Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (1. Kammer) - 1 K 1392/11.TR


Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2011 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 3. Mai 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden und nicht aus dem Grund abzulehnen, dass eine Ausnahme gemäß § 18 Abs. 1 Satz 6 Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung nur im Fall des kumulativen Vorliegens der Herstellung in kleinen Mengen und besonderer Lagerungsprobleme gewährt werden kann.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Pflicht der Klägerin zur Bildung von Rückstellmustern für bestimmte, von ihr vertriebene Arzneimittel.

2

Die klagende GmbH ist als Parallelimporteurin von Arzneimitteln tätig. Sie führt zugelassene Arzneimittel aus Ländern des europäischen Wirtschaftsraums nach Deutschland ein. Sodann werden diese Arzneimittel von ihr neu konfektioniert, d. h. mit einer deutschen Kennzeichnung und Packungsbeilage versehen. Hierfür muss die Klägerin in aller Regel die äußere Verpackung, die sog. Sekundärverpackung des Medikaments öffnen. Anschließend gibt sie die betreffenden Präparate frei und bringt sie in Deutschland in den Verkehr. Die Liefermengen einer Charge für einen solchen Herstellungsvorgang bei der Klägerin betragen in Abhängigkeit von der Nachfrage im Inland, den Einkaufspreisen und der Lieferfähigkeit im Ausland häufig weniger als hundert Einheiten, bei sehr teuren Produkten in der Regel weniger als zehn. Die Klägerin gilt als Spezialistin im Arzneimittelhochpreissektor. Der durchschnittliche Verkaufspreis eines Arzneimittels der Klägerin liegt bei etwa 500,00 €.

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Für Hersteller von Arzneimitteln und Wirkstoffen sieht § 18 Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV - in der Fassung vom 3. November 2006 (BGBl. I S. 2523) grundsätzlich die Pflicht zur Aufbewahrung sog. Rückstellmuster für jede Charge eines Fertigarzneimittels vor. Ausnahmen hiervon sind nach § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV möglich bei Arzneimitteln, "deren Herstellung für den Einzelfall oder in kleinen Mengen erfolgt und deren Lagerung besondere Probleme bereitet." Die Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung wurde von den Bundesministerien für Gesundheit und für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Sie erging in Umsetzung mehrerer gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien, u. a. der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 (ABl. L 262/22). Dort heißt es in Art. 11 Abs. 4: "Bei bestimmten Produkten, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte, können mit Zustimmung der zuständigen Behörde andere Festlegungen über die Rückstellmuster von Ausgangsstoffen und ihre Aufbewahrung getroffen werden."

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Zu § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV teilte das Bundesministerium für Gesundheit in einem Schreiben an das Regierungspräsidium Darmstadt vom 20. April 2007 sowie einem Schreiben an den Bundesverband der Arzneimittel-Importeure vom 3. August 2007 mit, dass ihm bei dessen Formulierung kein gesetzgeberischer Fehler oder redaktionelles Versehen unterlaufen sei, sondern für eine Ausnahme von der Rückstellmusterpflicht das kumulative Vorliegen einer kleinen Herstellungsmenge und besonderer Probleme bei der Lagerung erforderlich sei. Die Ausnahmeregelung sei restriktiv zu handhaben.

5

In Abwendung von seiner vorherigen Verwaltungspraxis gab der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 22. Februar 2010 auf, für jede von ihr im Inland in einem einheitlichen Vorgang neu konfektionierte Charge (Inlandscharge), d. h. bei jedem Verpackungsvorgang, Rückstellmuster aufzubewahren. Nur so könne die Rekonstruktion von Herstellungsabläufen im Fall von Fehlern oder Auffälligkeiten gewährleistet werden.

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Die hiergegen erhobene Klage der Klägerin wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 1. März 2011 - 1 K 1083/10.TR - ab. Es führte aus, dass die zuständigen Behörden auf Grundlage des § 69 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz die notwendigen Anordnungen zur Beseitigung festgestellter und Verhütung künftiger Verstöße u. a. gegen die Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln treffen dürften. Zu diesen Vorschriften zählten auch die Bestimmungen der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung. Die Pflicht zur Aufbewahrung eines Rückstellmusters in jedem Fall, in dem durch einen Verpackungsvorgang eine neue Inlandscharge entstehe, folge aus §§ 18 Abs. 1 AMWHV i. V. m. 4 Abs. 16 Arzneimittelgesetz und Ziffer 9 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden über die gute Herstellungspraxis. § 18 Abs. 1 AMWHV sei auch mit höherrangigem Recht und Europarecht vereinbar. Insbesondere sei durch § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV sichergestellt, dass im Einzelfall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Ausnahmen von der Rückstellpflicht gewährt werden könnten, soweit Produkte für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt würden oder deren Lagerung besondere Probleme bereite. Aus der europarechtlichen Vorgabe des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/94/EG sowie dem sich aus den Gesetzgebungsmaterialien erschließenden Willen des Verordnungsgebers folge, dass die Voraussetzung der Lagerungsprobleme entgegen dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV alternativ und nicht kumulativ zu einem der beiden anderen Ausnahmetatbestände eine Ausnahme begründen könne. Insofern sei der schwerwiegende Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit verfassungskonform. Ausnahmen seien indes einzelfallbezogen zu beantragen. Die Erteilung einer "Generalausnahme" sei in der Verordnung nicht vorgesehen und widerspreche auch Sinn und Zweck derselben, der u. a. darin bestehe zu gewährleisten, dass im Fall von Produktvermischungen der Verantwortliche schnell identifiziert werden könne, um so den Umfang des erforderlichen Rückrufs zu bestimmen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil vom 1. März 2011 verwiesen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung).

7

Das Bundesministerium für Gesundheit äußerte sich zu dem Urteil der erkennenden Kammer gegenüber dem Beklagten in einer E-Mail vom 5. Juli 2011 dahingehend, dass es auch nach erneuter Prüfung an seiner Position zum Inhalt des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV festhalte. Eine Änderung der Verordnung sei nicht beabsichtigt.

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Am 3. Mai 2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Befreiung von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung für 205 in der Anlage zum Antrag im Einzelnen bezeichnete Präparate, die sie aktuell nur in Mengen unter hundert Stück herstellt und die einen Apothekeneinkaufspreis von über 150 € haben.

9

Den Antrag wies der Beklagte mit Bescheid vom 17. August 2011 zurück. Der Verordnungstext verlange für Ausnahmen von der Rückstellmusterpflicht das kumulative Vorliegen einer kleinen Menge und besonderer Probleme bei der Lagerung. Lagerungsprobleme habe die Klägerin jedoch nicht dargetan. Entgegen ihrer Auffassung handle es sich bei der Formulierung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV auch nicht um ein redaktionelles Versehen des Verordnungsgebers. Dieser habe in Reaktion auf das Urteil des erkennenden Gerichts vom 1. März 2011 seinem Willen zur Beibehaltung kumulativer Ausnahmevoraussetzungen und zur restriktiven Handhabung der Ausnahmeregelung Ausdruck verliehen.

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Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 29. August 2011 Widerspruch ein. Das Bundesministerium für Gesundheit ignoriere in rechtswidriger Weise die Feststellungen des erkennenden Gerichts in oben genanntem Urteil. Es sprächen die Verordnungsbegründung, der Wortlaut des § 27 AMWHV, der Wortlaut der Vorgängerregelung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 der Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmer) sowie der Wortlaut der Richtlinie 2003/94/EG, dort Art. 11 Abs. 4, für ein gesetzgeberisches Versehen.

11

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei dem nationalen Verordnungsgeber im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2003/94/EG anheimgestellt gewesen, ein strengeres Sicherheitsregime als von der Richtlinie vorgegeben festzulegen.

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Die Klägerin hat am 26. Oktober 2011 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV diene dazu, unverhältnismäßige Härten der grundsätzlich bestehenden Rückstellmusterverpflichtung auszugleichen und die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sicherzustellen, deren Vermarktung ansonsten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht vernünftig möglich wäre. Hinsichtlich ihres Antrags sei eine Ausnahme schon deshalb erforderlich, weil sie alle dort genannten Präparate in Mengen unter hundert Stück pro Charge und somit in kleinen Mengen fertige. Überdies sei in ihrem Fall auch das Merkmal der besonderen Lagerungsprobleme erfüllt. 16% der im Antrag genannten Arzneimittel seien Zytostatika, bei deren Lagerung besondere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen seien. Weitere 41% seien kühlkettenpflichtig. Alle Arzneimittel müssten temperiert aufbewahrt werden, so dass eine ständige Temperaturkontrolle bzw. Überwachung und Dokumentation erforderlich sei. Ferner ergebe sich aus Ziffer 2.1 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden über die Gute Herstellungspraxis, dass auch bei teuren Arzneimitteln von einem Rückstellmusterzug abgesehen werde könne. Da sich der Ausnahmeantrag vom 3. Mai 2011 ausschließlich auf Arzneimittel mit einem Apothekeneinkaufspreis von über 150,00 € beziehe, sei auch dieser Ausnahmetatbestand erfüllt. Als Preisgrenze für ein teures Arzneimittel sei die gesetzliche Wertung der Preisabstandsbestimmung bei parallel importierten Arzneimitteln, wie sie sich aus § 129 Abs. 1 Ziffer 2 SGB V ergebe, heranzuziehen. Danach sei bei Arzneimitteln über 100,00 € ein Preisabstand zum deutschen Bezugsarzneimittel von mindestens 15,00 € bei dem Arzneimittelabgabepreis einzuhalten.

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Schließlich sei die Versagung der beantragten Ausnahmebewilligung verfassungs- und europarechtswidrig, da sie gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Grundgesetz sowie Art. 34 und 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstoße. Die wortgetreue Anwendung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV führe zu unverhältnismäßigen Ergebnissen, da der Parallelimport bestimmter Arzneimittel dann wirtschaftlich unmöglich sei. Diesbezüglich macht die Klägerin sich die Ausführungen des erkennenden Gerichts in dessen Urteil vom 1. März 2011 -1 K 1083/11.TR - zu eigen. Sie führt ferner aus, dass ihr im Jahr 2011 Kosten in Höhe von 12 Millionen Euro entstanden wären, wenn der Ablehnungsbescheid des Beklagten bereits vollstreckbar gewesen wäre. Mit den verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Ablehnung der Ausnahmebewilligung setze sich der Beklagte in seinem Bescheid nicht auseinander. Auch mildere Mittel ziehe er nicht in Betracht.

14

Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2011 zu verpflichten, ihren Antrag vom 3. Mai 2011 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden und nicht aus dem Grund abzulehnen, dass eine Ausnahme gemäß § 18 Abs. 1 Satz 6 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung nur im Fall des kumulativen Vorliegens der Herstellung in kleinen Mengen und besonderer Lagerungsprobleme gewährt werden kann.

16

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

18

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Allein kleine Mengen oder wirtschaftliche Erwägungen seien nicht geeignet, eine Ausnahme von der im öffentlichen Interesse gebotenen Rückstellmusterpflicht zu begründen. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für eine strenge Ausnahmeregelung entschieden und von den Aufsichtsbehörden in seinem Schreiben vom 20. April 2007 eine restriktive Vollzugspraxis gefordert. Auch neue gesetzliche Vorgaben, wie die EU-Richtlinie 2011/62/EU zur Verhinderung von Fälschungen, zeigten eine Tendenz zu weiteren Verschärfungen und Auflagen für pharmazeutische Unternehmer. Der zur Umsetzung dieser Richtlinie vorliegende Entwurf zur 16. AMG-Novelle sehe eine Verpflichtung - auch des Parallelimporteurs - vor, Fälschungssicherheitsmerkmale an der äußeren Verpackung anzubringen. Zur gerichtsverwertbaren Klärung, ob ein gefälschtes Präparat vorliege oder nicht sei die Untersuchung anhand eines real vorhandenen Rückstellmusters erforderlich. Die Betrachtung von Fotomaterial sei hierfür nicht ausreichend.

19

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

21

Die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Bewilligung einer Ausnahme von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung durch den Beklagten ist wegen Ermessenausfall rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte war daher antragsgemäß dazu zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu befinden und diesen insbesondere nicht aus dem Grund abzulehnen, dass eine Ausnahme gemäß § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV nur im Fall des kumulativen Vorliegens der Herstellung in kleinen Mengen und besonderer Lagerungsprobleme gewährt werden kann (§ 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

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Der Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Bewilligung von Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung bei der Herstellung bestimmter Arzneimittel folgt aus § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (ABl. L 262/22) - RL 2003/94 -.

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Nach § 18 Abs. 1 Satz 4 AMWHV gilt, dass sofern eine Charge eines Fertigarzneimittels in zwei oder mehreren Arbeitsgängen endgültig verpackt wird, grundsätzlich je ein Rückstellmuster pro Verpackungsvorgang aufzubewahren ist. Dies gilt, so Satz 5 der genannten Bestimmung, auch bei parallel importierten oder parallel vertriebenen Arzneimitteln, wenn, wie im Betrieb der Klägerin, die Sekundärverpackung eines Arzneimittels zum Zweck der Änderung der Kennzeichnung oder Packungsbeilage geöffnet wird. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV kann die zuständige Behörde hiervon Ausnahmen bewilligen bei Arzneimitteln, deren Herstellung für den Einzelfall oder in kleinen Mengen erfolgt und deren Lagerung besondere Probleme bereitet.

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Soweit § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV nach dem zitierten Wortlaut eine Ausnahme nur im Fall des kumulativen Vorliegens einer kleinen Herstellungsmenge und besonderer Lagerungsprobleme zulässt, findet er keine Anwendung. Wie das erkennende Gericht bereits in seinem Urteil vom 1. März 2011 - 1 K 1083/10.TR -, auf das insoweit verwiesen wird, dargelegt hat, müssen vor dem europarechtlichen Hintergrund der Norm, ihrem Sinn und Zweck sowie der Verordnungsbegründung die in § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV genannten Ausnahmevoraussetzungen nur alternativ und nicht kumulativ vorliegen. Andernfalls erwiese sich die gesamte Bestimmung des § 18 Abs. 1 AMWHV als unverhältnismäßig und damit verfassungs- und europarechtswidrig.

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Angesichts der europarechtlichen Vorgaben sowie der Verordnungsbegründung liegt es bereits nahe, dass es sich bei der vom Verordnungsgeber gewählten Formulierung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV um ein redaktionelles Versehen handelt. Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 bestimmt nämlich, dass bei bestimmten Produkten, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte, mit Zustimmung der zuständigen Behörde andere Festlegungen über die Rückstellmuster von Ausgangsstoffen und ihre Aufbewahrung getroffen werden können. Nach der Verordnungsbegründung (BR-Drucks. 398/06 vom 31. Mai 2006, S. 73), wie sie dem Bundesrat von den beim Erlass der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung federführenden Bundesministerien für Gesundheit (BMG) und für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) vorgelegt wurde, entspricht § 18 Abs. 1 AMWHV Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 und dem gleichlautenden Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 91/412/EWG der Kommission vom 23. Juli 1991 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Tierarzneimittel (ABl. L 228/70). Dass in § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV - bewusst - von der Richtlinienvorgabe zugunsten einer wesentlich restriktiveren Fassung abgewichen wurde, findet in der Begründung keine Erwähnung. Ferner enthält § 27 AMWHV eine Parallelregelung zu § 18 AMWHV für Rückstellmuster von Wirkstoffen und sieht in seinem Abs. 1 Satz 3 vor, dass die zuständige Behörde bei Wirkstoffen, deren Herstellung für den Einzelfall oder in kleinen Mengen erfolgt oder deren Lagerung besondere Probleme bereitet, Ausnahmen über die Muster und ihre Aufbewahrung zulassen kann. Zur Begründung wird in BR-Drucks. 398/06 ausgeführt, der Hinweis auf mögliche Ausnahmen erfolge analog zu § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV (BR-Drucks. 398/06 vom 31. Mai 2006, S. 81). Auch dies zeigt, dass beide Ausnahmebestimmungen im Wesentlichen gleichlautend gestaltet werden sollten. Die Begründung lässt weder erkennen, dass für Fertigarzneimittel höhere Hürden zur Bewilligung von Ausnahmen aufgestellt wurden als für Wirkstoffe, noch weshalb dies für erforderlich gehalten wurde. Es wäre Sache des Verordnungsgebers gewesen, sich in der Begründung dazu zu erklären, wenn er hier eine Abweichung hätte vorsehen wollen, zumal anzunehmen ist, dass eher im Bereich der Wirkstoffe als der Fertigarzneimittel, insbesondere wenn diese nur neu konfektioniert werden, strengere Anforderungen an die nachträgliche Kontrolle der Herstellungsvorgänge zu stellen sind. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass dem Bundesrat dieser Umstand nicht bewusst war, als er seine nach Art. 80 Abs. 2 Grundgesetz - GG - erforderliche Zustimmung zur Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung erteilte.

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Zwar führte das BMG in seinen Schreiben vom 20. April und 3. August 2007 aus, dass es sich bewusst für eine restriktive Fassung der Ausnahmebestimmung entschieden habe. Aufgrund der Formulierung des Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 "können ... andere Festlegungen über die Rückstellmuster ... und ihre Aufbewahrung getroffen werden" sei den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum dahingehend eröffnet worden, ob und wie sie Ausnahmen von der Rückstellmusterpflicht zulassen wollten. Im E-Mail-Verkehr mit dem Beklagten vom 5. Juli 2011 äußerte das Ministerium ferner, dass es auch nach dem Urteil der erkennenden Kammer vom 1. März 2011 und der daraufhin erfolgten Prüfung der Vorschrift an der bisherigen Formulierung festhalte. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch um nachträgliche Betrachtungen, die so nicht Gegenstand des Zustimmungsverfahrens im Bundesrat waren. Maßgeblich für Ermittlung des gesetz- bzw. verordnungsgeberischen Willens ist zuvörderst die Begründung des Rechtsetzungsaktes. Diese spricht, wie gesehen, dafür, dass entsprechend den Vorgaben der umzusetzenden Richtlinie die ausnahmebegründenden Tatbestandsvoraussetzungen alternativ formuliert werden sollten. So sind sie daher auch zu verstehen.

27

Wollte man dies anders sehen, so stünde jedenfalls die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV in Widerspruch zu Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94, soweit bei dessen wortlautgetreuer Anwendung für Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung das kumulative Vorliegen der Herstellung in kleinen Mengen und besonderer Probleme zu verlangen ist. Insoweit wäre dann die Richtlinienvorlage nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt worden mit der Folge, dass Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 unmittelbare Wirkung entfalten und anstelle von § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV anwendbar sein würde, soweit dessen Regelungsgehalt von seinen Vorgaben abweicht.

28

Entgegen der Auffassung des BMG und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25. November 2009 - 13 A 1536/09, DÖV 2010, 568; Beschlüsse vom 15. Dezember 2009 - 13 B 1307/09, DVBl. 2010, 667, und vom 4. März 2011 - 13 A 2099/10, juris) belässt die genannte Richtlinienbestimmung dem nationalen Verordnungsgeber nämlich keinen Umsetzungsspielraum dahingehend, ob und in welcher Form er Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung zulassen will. Zwar ist eine Richtlinie nach dem im Zeitpunkt des Richtlinienerlasses am 8. Oktober 2003 maßgeblichen Art. 249 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. vom 24. Dezember 2002 - C 325/132) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich und überlässt den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel zu ihrer Umsetzung. Soweit aber eine Richtlinienbestimmung, wie dies sehr häufig der Fall ist, bereits eine lex perfecta, d. h. eine vollständige und detaillierte Regelung enthält, reduziert sich die Umsetzungspflicht des nationalen Gesetzgebers im Wesentlichen auf ein "Abschreiben" des Richtlinieninhalts (zum Ganzen Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, S. 210 ff.; zur unveränderten Rechtslage nach dem Vertrag von Lissabon siehe Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2010, AEUV Art. 288 Rn. 12).

29

So verhält es sich hier. Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 enthält, wenn seine sechs Sätze im Ganzen in den Blick genommen werden, eine ausführliche, detaillierte und abschließende Regelung über die Pflicht zur und die Art und Weise der Bildung von Rückstellmustern. In Satz 1 wird festgelegt, dass Rückstellmuster von jeder Charge eines Fertigarzneimittels mindestens ein Jahr über den Ablauf des Verfallsdatums hinaus aufzubewahren sind. Sätze 2 bis 4 sehen sodann Sonderbestimmungen für Rückstellmuster von Prüfpräparaten und Ausgangsstoffen vor. Nach Satz 5 sind sämtliche Rückstellmuster den zuständigen Behörden zur Verfügung zu halten und nach Satz 6 schließlich können mit Zustimmung der zuständigen Behörden bei bestimmten Produkten, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte, andere Festlegungen über die Rückstellmuster von Ausgangsstoffen und ihre Aufbewahrung getroffen werden.

30

Hierzu ist zunächst anzumerken, dass, soweit sich Satz 6 nur auf Rückstellmuster von Ausgangsstoffen und ihre Aufbewahrung bezieht, offensichtlich ein Übersetzungsfehler vorliegt, da sich eine solche Beschränkung weder in der englischen, noch in der französischen oder spanischen Sprachfassung findet. Da bei Rechtstexten der EU alle Sprachfassungen verbindlich sind, ist im Falle von Divergenzen ein wertender Rechtssprachenvergleich vorzunehmen, bei dem insbesondere darauf abzustellen ist, welche sprachliche Fassung Sinn und Zweck der auszulegenden Norm am besten zur Geltung kommen lässt (Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 275).

31

So lautet Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 in der englischen Fassung:

32

"Other conditions may be defined, by agreement with the competent authority, for the sampling and retaining of starting materials and certain products manufactured individually or in small quantities, or when their storage could raise special problems."

33

Die französische Version lautet:

34

"D'autres conditions peuvent être définies, en accord avec l'autorité compétente, pour l'échantillonnage et la conservation de certaines matières de base et de certains produits fabriqués individuellement ou en petites quantités, ou lorsque leur stockage pourrait poser des problèmes particuliers."

35

In der spanischen Fassung schließlich wird bestimmt:

36

"Se podrán definir otras condiciones, mediante acuerdo con la autoridad competente, para el muestreo y la conservación de materiales de partida y determinados productos fabricados individualmente o en pequeñas cantidades, o cuyo almacenamiento pudiera plantear problemas especiales."

37

Entgegen der deutschen Version bezieht sich in allen drei zitierten Sprachfassungen die Möglichkeit, Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung zuzulassen, sowohl auf Ausgangsstoffe ("starting materials"; "matières de base"; "materiales de partida"), als auch auf bestimmte Produkte, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte ("and certain products [...]";"et de certains produits [...]";"y determinados productos [...]"). Für einen Übersetzungsfehler streitet ferner der Umstand, dass die deutsche Fassung der Parallelvorschrift für Tierarzneimittel, Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 91/412/EWG der Kommission vom 23. Juli 1991 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Tierarzneimittel (ABl. L 228/70) - RL 91/412 -, entsprechend den aufgeführten ausländischen Sprachfassungen der RL 2003/94 formuliert ist: "Bei bestimmten Arzneimitteln, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte, können mit Zustimmung der zuständigen Behörde andere Festlegungen über die Rückstellmuster und ihre Aufbewahrung getroffen werden." Ferner heißt es in Ziffer 2.1 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis (BAnz. Nr. 87 vom 10. Mai 2007, S. 4826), dass es außergewöhnliche Umstände geben kann, in denen der mit der Rückstellmusterpflicht verfolgte Identifizierungszweck auch ohne die Rückstellung eines Duplikatmusters erfüllt werden kann, z. B. wenn kleine Mengen einer Charge für verschiedene Märkte verpackt werden oder bei der Produktion sehr teurer Arzneimittel. Eine Beschränkung auf Rückstellmuster von Ausgangsstoffen findet sich also auch hier nicht. Der EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis dient gem. § 2 Nr. 3 AMWHV i. V. m. Art. 3 Abs. 2 RL 2003/94 der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis, wie sie in der Richtlinie 2003/94 niedergelegt sind. Hieraus folgt, dass die nicht-deutschen Sprachfassungen dem mit der Ausnahmebestimmung verfolgten Sinn und Zweck näher kommen. § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV ist somit nicht zu beanstanden, soweit er Ausnahmen von der Rückstellmusterpflicht nicht nur für Ausgangsstoffe, sondern generell vorsieht.

38

Insofern aber, als Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 die einer Ausnahme zugänglichen Produktkategorien alternativ aufzählt, war der deutsche Gesetzgeber durchaus an diese Vorgabe gebunden, denn die Formulierung "können mit Zustimmung der zuständigen Behörde andere Festlegungen über die Rückstellmuster von Ausgangsstoffen und ihre Aufbewahrung getroffen werden" bezeichnet nicht etwa ein Umsetzungsermessen des nationalen Gesetz- oder Verordnungsgebers hinsichtlich der Ausnahmebestimmung als solcher (so aber OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. November 2009 - 13 A 1536/09, DÖV 2010, 568; Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 13 B 1307/09, DVBl. 2010, 667; Beschluss vom 4. März 2011 - 13 A 2099/10, juris), sondern vielmehr das im Einzelfall bestehende Entschließungs- und Auswahlermessen der über eine Ausnahme entscheidenden zuständigen Behörde. Diese soll sich bei Vorliegen einer der drei genannten Ausnahmegründe mit dem betroffenen Hersteller auf eine andere Form der Bildung von Kontrollexemplaren verständigen können, sei es beispielsweise durch Verkürzung der Aufbewahrungsfrist, ein Absehen von der Pflicht, bei gleicher Ausgangscharge für jede Inlandscharge ein Rückstellmuster vorzuhalten, oder die Erlaubnis, nur Rückstellmuster der jeweiligen Verpackungen und Beipackhinweise aufzubewahren und den eigentlichen Konfektionierungsprozess lediglich fotografisch zu dokumentieren.

39

Wird - wie dies das BMG in seinem Schreiben vom 3. August 2007 und das OVG Nordrhein-Westfalen (a. a. O.) getan haben - die entsprechende Passage des Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 auf die Worte "können ...andere Festlegungen ... getroffen werden" reduziert, um ein Umsetzungsermessen zu begründen, so handelt es sich hierbei um eine unzulässige Verkürzung des Wortlauts der Norm, die dessen Auslegung nicht dient. Zielführend ist vielmehr auch hier ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen. So bestimmt beispielsweise die niederländische Version: "(...) kunnen andere voorwaarden met de bevoegde autoriteit worden overeengekomen". Hier wird schon aus dem Wortlaut "können andere Voraussetzungen mit der zuständigen Behörde vereinbart werden" unmittelbar ersichtlich, dass die Vorschrift unter den genannten Voraussetzungen abweichende Vereinbarungen zwischen Hersteller und zuständiger Behörde zulassen will und kein gesetzgeberisches Ermessen eröffnet.

40

Das OVG Nordrhein-Westfalen (a. a. O.) begründet seine anders lautende Auffassung damit, dass "festlegungsberechtigt" im Sinne von "gesetzgebungsberechtigt" nur der Mitgliedstaat sein könne. Dies ergebe sich aus einem Sprachvergleich mit dem 6. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach "... ausführliche Bestimmungen zu Inspektionen durch die zuständigen Behörden sowie zu bestimmten Pflichten des Herstellers festgelegt werden" sollten. Ferner sprächen die englische und französische Fassung des Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 für ein mitgliedstaatliches Umsetzungsermessen, da es dort heiße "other conditions may be defined" bzw. "d'autres conditions peuvent être définies".

41

Der Argumentation des OVG Nordrhein-Westfalen widerspricht bereits die Tatsache, dass sich die gezogene Sprachparallele zum 6. Erwägungsgrund der Richtlinie in den angeführten beiden anderen Sprachfassungen gerade nicht findet. So werden im 6. Erwägungsgrund der Richtlinie im Englischen die Formulierungen "lay down detailed provisions" und im Französischen "fixer des règles détaillées" verwandt, also gerade nicht, wie im Deutschen, der gleiche Begriff wie in Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94. Dieser Umstand weist daher den Weg zu einer der des OVG Nordrhein-Westfalen gerade entgegen gesetzten Schlussfolgerung auf, nämlich jener, dass mit dem im Englischen und Französischen in Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 gebrauchten Begriff des "Definierens" anderer Modalitäten der Dokumentation des jeweiligen Herstellungsvorgangs ("other conditions may be defined"; "d'autres conditions peuvent être définies") gerade keine gesetzgeberische Tätigkeit, sondern ein kooperatives Verfahren zwischen zuständiger Behörde und Hersteller angesprochen ist.

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Dieses Ergebnis wird bestätigt zum einen dadurch, dass beispielsweise Österreich in § 27 Abs. 8 der Arzneimittelbetriebsordnung 2009 (BGBl. II Nr. 324/2008: "Bei bestimmten Arzneimittelspezialitäten, die für den Einzelfall oder in kleinen Mengen hergestellt werden oder deren Lagerung besondere Probleme bereiten könnte, können im Rahmen der gemäß § 63 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes erteilten Bewilligungen andere Festlegungen über die Referenzproben und Rückstellmuster und ihre Aufbewahrung getroffen werden"), Belgien im Arrêté royal relatif aux médicaments à usage humain et vétérinaire, Annexe IV, Ziffer IX.4 ("D'autres conditions peuvent être définies, en accord avec l'AFMPS ou avec les autorités compétentes d'un autre Etat membre pour l'échantillonnage et la conservation de certaines matières premières et de certains produits fabriqués individuellement ou en petites quantités, ou lorsque leur stockage pourrait poser des problèmes particuliers") oder auch Luxemburg in Art. 18 Abs. 4 Règlement grand-ducal du 19 novembre 2004 concernant la fabrication de médicaments, les bonnes pratiques de fabrication de médicaments et les bonnes pratiques de fabrication de médicaments expérimentaux à usage humain ("D'autres conditions peuvent être définies, en accord avec la Direction de la Santé pour l'échantillonnage et la conservation de certaines matières de base et de certains produits fabriqués individuellement ou en petites quantités, ou lorsque leur stockage pourrait poser des problèmes particuliers") ihre nationalen Regelungen in diesem Sinne ausgestaltet haben. Zum anderen zeigt auch die bereits oben zitierte Ziffer 2.1 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis (BAnz. Nr. 87 vom 10. Mai 2007, S. 4826), worin als Beispiele für mögliche Fallgestaltungen, in denen eine Ausnahme von der Rückstellmusterpflicht angezeigt sein kann, die Herstellung kleiner Mengen oder die Produktion sehr teurer Arzneimittel genannt werden, dass der europäische Gesetzgeber einen weitergehenden Bedarf für Ausnahmemöglichkeiten erkannt hat als der deutsche Verordnungsgeber, was dafür spricht, dass er es diesem gerade nicht anheimstellen wollte, ob und inwieweit er Ausnahmen von der Rückstellmusterpflicht im nationalen Recht zulässt.

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Nach alledem wurde Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 - wenn man, wie der Beklagte, ein Redaktionsversehen verneint - vom deutschen Verordnungsgeber insofern nicht korrekt umgesetzt, als § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung nur zulässt, wenn zusätzlich zur Herstellung für den Einzelfall oder in geringer Menge besondere Lagerungsprobleme vorliegen. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV scheitert dann an dessen eindeutigem Wortlaut. Der mithin nicht aufzulösende Widerspruch zwischen den beiden Bestimmungen hat zur Folge, dass Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 insofern unmittelbar Anwendung findet, als er durch § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV nicht vollständig umgesetzt wurde. Die sog. Direktwirkung von Richtlinien wird vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung dann angenommen, wenn eine Richtlinienbestimmung vom betroffenen Mitgliedstaat nicht rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt wurde und sie inhaltlich unbedingt sowie hinreichend bestimmt ist, es sich also um eine lex perfecta im oben beschriebenen Sinne handelt (EuGH, st. Rspr. seit Urteil vom 4. Dezember 1974, Van Duyn, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, und Urteil vom 5. April 1979, Ratti, Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629). Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Richtlinie 2003/94/EG hätte nach ihrem Art. 17 Abs. 1 bis zum 30. April 2004 in nationales Recht umgesetzt werden müssen, was, wie gesehen, vorliegend nicht bzw. nur inhaltlich fehlerhaft geschehen ist. Auch ist Art. 11 Abs. 4 Satz 6 RL 2003/94 hinsichtlich der Voraussetzungen, die für eine Ausnahmebewilligung erfüllt sein müssen, hinreichend bestimmt und nicht von weiteren Bedingungen abhängig.

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Die gefundene Lösung wird von der weiteren Erwägung getragen, dass § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV die Möglichkeiten, Ausnahmen von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung zu bewilligen, derart einengt, dass diese ihrerseits sich als verfassungs- und europarechtswidrig erweist. Die Verpflichtung der Hersteller von Fertigarzneimitteln, Rückstellmuster von jeder Charge eines Fertigarzneimittels aufzubewahren, wobei nach § 4 Abs. 16 Arzneimittelgesetz unter Charge die jeweils aus derselben Ausgangsmenge in einem einheitlichen Herstellungsvorgang oder bei einem kontinuierlichen Herstellungsverfahren in einem bestimmten Zeitraum erzeugte Menge eines Arzneimittels zu verstehen ist, stellt einen gravierenden Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit dar. Dieser ist, wie das erkennende Gericht in seinem Urteil vom 1. März 2011 - 1 K 1083/10.TR - ausgeführt hat, nur dann zu rechtfertigen, wenn eine Ausnahmebestimmung es ermöglicht, hieraus resultierende gravierende Härten im Einzelfall abzuwenden. Dies ist auf Grundlage der vom Verordnungsgeber gewählten Formulierung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV jedoch nicht möglich. Besondere Lagerungsprobleme im Sinne der Vorschrift liegen nämlich nur dann vor, wenn das betreffende Arzneimittel seiner Art nach nicht lagerfähig oder eine Aufbewahrung aus sonstigen Gründen, etwa wegen Radioaktivität, mit Blick auf das verfolgte Ziel untauglich ist. Diese Voraussetzung wird nur höchst selten kumulativ mit der Herstellung einer Arzneimittelcharge in kleiner Menge erfüllt sein, so dass die Bestimmung praktisch leer läuft. Die wirtschaftlich unter Umständen erdrückende Wirkung der Pflicht zur Rückstellmusterbildung, namentlich bei Unternehmen, die nur hochpreisige Arzneimittel in kleiner Menge produzieren, kann mithin auf Grundlage des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV nicht abgefedert werden. Überdies läuft die wortlautgetreue Anwendung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV im umgekehrten Fall auf das offensichtlich absurde Ergebnis hinaus, dass auch bei Arzneimitteln, die nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand gelagert werden können, aber nicht in geringer Menge hergestellt werden, eine Ausnahme von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung ebenfalls nicht zugelassen werden kann.

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Dies erscheint auch im Hinblick auf den überragenden Zweck der Arzneimittelsicherheit und damit des Gesundheitsschutzes sowie den dem Gesetz- und Verordnungsgeber in diesem Bereich zukommenden weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum (BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a., BVerfGE 121, 317; Urteil vom 31. August 2005 - 1 BvR 700/05, NJW 2005, 3132) als nicht verhältnismäßig. Der Beklagte hat nicht dargetan, inwiefern die gegenüber dem Europarecht und dem Recht anderer Mitgliedstaaten restriktivere Handhabung von Ausnahmen für die Arzneimittelsicherheit erforderlich ist, ein vergleichbares Sicherheitsniveau mithin nicht mit milderen Mitteln zu erreichen ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Pflicht zur Bildung von Rückstellmustern - im Gegensatz zu Referenzmustern - Identifikationszwecken dient. In Ziffer 9.2 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis (BAnz. Nr. 87 vom 10. Mai 2007, S. 4826), der zur Auslegung der in RL 2003/94 niedergelegten Grundsätze heranzuziehen ist (vgl. Art. 3 RL 2003/94 und § 2 Nr. 3 AMWHV), wird die Pflicht zur Aufbewahrung von Rückstellmustern für Parallelimporteure wie folgt begründet:

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"Wenn die Sekundärverpackung geöffnet wird, um z. B. den Umkarton oder die Packungsbeilage zu ersetzen, sollte ein das Produkt enthaltendes Rückstellmuster pro Verpackungsvorgang entnommen werden, da ein Risiko für Produktvermischungen während des Zusammenstellungsprozesses besteht. Es ist wichtig, schnell identifizieren zu können, wer im Falle einer Vermischung verantwortlich ist (der ursprüngliche Hersteller oder der Parallelimport-Zusammensteller), da es das Ausmaß eines sich daraus ergebenden Rückrufs beeinflusst."

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Angesichts dessen, dass dieser Zweck auch bei der Bildung vollständiger körperlicher Rückstellmuster nicht mit absoluter Sicherheit erreicht werden kann, weil es möglich ist, dass die aufbewahrte Probe von der Vermischung nicht betroffen war, erscheint er in bestimmten Ausnahmefällen zumindest annähernd so gut mithilfe anderer Mittel wie beispielsweise der Aufbewahrung der Verpackung und intensiver Fotodokumentation des Herstellungsprozesses oder der Bildung nur eines vollständigen Rückstellmusters bei mehreren Konfektionierungsvorgängen aus derselben Auslandscharge gewährleistet werden zu können.

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Der Hinweis des Beklagten indes, dass ein körperliches Rückstellmuster unabdingbar sei, um Fälschungen zu entdecken und nachzuverfolgen, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Dies folgt ebenfalls aus dem EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis. Dessen Anhang 19 enthält Leitlinien über die Entnahme und Aufbewahrung von Referenzproben von Ausgangsstoffen, Verpackungsmaterial oder Fertigprodukten, ferner über die Entnahme und Aufbewahrung von Rückstellmustern von Fertigprodukten sowie über die Entnahme von Rückstellmustern für parallelimportierte bzw. -vertriebene Arzneimittel. Dabei gilt grundsätzlich, dass Referenzproben Analysezwecken und Rückstellmuster Identifizierungszwecken dienen (Ziffer 2.1). Mit Blick auf parallelimportierte oder -vertriebene Produkte bestimmt Ziffer 9.2, dass Rückstellmuster nur dann zu bilden sind, wenn beim Konfektionierungsvorgang die Sekundärverpackung geöffnet wird - so auch § 18 Abs. 1 Satz 5 AMWHV -, weil dann ein gewisses Risiko für Produktvermischungen während des Zusammenstellungsprozesses besteht. Im Fall einer solchen Vermischung müsse der Verantwortliche schnell festgestellt werden, da dies über das Ausmaß des Rückrufs entscheide. Die Rückstellmusterpflicht für Parallelimporteure dient mithin allein der Dokumentation des Umpackvorgangs. Schutz vor Arzneimittelfälschungen soll sie nach dem Willen des Gesetzgebers, soweit er in den maßgeblichen Dokumenten zum Ausdruck gebracht wurde, nicht gewährleisten. Um den Fälschungsschutz zu verbessern, stellt die vom Beklagten angeführte sog. "Fälschungsrichtlinie" 2011/62/EU vom 8. Juni 2011 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette (ABl. L 174/74) - RL 2011/62 - vielmehr andere Instrumente zur Verfügung. So sollen insbesondere EU-weit verschreibungspflichtige Arzneimittel mit besonderen Sicherheitsmerkmalen versehen werden, die im Fall des Umpackens durch gleichwertige Sicherheitsmerkmale zu ersetzen sein werden (Erwägungsgründe 11 und 12 sowie Artikel 1 Ziffern 8., 9., 11. und 12. RL 2011/62). Zu Rückstellmustern äußert sich die Fälschungsrichtlinie nicht.

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Die Europarechtswidrigkeit des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV folgt daraus, dass aus dessen restriktiver Formulierung eine unzulässige Beschränkung der in Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - vom 9. Mai 2008 (ABl. C 115/47) garantierten Warenverkehrsfreiheit resultiert. Eine solche Beschränkung in Form einer durch Art. 34 AEUV verbotenen Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seit dessen Entscheidung im Fall Dassonville vom 11. Juli 1974 (Rs. 8/74 - Slg. 1974/837) dann anzunehmen, wenn eine Handelsregelung der Mitgliedstaaten geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Dies ist vorliegend der Fall, da aufgrund von § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV die grenzüberschreitende Einfuhrtätigkeit in Deutschland ansässiger Parallelimporteure von Arzneimitteln wesentlich erschwert, in Teilen auch wirtschaftlich unmöglich gemacht wird. Zwar handelt es sich bei § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV um eine nicht-diskriminierende Regelung, die man im Sinne der sog. Keck-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 24. November 1993 - Rs. 267 und 268/91, Slg. 1993/I-6097) als nicht produkt-, sondern vertriebsbezogen begreifen kann. Sie ist jedoch geeignet, den Zugang bestimmter Produkte, insbesondere besonders teurer Produkte, die regelmäßig in kleinen Mengen importiert werden, zum deutschen Markt zu blockieren und unterfällt damit, auch wenn man sie als vertriebsbezogene Regelung versteht, dem Beschränkungsverbot des Art. 34 AEUV (EuGH, Urteil vom 8. März 2001, Gourmet International Products, Rs. C-405/98, Slg. 2001/I-1795).

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Eine Rechtfertigung dieser Beschränkung scheidet aus den gleichen Gründen wie beim Eingriff in die Berufsfreiheit aus. Zwar können handelshemmende Regelungen, die nicht-diskriminierend sind, also nicht zwischen in- und ausländischen Waren unterscheiden, sowohl aus den in Art. 36 AEUV genannten, als auch aus sonstigen zwingenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sein (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Februar 1979, Cassis de Dijon, Rs. 120/78, Slg. 1979/649). Einzig in Betracht kommender Rechtfertigungsgrund ist aber auch hier der Gesundheitsschutz, Art. 36 Satz 1 AEUV. Zu diesem Zweck erweist sich § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV jedoch, wie oben gesehen, als unverhältnismäßig.

51

Ist also im Ergebnis das Vorliegen entweder der Herstellung in kleiner Menge oder besonderer Lagerungsprobleme ausreichend, um in die von § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV vorgesehene Ermessenentscheidung über die Bewilligung einer Ausnahme von der Pflicht zur Rückstellmusterbildung einzutreten, hat der Beklagte das ihm von § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV eröffnete Ermessen nicht ausgeübt, da er rechtsirrtümlich davon ausging, den Antrag der Klägerin bereits deshalb ablehnen zu müssen, weil jedenfalls die genannten Voraussetzungen nicht kumulativ erfüllt waren. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. August 2011 ist mithin rechtswidrig, weil er in Überschreitung der gesetzlichen Ermessensgrenzen im Sinne von § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - und § 114 VwGO erging.

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Ob im Übrigen der Antrag der Klägerin vom 3. Mai 2005, mit dem sie für 205 dort näher bezeichnete, von ihr regelmäßig in Stückzahlen unter hundert für den deutschen Markt konfektionierte Arzneimittel eine Ausnahme von der Pflicht zur Aufbewahrung von Rückstellmustern begehrte, die wie oben dargelegt zu verstehenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV i. V. m. Art. 11 Abs. 4 RL 2003/94 erfüllt, sowie ob vorliegend der im Urteil des erkennenden Gerichts vom 1. März 2011 - 1 K 1083/10.TR - dargelegten Anforderung der einzelfallbezogenen Antragstellung (hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 25. November 2009 - 13 A 1536/09, DÖV 2010, 568) genüge getan ist, kann dahinstehen, da der Klageantrag allein auf Neubescheidung abzielt. Die Ablehnung des Antrags beruhte auch nicht auf diesen Gründen.

53

Der somit in vollem Umfang begründeten Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.

54

Die Berufung wird gem. §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der rechtlichen Beurteilung des § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV weicht die vorliegende Entscheidung von der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen ab.

55

[Hinweis: Der Berichtigungsbeschluss wurde in den Entscheidungstext eingearbeitet

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Beschluss vom 7. März 2012

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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 31. Januar 2012 in der Rechtssache 1 K 1392/11.TR wird berichtigt, indem der Tenor wie folgt ergänzt wird:

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Die Berufung wird zugelassen.

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Gründe

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Die Zulassung der Berufung erfolgt grundsätzlich im Urteilstenor (vgl. OVG-Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17. Mai 2004 - 2 L 120/03, NVwZ-RR 2005, 578). Dies ist vorliegend bei der Übermittlung des Tenors an die Geschäftsstelle (§§ 116 Abs. 2, 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO) unterblieben, obgleich die Berufung nach dem Ergebnis der Beratung zugelassen werden sollte. Sie war auch, wie sich aus den Entscheidungsgründen des betreffenden Urteils ergibt, wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da das Urteil inhaltlich von der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen abweicht (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 124 Rn. 12).

61

Die oben dargestellte Unrichtigkeit des Urteils ist offensichtlich, da sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils sowie der Rechtsmittelbelehrung eindeutig ergibt, dass die Berufung zugelassen werden sollte.

62

Nach teilweise vertretener Auffassung ist zwar auch die Berufungszulassung allein in den Entscheidungsgründen zulässig (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 124a Rn. 10; BAG, Beschluss vom 11. Februar 1998 - 6 AZB 48/97, BAGE 90, 273). Aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots der fairen Verfahrensgestaltung soll jedoch mittels vorliegendem Berichtigungsbeschluss den Beteiligten zusätzliche Klarheit verschafft werden (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 1992 - 1 BvR 1140/86, NJW 1992, 1496).]

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