Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (15. Kammer) - 15 A 602/18 SN

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt über den ihr bereits gewährten subsidiären Flüchtlingsschutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

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Die Klägerin ist am 17. März 2000 geboren und nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige. Im Oktober 2017 stand sie noch unter Amtsvormundschaft des Kreisjugendamtes Rostock.

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Nach Einreise der Klägerin in das Bundesgebiet stellte ihr Amtsvormündin unter dem 10. April 2017 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Diesen Asylantrag begründete die Klägerin in der Anhörung vom 9. Oktober 2017 näher. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 erkannte ihr das Bundesamt den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte aber den Asylantrag im Übrigen ab. Dieser Bescheid wurde nach Aktenlage am 11. Oktober 2017 dem zuständigen Amtsvormündin beim Kreisjugendamt (Ines G) mit Zustellungsurkunde am 11. Oktober 2017 zugestellt.

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Die Klägerin hat am 26. März 2018 die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie u.a. vorträgt, zum Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheides sei sie noch minderjährig gewesen und habe unter Amtsvormundschaft gestanden. Sie sei weder von der Zuerkennung des internationalen Schutzes noch über Rechtsbehelfsmöglichkeiten informiert worden. Die Amtsvormündin sei offenbar der Auffassung gewesen, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen der subsidiären Schutzanerkennung und der Flüchtlingsanerkennung gebe. Sie sei der Ansicht gewesen, dass eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor Erreichen des 18. Lebensjahres keinen Erfolg haben könne. Dazu habe sie auf eine Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrechte e.V. vom 7. Dezember 2016 (veröffentlicht in JAmt 2017, 22) verwiesen. Im vorliegenden Fall sei ihr - der Klägerin - das Handeln der Amtsvormündin nicht zuzurechnen, da der Amtsvormündin ebenfalls auf Seiten des Staates stehe und sie es pflichtwidrig unterlassen habe, Klage zu erheben. Die Ansicht der Amtsvormündin sei rechtsirrig gewesen, da die Klage begründet sei.

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Die Klägerin beantragt,

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die Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist
sowie den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2017 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr – der Klägerin – die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Ferner beantragt sie hilfsweise,

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die Zulassung der Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung trägt sie vor, dass die Klage unzulässig sei und die Darlegungen bezüglich der Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nicht überzeugen könnten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Gericht konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Die Beklagte ist unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ordnungsgemäß geladen worden.

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II. Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bereits unzulässig (1.). Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach § 60 Abs. 1 VwGO kommt nicht in Betracht (2.). Die Sprungrevision wird nicht zugelassen (vgl. § 134 Abs. 2 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) (3.)

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1. Der streitgegenständliche Bescheid ist ausweislich der ordnungsgemäß ausgefüllten Zustellungsurkunde dem im Adressfeld namentlich benannten zuständigen Amtsvormündin beim Kreisjugendamt Rostock am 11. Oktober 2017 zugestellt worden. Diese Zustellung war auch wirksam. Eine an den als Amtsvormund bestellten Landkreis (Jugendamt) erfolgte Zustellung eines Bescheides für einen minderjährigen Asylbewerber ist wirksam. Die Klagefrist läuft allerdings erst an, wenn der Bescheid dem nach § 55 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs VIII (SGB VIII) mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Amtsvormundes beauftragten Bediensteten des Jugendamtes (sog. Realvormund) tatsächlich zugegangen ist.

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Zu Einzelheiten VG Schwerin, Urteil vom 13. April 2018 – 15 A 4249/17 As SN –, juris LS 1 und 2 und Rn.15 und 21.

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Nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde ist der Bescheid gemäß § 3 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i. V. m. § 178 Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) einem Bediensteten in den Geschäftsräumen des Jugendamtes zugestellt worden. Damit lief die Klagefrist am 12. Oktober 2017 an und endete gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG am Mittwoch, den 25. Oktober 2017. Die Klage ist indessen erst am 26. März 2018 - und damit verspätet - bei Gericht eingegangen.

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2. Die Klage kann nicht in die versäumte Klagefrist eingesetzt werden. Dies ist nach § 60 Abs. 1 nur möglich, wenn jemand unverschuldet gehindert gewesen ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei sind Handlungen und Verhalten der Amtsvormündin der Klägerin zuzurechnen.

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a) Er war zu diesem Zeitpunkt noch gesetzlicher Vertreter der Klägerin (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII; vgl. näher VG Schwerin, aaO, Rn. 18 mwN). Sein Verschulden wird gemäß § 173 Satz 1 VwGO und § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin zugerechnet. Dies gilt selbst dann, wenn höchstpersönliche Rechte geltend gemacht werden, wie im Asylrecht.

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Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 60 Rn. 20 mwN.

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a) Die Zurechnung ist auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil der Amtsvormund „im Lager“ bzw. „in der Sphäre“ der Beklagten steht. Dieser Ausgangspunkt ist bereits unzutreffend. Die Amtsvormündin hat nach den gesetzlichen Vorgaben im Interesse des jugendlichen Asylbewerbers zu handeln, ist insoweit auch an Weisungen nicht gebunden und kann ggf. auch gegen den eigenen Träger klagen.

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Vgl. Walther, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 55 Rn. 84; Hoffmann, in: Münder/Meysen/Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, § 55 Rn. 41 mwN.

23

b) Der Amtsvormündin hat auch nicht unverschuldet gehandelt, sondern bewusst auf Erhebung der Klage verzichtet. Unter Berücksichtigung eines Gutachtens des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 7. Dezember 2016 (JAmt 2017, 22) hat sie von der Klageerhebung abgesehen. Ob dieser im Schreiben an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 25. Januar 2018 dargestellte Ansatz (Klage auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich zur Familienzusammenführung) zutreffend ist, mag zwar bezweifelt werden. Indessen kann auch ein Rechtsirrtum oder Rechtsunkenntnis eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht entschuldigen.

24

Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 60 Rn. 12 mwN.

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Aus der Darstellung des Jugendamtes lässt sich daher u. U. eine unzutreffende rechtliche Einschätzung ableiten. Dies führt aber nach den obigen Vorgaben zu keiner Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist. Berücksichtigt man zudem die uneinheitliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geflohener Eritreer insgesamt, ist auch fraglich, ob die Klägerin letztlich mit der vorliegenden Statusklage Erfolg gehabt hätte.

26

Vgl. zur Entscheidungspraxis des Bundesamtes und der umstrittenen Asylrechtsprechung im Fall Eritreas neuerdings die - kritische - Übersicht bei Rapp, Kein Flüchtlingsschutz bei Entziehung vom eritreischen Nationaldienst?, Asylmagazin 2019, 268 ff. mit Exkurs zur Frage der Entscheidungen für weibliche Asylbewerber aus Eritrea (aaO, 273); ferner Hupke, Welcher Schutzstatus ist bei Entziehung vom Nationaldienst in Eritrea zu gewähren?, Asylmagazin 2019, 243 ff.

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Es war jedenfalls auch deshalb nicht abwegig, von einer Klageerhebung Abstand zu nehmen.

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3. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag der Klägerin,

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die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen,

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ist auf Grundlage des § 134 Abs. 2 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO und § 76 Abs. 6 AsylG abzulehnen. Die Frage der Zurechnung der Handlungen der Amtsvormündin zur Klägerin hat nach Einschätzung des erkennenden Gerichts keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das vorliegende Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Bundesgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

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