Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 1 K 537/07

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 19.09.2006 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 09.03.2007 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt für sein inzwischen abgeschlossenes Jurastudium Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz über die Förderungshöchstdauer hinaus.
Der Kläger nahm im Wintersemester 2001/2002 das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität T. auf. Zum Wintersemester 2003/2004 wechselte er an die Universität M., wo er für zwei Semester eingeschrieben war. Von Oktober 2004 bis Juli 2005 studierte er für zwei Semester an der N. University in Japan. Seit dem Wintersemester 2005/2006 war er wieder an der Universität T. eingeschrieben, wo er sein Studium am 12.01.2007 mit dem Abschluss des Ersten juristischen Staatsexamens beendete. Seit dem 01.04.2007 ist der Kläger Rechtsreferendar beim Landgericht H.
Der Kläger erhielt Ausbildungsförderung bis zum Ablauf des Sommersemesters 2006.
Am 30.08.2006 stellte er einen Antrag auf weitere Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 10/2006 bis 02/2007. Seinem Antrag legte er eine Bescheinigung des Justizministeriums Baden-Württemberg, Landesjustizprüfungsamt vom 19.07.2006 bei. Darin heißt es, dass er zur Ersten juristischen Staatsprüfung Herbst 2006 in T. zugelassen worden sei; die Prüfung beginne am 04.09.2006 und ende voraussichtlich im Februar 2007.
Mit Schreiben vom 19.09.2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er mit Ablauf des Sommersemesters 2006 die Förderungshöchstdauer erreicht habe und ihm Ausbildungsförderung darüber hinaus nur dann geleistet werden könne, wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 BAföG oder § 15 Abs. 3 a BAföG vorlägen. Der Kläger erhalte Gelegenheit, hierzu bis zum 09.10.2006 vorzutragen.
Gleichzeitig erließ der Beklagte einen Bescheid, wonach der Kläger für den Bewilligungszeitraum 10/2006 bis 02/2007 Anspruch auf Ausbildungsförderung als verzinsliches Bankdarlehen gem. § 18 c BAföG in Höhe von monatlich 577,00 Euro habe. Zum Erhalt der Darlehensleistungen sei der Abschluss eines Darlehensvertrages mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau erforderlich. Der Bescheid werde nach § 50 Abs. 1 BAföG unwirksam, wenn der Darlehensvertrag nicht innerhalb eines Monats nach dessen Bekanntgabe wirksam zustande komme. Dem Bescheid war ein unterschriftsreifer Rahmendarlehensvertrag beigefügt.
Am 09.10.2006 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung macht er geltend, dass ein schwerwiegender Grund im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG vorliege, der eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus rechtfertige; § 15 Abs. 3a BAföG greife daher nicht ein. Aus § 15 a Abs. 1 Nr. 1 BAföG wie aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 HRG ergebe sich, dass der Bundesgesetzgeber im Allgemeinen von einer Regelstudienzeit von neun Semestern ausgehe. Zwar betrage die Regelstudienzeit für das rechtswissenschaftliche Studium gem. § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 acht Semester. Jedoch finde dort ausdrücklich Erwähnung, dass die Gestaltung der Ersten juristischen Staatsprüfung an dieser Regelstudienzeit auszurichten sei. Die Ergebnisse des Prüfungstermins von September 2006 würden erst am 21.12.2006 versandt, die mündliche Prüfung finde erst im Januar/Februar 2007 statt. Der Kläger habe daher keine Möglichkeit, sein Studium vor diesem Zeitpunkt zu vollenden. Es liege mithin kein Verschulden seinerseits vor, welches eine Verzögerung des Studienabschlusses verursacht hätte. Allein die lange Prüfungsdauer führe zu einem Überschreiten der in der JAPrO 1993 genannten Regelstudienzeit. Dies habe er nicht zu vertreten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 3 BAföG nicht gegeben seien. Er hätte die Zulassung zum Examen so rechtzeitig beantragen müssen, dass er das Studium bis zum Ende des Sommersemester 2006 hätte abschließen können. Im Übrigen hätte er Hilfe zum Studienabschluss gemäß § 15 Abs. 3a BAföG erhalten können, was er allerdings nicht akzeptiert habe.
Am 10.04.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine bereits im Verwaltungsverfahren gemachten Ausführungen. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass in seinem Falle ein schwerwiegender Grund nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG vorliege. Einem Studenten der Rechtswissenschaft könne unter Berücksichtigung der Mindeststudienzeit von sieben Semestern und eines weiteren Semesters zur freien Studiengestaltung zugemutet werden, sich unmittelbar nach dem achten Fachsemester zur Ersten juristischen Staatsprüfung zu melden. Da das achte Studiensemester zur Erreichung der erforderlichen Leistungsnachweise voll zur Verfügung stehen müsse, könne eine Examensmeldung nicht im Hinblick auf die Länge des Prüfungsverfahrens vor Ende des achten Semesters verlangt werden. Dem Kläger sei es deshalb nicht zuzumuten gewesen, sich bereits im Februar 2006 zur Ersten juristischen Staatsprüfung zu melden. Er habe deshalb die Verzögerungen, die bewirkt hätten, dass er seine Erste Juristische Staatsprüfung erst nach Ende der Förderungshöchstdauer am 12.01.2007 abgeschlossen habe, nicht zu vertreten.
10 
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
11 
den Bescheid des Beklagten vom 19.09.2006 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheides vom 09.03.2007 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag des Klägers auf Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus vom 30.08.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
12 
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13 
die Klage abzuweisen.
14 
Zur Begründung verweist er zunächst auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 09.03.2007. Ergänzend wird ausgeführt: Nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 BAföG entspreche die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit nach § 10 Abs. 2 HRG. Nach § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 betrage die Regelstudienzeit für Studium und Erste juristische Staatsprüfung acht Semester. Dies könne im Zusammenhang mit § 10 Abs. 2 Satz 2 HRG nur bedeuten, dass der Kläger sein Studium hätte so anlegen müssen, dass er es innerhalb der wegen des Auslandsstudiums verlängerten Förderungshöchstdauer hätte abschließen können.
15 
Der Kammer haben die Ausbildungsförderungsakten des Beklagten betreffend den Kläger vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht daher ein Anspruch auf deren Aufhebung und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
18 
Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob der Kläger gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus beanspruchen kann. Danach wird für eine angemessene Zeit über die Förderungshöchstdauer hinaus Ausbildungsförderung geleistet, wenn die Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen überschritten worden ist. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger gegeben.
19 
Der Kläger hat die Förderungshöchstdauer, bis zu deren Ablauf für ein Hochschulstudium nach § 15 Abs. 2 BAföG grundsätzlich nur Ausbildungsförderung geleistet wird, überschritten. Diese beträgt für das von ihm betriebene Studium der Rechtswissenschaft gemäß § 15a Abs. 1 BAföG acht Semester (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 HRG i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über die Ausbildung und Prüfung der Juristen i. d. F. vom 07.05.1993, GBl. S. 314, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 25.09.2000, GBl. S. 665, - JAPrO 1993 -); die Vorschriften der JAPrO 1993 finden auf den Kläger Anwendung, da er vor dem Wintersemester 2003/2004 das Studium aufgenommen und im Herbsttermin 2006 erstmals an der Ersten juristischen Staatsprüfung teilgenommen hat (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 JAG i. d. F. vom 16.07.2003, GBl. S. 354 und § 62 Abs. 1 Satz 1 JAPrO i. d. F. vom 08.10.2002, GBl. S. 391). Von der Förderungshöchstdauer wird nicht nur die Studienzeit, sondern auch die Examenszeit erfasst (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 HRG; ferner BVerwG, Urt. v. 27.03.1980 - 5 C 45/78 -, FamRZ 1980, 1161). Das achte Fachsemester des Klägers endete am 30. September 2006, so dass die hier im Streit befindlichen Monate der Examenszeit nach dem Ende der Förderungshöchstdauer liegen.
20 
Die Überschreitung der Förderungshöchstdauer erfolgte aus schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG.
21 
Als „schwerwiegend“ im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig nur solche Gründe berücksichtigt werden, die der Auszubildende nicht zu vertreten hat. Dabei müssen solche Tatsachen vorliegen, die für die Verzögerung der erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung innerhalb der Förderungsdauer von erheblicher Bedeutung sind und die die Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus unter Beachtung ihres Zwecks rechtfertigen. War es dem Auszubildenden möglich und zumutbar, die Verzögerung zu verhindern, kommt eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus nicht in Betracht. Eine Verlängerung der Studienzeit, die bei zumutbarer Studienplanung und rationeller Durchführung des Studiums vermeidbar gewesen wäre, rechtfertigt eine Verlängerung der Studienzeit nicht (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 27.03.1980, a. a. O.). Grundsätzlich können auch eine besonders lange Prüfungsdauer oder sonstige wesentliche Diskrepanzen zwischen den normativen Vorgaben des jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsrecht und der Ausbildungs- und Prüfungspraxis zu berücksichtigen sein, wobei sich das Bedürfnis, diesen Umständen härtemildernd durch eine gleichsam individuelle Verlängerung der Förderungshöchstdauer Rechnung zu tragen, auch bei einer ganzen Gruppe von Auszubildenden ergeben kann (vgl. BVerwG; Urt. v. 25.04.1991 - 5 C 15/87 -, BVerwGE 88, 151).
22 
Dass der Kläger die Erste juristische Staatsprüfung nicht bis zum Ende seines achten Fachsemesters abschließen konnte, wurde dadurch veranlasst, dass er sich erst zum Herbsttermin 2006 zum Examen gemeldet hat und deshalb die schriftlichen Arbeiten erst in der ersten Hälfte des Septembers 2006 anfertigen sowie die mündliche Prüfung im Januar 2007 ablegen konnte (vgl. VwV d. JuM v. 11.07.2005, Die Justiz, S. 387). Der Kläger hätte das (nur) zu vertreten, wenn es ihm möglich und zumutbar gewesen wäre, sich bereits bis zum 31.10.2005 zum Examen zu melden und damit die Prüfungsleistungen im Frühjahrstermin 2006 zu erbringen. Dies vermag die Kammer nicht festzustellen.
23 
Es wäre dem Kläger zwar prinzipiell möglich gewesen, sich bereits zum Ende des siebten Fachsemesters zum Examen zu melden. Denn bei einer ordnungsgemäßen Planung des rechtswissenschaftlichen Studiums wird in aller Regel das achte Fachsemester nicht mehr zum Erwerb von Leistungsnachweisen benötigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.03.1980, a. a. O. zum sog. Kampagnensystem in Rheinland-Pfalz). Gleichwohl ist es dem Kläger subjektiv nicht vorwerfbar, dass er sich für eine Teilnahme am Frühjahrstermin 2006 nicht gemeldet hat, weil die tatsächliche Gestaltung des Studiengangs Rechtswissenschaft durch die Universität T. von den normativen Vorgaben des § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 (Regelstudienzeit acht Semester) abgewichen ist. Regelstudienzeit ist die Zeit, in der ein Auszubildender bei normalem Studienablauf einen ersten oder weiteren berufsqualifizierenden Abschluss erreichen kann. Sie ist maßgebend u. a. für die Gestaltung der Studiengänge und des Prüfungsverfahrens (§ 10 Abs. 2 Satz 3 HRG; § 4 Abs. 3 Satz 2 JAPrO 1993). Die Regelstudienzeit ist als „Soll-Zeit“ festgelegt, von der die tatsächliche Studienzeit im einzelnen Fall aus den verschiedensten Gründen abweichen kann. Unterstellt wird damit ein „durchschnittlicher“ Auszubildender sowohl im Hinblick auf die individuelle Leistungsfähigkeit als auch die Studiengangsplanung (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, Kommentar, 4. Auflage 2005, § 15a Rdnr.4). Ausgehend von diesen normativen Vorgaben hätte das tatsächliche Angebot der Lehrveranstaltungen der Hochschule einschließlich der Examensvorbereitung, um der Regelstudienzeit von acht Semestern zu entsprechen, dergestalt zugeschnitten sein müssen, dass für den durchschnittlichen Studenten eine Meldung zum Examen zum Ende des siebten Fachsemesters vorgesehen war. Nur dann wäre es dem Kläger nicht nur möglich, sondern auch zumutbar gewesen, sich für eine Teilnahme am Frühjahrstermin 2006 zu melden. Diesem Erfordernis wurde die für den Kläger maßgebliche Gestaltung des rechtswissenschaftlichen Studiums durch die Universität T. jedoch nicht gerecht. Nach dem auf Grundlage des Studienplans vom 06.07.1993 sowie der JAPrO 1993 nach Maßgabe des Erlasses des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung vom 28.10.1992 unter Berücksichtigung der Promotionsordnung und der Magisterstudienordnung neugefassten, ab dem Wintersemester 1999/2000 gültigen Studienplan (vgl. ... ) wurden in den ersten sechs Semestern im Umfang von 21 bis 26 Semesterwochenstunden die Pflichtveranstaltungen, Zusatzveranstaltungen zu einem Pflichtfach und Wahlpflichtveranstaltungen angeboten, außerdem die Übungen für Anfänger und Fortgeschrittene im Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichen Recht; die praktische Studienzeit (insgesamt drei Monate) sollte zwischen dem dritten und sechsten Semester in den Semesterferien erbracht werden. Für das siebte und achte Semester sah der Studienplan das Examensrepetitorium sowie jeweils einen Ferien- und Semesterklausurenkurs vor; dabei wird nach dem Angebot der Lehrveranstaltungen deutlich, dass das Examensrepetitorium auf zwei Semester angelegt war, insbesondere bauten die Veranstaltungen im achten Semester (Examensrepetitorium Zivilrecht II, Öffentliches Recht II, Strafrecht II) erkennbar auf denjenigen im siebten Semester auf. Nach der Gestaltung des Studienganges durch die Universität T. war demnach vorgesehen, dass sich der durchschnittliche Student erst zum Ende des achten Semesters zum Examen meldet. Da die tatsächliche Ausbildungspraxis mithin wesentlich von den normativen Vorgaben des § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 abwich, war es auch dem Kläger - ungeachtet des dreimaligen Wechsels des Studienortes - nicht zuzumuten, sich bereits zum Frühjahrstermin 2006 zur Ersten juristischen Staatsprüfung zu melden. Er hat die Verzögerungen, die bewirkten, dass er seine Erste juristische Staatsprüfung erst nach Ende der Förderungshöchstdauer am 12.01.2007 abschloss, nicht zu vertreten.
24 
Der Kläger kann daher vom Beklagten gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus beanspruchen; mit dieser Maßgabe steht ihm ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 zu.
25 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil nach § 167 Abs. 2 VwGO hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
26 
Die Berufung gegen dieses Urteil war durch das Verwaltungsgericht nicht gem. § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da keiner der in § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO abschließend aufgezählten Zulassungsgründe vorliegt. Unbenommen bleibt der Antrag auf Zulassung (vgl. die Rechtsmittelbelehrung), über den gem. § 124a Abs. 4, 5 VwGO der VGH Baden-Württemberg entscheidet.

Gründe

 
16 
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht daher ein Anspruch auf deren Aufhebung und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
18 
Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob der Kläger gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus beanspruchen kann. Danach wird für eine angemessene Zeit über die Förderungshöchstdauer hinaus Ausbildungsförderung geleistet, wenn die Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen überschritten worden ist. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger gegeben.
19 
Der Kläger hat die Förderungshöchstdauer, bis zu deren Ablauf für ein Hochschulstudium nach § 15 Abs. 2 BAföG grundsätzlich nur Ausbildungsförderung geleistet wird, überschritten. Diese beträgt für das von ihm betriebene Studium der Rechtswissenschaft gemäß § 15a Abs. 1 BAföG acht Semester (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 HRG i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über die Ausbildung und Prüfung der Juristen i. d. F. vom 07.05.1993, GBl. S. 314, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 25.09.2000, GBl. S. 665, - JAPrO 1993 -); die Vorschriften der JAPrO 1993 finden auf den Kläger Anwendung, da er vor dem Wintersemester 2003/2004 das Studium aufgenommen und im Herbsttermin 2006 erstmals an der Ersten juristischen Staatsprüfung teilgenommen hat (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 JAG i. d. F. vom 16.07.2003, GBl. S. 354 und § 62 Abs. 1 Satz 1 JAPrO i. d. F. vom 08.10.2002, GBl. S. 391). Von der Förderungshöchstdauer wird nicht nur die Studienzeit, sondern auch die Examenszeit erfasst (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 HRG; ferner BVerwG, Urt. v. 27.03.1980 - 5 C 45/78 -, FamRZ 1980, 1161). Das achte Fachsemester des Klägers endete am 30. September 2006, so dass die hier im Streit befindlichen Monate der Examenszeit nach dem Ende der Förderungshöchstdauer liegen.
20 
Die Überschreitung der Förderungshöchstdauer erfolgte aus schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG.
21 
Als „schwerwiegend“ im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig nur solche Gründe berücksichtigt werden, die der Auszubildende nicht zu vertreten hat. Dabei müssen solche Tatsachen vorliegen, die für die Verzögerung der erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung innerhalb der Förderungsdauer von erheblicher Bedeutung sind und die die Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus unter Beachtung ihres Zwecks rechtfertigen. War es dem Auszubildenden möglich und zumutbar, die Verzögerung zu verhindern, kommt eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus nicht in Betracht. Eine Verlängerung der Studienzeit, die bei zumutbarer Studienplanung und rationeller Durchführung des Studiums vermeidbar gewesen wäre, rechtfertigt eine Verlängerung der Studienzeit nicht (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 27.03.1980, a. a. O.). Grundsätzlich können auch eine besonders lange Prüfungsdauer oder sonstige wesentliche Diskrepanzen zwischen den normativen Vorgaben des jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsrecht und der Ausbildungs- und Prüfungspraxis zu berücksichtigen sein, wobei sich das Bedürfnis, diesen Umständen härtemildernd durch eine gleichsam individuelle Verlängerung der Förderungshöchstdauer Rechnung zu tragen, auch bei einer ganzen Gruppe von Auszubildenden ergeben kann (vgl. BVerwG; Urt. v. 25.04.1991 - 5 C 15/87 -, BVerwGE 88, 151).
22 
Dass der Kläger die Erste juristische Staatsprüfung nicht bis zum Ende seines achten Fachsemesters abschließen konnte, wurde dadurch veranlasst, dass er sich erst zum Herbsttermin 2006 zum Examen gemeldet hat und deshalb die schriftlichen Arbeiten erst in der ersten Hälfte des Septembers 2006 anfertigen sowie die mündliche Prüfung im Januar 2007 ablegen konnte (vgl. VwV d. JuM v. 11.07.2005, Die Justiz, S. 387). Der Kläger hätte das (nur) zu vertreten, wenn es ihm möglich und zumutbar gewesen wäre, sich bereits bis zum 31.10.2005 zum Examen zu melden und damit die Prüfungsleistungen im Frühjahrstermin 2006 zu erbringen. Dies vermag die Kammer nicht festzustellen.
23 
Es wäre dem Kläger zwar prinzipiell möglich gewesen, sich bereits zum Ende des siebten Fachsemesters zum Examen zu melden. Denn bei einer ordnungsgemäßen Planung des rechtswissenschaftlichen Studiums wird in aller Regel das achte Fachsemester nicht mehr zum Erwerb von Leistungsnachweisen benötigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.03.1980, a. a. O. zum sog. Kampagnensystem in Rheinland-Pfalz). Gleichwohl ist es dem Kläger subjektiv nicht vorwerfbar, dass er sich für eine Teilnahme am Frühjahrstermin 2006 nicht gemeldet hat, weil die tatsächliche Gestaltung des Studiengangs Rechtswissenschaft durch die Universität T. von den normativen Vorgaben des § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 (Regelstudienzeit acht Semester) abgewichen ist. Regelstudienzeit ist die Zeit, in der ein Auszubildender bei normalem Studienablauf einen ersten oder weiteren berufsqualifizierenden Abschluss erreichen kann. Sie ist maßgebend u. a. für die Gestaltung der Studiengänge und des Prüfungsverfahrens (§ 10 Abs. 2 Satz 3 HRG; § 4 Abs. 3 Satz 2 JAPrO 1993). Die Regelstudienzeit ist als „Soll-Zeit“ festgelegt, von der die tatsächliche Studienzeit im einzelnen Fall aus den verschiedensten Gründen abweichen kann. Unterstellt wird damit ein „durchschnittlicher“ Auszubildender sowohl im Hinblick auf die individuelle Leistungsfähigkeit als auch die Studiengangsplanung (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, Kommentar, 4. Auflage 2005, § 15a Rdnr.4). Ausgehend von diesen normativen Vorgaben hätte das tatsächliche Angebot der Lehrveranstaltungen der Hochschule einschließlich der Examensvorbereitung, um der Regelstudienzeit von acht Semestern zu entsprechen, dergestalt zugeschnitten sein müssen, dass für den durchschnittlichen Studenten eine Meldung zum Examen zum Ende des siebten Fachsemesters vorgesehen war. Nur dann wäre es dem Kläger nicht nur möglich, sondern auch zumutbar gewesen, sich für eine Teilnahme am Frühjahrstermin 2006 zu melden. Diesem Erfordernis wurde die für den Kläger maßgebliche Gestaltung des rechtswissenschaftlichen Studiums durch die Universität T. jedoch nicht gerecht. Nach dem auf Grundlage des Studienplans vom 06.07.1993 sowie der JAPrO 1993 nach Maßgabe des Erlasses des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung vom 28.10.1992 unter Berücksichtigung der Promotionsordnung und der Magisterstudienordnung neugefassten, ab dem Wintersemester 1999/2000 gültigen Studienplan (vgl. ... ) wurden in den ersten sechs Semestern im Umfang von 21 bis 26 Semesterwochenstunden die Pflichtveranstaltungen, Zusatzveranstaltungen zu einem Pflichtfach und Wahlpflichtveranstaltungen angeboten, außerdem die Übungen für Anfänger und Fortgeschrittene im Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichen Recht; die praktische Studienzeit (insgesamt drei Monate) sollte zwischen dem dritten und sechsten Semester in den Semesterferien erbracht werden. Für das siebte und achte Semester sah der Studienplan das Examensrepetitorium sowie jeweils einen Ferien- und Semesterklausurenkurs vor; dabei wird nach dem Angebot der Lehrveranstaltungen deutlich, dass das Examensrepetitorium auf zwei Semester angelegt war, insbesondere bauten die Veranstaltungen im achten Semester (Examensrepetitorium Zivilrecht II, Öffentliches Recht II, Strafrecht II) erkennbar auf denjenigen im siebten Semester auf. Nach der Gestaltung des Studienganges durch die Universität T. war demnach vorgesehen, dass sich der durchschnittliche Student erst zum Ende des achten Semesters zum Examen meldet. Da die tatsächliche Ausbildungspraxis mithin wesentlich von den normativen Vorgaben des § 4 Abs. 3 JAPrO 1993 abwich, war es auch dem Kläger - ungeachtet des dreimaligen Wechsels des Studienortes - nicht zuzumuten, sich bereits zum Frühjahrstermin 2006 zur Ersten juristischen Staatsprüfung zu melden. Er hat die Verzögerungen, die bewirkten, dass er seine Erste juristische Staatsprüfung erst nach Ende der Förderungshöchstdauer am 12.01.2007 abschloss, nicht zu vertreten.
24 
Der Kläger kann daher vom Beklagten gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus beanspruchen; mit dieser Maßgabe steht ihm ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 zu.
25 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil nach § 167 Abs. 2 VwGO hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
26 
Die Berufung gegen dieses Urteil war durch das Verwaltungsgericht nicht gem. § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da keiner der in § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO abschließend aufgezählten Zulassungsgründe vorliegt. Unbenommen bleibt der Antrag auf Zulassung (vgl. die Rechtsmittelbelehrung), über den gem. § 124a Abs. 4, 5 VwGO der VGH Baden-Württemberg entscheidet.

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