Beschluss vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - A 13 K 5057/18

Tenor

Das Verwaltungsgericht Sigmaringen erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

 
Der vorliegende Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten und auf Antrag des Klägers gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Ansbach zu verweisen.
Vorliegend ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen nicht aus § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO, weil ausweislich der telefonischen Auskunft des Regierungspräsidiums Karlsruhe hinsichtlich des Klägers keine Zuweisungsentscheidung i. S. d. § 50 Abs. 4 AsylG vorliegt, welche Anknüpfungspunkt für die Aufenthaltsverpflichtung gem. § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO wäre (vgl. Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, EL 34 Mai 2018, § 52 Rn. 25; BVerwG, Beschluss vom 28.07.1997 - 9 AV 3.97 - juris). Dass eine solche vorliegend nicht ergangen ist, dürfte auf dem Umstand zurückzuführen sein, dass der Kläger sowohl zum Zeitpunkt seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (eigenen Angaben zufolge am 06.11.2015) als auch bei Äußerung seines Asylgesuchs (wohl am 29.09.2016, dem Datum seiner ersten ED-Behandlung) minderjährig war und gem. § 4 FlüAG dessen Bestimmungen auf unbegleitete Minderjährige keine Anwendung finden (weshalb der Kläger wohl bis zu seiner Inhaftierung in der Erstaufnahme-/Jugendhilfeeinrichtung in Karlsruhe gelebt hat). Auch die Inobhutnahme des Klägers durch das Jugendamt (§ 42a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) stellt keine Wohnsitzverpflichtung „nach dem Asylgesetz“ dar. Gerade hierauf kommt es gem. § 52 Nr. 2 Satz 3 HS 1 VwGO aber an. Schließlich stellt – schon aus systematischen Gründen – § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG keine Regelung dergestalt dar, dass der Aufenthalt am Ort der Haftanstalt zu nehmen wäre (ebenso VG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2018 - A 4 K 6435/18 - juris Rn. 3; im Anschluss hieran VG Bayreuth, Beschluss vom 05.11.2019 - B 8 E 19.31539 - juris; a. A. VG Augsburg, Beschluss vom 05.03.2018 - Au 6 K 18.30378, Au 6 S 18.30379 - juris Rn. 4; noch zur alten Rechtslage des § 56 Abs. 1 Satz 2 Asyl(Vf)G VG Stuttgart, Beschluss vom 06.02.2008 - A 9 K 6354/07 - juris; VG Ansbach, Beschluss vom 04.05.2004 - AN 14 K 04.30681 - juris). Eine andere Regelung „nach dem Asylgesetz“, die eine Verpflichtung zur Aufenthaltsnahme am Ort der Inhaftierung enthalten würde, besteht nicht (unzutreffend daher VG München, Beschluss vom 11.01.2017 - M 1 K 16.51275 - juris). Insbesondere ist vorliegend nicht § 47 Satz 1 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 AsylG einschlägig, weil der Kläger ob seiner Minderjährigkeit unter § 14 Abs. 2 Nr. 3 AsylG fällt. Wegen § 4 FlüAG ist die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 AsylG (mangels eines Elternteils als Anknüpfungspunkt) auch auf den Kläger als unbegleiteten Minderjährigen anzuwenden.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich vorliegend auch nicht nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO und damit danach, wo der Beschwerte seinen Sitz oder (im Falle natürlicher Personen, vgl. Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 34 EL Mai 2018, § 52 Rn. 45) Wohnsitz hat. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG). Der Wohnsitzbegriff des § 52 Nr. 3 VwGO entspricht dem der §§ 7 bis 11 des BGB, wonach es entscheidend auf die tatsächliche Niederlassung verbunden mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt des Lebensverhältnisses zu machen, ankommt (VG Aachen, Beschluss vom 18.03.2004 - 6 K 291/04.A - juris Rn. 8)
Ausweislich des klägerischen Schriftsatzes vom 08.12.2020, der die für den Kläger zuständige Sozialarbeiterin zitiert, war der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Juni 2018 in einer Jugendhilfeeinrichtung in Karlsruhe „wohnrechtlich gemeldet“. Dieser Jugendhilfeeinrichtung war er seitens des zuständigen Landkreises Raststatt zugewiesen worden. Mit der Verhaftung des Klägers wurde die Jugendhilfe „beendet“ und endete auch die Unterbringung des Klägers ebendort. Seine persönlichen Habseligkeiten wurden ihm im Juli 2018 in die Haftanstalt verbracht. Insofern habe der Kläger „seinen Wohnsitz in Karlsruhe aufgegeben“.
Der Bundesamtsakte sowie einer Mitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe auf entsprechende Anfrage des Gerichts hin ist zu entnehmen, dass der Kläger am 26.06.2018 in die JVA Heilbronn (Untersuchungshaft) eingewiesen und von dort am 04.07.2018 in die JVA Ravensburg verlegt wurde. Letztere hat der Kläger am 16.05.2020 verlassen. In der Zwischenzeit befand er sich ununterbrochen in Haft.
Damit ist der Aktenlage zu entnehmen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung (03.09.2018) in der JVA Ravensburg einsaß. Dem entspricht, dass der Kläger seinen Klageschriftsatz aus der Haft heraus an das Gericht übersandt hat.
Ausweislich der bereits zitierten Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang klar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung mangels entsprechendem Domizilwillen keinen Wohnsitz in der JVA Ravensburg hatte.
Aber auch auf den früheren Wohnsitz/Aufenthalt in Karlsruhe kann nicht mehr zuständigkeitsbegründend abgestellt werden: Wiewohl vielfach unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.06.1996 - XII ARZ 5/96 - juris = NJW-RR 1996, 1217) angenommen wird, dass ein Strafgefangener keinen Wohnsitz am Ort der Justizvollzugsanstalt begründet und vielmehr der alte Wohnsitz fortbesteht, kann Derartiges vorliegend nicht gelten. Denn die in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zum insoweit vergleichbaren §§ 13, 16 ZPO) wie auch die hierauf ergangene, instanzgerichtliche Rechtsprechung (etwa OLG München, Beschluss vom 01.07.2016 - 34 AR 77/16 - juris = NZI 2016, 698; OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2016 - I-32 SA 38/16 - juris = NZI 2017, 36; VG Bayreuth, Beschluss vom 12.09.2019 - B 1 K 19.89 - juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2018 - A 4 K 6435/18 - juris Rn. 2 m. w. N.; ferner BeckOK ZPO/Toussaint, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 13 Rn. 4.1; MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018, BGB § 7 Rn. 39-41) impliziert, dass der bisherige Wohnsitz mangels Wohnsitzaufgabewille (§ 7 Abs. 3 BGB) fortbesteht. So liegt der Fall hier aber nicht: Wie sich aus der Stellungnahme der Sozialarbeiterin der Jugendhilfeeinrichtung, in der der Kläger vor seiner Inhaftierung untergebracht war, ergibt, hat der Kläger seinen Wohnsitz dort vollständig aufgegeben: Eine Aufhebung des Wohnsitzes liegt vor, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben (§ 7 Abs. 3 BGB). Neben der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung ist deshalb, ebenso wie bei der Begründung des Wohnsitzes (Domizilwille), noch ein entsprechender Wille erforderlich. Dieser Wille bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung, sondern kann sich aus den gesamten Umständen des Einzelfalles ergeben. Eine vorübergehende, auch längere Abwesenheit führt daher noch nicht zur Aufgabe des Wohnsitzes. Ebenso wenig genügt die polizeiliche Abmeldung, wenn die Beziehung zum bisherigen Aufenthaltsort gleichwohl aufrechterhalten wird. Werden nämlich die tatsächlichen Beziehungen zur bisherigen Niederlassung aufrechterhalten, ist davon auszugehen, dass ein Aufhebungswille nicht vorliegt (zum Ganzen MüKoZPO/Patzina ZPO § 13 Rn. 10).
Gleich ob man auf den Kläger selbst oder (im Hinblick auf § 8 BGB) auf das Jugendamt abstellt, um einen entsprechenden Wohnsitzaufgabewillen zu ermitteln, ist das identische Ergebnis, dass der Wohnsitz/Aufenthalt in der Jugendhilfeeinrichtung nicht weiter fortbestehen sollte.
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Wie die Sozialarbeiterin der Jugendhilfeeinrichtung (über den Kläger) mitteilte, wurde die Jugendhilfe mit der Verhaftung des Klägers „beendet“. Zugleich wurden – im Tatsächlichen – dessen Habseligkeiten in die Haftanstalt verbracht. Bei lebensnaher Sachverhaltswürdigung muss auch davon ausgegangen werden, dass das Zimmer des Klägers in der Jugendhilfeeinrichtung neu belegt worden war. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst bei der Klageerhebung als Anschrift diejenige der Haftanstalt und nicht die (alte) der Jugendhilfeeinrichtung angegeben hat. Damit muss angenommen werden, dass auch er selbst davon ausging, dass sein Wohnsitz/Aufenthalt in Karlsruhe nicht weiter fortbestand. Auch rechtlich erscheint dies zwingend: Bei nicht (voll) Geschäftsfähigen richtet sich der sog. Domizilwille nach dem Willen des gesetzlichen Vertreters, § 8 BGB. Nichts Anderes kann im Falle der (vorläufigen) Inobhutnahme nach § 42a Abs. 1 Satz 3, § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII gelten. An die Stelle des (in einem solchen Fall noch nicht bestellten) gesetzlichen Vertreters tritt das Jugendamt. Diese endete vorliegend aber noch vor Klageerhebung (mit der Inhaftierung) – und zwar dergestalt, dass der Wohnsitz (sofern ein solcher überhaupt bestand) in der Jugendhilfeeinrichtung beendet werden sollte.
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Damit bleibt zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gem. § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO nur § 52 Nr. 5 VwGO. Danach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat. Auch wenn die hier angegriffene Ablehnungsentscheidung von der Außenstelle Karlsruhe des Bundesamtes getroffen wurde, ist handelnde Behörde allein das Bundesamt (als Bundesoberbehörde) selbst, das seinen Sitz in Nürnberg hat und damit dem Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Ansbach unterfällt. Denn Außenstellen des Bundesamtes sind unbeschadet ihrer räumlichen Ausgliederung lediglich unselbständige Organisationseinheiten, d.h. Teil des Bundesamtes ohne feste Zuständigkeit und ohne Ermächtigung, Entscheidungen nach außen im eigenen Namen zu treffen, mithin keine eigenständigen Behörden im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 18. 03.2004 - 6 K 291/04.A - juris Rn. 16 f.).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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