren Einzelheiten der konkreten Berechnung kann insoweit auf die dem Widerspruchsbescheid nicht beigefügten Probeberechnungsbögen vom 26. und 27. September 2011 (Bl. 25 bis 38 der BA Nr. 3) Bezug genommen werden.

10

Mit weiterem Bescheid vom 12. Dezember 2011 übernahm der Beklagte auf den Antrag der Kläger „vom“ 21. Dezember 2009 die Elternbeiträge zzgl. Verpflegungskosten für die Betreuung ihres Kindes A. ab dem 01. November 2011 bis zum 31. Dezember 2011.

11

Nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 wandte sich der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 05. Dezember 2011 vorgerichtlich an den Beklagten mit der Anregung, die „Unrichtigkeiten“ des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 vor Ablauf der Klagefrist zu beheben. Dieser basiere auf teilweise überholten „Zahlenwerten“. So sei sowohl der Kinderzuschlag als auch das Wohngeld zu hoch angesetzt worden. Der Kinderzuschlag betrage für die Monate Januar und Februar 2010 jeweils 205,00 €, für die Monate März, April, Juni, August und September jeweils 140,00 € und für den Monat Oktober 2010 280,00 €. Das Wohngeld für den Monat Februar 2010 betrage 93,00 € und für den Monat März 2010 86,00 €. Weiter habe der Kindesvater für das Kind ... A. ab Februar 2010 tatsächlich monatlich 150,00 € überwiesen. Weiter sei das Kindergeld für das Kind ... A. erst im November ausgezahlt worden. Es hätte daher im September 2010 nicht berücksichtigt werden dürfen. Schließlich sei am 01. März 2010 eine Betriebskostennachzahlung in Höhe von 86,94 € an den Vermieter geleistet worden. Dem vorgenannten Schreiben waren entsprechende Bescheide bzw. Kontoauszüge beigefügt, die die korrigierten Angaben belegen. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 eine Korrektur seines Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 ab und verwies die Kläger auf den Klageweg.

12

Mit der am 19. Dezember 2011 - zunächst auch im Namen ihrer Tochter - erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf vollständige Übernahme der Elternbeiträge für die Monate Januar bis April 2010 und Juli bis Oktober 2010 unter Vertiefung und Ergänzung der im Widerspruchsverfahren und mit Anwaltsschreiben vom 05. Dezember 2011 gemachten Angaben weiter. Im Klageverfahren streiten die Beteiligten im Kern um die Frage, ob bei der Berechnung des (anrechenbaren) Einkommens und der Ermittlung der maßgeblichen Einkommensgrenze das sog. Zuflussprinzip gelten soll, auf das sich die Beteiligten wechselseitig – je nachdem, welche Sichtweise für sie günstig ist – berufen.

13

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger stellt schriftsätzlich sinngemäß den Sachantrag,

14

1. den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 28. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 aufzuheben und

15

2. den Beklagten zu verurteilen, den für die Kita-Betreuung der Tochter aufgewandten Elternbeitrag der Kläger zu 1. und 2. für die Monate Februar, März und Oktober 2010 zumindest teilweise zu übernehmen, sowie für die Monate Januar, April, Juli, August und September 2010 in einem höheren Umfang zu übernehmen, als bislang durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 2011 geregelt wurde.

16

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

17

die Klage abzuweisen,

18

und tritt ihr unter Berufung auf die Begründung seines Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 mit weiteren Tatsachen- und Rechtsausführungen entgegen.

19

Am 09. März 2015 fand ein Erörterungstermin statt. Dabei wurde die Rechtsfrage erörtert, ob der Kinderzuschlag als Einkommen angerechnet werden darf. Die Beteiligten haben vor dem Protokoll übereinstimmend erklärt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind. Schließlich nahm der Prozessbevollmächtigte die Klage für die Klägerin zu 3. zurück.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

21

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten in dem Erörterungstermin am 09. März 2015 hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

II.

22

Über die Klage entscheidet der Berichterstatter, dem die Kammer den Rechtsstreit als Einzelrichter mit Beschluss vom 27. Januar 2015 übertragen hat, § 6 Abs. 1 VwGO.

III.

23

Soweit die Klage der Klägerin zu 3. zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren mit der sich aus § 155 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge einzustellen (vgl. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

IV.

24

Die noch rechtshängige Klage der Kläger ist zulässig und begründet.

25

1. Der unbestimmte Klageantrag ist unter Berücksichtigung der Klagebegründung gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Kläger im Zweifel die vollständige Übernahme der in Rede stehenden Elternbeiträge begehren und die Klage entgegen ihrer Formulierung im Klageantrag „verurteilen“ nicht als allgemeine Leistungsklage, sondern als Verpflichtungsklage zu werten ist.

26

Soweit der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 28. Juni 2010 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 dahinter zurückbleibt, ist er rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie haben einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den von ihnen nach Maßgabe der sozialen Staffelung zu zahlenden monatlichen Elternbeitrag in Höhe von 226,07 Euro bzw. 146,89 Euro für die im Tenor genannten streitbefangenen Monate vollständig übernimmt.

27

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die vollständige Übernahme der Elternbeiträge im streitbefangenen Bewilligungszeitraum liegen sämtlich vor (2.). Das Gericht ist nicht auf den Erlass eines Bescheidungsurteils im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO beschränkt. Denn die Kläger haben einen spruchreifen Anspruch auf Übernahme der Elternbeiträge im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weil dem Beklagten weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum verbleibt (3).

28

2. Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage § 21 Abs. 6 Satz 1 des Gesetzes zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz - KiföG M-V) vom 1. April 2004 bzw. § 90 Abs. 3 S. 1 Var. 2 SGB VIII in der Fassung vom 10. Dezember 2008. Da die Bewilligung von Kinder- und Jugendhilfe – wie generell von Sozialhilfe – eine zeitabschnittsweise Hilfegewährung darstellt, die bei Vorliegen der Voraussetzungen im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Bewilligung nicht ein für allemal zugesprochen wird, sondern deren Voraussetzungen auf Grundlage der jeweils bestehenden, ggf. geänderten Verhältnisse vom Träger der Jugendhilfe zeitabschnittsweise neu zu prüfen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.6.1995 – 5 C 30/93 –, zit. n. juris, Rn. 11; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschl. v. 19.1.2011 – 4 LB 154/10 –, zit. n. juris, Rn. 24), kann das Gericht, das im Rahmen einer Verpflichtungsklage zulässigerweise nur die von der Behörde getroffene Entscheidung überprüft, soweit diese reicht, hier demnach nur das Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Übernahme der Elternbeiträge nur im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung prüfen und hierüber eine Entscheidung treffen.

29

Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII können für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 Kostenbeiträge festgesetzt werden. Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, sind Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und von Kindertagespflege zu entrichten sind, zu staffeln (Satz 2). Als Kriterien können insbesondere das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit berücksichtigt werden (Satz 3). Werden die Kostenbeiträge nach dem Einkommen berechnet, bleibt die Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagengesetz außer Betracht (Satz 4).

30

Nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII soll im Fall des Absatzes 1 Nr. 3 der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten die §§ 82 bis 85, 87, 88 und 92a des Zwölften Buches entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft (§ 90 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Eine solche weniger strenge Spezialvorschrift stellt § 21 Abs. 6 Satz 1 und 2 KiföG M-V dar, soweit es um die Frage geht, auf welchen Personenkreis im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung abzustellen ist. Während die bundesrechtliche Vorschrift das Einkommen der Eltern und des Kindes berücksichtigt, knüpft die landesrechtliche Vorschrift nur an das Einkommen der Eltern an.

31

Hiervon ausgehend liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die begehrte vollständige Übernahme der Elternbeiträge im streitbefangenen Bewilligungszeitraum entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten vor.

32

a. Die Kläger haben zutreffend die Übernahme der Teilnahmebeiträge (Elternbeiträge) beantragt. Da der Beklagte die in Rede stehenden Kindertageseinrichtungen nicht selbst betreibt, also nicht Träger der Einrichtungen ist, kommt nur die Übernahme von Teilnahmebeiträgen in Frage.

33

b. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob den Klägern eine Kostenbeteiligung nicht – auch nicht anteilig – zuzumuten ist.

34

Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten sowohl nach Bundes- als auch nach Landesrecht gemäß den §§ 21 Abs. 6 Satz 2 KiföG M-V, 90 Abs. 4 SGB VIII die §§ 82 bis 85, 87, 88 und 92 a des Zwölften Buches entsprechend.

35

Gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben, sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

36

Nach der vom Bundesverwaltungsgericht zum Sozialhilferecht entwickelte Zuflusstheorie (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.2.1999 – 5 C 35.97 –, zit. n. juris Rn. 14 f.; Urt. vom 11.10.2012 – 5 C 22.11 –, zit. n. juris Rn. 19; Urt. v. 19.3.2013 – 5 C 16/12 –, zit. n. juris Rn. 23) gehört zum Einkommen alles, was jemand in der Bedarfs- oder Hilfezeit wertmäßig dazu erhält. Vermögen ist das, was er in der Bedarfs- oder Hilfezeit bereits hat. Mittel, die er (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die er früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch, gegebenenfalls auch wieder) vorhanden sind, Vermögen. Zur Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen. Allerdings kann abweichend vom tatsächlichen Zufluss rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt werden. Beispiele für einen vom tatsächlichen abweichenden, normativen Zufluss finden sich in der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (VO zu § 82 SGB XII).

37

Hieran gemessen begegnet es zunächst keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn das Fachamt des Beklagten die Einkünfte des Klägers zu 2. im streitbefangenen Bewilligungszeitraum unterschiedlich behandelt. Während für seine Einkünfte aus unselbständiger Arbeit als maßgeblicher Bedarfszeitraum der Monat (§ 3 Abs. 3 Satz 1 VO zu § 82 SGB XII) maßgeblich ist, werden seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Jahreseinkünfte berechnet (§ 4 Abs. 2 VO zu § 82 SGB XII). Bei letzterer Einkunftsart besteht die erleichterte Möglichkeit, als Einkünfte auch der vom Finanzamt für das Berechnungsjahr festgestellte Gewinn anzusetzen (§ 4 Abs. 4 Satz 2 VO zu § 82 SGB XII). Genau so ist das Fachamt des Beklagten vorgegangen. Dies erklärt auch die ungewöhnlich lange Verfahrenslaufzeit, da der Kläger zu 2. den maßgeblichen Einkommensteuerbescheid für 2010 des Finanzamtes A-Stadt vom 30. Juni 2011 beim Beklagten am 17. August 2011 einreichte.

38

Ebenso beanstandungsfrei ist die Behandlung der Rückerstattung zu viel entrichteter Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag gemäß Einkommensteuerbescheid für 2009 des Finanzamtes A-Stadt vom 14. Oktober 2010 mit 1/12 Anteil (= 85,64 €) bezogen auf den streitbefangenen Berechnungsmonat Oktober 2010. Die Auszahlung einer Steuererstattung ist ein Zufluss i.S. des § 82 Abs. 1 SGB XII. Der Zuordnung als Einkommen im Jahr der Auszahlung steht nicht entgegen, dass Grund für die Steuererstattung die zuviel entrichtete Steuer im Vorjahr ist. Auch wenn bereits dem Anspruch auf Steuererstattung ein Vermögenswert zukommt, hindert das die Zuordnung ihrer Auszahlung als Einkunft i.S. des § 82 Abs. 1 SGB XII nicht, weil der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig "angespart" hat, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten konnte. Da die Steuererstattung eine einmalige Leistung ist, konnte sie nach § 8 Abs. 1 Satz 3, § 3 Abs. 3 Satz 2 VO zu § 82 SGB XII auf einen angemessenen Zeitraum aufgeteilt und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag angesetzt werden. Als auf ein Jahr bezogene Steuererstattung war der Beklagte danach berechtigt, die einmalige Zahlung als Einkommen auf zwölf Monate zu verteilen.

39

Auch der Einwand der Kläger, das Wohngeld sei zu hoch angesetzt worden, weil das für die Monate Februar und März 2010 i.H.v. jeweils 256,- € bewilligte Wohngeld später, und zwar im September „2011“ (richtig: 2010) vom Beklagten in Höhe von 333,- € teilweise zurückgefordert wurde, überzeugt das Gericht nicht. Das Wohngeld ist als Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII zu behandeln; entscheidend ist daher der tatsächliche Zufluss des Wohngeldes, worauf der Beklage zu Recht verweist. Ob und ggf. wann der Rückforderungsbetrag mit späteren Wohngeldansprüchen verrechnet bzw. von der Klägerin zu 1. in einem Betrag oder in Raten an den Beklagten zurückgezahlt worden ist, haben die Kläger nicht vorgetragen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Umstand für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum noch von Bedeutung wäre. Soweit das Fachamt des Beklagten das geleistete Wohngeld laut Bedarfsberechnung von der nach § 85 SGB X errechneten Einkommensgrenze abgezogen hat, ist diese Vorgehensweise zwar sachlich falsch, das rechnerische Ergebnis ändert sich hierdurch aber nicht.

40

Die Berechnung der zumutbaren Belastung ist jedoch deswegen fehlerhaft, weil das Fachamt und dem folgend die Widerspruchsstelle des Beklagten in Verkennung der landes- und bundesrechtlichen Rechtslage das Kindergeld für die vormalige Klägerin zu 3. A. und das Kindergeld und den Kinderzuschlag für ihre Geschwisterkinder ... und ... A. als anrechenbares Einkommen der Mutter – der Klägerin zu 1. – behandelt hat. Diese Einkünfte durften jedoch bei der Berechnung der zumutbaren Belastung der Kläger nicht berücksichtigt werden. Ob der Kinderzuschlag für A. dem Einkommen der Klägerin zu 1. zugerechnet werden durfte, ist für den Ausgang des Verfahrens nicht mehr entscheidungserheblich.

41

aa. Rechtsirrig geht das Fachamt des Beklagten davon aus, das Kindergeld für A. sei als Einkommen der Klägerin zu 1. anzusehen. Zwar trifft es zu, dass unter dem Einkommensbegriff das Kindergeld fällt (sog. andere Einkünfte im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 82 SGB XII). Damit ist freilich nichts für die Frage gewonnen, wem diese Einkünfte zugerechnet werden müssen. Während diese Frage im Sozialhilferecht lange Zeit umstritten war, ist höchstrichterlich geklärt, dass Kindergeld grundsätzlich immer bei demjenigen bedarfsmindernd einzusetzen ist, dem es zufließt (sog. Zuflusstheorie). Dies ist der Kindergeldberechtigte, also im Regelfall der Elternteil, an den das Kindergeld ausgezahlt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2003 – 5 C 25/02 –, zit. n. juris Rn. 6; BSG, Urt. v. 8.2.2007 – B 9b SO 6/06 R –, zit. n. juris Rn. 20). Für minderjährige Kinder hat das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch jedoch eine Zurechnungsregelung geschaffen. Nach § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird. Dies ist bei dem Kindergeld für die Tochter , im Übrigen aber auch für die Söhne ... und ... der Klägerin zu 1. der Fall. Es dient zur Deckung ihres Lebensunterhalts. Wie hoch der Bedarf im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung insoweit ist, ergibt sich für die Zeit ab 1. Januar 2010 aus § 28 Abs. 1, 4 SGB XII i.V.m. § 8 Abs. 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII -RBEG- i.V.m. § 2 der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung. Die im Zeitpunkt der Antragstellung dreijährige Tochter gehört der Regelbedarfsstufe 6 an, für die der Regelbedarf auf 215,00 Euro festgelegt ist. Ihr Kindergeld in Höhe von 184,00 Euro deckt diesen Bedarf nicht, so dass es Einkommen des Kindes ist. Entsprechendes gilt für den erst im streitbefangenen Bewilligungszeitraum geborenen Sohn ... A. (Regelbedarfsstufe 6); sein Kindergeld ab September 2010 in Höhe von 190,00 Euro deckt diesen Bedarf nicht, so dass es Einkommen des Kindes ist. Der im Zeitpunkt der Antragstellung dreizehnjährige Sohn fällt bereits in Regelbedarfsstufe 5, für die der Regelbedarf auf 251,00 Euro festgelegt ist. Sein Kindergeld in Höhe von 184,00 Euro deckt diesen Bedarf nicht, so dass es Einkommen des Kindes ist.

42

Soweit das Gesetz bei der Prüfung der zumutbaren Belastung sowohl auf das Einkommen der Eltern als auch des Kindes abstellt, ist die Frage nach der Anspruchsberechtigung auf Kindergeld von untergeordneter Bedeutung. A. und die Kläger würden dann im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung eine gemeinsame „Bedarfsgemeinschaft“ bilden. Für die Geschwisterkinder gilt ohnehin etwas anderes, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen unter cc. ergibt.

43

Entscheidungserheblich wird die Zuordnung des Kindergeldes erst dann, wenn die Zumutbarkeit jedes Einzelnen zu prüfen ist. Dann wirkt sich das dem Kind aufgrund der Spezialvorschrift zuzurechnende Kindergeld gleichsam einkommensmindernd auf das Einkommen des Kindergeldberechtigten aus. Aus dem Zusammenspiel von § 21 Abs. 6 Satz 1 und 2 KiföG M-V und § 90 Abs. 4 SGB VIII i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII folgt, dass das Kindergeld für A. bei der Einkommensberechnung überhaupt nicht berücksichtigt werden darf. Der Landesgesetzgeber hat in § 21 Abs. 6 Satz 1 KiföG M-V nur auf das Einkommen der Eltern und nicht des Kindes abstellt. Mit der gleichsamen Verweisung auf § 90 Abs. 4 SGB VIII i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB hat er den Zurechnungszusammenhang des Kindergeldes als Einkommen des von der Zumutbarkeitsprüfung (ausgeschlossenen) Kindes nicht in Frage gestellt.

44

bb. Ob zumindest der Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG für die Tochter A. gemäß § 90 Abs. 3, 4 SGB VIII i.V.m. § 82 Abs. 1 SGB XII bei der Berechnung der zumutbaren Belastung der Kläger – auf die nach dem oben Gesagten allein abzustellen ist – zu berücksichtigen ist, hängt wiederum davon ab, ob es als Einkommen des Kindes oder aber des Kinderzuschlagsberechtigten anzusehen ist. Anders als beim Kindergeld gibt es jedoch in § 82 SGB XII hierfür keine Zurechnungsvorschrift. Dies spricht für die Annahme, es als Einkommen der Klägerin zu 1. zu betrachten, weil ihr der Kinderzuschlag zugeflossen ist.

45

Soweit in den gemeinsamen Empfehlungen für die Heranziehung zu den Kosten nach §§ 90 ff. SGB VIII der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter verschiedener Bundesländer unter Textziffer 2.1.1 die Ansicht vertreten wird, der Kinderzuschlag sei ohnedies nicht als einzusetzendes Einkommen anzusehen, weil hierdurch Leistungen nach dem SGB II vermieden werden sollen, dürfte diese Sichtweise mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen sein (vgl. hierzu VG Göttingen, Urt. v. 24.3.2015 – 2 A 90/14 –, zit. n. juris Rn. 22 f.). Letztendlich kann jedoch die Frage, ob der Kinderzuschlag Einkommen der Klägerin zu 1. ist, offen bleiben, weil die Berechnung der zumutbaren Belastung der Kläger an einem weiteren Fehler leidet, der dazu führt, dass den Klägern eine Kostenbeteiligung nicht – auch nicht anteilig – im streitigen Zeitraum zuzumuten ist.

46

cc. Das Fachamt des Beklagten geht weiterhin fehl in der Annahme, das Kindergeld und der Kinderzuschlag für die Geschwisterkinder ... und ... A. seien anrechenbares Einkommen der Klägerin zu 1.. Geschwisterkindergeld und -zuschlag sind bei der Berechnung der zumutbaren Belastung aber nicht zu berücksichtigen. Insoweit schließt sich das erkennende Gericht den überzeugenden Ausführungen des VG Göttingen an (vgl. VG Göttingen, Urt. v. 24.3.2015, a.a.O., zit. n. juris Rn. 25 bis 39). In den Entscheidungsgründen heißt es dort:

47

„… Anders ist die Rechtslage im Hinblick auf das Kindergeld und den Kinderzuschlag, die für das Kind N. der Kläger gewährt werden. Diese Leistungen müssen bei der Berechnung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Leistung von Teilnahmebeiträgen für das Kind L. der Kläger außen vor bleiben. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen.

48

Gemäß § 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII besteht ein Anspruch auf Übernahme der Teilnahmebeiträge, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Ersichtlich kommt es also nur auf das Einkommen der Eltern und des Kindes an, das die Kindertagesstätte besucht. Dies ist hier das Kind L.. Entsprechend ist auch die Regelung in § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu verstehen. Danach ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen. Auch hier wird also auf das die Leistung beziehende jeweilige Kind abgehoben. Dies schließt es aus, Geschwistereinkommen in die Berechnung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einzubeziehen (so auch Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage, § 90 Rn. 24; Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 7. Auflage, § 90 Rn. 18). Es ist deshalb hier von Bedeutung, wem Kindergeld und Kinderzuschlag als Einkommen zuzurechnen sind.

49

Das Kindergeld ist gemäß § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII dem Kind selbst zuzurechnen. Auch die im Zeitpunkt der Antragstellung fünfjährige N. gehört der Regelbedarfsstufe 6 an, so dass das ihr gewährte Kindergeld zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts dient.

50

Der Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG ist demgegenüber nach der Rechtsauffassung der Kammer den Klägern zuzurechnen.

51

Im Anwendungsbereich des SGB II gibt es mit § 11 Abs. 1 S. 3 (früher S. 2) eine Sonderregelung, die den Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG dem jeweiligen Kind als Einkommen zuweist. Eine solche Regelung fehlt im SGB XII.

52

Der Wortlaut des § 6 a BKGG lässt den Schluss zu, dass die Eltern die Bezieher des Kinderzuschlags sein sollen; nur sie können die Personen sein, in deren Haushalt unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder leben, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben.

53

Dieser Auslegung ist das Verwaltungsgericht Bayreuth (Urteil vom 30.01.2012 - B 3 K 11.166, zitiert nach juris, Rn. 97) entgegen getreten. Das Gericht hat ausgeführt:

54

„Bezüglich des Kindergeldzuschlages fehlt im Sozialhilferecht eine dem § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II entsprechende Vorschrift. Es geht aus den Gesetzesmaterialien (Bundesratsdrucksache von 558/03, 201) allerdings eindeutig hervor, dass der Kindergeldzuschlag zusammen mit dem Kindergeld und dem auf das Kind entfallenden Wohngeldanteil den durchschnittlichen Bedarf an Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld eines Kindes abdecken soll und durch die Gewährung des Kinderzuschlages verhindert werden soll, dass nur wegen der Unterhaltsbelastung der Eltern für ihre Kinder Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld in Anspruch genommen werden müssen. Zudem bestimmen § 6 a Abs. 3 S. 1 und 2 BKGG: „Der Kindergeldzuschlag mindert sich um das nach den §§ 11 bis 12 des 2. Buches Sozialgesetzbuch mit Ausnahme des Wohngeldes zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen des Kindes. Hierbei bleibt das Kindergeld außer Betracht“. Das heißt der Kinderzuschlag wird konkret anhand der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des betroffenen einzelnen Kindes berechnet. Daraus folgt, dass der Kinderzuschlag, weil unmittelbar von Einkommen und Vermögen des betroffenen Kindes in der Höhe abhängig, gezielt dazu gedacht ist, den Bedarf des konkret betroffenen Kindes zu decken, s. a. Bundestagsdrucksache 558/03, S. 201: „Soweit ein Kind seinen Bedarf im Sinne des Arbeitslosengeldes II und Sozialgeld aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken kann, muss dieser Bedarf nicht von den Eltern gedeckt werden; deshalb ist der Kinderzuschlag entsprechend zu mindern oder entfällt ganz.“

55

In der Gesamtsicht heißt dies, dass trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung wie in § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II auch im Zusammenhang des § 82 SGB XII dem jeweiligen Kind nicht nur das Kindergeld, sondern auch der für es selbst bezogene Kinderzuschlag als Einkommen zuzurechnen ist. Der sozialhilferechtliche Gesetzgeber ging ausweislich der Drucksache 15/1514 ohnehin davon aus, die bisher unterschiedliche Anrechnungsregelung vereinheitlicht zu haben. Wenn Kindergeld und Kinderzuschlag das Ziel verfolgen, die Sozialhilfebedürftigkeit von Kindern, d.h. auch des jeweils einzelnen Kindes, zu beseitigen, dann kann nicht im Rahmen der Einkommensberechnung für jugendhilferechtliche Bedarfe, wie den Kindergartenbeitrag, der Ansatz dieser sozialrechtlichen Transfereinkommen bei den Eltern statt bei dem Kind erfolgen, für das diese Transferleistungen fließen.“

56

Diese Rechtsauffassung, die sich auch die Beklagte zu Eigen macht, überzeugt die Kammer nicht. Das VG Bayreuth schließt aus der Berechnungsmethode des Kinderzuschlags auf die Frage rück, wer Anspruchsinhaber ist. Dies ist nicht zielführend. Der Gesetzesbegründung ist vielmehr zu entnehmen, dass die Eltern des Kindes anspruchsberechtigt sein sollen (Bundesratsdrucksache von 558/03, 201). So heißt es, die Eltern sollten nicht wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II und Sozialgeld in Anspruch nehmen müssen und durch den Kinderzuschlag einen Arbeitsanreiz erhalten. Diese Zielsetzung könne durch den Kinderzuschlag bei Eltern erreicht werden, die Kindergeld oder eine vergleichbare Leistung erhalten. Dass es um einen Bedarf geht, der sonst von den Eltern gedeckt werden müsste, die Leistung also auch ihnen zugutekommen soll, ergibt sich aus der weiteren Formulierung, soweit ein Kind seinen Bedarf im Sinne des Arbeitslosengeldes II oder Sozialgeld aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken könne, müsse dieser nicht von den Eltern gedeckt werden. Anspruchsinhaber des Kinderzuschlag sind nach dem Wortlaut der Vorschrift und deren Sinn und Zweck somit die Eltern.

57

Obwohl der Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG somit den Klägern zuzurechnen ist und damit grundsätzlich in die Berechnung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit nach § 90 Abs. 3 SGB VIII einzufließen hat, scheitert eine Berücksichtigung des Geschwisterkindergeldes und -zuschlags an § 83 Abs. 1 SGB XII. Denn diese Leistungen dienen nicht demselben Zweck wie die Übernahme der Teilnahmebeiträge.

58

Insoweit lässt sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII (Kostenbeitrag bei vollstationären Leistungen) fruchtbar machen. Danach sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. § 83 Abs. 1 SGB XII modifiziert diese Formulierung dahin, dass derartige Leistungen nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Übernahme der Teilnahmebeiträge im Einzelfall demselben Zweck dient. Zu § 93 Abs. 1 Satz 4 hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12.05.2011 (5 C 10/10, BVerwGE 139, 386) ausgeführt:

59

„Demgegenüber läuft es dem Zweck des - hier in Rede stehenden - Kindergeldes für die Geschwister des untergebrachten Kindes zuwider, wenn dieses bei der Berechnung des jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags als Einkommen der Eltern - hier des Vaters - berücksichtigt wird. Dies hätte zur Folge, dass das Kindergeld für das jeweilige Geschwisterkind mindestens anteilig dem Zugriff des Jugendhilfeträgers zugänglich gemacht würde und in dieser Höhe nicht mehr zugunsten des Kindes, für das es geleistet wurde, verwendet werden könnte; entgegen dem vorgenannten Zweck des für die Geschwister gewährten Kindergeldes würden diese indirekt an den Kostenbeitrag für das untergebrachte Kind beteiligt.“

60

Diese Überlegungen betreffen nicht nur das Kindergeld, sondern lassen sich ohne weiteres auf den Kinderzuschlag für das Geschwisterkind übertragen.

61

Hinsichtlich der den Regelungen über die Zahlung von Kindergeld und Kinderzuschlag innewohnenden Zweckbindung macht es keinen Unterschied, ob es wie im Rahmen des § 93 SGB VIII um die Heranziehung der Eltern für die Kosten einer Unterbringung eines ihrer Kinder geht oder, wie hier, um die Übernahme von Teilnahmebeiträgen für den Besuch einer Kindertagesstätte durch den Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Auch im Falle der Übernahme eines Teilnahmebeitrages nach § 90 Abs. 3 SGB VIII würde die Berücksichtigung des Geschwisterkindergeldes und -zuschlags im Rahmen der Einkommensberechnung dazu führen, dass dieses mindestens anteilig nicht mehr seiner Zweckbindung entsprechend zugunsten des Geschwisterkindes eingesetzt werden könnte. Denn aufgrund der daraus folgenden Verringerung des Anspruchs auf Jugendhilfeleistungen käme es zu einem indirekten Einsatz des Geschwisterkindergeldes zur Begleichung der Teilnahmebeiträge für das an sich jugendhilfeberechtigte Kind, hier die Tochter L., durch die Eltern. Dies würde, wie im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall, den eingangs beschriebenen Wertungen zum Einsatz des Kindergeldes für die Belange des Geschwisterkindes zuwider laufen. Insoweit dient die Übernahme der Teilnahmebeiträge nach § 90 Abs. 3 SGB VIII auch nicht demselben Zweck wie das Geschwisterkindergeld. Denn letzteres dient nach den überzeugenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts allein dem Geschwisterkind zur wirtschaftlichen Absicherung. Dieses ist jedoch in das Leistungsgeflecht der §§ 22 bis 24 i.V.m. § 90 Abs. 3 SGB VIII nicht eingebunden. Der abweichenden Rechtsauffassung der Beklagten liegt offenbar der Begriff der sozialhilferechtlichen Bedarfsgemeinschaft von Eltern und ihren Kindern zugrunde. Diese Grundsätze sind hier jedoch nicht anwendbar. Es findet über § 90 Abs. 4 SGB VIII lediglich eine entsprechende Anwendung der Einkommensermittlungsvorschriften des SGB XII statt. In der Sache zu trennen ist aber, ob eine jugendhilferechtliche Leistung dem jeweiligen Kind gewährt wird oder ob es sich um ein nicht in die Jugendhilfeleistungen eingebundenes Geschwisterkind handelt. …“

62

Dem ist gemäß § 85 SGB XII die Einkommensgrenze gegenüber zu stellen, die vom Fachamt des Beklagten in den entsprechenden Probeberechnungen für jeden streitbefangenen Monat errechnet worden ist. Dass diese Berechnung falsch sein sollte, ist für das Gericht nicht erkennbar und von den Beteiligten, insbesondere von den Klägern auch nicht geltend gemacht worden.

63

Nach alledem unterschreitet das um das Kindergeld für A. und um das Kindergeld und den Kinderzuschlag für ... und ... verminderte Einkommen der Kläger in sämtlichen streitbefangenen Monaten die maßgebliche Einkommensgrenze mit der Folge, dass ihnen eine Kostenbeteiligung nicht zuzumuten ist. Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen sämtlich erfüllt.

64

dd. Aber selbst wenn das Kindergeld und der Kinderzuschlag, den die Klägerin zu 1. für ihre Tochter A. erhalten hat, Einkommen der Mutter wäre – wovon der Beklagte ausgeht –, so wäre gleichwohl den Klägern eine Kostenbeteiligung nicht zuzumuten. An diesem Ergebnis würde sich selbst dann nichts ändern, wenn der vom Kindesvater ab Februar 2010 geleistete (höhere) Unterhalt für ... A. ebenfalls auf der Einnahmenseite der Klägerin zu 1. zu berücksichtigen wäre. Da die Unterhaltszahlungen des Kindesvaters ...R. andere Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 82 SGB XII sind, die nach den vorgelegten Unterlagen des Prozessbevollmächtigten vom Kindesvater monatlich in unterschiedlicher Höhe überwiesen wurden, sind sie als Jahreseinkünfte zu berechnen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 82 SGB XII gilt dann der zwölfte Teil dieser Einkünfte zusammen mit den monatlich berechneten Einkünften als monatliches Einkommen im Sinne des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

65

Für den streitbefangenen Monat Januar 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

66

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

1.834,22 €

Unterhalt für ... 1/12 = 143,75 € - 75,- €

+ 68,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag ...

- 324,00 €

        

1.578,97 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 114,03 €

67

Für den streitbefangenen Monat Februar 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

68

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

1.989,74 €

Unterhalt für …. 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag ...

- 324,00 €

        

1.674,49 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 18,51 €

69

Für den streitbefangenen Monat März 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

70

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

2.000,64 €

Unterhalt für …. 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag ...

- 324,00 €

        

1.685,39 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 7,61 €

71

Für den streitbefangenen Monat April 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

72

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

1.998,74 €

Unterhalt für ... 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag ...

- 324,00 €

        

1.683,49 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 179,51 €

73

Für die streitbefangenen Monate Juli und August 2010 ergibt sich dann folgende

74

Berechnung:

75

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

1.998,74 €

Unterhalt für ... 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag ...

- 324,00 €

        

1.683,49 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 179,51 €

76

Für den streitbefangenen Monat September 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

77

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

2.188,74 €

Unterhalt für ... 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag .../ ...

- 514,00 €

        

1.683,49 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 431,51 €

78

Für den streitbefangenen Monat Oktober 2010 ergibt sich dann folgende Berechnung:

79

Monatliches (anrechenbares) Einkommen laut Beklagter

2.274,38 €

Unterhalt für ... 1/12 = 143,75 € - 135,- €

+ 8,75 €

Abzüglich Kindergeld u. Kindergeldzuschlag .../ ...

- 514,00 €

        

1.769,13 €

Einkommen über der Einkommensgrenze

- 227,87 €

80

3. Die Kläger haben schließlich einen spruchreifen Anspruch im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Weder vermitteln die §§ 21 Abs. 6 Satz 1 KiföG M-V und 90 Abs. 3 S. 1 Var. 2 SGB VIII einen Beurteilungsspielraum noch ist jedenfalls die landesrechtliche Anspruchsnorm als Ermessensentscheidung ausgekleidet. Während nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII auf Antrag der Teilnahmebeitrag (= Elternbeitrag) ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden soll, ist (Anm.: Hervorhebungen d. d. Gericht) dieser nach § 21 Abs. 6 Satz 1 KiföG M-V zur Übernahme des Elternbeitrages einschließlich der Verpflegungskosten verpflichtet. Damit sieht jedenfalls § 21 Abs. 6 Satz 1 KiföG M-V bei Erfüllung der positiven tatbestandlichen Voraussetzungen eine gebundene Entscheidung vor.

V.

81

Die streitige Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

VI.

82

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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