| Über die Klage konnte verhandelt und entschieden werden, ohne dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vertreten war, da das Bundesamt in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden, § 102 Abs. 2 VwGO. |
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| Soweit die Klägerin ihre Klage – bezogen auf die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigte in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheids – zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO. |
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| Die verbliebene Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid des Bundesamts ist in Ziff. 1 und Ziff. 3 bis Ziff. 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. |
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| Die Klägerin ist ein Flüchtling. Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. |
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| Die tatsächliche Gefahr einer Verfolgung besteht dann, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (s. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13.10 –, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05. Dezember 2017 – A 11 S 1144/17 –, juris Rn. 178 f.). Dies kann auch der Fall sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für den Schadenseintritt gegeben ist. Eine bloß theoretische Gefährdung reicht hingegen nicht aus. Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint, was dann der Fall ist, wenn die für einen Schadenseintritt sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Umstände (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. November 2015 – A 12 S 1999/14 –, juris Rn. 36). Bei der Abwägung sind neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die Schwere der mit dem ernsthaften Schaden verbundenen Rechtsgutsverletzung und die Möglichkeiten des Antragstellers zu berücksichtigen, einen solchen Schaden abzuwenden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Mai 2017 – A 9 S 991/15 –, juris Rn. 25). |
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| Nach Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. |
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| Dabei ist es – für den Anspruch auf Zuerkennung des internationalen Schutzes – nach § 28 Abs. 1a AsylG unschädlich, wenn die Verfolgungsgefahr auf Ereignissen beruht, die erst nach Verlassen des Herkunftslandes eingetreten sind, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. |
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| Im (gerichtlichen) Asylverfahren obliegt es dabei dem Asylsuchenden bzw. dem Kläger, seine guten Gründe für eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen, d.h. unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass er bei verständiger Würdigung eine – entsprechend den oben genannten Maßstäben – asylrechtlich relevante Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylsuchende zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 f.). |
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| Schließlich kann das Gericht die tragenden Angaben des Asylsuchenden nicht als wahr unterstellen. Vielmehr muss es auch im Asylprozess die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (s. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, juris). Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich die Betroffenen hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimatland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge allerdings in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch jedoch das Gericht nicht einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Zugleich darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (s. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109.84 –, NVwZ 1985, 567). Ein solchermaßen abgemilderter Maßstab deckt sich mit den Voraussetzungen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 5 der Anerkennungsrichtlinie, die auch eine Glaubhaftigkeitsprüfung einschließen (so im Ergebnis und ausf. zum Maßstab nach Art. 4 Abs. 5 der Anerkennungsrichtlinie EASO / IARLJ, Beweiswürdigung und Glaubhaftigkeitsprüfung im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (dt. Fassung), 2018, dort insb. S. 83 f. (zu Buchst. c) und Buchst. e) und S. 97 f., ferner S. 85 ff.). |
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| Gemessen hieran kann die Kammer nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens feststellen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen ihrer Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft „Kirche des Allmächtigen Gottes“ droht. |
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| Die „Kirche des Allmächtigen Gottes“ (im Folgenden: „KAG“) ist in China verboten und wird nicht zuletzt wegen einer aggressiv vorgetragenen Opposition zum chinesischen Staat – dieser wird in der Glaubenslehre mit dem Bösen („großen roten Drachen“; s. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, 10/2019, S. 14) gleichgesetzt – als staatsgefährdend und häretisch eingestuft (s. etwa BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: China, Stand: 17.12.2020, S. 50, dort auch zum Folgenden). Die „KAG“ gilt als die derzeit am meisten verfolgte christliche Gruppe in China (s. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, 10/2019, S. 16). Die Zugehörigkeit zur „KAG“ ist ähnlich der Zugehörigkeit zu Falun Gong als „böser Kult“ (Xie Jiao) eingestuft und nach Art. 300 des chinesischen Strafgesetzbuchs strafbar (s. AA, Auskunft an VG Stuttgart, 05.08.2019, S. 1) und mit langjährigen Freiheitsstrafen bis hin zu lebenslanger Haft bedroht. Der Straftatbestand wird in China auch vollzogen, wobei die Vollzugspraxis in der Vergangenheit nicht einheitlich, nicht flächendeckend und gegenüber jedem Gläubigen erfolgte, insbesondere zwischen Provinzen sehr unterschiedlich sein konnte und insgesamt wenig vorhersehbar war. Wegen des unterschiedlichen Vollzugs könne es vorkommen, dass in einer Provinz ein einfaches Mitglied härter bestraft werde, als ein hochprofiliertes Mitglied in einer anderen (s. zum Ganzen UK Home Office, Country Policy and Information Note China: Non-Christian religious groups, 27.07.2021, S. 27 ff.; s.a. Country Policy and Information Note China: Christians, November 2019, S. 25). Nach Angaben der chinesischen Behörden, die westliche Wissenschaftler allerdings für übertrieben halten, soll die Zahl der Mitglieder der „KAG“ bei etwa 4 Millionen liegen (s. Niederländisches Außenministerium, Country of Origin Information Report China, Juli 2020, S. 45 f.). Demgegenüber sollen zwischen 2011 und 2017 mindestens 400.000 Mitglieder der Glaubensgemeinschaft in China festgenommen worden sein. Offiziell veröffentlichte Entscheidungen der chinesischen Justiz zeigen, dass nicht nur exponierte, sondern auch einfache Mitglieder zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in Umerziehungslager interniert wurden (s. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, 10/2019, S. 16; vgl. ferner ACCORD, Anfragebeantwortung zu China: „Kirche des Allmächtigen Gottes“, legale Ausreise, Beobachtung von Auslandsaktivitäten, Wohnortwechsel, Rückkehr, 16.04.2019, S. 12 f.; s.a. IRB, China: The Church of Almighty God (CAG) including its leaders, location and activities; treatment of members by authorities; religious texts used; whether all members have access to religious texts (2019-October 2021), S. 8). Die chinesische Regierung geht im Inland auch in jüngerer Zeit planvoll gegen die „KAG“ und deren Mitglieder vor. 2018 seien 11.111 Mitglieder der „KAG“ inhaftiert worden (UK Home Office, Country Policy and Information Note China: Christians, November 2019, S. 24 unter Verweis auf den Bericht von USDOS, dort unter Verweis auf Angaben der „KAG“ selbst). 2019 seien rund 33.000 Angehörige der „KAG“ von Verfolgung betroffen gewesen. Mehr als 6.100 Mitglieder seien festgenommen, mehr als 4.100 davon seien inhaftiert worden. Mehr als 1.300 Personen sei der Prozess gemacht worden. Knapp 500 Verurteilte seien zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt worden. Rund 3.800 KAG-Angehörige hätten sich Folter und erzwungener Indoktrination ausgesetzt gesehen. Mindestens 19 Gläubige seien 2019 an den Folgen der Verfolgung gestorben. Es komme auch vor, dass Mitglieder der „KAG“ überwacht, bedroht oder in die Psychiatrie eingewiesen würden (s. zu letzterem und zum Ausmaß der Verfolgung im Jahr 2020, allerdings unter Bezugnahme auf Verlautbarungen der Sekte selbst, USDOS, Religious Freedom Report 2020, 12.05.2021, S. 6 ff.; s.a. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, 10/2019, S. 17). Nach Angaben eines im Bericht des kanadischen Migrationsdienstes zitierten Sachkundigen hänge es von der lokalen Politik in religiösen Angelegenheiten ab, ob ein einfacher Gläubiger verhaftet werde. So scheine etwa die Vollzugspraxis der Polizei in den Küstenstätten in Südchina liberaler zu sein: Dort würden einfache Mitglieder, nachdem sie ein Austrittsversprechen unterzeichnet hätten, regelmäßig aus der Haft entlassen. Wenn die lokale Polizei wisse, dass die „KAG“ nur zum „Sozialleben“ der Person gehöre, würde sie nicht ihre Zeit mit ihr verschwenden (s. IRB, a.a.O., S. 8 f.). Nach der jüngeren Auslegungspraxis der chinesischen Behörden ist demgegenüber auch die Verbreitung von Informationen über einen „bösen Kult“ über das Internet nach Art. 300 kriminalisiert (UK Home Office, Country Policy and Information Note China: Christians, November 2019, S. 24). |
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| Zur Behandlung nach China zurückgekehrter Anhänger der „KAG“ finden sich wenig Informationen. Nach dem Lagebericht des australischen Außen- und Handelsministeriums fehlten verlässliche Informationen über das Schicksal von Personen, die – allgemein – nach der erfolglosen Stellung eines Asylantrags im westlichen Ausland nach China zurückkehren. Es sei allerdings wahrscheinlich, dass die chinesischen Behörden über die Stellung eines Asylantrags im Ausland informiert seien (s. DFAT, Country Report People’s Republic of China, 22.12.2021, S. 39). Die Stellung eines Asylantrags im westlichen Ausland soll nach übereinstimmenden Berichten allein nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Sanktionen führen (s. nur s. BFA, Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 72 m.w.N.). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes sei bei einer fortschreitenden Perfektionierung der Überwachung und Erfassung aller Personen indes davon auszugehen, dass ein Datenaustausch innerhalb Chinas im Fall von Wohnsitzwechseln routinemäßig stattfindet und es sei davon auszugehen, dass jeder aus dem Ausland zurückkehrende Staatsangehörige der Volksrepublik China auf Grundlage zuvor erfasster Daten routinemäßig überprüft werde (s. AA, Auskunft an VG Stuttgart, 05.08.2019, S. 2). Eine Nichtregierungsorganisation habe laut einem Bericht von ACCORD berichtet, dass Mitglieder der „KAG“ nach ihrer Rückkehr nach China verhaftet worden seien, um Informationen über Mitglieder der Sekte im Ausland zu erhalten. Einige der Verhafteten seien gezwungen worden, zu im Ausland befindlichen Gemeinden zurückzukehren, um als verdeckte Agenten zu fungieren (ACCORD, a.a.O. S. 21 f.). |
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| In der Erkenntnislage finden sich insgesamt auch deutliche Hinweise, dass die Volksrepublik China regimekritische oder aus ihrer Sicht verdächtige Aktivitäten im Ausland aufklärt, wenngleich Berichte offizieller Stellen zu Art und Ausmaß wenig Informationen bereithalten und Aktivitäten gegen Christen dort im Gegensatz zu Aktivitäten gegen Falun Gong nicht ausdrücklich benannt werden (s. BMI, Verfassungsschutzbericht 2018, S. 298). Die Zahl von im Ausland lebenden Anhängern der „KAG“ soll zwischen 5.000 und 10.000 liegen, die etwa in den Vereinigten Staaten, Italien, Südkorea, Hongkong, Taiwan und auf den Philippinen leben (s. Niederländisches Außenministerium, Country of Origin Information Report China, Juli 2020, S. 45 f.). Basierend auf Vorfällen in Südkorea gehen Sachkundige davon aus, dass chinesische Stellen Aktivitäten der „KAG“ im Ausland überwachen und Personen als Spitzel anwerben oder zu Spitzeldiensten nötigen, um KAG-Mitglieder auszuspähen (s. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, 10/2019, S. 17). In einem Bericht von ACCORD, der sich auf verschiedene Quellen stützt, wird die Einschätzung einer sachkundigen Wissenschaftlerin zitiert, dass es glaubwürdig sei, dass die chinesischen Behörden die Aktivitäten von im Ausland lebenden Chinesen beobachten würden. So sei etwa unter chinesischen Studenten die Sorge groß, dass bestimmte Aussagen an die chinesische Botschaft und von dort an die chinesischen Behörden gemeldet würde. Je offener man nach außen bzw. in die Öffentlichkeit hineintrete, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit einer Überwachung (ACCORD, a.a.O., S. 18). Von Seiten der chinesischen Behörden seien laut einer südkoreanischen Menschenrechtsorganisation offizielle Dokumente veröffentlicht worden, in denen „individuelle Analysen und Nachforschungen“ zu Mitgliedern der „KAG“ im Ausland gefordert würden mit dem Ziel, „einzelfallbezogene Strategien für ein präzises Durchgreifen auf diese Personen zu entwickeln“. Seien Personen einmal als Mitglieder der „KAG“ identifiziert, würden diese unverzüglich nach einer Rückkehr nach China verhaftet (ACCORD, a.a.O., S. 18 f.). Nach Angaben eines früheren Geheimdienstoffiziers, die in einem österreichischen Zeitungsartikel von 2005 berichtet werden, sei zur Ausspähung der Falun Gong Bewegung die Abteilung „Büro 610“ gegründet worden, das außerhalb der sonst für die Auslandsaufklärung zentralen Botschaften operiere und deren Aufgabenbereich 2003 auf andere religiöse Gruppen erstreckt worden sei. Sobald im Ausland eine Dissidenten-Gruppe ausgemacht worden sei, versuche die chinesische Regierung, diese zu unterminieren (ACCORD, a.a.O., S. 19). Nach einem Bericht von zwei dem evangelikalen Spektrum nahestehenden Menschenrechtsorganisationen seien die Netzwerke des „Büros 610“ und der staatlichen Sicherheitsorgane miteinander vernetzt worden, um bei der Verhaftung von Mitgliedern der „KAG“ koordiniert vorgehen zu können (ACCORD, a.a.O., S. 19 f.). Eine dieser Organisationen habe weiter von einem Vorfall aus dem Jahr 2018 berichtet, wonach ein indischer Student, der eine App der „KAG“ heruntergeladen habe, von einer chinesischen Stelle kontaktiert worden sei. Ihm sei einerseits gedroht worden, andererseits seien ihm Gegenleistungen angeboten worden, wenn er die Namen der Mitglieder preisgebe, mit denen er in Kontakt stehe (ACCORD, a.a.O., S. 21). |
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| Ausgehend hiervon bestehen nach der Erkenntnislage deutliche Anhaltspunkte dafür, dass in China auch bei einer niederschwelligen, nicht herausgehobenen Religionsausübung von Mitgliedern der „KAG“ – also auch bei einer einfachen Glaubensausübung im privaten und familiären Bereich – die Gefahr besteht, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein (auf dieser Linie bereits VG Karlsruhe, Urteil vom 11. Juni 2021 – A 7 K 2536/20 –, juris; VG Freiburg, Urteil vom 20. August 2021 – A 9 K 9821/17 –, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 05. Januar 2021 – A 15 K 8622/17 –, juris; s.a. BAMF, Länderreport 20: China, Situation der Christen, Stand: 10/2019, S. 16). |
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| In den Erkenntnismitteln kommt weiter zum Ausdruck, dass zumindest damit gerechnet werden muss, dass die chinesischen Behörden über das Verhalten chinesischer Asylsuchender während ihres Aufenthalts außerhalb Chinas informiert sind (s. BFA, Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 72 unter Verweis auf DFAT, Country Information Report China, 3.10.2019, S. 72). Es erscheint greifbar, dass Personen, die in Deutschland erkennbar ernsthaft und längerfristig in der „KAG“ aktiv sind, und sei dies auch nur in einem privaten oder halböffentlichen Umfeld, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, von Seiten der chinesischen Behörden als Anhänger der „KAG“ identifiziert zu werden. Gerade mit Blick auf die Rigorosität, mit der der chinesische Staat schon gegen Personen vorgeht, die er allein aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit als potentiell staatsgefährdend einstuft – etwa gegen Angehörige der uigurischen Minderheit – erscheint es auf dieser Grundlage für diese Personen beachtlicher wahrscheinlich, im Falle einer gedachten Rückkehr nach China staatlichen Repressionen und Sanktionen ausgesetzt zu sein, die nach Art und Schwere als Verfolgung zu qualifizieren sind. |
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| Gleichzeitig liegt es nach der oben beschriebenen Erkenntnislage zur Überwachung exilchinesischer Gruppen nahe, dass den chinesischen Behörden auch bekannt sein dürfte, dass chinesische Staatsangehörige zu asyltaktischen Maßnahmen greifen, um auf diese Weise im westlichen Ausland einen Flüchtlingsstatus zu erlangen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die chinesischen Behörden entsprechende Aktivitäten auch einordnen können, zumal die Erkenntnisse zur Situation in südchinesischen Städten darauf hindeuten, dass die chinesischen Polizeibehörden teilweise sehr wohl zwischen „Religiösen“ und bloßen sozialmotivierten Mitläufern unterscheiden können. Dementsprechend dürfte auch das Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen formulieren, dass „eine oppositionelle Betätigung im Ausland zu Problemen führen kann, wenn die Behörden der Ansicht sind, dass Verbrechen gegen die nationale Sicherheit‘ begangen wurden“. Es fehlen deshalb auch mit Blick auf den hohen Verfolgungsdruck, dem selbst einfache Gläubige der „KAG“ in China ausgesetzt sein können, und mit Blick auf die Vollzugspraxis innerhalb Chinas hinreichende Anhaltspunkte, dass bereits eine nach außen erkennbar bloß formale und bloß asyltaktisch motivierte Zugehörigkeit zur „KAG“ im Ausland bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen nach sich zieht (so auch VG Karlsruhe, Urteil vom 11. März 2020 – A 7 K 2676/17 –, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 17. Juli 2019 – A 15 K 94519/17 –, juris S. 14; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 A 1979/21.A –, juris Rn. 22 ff., dort unter Wiedergabe von Ausführungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf). |
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| Zusammenfassend geht die Kammer davon aus, dass eine aus Sicht der chinesischen Behörden ernsthafte Mitgliedschaft in der Kirche des Allmächtigen Gottes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgungsgefahr führt, wohingegen sich eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit in Fällen einer bloß asyltaktisch motivierten Mitgliedschaft in der Kirche des Allmächtigen Gottes nicht feststellen lässt. |
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| Gemessen hieran hat die Kammer nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – und ohne dass die Kammer sich eine Überzeugung davon verschafft hat, dass die Klägerin bereits vor ihrer Ausreise Mitglied der „KAG“ war und als solche von Verfolgung durch den chinesischen Staat bedroht war – einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit gewonnen, dass die Klägerin jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entsprechend ihrer Angaben in Deutschland seit 2018 und damit seit mehreren Jahren der „KAG“ angehört, wobei diese Zugehörigkeit und die damit verbundene Glaubenspraxis – auch mit Blick auf die mutmaßliche Perspektive der chinesischen Behörden – nicht bloß formal bzw. asyltaktisch motiviert erscheint, sondern ernsthaft, wenn auch vergleichsweise einfach wirkt. Die Anhörung der Klägerin hat den Eindruck vermittelt, dass sie sich mit den Glaubensgrundsätzen der „KAG“ auseinandergesetzt hat und diese für ihr alltägliches Leben Bedeutung haben. |
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| Die Klägerin hat berichtet, welche Rolle ihre Glaubensaktivitäten im Alltag spielen: Sie bete täglich und lese das Buch („Das Wort erscheint im Fleisch“). Sie schaue sich die im Internet hochgeladenen Beitrage und Videos der Organisation an. Sie lade auch selbst auf ihrem Facebook-Account Videos und Gedichte hoch bzw. teile diese. Sie nehme auch immer wieder Kontakt zu Christen anderer Kirchen auf, tausche sich mit diesen aus. Sie spreche mit ihnen vor allem über die Christenverfolgung in China. Daran hätten die Leute Interesse. Vor der Pandemie hätten sie und ihre Glaubensgeschwister auch andere Christen zu sich nach Hause eingeladen. |
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| Die Kammer hat ebenfalls keinen Zweifel, dass die Klägerin regelmäßig – zweimal pro Woche – an Treffen der „KAG“ teilnimmt, wenngleich dies seit der Pandemie nur noch online erfolgt. Die Klägerin hat dabei die Organisation der Gruppen und den Ablauf solcher Treffen, zu denen sie selbst einlädt und die sie leitet, sowohl abstrakt, als auch konkret anhand von Beispielen aus den letzten Treffen beschreiben können. Im letzten Treffen sei es um das Thema Arroganz gegangen. Eine Glaubensschwester habe davon berichtet, dass sie immer ihre eigene Meinung für richtig halte. In der Buchlektüre habe man herausgefunden, dass der Gott sage, dass die Arroganz im Wesen der Menschheit stecke und dass die Schwester bereit sein müsse, herunterzukommen und den anderen mindestens zuzuhören. Die Klägerin hat auf entsprechende Nachfragen zwei Lieder benennen können, die bei den Treffen gesungen werden („Herz zu Herz, wir finden einen Einklang“ und „Falls der Gott mich nicht gerettet hätte“). Diese Lieder seien Lieder ihrer Kirche und seien dem Buch entnommen. Etwa 15 bis 16 Personen würden an dem Treffen teilnehmen. Vor der Corona-Pandemie habe man sich mit Kirchenangehörigen aus der Nähe getroffen und gemeinsam gebetet und sei auch in örtliche Kirchen gegangen. Das habe aber pandemiebedingt aufgehört. Daneben gebe es aber auch immer noch „Live-Treffen“. Das seien dann aber nur drei bis vier Personen, die sich bei einer Person zu Hause treffen würden. Da bete und singe man gemeinsam und spreche auch über Probleme und versuche mit dem Wort Gottes Lösungen zu finden. Unter den 15, 16 kenne man sich ebenfalls. Sie habe aber nicht von jedem die Telefonnummer, könne aber im Zweifel jemanden kontaktieren, der wiederum die andere Person kontaktiere. So sei es auch umgekehrt. Bei diesen Treffen würden Alias-Namen benutzt. Ihr Name sei XXXXX. Von ihrer anstehenden Asylverhandlung habe sie im großen Kreis nicht erzählt. Sie habe es nur mit einer Glaubensschwester besprochen, weil sie die anderen nicht mit ihrer negativen Stimmung habe belasten wollen. Es gehe bei diesen Treffen darum, positive Erkenntnisse zu finden. |
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| Die Klägerin hat auf Nachfrage zentrale Glaubensinhalte ihrer Glaubensgemeinschaft schildern können. Sie glaube an den gleichen Gott wie andere Christen, aber sie lebten in verschiedenen Zeitaltern. Sie glaube, dass Gott bereits wiedergekommen sei. Sie legten in ihrer Kirche auch keinen Wert auf die christlichen Feiertage. Zwar würden sie an den Sonntagen zusammenkommen und beten, aber Feiertage würden sie nicht begehen. Es gehe ihnen darum, das Wort Gottes im Alltag zu erleben. Feste Formen würden sie nicht pflegen, die Gebete erfolgten frei, seien nicht vorgegeben. |
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| Die Klägerin hat schließlich eine Bescheinigung der „Kirche des Allmächtigen Gottes Zweig Baden-Württemberg e.V.“ vorgelegt, wonach sie im Juni 2018 Kontakt zur Glaubensgemeinschaft aufgenommen habe und als Mitglied aufgenommen worden sei. Seither nehme sie regelmäßig an Veranstaltungen teil. Die Bescheinigung ist unterzeichnet von einem Herrn … …, der nach der Erkenntnislage in Stuttgart lebt und berechtigt ist, den Verein zu vertreten (s. Auszug aus dem Vereinsregister des Amtsgerichts Regensburg vom 12.01.2018). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Angabe der Klägerin, sie habe ihn einmal getroffen, plausibel. Zur Kontaktaufnahme hat die Klägerin berichtet, sie habe sich 2018 die App der KAG heruntergeladen und im Juni 2018 habe sie bei der auf der Website der Kirche veröffentlichten Telefonnummer angerufen. Die Glaubensschwester mit der sie am Telefon gesprochen habe, habe daraufhin regelmäßig mit ihr über Glaubensinhalte gesprochen. Sie hätten sich telefonisch über Probleme und Schwierigkeiten in der Anfangsphase unterhalten. Einen Monat später habe die Glaubensschwester ihr angeboten, bei einem Treffen mit anderen Glaubensschwestern teilzunehmen. Am Anfang habe sie nur zugehört und mitgemacht. Nach einem weiteren Monat sei man dann auf sie zugekommen und habe gefragt, ob sie eine Gruppenleiteraufgabe übernehmen wolle. Gerade zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland sei sie mit Glaubensaktivitäten sehr vorsichtig gewesen. Mit der Zeit sei sie aber lauter und mutiger geworden. Am Anfang habe sie etwa, wenn sie beim Kochen Lieder oder Lesungen gehört habe, die Lautstärke herunter gedreht. Inzwischen mache sie das nicht mehr. |
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| Die Kammer hat während der Anhörung auch nicht den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin allein aus asyltaktischen Motiven der „KAG“ angehört, und kann deshalb – im Rahmen der Verfolgungsprognose – nicht davon ausgehen, dass die chinesischen Behörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Zugehörigkeit der Klägerin zur „KAG“, sollten sie davon erfahren, nicht zum Anlass nehmen würden, die Klägerin als Mitglied eines verbotenen Kults einzustufen und bei einer gedachten Rückkehr entsprechenden Repressalien zu unterwerfen. Dass die Klägerin – was nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens offen ist – ihre Glaubensaktivitäten möglicherweise erst nach der Einreise nach Deutschland aufgenommen hat, ist vor diesem Hintergrund nach § 28 Abs. 1a AsylG unschädlich, da eine missbräuchliche Schaffung von Nachfluchtgründen nicht festgestellt werden kann. |
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| Nach alledem ergibt sich mit Blick auf die niederschwellige Verfolgungsgefahr für Angehörige der Kirche des Allmächtigen Gottes in China, das hohe Gewicht der betroffenen Rechtsgüter und die nach der Erkenntnislage vergleichsweise starke und gut organisierte Staatsgewalt in China bei allenfalls theoretischen Ausweich- und Vermeidungsmöglichkeiten für die Klägerin bei einer Prognose – selbst angesichts dessen, dass die Klägerin in Deutschland nicht herausgehoben und vornehmlich im virtuellen Raum aktiv ist – die nicht nur theoretische, sondern schon beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach China Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wäre. |
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| Die Klägerin kann auch nicht auf internen Schutz nach § 3e AsylG verwiesen werden. Da die Klägerin, deren religiöse Aktivitäten auch nach außen dringen, zwar nicht mit überwiegender, jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, dass die chinesischen Behörden über ihre Aktivitäten in Deutschland informiert sind und auf diese Informationen bei einer Wiedereinreise auch zugreifen können, kann auch nicht – entsprechend § 3e Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AsylG – festgestellt werden, dass sie sicher in einen anderen Landesteil Chinas reisen und sich dort niederlassen könnte. |
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| Der Klägerin ist nach alledem die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid ist in entsprechendem Umfang – auch hinsichtlich der hiernach gegenstandslosen Entscheidungen in Ziff. 3 und 4 und in den Ziffern 5 und 6 aufzuheben. |
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| Über die hilfsweise gestellten Anträge war nicht mehr zu befinden. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Das Gericht sieht von der Möglichkeit nach § 167 Abs. 2 VwGO ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. |
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