Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 12 K 1708/16

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zu einem Drittel.

Der Streitwert wird auf 45.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Antragsteller begehren vorliegend im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass ihre jeweilige Bestellung als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur nicht zum 31.03.2016 (für den Antragsteller zu 1), zum 31.05.2016 (für den Antragsteller zu 2) bzw. zum 31.08.2016 (für den Antragsteller zu 3) erlischt, mithin dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Vermessungsgesetzes für Baden-Württemberg (VermG) auf sie keine Anwendung findet.
Die Anträge haben keinen Erfolg.
I.
Die Anträge sind zulässig. Insbesondere ist das Verwaltungsgericht Stuttgart für die Anträge örtlich zuständig, weil aufgrund einer in der Hauptsache statthaften negativen Feststellungsklage § 52 Nr. 5 VwGO maßgeblich ist, wonach es für die örtliche Zuständigkeit auf den Sitz des Antragsgegners ankommt.
II.
Die Anträge sind jedoch nicht begründet.
Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn andere Gründe vorliegen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
1. Die Antragsteller begehren eine Regelung, die die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt. Dies ergibt sich daraus, dass Vollzugsfolgen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Durch ein Fortdauern der Bestellung als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure nach dem gesetzlich vorgesehen Datum des Erlöschens der Bestellung hätten die Antragsteller weiterhin das Recht, als Beliehene staatliche Vermessungsleistung durchzuführen und insbesondere durch das Abmarken von Grenzpunkten Verwaltungsakte zu erlassen. Diese Rechtshandlungen könnten bei einem Unterliegen der Antragsteller in der Hauptsache nicht wieder rückgängig gemacht werden (vgl. Kammerbeschl. vom 17.01.2012 - 12 K 4401/11).
In solchen Fällen gilt grundsätzlich das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Es kann zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nur durchbrochen werden, wenn die zu erwartenden Nachteile unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.04.2004 - 6 S 17/04 - juris). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
2. Obwohl die Antragsschrift erst am Gründonnerstag per Post mit begehrter Entscheidung innerhalb Wochenfrist in Bezug auf eine 2004 in Kraft getretene Regelung beim Gericht eingegangen ist, liegt ein Anordnungsgrund vor. Dieser ergibt sich aus der Eilbedürftigkeit infolge des alsbaldigen Erlöschens der Bestellung der Antragsteller als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure. Ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache wäre für die Antragsteller insbesondere aufgrund der nach ihren Angaben vorhersehbaren Einbuße an Vermessungsaufträgen mit erheblichen Nachteilen verbunden.
3. Ein Anordnungsanspruch besteht hingegen nicht. Die Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Vermessungsgesetzes für Baden-Württemberg (VermG) ist rechtmäßig. Sie ist insbesondere mit höherrangigem Recht vereinbar.
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a) § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG, wonach das Amt des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs mit Ablauf des Monats erlischt, in dem dieser das 70. Lebensjahr vollendet, stellt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG dar, die gemäß §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 1 AGG grundsätzlich unzulässig ist.
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b) Diese unmittelbare Benachteiligung ist jedoch nach § 10 Satz 1 AGG zulässig. Gemäß § 10 Satz 1 AGG liegt eine Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters vor, wenn diese objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Das AGG, das die Richtlinie 2000/78/EG (RL) in nationales Recht umgesetzt hat, ist dabei dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass nur solche Ziele im Rahmen des § 10 Satz 1 AGG legitim sind, die sich aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der RL ergeben. Demgemäß sind legitime Ziele insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung. Der Europäische Gerichtshof (vgl. EuGH Urt. v. 13.09.2011 - C-447/09, Prigge - EuZW 2011, 751, RdNr. 81 m.w.N.) und dem folgend das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG Urt. v. 01.02.2012, NJW 2012, 1018, 1019, RdNr. 16) sehen somit vor allem sozialpolitische Ziele als legitim im Sinne dieser Regelung an.
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Der Gesetzesentwurf der Landesregierung (LT Drucks. 13/3201, S. 342) führt zur Begründung der 2004 eingeführten Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG an, dass durch diese vermieden werden solle, dass ein Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur seinen Amtspflichten altersbedingt nicht mehr in genügendem Maß nachkommen kann. Insoweit reicht es allerdings aus, legitime Ziele aus dem Kontext der betreffenden Maßnahme abzuleiten, wenn gewisse Anhaltspunkte hierfür ersichtlich sind. (vgl. EuGH Urt. v. 16.10.2007 - C-411/05, Palacios de la Villa, RdNrn. 56 und 57). Diese Anhaltspunkte finden sich insbesondere in § 11 Abs. 1 VermG, der eine Bestellung dann vorsieht, soweit das öffentlichen Interesse an einem geordneten amtlichen Vermessungswesen nicht entgegensteht. Daran knüpft wiederum § 1 der ÖbVI-Berufsordnung an, der die Voraussetzungen für die Bestellung regelt. Wie sich zudem aus der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Vermessungswesens ergibt (LT Drucks. 14/7075), ist dessen wesentliches Ziel die landesweite flächendeckende Versorgung mit hoheitlichen Vermessungsdienstleistungen durch eine landesweite Bestellung von Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren. Mit dem Vorbehalt des entgegenstehenden öffentlichen Interesses ist im Falle eines Überangebots an Vermessungsingenieuren eine Bedarfsprüfung angelegt. Der Umstand, dass in der Vergangenheit bzw. aktuell eine solche Prüfung aufgrund maßvoller Bewerberzahlen faktisch nicht durchgeführt worden ist und wird, steht der gesetzlichen Regelung nicht entgegen. Es wird nämlich gerade bezweckt, für den Fall einer „Überversorgung“ die Möglichkeit der Regulierung zu haben, um die Funktionsfähigkeit des staatlichen Vermessungswesens als Gemeinschaftsgut von hohem Stellenwert zu schützen. Dass der Gesetzgeber auf ein solches Korrektiv verzichten wollte, ist nicht ersichtlich und dies ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Bedarfsprüfung keine genauere gesetzliche Ausformung erfahren hat. Mithin dient § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG auch dazu, die zur Verfügung stehenden Stellen mit einer gewissen Planbarkeit und Vorhersehbarkeit für lebensjüngere Bewerber frei zu machen, weil die Anzahl dieser Stellen rechtlich begrenzt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 23.07.2012 - Az. NotZ 12/11 - juris RdNr. 8).
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Die Einführung der Altersgrenze ist auch eine objektive und angemessene Maßnahme. Sie betrifft jeden Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur in gleicher Weise und ist so ein geeignetes und erforderliches Mittel, um den nötigen Platz für jüngere Bewerber zu schaffen. Denn auf andere Weise als durch eine Altershöchstgrenze lässt sich die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur kaum erreichen. Es müsste nämlich in jedem Einzelfall nachgewiesen werden, dass in erster Linie die Voraussetzungen des § 13 Abs. 4 Nr. 4 VermG erfüllt sind. Dies würde letztlich stets auf die Frage hinauslaufen, ob der jeweilige Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur noch die persönliche Eignung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 VermG besitzt, was zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten führen könnte und dem Ansehen der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure insgesamt Schaden zufügen könnte (vgl. VG Dresden, Beschl. v. 21.05.2012 - 2 L 1854/11).
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Schließlich ist die Regelung auch verhältnismäßig. Mit der Höchstaltersgrenze von 70 Lebensjahren geht § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG beispielsweise über die grundsätzliche Altersgrenze für Beamte des Landes Baden-Württemberg, die gemäß § 36 Abs. 1 LBeamtG mit der Vollendung des 67. Lebensjahres das Ruhestandsalter erreichen, hinaus. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Antragsteller den selbständigen Beruf des Vermessungsingenieurs weiter ausüben können. Allein der Umstand, dass - wie vorgetragen - private und öffentliche Aufträge zumeist verknüpft sind, vermag die allgemeine Berufsausübung als Vermessungsingenieur nicht in Frage zu stellen. Die angegriffene Regelung existiert auch seit nunmehr 12 Jahren, sodass sich die Antragsteller auf das Erlöschen ihres öffentlichen Amtes haben einstellen können.
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c) Im Übrigen liegt eine Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG vor. Hiernach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Die Vorschrift setzt u.a. Art. 4 Abs. 1 der RL in deutsches Recht um. Sie stellt klar, unter welchen Voraussetzungen bestimmte berufliche Anforderungen eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals rechtfertigen können (vgl. BT Drucks. 16/1780 S. 35; BT Drucks. 16/2022 S. 6, 12). Eine Anforderung ist dann „entscheidend“ für eine bestimmte berufliche Tätigkeit, wenn die Tätigkeit ohne sie nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Die zusätzliche Einschränkung auf „wesentliche“ Anforderungen soll eine gewisse Erheblichkeitsschwelle statuieren (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2015, § 8 AGG RdNr. 9). Bejaht wird aber das Alter als entscheidende berufliche Anforderung bereits dann, wenn damit eine besondere Eigenschaft regelmäßig verknüpft ist (vgl. EuGH, Urt. v. 12.01.2010 - C-229/08, Wolf).
16 
Die Antragssteller haben nicht vorgetragen und folglich auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie die volle körperliche Eignung besitzen, auch noch über das 70. Lebensjahr hinaus der Tätigkeit als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur nachgehen zu können.
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Doch selbst wenn weiterhin eine solche körperliche Eignung bestünde, ist die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG festgesetzte Höchstaltersgrenze gerechtfertigt. Denn der Beruf des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs ist in nicht unerheblichem Umfang von der körperlichen Fitness abhängig. Die Tätigkeit des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs umfasst maßgeblich die Durchführung von Liegenschaftsvermessungen einschließlich der Abmarkung von Flurstückgrenzen, § 1 Nr. 3 VermG. Demgemäß handelt es sich nicht um eine ausschließliche Bürotätigkeit, sondern auch um eine Tätigkeit in freier Natur und dort in auch mitunter steilem oder schwer zugänglichem Gelände. Diesem Umstand trägt u.a. § 6 Abs. 3 Nr. 3 VermG Rechnung, der festlegt, dass Flurstückgrenzen nicht abgemarkt werden, wenn die Abmarkung „nicht zumutbar“ ist. Mit zunehmendem Alter und damit einhergehendem Verlust an körperlicher Fitness dürfte diese (subjektive) Unzumutbarkeitsschwelle eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs deutlich absinken. Weiter illustriert etwa der Umkehrschluss aus § 6 Abs. 3 Nr. 1 VermG, wonach jedenfalls bis an das Bett eines Gewässers heran Abmarkungen durchzuführen sind, dass nicht unwesentliche Anforderungen an die körperliche Fitness eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs gestellt werden. Dass der Gesetzgeber zudem gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 VermG Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, die Bestellung als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur gänzlich versagt, zeigt weiter, dass dieser generell eine gewisse körperliche (altersbedingte) Fitness als Grundlage der Berufsausübung ansieht. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dementsprechend abstrakt vermutet, dass ab dem 70. Lebensjahr diese berufsspezifischen Voraussetzungen nicht mehr in ausreichendem Maße erfüllt werden können.
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Die Regelung ist nach alldem zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Vermessungswesen auch zweckmäßig.
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d) Die Antragsteller sind ferner auch nicht in ihren Grundrechten verletzt, weil der Eingriff infolge § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG durch die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Vermessungswesens, dessen Aufgaben von großer Bedeutung für den Rechtsverkehr zwischen den Bürgern und damit für den Rechtsfrieden in der Gemeinschaft sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.07.1986 - 1 BvL 26/83 - juris RdNr. 35), gerechtfertigt wird.
III.
20 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 161 Abs. 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
IV.
21 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

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